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Arizona


Der amerikanische Südwesten gehörte immer zum Stammland der deutschen Western-Leser. In meiner Kindheit war es vor allem Texas. Die Leser von Western kannten in den 1950er und 1960er Jahren fast nichts anderes. Von Gebieten wie Montana und Wyoming, die in der amerikanischen Pionierzeit zu den eigentlichen Cowboy-Staaten wurden, wusste man in dieser Zeit nicht viel. Von Arizona hatten manche immerhin schon mal gehört.

Trotzdem war es mutig von Werner Dietsch, seine RED ROCK RANCH nicht nach Texas, sondern nach Arizona zu verlegen.

Er wusste es eben besser. Er kannte die Geschichte der Rinderranches, und er kannte die bedeutenden Gebiete der Pionierjahre Amerikas.

Arizona war das Land der Frontier, der wilden Grenze. Ein Gebiet, das bis heute von geografischer Vielfalt geprägt ist. Ausgedehnte Wüsten mit riesigen Kakteen. Zerklüftete, raue Grenzlandschaften mit weg- und steglosen Gebirgen, Regionen mit bizarren, schroffen, roten Felsen wie das Monument Valley, das schon damals für die Indianervölker dieser Gegend göttliche Bedeutung hatte.

Es gab Gebiete mit Gold und Silber, in denen Männer mit Verbissenheit um die Reichtümer kämpften, die im Boden, in kargen Bächen und im Gestein verborgen lagen. Und es gab Indianerstämme, die um ihre Heimat kämpften, wie die Navajo im Norden und die Apachen im Süden.

Menschen, die sich hier ansiedelten, um Viehzucht oder sogar Ackerbau zu treiben, brauchten eine besondere Härte und Ausdauer. So wie die Familie Taylor.

Sie hatten von den Indianern gelernt, die in diesem Land Jahrhunderte überlebt hatten.

Bis heute gehört Arizona zu den heißesten und trockensten Gebieten des amerikanischen Westens. Bis heute gibt es dünn besiedelte Ecken, in denen einer gnadenlosen Natur getrotzt werden muss.

Die Indianervölker wussten, wo man Wasser finden und sogar Felder anlegen konnte. Die Navajo waren immer geteilt in Jäger und Krieger und in Acker­bauern. Sie legten Bewässerungssysteme an und schufen ausgedehnte Pfirsichplantagen in einer absolut lebensfeindlichen Umgebung, während andere als Krieger die Pueblo-­Völker im heutigen New Mexico überfielen und beraubten.

Apachen und Navajo gehören zu den berühmtesten Indianerstämmen dieser Region. Aber es gab auch fast unbekannte Völker wie die Hohokam, die Mogollon, die Havasupai, die Pima und prähistorische Dorfindianer, von denen nur noch die Hopi im Nordosten des Staates übriggeblieben sind.

Die ersten Europäer, die Arizona durchstreiften, waren spanische Konquistadoren, die nach möglichen Bodenschätzen suchten. Begleitet wurden sie von Mönchen, die glaubten, die Indianer zum Christentum bekehren zu können.

1539 hatte der Franziskaner-Mönch Marcos de Niza sich bis ins heutige Arizona vorgewagt. Er kam als Missionar, aber er hatte auch Gerüchte von unermesslichen Reichtümern gehört. Letztlich war seine Angst, von den Wilden massakriert zu werden, zu groß, so dass er sich nur bis auf Sichtweite an einige Pueblo-Dörfer herantraute. Er kehrte nach Mexiko zurück und verbreitete fantastische Geschichten von Siedlungen mit Dächern aus purem Gold und gefährlichen Völkern, denen nur mit einer starken Armee beizukommen war.

1540 zog der Eroberer Francisco Vazquez de Coronado mit einer kleinen aber waffenstarrenden Armee nach Norden, um Arizona für die spanische Krone in Besitz zu nehmen. Er fand allerdings weder Gold noch Silber und bezeichnete den Padre de Niza als erbärmlichen Lügner. Für die Naturschönheiten hatte der Spanier kein Auge. Der Grand Canyon, eines der bedeutendsten Naturwunder Arizonas und der Welt, war für seinen Schreiber nur ein ärgerliches Hindernis, ein riesiges Loch im Boden.

1583 wurde der spanische Entdecker Antonio de Espejo von einem Hopi-Indianer in ein Gebiet geführt, in dem es reiche Kupfervorkommen gab. Aber das war nicht das Edelmetall, das die Spanier erwarteten. Sie waren enttäuscht. Sie unterwarfen die Pueblo-Völker und führten einen permanenten Kampf gegen kriegerische Nomaden wie die Apachen und Navajo, die sie niemals besiegen konnten. Sie deportierten viele Indianer als Sklaven ins mexikanische Herzland und etablierten für Jahrzehnte eine auf Blut und Schrecken basierende Herrschaft.

1680 kam es in den heutigen Gebieten von Arizona und New Mexico zur sogenannten Pueblo-Revolte: Die Indianervölker hatten genug von der Gewaltherrschaft der Spanier. Sie erhoben sich fast simultan und jagten die Eroberer aus ihrem Land. Es dauerte viele Jahre, bis spanische Mönche sich wieder in diese Gebiete wagten. Mit der Unterdrückung der Indianer war es aber erst einmal vorbei.

Lange blieb Arizona unbeachtet. Das spanische Vize-Königtum in Mexiko interessierte sich kaum für seine nördlichen Provinzen, die sich in Bezug auf Edelmetalle als wenig ergiebig erwiesen hatten. Der Einfluss der Spanier war längst gebrochen, als im 19. Jahrhundert weiße Erzsucher die mineralischen Schätze dieses Landes entdeckten. Dann begann ein erbitterter, ja fanatischer Kampf um die Reichtümer unter dem Wüstensand.

1821 hatte eine Revolution in Mexiko das Land in eine instabile Republik verwandelt; die Macht der spanischen Krone wurde gebrochen, ihre Anhänger wurden vertrieben. Damit endete auch die Missionierung durch spanische Mönche in den Nordprovinzen.

Die alten Kirchen wurden geschlossen, die Mönche gingen, und 1846 brach ein Krieg zwischen Mexiko und den USA aus, der zwei Jahre später mit der Eroberung des gesamten amerikanischen Südwestens durch die Vereinigten Staaten endete. 1853 trat Mexiko das Arizona-Gebiet im sogenannten Gadsden-Vertrag offiziell an die USA ab. In jener Zeit lebten nur wenige weiße und mexikanische Siedler in dieser Region. Ihre Farmen waren weit verstreut und isoliert.

War Arizona für die Spanier und Mexikaner eine unbedeutende Wüste am nördlichen Rand ihres Reiches gewesen, so wurde Arizona jetzt ein ebenso niedrig angesehenes Gebiet am südlichen Rand der Vereinigten Staaten. Gut genug für Indianer und Trapper, die ohnehin als Halbwilde angesehen wurden.

Erst im Februar 1863 wurden die noch heute bekannten Grenzen Arizonas offiziell auf amerikanischen Land­karten festgelegt. Zu dieser Zeit hatte das Gebiet unterschiedliche Namen gehabt, beispielsweise Gadsonia, Pimeria oder Montezuma. Es hatte geografisch und politisch zu New Mexico gehört. Erst nach der Unterschrift von Präsident Abraham Lincoln unter die Grenz­festlegung 1863 wurde der Name Arizona endgültig aktenkundig.

Wegen der Goldfunde in Kalifornien waren Verbindungswege zwischen dem Osten der USA und der Pazifik-­Küste nötig geworden. Arizona galt in diesem Zusammen­hang als ein Durchgangsgebiet, nicht mehr und nicht weniger. Ingenieur-Truppen der US-Armee legten eine Overland-Route an, auf der irgendwann Postkutschen der Butterfield Mail rollten, die immer damit rechnen mussten, von Strauchdieben, Grenzbanditen oder indianischen Kriegern überfallen zu werden. Diese Verbindungsroute wurde nach 1848 durch das Mormonen-­Bataillon verbessert, eine besondere Militäreinheit, die sich aus den Reihen der Kirche der Heiligen der Letzten Tage zusammensetzte und an der Eroberung New ­Mexicos für die USA beteiligt gewesen war.

Im amerikanischen Bürgerkrieg (1861-1865) rückten von Kalifornien aus Unionstruppen in die Region ein, um zu verhindern, dass die Südstaatenarmee den Südwesten durchquerte, um in das Goldland Kalifornien vorzudringen und Kontrolle über die Bodenschätze zu erlangen.

Kommandeur des Militärdepartments war General James Henry Carleton, der nicht nur die Invasion der Konföderierten abwehrte, sondern einen gnadenlosen Kampf gegen Navajo und Apachen begann, um Arizona und seine reichen Silbervorkommen zu sichern und das Land für Siedler zu öffnen.

Der Krieg gegen Cochise und später Geronimo, die bedeutendsten und bekanntesten indianischen Führer, dauerte bis weit in die 1880er Jahre und kostete viele Menschenleben.

Eines der spektakulärsten Ereignisse in der Pionier­geschichte Arizonas fand am 26. Oktober 1881 in der wilden Silberminenstadt Tombstone statt, als sich die Brüder Earp und Doc Holliday mit den Clantons und McLaurys das bekannteste Revolverduell des 19. ­Jahrhunderts in Amerika am OK Corral lieferten. Hier ging es um die Macht in einer der reichsten Silberregionen des Gebiets, das inzwischen zum amerikanischen Territorium geworden war.

Ein Territorium war in Amerika eine Region, die von der amerikanischen Regierung in Washington verwaltet wurde. Der US-Präsident ernannte einen Gouver­neur und einen Bundesrichter, die hier faktisch die Regierungs­gewalt ausübten. Es gab allenfalls ein provisorisches Parlament, dessen Befugnisse eng begrenzt waren. County Sheriffs, also die Polizeichefs von Bezirken, wurden zwar gewählt, mussten aber vom Gouverneur anerkannt werden. Die übergeordnete Polizeigewalt übten US Deputy Marshals aus, die dem jeweiligen Bundesrichter unterstanden. In einem Territorium gab es keine Selbst­verwaltung der Bürger. Bürokraten im fernen Washington entschieden alles.

Das tägliche Leben war noch ziemlich unstrukturiert. Die Besiedlung war schwach. 1870 lebten in ganz Arizona keine 10.000 Amerikaner und Mexikaner, und die meisten konzentrierten sich auf die wenigen Siedlungen, in denen Gold und Silber gefunden wurde. Wer Arizona durchquerte, traf eher auf Klapperschlangen und Gila-Monster als auf Menschen; wenn er nicht von Apachen angegriffen wurde.

Die Haupteinnahmequelle in Arizona war im 19. Jahrhundert die Minenindustrie. Gold, vor allem aber Kupfer und Silber stellten den Reichtum des Territoriums dar. Das blieb so bis weit ins 20. Jahrhundert.

Aber zu dieser Zeit gab es in den Grenzregionen auch bereits Viehzuchtbetriebe. Die ersten Ranches waren in den 1860er Jahren entstanden. Rinderzucht blieb ein bedeutender Wirtschaftsfaktor bis in die Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Dann schrumpften die Ranches wieder, weil der Markt nach fleischigen Rinderrassen verlangte. Dafür gaben die mageren Weiden Arizonas nicht genug her, auf denen vor allem Longhorns gestanden hatten.

Erst 1912 wurde Arizona als vollgültiger Bundesstaat der USA anerkannt. Das bedeutete für die Bürger endlich Selbstverwaltung. Alle Wahlämter, auch das des Gouverneurs, des Regierungschefs, wurden jetzt mittels Volksabstimmungen besetzt. Die Entscheidungen, die Arizona betrafen, wurden nicht mehr in Washington, sondern vor Ort, im eigenen Staatsparlament gefällt.

Die wilde Pionierzeit war vorbei, zumindest politisch formal. Nicht aber in den Köpfen der Bewohner; 1912 waren es wahrhaftig schon 217.000. Immer noch lächerlich wenig in einem Gebiet von fast 300.000 Quadrat­kilometer Fläche. Nur wenig kleiner als die Bundes­republik Deutschland mit rd. 360.000 Quadratkilometern und einer Bevölkerung von rd. 83 Millionen.

Der Geist der alten Frontier war 1912 in Arizona noch immer sehr lebendig.

Ab den 1870er Jahren hatten sich auch Heimstättensiedler hier niedergelassen, Menschen, die Anspruch auf 160 Acres kostenloses Regierungsland hatten, was häufig zu Konflikten mit Großranchern führte, die illegal vermessenes Land in Besitz genommen hatten und nun gezwungen wurden, zu weichen. Viele der neuen Kleinsiedler waren Mormonen, die aus Utah herunterzogen und in Arizona starke mormonische Gemeinden gründeten, die es noch heute gibt, wie etwa Mesa, Heber, Saford u. a.

Große Weidekriege gab es in Arizona gleichwohl selten. Bekannt wurde die Tonto-Basin-Fehde (auch ­Pleasant Valley Fehde), wo sich Rinder- und Schaf­züchter einen blutigen, jahrelangen Privatkrieg lieferten.

Die Landwirtschaft in Arizona sorgte für den Bau von Staudämmen, Bewässerungskanälen und künstlichen Seen. Das hat im Laufe der Zeit zu bemerkenswerten geologischen Veränderungen der Landschaft geführt. Der Colorado River beispielsweise, weiter im Norden noch immer ein mächtiger Strom und ursprünglich schiffbar bis nach Yuma, dem Sitz des ersten Territoriums­zuchthauses an der kalifornischen Grenze, ist in Arizona inzwischen fast versiegt. Auch der Gila River hat sich in den letzten 60 Jahren stark verändert. Davon zeugen Pumpwerke und andere Bewässerungssysteme.

Heute sind es vor allem die kleinen Siedler, die das landwirtschaftliche Rückgrat das Staates bilden, während Viehzucht in großem Stil selten geworden ist. Viele der kleinen Farmer, die erheblich zur Infrastruktur Arizonas beitragen, sind heute die Nachfahren der indianischen Stämme. Die Navajo besitzen die größte Reservation der USA. Sie umfasst ca. ein Drittel des gesamten Staats­gebiets von Arizona und ist, wie alle Indianer­reservationen, von den Bewohnern selbstverwaltet.

Die Minenindustrie spielt noch immer eine wichtige Rolle, vor allem Kupfer. Arizona deckt zwei Drittel des gesamten Kupferbedarfs der Vereinigten Staaten.

Arizonas Staatsmotto ist 5 Cs das ist Copper, Cattle, Cotton, Citrus, Climate (Kupfer, Rinder, Baumwolle, Zitrusfrüchte, Klima).

Schon im 19. Jahrhundert wurde das Gebiet als Gesundbrunnen für Lungenkranke gepriesen. Das war einer der Gründe, weshalb der tuberkulöse Doc Holliday sich hier niederließ. Noch heute spielen das trockene und warme Klima und die klare Luft eine bedeutende Rolle für ­Arizonas Bevölkerungsbasis; noch immer kommen Menschen mit Atemwegserkrankungen in diesen Staat, und es siedeln sich enorm viele Rentner hier an.

Der Tourismus ist eine weitere stetige Einkommensquelle. Davon profitieren auch die Reservationen der Apachen und Navajo, die große Spielkasinos für Urlauber eingerichtet haben. Von Minenindustrie und Landwirtschaft war schon die Rede, dazu gehört auch der erfolgreiche Anbau von Baumwolle und von Obst­plantagen.

Das amerikanische Militär hat Ausbildungsstätten, bevorzugt für die Luftwaffe, hier angelegt, weil es noch immer gewaltige unbesiedelte Landstriche gibt, in denen Schul- und Testflüge gemacht werden können, ohne die Bevölkerung zu stören. So haben auch alte Forts seit den Indianerkriegen überlebt, beispielsweise Fort Huachuca unweit der mexikanischen Grenze.

Wer Arizona heute bereist, bekommt noch immer ein Pionierzeit-Gefühl. Weite Landschaften haben sich seit den Zeiten der spanischen Eroberer oder der ersten amerikanischen Pioniere so gut wie gar nicht verändert. Hier trifft man auf Gebiete, in denen die wilde Zeit der ­Frontier noch lebendig ist: Kleine Siedlungen mit Holzbauten wie aus einem Westernfilm, mit Saloons mit langen, messingbeschlagenen Theken und falschen Fassaden. Oder einsame, fast verloren liegende Farmen, zu denen es keine asphaltierten Wege gibt. Heute leben gerade einmal 7 Millionen Menschen verstreut in unendlicher Weite. Phoenix und Tucson sind die einzigen großen Städte.

Man sieht in Arizona Menschen, die schwere Colts umgeschnallt haben und damit offen auf den Straßen der staubigen Kleinstädte unterwegs sind. Ladenbesitzer haben Schrotflinten auf der Theke liegen und sind bis an die Zähne bewaffnet, um sich gegen Überfälle zu schützen, wie in alten Pioniertagen. Und das ist notwendig; die Kriminalitätsrate in Arizona ist hoch, und die lokale Polizei ist oft meilenweit entfernt und kann nicht schnell genug zur Stelle sein.

Cowboys treiben Rinder zu Pferde über die Highways, und schweigsame Navajo-Hirten sind mit ihren Schafherden in den roten Felslandschaften am Rande der Wüsten unterwegs, wie vor 150 Jahren.

In Arizona gibt es den Wilden Westen noch immer. Man atmet Freiheit, aber man atmet auch die Luft der ­Frontier. Man findet noch immer Saloons, in denen Wyatt Earp oder Doc Holliday ihren Whiskey genommen und Silberdollars über die Spieltische gerollt haben.

Männer wie Big John oder Clay Taylor können einem noch immer begegnen. Sie stehen für ihr Recht ein, für ihr Land, für ihre Familien. Unbeugsam, stur, aber auch gastfreundlich und hilfsbereit, wie die alten Pioniere des 19. Jahrhunderts.

Historisch gesehen ist diese Zeit von uns Heutigen aus gesehen ohnehin nicht weit weg. In Arizona ist sie noch zum Greifen nahe.

Dietmar Kuegler


RED ROCK RANCH



In dieser Reihe bisher erschienen

4601 Alfred Wallon Hogans blutige Fährte

4602 Dietmar Kuegler Verdurstet!


Dietmar Kuegler


VERDURSTET!






Als Taschenbuch gehört dieser Roman zu unseren exklusiven Sammler-Editionen 
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© 2022 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Alfred Wallon
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Umschlaggestaltung: Mario Heyer
Vignette: iStock.com/iatsun
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-340-7



Kapitel 1


Über der endlosen Sandfläche der Gila-Wüste lag ein seltsames Flirren und Glitzern, das die gleißenden Sonnen­strahlen verursachten, wenn sie wie glühende Pfeile auf die vom Wind glatt geschliffenen Sandkristalle trafen. Im Nordwesten zogen sich in gerader Linie die Gila Hills durch den Sand, erhoben sich aus der Weite wie gewaltige Monumente eines überirdischen Künstlers. Sie wirkten schroff und zerfurcht, spröde von der gewaltigen Hitze, und reichten bis in den glühenden Himmel, der sich ohne eine Wolke, nur flimmernd vor Hitze über ­Arizona ausbreitete.

Der Mann kam von Norden und zügelte sein Pferd neben einer Gruppe von mächtigen, grauen Felsquadern, die nur kargen Schatten spendeten. Eine Vogelspinne kroch auf ihren haarigen Beinen aus einer Felsspalte und verschwand unter einem Stein.

Das Pferd des Reiters schnaubte müde. Der Mann im Sattel sah erschöpft aus. Er war fast sechs Fuß groß und hager. Sein schmal geschnittenes Gesicht war von messer­scharfen Falten durchschnitten und bedeckt mit Bartstoppeln. Seine Haut war grau vom Staub, der mit dem dick perlenden Schweiß eine feste Kruste bildete, die nun zerplatzte, als der Mann den Mund öffnete und einen leisen Fluch ausstieß.

Der Mann glitt vom Pferd. Auf seinem Hemd haftete ein silberner Stern im Kreis, das Zeichen des US-­Marshals. Der Mann trug abgewetzte Kleidung, in deren Falten der feine, scharfkörnige Staub nistete und bei jeder Bewegung leise knisterte. An der Hüfte hatte der Marshal einen schweren 45er Colt hängen. Das Pferd senkte müde den Kopf. Der Mann bewegte sich einige Schritte vom Tier fort und kniete sich in den Sand. Seine schmalen Augen glitten über die Hufeindrücke. Er hob den Kopf und legte die linke Hand zum Schutz gegen die beendenden Sonnenstrahlen über die Augen.

Der Marshal schwang sich wieder in den Sattel. Leder knarrte leise. Er richtete sich auf dem Pferderücken auf. Aber er konnte keine Bewegung in der Weite wahrnehmen. Stumm trieb er sein Tier wieder an. Der Marshal ließ die Felsgruppe hinter sich. Nordöstlich in seinem Rücken befand sich ein breiter Kakteengürtel. Doch der war gut zehn Meilen entfernt. Aber diese riesigen Säulenkakteen waren die einzigen Pflanzen, die der Reiter um sich herum sehen konnte. Die glutwabernde Hitze umgab ihn wie eine breiige, zähe Masse und trocknete ihn aus. An seinem Sattel hing ein Wassersack aus Ziegenleder.

Die beiden Männer lagen flach am Rand des Arroyos und beobachteten den herankommenden Reiter. Sie lagen regungslos, registrierten jede Bewegung des anderen und sprachen kein Wort, bis der Mann auf etwa hundert Yards an die Bodenfalte heran war.

„Es ist der Marshal“, sagte einer der beiden heiser. „Er ist es sicher.“ Seine Stimme klang rau von der Hitze und dem Sand, den er geschluckt hatte. Die Männer sahen sich ähnlich. Sie waren ungepflegt, hatten knochige, unrasierte Gesichter und schmale, kalte Augen.

„Erledigen wir es jetzt“, sagte der Mann wieder. Sein Partner nickte ohne ein Wort.

„Er ist verdammt hartnäckig.“, fuhr der Mann fort. Er zog seine Winchester 73 heran. Es war ein nagelneues Modell mit dunkelbrünierten Schlossteilen.

„Er ist nicht hartnäckig, er ist stur. Stur wie ein Büffel“, entgegnete der andere Mann. „Du musst ihn gut treffen.“

„Ich treffe immer gut.“

Der Sprecher zog jetzt das Gewehr an die Schulter und repetierte rasch den Unterhebel durch. Knirschend schob sich eine Patrone aus dem Magazin in den Lauf. Durch die flirrende Hitze visierte der Bandit den heran­kommenden Marshal über Kimme und Korn an. Er tat es kaltblütig und ohne eine Gefühlsregung. Seine Hände hielten das Gewehr ruhig, und sicher krümmte sich der Zeigefinger seiner Rechten um den Abzug.