Titelbild

RECLAMS STÄDTEFÜHRER

ARCHITEKTUR UND KUNST

Istanbul

Von Neslihan Asutay-Effenberger

Mit 21 Abbildungen sowie 11 Plänen und Grundrissen

Reclam

Für meinen überaus geliebten Vater

Dipl. Architekt

MÜFİT ASUTAY

1931 İzmir – 2013 İstanbul

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

Umschlagabbildung: Sultan Ahmet Camii und Aya Sofya, Foto: Devrim Sezer

Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen

Made in Germany 2014

RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-960554-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019140-8

www.reclam.de

Inhalt

»Wenn die Welt ein einziger Staat wäre, wäre Istanbul die Hauptstadt«

Stadtgeschichte in Daten

Kulturkalender

Rundgänge

Abkürzungen und Glossar

Stadtbefestigung und angrenzende Bauten

Seemauer am Marmarameer

Theodosianische Landmauer

Blachernenmauer

Feldseite der Blachernenmauer

Seemauer am Goldenen Horn

Östlicher Teil der Stadt

Eminönü – Tahtakale

Sirkeci

Cağaloğlu

Entlang der Kaiserlichen Mauer (Sur-u Sultani)

Aya Sofya und Sultan-Ahmet-Platz

Topkapı Sarayı und Gülhane Parkı

Über Divanyolu (Tramstraße) und Yeniçeriler Caddesi

Mittlerer Teil der Stadt

Çarşıkapı und Beyazıt-Platz

Süleymaniye und Umgebung

Ordu Caddesi bis Laleli

Laleli

Aksaray und Umgebung

Vezneciler, Şehzadebaşı und Saraçhane

Über Atatürk Bulvarı bis Zeyrek

Nordwestlicher Teil der Stadt

Fatih Camii und Umgebung

Atikali – Karagümrük

Draman – Yavuz Selim

Südwestlicher Teil der Stadt: Cerrahpaşa – Haseki – Davutpaşa

Außerhalb der Stadtmauern – Eyüp

Pera / Galata

Karaköy und Tophane

Yüksek Kaldırım Caddesi

Perşembe Pazarı und Azapkapı

Bankalar Caddesi

Galata Kulesi Sokak und Umgebung

Şişhane – Tepebaşı

İstiklal Caddesi

Kasımpaşa

Bosporus zwischen Fındıklı und Rumeli Hisarı

Sehenswürdigkeiten der asiatischen Seite und der Prinzeninseln

Üsküdar

Selimiye / Haydarpaşa

Bosporusufer

Kadıköy

Prinzeninseln

İstanbuler Museen

Altstadt

Pera

Bosporusufer

Weitere interessante Museen

Anhang

Karten

Weiterführende Informationen

Literaturhinweise · Internetseiten

Nachweis der Karten und Abbildungen

Objektregister

Personenregister

Zur Autorin

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

»Wenn die Welt ein einziger Staat wäre, wäre Istanbul die Hauptstadt«

Das sagte Napoleon Bonaparte über die einzige Stadt der Welt, die auf zwei Kontinenten – Europa und Asien – liegt und in 1600 Jahren die Hauptstadt zweier Weltimperien war. İstanbul ist das Herz der Türkei. Mit zahlreichen Organisationen, Einrichtungen und Vertretungen weltberühmter Firmen sowie mit fast fünfzig staatlichen und privaten Universitäten und Hochschulen ist İstanbul ein bedeutendes Wirtschafts- und Kulturzentrum. Zudem ist die Stadt ein weitflächiges Freilichtmuseum, denn fast an jeder Ecke stößt man auf bedeutende historische Zeugnisse aus byzantinischer und osmanischer Zeit. Doch die byzantinische Hauptstadt und die osmanische Metropole sind nicht mit der heutigen Megastadt vergleichbar: Konstantinopel lag nur auf der »historischen Halbinsel« innerhalb der Stadtmauer. Die Stadtteile Pera auf der europäischen Seite nördlich des Goldenen Horns, beide Bosporusufer, die Stadtteile Kadıköy (Chalkedon) und Üsküdar (Chrysopolis) auf der asiatischen Seite sowie die Prinzeninseln gehörten schon zum historischen İstanbul und bieten nicht weniger Sehenswürdigkeiten, weshalb in diesem Stadtführer wenigstens einige davon, die außerhalb der Altstadt liegen, vorgestellt werden.

2011 lebten in İstanbul offiziell rund 13,5 Millionen Einwohner. Sie sind es von jeher gewohnt, sich auf zwei Kontinenten zu bewegen, was ihr Leben geprägt hat. Bis zur Eröffnung der ersten Bosporusbrücke (1973) waren die einzigen Verkehrsmittel zwischen den Kontinenten Schiffe, die noch heute von einem erheblichen Teil der Bevölkerung bevorzugt werden. Kaum eine Stadt der Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten so rasant entwickelt und verändert wie İstanbul. Der Leser sei vorgewarnt, dass die in diesem Buch angegebenen Hausnummern und sogar einige Straßennamen vielleicht schon bald nicht mehr gelten. Und: Etwa 1000 Kirchen der Stadt sind namentlich bekannt, die einst, wenn auch nicht gleichzeitig, in Konstantinopel existiert haben. Nur knapp 50 sind erhalten oder archäologisch nachgewiesen, und lediglich von 21 sind die byzantinischen Namen bekannt. Viele Kirchen wurden durch Erdbeben zerstört und nur zum Teil wieder aufgebaut. Etliche wurden in Phasen eines dramatischen Bevölkerungsrückgangs aufgegeben, sind verfallen und wurden als Steinbruch benutzt. Die erhaltenen verdanken ihre Bewahrung der Umwandlung in eine Moschee nach 1453. Noch 1583 verzeichnet Trifon Korobejnikov in İstanbul 47 dem orthodoxen Kult dienende Kirchen.

Das Gebiet der Altstadt war archäologischen Funden zufolge bereits seit neolithischer Zeit besiedelt. Wann genau der in der Literatur häufig vorkommende Name »Byzantion«, der auf den legendären König Byzas zurückgehen soll, verwendet wurde, ist nicht ganz sicher. Um 685 v. Chr. gründeten Bürger aus Megara eine Handelskolonie auf der asiatischen Seite des Bosporus (Kadıköy). Herodot zufolge soll schon 702 v. Chr. eine megarische Kolonie auf dem Gebiet der heutigen Serailspitze entstanden sein. Die Zeitspanne zwischen dem Ende des 2. Jt.s und dem 7. Jh. v. Chr. blieb aufgrund fehlender Funde unklar. Seit 340 v. Chr. gehörte Byzantion zum Makedonenreich Philipps. Mit der Expansion des Römischen Reichs geriet die Stadt unter römische Herrschaft und war seit 196 v. Chr. Bundesgenosse. Da die Einwohner Pescennius Niger unterstützt hatten, degradierte Kaiser Septimius Severus (193–211) Byzantion zum Dorf und ließ die Stadtmauer abreißen. Doch bald darauf erholte sich die Stadt wieder, es entstanden neue Bauten, darunter die Zeuxippos-Thermen, Theater und Tempel sowie eine Kolonnadenstraße. Die Größe von Byzantion betrug damals ca. 2 km2. Die Bevölkerung sprach Griechisch, die Amtssprache war Latein.

Unter Kaiser Diokletian (284–305) wurde ein neues administratives System eingeführt, die Tetrarchie (Vierkaiserherrschaft). Das Reich wurde nun von zwei Augusti und zwei Caesares regiert, wobei Rom seine Bedeutung als Hauptstadt verlor und Städte wie Mailand, Trier, Nikomedia (Izmit) und Thessaloniki als kaiserliche Residenzen in den Vordergrund rückten. Damit bahnte sich bereits eine Aufteilung des Reichs in eine westliche (lateinische) und östliche (griechische) Hälfte an, wobei sich das Schwergewicht zunehmend in den wirtschaftlich und kulturell dominanten Osten verlagerte. Einen zweiten Wendepunkt markieren die Ereignisse unter Kaiser Konstantin I. (306–337). In der Mailänder Vereinbarung von 313 wurde das bis dahin unterdrückte Christentum offiziell toleriert. Die Auseinandersetzungen zwischen Konstantin und Licinius endeten 324 mit dem Sieg Konstantins in der Seeschlacht bei Chrysopolis. Am 11. Mai 330 wurde Byzantion unter dem Namen »Konstantinupolis« (›Stadt Konstantins‹) als neue Kaiserresidenz eingeweiht. Die Stadt wurde westlich durch eine neue Mauer abgegrenzt, wodurch sich das bewohnbare Gebiet auf ca. km2 erweiterte, und mit repräsentativen Bauten ausgestattet: dem Kaiserpalast, dem runden Konstantinsforum mit einer Porphyrsäule, auf der die Statue Konstantins stand, und dem Hippodrom. Die Hauptstraße, die Mese (Mittlere), verlief nun vom Palast bis zum Kapitol. Verlängerte und neu angelegte Straßen führten zu den Toren der Konstantinsmauer. Unter Konstantins Sohn und Nachfolger Constantius II. (337–361) wurden die Baumaßnahmen fortgesetzt und die Große Kirche (die Vorläuferin der Hagia Sophia) errichtet. Auf der höchsten Stelle der Stadt entstand die mit dem Konstantinsmausoleum verbundene Apostelkirche. Um 368 begann Valens den nach ihm benannten Aquädukt.

Unter den Kaisern der theodosianischen Dynastie entwickelte sich Konstantinopel schließlich zur christlichen Reichsmetrolope, zum »Neuen Rom«. Theodosius I. (379–395) ließ die Stadt mit weiteren Bauten und Denkmälern ausschmücken, so einem an der Mese gelegenen Forum (Tauros) mit einer Monumentalsäule, die seine Statue trug. Auf der Obeliskenbasis im Hippodrom präsentieren sich der Kaiser, seine Söhne und die Eliten des Staats. Das wichtigste kirchenpolitische Ereignis war das Konzil von Konstantinopel 381, das einen theologischen Streit beendete und dem Bischof den Rang eines Patriarchen zuerkannte. Eine weitere Wende markierte die Teilung des Reichs (395) zwischen den zwei Söhnen des Theodosius, Arcadius (395–408) und Honorius (305–425). Unter Arcadius, dem Kaiser des oströmischen Reichsteils, begann 404 der Bau der neuen doppelten Landmauer, wodurch sich das Stadtgebiet nach Westen um 1,5 km erweiterte und auf 15 km2 mehr als verdoppelte. Johannes Chrysostomos zufolge lebten in Konstantinopel um 400 etwa 150 000 Bürger. Nach seiner Absetzung und Verbannung (404) kam es zu Tumulten, in deren Folge die Große Kirche niederbrannte. 413 entstand an ihrer Stelle eine neue, fünfschiffige Basilika. Der Bau der Landmauer wurde unter Theodosius II. (408–450) 413 vollendet. Die um 425 verfasste Notitia urbis Constantinopolitanae zählt die profanen und kirchlichen Bauten in den vierzehn Regionen auf und vermittelt ein anschauliches Bild von der urbanen Struktur der Stadt. Noch 1410 pries Manuel Chrysoloras Rom als die »Mutter« und Konstantinopel als ihre »hübsche Tochter«. In diese erste Blütezeit fallen die Abfassung eines Rechtsbuchs (Codex Theodosianus), die Eröffnung der Universität (425) und das Konzil von Ephesos (431), in dessen Folge der Marienkult aufblühte. Der Patrikios Johannes Studios erbaute zwischen 453 und 463 Kirche und Kloster des Johannes Prodromos. Kaiser Markianos (450–457) errichtete ein neues Forum, wo noch heute die ihm gewidmete Ehrensäule steht, und die erste Marienkirche im Blachernengebiet. Unter seiner Regierung fand das Konzil von Chalkedon statt (451), auf dem das Dogma von den beiden ungetrennten und unvermischten Naturen des Gott-Logos Christus festgelegt wurde.

Der weströmische Reichsteil ging 476 infolge der Völkerwanderungen unter. Kaiser Justinian I. (527–565) gelang noch einmal die Rückeroberung des von den Vandalen besetzten Nordafrika und der von den Ostgoten beherrschten Gebiete Italiens. Justinian war der größte Bauherr der byzantinischen Geschichte und prägte mit zahlreichen Kirchenstiftungen und Profanbauten für viele Jahrhunderte das Antlitz von Konstantinopel. Vollständig erhalten sind nur die Sergios-und-Bakchos-Kirche und die Hagia Sophia, von den Profanbauten die Basilikazisterne. Noch zur Zeit seines Vorgängers und Onkels Justin I. (518–527) hatte Iuliana Anicia die prächtige Polyeuktos-Kirche errichtet. Unter Justinian vollzog sich der entscheidende Schritt von der spätrömischen zur byzantinischen Kultur.

Die folgenden drei Jahrhunderte (oft als die »Dunklen Jahrhunderte« bezeichnet) führten Byzanz zeitweilig an den Rand des Untergangs. Die slawische Eroberung des gesamten Balkan, die Entstehung des ersten Bulgarenreichs und die rasche Ausbreitung der Araber und ihrer neuen Religion, des Islam, ließen das Reich bis etwa 811 auf etwa ein Drittel des einst von Justinian beherrschten Gebiets schrumpfen. Der Bilderstreit (726–787 und 815–843) hatte jedoch nicht die zerstörerischen Folgen, die ihm oft nachgesagt wurden. Auch kam das Kunstschaffen keineswegs zum Erliegen, allerdings sind aus dieser langen Periode in İstanbul nur wenige Bauten und Kunstwerke erhalten. Nach der Awarenbelagerung von 626 erneuerte Kaiser Herakleios (610–641) die Blachernenmauer. Der bilderfeindliche Kaiser Konstantin V. (741–775) ließ um 753 die Eirenenkirche wiederherstellen und die Apsis mit einem Kreuz ausschmücken. Kaiserin Eirene (796–802) und ihr Sohn Konstantin VI. (780–797) richteten 796 im ehemaligen Antiochos-Palast beim Hippodrom die Euphemiakirche ein. Unter Kaiser Michael II. (820–829) und seinem Sohn Theophilos (829–842) fanden umfangreiche Reparaturen an den See- und Landmauern statt, wovon zahlreiche Inschriften künden. 867 wurde das Apsismosaik in der Hagia Sophia eingeweiht.

Mit dem Herrschaftsantritt der makedonischen Dynastie (867–1055) gelang Byzanz wieder der allmähliche Aufstieg zu einer Weltmacht. Besonders die Buchmalerei, Elfenbeinschnitzerei und Goldschmiedekunst erlangten eine bis dahin nie dagewesene Blüte. Von den zahlreichen Kirchen- und Palastbauten, die Basileios I. (867–886) erneuern oder reparieren ließ – die berühmteste war die Nea Ekklesia, die Neue Kirche im Kaiserpalast –, hat sich nichts erhalten. Zu seiner Zeit wurden die Mosaiken an den Schildbogenwänden der Hagia Sophia angebracht. Sein Sohn Leon VI., »der Weise« (886–912), ist vermutlich in dem Mosaikbild über der Königstür dargestellt. Im Beisein Leons wurde 807 die noch weitgehend erhaltene Nordkirche des Lips-Klosters geweiht. Kaiser Romanos I. Lekapenos (919–944) erbaute um 920 in seinem ehemaligen Palast die Bodrum Camii als Teil eines von ihm gestifteten Familienklosters. Wohl zur Zeit von Konstantin VII. Porphyrogennetos (913–959) entstand das Mosaik über der Schönen Tür der Hagia Sophia. Romanos III. Argyros (1028–1034) gründete das Peribleptos-Kloster. Konstantin IX. Monomachos (1041–1055), dessen umgearbeitetes Stiftermosaik auf der Südempore der Hagia Sophia zu sehen ist, errichtete in den Manganen (Zeughaus) einen Palast und ein Georgs-Kloster samt Kirche.

Unter den Kaisern der Komnenendynastie (1081–1185) wurde der Blachernenpalast weiter ausgebaut und diente als bevorzugte Kaiserresidenz. Johannes II. Komnenos und seine Frau Eirene gründeten das Pantokrator-Kloster, das 1136 vollendet war. Beider Bild befindet sich auf der Südempore der Hagia Sophia. In derselben Epoche entstanden die erste Pammakaristos-Kirche, die Gül Camii, die Vefa Kilise Camii und der Neubau der Kalenderhane Camii. Der wohl tiefste Einschnitt in die Geschichte von Byzanz war die Eroberung, Brandschatzung und Plünderung von Konstantinopel 1204 durch die Teilnehmer des vierten Kreuzzugs unter venezianischer Führung, von dem sich die Stadt niemals wieder erholt hat.

Die »lateinische« Herrschaft dauerte nur 57 Jahre. Der 1259 in Nikaia (İznik) gekrönte Kaiser Michael VIII. Palaiologos nahm die Stadt 1261 ohne große Mühe wieder ein. Damit begann die letzte byzantinische Epoche (palaiologische Zeit). Von den Kaisern und Mitgliedern der Eliten wurden ältere Bauten wieder instandgesetzt und neue Kirchen und Klöster gestiftet. Die neuen Stiltendenzen in der Monumentalmalerei werden in der Forschung als »palaiologische Renaissance« bezeichnet. Die schon vor 1204 in Konstantinopel ansässigen Genuesen wurden auf die Nordseite des Goldenen Horns umgesiedelt und gründeten dort ihre im italienischen Stil ausgestattete Handelskolonie in Galata. Auch diese Zeit war von inneren Unruhen, Pestepidemien und Naturkatastrophen gekennzeichnet. Reisende des 15. Jh.s erwähnen den ruinösen Zustand der nur noch dürftig bevölkerten Stadt und die wirtschaftliche Notlage des Reichs. Die Bemühungen mancher Kaiser um eine Union mit der katholischen Kirche führten zur Spaltung der Bevölkerung. Die größte Bedrohung für das geschrumpfte byzantinische Territorium stellte nun das 1299 bzw. 1302 gegründete und rasch expandierende osmanische Fürstentum dar. Bereits gegen Ende des 14. Jh.s reichten die Grenzen des osmanischen Herrschaftsgebiets bis zur asiatischen Seite İstanbuls. Trotz enger Handelsbeziehungen und Verbindungen durch Heiraten belagerten die Osmanen unter anderem 1391 und 1422 Konstantinopel. Alle Versuche der Kaiser, mit den westlichen Mächten Bündnisse gegen die Osmanen zu schließen, blieben erfolglos. Zu den bedeutenden Zeugnissen der palaiologischen Architektur zählen die Südkirche des Lips-Klosters, das Parekklesion des Pammakaristos-Klosters, der äußere Narthex der Vefa Kilise Camii und die Kariye Camii. Die einzigen fast vollständigen Bildprogramme blieben im Parekklesion des Pammakaristos-Klosters und in der Kariye Camii erhalten.

Entscheidend änderte sich das Schicksal des Byzantinischen Reichs nach der Thronbesteigung des jungen Sultans Mehmet II. in Edirne. Im April 1453 begann er mit der Belagerung von Konstantinopel, wobei schwere Kanonen an der Stadtmauer eingesetzt wurden. Obwohl die Stadt nicht nur durch Kaiser Konstantin XI. Palaiologos Dragazes und die Bewohner, sondern auch durch Venezianer und Genuesen verteidigt wurde, fiel sie am 29. Mai 1453. Die den Soldaten versprochene dreitägige Plünderung wurde vom Sultan nach einem Tag beendet. Die Stadt, bald danach mit arabischem Namen »Kostantiniyye« bzw. »İstanbul«, wurde zur Hauptstadt des osmanischen Herrschaftsgebiets erklärt. Von nun an standen sich zwei feindliche Mächte gegenüber und bestimmten die Geschichte der folgenden Jahrhunderte: auf der einen Seite die christlichen und untereinander häufig zerstrittenen Staaten des Westens, auf der anderen das islamisch geprägte und festgefügte Osmanische Reich.

Unmittelbar nach der Eroberung begann der intensive Wiederaufbau unter Leitung des Sultans, wobei die höchsten Würdenträger wie Angelović Mahmut Paşa zur Verschönerung der Stadt herangezogen wurden. Vor allem musste die Infrastruktur wieder instandgesetzt werden. Im Herzen der Stadt entstand innerhalb einer Umfassungsmauer der alte Sultanspalast (Eski Saray S. 140). Die Wohn- und Gewerbeviertel wurden um neu erbaute Moscheen bzw. Mescits als »Mahalle« angelegt. Durch Umsiedlungsmaßnahmen nahm die Bevölkerungszahl kontinuierlich zu. Mit der Zeit erhielt die Stadt ein islamisches Gepräge. Bereits in byzantinischer Zeit verfallene Kirchen wurden zum Teil ihrem Schicksal überlassen, gut erhaltene wie die Pantokrator-Kirche in Moscheen umgewandelt. Die Hagia Sophia erhielt ein erstes Minarett und diente seither dem islamischen Kult. Mehrere Kirchen blieben in der Hand der Griechen, einige wurden den neu angesiedelten Christen, häufig Armeniern, übergeben. Für die griechisch-orthodoxe Kirche bedeutete die Eroberung einen Wendepunkt, indem Fatih (›Eroberer‹) Mehmet II. den Unionsgegner Gennadios II. Scholarios nach byzantinischem Ritus zum Patriarchen ernannte und ihm die Apostelkirche als Patriarchensitz zuwies. Auch das erste armenische Patriarchat İstanbuls gründete der Sultan um 1461 im Stadtteil Samatya. Er lud Bischof Hovagim von Bursa nach İstanbul ein und ernannte diesen zum ersten armenischen Patriarchen.

Mehmet war hochgebildet und den Wissenschaften und Künsten zugetan. In den neu gegründeten Skriptorien wurden Kopien bzw. Übersetzungen antiker Autoren sowie byzantinischer Handschriften angefertigt. Künstler aus dem Westen wie Gentile Bellini wurden nach İstanbul eingeladen. Auch Antonio Averlino, genannt Filarete, scheint mit dem Sultan Kontakt aufgenommen zu haben. Die größte bauliche Leistung dieser Zeit war die Errichtung des Fatih-Stiftungskomplexes mit der Türbe des 1481 verstorbenen Sultans.

Nach Mehmets Tod bestieg sein Sohn Bayezıt II. (1481–1512) den osmanischen Thron; allerdings versuchte er das Ansehen seines Vaters zu schmälern. So verbreiteten tendenziöse Geschichtsschreiber die Meinung, es sei nur ihm gelungen, mit seiner Moschee ein der Hagia Sophia ebenbürtiges Bauwerk zu errichten. Die unter Bayezıt entstandenen Bauten lassen auch Einflüsse der Renaissance-Architektur erkennen. Korrespondenzen zwischen dem Sultan und Renaissance-Künstlern wie Leonardo da Vinci sind durch Quellen belegt. 1509 ereignete sich ein verheerendes Erbeben, das als Kıyamet-i Suğra (›kleine Apokalypse‹) in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Stadtmauern, Paläste, Moscheen und ganze Stadtviertel stürzten zusammen, es gab unzählige Tote und Obdachlose. Das Ereignis führte zu einer Wende im Bauwesen, da das Volk nun nicht mehr in Häusern aus Stein wohnen wollte, sondern die Holzbauweise bevorzugte. Dies hatte freilich zur Folge, dass Stadtbrände häufig ganze Viertel in Schutt und Asche legen konnten. Eine wichtige historische Leistung Bayezıts II. ist die Aufnahme der 1492 von dem kastilischen Herrscherpaar Isabel und Ferdinand aus Spanien vertriebenen Juden in das Osmanische Reich. Die neuen Bürger wurden überwiegend am Ufer des Goldenen Horns angesiedelt und genossen, wie später der deutsche Reisende Hans Dernschwam (1553–55 in İstanbul) berichtet, großzügiges Entgegenkommen und viele Privilegien. In die kurze Regierungszeit Selims I. (1512–20) fiel ein wichtiges Ereignis: Nach der Eroberung von Kairo brachte der Sultan 1517 etliche islamische Reliquien und vor allem den Kalifentitel nach İstanbul.

Die eigentliche Blüte des Osmanischen Reichs fällt in die 46jährige Regierungszeit Süleymans I. (1520–66), den man im Westen den »Prächtigen« nannte. Der andauernde Machtkampf zwischen dem Sultan und Kaiser Karl V. (1516–58) um die Vorherrschaft über die damalige Welt dominierte die Epoche. Für das Reich und die Stadt brach unter der Herrschaft Süleymans eine Zeit des Wohlstands, der Rechtssicherheit (sein Beiname »Kanuni« bedeutet ›Gesetzgeber‹) und einer forcierten Bautätigkeit an. Überall in İstanbul entstanden privat finanzierte Stiftungskomplexe, an deren Errichtung neben dem Sultan hohe Würdenträger, etliche Frauen, islamische Geistliche und Privatpersonen beteiligt waren. Der prägende Architekt dieser Epoche war Mimar Sinan (gest. 1588), der Süleyman, Selim II. und Murat III. gedient hatte und dem allein in İstanbul weit über vierhundert Bauten zugeschrieben werden. Die Şehzade Camii und vor allem die Süleymaniye, die bis heute die Silhouette der Stadt am Goldenen Horn bestimmt, gehören zu den herausragenden Leistungen dieses begnadeten Genies und zu den besten Schöpfungen der Weltarchitektur. Süleyman verstarb 1566 während eines Feldzugs nach Szigetvár (Ungarn). Seine inneren Organe wurden dort beerdigt, den mumifizierten Leichnam brachte man nach İstanbul. Sein zweites Grab befindet sich südlich von Szigetvár, darüber entstand im 17. Jh. eine kleine Kirche. Heute gibt es am Eingang der Stadt eine symbolische Türbe Süleymans.

Unter seinem Sohn Selim II. (1566–74) wurde die Hagia Sophia gründlich restauriert und in »Selimiye« umbenannt. Ende des 16. Jh.s war İstanbul Schauplatz von Auseinandersetzungen innerhalb des Griechisch-Orthodoxen Patriarchats. Patriarch Jeremias bat Sultan Murat III. (1574–95) um die Verbannung des Ex-Patriarchen Metrophanes, da er sich von diesem bedroht fühlte. Gegen Ende des 16. Jh.s versuchten westliche Missionare, Armenier und Griechen für den Katholizismus oder den Protestantismus zu gewinnen, was Beschwerden der armenischen Bevölkerung bei Ahmet I. (1603–17) auslöste und mehrere diesbezügliche Fermane, Erlasse, des Sultans zur Folge hatte. Unter Ahmet I. entstand auf dem ehemaligen Palastgebiet eine neue Moschee, die Sultan Ahmet Camii. Bald nach seinem Tod bestieg sein Sohn aus erster Ehe, Osman II. (1618–22), den Thron. Die von ihm eingeführten Reformen führten zu heftigen Unruhen. 1622 wurde er von seinen Gegnern entthront und in der Festung Yedikule hingerichtet. Unter seinem Nachfolger Murat IV. (1623–40) begann eine neue Epoche. Die beherrschende Gestalt war Mahpeyker Kösem Sultan (1589–1651), die Witwe Ahmets I. und Mutter der beiden Sultane Murat IV. und İbrahim I. In der osmanischen Geschichte hat sie tiefe Spuren hinterlassen. Fast neun Jahre regierte sie als einzige Frau in der osmanischen Geschichte ununterbrochen das Reich inoffiziell und im Namen ihres noch als Kind auf den Thron gelangten Sohns. Auch zur Zeit der Nachfolger Murats konnte sie ihre Macht festigen. Ihr Name ist mit Palastintrigen und Morden verbunden, so der Hinrichtung ihres eigenen Sohns İbrahim I. Dennoch war sie in der Bevölkerung sehr beliebt, ihre Ermordung stürzte die Stadt in tiefe Trauer. Murat IV. verhängte ein Alkohol- und Tabakverbot, da er die rauchenden Soldaten für einen großen Stadtbrand verantwortlich machte. Dennoch suchten immer wieder schwere Brände die Stadt heim. Allein der sich 1660 zur Zeit Mehmet IV. (1648–87) ereignende Großbrand vernichtete über 100 profane Gebäude und über 300 Moscheen, wobei fast 4000 Menschen ums Leben kamen. Im gesamten 17. Jh. wurden in İstanbul neue Siedlungen außerhalb der Stadtmauer errichtet, wobei Eyüp das Aussehen einer eigenen kleinen Stadt erhielt.

Die Regierungszeit Ahmets III. (1703–30) und seines Großwesirs Damat İbrahim Paşa (1718–30) zeichnete sich vor allem durch die kulturelle Blüte der »Tulpenära« (1718–30) aus. Die Stadt war in dieser Zeit ein Zentrum des Wohlstands und rauschender Festlichkeiten. Der französische Lebensstil spielte eine wichtige Rolle. Architektur und Kunst gerieten unter den Einfluss des europäischen Barock. Symbol dieser Epoche war in İstanbul die seit dem 16. Jh. beliebte Tulpe (keineswegs eine holländische Erfindung). Sie bestimmte das Bild der neuen Gartenanlagen, besonders am Bosporus, und stand im Zentrum tagelanger Feierlichkeiten. Lady Montagu, die Gattin des damaligen britischen Botschafters Edward Montagu (1716/17), schildert in ihren Briefen lebhaft die damals herrschende Atmosphäre: »Außer Standbilder gibt es hier alles. Diese Menschen sind nicht geschmacklos, wie wir denken. Es ist wahr, dass ihr Geschmack anders ist als der unsere, und sogar vielleicht besser als der unsere. Beinahe werde ich glauben, dass sie einen noch richtigeren Lebensstil haben; sie verbringen ihr Leben mit Musik, in Gärten, mit Wein und Essen«. Ein Aufstand der Rechtgläubigen beendete die Tulpenära. Der Großwesir wurde hingerichtet, der Sultan entthront. Doch die Nachahmung des westlichen Lebensstils hielt nicht an. Barocke Formen bestimmten weiterhin die Architektur und Dekorationskunst. Krönung dieser Entwicklung ist die unter Osman III. (1754–57) vollendete Nur-u Osmaniye Camii.

Der unter Sultan Mustafa III. (1757–74) ausgebrochene osmanisch-russische Krieg (1768–74) brachte das Reich in eine finanzielle Notlage. Erstmals musste der Herrscher von den Bankiers in Galata Geld leihen. Gleichwohl gingen die Bautätigkeit und die Gründung neuer Institutionen nach westlichen Vorbildern weiter. Dazu zählt die Einrichtung der Ingenieurschule Mühendishane-i Berr-i Hümayun. Schon 1786 hatten François Kauffer und Jean-Baptiste Lechevalier einen ersten Stadtplan von İstanbul angefertigt. Selim III. (1789–1807) ragte besonders als Komponist und Schirmherr der Künste hervor. In dieser Zeit lernten die Eliten auch die europäische Oper kennen. AntoineIgnace Melling wurde als kaiserlicher Architekt und Maler nach İstanbul berufen und diente hier 18 Jahre. Vor allem die Reformmaßnahmen des Sultans in der Armee führten zu einem großen Aufstand, der seine Regierungszeit beendete. Ein wegen seiner Reformfreudigkeit herausragender Sultan war auch Mahmut II. (1808–39). Vor allem die medizinische Ausbildung wurde westlichen Standards angepasst und der Staatsapparat erneuert. Erstmals in der osmanischen Geschichte wurden islamische Kleider für Staatsbeamte verboten. Nach dem Vorbild Frankreichs schmückten seine Porträts die Ämter, weshalb er von den Strenggläubigen als »ungläubiger Sultan« beschimpft wurde. Auch die Einrichtung ständiger Vertretungen im Ausland, das erste Quarantäneamt in İstanbul, die erste postalische Infrastruktur sowie die Entsendung von Studenten an europäische Universitäten fanden in seiner Zeit statt.

Ein weiterer Reformer war Mahmuts Nachfolger Abdülmecit I. (1839–61). Am 3. November 1839 verlas der damalige Außenminister Mustafa Reşit Paşa im Gülhane-Park öffentlich den vom Sultan unterzeichneten Tanzimat Fermanı (›Erlass für die Erneuerungen‹), auch Gülhane-i Hatt-ı Hümayun (›Kaiserliche Schrift von Gülhane‹) genannt. Darin wurden die Notwendigkeit einer inneren Erneuerung des Reichs anerkannt und die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat neu definiert. Das französische Strafrecht wurde übersetzt und trat in Kraft, die erste Wissenschaftsakademie wurde gegründet und der Bau des Dolmabahçe-Palasts begonnen. Die Schweizer Architekten Gaspare und Guiseppe Fossati wurden mit der Restaurierung und Freilegung der Mosaiken der Hagia Sophia beauftragt. Abdülmecits Tod markiert den Beginn der Freiheitsbewegung der slawischen Völker auf dem Balkan, die für das Osmanische Reich später schwerwiegende Folgen haben sollte. Abdülaziz (1861–76) war der erste osmanische Sultan, der nach Europa reiste und für die Lösung des Balkanproblems nach Verbündeten suchte. In seiner Zeit wurde die Ottomanische Bank (Osmanlı Bankası) gegründet und der Bau des Bahnhofs Sirkeci İstasyonu als Teil der Rumeli-Bahn begonnen. Gegen Ende des 19. Jh.s, besonders zur Zeit Abdülhamits II. (1876–1909), war İstanbul erneut Schauplatz innerer Auseinandersetzungen. 1875 war der Staat in eine tiefe finanzielle Krise geraten und nicht mehr in der Lage, seine Schulden im Ausland zu bezahlen. Die auf dem Balkan ausgebrochenen panslawischen Aufstände waren auch in İstanbul spürbar. Der Druck der Jungtürken, die die Gründung eines Parlaments forderten, erreichte seinen Höhepunkt und führte 1876 zum Inkrafttreten des ersten Grundgesetzes (Kanun-i Esasi), gemäß dem Sultan und Parlament das Reich gemeinsam regieren sollten, der Sultan aber das letzte Wort behielt. Der osmanisch-russische Krieg von 1877/78 endete mit dem Verlust großer Gebiete, die russische Armee drängte bis Yeşilköy (Hagios Stefanos) vor. Das Parlament wurde geschlossen. Der Druck der İttihat ve Terakki-Partei (Partei der Einheit und des Fortschritts) veranlasste den Sultan am 24. Juli 1908, die Verfassung wieder in Kraft zu setzen. Eine islamische Gruppe veranstaltete am 13. April 1909 einen großen Aufstand in İstanbul und verlangte die Scharia. Der Aufstand wurde durch eine Interventionsarmee aus Thessaloniki, Hochburg der Jungtürken bzw. der İttihat ve Terakki-Partei, niedergeschlagen und Abdülhamit II. entthront. Trotz dieser Unruhen und außenpolitischer Probleme war dies eine Zeit etlicher Neuerungen. 1877 wurde das Postamt zum Ministerium erklärt. 1881, nur fünf Jahre nach den Europäern, lernten auch die İstanbuler das Telefon kennen. Mehrere neue Fakultäten wurden an der İstanbuler Universität eingerichtet. İstanbul war zur Zeit Mehmets V. Reşat (1909–18), der durch die Unterstützung der İttihat ve Terakki-Partei als Nachfolger Abdülhamits II. auf den Thron gelangt war, wieder Schauplatz von Unruhen: Am 23. Januar 1913 fand der »Bab-ı Ali-Überfall« genannte blutige Militärputsch statt, in dem der spätere Kriegsminister Enver und der spätere Innenminister Talat Paşa die Hauptrollen spielten. Auslöser für den Putsch war der Misserfolg des damaligen Großwesirs Kamil Paşa im ersten Balkankrieg (1912–13).

Ende des 19. und Anfang des 20. Jh.s haben europäische und einheimische Architekten nachhaltig das Stadtbild von İstanbul und des Stadtteils Pera am gegenüberliegenden Ufer des Goldenen Horns geprägt, wie u. a. Raimondo D’Aronco, Alexandre Vallaury und die Mitglieder der Familie Balyan.

In den folgenden Jahren war das Osmanische Reich eng mit der Kriegspolitik des Deutschen Kaiserreichs verbunden. Zwei deutsche Kreuzer, Goeben (später Yavuz) und Breslau (später Midilli), wurden im Mittelmeer von der britischen Marine verfolgt und erreichten am 11. August 1914 İstanbul. Das Osmanische Reich erklärte sich bereit, die Schiffe aufzukaufen. Die deutsche Besatzung diente nun der osmanischen Marine und tarnte sich mit dem Fes, der damals typischen Kopfbedeckung der Männer. Am 29. Oktober 1914 fuhren die Schiffe in Richtung Schwarzes Meer und bombardierten russische Häfen, darunter die Stadt Sewastopol, weshalb Russland dem Osmanischen Reich am 2. November den Krieg erklärte. Kurz danach deklarierte Kriegsminister Enver Paşa sein Bündnis mit Deutschland. 1918 verloren das Osmanische Reich und Deutschland den Ersten Weltkrieg. Der am 30. Oktober 1918 geschlossene Waffenstillstand mit den Siegermächten (Mondoros Mütarekesi) hatte schwerwiegende Folgen.

Am 7. November 1918 durchquerten britische und französische Flotteneinheiten die Dardanellen, am 13. November tauchten 55 Kriegsschiffe und 3500 fremde Soldaten in İstanbul auf, die Stadt wurde besetzt. Parallel dazu besetzte die griechische Armee mit Unterstützung der Engländer am 15. Mai 1919 İzmir. Bereits am 15. März 1919 ging die Kontrolle der staatlichen Ämter und Polizeiposten in İstanbul an die Besatzungsmächte über. Mehrere Personen verließen am 19. Mai 1919 die Stadt in Richtung Anatolien, um einen Aufstand zu organisieren, darunter auch Mustafa Kemal Paşa (Atatürk; 1881–1938). Am 16. März 1920 überfielen die Engländer den Polizeiposten in Şehzadebaşı, töteten fünf osmanische Soldaten und verhafteten osmanische Würdenträger in deren Häusern. Am 11. April wurde das Parlament geschlossen. Die türkische Aufstandsbewegung gründete am 23. April 1920 in Ankara ein Exil-Parlament. Am 10. August 1920 unterschrieb die İstanbuler Regierung in Frankreich das Abkommen von Sèvres, wonach İstanbul zwar Hauptstadt des Osmanischen Reichs bleiben durfte, aber ohne Kontrolle über den Bosporus, der für alle Schiffe offen sein sollte. Der seit 1919 andauernde Freiheitskrieg endete am 9. September 1922 mit der Befreiung von İzmir. Am 4. Oktober räumten die Besatzungsmächte İstanbul, am 6. Oktober rückte die türkische Armee in die Stadt ein. Am 23. April 1923 wurde die türkische Republik ausgerufen. Am 13. Oktober 1923 wurde schließlich Ankara zur neuen Hauptstadt der Türkischen Republik erhoben.

İstanbul war zwar nicht mehr die Hauptstadt der neuen Republik, doch die größte und bedeutendste Stadt des Landes. Die Bauvorhaben wurden fortgesetzt, einen ersten Masterplan legte der französische Architekt Henri Prost vor, der zwischen 1935 und 1941 nach Istanbul eingeladen worden war. Spaziergänge auf der mondänen Bağdat Caddesi, Moda, Fenerbahçe, Bostancı (asiatische Seite), am Bosporus oder durch Stadteile wie Nişantaşı, Teşvikiye, Maçka und Umgebung (europäische Seite) belegen den hohen Lebensstandard des İstanbuler Bürgertums. Doch die Randgebiete und viele heruntergekommene Viertel zeigen die andere Seite der Medaille. Besonders die seit den 1950er Jahren anhaltende Zuwanderung aus Anatolien und die wilde Ansiedlung primitiver, über Nacht gebauter Behausungen (Gecekondu), also ungeplanter Viertel, ließen soziale Brennpunkte entstehen. Parallel dazu wurden durch die Anlage großer Straßenarterien in der Altstadt bedeutende Denkmäler abgerissen. Die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten nahm einen anderen Kurs: Aus politischen Gründen stellten die Regierungen den Gecekondu-Bewohnern Grundbücher aus, wodurch sie zu rechtmäßigen Eigentümern unrechtmäßig erworbener Grundstücke wurden. Etliche dieser Grundstücke standen und stehen im Mittelpunkt des Interesses von Bauinvestoren und -spekulanten. Heute entstehen besonders in den Randgebieten in rasantem Tempo moderne Hochhäuser, oft in ummauerten und streng bewachten Cités, die zunehmend das Bild der Megastadt prägen. Die alten İstanbuler sind heute nur noch eine kulturelle Minderheit, und der überwiegende Teil der Neubürger wird sich kaum mit der Stadt und ihrer Geschichte identifizieren. Einst schrieb der İstanbuler Dichter Yahya Kemal Beyatlı (1884–1958): »Von einem Hügel blickte ich gestern auf Dich, verehrtes İstanbul. Ich sah keinen einzigen Platz, den ich nicht erkundet, den ich nicht geliebt habe«. Dies kann man trotz aller Änderungen in der Stadt immer noch nachvollziehen.

Stadtgeschichte in Daten

702 v. Chr.

Gründung einer megarischen Kolonie auf dem Gebiet der heutigen Serailspitze

660 v. Chr.

Gründung einer megarischen Kolonie an der asiatischen Seite

513 v. Chr.

Eroberung von Byzantion durch den Perserkönig Darius

340/339 v. Chr.

Belagerung durch den makedonischen König Philip II.

196 v. Chr.

Byzantion wird römischer Bundesgenosse

196 n. Chr.

Zerstörung durch den römischen Kaiser Septimius Severus

324

Konstantins I. Sieg über Licinius

330

11. Mai: Einweihung von Konstantinopel

381

Konstantinopel wird Patriarchensitz

395

Teilung in West- und Ostrom

413

Fertigstellung der Theodosianischen Landmauer

415

Einweihung der zweiten Hagia Sophia

425

Codex Theodosianus

431

Konzil von Ephesos

451

Konzil von Chalkedon

532

Nika-Aufstand

532–537

Hagia Sophia Justinians

542

Pest in Konstantinopel

626

Belagerung durch Perser und Awaren

668/669

erste Belagerung durch Araber

674–678

zweite Belagerung durch Araber

717–718

dritte Belagerung durch Araber

726–787

erste Phase des Bilderstreits

813–843

zweite Phase des Bilderstreits

813

Belagerung durch Bulgaren

864

Belagerung durch Russen

869

schweres Erdbeben

867–1055

Makedonische Dynastie

1071

Niederlage von Manzikert gegen die türkischen Seldschuken

1081–1185

Komnenische Dynastie

1082

Gründung der Kolonie der Venezianer in Konstantinopel

1096–99

erster Kreuzzug

1147–49

zweiter Kreuzzug

1189–92

dritter Kreuzzug

1203/04

vierter Kreuzzug: Belagerung und Großbrand, Eroberung und Plünderung Konstantinopels durch die »Lateiner« unter venezianischer Führung

1204–61

Lateinisches Kaiserreich

1261

Rückeroberung Konstantinopels durch Michael VIII. Palaiologos

1299 bzw. 1302

Gründung des osmanischen Fürstentums

1326

osmanische Eroberung von Bursa

1331

osmanische Eroberung von Nikaia

1361

osmanische Eroberung von Edirne

1391

osmanische Belagerung Konstantinopels durch Bayezıt I. (Yıldırım)

1422

osmanische Belagerung Konstantinopels durch Murat II.

1438–42

Unionskonzil von Ferrara/Florenz

1452

Bau der Zitadelle (Rumeli Hisarı) am europäischen Bosporusufer

1453

29. Mai: Eroberung Konstantinopels durch Mehmet II.

1454

Gennadios II. Scholarios wird erster griechisch-orthodoxer Patriarch

1461

Bischof Hovagim von Bursa übernimmt die Leitung der armenischen Gemeinde

1492

Aufnahme der aus Spanien vertriebenen Juden in das Osmanische Reich

1509

Erdbeben Kıyamet-i Suğra (›kleine Apokalypse‹)

1517

Eroberung von Kairo durch Selim I., der osmanische Sultan wird Kalif

1520

Süleyman I. wird osmanischer Sultan

1523

İbrahim Paşa wird Großwesir

1526

Schlacht von Mohács

1529

erste Belagerung von Wien

1533

Barbaros Hayrettin Paşa wird Großadmiral

1536

Erdrosselung von İbrahim Paşa

1538

Sinan wird Chefarchitekt

1538

Seeschlacht von Preveza, Niederlage Andrea Dorias gegen Barbaros Hayrettin Paşa

1544

Rüstem Paşa wird Großwesir

1553

Erdrosselung des legitimen Thronfolgers Şehzade Mustafa

1564

Sokollu Mehmet Paşa wird Großwesir

1569

Handelsprivilegien für Frankreich

1579

Ermordung von Sokollu Mehmet Paşa

1638

Hazerfen Ahmet Çelebi fliegt mit selbstgebauten Flügeln von der Galatabrücke nach Üsküdar

1656

Köprülü Mehmet Paşa wird Großwesir

1683

zweite Belagerung von Wien

1718

Damat İbrahim Paşa wird Großwesir, Beginn der »Tulpenära«

1722

erste osmanische Druckerei

1730

Patrona Halil-Aufstand beendet die »Tulpenära«

1793

Gründung der Armee Nizam-i Cedid (›Neue Ordnung‹)

1807

Aufstand des Kabakçı Mustafa Paşa

1808

Gründung der Militäreinheit Sekban-ı Cedid (›Neue Soldaten‹)

1826

Aufhebung der Yeniçeri und Gründung der Armee Asakir-i Mansure-i Muhammediye

1829

Eroberung von Edirne durch die Russen

1832

russische Flotte erreicht İstanbul

1839

Reformierung des Staatsapparats (Tanzimat) durch Gülhane-i Hattı Hümayun

1842

Aufnahme polnischer Asylanten und Gründung des polnischen Dorfs (Polonezköy)

1856

Erneuerungserlass, regelt auch die Rechte der nichtmuslimischen Minderheiten

1876

erstes Grundgesetz (Kanun-i Esasi)

1881

Geburt von Mustafa Kemal (Atatürk) in Thessaloniki

1889

Gründung der İttihat ve Terakki-Partei

1908

zweiter Erneuerungserlass, Wiederinkraftsetzung der Verfassung

1909

Aufstand religiöser Gruppen und Entthronung Abdülhamits II.

1913

23. Januar: Bab-ı Ali-Putsch

1914

Eintritt in den Ersten Weltkrieg an der Seite Deutschlands; Russland, Frankreich und England erklären dem Osmanischen Reich den Krieg

1917

Aufnahme von emigrierten Russen nach der Oktoberrevolution

1918

Mondoros-Waffenstillstand, französische und britische Truppen besetzen İstanbul

1919

Beginn der Befreiungskriege unter Führung von Mustafa Kemal (Atatürk)

1920

16. März: Şehzadebaşı-Überfall durch die Engländer
23. April: Eröffnung eines Exil-Parlaments in Ankara
10. August: Abkommen von Sèvres, Aufteilung des Osmanischen Reichs

1922

21. September: Gründung des Türkisch-Orthodoxen Patriarchats
11. Oktober: Mudanya-Waffenstillstand, Ende des Befreiungskriegs
1. November: Aufhebung des Osmanischen Reichs, Mehmet VI. verlässt İstanbul mit einem britischen Kreuzer nach Malta. Der Sohn des Sultans Abdülaziz, Abdülmecit Efendi, wird von der neuen Regierung in Ankara zum Kalifen ernannt

1923

24. Juli: Abkommen von Lausanne, Anerkennung der heutigen Grenze der Türkei
13. Oktober: Ankara wird neue Hauptstadt der Türkischen Republik
29. Oktober: Deklaration der Türkischen Republik und Anerkennung durch das Parlament in Ankara
Franzosen und Engländer verlassen die Stadt

1924

3. März: Aufhebung des Kalifats

1930

Einführung des Wahlrechts für Frauen

1933–45

Aufnahme deutscher Emigranten in der Zeit des Nationalsozialismus

1938

10. November: Tod Mustafa Kemal Atatürks

1973

Eröffnung der ersten Brücke über den Bosporus

1988

Eröffnung der zweiten Brücke über den Bosporus

1999

17. August: schweres Erdbeben in İstanbul und Umgebung

2010

İstanbul wird Kulturhauptstadt Europas

2013

29. Oktober: Eröffnung der Metrolinie »Marmaray« unter dem Bosporus