Herffs-Querbeat-300dpi-1000x631

Über dieses Buch:

Das Studium: abgebrochen. Die Karriereaussicht: Pizzakurier bis zum Pensionsalter. Der Beziehungsstatus: Dauersingle. Thomas würde alles dafür geben, sein miefiges Kleinstadtleben mit irgendjemandem zu tauschen – aber wer will so etwas schon haben? Dann aber lernt er die Punkband The Durdens und ihren durchgeknallten Frontmann Bender kennen. Und die Bassistin Nikki. Die ist hübsch … sehr hübsch sogar! Bevor Thomas so richtig weiß, wie ihm geschieht, ist er mit den Durdens auf großer Norddeutschlandtour. Die Band erwartet den ganz großen Durchbruch. Thomas wäre schon froh, wenn er Nikki etwas näher kommen könnte. Aber dann läuft alles anders als erwartet …


Ein mitreißender und humorvoller Roman über große Hoffnungen, kleine Wunder und den Heldenmut, den es braucht, wenn man mit dem Leben in der Provinz klarkommen will.

Über den Autor:

Hauke Herffs wurde 1972 in Bremerhaven geboren. Er studierte in Göttingen und schrieb später für Magazine wie die deutsche Vanity Fair, Maxim, den Playboy und Musikzeitschriften wie Visions und Intro sowie für die Welt am Sonntag und die dpa. Seit 2008 ist Hauke Herffs Redakteur bei der Gala, seit 2010 Chefreporter. Heute lebt er in Hamburg und München. Er spielt als Gitarrist in der Band Drunk Motorcycle Boy. QUERBEAT ist sein erster Roman.

***

Originalausgabe Mai 2014

Copyright © 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Philipp Bobrowski

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München

Titelbildabbildung: Mann: © Shutterstock, Andrei Kukla / Schallplatte: © Shutterstock, Ron and Joe

ISBN 978-3-95520-578-2

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weiteren Lesestoff aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Querbeat an: lesetipp@dotbooks.de

Gerne informieren wir Sie über unsere aktuellen Neuerscheinungen und attraktive Preisaktionen – melden Sie sich einfach für unseren Newsletter an: http://www.dotbooks.de/newsletter.html

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.twitter.com/dotbooks_verlag

www.gplus.to/dotbooks

Hauke Herffs

Querbeat

Roman


dotbooks.

1. Der blonde Lockenkopf

»Großer Gott! Sie sind William Blake

»Allerdings. Der … bin ich.«

»Bei der Gnade des allmächtigen Gottes. Sir, finden Sie es unverschämt von mir, aber … ich hätte gern Ihr persönliches Autogramm. Bitte, werter Herr! Es wäre mir eine große Ehre.«

Thomas saß auf seinem alten Drahtesel und arbeitete sich den Kreuzbergring hinauf. Es waren noch ein paar hundert Meter die Straße hoch, dann links und danach gleich wieder links in die Bertheaustraße hinein, aber in Gedanken war er bereits bei sich zu Hause. Zu Hause, in seiner Bude, im Bett vor dem Fernseher. Gestern hatte er sich Dead Man ausgeliehen, den Film aber nicht ganz geschafft, weil er eingeschlafen war, und nun freute er sich auf den Rest. Er würde sich, schön angeschwipst, wie er war, hinpacken, noch eine Kleinigkeit futtern und dieses Meisterwerk des Großmeisters Jim Jarmusch zu Ende gucken. Und diese Szene! Die musste er gleich noch mal sehen. Die war … also wirklich, die war genial. Irgendwo in der Wildnis des Wilden Westens erkennt ein fanatischer Missionar den gesuchten Mörder William Blake (gespielt von Johnny Depp) und bittet um ein Autogramm. Als Blake gerade unterzeichnen will, zieht der Typ seine Knarre. Doch geistesgegenwärtig stößt Blake das Ding zur Seite, rammt dem Kerl den Federkiel in die Hand.

»Das ist mein Autogramm.«

»Gott verdamme deine Seele ins tiefste Feuer der Hölle.«

»Hat er schon getan.« Blake zieht seinen Revolver.

Bäng, Bäng!

Herrlich!

Thomas drückte mit der einen Hand sein Knie herunter, um schneller voranzukommen. Fieep! Die Bremse am Vorderrad saß schief, quietschte in dünnem Jammerton über die Felge. Die Laternen warfen helle Lichtkreise auf den Asphalt der leergefegten Straße. War es schon so spät? Anscheinend.

Der Fahrerstammtisch im Café Kreuzberg war ausnahmsweise mal länger gegangen. Meistens eine zähe Veranstaltung, was größtenteils an Rainer lag. Doch zum Glück hatte Rainer heute keine Zeit gehabt. Und zusätzlich war das Wetter heute phantastisch gewesen. Fast sommerlich für Ende April. Dadurch angespornt, hatte ihre Männerrunde ein Bier nach dem anderen runtergekippt. Man musste die Gelegenheit am Schopfe packen, wenn schon mal was los war. Das Fahrerteam war nicht gerade eine spektakuläre Truppe. Alles Männer und Kollegen halt, aber nicht mehr. Keine Freunde, so wie Thomas sich das vorstellte. Aber da er die auch sonst nicht hatte, musste er halt nehmen, was sich eben anbot.

Fieep!

Thomas schreckte aus seinen Gedanken hoch und blickte auf. Gerade fuhr er in den Lichtkreis einer Laterne, und genau in diesem Moment tauchte etwas direkt vor ihm auf. Eine Frau auf einem Fahrrad!

Ihr Gesicht rauschte heran, war auf einmal riesengroß, ganz nah vor ihm, ganz nah bei ihm. Beinahe wären sie zusammengerasselt.

Er schaute sie an. Sie schaute ihn an.

Lange, blonde Locken, zurückgehalten von großen Kopfhörern. Das Gesicht – hohe Wangenknochen, spitze Nase – ein Model? Die Haarsträhne, in ihrem Mundwinkel, festgeklemmt in diesem schnippischen Lächeln, das ihm galt, als würde sie sagen: »Kennen wir uns nicht? Wohin des Wegs?«

Und dann war sie auch schon vorbei.

Fieeeeep! Die Bremse eierte in die Stille hinein.

Thomas fühlte sich, als würde ihm jemand einen Stromschlag durch den Körper jagen. Was zum Geier war das? Er drehte sich reflexartig um, wollte noch einen Blick auf dieses außerirdische Wesen erhaschen …

Es schleuderte ihn mit voller Wucht über den Lenker auf den Asphalt.

»Gott verdamme deine Seele ins tiefste Feuer der Hölle.«

»Hat er schon getan.«

Bäng!

Nach dem Sturz lag er eine Weile benommen da. Scheiße, tat das weh. Sein Kopf dröhnte, als sei sein Schädel eine riesige Glocke, die ein sadistischer Pfarrertrupp mit voller Kraft läutete. Zum Glück hatte er sich noch ein wenig mit den Armen abfangen können. Die Hände und Knie brannten. Hatte er sich was gebrochen? Nein, fühlte sich nicht danach an. Was für ein Dusel. Vorsichtig rappelte sich Thomas auf.

Niemand hatte seinen Abflug vom Rad mitbekommen. Die Straße war leer. Die Frau mit den blonden Locken … nirgendwo zu sehen. Auch sie hatte wohl von dem Vorfall nichts mitbekommen und war weitergefahren. Wie auch, mit den Ohren voller Musik?

Thomas blickte auf sein Fahrrad, das grotesk verrenkt vor ihm lag. Die Kiste hatte ihm sein Vater zum Studiumsstart in Göttingen aufgefixt, mittlerweile war sie nur noch eine gefährliche Klappermühle.

Du machst Sachen, dachte er und fasste sich an den Kopf, weil es ihn zwischen den langen Haaren auf einmal juckte. Er griff in etwas Warmes, Klebriges, spürte Schmerzen und zuckte zurück.

Seine Hand war voller Blut.

2. Der Sechser

Der Langhaarschneider lag mit seinem schlanken Griff richtig gut in der Hand. Thomas starrte auf das Gerät in seiner Rechten – und dann in den Badezimmerspiegel. Das, was er da sah, brachte ihn fast zum Heulen. Die verkrusteten Striemen in seinem Gesicht? Waren noch ertragbar. Die Aufschürfungen und blauen Flecken an seinen Beinen und Armen? Glühten unter den Klamotten, als wollten sie sagen: »Bitte sehr, spür nur, was du uns angetan hast!«

Ja, das alles brachte körperliche Schmerzen, war aber nichts im Vergleich zu seinem seelischen Leiden. Die Striemen würden schnell abheilen, und die Schürfwunden sah man ja nicht. Doch oben links an seinem Kopf leuchtete mitten in seinen schwarzen Haaren eine kreisrunde kahle Stelle. Die hatte der Arzt in der Notaufnahme der Uniklinik freirasieren müssen, um die Platzwunde zu nähen. »Liegt leider mittendrin, junger Mann. Kann man nichts machen. Tapfer sein.«

Thomas hatte das Desaster in dem Moment gar nicht richtig kapiert. Aber es gab nichts zu beschönigen. Er sah völlig lächerlich aus. In dem weißen Feld prangte die genähte Wunde wie ein eingebranntes Ausrufezeichen.

Thomas klickte den Rasierer an. Er brummte sanft vibrierend in seiner Hand. Den hatte er vorhin im Supermarkt gekauft. War im Angebot gewesen. Ein Schnäppchen. Die letzten Tage hatte er eine Wollmütze getragen, um das Malheur zu verdecken, aber wie sollte das in den nächsten Monaten funktionieren, wenn es wärmer werden würde? Nein, so lange konnte niemand tapfer sein – und er schon gar nicht. Er musste heute Nachmittag zur Samstagsschicht ins Dell Angelo und Pizzen ausliefern.

Thomas nahm den Kammaufsatz ab und strich seine Haare zurück. Er hatte so verflucht lange gebraucht, bis er die auf Kinnlänge gehabt hatte.

Bäng!

Auf einmal rumste wieder diese Frau in seine Gedanken. Die Frau mit den langen, blonden Locken. Seit dem Fahrradcrash passierte das alle naselang, eine weitere beunruhigende Nachwirkung des Unfalls.

Bäng! – er sah ihr Gesicht vor sich, ihre Haare, ihre Augen, ihr Lächeln. Sie hatte seinen Kopf erobert. Tauchte auf, wie es ihr gerade passte. Nachts wurde es richtig dramatisch. Da begegnete er ihr in seinen Träumen auf Hochhäusern, Felsen oder Riesenrädern. Jedes Mal kam er dann ins Trudeln und stürzte in unendliche Tiefen. Sein Geist liebte es, merkwürdige Ereignisse, die ihm widerfuhren, auf diese Weise zu verarbeiten. Gratisvorstellung. Auf Kosten des Hauses sozusagen.

Schluss mit dem Zirkus, dachte Thomas, doch so mutig, wie das klang, war er leider nicht. Zögernd führte er den Rasierer an den Schädel. Das Gerät klang nah an den Ohren wie ein brummendes Insekt – unheilvoll und böse. Thomas rasierte los und richtete seinen Blick in das Waschbecken. Er konnte das nicht mitansehen. Der Rasierer knurrte leicht gedämpft. Im Nu hatten seine schwarzen Haare die weiße Keramik zugedeckt.

Der Standaschenbecher quoll fast über von ausgedrückten Zigaretten. Das Teil war eine hüfthohe Säule aus Stahl – oder Blech. Enzianblau. Oben breiter werdend, also mit ordentlich Fassungsvolumen. Und dennoch ragte aus dem mattschimmernden Blau ein Berg aus Zigarettenstummeln empor. Mussten ein paar Hundert sein, schätze Thomas. Er meinte, sich zu erinnern, dass der Ascher mit Sand gefüllt war, konnte sich aber nicht daran erinnern, diesen Sand jemals wirklich gesehen zu haben. Stattdessen Stummel. Haufenweise Stummel. Zerdrückt, zerbrochen, zerbröselt. Sahen aus wie Raketen, die in eine graue Wüstenlandschaft abgestürzt waren. Da lagen sie nun – einst schlank und schön, jetzt jämmerlich verbrannt, kläglich ineinandergerammt und ihrer einstigen Pracht beraubt. Das war kein Aschenbecher, sondern ein Schrottplatz auf einem fernen, unwirtlichen Planeten. Thomas zündete seine Zigarette an und überlegte, ob er die später ebenfalls ausdrücken oder einfach auf einem der Stummelberge ablegen sollte. Dort könnte sie dann verglimmen. Langsam. In Würde.

»Mein lieber Scholli. Was doch so alles mit ’nem Fahrrad passieren kann. Mordsgefährlich. Weiß schon, warum ich kein so ’n Ding fahre«, brummelte der dicke Bernd, während er stoisch eine Zigarette aus seinem zerknautschten Tabakbeutel drehte, den er unter den Arm seiner speckigen Lederjacke geklemmt hatte. Er kicherte. »Ich hab dich jedenfalls zuerst gar nicht erkannt.«

Sie standen rauchend auf dem Parkdeck, am Hinterausgang von Dell Angelo. Das Restaurant befand sich im ersten Stock eines hässlichen Achtziger-Jahre-Betonklotzes (dem so genannten Iduna-Zentrum) gegenüber vom Göttinger Unicampus. Oben gab’s zwanzig Etagen Wohnungen, unten ein paar Geschäfte. Auf dem Parkdeck waren die Lieferwagen abgestellt, weiße Kastenwagen. Auf den Seiten der Autos hielt ein rundes Pizzabäckermännchen mit einem dämlichen Grinsen ein dampfendes Blech in die Höhe. Schmeckt wie ausse Italia, prangte mit grün-weiß-roten Buchstaben in der Sprechblase.

Thomas nahm einen Zug und spürte sofort, wie die Zigarette bei ihm einschlug. Ihn leicht betäubte. Ihn träge machte. Mannomann, das hatte ja Joint-Qualität. Ob das gut war – gerade jetzt?

Rita hatte sein neues Aussehen nämlich nicht so locker aufgenommen wie Bernd, als Thomas vorhin den Fahrerraum betreten hatte. »Thomas? Um Himmels willen. Was hast du denn gemacht? Das ist ja … schrecklich. Ich kann dich so doch nicht rausschicken. Die Kunden denken ja, vor ihnen steht ein Schläger!« Sie wäre fast in Ohnmacht gefallen. Und Derartiges passierte nie bei ihr.

Mit der zigarettenfreien Hand fasste sich Thomas an den Schädel, und – merkwürdig – obgleich er wusste, was es dort zu fühlen gab, zuckte er zusammen, als seine Finger die piksigen Stoppeln berührten. Sie hatte ja recht. Es war schrecklich. Das Ergebnis seiner Rasieraktion konnte sich nämlich ebenso wenig sehen lassen wie die kahle Stelle zuvor. Nun trug er seine Verletzung auf einer schuppenden Kommisskopp-Kahlschlag-Birne spazieren.

»Ich kann doch auch nichts dafür«, sagte Thomas. »Glaubst du, Rita schickt mich wirklich noch nach Hause?«

Der dicke Bernd schüttelte langsam den Kopf. Er machte alles – außer Autofahren – im Schneckentempo. »Nee«, stieß er hervor. »Hast doch gehört, kann eh keiner einspringen. Und heute brummt’s ja. Aber für die nächste Woche würde ich mir keine Hoffnungen machen.«

Durch die Stahltür drang ein Telefonklingeln. Man hörte dumpf Ritas Kommandostimme. Die nächste Bestellung. Das war Thomas’ Tour.

Er tippte an die Zigarette, ließ die Asche auf den Boden fallen und fühlte vorsichtig über seine Arme und Beine. Bernd sah ihn mitleidend an, was ihm mit seinen wässrigen Augen erstklassig gelang. »Und das alles nur wegen einer bescheuerten Plastiktüte. Ich glaub’s nicht.«

»Ja …«, setzte Thomas an, aber er führte den Satz nicht zu Ende, denn …

Bäng! – schon wieder sah er den blonden Lockenkopf vor sich. Dieses schnippische Lächeln … »Kennen wir uns nicht?«

»Alles in Ordnung?« Bernd stupste ihn an. »Sag mal, vielleicht ist es sowieso besser, wenn du nicht arbeitest.«

»Was?« Thomas kam wieder zu sich. »Nein, ich bin fit.«

Die Metalltür öffnete sich.

»Hey. Es geht weiter, meine Herren!« Rita trat heraus. »Thomas, du hast ’nen Sechser bekommen.«

Thomas traute seinen Ohren nicht. Einen Sechser? Das war ja ein Ding. »Wo geht’s hin?«, fragte er und warf gedankenverloren die Kippe auf den Boden.

Ritas Blick wurde richtig bissig. »Was soll das denn? Wozu steht da der Ascher? Wenn das der Chef mitbekommt, kannste gleich deine Sachen packen.«

Noch bevor Thomas eine Entschuldigung über die Lippen bringen konnte, war sie auch schon wieder weg. Die Metalltür fiel mit einem lauten Rums ins Schloss.

»Uiuiui. Auf nächste Woche würde ich nicht setzen«, murmelte Bernd.

Mann, bist du verrückt?, tadelte sich Thomas. Ausgerechnet heute.

Er hob die Zigarette auf und zerdrückte sie im Raketenfriedhof des Aschenbechers.

Einen Sechser nannte man im Dell Angelo eine Großbestellung von sechs bis zehn Gerichten, die nur einige Blocks um die Ecke gefahren werden musste. Das versprach ein anständiges Trinkgeld, und man war schnell für die nächste Tour zurück. Der dicke Bernd blickte auf den Bestellzettel, der auf dem Tisch lag. »Zwölf Pizzen und vier Schachteln Marlboro rot«, stieß er hervor und sah Thomas mit einer Mischung aus Neid und Stolz an. »Das muss in dieses Jugendzentrum in die Bürgerstraße. Kann mich gar nicht daran erinnern, dass wir jemals eine Bestellung aus dem Zeckenladen hatten. Vielleicht will uns da einer verarschen. Obwohl«, Bernd grunzte kurz auf, »wenn du da mit deiner Birne aufkreuzt, wird sicher niemand Zicken machen.«

Rita, die an der Durchreiche zur Küche lehnte, weil sie einen der Köche am Wickel gehabt hatte, stieß sich von der Wand ab und setzte sich zu Bernd an den Tisch. Das hektische Klappern von Pfannen, Töpfen und Geschirr drang aus der Küche herüber. Es zischte, brutzelte, man hörte die Dunstabzugshauben rauschen. Rita nahm einen Schluck Kaffee aus ihrem Ich Chef, du nix-Becher und warf Bernd einen scharfen Blick zu. »Ich bin ja nicht doof, diese Streiche kenne ich. Der Typ, der bestellt hat, hat mich richtig angebettelt, dass wir schnell liefern.« Während sie sprach, zog sie das Gummi aus ihren Haaren, nur um diese noch straffer aus dem kantigen Gesicht zurückzubinden. »Kurzoporst heißt der. Hat mir seine Mobilnummer gegeben, und ich habe ihn zur Sicherheit zurückgerufen. Sieht sauber aus.«

»Na, dann ist fein«, grunzte Bernd beschwichtigend.

Doch es war zu spät, Rita kam nun in Fahrt. »Nein, es ist schon richtig, man kann nie vorsichtig genug sein.« Ihr Misstrauen gegen die Welt wurde eigentlich nur durch ihr Mitteilungsbedürfnis überboten. Egal, worüber man gerade redete, sie klinkte sich ein und quatschte einen zu. Auch Thomas’ Taktik, die Nase in einem Buch zu vergraben, ging selten auf. Die einzige Fluchtmöglichkeit war die Zigarette vor der Tür. Fluppen waren im Fahrerraum tabu, seit Rita mit dem Rauchen aufgehört hatte. Der Nebeneffekt? Fast alle Fahrer qualmten auf Kettenraucherniveau. »Es gibt so viele Leute, die versuchen, dich reinzulegen. Selbst in der eigenen Sippe kann man nicht vorsichtig genug sein. Kürzlich war meine Verwandtschaft aus dem Osten hier. Eigentlich um meine kranke Mutter zu besuchen, aber in Wirklichkeit waren die nur gekommen, um was abzustauben bei mir.« Sie räusperte sich und nahm Thomas ins Visier. »Jetzt sag noch mal, wie ist dieser … Unfall mit deinem Kopf passiert?«

»Na ja, es war beim Einkaufen«, sagte Thomas. »Mir ist die Plastiktüte in die Speichen gekommen.«

Rita die Wahrheit zu beichten, wäre reines Job-Harakiri. In einem Mitarbeiter, der sich auch nur in kleinster Weise als unzuverlässig erwies, sah sie das Gefahrenpotenzial einer tickenden Bombe. Wenn sie spitzbekam, dass er betrunken (!) einen Unfall (!!!) gebaut hatte, würde er sich für sie sofort in einen wahnsinnigen Hasardeur verwandeln, der den Laden in seinen Grundfesten bedrohte. Eine solche Risikoquelle würde sie über kurz oder lang eliminieren, und Thomas konnte es sich nicht erlauben, seinen Job zu verlieren. Er brauchte das Geld, man verdiente durch das Trinkgeld recht gut. Als er sich damals beworben hatte, hatte es noch einen Haufen weiterer Anwärter gegeben. Der Job war an ihn gegangen, weil er sein BWL-Studium erwähnt hatte. Rita hatte das auch mal studiert. Doch das BWL-Ticket war natürlich kein Freifahrtsschein.

»Und dann sieht man so aus?«, fragte Rita. Sie glaubte ihm kein Wort.

Ping!

So klang die Rettung. Das war die Tischglocke in der Durchreiche, auf welche die Köche schlugen, wenn das Essen fertig war. Thomas stand auf, Bernd, dessen Trägheit mit einem Mal wie weggeblasen war, wuchtete sich ebenfalls von seinem Stuhl und half, die Pizzakartons mit ihrem dampfenden Inhalt in die Styropor-Transportbehälter zu legen.

Thomas steckte die Zigaretten, die Kundenrechnung, die Geldbörse ein und setzte die rote Mütze mit dem Dell-Angelo-Schriftzug auf. Die mussten alle Fahrer tragen. Konnte nicht schaden, das Ding demonstrativ vor Rita über den angeschlagenen Kopf zu stülpen. Er brauchte Pluspunkte auf seiner Shit-Liste.

Das Bestelltelefon, das auf Ritas Schreibtisch neben der Durchreiche stand, schellte. Wie der Blitz erhob sie sich, quetschte sich mit einem genervten Ihr-steht-mir-im-Weg-Ausdruck im Gesicht zwischen ihnen hindurch und nahm ab.

»Ristorante Dell Angelo, guten Tag. Was kann ich für Sie tun?«, flötete sie in den Hörer.

Ganz wichtig: Nicht mit »Restaurant«, sondern mit »Ristorante« musste man sich am Telefon melden. »Damit der Kunde gefühlt in Italien ist.« O-Ton Rita.

Ja, der Kunde … Thomas erstaunte es jedenfalls auch diesmal, wie fix sie von zeternd auf zuckersüß umschalten konnte.

3. Im Juzi

Das Jugendzentrum lag auf der anderen Seite der Innenstadt, etwas versteckt in den Bäumen des Stadtwalls. Thomas parkte sein Lieferfahrzeug, einen Fiorino-Kastenwagen von Fiat, direkt am Gebäude, wo schon zwei Kleinbusse und einige Autos abgestellt waren. Das zweistöckige Haus wirkte wie eine Festung. Die Fenster waren mit Holzläden verrammelt und wurden von rostigen Eisengittern geschützt. An den besprühten Mauern klebten kreuz und quer Plakate. An manchen Stellen pappte das Papier in so vielen Schichten übereinander, bretthart vom vielen Kleister, dass es wie eine krustige Schutzschicht wirkte.

Thomas warf die Dell-Angelo-Mütze auf den Beifahrersitz, stellte die zwei Styropor-Behälter aufeinander und trug seine Fracht um das Haus herum zum Eingang. Die Tür, vor der ein Sofa vor sich hinschimmelte, stand offen. Er trat ein und fand sich in einem Treppenhaus wieder, dessen Wände dermaßen mit kunterbunten Graffitis zugedeckt waren, dass seine Augen kurz vor der wogenden Farbenpracht zurückzuckten. Wo lang? Ach da. Links neben der ausgetretenen Treppe, die nach oben in den ersten Stock führte, ging der Raum über ein paar Stufen noch weiter. Ganz hinten gab es eine große Türöffnung, dort standen ein paar Leute. So farbig die Wände, so dunkel sahen diese Gestalten aus. Die Meisten trugen schwarze Klamotten, schwarze Stiefel oder Turnschuhe. Ein oder zwei schauten auf, als Thomas näher kam, aber niemand reagierte, und so blieb er unschlüssig stehen.

Warum bewegte sich keiner von denen und sagte was? Die sahen doch, dass er was abzuliefern hatte. Jetzt erkannte Thomas, dass die Türöffnung der Anfang eines schmalen, fensterlosen Korridors war, in dem sich noch mehr Leute befanden. Ein paar hockten auf dem dreckigen Boden, einige quetschten sich auf einen Sessel (eindeutig das Ergänzungsstück zum Sofa vor der Tür). Am Ende mündete der Korridor in einen weiteren Raum, und da herrschte ebenfalls Betrieb. Vielleicht musste er dorthin? Puh, hier roch es ja ziemlich nach Pisse.

Da er nicht einfach so auf gut Glück in die Höhle des Löwen hineinstolpern wollte, entschied er sich, die Frau gleich rechts neben ihm anzusprechen. Die hatte eine Frisur, die ihn an Mireille Mathieu erinnerte, und erschien ihm am ungefährlichsten.

»Hallo, ich bringe die Bestellung.«

»Was?« Die Mireille-Mathieu-Frau schien wie aus tiefen Träumen hochzuschrecken.

»’tschuldigung«, fing Thomas noch mal an. »Ich habe hier die Bestellung. Für Herrn Kurzoporst.«

»Kurz – op – orst?«, wiederholte sie schleppend, als brauche sie jede Silbe, um ihr Gehirn anzuschmeißen. Sie schüttelte den Kopf. »Kenn ich nicht.«

Mmmh, hatte irgendein Scherzkeks es doch geschafft, Rita reinzulegen? Blamierte er sich gerade bis auf die Knochen? Oder hatte er zielsicher die verwirrteste Person im Raum angesprochen?

Ein Typ, der neben der Frau am Boden saß und eine olivenfarbene Fidel-Castro-Militärkappe trug, blickte auf. »Mensch, Susanne, der Genosse meint den Bender.«

Die Mireille-Mathieu-Frau lachte laut auf. »Ach, der Bender«, sagte sie. »Du willst zu – zu Bender. Wusste gar nicht, dass der – mit Nachnamen Kurzoporst heißt. Also, der Herr Kurzoporst – der ist in der Küche. Hier in den – in den Konzertsaal rein.« Sie wies mit dem Daumen auf den Raum am Ende des Korridors. »Die Küche ist hinter der Bar.« Sie redete komisch. Abgehackt und stockend, als würde ihr Sprachzentrum willkürlich mitten im Satz ein paar Vollbremsungen hinlegen.

»Ah, danke«, sagte Thomas, und genau in diesem Augenblick setzte im Konzertsaal ein so lautes Getrommel ein, dass er erschrocken zusammenzuckte und ihm beinahe die zwei Styroporbehälter mit dem Essen drin aus der Hand geglitten wären.

Die Frau mit den Mireille-Mathieu-Haaren lachte wieder und griff umständlich an seine Schulter. »Geht’s?«

»Ja, alles im Griff«, murmelte er, umfasste seine Lieferung fester und setzte seinen Weg fort. Die Arme waren mittlerweile ein wenig lahm geworden. Das hätte gerade noch gefehlt, dass ihm der Krempel hier vor allen Leuten auf den Boden knallte.

Der Konzertsaal war ein muffiger, verqualmter Raum, dessen pechschwarzgestrichene Wände einige rote und gelbe Scheinwerfer in fahles Licht tauchten. Auf der linken Seite befand sich eine Bühne, und dort oben drosch ein breiter Kerl mit voller Kraft auf ein Schlagzeug ein. Aus den Boxen, die unter der Decke hingen, donnerte jeder Schlag bis in den letzten Winkel. Gleich vor den Drums standen ein hagerer Schlacks und ein kleinerer Typ, beide hatten Gitarren umgehängt und teilten sich seelenruhig eine Zigarette, während das Schlagzeug nur so schepperte. In der Mitte des Raumes waren Biertische aufgebaut, an denen ein paar Leute hockten. Neben der Bar, die sich auf der rechten Seite genau gegenüber der Bühne befand, gab es ein Podest. Da stand viel Technikzeugs drauf – Kabelwirrwarr, Geräte –, und ein Kerl mit langen Dreadlocks drehte geschäftig an den Knöpfen und Reglern. Die Bar war eine etwas schief in die Ecke gezimmerte Ansammlung von kleinen Regalen, zerbrochenen Spiegelscherben und einem wuchtigen, ebenfalls schwarzgestrichenen Holzblock als Theke, um den Thomas herumging. Dort war die besagte Tür. Beware – Kitchen Hell, stand daran.

Die Warnung traf es durchaus. Die Küche war ein schlimmes Loch. Rita würde sofort einen Herzinfarkt erleiden. Überall stand dreckiges Geschirr herum, die Fliesen über der Spüle hatten eine quittengelbe Färbung, im Spülbecken lagerten Beutel mit Abfall, umtanzt von Fruchtfliegen, und der Tisch in der Mitte des Raumes war vollgeladen mit Gemüse, Brotlaiben und Schüsseln.

Am Herd bewegte sich etwas. Thomas schaute genauer hin und erkannte ein anständiges Maurerdekolleté, das sich in die Höhe reckte. Irgendwer kniete vor dem Herd und hantierte – den Kopf vollständig in der Röhre – am Gasofen herum.

»Hallo? Dell Angelo. Ich bringe die Pizzen«, sagte Thomas, und weil der Satz anscheinend in dem Lärm des Getrommels aus dem Konzertsaal untergegangen war – jedenfalls reagierte die Person im Ofen nicht –, rief er nochmals lauter: »Hallo? He! Hallo! Das Essen?«

Aus dem Ofen kam ein gereiztes Schnaufen: »Nerv nicht rum, Alter! Der Pizzaheini müsste jeden Moment einlaufen. Ich kann’s ja auch nicht ändern.«

Pizzaheini? Thomas war kurz perplex. »Äh, ich bin der Pizzaheini«, sagte er und dachte, dass es doch angebracht gewesen wäre, wenn er ein bisschen Empörung in den Satz gelegt hätte. Aber er war nun mal kein Mensch, der besonders gut im Sichempören war.

Der Typ zog seinen Kopf aus dem Ofen heraus und richtete sich auf. Jetzt konnte man sehen, dass er ziemlich stämmig war. Sicherlich einige Jahre älter als Thomas, von seiner Kleidung und seinem Gesicht her wirkte er sogar fast großväterlich. Wie die Arbeitermänner von den alten Schwarzweißfotos, die es in Trödelläden gab. Die dunklen Haare wurden zur Stirn hin dünner, so dass es aussah, als sei der Haaransatz nach hinten gerutscht. Seine Ohren waren groß, seine Nase war sehr groß, und er trug ein weißgelb verfärbtes Hemd, Stiefel und eine ausgebeulte Anzughose, an der Hosenträger herunterbaumelten.

»Oh, Tag!«, murmelte er. »Dachte, du bist einer von den anderen Bands, weißte?«

»Herr Kurzoporst? Das sind Sie … äh, du?«, fragte Thomas.

»Ja, ja, hier biste richtig.« Kurzoporst setzte sich in Bewegung und schloss die Tür. Mittlerweile war der Schlagzeugkrach allerdings vorüber, man hörte nun die Gitarre und den Bass. »Wir haben hier heute Konzert, und der Herd, mit dem wir die Musiker bekochen wollten, ist abgekackt. Zwölf hungrige Mäuler.«

»Oh«, machte Thomas und wollte noch ein »Das ist ja ein Pech« oder so etwas nachschieben, ließ es aber, weil Kurzoporst gar nicht mehr zuhörte, sondern den Tisch freiräumte. Thomas stellte seine Transportbehälter ab und packte das Essen aus. »Vier Marlboro Rot, zwölf Pizzen. Sechsmal Vegetarisch, zweimal Pilze-Schinken, vier Käse.« Er reichte Kurzoporst die Quittung. »Macht 116 Euro.«

Kurzoporst stopfte das Papier in seine Hosentasche, ohne einen Blick draufzuwerfen, holte ein Portemonnaie hervor und leerte es auf den Tisch aus. Ein Berg Kleingeld rasselte aufs Holz.

»Stimmt so.«

Thomas beschloss, aufs Nachzählen zu verzichten. Das sähe dämlich aus, wenn er hier die Centstücke durchging. Und ein paar Scheine waren immerhin dabei. Er schob das Geld über die Tischkante in seine Fahrerbörse. Trinkgeld war sicher nicht so üppig. Ziemlicher Flop, dieser Sechser.

»Danke, dass Sie bei Ristorante Dell Angelo bestellt haben.«

Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Kurzoporst mit den Fingern schnipste. »He, Moment! Fast hätte ich’s vergessen. Wo ist eigentlich unser Umsonst-Rotwein? Ich mein, wir liegen bei fast 120 Euro, also wären das nach Adam Riese fünf Flaschen. Oder täusche ich mich da?«

Ach nein, die Weinflaschen! Die hatte er total verschwitzt. Dabei war es eine gelernte Sache: Bei einem Bestellwert ab 20 Euro bekam der Kunde eine Flasche Rotwein umsonst. Bei einer größeren Summe gab es für jede zusätzliche 20-Euro-Einheit eine weitere. Kurzoporst hatte recht! »Tut mir leid, die habe ich vergessen.«

»Was seid ihr denn für ein Laden! Und was nun?«

»Ja, die bekommt ihr natürlich, keine Frage«, beeilte sich Thomas zu sagen. Er stellte sich vor, wie Rita entdeckt hatte, dass er ohne die Pullen abgerauscht war. Bernds Ohren waren sicher schon taub von ihrer Litanei. Warum hatten die ihn nicht auf seinem Mobiltelefon angerufen, dann hätte er ja noch umkehren können? Er klopfte Jacke und Hose ab, und ihm fiel ein, dass er es in seiner Tasche im Dell-Angelo-Fahrerraum gelassen hatte. Da konnte er sich auf einen langen Vortrag gefasst machen. »Das Problem ist, dass jetzt am Samstagabend bei uns ziemlich viel los ist.«

»Ohne die Weinflaschen ist hier auch gleich was los.«

»Ich mein ja nur, dass ich die wohl erst etwas später vorbeibringen kann. Ihr kriegt auch noch was als Entschädigung. Ist doch klar.« Entschädigung? Was redete er da? Rita würde ihm schön was pfeifen.

»Soso.« Kurzoporst musterte ihn von unten bis oben. An Thomas’ eingedellten Kopf blieb sein Blick hängen. Er runzelte die Stirn. »Wie lange liefert ihr denn aus?«

»Bis 23 Uhr«, sagte Thomas. Die Narbe musste wohl Eindruck gemacht haben.

»Okay, geht ja.« Kurzoporst knetete seine Nase, die wie ein Felsvorsprung aus dem Gesicht herausragte und für die das Wort Riechkolben voll und ganz angemessen war. Ein wenig sah er aus wie ein Nasenaffe. »Weißte, meine Band hat diesen netten Konzertabend hier organisiert. Aber bei dem Wetter werden nicht viele Leute aufschlagen. Sonnenschein, Frühlingsanfang – der Killer für jedes Indoorkonzert. Es sei denn, man ist die fuckin’ Rolling Stones. Wir brauchen also jeden Mann. Mein Vorschlag zur Güte: Mach deinen Job zu Ende, und komm danach vorbei. Ist ja egal, wann wir den Weinstoff austrinken, sitzen ja nicht auf dem Trockenen. Schmeiß ein paar Euro in die Kasse, kauf ein paar Bier, guck dir das Konzert an. Kostet acht Euro Eintritt, und dafür gibt es neben unserer genialen Wenigkeit noch zwei weitere Bands – Slumdog und Dr. Hasenbein. Ist das ’n Deal?«

War das ein Deal? Thomas wusste nicht, was er von diesem Angebot halten sollte. Musik hatte ihn noch nie interessiert, und die Musik, die hier lief, war sicherlich erst recht nicht nach seiner Fasson. Außerdem kannte er niemanden, nachher würde er nur wie Falschgeld herumstehen. Andererseits … Ritas Zorn würde es sicher mildern, wenn er den Fehler auf die eigene Kappe nähme und den Krempel nach Ende der Schicht hier vorbeibrächte. Na ja, und wenn es blöd war, konnte er immer noch abhauen. »Okay, Deal!«

Die Tür ging auf, und einer der Typen, die vorhin mit den Gitarren auf der Bühne gestanden hatten, kam herein. Der Kleinere. Seine Haare waren grau und fast so kurzrasiert wie die von Thomas. Dazu hatte er absurd buschige Koteletten, die sich wie zwei breite Flokatiteppiche in sein Gesicht hineinkräuselten. »Hey, alles klar so weit?«, fragte er. »Nur du fehlst noch, dann sind wir durch mit dem Soundcheck. Und was ist nun mit dem Essen?«

»Siehste doch, Mann. Ist gerade angekommen!«, antwortete Kurzoporst gereizt. »Weißte, das dürfen wir wirklich niemandem erzählen, dass wir Pizzen bestellen mussten wegen dieser Kacke hier!« Er trat gegen den Herd, dass es schepperte. Thomas zuckte zusammen, überrascht über diesen plötzlichen Ausbruch.

»Du, ich frag ja auch nur, weil die anderen Bands gerade gefragt haben. Die haben Hunger.«

»Und ich habe Wut im Bauch, weil ich hier alles allein klarschießen muss«, rief Kurzoporst. »Also, laber nicht, mach dich lieber nützlich, und pack an.«

»Sag das doch nicht mir! Du, ich bin schon seit heute Morgen hier am Machen.«

»Mir kommen gleich die Tränen. Wer denn nicht?«

»Du.«

»Dafür war ich die Woche Plakate kleben.«

»Einen Abend warst du Plakate kleben!«

»Zwei!«

»An dem zweiten habt ihr doch kaum was aufgehängt! Da seid ihr saufen gewesen.«

»Und haben die Dinger dabei verteilt. Das ist genauso gut wie Kleben. Außerdem hatten wir gar nicht genug Kleister. War ja Rollo für zuständig.«

Thomas nahm seine Transportboxen an sich. Die schienen ja einigen Stress zu haben. Aber war ja nicht sein Problem, er musste zusehen, dass er zurück zur Arbeit kam. »’tschuldigung«, sagte er dennoch vorsichtig. »Aber wem gebe ich die Flaschen, falls ihr auf der Bühne seid? Ich mein, also … nachher?«

»Hä?« Der Flokati-Koteletten-Typ schaute ihn an, als würde er ihn jetzt erst sehen und als wäre mit Thomas ein buckliger Dienstbote mit einer weiteren leidigen Nachricht aus dem versifften Boden geschossen.

Kurzoporst verdrehte die Augen. »Los, komm«, sagte er und nahm Thomas kurzerhand mit aus der Küche hinaus. Er zeigte auf die Frau mit der Mireille-Mathieu-Frisur, die nun im Konzertsaal auf einer der Bänke an den Biertischen hockte. »Das ist Susanne, die macht nachher die Kasse. Die lässt dich rein. Die weiß dann Bescheid.«

Thomas nickte. »Gut. Also, bis später.«

»Bis später«, sagte Kurzoporst. »Wie heißt du überhaupt?«

»Thomas.«

»Freut mich. Ich bin Bender.«

Wenn man einen Fehler gemacht hatte, war es bei Rita die beste Taktik, sich gleich voll und ganz schuldig zu bekennen. Nur so ließ sich die Standpauke abmildern. Als Thomas allerdings ins Dell Angelo zurückkam, waren weder Rita noch der träge Bernd im Fahrerraum. Dafür saß Pittchen am Schreibtisch, das Bestelltelefon am Ohr.

»Alles klar. In rund 30 Minuten sind wir da«, sagte er in den Hörer. »Vielen Dank, dass Sie Dell Angelo gewählt haben.«

Ristorante Dell Angelo muss es heißen, dachte Thomas.

Pittchen legte auf und grinste ihn an. »Kollege! Alles in Dortmund? Da hast du dir ja sportlich die Birne angezählt. Hab schon davon gehört. Krassometer, hihi.«

Thomas schaute den Gang zu den Toiletten runter. Keine Rita in Sicht. Er blickte Pittchen in die Augen und formte wortlos mit seinen Lippen die Frage: »Rita?«

Pittchen lehnte sich in dem Stuhl zurück und kicherte. »Entwarnung an der Front, Meister. Vor ein paar Minuten klingelte ihre Handfunke Alarm, und sie ist abgezischt. Hat nicht mal richtig Tschüssikowski gesagt.«

»Was ist denn passiert?«, fragte Thomas.

»Meister! Sie hat’s nicht gesagt – und ich habe nicht gefragt. Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts, hihi.« Mit diesen Worten erhob sich Pittchen, zog seine Stonewashed-Jeans fast bis zu seiner hageren Brust hoch, legte die Bestellung auf die Durchreiche und klopfte auf die Tischglocke.

Ping!

Thomas stellte die zwei Transportbehälter in die Ecke und setzte sich erleichtert an den Tisch. Rita weg. Kein Zeter und Mordio. Er war gerettet.

Mit Pittchen zu arbeiten war okay, der war einer der angenehmeren Kollegen, nur sein Kichern war mit der Zeit halt anstrengend. Er war Mitte dreißig und hatte ein fliehendes Kinn, so dass sein Hals scheinbar übergangslos an seine Unterlippe andockte, was an einen Geier erinnerte. In Wirklichkeit war Pittchen aber ein verkrachter Diplom-Sozialpädagoge im 25.-und-ein-paar-Zerquetschte-Semester und wie Rainer, Bernd und einige andere schon seit Urzeiten bei Dell Angelo. Eigentlich machte er nichts anderes, als Pizza zu fahren und in angedudelten Momenten von einem Wenn der Postmann zweimal klingelt-Erlebnis zu träumen, das eh nie eintrat. Irgendwo hatte er noch eine Tochter, für die er Unterhalt zahlen musste. Am liebsten hätte Pittchen den Rita-Vertreter-Posten gemacht, aber auf dem hockte ja Rainer, und Pittchen fehlte die Rainer’sche Brutalität, um sich nach oben zu boxen.

Thomas kramte seine Zigaretten hervor. Zu dritt nur – und das an einem Freitag. Aber egal, er wollte sich jetzt nicht beklagen. Der Tag hatte sich schließlich ganz okay entwickelt.

4. Das Konzert

Klick, kluck, klick, kluck, klick, kluck.

Thomas lief die Fußgängerzone entlang, und bei jedem seiner Schritte stießen die Weinflaschen in seiner Tasche mit einem satten Klicken aneinander. In der Stadt herrschte ziemlicher Partybetrieb. Die Straßen waren voller Menschen, überall saßen Leute vor den Bars und Kneipen, genossen den lauen Abend, obgleich es noch rasch dunkelte zu dieser Zeit. Thomas atmete die Luft tief ein, in der die Schwere des warmen Tages und gleichzeitig bereits die aufregende Frische der frühen Nacht lag. Ein erregtes Summen schien über allem zu schweben.

Göttingen war ein Provinznest. Gut, die Universität. Weltruf, Nobelpreise, Bismarck und so weiter. Aber wen interessierte das? Man wollte doch zuallererst was erleben. Was vom Leben mitbekommen. Aufbrechen, ausbrechen, ausprobieren, sich finden. Und jetzt, in diesem Moment, hatte er seit langem mal wieder das Gefühl, das dafür an diesem Ort auch eine kleine Chance für ihn bestand. Er selbst wäre vor zwei Jahren viel lieber nach Hamburg, Bremen oder nach Berlin gegangen, hatte auch nicht BWL studieren wollen, aber wegen ein paar unglücklicher Umstände, an die er nun auf gar keinen Fall denken wollte, war er halt hier gelandet.

Unbestreitbar, in Göttingen ging was. Keine Frage. Haufenweise junge Studenten, viele Kneipen, jede Woche schmiss irgendeine Fakultät eine Party. Das Problem war, dass er in all der Zeit nicht Teilnehmer dieser Veranstaltung geworden, sondern Beobachter geblieben war. Er hatte vorher niemanden hier gekannt, und er kannte auch jetzt keine Sau. Er kam einfach nicht ran, nicht rein, überall schienen unsichtbare Türsteher ihm den Zugang zu verwehren. Und ihm lag halt das lockere Leute-Anquatschen nicht so. Mittlerweile hatte er das Gefühl, dass seine Poren eine Art abschreckenden Ich-bin-alleine-ich-suche-Anschluss-Geruch ausdünsteten. Jedenfalls gab es auf der einen Seite die Stadt, die Leute, und auf der anderen Seite gab es ihn – und beides kam einfach nicht zusammen.

Klick, kluck, klick, kluck, klick, kluck.

Thomas hatte den Rathausplatz im Zentrum der Fußgängerzone erreicht. Die großen Scheinwerfer, die an den Dächern der umliegenden Häuser angebracht waren, erleuchteten bereits das altehrwürdige Rathaus und den Brunnen davor. Dort an den Stufen, die kreisrund um den Brunnen herumliefen, saß eine feiernde Gruppe. So geschniegelte Typen und aufgetakelte Frauen. Sie hatten einen Leiterwagen mit Bier dabei. Einer kletterte gerade unter lautem Gejohle die kleine Säule hinauf, die sich in der Mitte der zwei Brunnenbecken befand. Dort oben stand das so genannte Gänseliesel, eine Bronzefigur eines Mädchens, das einen Korb und ein paar Gänse im Arm hielt, eingerahmt von einer Art eisernem Pavillon, verziert mit Blumen, Zweigen und bärtigen Gesichtern. Das Liesel war das Wahrzeichen Göttingens. Solche Klettereien waren eigentlich verboten. Doch es galt als ein akzeptierter Brauch, dass diejenigen, die gerade ihre bestandene Doktorarbeit feierten, das Liesel küssen durften.

Bäng! Erneut radelte der blonde Lockenkopf durch Thomas’ Hirn. Haarsträhne im Mundwinkel. Schnippisches Lächeln. Was mochte sie für ein Mensch sein? Was für Freunde mochte sie haben? Solche wie die da?

Der Anblick der Studenten frustrierte Thomas. Das BWL-Studium, in dem dieser Schlag (viel Gel im Haar, viel Geld in der Tasche) zuhauf vertreten war, hatte er vor einem Jahr abgebrochen. Seitdem war seine Hauptbeschäftigung der Pizzajob. Ansonsten schaute er sich durch das Filmprogramm der Videothek bei ihm um die Ecke, oder er las seine Bücher und Comics rauf und runter. Alle zwei Wochen ging’s zum Fahrerstammtisch. Welch Highlight. Das Leben eines Einsiedlers war aufregender.

Am Brunnen grölten sie lauter, und je lauter die grölten, desto komischer fühlte sich Thomas. Er ging hastig weiter. War schon merkwürdig, dass man etwas peinlich finden konnte und gleichzeitig neidisch war. Diese Leute waren immerhin angekommen.

Wie das wohl in diesem Juzi werden würde? Ein wenig zweifelte er nun wieder. Zweifeln ging bei ihm recht schnell. Aber am besten war es ja auch, wenn man seine Erwartungen nicht zu hoch schraubte. Kam eh nichts so, wie man sich’s vorstellte.

Thomas bog in die Nikolaistraße, die auf den Wall und das Juzi zuführte. In einem der vielen Kioske, welche die Straße säumten, kaufte er zwei Schokoriegel und einen Energydrink, weil er sich etwas wackelig im Magen fühlte. Wenigstens machte sein Kopf keine Zicken. Keine Schmerzen, kein gar nichts – der Gang an der Luft hatte gutgetan. Er war etwas spät dran, es war kurz vor 23 Uhr. Thomas kaute die Riegel im Gehen weg und beschleunigte seinen Schritt.

Klick, kluck, klick, kluck, klick, kluck.

Bender Kurzoporst fiel auf die Knie. Sein Gesicht war verzerrt, krebsrot, er stierte mit aufgerissenen Augen ins Leere. Sein Brustkorb pumpte unter dem nassen Hemd. Links neben ihm beugte sich der kleine Typ mit den grauen Flokati-Koteletten vor seinen Lautsprecher, schüttelte seine Gitarre, so als würde er sie wie im Zweikampf würgen, und ließ eine kreischende Lärmwand durch den Raum rollen, die sich unbarmherzig in die Gehörgänge fräste. Hinten beim Schlagzeug stand der dürre Kerl und hielt seinen Bass in die Höhe. Er sah aus wie Steve Buscemi – schwarzer, nasser Seitenscheitel, rot unterlaufene Augen, das Gebiss scheinbar zu groß für den Mund. Mit der Faust schlug er auf den zerschrammelten Holzkörper seines Instruments und legte ein tiefes Wummern unter das Gepfeife der Gitarre. Der Schlagzeuger war so ein bäriger Typ, breit und etwas wabbelig, mit vielen bunten Tattoos, rotem Bart und leuchtend roten, lockigen Haaren. Er trommelte mit nacktem Oberkörper, und bei jedem Schlag, den er tat, flogen die Schweißspritzer durch die Luft.

WAMM, WAMM, WAMM, WAMM!

Das Gedonner schien Bender Kurzoporst wieder wachgerüttelt zu haben, denn er holte nun tief Luft und schrie voller Inbrunst ins Mikrofon, dass die Adern und Muskeln an seinem Hals bis zum Platzen anschwollen.

Es war ein Gemetzel. Thomas hielt sich an seinem Bier fest und beobachtete die Szenerie von einem sicheren Platz an der Bar aus. Die Biertische von heute Nachmittag waren verschwunden, und die Band war bereits mitten im Auftritt gewesen, als er im Juzi angekommen war. Da weder diese Susanne noch irgendwer sonst vorne an der Kasse gesessen hatte, hatte er fünf Euro hineingelegt (eigentlich betrug der Eintritt acht Euro, aber er hatte es nicht passend gehabt) und war hineingegangen.

Jetzt stand er hier. Die Besucherzahl war überschaubar. Die Meisten hatten allerdings vor der Bühne Position bezogen, und nun, da Bender Kurzoporst aufsprang, die anderen wieder auf ihre Instrumente eindroschen und das Stück weiterging, sprangen die Leute wild hin und her und rempelten sich gegenseitig um wie ein Haufen Footballspieler, die sich um den Spielball kloppten.

Thomas nahm einen Schluck von seinem Bier. Ganz schön laut war’s, am liebsten hätte er sich was in die Ohren gestopft. Die Musik knallte wie Paukenschläge aufs Trommelfell. Der Gesang war ein einziges Gebrüll. Es gab keine Melodien, keine Pausen. Alles jagte atemlos dahin. Bender und seine Jungs schienen um die Wette zu spielen, wer als Erster mit dem Stück fertig sein würde.

Aber irgendwie hat diese ungezügelte Energie auch etwas. Das ist direkt, irgendwie ehrlich. Und dieser Bender machte eine richtige Show, das machte was her. Er sank auf die Knie, wälzte sich am Boden, sprang wieder hoch, fiel beinahe ins Schlagzeug, schlug sich auf die Brust oder warf seinen Kopf so heftig vor und zurück, als würde er seinen Schädel gegen eine unsichtbare Wand rammen.

Thomas versuchte, in dem holprigen Rhythmus mitzuwippen, und bestellte noch ein Bier. Hinter dem Tresen standen der Typ mit der Fidel-Castro-Mütze, der neben Susanne gesessen hatte, und eine bullige Frau mit weißblondierten Haaren. Ob er die mal nach dieser Susanne fragen sollte?

»Naaaa, du bist ja – doch – noch aufgetaucht.« Auf einmal stand sie neben Thomas.

»Ich bin schon eine ganze Weile hier. Hatte dich nicht gesehen«, rief er. Man war fast gezwungen zu schreien, um sich zu verständigen.

»Musste mich um – um die Band kümmern, die vor den Durdens gespielt hat.«

»Die Durdens? Das ist die Band von Bender?«, fragte Thomas.

»The Durdens. Das The ist denen ganz wichtig.«

»Ah.«

Sie schauten eine Weile dem Treiben im Saal zu. Bender stützte sich gerade auf seinen Mikrofonständer, die Augenlider fest zusammengekniffen, als würde er in seinen Kopf hineinschauen und dort Zeuge eines unglaublichen Ereignisses sein.

»Wie findest du die?«, fragte Susanne.

»Super. Klasse.« Das war zwar übertrieben, aber ihm schien es ratsam, auf Lob zu setzen.

»Echt?«

»Na ja, es ist so emotional und dynamisch«, versuchte sich Thomas an einer Erklärung. Klang selbst in seinen Ohren nicht glaubhaft, und Susanne blickte ihn skeptisch an.

»Aha?«

»Du kennst die gut? Bender und so?«, fragte er schnell.

»Klar – kenne ich die. Die proben – proben hier im Haus. Ich find’s blöd, wenn man einen englischen Namen hat und – auf Deutsch singt.«

»Ja.«

»Wie – ja?«

»Na, das ist wirklich nicht einheitlich.«

»Aha?«

Schon wieder dieses Aha. Thomas war sich nicht sicher, was Susanne damit sagen wollte.

Aha, ja, das ist also dein Standpunkt, okay, ist akzeptiert. Oder: Aha, du redest ja ziemlichen Bullshit zusammen. Was bist du für einer? Keine Ahnung, keine richtige Meinung, oder was?

Er trank von seinem Bier und pulte an dem Etikett herum.

»Oh nein, schau mal«, rief Susanne und tippte ihn an. »Der Hund von – von Knorke.« Sie zeigte in Richtung der Bühne, wo auf einmal zwischen den taumelnden Leuten ein großer Hund herumlief. Das Tier bellte verschreckt herum, was freilich niemanden interessierte. »Ich muss mich um den kümmern.«

»Warte mal, ich habe ja noch die Flaschen, die ich dir geben soll.« Thomas zeigte auf seine Tasche, die er neben der Theke abgestellt hatte.

»Flaschen?«

»Hat Bender dir nichts gesagt?«

»Nee. Ich sollte – sollte dich nur abfangen. Aber die Durdens sind – sind eh gleich fertig. Kannst ja mitkommen und sie ihm selber geben.«

Ohne seine Antwort abzuwarten, setzte sie sich in Bewegung.

Thomas zögerte. Sollte er mitgehen? Das Letzte, was er wollte, war, sich aufzudrängen. Aber so alleine an der Theke rumzustehen war auch blöde. Er griff seine Tasche und folgte Susanne, die auf den Hund zusteuerte, ihn am Halsband packte und aus dem Saal ins Treppenhaus zog. An dem Tisch, auf dem die verwaiste Eintrittskasse stand, machte sie Halt.

»Na komm, Terror«, sagte sie und drückte das Hinterteil des Hundes herunter, so dass er sich hinhockte. Sie schloss die Geldkassette, setzte sich auf den Tisch und klopfte mit der Hand neben sich. »Oder willst du lieber – lieber stehen?«

Thomas nahm neben ihr Platz. »Der Hund heißt Terror?«

»Ach, ein völlig – unpassender Name. Der ist die Ruhe selbst. Was man von seinem – seinem Herrchen Knorke nicht sagen kann. Ich hoffe nur, der bleibt nicht für ewig verschollen. Ist einfach verschwunden. Keiner weiß, wohin.«

Thomas holte seine Zigaretten hervor und hielt Susanne die Packung hin.

»Nee, ich – rauche nicht«, winkte sie ab.

»Ich heiße übrigens Thomas.«

»Ich weiß«, sagte Susanne, als sei das nicht selbstverständlich.

Thomas zündete sich eine Zigarette an. So, und nun?, fragte er sich. Worüber reden? Drinnen war es zum Unterhalten zu laut gewesen, aber dafür hatte die Musik alles zugedeckt. Da war es nicht aufgefallen, wenn man schwieg, aber hier …? Irgendeine Frage, ein Thema, das nicht zu krampfig war, musste her. Der Hund noch mal? Doch der leckte und knabberte an seinen Eiern und seinem Schwanz herum. Thomas wusste auf einmal wieder, warum er Hunde nicht mochte. »Arbeitest du fest in diesem Laden?«

Susanne lachte. »Nee. Die Einzigen, die das tun, sind Hans und Lena. Die beiden, die hinter – die hinter dem Tresen stehen. Ich studiere Ethnologie, aber ich helfe bei den Konzerten. Sag mal, was hast du eigentlich – mit deinem Kopf gemacht? Wollte ich vorhin schon – schon fragen.«

Thomas überlegte, ob er Susanne die Einkaufstasche-ist-in-die-Speichen-gekommen-Geschichte erzählen sollte, doch bevor er antworten konnte, tauchte in der Eingangstür der Typ mit den Dreadlocks auf, der heute Nachmittag hinter dem Pult gestanden hatte. Das musste dieser Knorke sein. Terror war jedenfalls sofort auf den Beinen und sprang quietschend an ihm hoch.