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»Das Universum ist ein Baum, der ewig existiert, seine Wurzeln ragen nach oben, seine Äste abwärts. Die reine Wurzel dieses Baumes ist Brahman, der Unsterbliche, in dem die drei Welten ruhen, den niemand erfassen kann, und der das Selbst ist.«

Katha Upanischad, VI, I

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Satya Singh

Fred Hageneder

Baum-Yoga

Inhalt

Vorwort

Teil I – VEDA

Ursprung

Haine und Tempel

Baum und Mensch

Die indo-europäische Verbindung

Kundalini Yoga

Bäume aus yogischer Sicht

Yogi Bhajan

Kommunikation mit Bäumen

Teil II – ASANA

Baum-Yoga

Vorbereitung

Grundwissen

Birke

Ulme

Silberweide

Libanon-Zeder

Holunder

Linde

Kiefer

Eberesche

Buche

Pipal

Eibe

Eiche

Anhang

»Du kannst von einem Baum lernen, in Ekstase aufrecht zu stehen.«

Yogi Bhajan

Vorwort

Jeder Baum hat seine eigene energetische und unsere Seele ansprechende Wesensart. Die Birke zum Beispiel vermittelt Jugendfrische und tänzerische Leichtigkeit, die Eberesche inspiriert mit ihren leuchtenden Farben, und die Eibe strahlt eine erhabene Ruhe aus. Wer intensiv Kundalini-Yoga nach Yogi Bhajan praktiziert, kennt diese Energien. Die Wirkung mancher Übungsreihen ist jener Kraft, die wir von Bäumen aufnehmen können, bestechend ähnlich.

Die Idee dieses Buches ist es, diese beiden Welten zusammenzubringen. Buddha fand seine Erleuchtung nicht zufällig unter einem Pipal-Baum, der bereits im damaligen Indien wegen seiner erhabenen Wesenheit traditionell eine große Verehrung erfuhr. Und auch Yogi Bhajan (siehe Seite 33) wurde seinerzeit nicht zufällig durch seinen Meister, Sant Hazara Singh, dazu gebracht, drei Tage und Nächte auf den Ästen eines Pipals auszuharren.

Die Wirkung des Yoga kann dadurch gesteigert werden, daß wir die Übungen unter oder in der Nähe von Bäumen ausführen, so daß deren Aura einen unterstützenden Einfluß haben kann. Praktiziere Yoga unter einer Eiche, und die Stärke und Entschlossenheit, die dieser Baum ausstrahlt, werden deiner Standhaftigkeit Gelassenheit hinzufügen; oder unter einer Buche, das wird deine Disziplin und Klarheit erhöhen. Jeder Baum wird überdies eine Einladung an deine Herzenskräfte sein, ihm Dank und Segen zurückzugeben.

Dieses Buch enthält eine Einführung in die spirituelle Bedeutung der Bäume und im Hauptteil zwölf Monografien einzelner – mit Ausnahme des Pipal durchweg europäischer – Baumarten mit den zugeordneten Übungsreihen und Meditationen. Letztere entstammen der Fülle der Übungen und Techniken, die Yogi Bhajan seine SchülerInnen lehrte, seit er 1969 aus Indien in den Westen kam. Die Zuordnung einzelner Übungen zu europäischen Baumarten ist natürlich nicht altindisch, sondern das Resultat der Inspiration, der Erfahrung und der sorgfältigen Prüfung seitens der Autoren dieses Buches.

Bei der Auswahl der Übungen galt unser besonderes Augenmerk den stehenden Haltungen, inspiriert durch das Zitat Yogi Bhajans: »Du kannst von einem Baum lernen, in Ekstase gerade zu stehen.« Stehende Übungen sind außerdem praktisch, da der Boden in freier Natur mitunter feucht ist.

Diese Übungsreihen sind also keine »Kriyas« oder »Sets« im traditionellen Sinn des Kundalini-Yoga, sondern besondere Übungsabfolgen, durch die wir uns auf die Energien der Bäume einstimmen können. Wir widmen dieses Buch Yogi Bhajan, in großer Dankbarkeit für die vielen verschiedenen Zweige, die aus dem so fruchtbaren Stamm seiner Lehren sprießen. Sein Abschied von dieser Welt am 6. Oktober 2004 verhinderte leider, daß wir ihm dieses Werk präsentieren konnten, aber wir denken, er hätte sich sehr gefreut, weil er Bäume liebte.

Juli 2005

Satya Singh, Hamburg, Deutschland

Fred Hageneder, Stroud, Großbritannien

Teil I

Veda

»Aufwärts die Wurzel, abwärts die Zweige, sagt man, habe der unvergängliche Asvattha, dessen Blätter die Veden sind: Wer ihn kennt, der ist des Veda [Wissens] kundig.«

Bhagavadgita, XVI, I

Ursprung

Am Anfang, in der endlosen Weite der Leere, erschien ein einziger, winziger Punkt. Der »Nabel der Welt« enthielt bereits das gesamte Universum, das sich schließlich aus ihm entfaltete wie ein Sprößling aus einem Samenkorn. Während sich der physikalische Kosmos vorwiegend in zirkulären Formen und Bewegungen wie Planeten, Sternen, Umlaufbahnen und Spiralgalaxien manifestierte, verzweigte sich der geistige Aspekt des Universums in Baumgestalt.

Alles, was existiert, ist ein Teil der organischen Einheit des Weltenbaumes. In der körperlichen Welt mögen die Dinge getrennt voneinander erscheinen, aber in Wahrheit sind sie miteinander verbunden und vereint. Der allgegenwärtige Geist gehört nicht den Menschen allein und ist nicht in ihrem begrenzten Denken geboren, sondern ist die unvergängliche Wurzel allen Seins. Seine Qualität ist Liebe.

Alle Wesen der Schöpfung sind heilig, denn sie sind alle Teil des EINEN Organismus, des Weltenbaumes, des Baumes des Lebens. Menschliche Wesen sind besonders kostbar aufgrund ihrer Möglichkeit des freien Willens, der sie zu einem »Werkzeug« (Wirkzeug) der Natur macht, Liebe und Mitgefühl in der physischen Welt zu manifestieren. Tiere sind besonders kostbar, denn sie sind die Verwirklichung der schöpferischen Vielfalt der Seele (Anima – animals). Pflanzen und namentlich Bäume sind besonders kostbar, denn sie verkörpern in stofflich reinster Form die Gestalt des unvergänglichen Baumes des Lebens; und sie bringen Teilbereiche seiner heilenden Energien in das Irdische.

Die Basis für die obengenannten Gedanken entwickelte sich vor Zehntausenden von Jahren und stellt einen Teil der Weltsicht unserer jungsteinzeitlichen Vorfahren dar. Archäologische Fundstücke mit Darstellungen des Weltenbaumes reichen über 40.000 Jahre zurück. Durch die Zeitalter hindurch wanderten menschliche Gruppen, ließen sich in neuen Landschaften nieder, verschmolzen mit einheimischen Bevölkerungen, neue Gruppen zogen weiter. Das Urbild des Weltenbaumes zog mit ihnen, und als sich die verschiedenen Kulturen der Menschheit ausformten, nahm auch das Bild des Weltenbaumes unterschiedliche Gestalt an. Doch während sich die Attribute, die heiligen Namen und Rituale, wandelten, blieb der Kern unverändert. Und so finden wir heute erstaunliche Übereinstimmungen in der Bedeutung und den Feiern des Heiligen Baumes – in den verschiedensten Kulturen, zwischen denen ansonsten große zeitliche oder geographische Entfernungen liegen.

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Abb. 1: Jungsteinzeitliches Motiv des Weltenbaumes mit dem Symbol der Schlange. (Fundort: Elam, Persien).

Die wesentlichen Merkmale in der Kosmologie des Lebensbaumes sind:

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Abb. 2: In der vordynastischen Zeichenschrift des alten Ägypten (ca. 3000 v. Chr.) ist die Glyphe für »gebären« (rechts) abgeleitet von derjenigen für »Baum« (links).

Der Baum des Lebens ist der Ursprung aller Dinge. Jede Lebensform stammt von ihm, seine Samen enthalten alle Lebensformen. (Anm.: Leider ist das Wort Baum im Deutschen maskulin, der Weltenbaum dagegen enthält natürlich beide Geschlechter und hat ansonsten – als gebärendes Urwesen – eine eher weibliche Ausprägung. Es müßte also heißen: Jede Lebensform stammt von ihr, ihre Samen enthalten alle Lebensformen … Sie ernährt sie alle und hält auch das Mittel zur endgültigen Heilung aller Wunden bereit.)

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Abb. 3a: Der Lebensbaum wird meist von zwei metaphysischen Wächtern behütet, auf diesem keltischen La Tène-Motiv sind es zwei Schlangen und zwei Vögel.

Vor etwa 2.600 Jahren sprach der persische Hohepriester Zarathustra über den Weltenbaum: »Er ist wohlwollend, freundlich und in der Wahrheit geboren, der Spender von Wohlergehen und Gesundheit, er ist erhaben und von goldenem Schimmer; seine Zweige beugen sich herab, daß man sich ihrer erfreuen kann. Für die Seele ist er der Weg zum Himmel.«

In der Mythologie der Alten Welt steht der Baum des Lebens in einem paradiesischen Garten (Symbol für die Schöpfung im Stadium der Vollkommenheit) und wird bewacht von einem magischen Wesen, meist einer Schlange, einem Drachen oder einem Cherubim (Erzengel). In Anbetracht der Dualität des menschlichen Bewußtseins (linke Hirnhälfte kausal, rechte Hirnhälfte intuitiv) erscheint der Wächter oft als ein Paar: Wir müssen die ZWEI (Dualität) überwinden, um EINS zu werden mit dem Weltenbaum, dem Weltengeist.

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Abb. 3b: Im alten Orient waren die Wächter des Lebensbaumes meist zwei Cherubim (Erzengel), wie auf diesem Relief auf einer vorpersischen Steinschale aus Susa, ca. 2300 v. Chr.

Der Baum des Lebens ist die fundamentale Grundstruktur des ewigen, unsichtbaren Universums, das hinter der Welt der Erscheinungen liegt. Die Essenz des Baumes ist Geist und daher ist er (als Baum der Erkenntnis) unser Pfad zu wahrem Verstehen, geistigem Wachstum und Erleuchtung. Das bekannteste historische Beispiel hierfür ist die Geschichte des Buddha (siehe auch Pipal, S. 172).

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Abb. 4: Erkenntnissuche unter dem heiligen Baum gab es zu allen Zeiten. Der Buddha wurde ursprünglich mit einem leeren Thron am Fuße des Bodhi-Baumes (»Baum der Erleuchtung«) symbolisiert. Er hat die Grenzen von Körper und Ego überwunden und ist eins geworden mit dem kosmischen Baum. Auf diesem Motiv der Stupa von Barhut huldigen Elefanten dem (unsichtbaren) Buddha.

Die Essenz des Lebensbaumes ist eine Substanz, die Gesundheit und sogar Unsterblichkeit schenkt. In manchen Mythen wird sie als die Frucht des Baumes dargestellt – z. B. als die »Äpfel« vom Baum der Hesperiden (Griechenland) oder diejenigen der Iduna in Asgard (Skandinavien), in anderen Traditionen als der Saft des Baumes (homa im alten Persien, soma in Indien). Dieser göttliche Nektar schenkt auch Allwissenheit. Im keltischen und germanischen Mythos wird er in einem magischen Kessel gebraut, der im Besitz der Götter ist.

Haine und Tempel

Um die Fruchtbarkeit und Vielfalt der Natur zu feiern, lag es seit jeher nahe, mächtige alte Bäume oder kraftvolle Haine als Ort dafür zu wählen. Solche Plätze wurden bei der Mehrzahl der frühen Kulturen zu den traditionellen Heiligtümern und Kultplätzen. Natürlich brauchten die Menschen überall auch Nutzholz: zum Bauen, als Brennmaterial, für Werkzeuge und Haushaltsgegenstände. Schon recht früh in der »Vorgeschichte« wurden daher Teile des Urwaldes zu Nutzwald erklärt und regelmäßig »geerntet« (Niederwald*). Aber die Menschen gaben der Natur auch zurück, in Form von Gebeten, Segnungen und vielerlei Opfergaben aus Blumen und Früchten, anderen Nahrungsmitteln, Getränken (Wasser, Milch, Bier, Wein),Tabak oder wertvollen Holz- oder Metallgegenständen. Wichtiger als der eigentliche Nähr- oder Gebrauchswert einer Opfergabe jedoch war – und ist – der Bewußtseinsstrom, der die Gabe begleitet, die Liebe, der Segen, die Hingabe, die tief empfundene Dankbarkeit.

Lange Zeit in der menschlichen Entwicklung gehörten heilige Haine und Bäume zu den wichtigsten Plätzen religiöser Aktivität (neben Quellen, Höhlen, Bergspitzen und Feuern). Dies gilt für die keltischen, germanischen, slawischen, baltischen und finno-ugrischen Bevölkerungsgruppen Europas und Asiens, aber auch für die Kulturen Roms, Griechenlands, des Nahen Ostens, des taoistischen China, Japans und des fernen Ostens sowie vieler Gebiete in Afrika, Australien und Amerika.

Bereits zu einem frühen Zeitpunkt tauchten Altäre unter den heiligen Bäumen auf, dann Baldachine oder Dächer über den Altären und schließlich Tempel. Während sich die Zeitalter änderten und die religiöse Ausrichtung sich mehr auf das Innere des Menschen verlagerte, gerieten die Bäume und Haine bei den Tempeln zunehmend in Vergessenheit, obwohl die meisten heiligen Bezirke durchaus ihre Tempelgärten und -haine noch für lange Zeiten bewahrten. Selbst die erlesenen Gebäude der griechischen Akropolis in Athen bargen den heiligen Olivenbaum der Göttin Athene in ihrer Mitte.

Der Einfluß der Bäume findet sich auch in der Geschichte des Christentums. Die frühen (keltischen) christlichen Heiligen wählten oftmals ein hartes Leben der Entsagung in einfachen Steinhütten oder in hohlen Bäumen (in Irland meist alte Eiben), unter denen sie auch predigten. Einige dieser Baum-Eremitagen entwikkelten sich zu großen Klöstern und Stätten der Bildung.

*In der Niederwaldwirtschaft werden die Bäume alle 4 bis 10 Jahre dicht über dem Boden geschnitten. Arten wie Haselnuß, Esche und Weide werden dadurch in ihrem Wachstum noch angeregt und können außerdem (als Wurzelstock) viel älter werden als in »freier« Natur.

Baum und Mensch

Ein kurzer naturwissenschaftlicher Blick auf den Baum zeigt schnell, warum Menschen überall auf der Welt Bäume und Haine zu Tempeln des Lebens erklärt haben und ihre Gegenwart suchen, besonders zu Zwecken der Heilung und der Bewußtseinserweite-rung.

Im Jahre 1925 wurden die elektrischen Ströme eines Baumes (eines Ahorns) zum ersten Mal gemessen und aufgezeichnet. Eine Langzeituntersuchung an der University of Yale (1943-1966) bewies danach zweifelsfrei, daß Bäume ein bio-elektrisches Feld haben.

Die elektrischen Spannungsverhältnisse von Bäumen folgen einem Tagesrhythmus mit dem Tiefpunkt am frühen Morgen und dem Höhepunkt am Nachmittag sowie einem Jahresrhythmus mit dem Tiefpunkt im April und dem Höhepunkt im September (auf der Nordhalbkugel). Die bio-elektrischen Felder von Bäumen reagieren außerdem feinfühlig auf Veränderungen des Lichtes, der Luftelektrizität und sogar des Erdmagnetfeldes. Sie spiegeln die Mondphasen ebenso wie den etwa elfjährigen Sonnenfleckenzyklus. Auf der Grundlage dieser irdischen und kosmischen Rhythmen hat jede Baumart ihre einzigartigen artspezifischen Charakteristika entwickelt. Die elektromagnetische Aktivität einer Birke zum Beispiel ist etwa doppelt so stark wie die einer Tanne mit gleichem Stammesumfang. Eichen sind in dieser Hinsicht die vitalsten Bäume unserer Breiten. Pflanzen sind außerdem fähig, ihre bio-elektrische Aktivität selbst zu steuern, d. h. sie sind nicht auf das bloße Reagieren auf Umweltbedingungen beschränkt, sondern können nachweislich auch aus eigenem Impuls heraus Prozesse einleiten.

Die Elektrizität spielt überhaupt eine ganz zentrale Rolle im Stoffwechsel allen biologischen Lebens. Pflanzenzellen können die Nährstoffe überhaupt nur deshalb absorbieren, weil diese die dem Zellinneren entgegengesetzte elektrische Ladung haben. Auch die Photosynthese ist zum großen Teil ein bio-elektrischer Prozeß. (Für eine detaillierte Darstellung aller in dieser Einführung angesprochenen Themenbereiche siehe die betreffenden Kapitel im Buch »Geist der Bäume« von Fred Hageneder.

Abgesehen von ihren eigenen bio-elektrischen Vorgängen, welche sich hauptsächlich in den lebendigen Zellschichten unter der Rinde und in den Blättern vollziehen, leiten Bäume ständig positive Ladung der Ionosphäre in die negativ geladene Erdkruste ab. Ein einfaches Gesetz der Physik besagt, daß ein von Strom durch-flossener Leiter um sich herum ein elektromagnetisches Feld er -zeugt. Die Tatsache, daß Bäume eine Aura haben, läßt sich somit einleuchtend belegen.

Da sich die elektrisch aktiven Schichten direkt unter der Rinde befinden, hat das Umarmen von Bäumen eine zutiefst vitalisierende Wirkung; ebenso das Sitzen mit dem Rücken am Baum, bei dem eine gegenseitige Stimulierung zwischen den Energieströmen des Baumes und den Energieströmen in und entlang unserer Wirbelsäule und in unserem Gehirn unausweichlich ist.

Wer sich für diese feinen Ströme sensibilisiert hat, wird bemerken, daß sogar jeder Ort innerhalb des Kraftfeldes des Baumes, also im gesamten Bereich unter seiner Krone, genauso gut ist wie ein Platz am Stamm.

Darüber hinaus wirken Bäume als Empfänger und Verstärker außerirdischer Strahlung. Die Knospen in ihren vielfältigen Formen und Größen reagieren wie speziell geeichte Antennen auf unterschiedlichen Wellenlängen. Dies wiederholt sich auch auf mikroskopischer Ebene in den Proportionen und Strukturen der Zellorganellen: Alle DNS-Stränge beispielsweise sind genau abgestimmt auf den Wellenbereich unseres Sonnenlichtes.