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Lu†her

Der Tod

Lu†her

Der Tod

© 2017 Lu†her

Illustration: Petra Bichler

Lektorat, Korrektorat: Bianca Weirauch

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

978-3-7439-6523-2 (Paperback)

978-3-7439-6188-3 (Hardcover)

978-3-7439-6189-0 (E-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Gott ist, weil es den Tod gibt.

Lu†her

 

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Prolog

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.

Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.

Und Gott sprach: Es werde Licht! und es ward Licht.

Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.

Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, und die sei ein Unterschied zwischen den Wassern. Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah also. Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der andere Tag.

Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Örter, dass man das Trockene sehe. Und es geschah also.

Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer.

Und Gott sah, dass es gut war.

Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das sich besame, und fruchtbare Bäume, da ein jeglicher nach seiner Art Frucht trage und habe seinen eigenen Samen bei sich selbst auf Erden. Und es geschah also. Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das sich besamte, ein jegliches nach seiner Art, und Bäume, die da Frucht trugen und ihren eigenen Samen bei sich selbst hatten, ein jeglicher nach seiner Art.

Und Gott sah, dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.

Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf Erden. Und es geschah also. Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch Sterne. Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis.

Und Gott sah, dass es gut war. Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.

Und Gott sprach: Es errege sich das Wasser mit webenden und lebendigen Tieren, und Gevögel fliege auf Erden unter der Feste des Himmels. Und Gott schuf große Walfische und allerlei Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser sich erregte, ein jegliches nach seiner Art, und allerlei gefiedertes Gevögel, ein jegliches nach seiner Art.

Und Gott sah, dass es gut war.

Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehrt euch und erfüllt das Wasser im Meer; und das Gefieder mehre sich auf Erden. Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.

Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendige Tiere, ein jegliches nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art. Und es geschah also.

Und Gott machte die Tiere auf Erden, ein jegliches nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art, und allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art.

Und Gott sah, dass es gut war.
1 Moses Kap. 1 Verse 1-28
(Alle Zitate sind der Lutherbibel 1912 entnommen)

Der Tod

Es heißt, der Tod ist ein schwarzer Mann. Ich weiß es genau, er ist ein schwarzer Mann.

Dumpfes ausdruckloses Gesicht, gedungene Gestalt und Augen so leer, dass sie im Gegensatz zu der knolligen Nase in seinem Antlitz wie angemalte Steine wirken.

Der Tod ist stumpf in seinem Tun, sehr behäbig. Dem Tod bei seiner Arbeit zusehen ist hochgradig langweilig, ja sogar sterbenslangweilig, nur dass beim Sterben eben keine Langeweile aufkommt.

Ich begleite den Tod nun schon eine lange Zeit, eine lange Zeit für mich, denn er, der Tod, er besitzt sie nicht, die Zeit. Er beendet sie.

Das erste Mal bin ich dem Tod in einem Traum begegnet. Ich stand auf der Brüstung einer Festung, die in den Felsen gebaut war, und schaute in die Tiefe.

Ich beobachtete mich selbst, betrachtete von der Seite mein gespanntes Gesicht und verfolgte, wie sich die Menschen am Fuße des Felsens gegenseitig niedermetzelten.

Es war in einer Unwirklichkeit, die mich noch lange Zeit festhielt, und doch lernte ich damals eines: Der sofortige gewaltsame Tod ist kein Tod, es ist ein Dem-Leben-Entreißen. Der Tod schleicht sich immer an. Ich habe ihn Minuten, Stunden und Tage später vor Ort gesehen. Wie er die Lebenden in ihrer Verwundung sanft berührte und geleitete.

Die Griechen nannten ihn Thanatos. Er war ein Gott zwischen Hell und Dunkel.

Dieser Traum – ich nenne es heute meine Erste Begegnung – geriet schnell in Vergessenheit, es muss wohl ein anderes Leben, ein anderes Ich gewesen sein, denn wiedergefunden habe ich mich im Wohnzimmer – stehend, und der Tod war da.

Er, der schwarze Mann, war vor mir und griff nach meinem Hund. Bis ich verstand, was denn hier geschieht und passiert, sah ich nur zu, wie seine Hand nach meiner blonden Hündin griff, die friedlich auf ihrer Decke lag. Auf einmal gab sie einen lauten letzten Ton von sich. Ich wusste nicht, dass dieser Ton der letzte sein wird, und in dem Moment, in dem ich begriff, verspürte ich einen nie dagewesenen Hass in mir, der sich auf den Tod fokussierte. Ich schlug nach ihm. Doch der Tod, er wurde zu einem Hologramm. Meine Faust glitt ebenso durch ihn hindurch wie der Tod durch mich.

Sie lag da. Alles Leben aus ihr gewichen, der Endlichkeit des Seins entronnen, in einem Zustand, der dem Sein nicht bekannt ist, und ein tiefer Schmerz, viele würden es Trauer nennen, erwachte gleichsam in mir.

Ich verstand, dass, wann immer der Tod jemanden holt, er Stücke der Lebenden mitnimmt, dass es nicht nur darum ging, ein Lebewesen in seinem Sein zu unterbinden, es ging darum, die Verbindungen dieses Lebewesens in all den anderen Seins seines Lebens zu durchtrennen. Was bleibt, ist verblassende Erinnerung.

Und ich verstand noch etwas: Der Tod, er ist eine frustrierende Angelegenheit. In seiner Leblosigkeit kann man ihn nicht stören, aus seinem Nichtsein nicht erwecken.

So stand ich da und musste meine geliebte Hündin zu Grabe tragen. Geliebt war sie, in dem Sinne, dass ich sie wirklich lieb hatte. Sie war mein. Mein Besitz, meine Fähigkeit, über ein Leben zu bestimmen und doch gut zu ihr zu sein. Und der Tod hat mir das genommen. Wer gehört mir jetzt noch?

So lernte ich den Tod hassen. Abgrundtief, mit jeder Faser meines Herzens, ich hasste ihn.

Wussten Sie, dass schwarze Hunde länger leben als helle? Ich wusste es nicht, und schon gar nicht wusste ich warum, doch die Erforschung des Todes hat es mich herausfinden lassen.

Wie erforscht man den Tod?

Ich bin Mitteleuropäer, aufgeklärt, ein Rationalist, ein Mann der Wissenschaft, erzogen im Glauben Christi, ein Kind meiner Kultur. Ich gebe mich mit Pauschalerklärungen wie Er ist Teil des Lebens oder ist halt so nie zufrieden. ICH will es wissen.

Also ward vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und also vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er machte.

Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, darum dass er an demselben geruht hatte von allen seinen Werken, die Gott schuf und machte. Also ist Himmel und Erde geworden, da sie geschaffen sind, zu der Zeit, da Gott der HERR Erde und Himmel machte. Und allerlei Bäume auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und allerlei Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn Gott der HERR hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und es war kein Mensch, der das Land baute. Aber ein Nebel ging auf von der Erde und feuchtete alles Land.

Und Gott der HERR machte den Menschen aus einem Erdenkloß, und blies ihm ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele. Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Morgen und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, lustig anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn baute und bewahrte. Und Gott der HERR gebot dem Menschen und sprach: Du sollst essen von allerlei Bäumen im Garten; aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn welches Tages du davon isst, wirst du des Todes sterben. I Moses 2:1-17

Der Tod hat uns Menschen immer begleitet, naja, nicht immer, denn angeblich im Garten Eden, dem Garten dieses Schöpfergottes mit all seinen Komplexen und Unzulänglichkeiten, dort herrschte er nur im Unverstandenen als Baum in der Mitte des Gartens.

DER BAUM der Erkenntnis von Gut und Böse, der doch nicht das Gut und Böse zeigte. Vielmehr hätte er der Baum der Erkenntnis von Ewig und Vergänglich heißen müssen. Ein verzweifelter Akt eines unsicheren Gottes, der es in seiner Allmacht und Pracht nötig hatte, den Menschen auf die Probe zu stellen. Welch Schwachsinn.

Und Gott der HERR sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.

Denn als Gott der HERR gemacht hatte von der Erde allerlei Tiere auf dem Felde und allerlei Vögel unter dem Himmel, brachte er sie zu dem Menschen, dass er sähe, wie er sie nennte; denn wie der Mensch allerlei lebendige Tiere nennen würde, so sollten sie heißen.

Und der Mensch gab einem jeglichen Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen ward keine Gehilfin gefunden, die um ihn wäre.

Da ließ Gott der HERR einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm seiner Rippen eine und schloss die Stätte zu mit Fleisch.

Und Gott der HERR baute ein Weib aus der Rippe, die er vom Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.

Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin heißen, darum dass sie vom Manne genommen ist.

Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hängen, und sie werden sein ein Fleisch. Und sie waren beide nackt, der Mensch und das Weib, und schämten sich nicht. 1Moses 2: 8-25

Ich wurde zornig, nicht auf den Tod, zornig auf Gott! Was ich lese, hier in seinem heiligen Buch, wie sollte ich das verstehen?

Es war nicht mehr als die Laune eines Kindes, das sein eigenes Spiel nicht versteht und sein Spielzeug als ein Art Test-Dummy wie in einer dieser Fahrzeug-Crashs verwendet, gegen die Wand fährt und schaut, welche Körperteile unverletzt bleiben. Ich kenne den Tod zu genau, um Gott mit Hochachtung zu begegnen, der Gott der Anti-Entropie, der um die Entropie zu begreifen, zu realisieren, seine Geschöpfe selbiger unterwirft.

Und es war ein eitler, ein gekränkter Gott, dessen Eigenschaft der Idee der "Besonderheit" in all seiner Schöpfung mitverankert ist. Aber nur das, mit der Idee der Ewigkeit in unserem Herzen, das war sein Baum, ein Makel seiner selbst, und die Prüfung des Menschen bestand darin, diesen Makel Gottes zu ertragen.