Wegen Renovierung offen
Wegen Renovierung offen

Inhalt

Dank

Vorbemerkung

Vorwort

1. Wie alles begann

2. Baumeister Schrabit

3. Man reist

4. Die Handwerker

5. Die Großbaustelle

6. Kleingärtner

7. Der Handwerker und der ­Heimwerker

8. Die Kropschs

9. Im Keller

10. Der alte Schindler

Unsortierte Begriffe, die Ihnen beim Bauen bestimmt unterkommen werden

Platz für eigene Wortsammlung

Dank

Ich danke meiner wunderbaren Frau und meiner Tochter, die nicht nur mit mir gemeinsam ein Haus gebaut haben, sondern so unendlich viele Bausteine für mein Leben darstellen.

Danke!

Es ist schön, mit euch zu bauen.

Es ist schön, mit euch zu leben.

Vorbemerkung

Ich darf mich bei allen bedanken, die mir Geschichten und Erfahrungen schenkten und so die Möglichkeit gaben, dieses Buch überhaupt zu schreiben.

Ziel des Buches sollte es auf keinen Fall sein, eine Zunft zu übervorteilen oder zu denunzieren. Es ist einzig und alleine meine Sicht auf mein damaliges Arbeitsfeld, welches mich noch immer fasziniert. Ich möchte an dieser Stelle den vielen Menschen, die ich auf meinen Baustellen kennenlernen durfte, meinen Respekt aussprechen. Ihre Arbeit ist oft schwer und noch öfter bleibt sie unbedankt. Die Kreativität jedes Einzelnen wird oft mit Füßen getreten, und allzu oft wird am Ende eines Projektes den Falschen für die gute Zusammenarbeit gedankt.

Dieses Buch ist nicht als Lehrbuch zu sehen, da technische Lösungen so beschrieben sind, wie ich sie persönlich für richtig erachte, sie jedoch möglicherweise anders unterrichtet werden. Viele Wege führen zum Ziel. Funktionieren müssen sie.

Ob Sie, liebe LeserIn, zu jenen gehören, die gerade mitten in einem Bauprojekt stecken, oder ob Sie es gerade hinter sich gebracht haben, ob Sie kurz davor sind, einen Neu-, Zu- und/oder Umbau zu starten, entzieht sich meiner Kenntnis. Doch was auch immer Sie tun, ich wünsche Ihnen die größtmögliche Freude dabei und von Herzen viel Erfolg, denn schließlich »bauen« wir alle rund um die Uhr.

Das Leben ist eine Baustelle, und fertig ist man NIE.

Vorwort

Ich wollte immer schon etwas bauen. So schaufelte ich stundenlang Sand zu einem riesigen Hügel auf, doch nie war es genug. Dann wollte ich mehr. Ich wollte ein Hochhaus errichten – um letztendlich Kabarettist zu werden. In Summe eine lange Geschichte. Haben Sie Zeit?

Schön! Dankeschön! Also freut es mich.

Es begann, wie gesagt, alles mit dieser Sandburg. Nein, anders.

Das Bauen ist so alt wie die Menschheit selber. Vielleicht nicht ganz so alt, doch hat es eine Geschichte von ca. 12.000 Jahren. Der Mensch war bestrebt, nachdem ihm der Ackerbau seine Sesshaftigkeit ermöglichte, sich eine Hütte zu errichten, um darin seine Brut, aber auch nicht zuletzt sich selbst zu behüten. Die Entwicklung ging rasch voran. Aus anfänglichen Pfahlbauten wurden Rundhütten aus Trockenmauerwerk bis hin zu Hallenhäusern, Lehmhütten, Fachwerkhütten, Ziegelhäusern … der Mensch baute. Aus anfänglichen Verzierungen, die möglicherweise ein williges Weibchen anlocken sollten – wir kennen das aus der Vogelwelt –, wurden am Ende oft viel zu große Häuser, mit viel zu großen Garagen, mit viel zu hässlichen Fassadenfarben, von Architektur so weit entfernt wie Trump vom Friedensnobelpreis. Das damals willige Weibchen hat sich beim allwochenendlichen Betonmischen und »Schnitzel-für-die-Freunde-Backen« im Laufe der Kalenderwochen in eine unwillige Baufrau verwandelt, die das traute Heim mit der Brut, die ihren Vater aufgrund der ständigen Bauarbeiten nie kennenlernte, schließlich noch vor Fertigstellung des Wohnzimmerlaminates verlassen hat. So baut man eben für die Neue weiter. Doch auch sie wird sich, rein optisch, in Richtung »bester Freund des Mannes« entwickeln, so sie die Bühne nicht erst nach Fertigstellung der Bleibe betritt.

Bauen und Wohnen. Ganze Messen werden so benannt. Das Bauen ist etwas Elementares. Heute ist die Großbaustelle der letzte legale Menschenhandel, und die Baumärkte haben sich zu »Drogenumschlagplätzen« für Häuslbauer entwickelt. Kaum einer, der wirklich weiß, wo der Hammer hängt, hält es aus, am Samstag nicht noch vor dem Läuten der Zwölf-Uhr-Glocke einen Baumarkt besucht zu haben. Es sind die Postwurfsendungen, die auch die »Bitte-keine-Werbung«-Barriere durchbrechen. Sie machen uns lange Zähne, wenn wir sehen, wie eine Wandhalterung für einen Gartenschlauch wirklich aussieht, wie man den Garten wirklich bewässert, wie man im Handumdrehen aus der alten, verrosteten Garagentüre ein Tor macht, welches sich über ein App kinderleicht mit dem Handy öffnen lässt. Das sind die Drogen, die der Häuslbauer braucht.

Was kann schöner sein, als eine komplette Kanalisation zu planen und in weiterer Folge auch selber zu errichten, wenn man das richtige Material zu Hause hat und die Gummilippe, frisch eingefettet, fast wie von selber in die Verbinder im stets richtigen Winkel rutscht. Das ist der Himmel! Das heißt, sich nach fünf Stunden auf Knien aufrichten, warten, bis die Sternchen vor den Augen verschwinden, den Wasserhahn aufdrehen und bei der Putzöffnung kurz vor dem Eintritt des Kanals in das öffentliche Gut ausharren, bis Wasser fließt. Wenn das der Fall ist, dann gibt es nichts – und zwar rein gar nichts, was dich noch aufhält, mit einem lauten Bier-Ruf darauf zu dringen, dass mindestens ein Familienmitglied mit selbigem eisgekühlt in Windeseile antanzt und dir zum ersten und zweiten Schluck maximale Bewunderung ausspricht. Der Verwandte darf sich nach dieser Lieferung selbstverständlich nicht zurückziehen. Nein, er muss in Folge den Schilderungen des »Künstlers« lauschen: mit welch enormem Kraftakt, welch heroischer, absolut übermenschlicher Leistung er es schlussendlich geschafft hat, diese schier unlösbare Aufgabe zu meistern, nämlich das anfallende Schmutzwasser vom Garagenbecken bis zum Kanal zu leiten.

Ärger für alle Betroffenen wird es, wenn sich ein »bester Freund« ihm zur Seite stellt. Einer, der sich auskennt. Einer, der weiß, wie es geht, und selber nie einen Handwerker bestellen würde. Doch befinden wir uns immer noch im Bereich der »Häuslbauer«. Wenngleich es dort seinen Anfang nahm, wollte ich eigentlich immer Hochhäuser bauen. Doch es begann anders, nämlich ganz anders. Im Kleingarten. Und davor wichtig: SCHULBILDUNG!

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Wie alles begann

Meine Zeit in der Schule. Für einen Kurzfilm zu lang, für einen Thriller zu wenig spannend, für eine Doku zu wenig Inhalt, für ein Epos zu wenig handelnde Personen und für einen 90-Minüter zu fad. Jene Zeit, die ein junger Mensch in der Schule nützt, und jene, die er nutzen könnte, sind mehr als zwei Paar Schuhe. Ich möchte an dieser Stelle den Inhalt, mit dem man seine Schulzeit füllt, kurz beleuchten.

Natürlich gibt es von höherer Stelle einen Lehrplan. Natürlich haben sich wissende Menschen in den Ministerien und in den einzelnen Bildungseinrichtungen Gedanken darüber gemacht, wie man am besten welches Wissen in welcher Zeit an Kinder weitergeben kann. Wie bilden wir den Lehrkörper aus? Wie schaffe ich eine angenehme Lernstruktur, und was soll am Ende dabei rauskommen? Dass sich das vorherrschende Schulsystem nach wie vor heftig gegen die Meinungen sämtlicher Hirnforscher auf diesem Planeten stemmt, liegt sicher nicht zuletzt daran, dass der Hirnforscher niemanden ausbilden will, der nach seiner Ausbildung jemanden braucht, der ihm sagt, was er denken soll.

Da stehen einander zwei Zielvorstellungen gegenüber. System gegen Möglichkeit. Die Zeit wird uns zeigen, wem wir hätten mehr Beachtung schenken sollen. Ich glaube, ich weiß es.

Was meine Schulzeit betrifft, wollten sicherlich alle Beteiligten das Beste für mich. ICH wollte etwas anderes. Etwas noch Besseres. Bei der Beschreibung meiner HTL-Zeit darf ich meinen späteren Schauspiellehrer zitieren, der seine eigene Schulzeit mit den Worten »Barfuß durch die Hölle« beschrieben hat. Treffender schaffe ich es für mich nicht. Als Freigeist, Musikant, Dichter und Texter, Klassenclown und pubertierender Rebell passt man schlichtweg in kein System.

Gestärkt durch die Erfahrung, ein Schulsystem überlebt zu haben, hat man mich dann doch mit einer abgeschlossenen HTL-Matura, veramtlicht mit einem Zeugnis, hinaus ins Leben geschickt.

Der Schritt von der Schulbank auf den zum Bauen freigegebenen Grund ist aber ein riesengroßer. Willkommen in der Welt, Herr Seidl!

Bereits beim Bundesheer habe ich gemerkt, dass allein schon mit dem Wort Ausbildung etwas nicht stimmen kann, müsste doch sonst der Ausbildner eine andere Figur machen. Die Zeit im grünen Kostüm näher zu beschreiben, würde ein eigenes Buch erfordern. So viel jedoch sei gesagt: In der Welt war ich noch immer nicht angekommen. Acht Monate ziehen ins Land. Ich rüste ab als Gefreiter. Das ist das Wenigste, was man erreichen kann, und trotzdem hat man etwas erreicht. Nach acht Monaten Heer einen zusammenhängenden Satz zu sprechen ist eine hohe Kunst. Besser wäre es zudem gewesen, sich nach all den Jahren einmal richtig Auszeit zu nehmen. Rucksack packen, und los geht’s. Irgendwohin. Ohne Ziel. Leben. Zeit genießen – ohne Lehrer, ohne Oberst, und vor allem ohne Plan.

Mein Weg war ein anderer, denn ich brauchte Geld. So begann ich, mir eine Arbeit zu suchen. Wo? In der Baubranche. War ich doch bestens ausgebildet. Jung, dynamisch und voller Tatendrang. Mit heller Hose, weißem Hemd und hellem Gilet stellte ich mich bei meinem ersten Arbeitgeber vor. Baumeister Schrabit.

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Baumeister Schrabit

Eine kleine Firma, bestehend aus dem Baumeister selber, einer Sekretärin halbtags, einem weiteren Bauleiter und einem Verkäufer. Nachdem ich mir im Baubüro meinen eigenen Schreibtisch gerichtet hatte, schickte mich mein Baumeister mit folgenden Worten auf die erste Reise: »Seidl, do host 20 Schülling, foa zum Quester. Kauf a Sackl Koik und a Pfandl. Do host an Plan. Foast noch Mixendorf. Muagn um sechse kummt der Bagger

So stehe ich in Mixendorf auf einer riesigen Fläche Brachland und soll mit Kalk am hüfthohen Gras anzeichnen, wo sich die Außenkanten der Baugrube für den Baggerfahrer befinden. Alle 30 m ragten ein Wasserschlauch und ein Stromzähler aus dem Boden. Es schüttet wie aus Schaffeln. Mir fällt weder ein, wie man ohne Kompass erkennt, wo Norden ist, noch wie man ohne Geodreieck im hüfthohen Gras einen rechten Winkel anreißt. Da wünscht man sich seinen Mathematikprofessor neben sich – in Gummistiefeln, die mittlerweile 25 kg schwer sind – und möchte ihm zusehen, wie er langsam im Schlamm ertrinkt, da er so eine Aufgabe voraussichtlich auch noch nie gelöst hat in seiner Existenzblase. Aber: Wo ein Seidl, da auch ein Weg. Gemacht, geschafft! Die Bagger können kommen.

Das war der letzte Tag in meinem Leben ohne Handy. Zur Information an alle jüngeren Leser dieses Buches: Es klingt vielleicht lächerlich, doch 1996 war es noch lange nicht so, dass bereits Fünfjährige mit einem Smartphone hantieren konnten … oft besser als ihre Eltern. Es gab zu dieser Zeit zwar schon Handys, doch es gab auch noch Telefonzellen, wenn ihr wisst, was ich meine. Nur ganz wenige Leute konnten sich zu diesem Zeitpunkt so ein Ding leisten. Ich hatte eines. Ich habe es von meinem Baumeister nach der Aktion in Mixendorf bekommen. Ein Ericsson, das mit der abnehmbaren kurzen Antenne und dem blauen Ring.

Dieses Teil konnte man oft weiter werfen, als man damit telefonieren konnte, da man sich im Grunde genommen von einem Sendeloch zum anderen hanteln musste. Aber man konnte mit dem Gerät dafür auch einen Nagel einschlagen. Es gab darauf weder eine Kamera noch ein Navi. Mein Ericsson konnte nur telefonieren und Telefonnummern speichern.

Auf einem winzigen Display konnte man die Nummer und den Namen dessen ablesen, der gerade anrief oder den man gerade gewählt hatte. Der kleine Akku hielt sieben Stunden. Der große Akku doppelt so lang, wenn man nicht telefonierte und wenn man akzeptierte, dass das Gerät dadurch so schwer wie eine Aktentasche wurde. Stolz war ich und habe bewusst so telefoniert, dass jeder erkennen konnte, ich gehöre zu denen, die ein Handy haben. Heute bist du wer, wenn du keines brauchst. Die Zeiten ändern sich.

Wichtig: Die Rechnung hat ein anderer bezahlt. Ein weiteres Grundgesetz am Bau.


1. Weisheit: Bei allem, was du bestellst: WER ZAHLT?

Meine erste Begegnung mit einer »Maurerpartie« – das sind im Volksmund jene Leute, die Rohbaupläne umsetzen – habe ich instinktiv richtig gestaltet. Ich machte auf dem Weg zur Baustelle einen Umweg zum »Konsum« – wieder für die Jüngeren: Der »Konsum« war ein Lebensmittelgeschäft, das aber unter der Ehrlichkeit seiner Führung gelitten hat und schließen musste. Ich fuhr also zum Konsum und befüllte meinen Kofferraum mit zwei Kisten Bier. Mit diesem Einstand lernte ich die Mannschaft kennen. Sie vergaßen meinen Ausbildungsstatus und führten mich in die Welt der Praxis ein. So wurde ich Bauleiter im Bereich Einfamilienhaus rund um Wien. Ganz nah am Kunden. Oft schon fast zu nah.

Meine erste Baufrau hat sich regelrecht in mich verliebt. Doch nicht so :–)))) Nein, so wie man sich in sein Enkelkind verliebt. Ich kam, und sie offerierte liebevoll Kaffee und Kuchen. Jeden Tag. Wenn man das weiß, richtet man sich seine Außendienstrunde so ein.


An dieser Stelle die 2. Weisheit: Im Außendienst liegt alles am Weg!

Was ich in dieser »Baufrau-Ersatzoma-Auftragnehmertrilogie« lernen musste war, zu kommunizieren, dass ein Mehraufwand auch mehr Geld kostet. Mehrkosten zu verkaufen war nicht meine Stärke, womit wir wieder bei der 1. Weisheit wären. Ich habe damals sicherlich mehr Geschenke gemacht, als notwendig waren. Menschlich muss es passen!


Und die am meisten vergessene 3. Weisheit: Bleib Mensch!

Ich habe zu diesem Zeitpunkt jedoch auch gemerkt, je früher ich als Bauleiter dem Verkäufer den Kunden entziehen konnte, umso leichter hatte ich es.

Den Verkäufer der Häuser hat das Wort Mehrkosten nämlich gar nicht interessiert. Er wollte lediglich einen zufriedenen Kunden. Sämtliche Vordächer, Pflasterungen, Aufpreise für Kupferrinnen und Ähnliches, die wohl im Verkaufsgespräch Erwähnung fanden, jedoch nie beziffert wurden, durfte ich dem Kunden nachverrechnen. Und das mit meinem nicht vorhandenen Talent zu einem Zeitpunkt, da dem Kunden das Geld oft schon knapp wurde. Zugegeben, wer am Beginn der Bauarbeiten schon alles weiß, baut vermutlich nicht, da ihn die Summe der tatsächlichen Gesamtkosten erschlägt. Mit Sicherheit!

Doch dazu kommen wir später.

3

Man reist

Reisen erweitert den Horizont. Der Mensch war immer schon unterwegs, sicherlich heute so bequem wie selten zuvor, wenn er nicht gerade vor irgendeinem verrückten Religionsanhänger oder andersdenkenden Diktator fliehen muss. Denkt man alleine an die Distanzen, die der junge Wolfgang Amadeus Mozart oder auch Wolferl, wie ihn seine Freunde und Vermarkter gerne nannten, noch in wackeligen Kutschen zurücklegen musste. Wobei man davon ausgehen kann, dass das damals nicht die schlechtesten Schlitten am Markt waren, transportierte man doch ein Genie. Dem Menschen von heute ist es möglich, auch ohne geniehaftes Talent bequem und vor allem schnell von A nach B zu gelangen.

Nachdem mir ein Fluglotsenstreik am Flughafen Berlin die Ehre zuteilwerden ließ, bei einer Nettofahrzeit von 10 h 30 min die Strecke Berlin–Wien aus dem bis auf den letzten Platz ausreservierten Bus zu betrachten, habe ich beschlossen, den nächsten Städtetrip Bregenz–Verona–Venedig mit dem Auto zu bewältigen. Als bekennender Menschenfreund verstehe ich natürlich alle Menschen, die so eine Busreise für ausgedehnte Privatunterhaltungen in diversen Fremdsprachen nutzen. Es gibt dabei keine Barrieren und auch keine Sitzreihen mit Nicht-Familienangehörigen dazwischen. Es stört mich auch nicht der Verzehr von bestens gewürzten mitgebrachten Speisen, auch nicht der Spargedanke beim Achselroller oder die zurückgeklappte Sitzlehne des Braunbären vor mir. Jeder einzelne Punkt findet in meiner Wahrnehmung seine Akzeptanz. Treffen sich jedoch all diese Punkte in einem Bus, dann wird es zu viel. Selten habe ich Wien Erdberg so herbeigesehnt. Die Bustüren gehen auf, und die frische Wienluft durchströmt meinen Körper. Was für ein Fest!

Nicht zuletzt der Gepäcksgedanke. Ich reise mit einer großen und einer kleinen Dame. Wenn meine Frau packt, dann packt sie. Andrea packt oft länger, als wir bleiben. Andrea hat gepackt für heiß, für kalt, für nicht so heiß, für nicht so kalt, für warm, kühl, ganz kühl und saukalt. Wir decken alle Klimazonen ab. Medizinisch haben wir eine Erstversorgung mit, damit eröffnet man ein Feldspital in Tansania. Ich muss das direkt einmal überprüfen, ich glaube, wir haben im Urlaub mehr Gegenstände mit, als wir zu Hause besitzen. Meine Frau leiht sich womöglich was aus, wenn wir verreisen, und räumt es in unsere Riesenkoffer. Das sind die in dieser Größe letzten noch legal zu erwerbenden Koffer. Alles andere sind schon Schränke, die als Tiertransport angemeldet werden müssen. Wenn wir fliegen und beim Förderband warten, muss ich gar nicht schauen, ob unser Gepäck kommt. Ich brauche nur zu warten, bis es schattig wird.

Diesmal fliegen wir aber nicht. Nein, wir haben uns entschieden, die eigene Kutsche zu nehmen, da streikt zumindest kein Fluglotse. Ich muss mich vor dem Einsteigen nicht gänzlich entkleiden und durchleuchten lassen. Ich kann nicht abstürzen, da ich bei der Fahrt keinen Alkohol zu mir nehme, und ich muss auch nicht schon zwei Stunden, bevor ich den Wagen starte, die Reise antreten. Es ist alles ganz einfach. Wir gehen zum Auto, packen die Koffer ein, steigen ein und fahren los. Wie einst Mozart.

Die gut gebuchte Städtereise hat einen Bereich, der Neuland für uns alle bedeutet. Airbnb – in Verona.

Airbnb bedeutete für uns, dass man in einer fremden Stadt, in der es kein Zimmer mehr gibt, weil eine internationale Weinmesse stattfindet, um vermeintlich weniger Geld in eine Privatwohnung zieht, die entweder zum Zwecke einer Vermietung besteht oder deren Vermieter selber gerade auf Städtetour in der Welt unterwegs ist und vermeiden möchte, dass seine Wohnung leer steht und ihm dadurch eine Stange Geld entgeht. Zwischenhändler des Deals ist das AirbnbGeschäftsmodell.

Die im Internet bestens beschriebene Behausung wird zu 100 % im Voraus bezahlt. Ein Umstand, den man normalerweise nur mit seinem besten Freund machen würde, oder wenn man Pilze im Restaurant bestellt. Man reist an. Es kommt zur Besichtigung und zur Schlüsselübergabe. So auch bei uns. Von der Uhrzeit zu spät, um bei einer spürbar anderen Wahrnehmung der Immobilie, als im Internet beschrieben, noch eine brauchbare Alternative zu finden, zudem man ein Kleinkind im Schlepptau hat.

Es kommt, wie ausgemacht, ein gewisser Herr Oskar. Groß, schlank, unrasiert. Sicherlich kein Alkoholiker, könnte jedoch einer werden, was sich bei einer internationalen Weinmesse in seiner Stadt anböte. Was er mitbringt ist ein kaum verständliches Englisch sowie einen Bund Hausschlüssel, die er zuvor maximal einmal selber auf ihre Tauglichkeit beim entsprechenden Schloss getestet hat. Nach längerem Suchen des richtigen Gartentors in der komplett zugeparkten Gasse ging tatsächlich ein Stahltor auf, sodass wir zumindest unser Auto in eine verkehrsberuhigte Zone bringen konnten.

Mit der Hoffnung, noch alle Reifen am Wagen zu haben, wenn wir uns länger als zwei Stunden von selbigem entfernen, schnappten wir unser Gepäck und folgten dem Hageren zur Haustüre.

Es ist dem Land und der Jahreszeit zu verdanken, dass wir uns in der Zeit, in welcher der freundliche Anderssprechende den Schlüssel zum Haustorschloss des Gemeindebaupalastes gesucht hat, keine Verkühlung holten. Doch nicht nur ein blindes Huhn gehört zu den Lebewesen, die einmal etwas finden. Nein, auch unser Vermieter kann sich am »Walk Of Find« eines Sternes sicher sein. Die Haustorhürde war geschafft. Jetzt nur noch, welcher Stock und welche Türe. Eine Rechnung mit zwei Unbekannten.

Da sich unser Gepäck in einem Ausmaß befand, bei dem ich ohne Übertreibung sagen kann: »Wir haben mehr mit, als wir zu Hause gelassen haben«, war der liftlose Marsch in den 3. Stock eine durchaus sportliche Leistung. Nun war uns eine Wiederholung des Prozederes wie vor der Haustüre in einem etwas kürzeren Ausmaß vergönnt, da schon zwei Schlüssel auf dem großen Schlüsselbund ihren Schlössern zugeordnet waren. Lediglich merken hätte man es sich müssen. Dass es auch anders geht, wurde uns bewiesen.

Es vergeht Zeit – was sonst –, und die Eingangstüre zu dem beschriebenen Schmuckkasterl öffnet sich. Wir stehen in einer fixfertig eingerichteten Wohnung. Ich weiß ad hoc nicht, ob wir uns das genau so vorgestellt haben. Von den vielen Büchern im Regal erinnern mich ganz wenige an unsere Bücherwand, nicht zuletzt auch aufgrund der anderen Sprache. Sämtliche Bilder von Verwandten und Bekannten, Onkeln und Erbtanten, Kindern und Kindeskindern an der Wand erwecken keine Erinnerung in mir. Das Klavier hätte ich nicht vor die Türe gestellt, den Teppich nie gekauft, und generell die Einrichtung …

Ich denke, einem Alzheimerpatienten muss es so ergehen. Man steht plötzlich mitten in einem fremden Leben. Aufgrund der Verhaltensweise unseres verwirrten Schlüsselboten drängt sich mir die Frage auf, ob jene Person, die hier hauptgemeldet ist, überhaupt von unserer Ankunft weiß. Möglicherweise hat jene Person in gutem Glauben ihrem Neffen den Schlüssel zum Blumengießen und Postversorgen überlassen und denkt nicht im Traum daran, dass wildfremde Leute hier für kurze Zeit ihre Zelte aufschlagen. Vielleicht ist es aber auch so ausgemacht, und alles hat seine Richtigkeit.

Viele Gedanken schießen mir durch den Kopf. Beim Durchschreiten der Räumlichkeiten mit Oskars Erklärungen ob deren Funktion (aha, das ist ein Schlafzimmer … aha, das ist ein Bad), die sich 700 km von Zuhause 1:1 mit unserer deckt, sehe ich häufig Bilder einer ungefähr 60-jährigen Dame mit einem Enkelkind am Arm. Dass es ihr Enkelkind ist, wünsche ich ihr. Es könnte sich selbstverständlich auch um eine sehr, sehr späte Mutterschaft handeln. Was weiß man schon.

Beim Durchwandern kommt mir plötzlich der Gedanke, dass es natürlich auch die Option gibt, dass die hier so fröhlich Abgelichtete das Zeitliche gesegnet haben könnte und deshalb das Bett für uns frei geworden ist. Womöglich hat sie auch hier ihren Weg ins grelle Licht angetreten, und das vor gar nicht langer Zeit, steht doch im Kühlschrank noch ein Einsiedeglas mit der händischen Aufschrift »Albicocche (=Marillen) 2016«. All die Pflanzen hat sie vielleicht vor zwei Wochen selbst gegossen, die Handtücher noch selber gewaschen. Nein, korrigiere, die Handtücher hat schon länger niemand gewaschen. Blöd auch, dass die Handtücher das Einzige sind von unseren eigenen Habseligkeiten, die wir zu Hause gelassen haben. Leider auf meinen Einwand hin, da ich der Meinung war, um den Preis müssten eigentlich FRISCHE Handtücher im Badezimmer liegen. Oft fällt mir meine Blauäugigkeit in den Rücken.

Ich nehme mir ein Herz und frage unseren »Türöffner« nach dem Verbleib der alten Dame, und wie er denn zu ihr stehe. In der Zeit, in der er mir das zu erklären versucht, hat meine Frau unsere Tochter zu Bett gebracht, und selbige ist bereits tief ins Traumland eingesunken. Mit dem Schlusssatz »Alles gut!«, der leider nicht einmal ein Satz ist und wenn, ein falscher, wie »Alles Walzer«.

Nun habe auch ich den Gedanken des Ablebens der Hauptmieterin verworfen und rede mir fix ein, dass die Dame selbstverständlich von der Fremdnutzung ihrer Behausung weiß und tatsächlich mit dem Mountainbike in den Bergen unterwegs ist. Auch wenn es komisch klingt, will ich jetzt gerade nichts anderes glauben.

Wir verabschieden uns von unserem Menschenbruder und versuchen nach einer kurzen Dusche … WARUM richtet jemand so sein Badezimmer ein??? Ich bin kein Freund von den neuen, so oft beschriebenen riesengroßen Oasebädern, doch das hier ist das blanke Gegenteil. Das ist keine Duschtasse, das ist ein Lavoir mit Kanalanschluss. Der Duschvorhang gibt einem kaum Raum zum Atmen, zumal er an der Haut klebt und man ihn bedeutend gründlicher reinigt, als sich selbst. Verlässt man das Duschlavoir in die falsche Richtung, steigt man direkt ins Klo, bei dessen »Besitzen« man sich wunderbar die Zähne über dem Waschbecken putzen kann. Das ist KEIN Bad. Das ist ein Nassraum – unbestritten –, ein Badezimmer im 21. Jahrhundert sieht anders aus. Das hat schon im alten Rom anders ausgesehen, doch man will ja nicht unbescheiden sein.

Wo ist der Platz in dieser Wohnung geblieben? Im Schlafzimmer nicht, geht doch die Türe nicht mehr zu, wenn das Zusatzkinderbett drinnen steht. In der Küche auch nicht. Ein Geruchsinferno nach dem Öffnen der Kühlschranktüre verbietet es mir, mich näher mit der Quadratur des Raumes auseinanderzusetzen. Ich schließe die Küchentüre hörbar, auch wenn ich das nicht wollte, doch den Scharnieren fehlt seit sicherlich fünf Jahren ein Tropfen Öl. Das verursacht Schmerzen im Herzen eines Technikers.

Am liebsten hätte ich meinen Werkzeugkoffer aus dem Auto geholt und alle Türen geschmiert, das Eingangsschloss gewartet und den Oberkopftürschließer beim Hauseingang gerichtet, da er zur Zeit so eingestellt ist, dass er es dir fast nicht möglich macht, die Türe zu öffnen, sie aber danach mit brachialer Wucht ins Schloss zurückfetzt. Ich hätte den Rollladen im Wohnzimmer repariert, der offensichtlich, wie an den Schleifspuren an der ehemals verputzten Laibung zu erkennen, schon vor Jahren aus der Führungsschiene gesprungen ist. Basics gehören hier gemacht! Ich spreche noch nicht von der lose fixierten Vorhangstange oder der Bodenschiene zwischen Fliesenboden und Laminat, deren nicht gänzlich versenkter Schlitzschrauben dir bei falschem Tritt die Fußsohle vom großen Zeh bis zum Fersenbein öffnet. Ich hätte gerne mein Werkzeug geholt, doch meine Frau hat mich daran gehindert, und ich bin ihr dankbar dafür.

Weiters bin ich dankbar, einmal etwas ganz anderes kennengelernt zu haben. Die Idee, mit einem Campingwagen durchs Land zu reisen, hat ein Argument mehr bekommen, mit welchem ich meine Frau irgendwann einmal überzeugen werde.