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WILLIAM VOLTZ

 

 

 

DAS SCHIFF

DES MUTANTEN

 

Roman

 

 

 

 

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WING Publishing

 

Cover

Über den Autor

Vorbemerkungen

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Epilog

Impressum

 

Über den Autor

 

William Voltz wurde am 28.Januar 1938 in Offenbach geboren. Er interessierte sich bereits in früher Jugend für Science Fiction, wurde Mitglied im SFCD und war Mitbegründer des SF-Clubs STELLARIS in Frankfurt.

William Voltz begann mit dem Schreiben von Kurzgeschichten und auch ein Buch mit dem Titel STERNENKÄMPFER wurde veröffentlicht. Für seine Stories, die sich großer Beliebtheit erfreuten, bekam er im Jahr 1961 den »Besten Fan-Autor Preis«.

Sein Engagement ebnete ihm 1962 den Weg ins damals noch junge und kleine PERRY RHODAN - Team.

Bis zu seinem viel zu frühen Tod am 24. März 1984 schrieb der Autor nicht nur für diese und andere Serien, sondern veröffentlichte auch Serien unabhängige Romane und Kurzgeschichten.

Bookwire gab uns die Möglichkeit, diese William Voltz Veröffentlichungen als e-books anzubieten.

Vorbemerkungen

 

Angesichts der globalen Probleme, denen wir uns gegenübersehen, ist es kein Wunder, wenn mancherorts Ausschau nach unorthodoxen Lösungen gehalten wird. Dazu gehören auch die Patentrezepte, die Sekten, Pseudo-Religionen und ähnliche Vereinigungen anzubieten haben. Aber selbst Organisationen, die sich nach außen hin als wissenschaftlich darstellen, leben von der Grundidee der Heilslehre. Ich denke hier an die Ancient Astronaut Society, die die Idee der Präastronautik hochhält. Die Überzeugung, dass in ferner Vergangenheit hochintelligente Außerirdische unsere menschliche Zivilisation manipuliert haben, lässt die Hoffnung zu, dass sie es in Zukunft wieder tun könnten.

Wären dann nicht alle unsere Probleme gelöst?

Man tut allen, die sich unbewusst der Heilslehre bedienen, unrecht, wenn man sie ohne nachzudenken verdammt, denn auch die großen Religionen verheißen uns das Paradies nach einem Leben auf dem Jammertal Erde.

Tief in seinem Innern hat jeder von uns die Idee eines Eingreifens höherer Mächte in der einen oder anderen Form schon einmal durchgespielt und ist ihrem Reiz mehr oder weniger erlegen.

Der vorliegende Roman, der in seiner Urfassung in den sechziger Jahren entstand, ist ebenfalls eine Variante dieser Idee. Die Probleme, die in dieser Geschichte aufgezeigt werden, sind durchaus realistisch und könnten in dieser oder ähnlicher Form auf uns zukommen.

Die Lösung, die ich anzubieten habe, ist dagegen reine Spekulation, denn in der Evolution sind Mutationen, wie ich sie schildere, offensichtlich nicht vorgesehen.

Trotzdem frage ich mich, ob alle Lösungsangebote, die vom Standpunkt der Realisten unbefriedigend sind, von vornherein abgelehnt werden sollten. Pragmatiker und Realisten hatten in den vergangenen Jahrzehnten wahrlich genügend Zeit, Modelle zu entwerfen, die einen Ausweg aus unserem Dilemma zeigen – aber nicht einmal das ist ihnen gelungen.

Realismus ist meiner Ansicht nach in der Regel nur eine Reaktion auf alle möglichen Entwicklungen, er birgt auf Dauer die Gefahr in sich, dass die Phantasie und damit die Möglichkeit zur Aktion auf der Strecke bleiben.

Ich weiß nicht, wer an die Stelle der Realisten treten soll, aber ich weiß, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die Schwierigkeiten zu bewältigen. Sie sind nicht einmal in der Lage, sie zu übersehen, denn sie haben sich in unzählige spezialisierte Gruppen aufgespalten.

Die Antwort kann auch nicht im Irrationalen liegen, das sich in der einen oder anderen Form auf unserer Welt ausbreitet.

Solange wir aber keine Alternative zu den Realisten haben, muss uns gestattet sein, mit Heilslehren und fremden Mächten zu spekulieren. Das ermöglicht uns den jeweils nächsten Schritt ins Leben, ohne dass wir denken, es sei ja doch alles umsonst, was wir tun.

 

Heusenstamm, Mai 1983

William Voltz

Prolog

 

Der Tag kam langsam, als schämte er sich, sein Licht auf die Stadt zu richten. Im ungewissen Dämmerlicht wirkte die Stadt wie erstarrt; düsteres Grau schien in die betonierten Schächte und Gänge eingesickert und festgebacken zu sein. Die Straßen lagen verlassen.

Die Stadt besaß keinen sichtbaren Anfang und kein sichtbares Ende. Sie erstreckte sich wie ein Moloch entlang der Ostküste des ehemaligen Nordamerika und reichte an vielen Stellen weit ins Innenland hinein.

In einer solchen Stadt zu leben, bedeutete, ihr nicht entkommen zu können. Doch ein Hindernis zur Flucht waren nicht nur die geographischen Gegebenheiten, sondern die Registriernummer eines jeden Bürgers. Registriert zu sein bedeutete, zweimal am Tag eine Lourka-Ration zu erhalten.

So, wie die Stadt Feodorus allgegenwärtig zu sein schien, so war es auch sein Hunger. Er erwachte jeden Morgen mit diesem Hunger und schlief abends wieder damit ein.

Als er aus dem Haupttor des Wohnsilos trat, erlebte Feodorus die Vision von morgendlicher Frische, als wehte eine Brise vom verschmutzten Meer herüber. Er schloss die Augen und genoss dieses Gefühl.

An diesem Tag würde er tun, was er schon lange vorhatte.

Er würde zum Raumhafen gehen und beobachten, wie eines der großen Schiffe der Gesellschaften entladen wurde. Das lag schon lange in seiner Absicht, und es gab einen Hintergedanken, den Feodorus mit ihr verbunden hatte.

Vielleicht gelang es ihm, die ihm zustehenden Rationen aufzubessern, indem er ins Schiff schlüpfte und den Faltbeutel, den er jetzt noch in seiner Gesäßtasche stecken hatte, mit Lourkas zu füllen.

Er hatte den Eindruck, dass die Rationen in der vergangenen Woche wieder einmal gekürzt worden waren. In der Stadt hielten sich hartnäckig Gerüchte darüber, dass die großen Schiffe nicht mehr mit der Regelmäßigkeit auf der Erde landeten, wie sie das früher getan hatten.

Die Gesellschaften schwiegen sich darüber aus, ihre offiziellen Verlautbarungen blieben optimistisch.

Feodorus war ein mittelgroßer Mann mit graubraunen Haaren, blauen Augen und blassen, von Äderchen durchzogenen Wangen. Er sah immer ein bisschen krank aus, dabei war sein Körperbau sportlich und kräftig.

Vor ein paar Jahren hatte er mit dem Gedanken gespielt, die Erde zu verlassen und sich auf einer Plantagenwelt zu verdingen. Klymer, einer seiner Freunde aus der Jugend, hatte sich zu diesem Schritt lange vorher entschlossen. Feodorus hatte Klymer niemals wiedergesehen. Den Bürgern Terras war bekannt, dass kein Mensch lange auf fremden Planeten leben konnte, daher erschien Feodorus das Verlassen der Erde nur wie ein Aufschub, nach dem die Rückkehr um so schlimmer sein würde.

Feodorus überquerte die Straße. Es war kurz nach fünf. In zwei Stunden würde sich ein Strom grau gekleideter Bürger über diese Straße ergießen und in die verschiedenen Fabriken wälzen. Auch Feodorus war ein Fabrikarbeiter. In der Halle, in der er arbeitete, wurden Plastikschalen hergestellt. Feodorus wusste nicht, wozu diese Schalen dienten; außerhalb der Fabrik hatte er nie eine davon gesehen. Vielleicht wurden sie mit den großen Schiffen zu Plantagenwelten gebracht.

Feodorus konnte einen Tag fehlen, ohne sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen zu müssen. Dieser eine Tag würde auch ohne Einfluss auf seine Rationen bleiben. Die Gesellschaften ließen in ihrer Propaganda allerdings bereits durchblicken, dass man die Karenzzeit abschaffen wollte.

Die Straße wirkte peinlich sauber; es gab kaum noch Abfälle, denn fast alles wurde wiederverwertet.

Feodorus schaute sich nach allen Seiten um. Was er tat, war nicht verboten, aber er hatte ein ungutes Gefühl, denn spätestens am Raumhafen würde er sich eines Vergehens schuldig machen.

Die unterirdisch angelegten Rollstraßen waren die ganze Nacht über in Betrieb. Feodorus stieg über eine Treppe zu ihnen hinab und gelangte über mehrere Kreuzungen zu der Straße, die direkt in das Gebiet des Raumhafens führte.

Eine Frau und ein Kind kamen ihm auf dem gegenüberliegenden Band entgegen. Die Frau hatte eine Hand des Kindes ängstlich umklammert. Sie sah starr geradeaus. Das Kind, ein etwa siebenjähriger Junge, beobachtete Feodorus misstrauisch.

Sie glitten aneinander vorbei, ohne ein Wort zu wechseln. Die Szene kam Feodorus gespenstisch vor. Er drehte sich um, um den beiden nachzusehen, und erkannte, dass auch der Junge zurückschaute. Noch einmal kreuzten sich ihre Blicke, wie zwischen Wesen verschiedener Herkunft, dann wurde die Entfernung für einen Blickkontakt zu groß.

Wohin mochten sie unterwegs sein?

Feodorus hatte gelernt, die Stadt als großes Ganzes zu sehen, in dem alle Bürger von den gleichen Zielen angetrieben wurden. Die Begegnung mit der Frau und ihrem Kind gehörte zu den wenigen Augenblicken, in denen er begriff, dass es auch individuelle Wünsche und Handlungen gab.

Auch sein eigenes Verhalten war ein Beweis dafür.

An den Wänden beiderseits der Rollstraßen waren vor vielen Jahren Parolen gegen die Gesellschaften geschmiert worden. Sie waren kaum noch lesbar. Inzwischen gab es kaum noch Auflehnung.

Die Gedanken der Menschen kreisten um die Probleme der Überbevölkerung, der Nahrungsbeschaffung und der Luftverschmutzung, die durch immer neue ökologische Katastrophen irgendwo draußen auf dem Land bedrohliche Ausmaße angenommen hatte.

Man hatte sich zu lange darauf verlassen, dass ein Vordringen in den Weltraum Abhilfe schaffen würde.

Inzwischen wusste man, dass Menschen nicht lange auf anderen Welten leben konnten.

Noch problematischer war der Aufenthalt an Bord der großen Raumschiffe. Es hieß, dass Menschen nur unter psychischer Beeinflussung durch Mutanten im Weltraum arbeiten konnten.

Feodorus hatte sich niemals intensiv um diese Dinge gekümmert, aber diese Behauptungen hielten sich seit langer Zeit und änderten sich kaum, so dass man ihnen einen großen Wahrheitsgehalt zubilligen musste.

Feodorus verließ den Rollstraßentunnel unweit des Raumhafens. Hier standen die Gebäude nicht so dichtgedrängt wie in anderen Gebieten der Stadt, aber einige Wohnsilos waren bis an das Landefeld herangebaut, obwohl der Lärm der startenden und landenden Schiffe als fast unerträglich galt.

Aber einmal die Woche (und häufiger kamen sie jetzt nicht mehr zu diesem Raumhafen) konnte man einen Start und eine Landung hinnehmen, wenn man eine sichere Unterkunft besaß.

In der vergangenen Nacht war ein großes Schiff gelandet. Feodorus hatte das Tosen gehört, mit dem es in die obersten Schichten der Atmosphäre eingedrungen war. Ihm war es vorgekommen, als sei die ganze Stadt unter dem unvorstellbaren Lärm erzittert. Es hatte nur wenige Minuten gedauert, und die meisten Bewohner nahmen diese Geräusche vermutlich schon nicht mehr bewusst wahr.

Man würde das Schiff heute entladen, überholen und für den Start in der kommenden Nacht vorbereiten.

Das bedeutete, dass Feodorus seine Chance nutzen musste, bevor das Schiff entladen war.

Manchmal hatte er die Vision, dass die Triebwerke eines Schiffes versagen und es auf die Stadt stürzen würde. Die Folgen würden verheerend sein, fast so wie damals während der Atomkriege.

Feodorus sah das große Schiff, noch bevor er den Raumhafen erreicht hatte. Es ragte über die Lagerhallen und Kontrolltürme hinaus. Trotz seiner Größe wirkte es unvollkommen. Es schien aus mehreren Schalenteilen zu bestehen, die man willkürlich aufeinandergetürmt hatte.

Zwei Verladetürme waren an das Schiff herangefahren. Sie schienen bereits zu arbeiten.

Dann sah Feodorus den ersten Teil der Absperrungen.

Er hatte gewusst, dass sich ihm dieses Hindernis in den Weg stellen würde, aber er hatte einige alte Stadtkarten aufgetrieben und genau studiert, so dass er einen Weg zu kennen glaubte, der ins Innere des Raumhafens führte: den alten U-Bahn-Schacht.

Die Absperrungen zu passieren, war ohne die entsprechende Legitimation nahezu unmöglich.

Feodorus zog die kleine Zeichnung aus der Tasche, die er sich von diesem Gebiet selbst angefertigt hatte. Der Kanalisationsschacht, durch den er in den Bereich der alten U-Bahn vordringen konnte, war mit einem Kreuz gekennzeichnet. Er lag am Ende der Straße, kurz bevor diese in den freien Platz vor dem Raumhafen mündete.

Der Schacht war abgedeckt, aber Feodorus wusste, wie man solche Deckel abhob. Er hatte es an einer anderen Stelle ausprobiert und sich einen Haken beschafft, den er in eine Öffnung des Kanaldeckels stecken konnte.

Feodorus erreichte die entsprechende Stelle auf der Straße und schaute sich um. Wie er gehofft hatte, hielt sich so früh am Morgen niemand hier auf. Die einzige Gefahr war, dass ihn jemand von einem Fenster der umliegenden Wohnsilos aus beobachtete und die Polizei verständigte. Doch dieses Risiko musste er eingehen.

Die Wachen an den Absperrungen patrouillierten rund um den Raumhafen, aber sie konnten, auch wenn sie gerade in Feodorus' Nähe vorbeikommen sollten, nicht in die Straße einsehen.

Feodorus hob den Deckel ab und zog ihn seitwärts. So schnell er konnte, kletterte er an Steigeisen, die in die Schachtwand betoniert waren, in die Tiefe. Dann zog er den Deckel über sich zu. In dem nun herrschenden Halbdunkel konnte er sich schwer orientieren, aber am Boden des Schachtes würde er seine kleine, leistungsstarke Lampe einschalten. Hier war das noch zu gefährlich, denn es konnte jemand zufällig vorbeikommen und den Lichtschein sehen.

Der U-Bahnschacht führte unter dem Raumhafen hindurch. Feodorus hoffte, dass er dort irgendwo einen Ausstieg fand.

Er schaltete die Lampe ein. Die Wände waren feucht und rissig. Von der Decke tropfte Wasser herab und sammelte sich in Lachen zwischen den verrosteten Schienen. Trotzdem war alles besser erhalten, als Feodorus geglaubt hatte. In den Atomkriegen waren in den U-Bahnschächten Hunderttausende von Menschen umgekommen, als sie dort vergeblich nach Schutz gesucht hatten. Es gab aber auch unbeschädigte Strecken, wie dieser Abschnitt hier bewies.

Feodorus begann zu rennen, denn obwohl er den ganzen Tag für sein Unternehmen eingeplant hatte, war seine Zeit knapp bemessen. An den Wänden waren die alten Markierungen größtenteils noch zu erkennen, so dass er an ihnen ablesen konnte, wann er das Gebiet des Raumhafens erreicht hatte.

Das große Schiff lag ein paar hundert Meter vom Rand des Landefelds entfernt.

Hoffentlich befand sich der Ausstieg aus dem Schacht nicht gerade unter dem Schiff, denn dann wären Feodorus' Anstrengungen vergeblich gewesen.

Einmal blieb er stehen, um zu lauschen. Bis auf das herabtropfende Wasser und das Schlagen seines Herzens war kein Geräusch zu hören.

Feodorus, der im Lärm der Stadt aufgewachsen war, empfand diese völlige Stille als unheimlich. Er rannte weiter, bis er völlig außer Atem war.

Ab und zu richtete er den Lichtstrahl gegen die Decke, um den Ausstieg nicht zu verpassen.

Nun war er sicher, dass er einen Teil des Landefelds und das große Schiff unterquert hatte. Nun musste er aufpassen, dass er nicht auf die andere Seite des Raumhafens geriet.

Er fand zwei Ausstiege, konnte sie aber nicht benutzen, weil die Deckel sich nicht öffnen ließen. Entweder waren sie festgerostet oder lagen unter irgendetwas begraben. Vielleicht hatte man alle Deckel im Bereich des Raumhafens verschweißt, überlegte Feodorus.

Er wollte schon aufgeben und umkehren, als er auf eine Treppe stieß, die nach oben führte. Ein Lichtschein drang in den U-Bahnschacht. War es möglich, dass noch einer der alten U-Bahnzugänge freilag?

Auf jeden Fall musste er versuchen, von hier aus ins Freie zu gelangen.

Der erste Teil der Treppe war frei, aber nach dem ersten Absatz führten die Stufen entgegengesetzt weiter nach oben und waren mit Trümmern verschüttet. Es gab jedoch eine Öffnung. Durch sie fiel das Licht.

Feodorus musste sich auf den Bauch legen, um sie benutzen zu können.

Als er den Kopf ins Freie streckte, sah er, dass er sich im Innern einer kleinen, zerfallenen Halle befand. Es war ein altes Wartehäuschen. Rätselhaft blieb, warum man es niemals weggeräumt hatte.

Feodorus blickte durch die zerschlagenen Fensterscheiben hinaus.

Vor ihm lag der Raumhafen. Er schien sich endlos auszudehnen. Obwohl überall Fahrzeuge, Ladegut und technisches Gerät standen, machte die Landefläche einen verlassenen Eindruck. Nur am Rand des Feldes bewegten sich ein paar Menschen.

Feodorus blickte auf der anderen Seite hinaus, dort, wo das große Schiff lag.

Die Szene, die er nun sah, wirkte lebendiger. Das große Schiff wurde gerade entladen. Seine mächtigen Schleusen waren geöffnet und von Scheinwerfern erhellt. Flache Transporter rollten aus dem Schiff. Ihre Fracht wurde von den Verladetürmen übernommen und auf die wartenden Fahrzeuge verladen.

Feodorus sah ein paar Menschen unterhalb der Schleusen, die die Arbeit überwachten. Er war fast sicher, dass es nicht Raumfahrer waren. Bisher hatte er noch keinen Raumfahrer gesehen. Diese Menschen galten als scheu und zurückhaltend, angeblich waren viele, die zur Erde zurückkamen, nicht mehr normal.

Das Häuschen bot Feodorus eine ideale Deckung, doch er würde sie verlassen müssen, wenn er in das Schiff gelangen wollte.

Das hieß, dass er einhundert Meter über eine freie Fläche spazieren musste.

Die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn dabei sah, war groß, aber er vertraute darauf, dass man hier keinen Fremden erwartete. Wenn er entdeckt wurde, hielt man ihn wahrscheinlich für ein Mitglied des Personals.

Er spürte, dass er weiche Knie bekam. In seiner Planung war ihm alles ganz einfach erschienen, aber nun, da das Schiff in seiner ganzen beeindruckenden Größe vor ihm lag, verließ ihn fast der Mut.

Eine Zeitlang stand er da und rührte sich nicht. Dann dachte er daran, dass er im Grunde genommen nichts zu verlieren hatte, und setzte sich in Bewegung.

Auf der anderen Seite der Absperrung erwachte jetzt die Stadt. Feodorus spürte das so deutlich, als regte sich in seiner Nähe etwas Lebendiges. Daran, dass es ihn beunruhigte, erkannte er, wie sehr er schon Teil der Stadt geworden war.

Er ging quer über das Landefeld auf das Schiff zu, völlig im Unklaren darüber, wie er an seinem Ziel weiter vorgehen sollte.

Seine Schritte erschienen ihm voll quälender Langsamkeit, aber er wagte auch nicht zu rennen, weil er dadurch sofort Aufmerksamkeit erregt hätte. Er hielt den Blick starr geradeaus gerichtet. Die Außenhülle des großen Schiffes war schmutzig und verbeult. Ein paar winzige blaue Flämmchen tanzten über die Oberfläche. Da arbeiteten Schweißer, die irgendwelche Lecks flickten.

Das Schiff war alt und verkommen, es sah aus, als sollte es den nächsten Flug nicht überstehen.

Waren alle Schiffe in einem so erbärmlichen Zustand?

Feodorus konnte das nicht glauben.

Er änderte jetzt ein paar Mal die Richtung, um möglichst an einer Stelle anzukommen, wo sich keine Menschen aufhielten.

Das Schiff änderte mit jedem Schritt seine Dimensionen, wurde scheinbar größer und gewaltiger. Die Türme erschienen jetzt im Verhältnis dazu klein.

Wenn Feodorus gesehen wurde, dann achtete man nicht auf ihn.

Unter den Menschen, die am Schiff arbeiteten, musste auch ein Beauftragter der Gesellschaften sein. Auf die eine oder andere Weise machte jeder Bürger der Stadt die Gesellschaften für sein Elend verantwortlich, und Feodorus bildete darin keine Ausnahme.

Er trat in den Schatten des Schiffes. Ein öliger Gestank stieg ihm in die Nase. Er hörte seltsame Geräusche, als arbeiteten im Innern der Hülle Männer mit schweren Hämmern. Vielleicht wurde irgendetwas repariert. In der Nähe der Schleuse war der Boden mit zerquetschten und zertretenen Lourkas bedeckt. Feodorus wunderte sich, mit welcher Nachlässigkeit die Verladearbeiten durchgeführt wurden, wo doch jedermann wusste, wie es um die Ernährung der Menschheit bestellt war.

Vielleicht erhielten alle, die im Raumhafen arbeiteten, Sonderrationen.

Das erklärte ihren Leichtsinn, aber nicht die Frage, ob alle, die hier arbeiteten, so selbstsüchtig waren, dass sie beim Anblick vernichteter Früchte nicht an die hungernden Menschen auf der Erde dachten.

In jeder Schleuse stand ein Mann und dirigierte die Verladearbeiten. Feodorus hatte keine Chance, an diesen Arbeitern vorbeizukommen, aber er wusste, dass es kleinere Zugänge ins Schiff gab, sogenannte Mannschleusen.

An der Außenhülle des Schiffes waren pneumatische Montageleitern und Lifte befestigt. Feodorus stieg an einer Leiter hinauf. Weiter oben arbeiteten die Reparaturtrupps.

Feodorus blickte sich nach einer Öffnung in der Schiffshülle um.

Da traf ihn ein heftiger Schlag an der Schulter. Zunächst begriff er nicht, was geschehen war. Der Schmerz bohrte sich von der Schulter aus in den gesamten Oberkörper. Er musste die Leiter mit einer Hand loslassen und geriet ins Rutschen. Beim Abwärtsgleiten schürfte er sich die Haut auf.

Er prallte auf den Boden und strauchelte.

Ein paar Schritte von ihm entfernt stand ein hünenhafter Mann. Er trug das Zeichen der Gesellschaften an seiner Brusttasche. In einer Hand hielt er ein Gummibolzenschussgerät. Diese Waffen wurden bei harmlosen Demonstrationen in der Stadt ebenfalls eingesetzt. Feodorus hatte gehört, dass man auf kurze Distanz einen Menschen mit einem gezielten Schuss an den Kopf töten konnte.

Der Riese war kahlköpfig. Er lächelte humorlos. Seine Stirn war faltig. Er hatte dunkle, tiefliegende Augen. Seine Stimme kam tief aus der Brust.

»Ich brauche deine Legitimation und deine Registriernummer, Freundchen«, sagte er nicht unfreundlich. »Bis wir herausgefunden haben, was mit dir los ist, rührst du dich am besten nicht von der Stelle.«

Feodorus rieb seine Schulter.

»War das unbedingt nötig?«, beklagte er sich. »Ich hätte mir das Genick brechen können. Du hättest mich auch zurückrufen können und nicht gleich zu schießen brauchen.«

Der große Mann betrachtete ihn abschätzend.

»Deine Nummer«, wiederholte er.

Feodorus reichte ihm seine Personalkarte.

»Eine Legimitation hast du nicht?«

»Nein«, sagte Feodorus.

»Was treibst du hier?«

»Ich interessiere mich für die großen Schiffe«, antwortete Feodorus schulterzuckend.

Ob sie einen Lügendetektor gegen ihn einsetzten? Vielleicht war sein Vergehen unbedeutend, und er durfte gleich wieder gehen.

»Vielleicht gehe ich in den Weltraum«, fügte er hinzu. »Deshalb habe ich mich ein bisschen umgesehen.«

Der Agent der Gesellschaften spuckte einen Lourka-Kern aus.

»Gut«, sagte er gleichmütig. »Komm mit.«

»Wohin?«

»In unser Büro drüben im Verwaltungstrakt. Wir werden ein Protokoll aufnehmen und deine Personalien überprüfen. Dann kannst du verschwinden.«

»Werde ich bestraft?«

»Man wird deine Rationen kürzen. Das ist so üblich.«

Feodorus sah den anderen bestürzt an. Eine weitere, drastische Kürzung konnte er nicht akzeptieren. Was die Menge seiner Nahrung anging, meinte er bereits an der untersten Grenze angelangt zu sein. Er würde seine Rationen mit privaten Käufen auf dem Schwarzen Markt ergänzen müssen. Das hieß, dass er seine Wohnung im Silo aufgeben und in die Slums ziehen musste, weil er gerade genügend verdiente, um Miete und Kleidung zu bezahlen.

Flucht war sinnlos, denn der Riese hatte seine Personalkarte.

Feodorus folgte seinem Wächter quer über das Landefeld zu den zahlreichen Gebäuden in der Nähe der Absperrungen. Niemand schien sie zu beachten. Der Riese hielt das Gummibolzenschussgerät nachlässig in einer Hand. Er schien weder mit einem Fluchtversuch noch mit ernsthafter Gegenwehr zu rechnen.

»Kommen viele Bürger ohne Legitimation hierher?«, erkundigte sich Feodorus.

»Ein halbes Dutzend jede Woche. Bevor wir die Absperrungen ergänzt hatten, waren es wesentlich mehr. Die meisten werden schon vor dem Landefeld abgefangen. Aber ein paar Schlauköpfe wie du finden die Schleichwege und dringen bis zu den großen Schiffen vor. Es hilft ihnen nichts, wir schnappen sie alle.«

»Der Hunger treibt sie.«

»Ich weiß«, sagte der Riese. »Die ganze Welt hungert.«

Inzwischen hatte er durch ein kleines Sprechgerät Verbindung zu einem Büro aufgenommen. Zwei Uniformierte nahmen Feodorus an der Tür des Verwaltungsgebäudes in Empfang. Der große Mann ging schweigend davon. Seine Aufgabe schien lediglich darin zu bestehen, Menschen wie Feodorus aufzuspüren.

Die Uniformierten führten Feodorus in einen spartanisch eingerichteten Büroraum. Es gab kaum Mobiliar, aber einige technische Einrichtungen, die Feodorus Furcht einflößten. Er hatte einige Gerüchte darüber gehört, wie die Gesellschaften mit unliebsamen Bürgern umsprangen.

Ein korpulenter Mann, der so stark schwitzte, dass sich unter den Achselstücken seines kurzärmeligen Hemdes dunkle Flecken gebildet hatten, erhob sich von seinem Schreibtisch und kam auf Feodorus zu. Er hatte fleischige Hände mit kurzen Fingern. An jeder Hand trug er zwei Ringe. Seine Augenbrauen waren kaum erkennbar. Sie schimmerten rötlich. Seine Augen waren grau und kalt. Es waren die kältesten Augen, die Feodorus je angeschaut hatten.

Der Korpulente schnippte mit den Fingern.

»Stellt die Musik ab!«, befahl er.

Erst jetzt nahm Feodorus ein leises melodisches Summen wahr, das fast im selben Augenblick verstummte.

»Ich bin Cäsar«, sagte der Mann mit den grauen Augen. »Ich kümmere mich um alles, was hier vorgeht.«

Er drehte Feodorus' Personalkarte, die man ihm übergeben hatte, nachdenklich zwischen den Fingern. »Du bist dreiundfünfzig?«

»Ja.«

»Leute deines Alters sind im allgemeinen vernünftiger.«

»Ich bin nur hungrig«, sagte Feodorus ärgerlich.