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WILLIAM VOLTZ

 

 

 

EIN STÜCK

EWIGKEIT

 

Erzählungen

 

 

 

 

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WING Publishing

Inhalt

 

Über den Autor

Vorwort

Der Preis

Ein Stück Ewigkeit

Die Wächter

Warnung

Traumreise

Mechanical Brain

Theorie und Praxis

Cool

Der zehnte Planet

Tödliche Gedanken

Babysitter

Der Schläfer

Gleichgewicht des Schreckens

Die Außerirdischen

Keine Roboter mehr für Venus

 

Über den Autor

 

William Voltz wurde am 28.Januar 1938 in Offenbach geboren. Er interessierte sich bereits in früher Jugend für Science Fiction, wurde Mitglied im SFCD und war Mitbegründer des SF-Clubs STELLARIS in Frankfurt.

William Voltz begann mit dem Schreiben von Kurzgeschichten und auch ein Buch mit dem Titel STERNENKÄMPFER wurde veröffentlicht. Für seine Stories, die sich großer Beliebtheit erfreuten, bekam er im Jahr 1961 den »Besten Fan-Autor Preis«.

Sein Engagement ebnete ihm 1962 den Weg ins damals noch junge und kleine PERRY RHODAN - Team.

Bis zu seinem viel zu frühen Tod am 24. März 1984 schrieb der Autor nicht nur für diese und andere Serien, sondern veröffentlichte auch Serien unabhängige Romane und Kurzgeschichten.

Bookwire gab uns die Möglichkeit, diese William Voltz Veröffentlichungen als e-books anzubieten.

Vorwort

 

Wenn dieser vierte und (vorläufig) letzte Band meiner gesammelten Science-Fiction-Kurzgeschichten erscheint, ist es ziemlich genau dreißig Jahre her, dass ich mich zum ersten Mal an einem SF-Produkt versuchte: Zur Freude meiner Klassenkameraden und zum Entsetzen meines Deutschlehrers zeichnete ich damals ins Aufsatzheft einen Comic-Strip mit dem beziehungsreichen Titel Captain Martell und die Ameisenmenschen. Nur einige Jahre später, ich war längst noch keine zwanzig, schrieb ich die ersten SF-Short-Stories, von denen einige auch in diesem vierten Sammelband enthalten sind. Zweifellos handelt es sich um Kuriositäten, wenn ich sie auch ein bisschen herausgeputzt habe, aber sie dokumentieren auch, welche Entwicklung die SF hierzulande seither genommen hat.

Heutzutage gibt es kaum einen jugendlichen SF-Leser, der nicht selbst Kurzgeschichten schreibt (die Postberge auf meinem Schreibtisch sind ein beredtes Zeugnis für diese Behauptung); vielleicht ist dies in einer Zeit gestörter zwischenmenschlicher Beziehungen eine neue Form sich mitzuteilen – vielleicht auch nur eine Erscheinung, die einhergeht mit dem allgemeinen SF-Boom unserer Tage.

Die meisten meiner sehr frühen Stories in diesem Band erschienen in der 1957 von dem unvergessenen Heinz Bingenheimer herausgegebenen Anthologie Lockende Zukunft. Es sind: Mechanical Brain, Theorie und Praxis, Der zehnte Planet, Tödliche Gedanken, Der Schläfer, Keine Roboter mehr für Venus und die Titelgeschichte.

Ebenfalls aus dieser Zeit sind Die Wächter und Warnung, ursprünglich für die Fanzines des Science Fiction Club Deutschland (SFCD) und der Stellaris Science Fiction Interessengemeinschaft geschrieben. Gleichgewicht des Schreckens ist ebenfalls eine ältere Geschichte, die unter dem Titel Das große Unentschieden und als Kurzfassung in TRANSGALAXIS erschien. Die Thematik erschien mir so aktuell, dass ich für diesen Sammelband eine neue Version schrieb.

Die erste Story in diesem Band, Der Preis, ist gleichzeitig meine erfolgreichste, sie hat es nun auf sechs Veröffentlichungen gebracht.

Traumreise und Babysitter sind neuere Stories, ebenso Cool und Die Außerirdischen, bei denen es sich um Erstveröffentlichungen handelt. Cool war eine Auftragsarbeit für das Perry-Rhodan-Magazin, das ja inzwischen eingestellt wurde, und Die Außerirdischen wurde eigens für diesen Band geschrieben.

Dieser vierte Sammelband beinhaltet zum Abschluss eine Bibliographie, in der die Stories aller vier Bände mit den Daten ihrer Veröffentlichungen vorgestellt werden. Zahlreiche Leser und SF-Sammler hatten mich um diesen Service gebeten. Es war nicht ganz einfach, alle Unterlagen zu beschaffen. Ich bedanke mich bei Rolf Bingenheimer, Rolf Heuter, Hermann Urbanek und Hans Sigmund für ihre Unterstützung bei diesen Bemühungen.

Eingangs schrieb ich, dass dies vorläufig der letzte Sammelband mit Kurzgeschichten von mir war, das heißt, dass ich nach mehr als einem Vierteljahrhundert Arbeit als SF-Autor nicht die Absicht habe, mich zur Ruhe zu setzen. So erschienen kürzlich in dem Bildband Zeitsplitter, den ich mit dem Graphiker Alfred Kelsner zusammen herausgebracht habe, neunzehn weitere Stories von mir, und zwei Geschichten konnten in diesem Band aus rechtlichen Gründen noch keine Aufnahme finden.

Isaac Asimov, bekannt für seine witzigen und unterhaltsamen Kommentare zu eigenen und anderer Autoren Kurzgeschichten, beklagte einmal, dass der gegen ihn gerichtete Vorwurf, ein Vielschreiber zu sein, als schmerzender Stachel tief in seinem intellektuellen Fleisch säße. Nun, mein berühmter Kollege ist, wie er selbst immer wieder betont, ein bisschen eitel und auf eine sympathische Art und Weise auch ein bisschen unbescheiden. Ich habe jedenfalls keine Skrupel, mich dem Vorwurf der Vielschreiberei auszusetzen. Jetzt nicht (nach vier Bänden) und irgendwann in der Zukunft (nach fünf Bänden) ebenfalls nicht. Menschen sind schon merkwürdig: Fleiß, eine ansonsten hochgelobte Tugend, erscheint auf dem Gebiet der Science Fiction suspekt!

 

Heusenstamm

August 1981

William Voltz

Der Preis

 

Wie ein grauer Schemen tauchte Laretto im Ammoniakschnee auf. Die klobigen Schuhe seines Schutzanzugs wirbelten Eiskristalle auf. Dicht über dem Boden lagerte eine kaum wahrnehmbare Schicht von Chlor. Tarat V zeigte sich dem Menschen feindlich gesinnt, wie alle Planeten, die eine Methan-Wasserstoff-Atmosphäre besitzen.

Cap Dureau steuerte die bewegliche Außenkamera tiefer. Larettos Bild nahm an Deutlichkeit zu. In seinem Anzug wirkte er kaum noch wie ein Mensch. Der Wasserstoff zwang die Raumfahrer, besondere Spezialanzüge zu tragen. Ein normaler Skaphander hätte für diese Atmosphäre nicht genügt, er wäre nicht wirksamer gewesen als ein Moskitonetz.

Gespannt beobachteten die sieben Männer, wie sich der Italiener der Kuppel näherte. Sie befanden sich im Innern einer Stahllit-Kuppel, durch zwei Doppelwände von der unfreundlichen Außenwelt getrennt. Die Raumfahrer nannten die Kuppeln »Kuckuckseier«, da sie einem halben Ei ähnelten, dessen Spitze nach oben zeigt. Ihr Durchmesser betrug an der Grundlinie etwas über zwanzig Meter, und sie waren an der höchsten Stelle knapp fünf Meter hoch.

Die Kuppeln wurden von den Raumschiffen der Terranischen Forschungsflotte auf Planeten abgesetzt, die den Wissenschaftlern interessant erschienen. Eine kleine Gruppe von Männern musste von dem Kuckucksei aus operieren. Wissenschaftliche Daten wurden gesammelt. Nach einiger Zeit kehrte das Schiff zurück und nahm die Kuppel wieder auf. Auf diese Weise war es möglich, von einem einzigen Schiff aus mehrere Planeten zu erforschen.

Cap Dureau, der Leiter der kleinen Gruppe, beugte sich über den Bildschirm. Außer dem sanften Schnurren des Frischluftregulierers war kein Geräusch zu hören. Die Männer standen hinter und neben Dureau.

Dureau schaltete die Sprechanlage ein, die ihn mit Laretto verband.

»Alles in Ordnung, Alberto?«

Larettos Stimme kam, für alle hörbar, aus dem Lautsprecher der Funkanlage. Während er sprach, sahen sie ihn näher an die Kuppel herankommen.

»Ich konnte tatsächlich nackten Fels entdecken«, berichtete er. »Das heißt, nackt war er eigentlich nicht, es klebte eine ganze Menge dran. Auf jeden Fall habe ich die Gesteinsproben bei mir, an denen Cooper so interessiert ist.«

Cooper war der wissenschaftliche Leiter des Forschungsschiffs.

»In Ordnung«, sagte Dureau. »Wir werden dich einschleusen.«

Dureau war ein großer, schlanker Mann mit kantigem Gesicht. Seine hellen Augen ließen ihn fanatisch wirken. Er war der jüngste Kuppelführer der FIEBERHEXE.

»Ich werde Laretto einen Kaffee kochen«, erbot sich Jaspers. »Das wird ihn aufmuntern.«

»Ich kann mir zwar vorstellen, dass jemand an deinem Kaffee erstickt«, behauptete Faron, der Biologe, »aber belebend hat er noch nie gewirkt.«

Bevor Jaspers die Vorzüge seines unbeliebten Getränkes verteidigen konnte, kam vom Bildschirm der entsetzte Aufschrei des jungen Jaanz.

»Laretto!«, rief er. »Er ist weg!«

Die Männer sprangen auf, und Dureau drängte sich nach vorn.

»Was ist passiert?«, fragte er scharf.

In Jaanz' kreidebleichem Gesicht wirkten die Lippen wie blutige Striche. Er wollte das Zittern seiner Hände verbergen, indem er sie fest gegen die Umfassung des Bildschirms presste.

»Er ist in einen Spalt gerutscht«, brachte er hervor. »Dort, an der dunklen Stelle im Schnee.«

Dureau erkannte einen feinen Dunstschleier an dem bezeichneten Platz, wahrscheinlich eine dünne Chlorgaswolke, die mit Eiskristallen durchsetzt war. Für einen Moment starrte er bewegungslos auf das Bild.

Wie tief mag er gestürzt sein?, dachte er.

Er schaltete die Sprechanlage wieder ein. Ein kurzer Blick zur Seite zeigte ihm das ernste Gesicht von Dr. Malvin.

»Laretto!«, rief er.

»Ich kann dich hören, Cap«, erwiderte der Italiener sofort. »Ich wünschte, dass ich dich auch sehen könnte.«

»Wie tief bist du gefallen, Alberto?«, fragte der Kuppelführer.

»Keine Ahnung. Es ist ziemlich dunkel hier unten. Vier Meter vielleicht oder mehr. Ich werde kaum allein herauskommen. Die Wände sind glatt und gefroren. Ich bin heilfroh, dass dem Anzug nichts passiert ist.«

Dureau dachte an den Wasserstoff. Wenn es nur eine winzige undichte Stelle gab ...

»Wir werden dich holen«, versprach er dem Verunglückten.

Eine Weile war es still, und Dureau glaubte schon, dass der Geologe den Helmlautsprecher ausgeschaltet hätte. Dann sprach Laretto plötzlich wieder. »Das wird schlecht gehen, Cap«, sagte er ruhig. »Wir haben nur noch einen Anzug. Das heißt, dass nur ein Mann zu mir raus kann. In dem Ding ist man schwerfällig wie ein alter, fetter Bernhardiner. Wie sollte mich der Mann aus dem Loch zerren?«

Dureau wusste natürlich, dass Laretto recht hatte. Im Augenblick konnte er sich nicht vorstellen, wie sie ihm helfen sollten. Doch sie mussten ihm helfen, und zwar schnell; der Sauerstoff, den Laretto mit sich führte, wurde ständig knapper.

Der Spalt, in den der Italiener gefallen war, befand sich etwa vierzig Meter vom Kuckucksei entfernt. Auf Tarat V bedeuteten diese vierzig Meter jedoch schon beinahe den Tod eines Mannes.

»Ich habe eine Idee«, log Dureau. »Verhalte dich ruhig, Alberto.«

Er schaltete das Mikrophon aus, so dass Laretto nicht mithören konnte.

»Wir haben drei Stunden Zeit, um ihm zu helfen«, gab er bekannt. »Wenn er innerhalb dieser Zeitspanne nicht bei uns ist, wird er ersticken.«

Jaspers trat vor. Er überragte Dureau um Kopfeslänge.

»Ich werde gehen«, erbot er sich. »Von allen bin ich der kräftigste Mann. Gebt mir ein Seil, damit werde ich ihn aus dem Loch ziehen.«

»Sie könnten ebensogut versuchen, einen Elefanten von einem Ende der Fifth Avenue zum anderen zu tragen«, mischte sich Endriss ein. »Mit seinem Anzug und der höheren Schwerkraft wiegt Laretto über vier Zentner. Wie wollen Sie ihn da herausziehen?«

Jaspers warf ihm einen zornigen Blick zu. Dureau durchbrach die gespannte Stimmung.

»Endriss hat völlig recht«, sagte er. »Trotzdem muss es einen Weg geben. Wir haben die Stahltrosse, mit der uns die FIEBERHEXE an Bord zieht. Sie ist für uns vorerst die einzige Möglichkeit.«

Doc Malvin rieb gedankenverloren sein Kinn. Seine braunen Augen funkelten.

»Wir haben ein Seil«, stellte er fest. »Was uns fehlt, ist eine Winde.«

»Eine Winde?«, fragte Jaanz verwirrt.

»Eine primitive Ausführung wäre leicht herzustellen«, stimmte Dureau zu. »Das genügt jedoch nicht. Sie müsste eine Übersetzung haben, die Kraft spart. Wir haben zwar elektronische Messgeräte zur Verfügung, aber keine Zahnräder.«

»Ich habe einen besseren Vorschlag«, meldete sich Faron. »Wir können ihn mit der äußeren Schleusentür aus dem Spalt holen.«

Er genoss einen Augenblick die Verblüffung der Männer, aber als ihm Dureau zunickte, fuhr er zu sprechen fort. »Es ist ganz einfach. Wir benötigen dazu ein U-förmig gebogenes Stück Metall und zwei Keile.«

»Ist er übergeschnappt?«, erkundigte sich Jaspers besorgt. »Oder will er uns auf den Arm nehmen?«

Faron hob seine Arme wie ein Zauberkünstler, der einen besonders gelungenen Trick vorführen will. »Wir schweißen das U-Eisen an die äußere Schleusentür. Erinnert euch daran, nach welcher Richtung sich die Schleuse öffnet. Sie bewegt sich dabei entgegengesetzt zu dem Loch, in das Laretto gefallen ist. Wir brauchen weiter nichts zu tun, als das Stahlseil in dem U-Eisen zu verkeilen und den Italiener durch die Kraft der Schleusenhydraulik herauszuziehen.«

»Das könnte gehen«, stimmte Dr. Malvin zu.

»Wir werden zweimal öffnen und schließen müssen, denn der einfache Weg der Schleusentür wird nicht ausreichen«, fuhr Faron fort. »Das ist jedoch kein Problem.« Er lächelte.

»Einer von uns wird hinausgehen und Laretto das eine Ende des Seiles in das Loch werfen, damit er es an dem Skaphander befestigen kann.«

Dureau, der die ganze Zeit über schweigend zugehört hatte, gab zu bedenken: »Wir können die Geschwindigkeit der Schleusentür nicht steuern. Wenn Alberto irgendwo hängenbleibt, kann es passieren, dass der Anzug aufreißt.«

»Ich weiß, dass es ein Risiko ist«, erklärte Faron hitzig. »Aber sollen wir ihn dort draußen ersticken lassen, Cap?«

In diesem Augenblick rief Laretto über die Sprechanlage: »Warum habt ihr das Mikrophon ausgeschaltet, Cap?« Seine Stimme klang erregt.

Dureau stellte die Verbindung wieder her und sagte ruhig: »Entschuldige, Alberto. Wir wissen jetzt, wie wir dich herausholen.«

Eine Weile war es still, aus dem Lautsprecher ertönten seltsame Geräusche, als schabe jemand mit einem Spachtel über hartes Gestein.

Dann sagte Laretto tonlos: »Ich glaube, dass es besser ist, wenn ihr mich hier unten lasst, Cap.«

Jaspers stieß einen halblauten Fluch aus, und Dr. Malvin warf Dureau einen besorgten Blick zu.

»Es muss sich niemand opfern, Alberto«, sagte Dureau ungeduldig. »Wir ziehen dich mit der Schleuse heraus. Faron ist auf diese Idee gekommen, und du musst nur verhindern, dass du irgendwo mit dem Anzug anhakst, während wir dich herausholen.«

»Hör auf damit, Cap!«, schrie der Italiener und Dureau zuckte unwillkürlich zusammen. »Es ist ein anderer Grund, der mich dazu zwingt, in diesem Loch zu bleiben.«

Er schien auf irgendeine Reaktion zu warten, aber als niemand sprach, sprudelte er hastig hervor: »Hier unten ist etwas.«

Trotz seiner Jugend war Dureau, an Wissen und Erfahrung gemessen, ein alter Mann; er hatte seine Gelassenheit und Übersicht in Aktionen gewonnen, die ihn als Kuppelführer berühmt gemacht hatten. Auch in diesem Moment zeigte er keine Unruhe.

Gedehnt fragte er: »Etwas?«

In seinen hellen Augen war ein ungewisses Flackern, das nur von Dr. Malvin, der direkt neben dem Mikrophon stand, bemerkt wurde.

Laretto sagte mit vor Furcht gedämpfter Stimme:

»Etwas Lebendes, Cap!«

Jaspers führte seinen Zeigefinger mit einer bezeichnenden Bewegung zur Stirn, aber der Kuppelführer winkte energisch ab.

»Hast du deine Helmlampe eingeschaltet, Alberto?«, fragte Dureau sachlich. »Kannst du etwas erkennen?«

Er stellte sich vor, wie der Italiener in der Grube kauerte und mit angstgeweiteten Augen auf das starrte, was er als »Leben« bezeichnet hatte. Vom Standpunkt eines Biologen war es einfach unmöglich, dass auf Tarat V etwas Lebendiges im menschlichen Sinne existieren konnte. Im menschlichen Sinne, wiederholte Dureau in Gedanken.

»Ich sehe überhaupt nichts, nur Ammoniak«, sagte Laretto. »Es ist nur so ein Gefühl, das mir sagt, dass ich ...«

»Unsinn!«, unterbrach ihn der Kuppelführer. »Es ist dieses elende Loch, was dir so zusetzt. Aber wir werden dich nicht darin umkommen lassen.«

»Cap!«, rief Laretto heiser, und noch einmal: »Cap!«

Dr. Malvin nahm Dureau das Mikrophon aus der Hand und sagte lächelnd: »Wir werden Sie gründlich duschen, Laretto. Das Stahl- und Dampfbad wird alles von Ihrem Schutzanzug abwaschen und vernichten, was immer daran haften sollte. Machen Sie sich keine unnötigen Gedanken.«

»In Ordnung, Doc«, brummte Laretto, und Dureau glaubte, eine gewisse Resignation aus der Stimme des Verunglückten herauszuhören.

»Wir fangen an«, befahl er ruhig. »Jaspers, Sie schweißen das U-Eisen fest und bringen das Seil an den Rand der Grube. Passen Sie auf, dass Sie nicht ebenfalls hineinfallen.«

Jaspers grinste breit, und Faron bemerkte spöttisch: »Das wird ihn eine Weile davon abhalten, uns mit seinem Kaffee zu verseuchen.«

Irgendwie, dachte Dureau grimmig, hatte sich Farons Humor verändert. Der Biologe hatte seltsam gereizt gesprochen.

Plötzlich wusste er, warum das so war: Faron hatte unbewusst davor Angst, dass Laretto in die Kuppel zurückkommen würde. Und Dureau, der seine Gefühle überprüfte, gestand sich ein, dass es ihm ebenso erging.

Aber er schwieg und wartete, bis Jaspers den ungefügen Anzug übergezogen hatte und in der Schleuse verschwunden war.

 

Sie benötigten über eine Stunde, um den Italiener aus dem Spalt zu befreien. Mit der Außenkamera beobachteten die Männer in der Kuppel die Vorgänge. Der Ammoniakschnee stiebte auf, als die äußere Schleusentür aufglitt und das Seil angespannt wurde.

»Es klappt!«, rief Jaspers.

Sie sahen das Stahltau über den vereisten Boden gleiten, wie eine lange, dünne Schlange, die auf ein Opfer zuschießt. Dureau fragte sich besorgt, warum Laretto nicht sprach, aber er konnte sich nicht überwinden, den Italiener nach dem Grund zu fragen.

Schließlich sagte Jaspers: »So und jetzt der zweite Streich.«

Er arbeitete schweigend und schnell. Das einzige, was die Außenkamera von seiner Anwesenheit zeigte, waren die Bewegungen des Seiles. Dann erschien plötzlich der obere Teil von Larettos Skaphander am Rand der Grube, und die Männer in der Kuppel brachen in Jubel aus.

Auf halber Höhe kippte der Italiener nach vorn und fiel der Länge nach auf den Boden. Das Seil riss ihn noch einen Meter weit mit, bis die Schleuse völlig geöffnet war, und Jaspers sagte: »Wir haben ihn herausgefischt.«

Dureau sah, wie Laretto sich schwerfällig erhob und Jaspers auf ihn zurannte, so schnell es der Schutzanzug gestattete. Der Italiener taumelte etwas, aber als sein Retter bei ihm war, stand er bereits fest auf den Beinen. »Ich glaube«, bemerkte Dr. Malvin trocken, »wir können die Dusche einschalten.«

 

Cap Dureau erwachte von einem unbestimmten Laut, der sich mit zunehmender Klarheit seiner Gedanken zu der Feststellung formte, dass Dr. Malvin aufgestanden war, um Laretto Wasser zu geben. Im gedämpften Licht der Kontrollampen sah Dureau die schlanke Gestalt des Arztes über den Wasserbehälter gebeugt. Laretto hatte sich in seinem Bett aufgerichtet und verfolgte mit schmerzverzerrtem Gesicht die Bewegungen des Doktors. Dureau hörte ihn leise stöhnen, und irgendwie erzeugte dieser Schmerzausbruch Larettos in Dureau eine tiefe Unruhe.

Beinahe unhörbar öffnete sich die Drosselklappe des Frischluftregulierers, und Sauerstoff strömte in den Raum. Mit einem gefüllten Becher ging Malvin durch die Reihe der Betten bis zu Laretto. Wasser schwappte über, als der Italiener mühsam trank, es lief über die Decken und bildete auf dem Boden dunkle Flecken.

Dureau schwang seine Beine aus dem Bett und tastete nach den Schuhen. Der junge Jaanz war ebenfalls erwacht und lag mit geöffneten Augen da, seine Brust hob und senkte sich rasch. Am Kontrollbrett glühte ein Licht auf und warf helle Reflexe auf die Betten. Laretto murmelte vor sich hin. Die Luft erschien Dureau unerträglich heiß und stickig. Laretto hatte seinen Unfall nicht so gut überstanden, wie die Männer gehofft hatten. Schon nach zwei Stunden hatte er über Kopfschmerzen geklagt, und Dr. Malvin hatte eine Beschleunigung des Pulsschlags festgestellt. Dann war Fieber eingetreten. Beunruhigt hatten die Männer ihren Schlaf angetreten und sich lange herumgewälzt, bis sie zur Ruhe gekommen waren.

Was kann ihm dort draußen widerfahren sein?, fragte sich Dureau. Er spürte einen beinahe unwiderstehlichen Drang, sich von Jaspers in die Grube bringen zu lassen, um festzustellen, ob es dort tatsächlich etwas gab, was beunruhigend oder gar gefährlich war.

So leise wie möglich tappte Dureau zu Larettos Bett und legte Dr. Malvin seine Hand auf die Schulter. Der Arzt sah auf.

»Es geht ihm schlecht«, sagte er zu Dureau. »Und er weiß es.«

Laretto unternahm einen schwachen Versuch, Dureau hoffnungsvoll anzulächeln. Sein schwarzes Haar klebte strähnig an der Stirn.

»Haben Sie eine Vermutung, was es sein könnte?«, fragte Dureau.

Malvin lachte, aber diesmal entsprang sein Lachen keiner Heiterkeit.

»Ich freue mich, dass Sie nicht nach Tatsachen fragen, Cap. Vermutungen kann ich Ihnen immerhin liefern.«

Der Kuppelführer blickte ihn erwartungsvoll an. Der Mediziner stellte den Becher auf den kleinen Tisch neben Larettos Bett und sagte: »Er hat etwas von draußen eingeschleppt, Cap!«

Dureau warf einen bestürzten Blick auf den kranken Geologen, dann trafen sich seine Augen mit denen Malvins.

»Aber das ist einfach unmöglich, Doc. Er trug einen Schutzanzug, der vollkommen sterilisiert wurde, bevor wir ihn hereinließen. Der Anzug kann auch nicht undicht gewesen sein, denn dann hätte der eindringende Wasserstoff zwangsläufig den Tod Albertos verursacht.« Er überlegte einen Augenblick. »Es ist unmöglich, dass Laretto sich dort draußen eine Krankheit zugezogen hat.«

Malvin zuckte die Schultern und deutete auf den Kranken.

»Ich sagte Ihnen bereits, dass ich Ihnen keine Tatsachen liefern kann, außer der, dass unser Freund krank ist, seitdem er dieses Loch verlassen hat. Das kann natürlich reiner Zufall sein, aber wir müssen die Möglichkeit einschließen, dass Laretto an etwas leidet, das er sich dort draußen zugezogen hat.«

Ein neuer Gedanke durchzuckte Dureaus Gehirn.

»Könnte diese Krankheit infektiös sein?«, erkundigte er sich.

Malvin schaute ihn stumm an, und es dauerte eine ganze Weile, bis er leise sagte: »Hoffen Sie, dass sie es nicht ist.«

Dureau dachte, dass der Pessimismus des Arztes doch etwas übertrieben sei. Schließlich war Larettos Leben nicht gefährdet, und kein anderer Mann zeigte irgendwelche Anzeichen, die darauf schließen ließen, dass sich die Krankheit weiterverbreitete.

»Die Erforschung neuentdeckter Planeten birgt immer ein Risiko in sich«, sinnierte Malvin. »Ich habe mir schon überlegt, ob die Menschen nicht für jede Welt, von der sie Besitz ergreifen, einen bestimmten Preis bezahlen müssen. Vielleicht sind wir diesmal an der Reihe.«

Im Blick des Mediziners las Dureau die Erinnerung an die fürchterlichen Ereignisse auf Gestondar II, erkannte die nachempfundene Furcht vor den Ungeheuern von Alat VI und spürte die Wirkung aller Geschichten, die über neuentdeckte Planeten erzählt wurden.

»Nehmen Sie es mir nicht übel, Cap«, sagte der Arzt, »aber Sie sind viel zu sehr Techniker und vertrauen blindlings allem, was Sie und Ihre Kollegen zu unserem Schutz entwickeln. Larettos Zustand ist beängstigend, und es scheint fast, als hätte er die Kontrolle über seinen Körper verloren.«

Dureau wusste nicht, was Malvin damit meinte, aber er hatte auch kein Verlangen, ihn nach dem Sinn dieser Worte zu fragen. So sagte er nur: »In zwei Wochen wird uns die FIEBERHEXE von hier abholen. Auf der Erde wird man Alberto bestimmt helfen können.«