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WILLIAM VOLTZ

 

 

 

DIE HAUT

DES ANDEREN

 

Erzählungen

 

 

 

 

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WING Publishing

Inhalt

 

Über den Autor

Vorwort

Die Haut des anderen

Stuntmen

Metropolis

Funkkontakt

Wer mit dem Schwert in der Hand lebt …

Briefwechsel

Echo

Das Monument

Ebbe und Flut

Himmel

Das Leuchtfeuer

Die Falle

Der Anker

Klassiker

Das Grab

Der Wächter

Jonathan

Übertriebene Zuwendungen

Feuersalamander

Einsam

Am Ziel aller Wünsche

Über den Ausbruch eines galaktischen Krieges

Eine Art Kunst

 

Über den Autor

 

William Voltz wurde am 28.Januar 1938 in Offenbach geboren. Er interessierte sich bereits in früher Jugend für Science Fiction, wurde Mitglied im SFCD und war Mitbegründer des SF-Clubs STELLARIS in Frankfurt.

William Voltz begann mit dem Schreiben von Kurzgeschichten und auch ein Buch mit dem Titel STERNENKÄMPFER wurde veröffentlicht. Für seine Stories, die sich großer Beliebtheit erfreuten, bekam er im Jahr 1961 den »Besten Fan-Autor Preis«.

Sein Engagement ebnete ihm 1962 den Weg ins damals noch junge und kleine PERRY RHODAN - Team.

Bis zu seinem viel zu frühen Tod am 24. März 1984 schrieb der Autor nicht nur für diese und andere Serien, sondern veröffentlichte auch Serien unabhängige Romane und Kurzgeschichten.

Bookwire gab uns die Möglichkeit, diese William Voltz Veröffentlichungen als e-books anzubieten.

Vorwort

 

Könnten Sie nicht einmal, schrieb mir kürzlich ein jugendlicher Perry-Rhodan-Leser, Ihren Namen so deutlich unter einen Brief setzen, dass man auch weiß, wer einem da auf einen Leserbrief antwortet?

Ein anderer Leser wollte wissen, wofür denn das W bei Euer W. Voltz steht, das ich jede Woche unter die Leserkontaktseite der Perry-Rhodan-Serie setze.

Schließlich fragte ein Leser der 5. Auflage von Perry Rhodan, wer denn eigentlich dieser W. Voltz sei, der jede Woche die Leserkontaktseite macht; ein Autor könne es ja wohl schlecht sein, denn einen Roman von W. Voltz gebe es nicht.

Den Höhepunkt dieser Kampagne (denn nur um eine solche kann es sich handeln) bildete eine Karikatur, die eindeutig mich zeigt, wie ich von einem begeisterten Fan um ein Autogramm angegangen werde. Die Schlusssequenz des Cartoons zeigt mich (mit einem ziemlich bedepperten Gesichtsausdruck), wie ich dem Fan das Autogramm überreiche, woraufhin dieser sagt: »Vielen Dank, Clark Darlton!«

So schnell verblasst das bisschen Ruhm, das man sich mühselig zusammengekratzt hat, wenn man nicht ständig am Ball bleibt. Wundert es Sie da noch, dass ich Ihnen mit der 5. Sammlung meiner SF-Stories auf den Pelz rücke?

Über die Stories selbst ist an dieser Stelle nicht viel zu sagen: In einer kleinen Bibliographie am Schluss des Buches sind alle Erscheinungsdaten gesammelt. Diese Angaben ergänzen die Bibliographie zu allen fünf Sammelbänden, die in UTOPIA-Classics Nr. 37 erschienen ist. Das Titelbild des vorliegenden Bandes ist übrigens dem Bildband ZEITSPLITTER entnommen, der 1981 bei MOEWIG veröffentlicht wurde.

Darin, wie man im Gedächtnis seiner Leser haften bleibt, scheinen einige meiner Kollegen wesentlich mehr Erfahrung zu haben als ich (jedenfalls habe ich diesen Eindruck). Clark Darlton z.B. faulenzt schon seit langem in Irland herum – aber jedermann kennt ihn. Ich nehme an, seine Berühmtheit verdankt er seinen Untaten. Dabei habe ich ihm oft mit Fleiß zur Seite gestanden, wenn es darum ging, irgendwelche krummen Dinger zu drehen. Ich erinnere mich, wie wir in einem Münchener Nobelhotel nächtens die zum Putzen vor die Zimmer gestellten Schuhe vertauschten und in die entgegengesetzten Stockwerke trugen. Am nächsten Morgen sahen wir Boxertypen mit zierlichen Damenschuhen und Mädchen mit ausgetretenen Knobelbechern verzweifelt durch das Hotel irren. In einem ähnlich gelagerten Fall stahlen Clark Darlton und ich den Sackkarren des Irschenberger Hotels POST, fuhren damit nach Reit im Winkl und banden ihn an die Seilbahn.

Es wird Zeit, dass die Öffentlichkeit erfährt, dass ich an all diesen Aktionen beteiligt war – und dass endlich auch ein bisschen Licht auf mein Haupt fällt.

Aber ich weiß schon, was passieren wird: Irgendjemand wird mich im Nachhinein anzeigen, ich werde eine saftige Strafe bezahlen und einen Leserbrief erhalten, in dem steht: Die Kurzgeschichten von Clark Darlton in Utopia-Classics Nr. 60 waren ja gerade noch erträglich, aber wer zum Teufel gibt einem gewissen W. Voltz das Recht, das Vorwort dazu zu schreiben und vor allem: Wer ist das überhaupt?

 

Heusenstamm

Herbst 1983

William (W.) Voltz

Die Haut des anderen

 

Als Marduk sich an seinem Seil fast bis zu dem Felsvorsprung hinabgelassen hatte, tauchte vom Meer her der Riffgeier auf. Der Horst des Geiers lag etwa hundert Schritte weiter westlich, im Wurzelstumpf einer uralten Sturmkiefer. Man konnte nicht in ihn einsehen, aber der Angriff des Vogels ließ keinen Zweifel daran, dass sich ein Gelege darin befand.

Die Schreie des Geiers übertönten das Rauschen der Brandung tief unter Marduk. Er ließ das Seil mit einer Hand los und zog sein Messer aus dem Gürtel. Insgeheim hoffte er, dass der Vogel unmittelbar vor der Steilküste abbremsen würde, doch das geschah nicht. Das Geiermännchen – Marduk erkannte es an der Flammenkopfmusterung auf der Brust – spreizte die Klauen und ließ sich vom Aufwind von unten her an Marduk herantragen. Marduk wurde nur gestreift. Er trat nach dem Geier, aber er traf ihn nicht. Das Seil schaukelte heftig und begann an der Stelle, wo es oben über den Hang führte, auf den scharfen Steinen zu scheuern.

Der Felsvorsprung mit den Kristallen lag noch sieben Schritte unter Marduk. Er ließ sich ein Stück weiter hinabgleiten, obwohl es sicher klüger gewesen wäre, so schnell wie möglich in die Höhe zu klettern und von hier zu verschwinden.

Der Riffgeier kam erneut heran. Diesmal flog er parallel zur Felsenwand, wobei er die Flügel ausgebreitet hatte. Seine Spannweite übertraf die Größe eines ausgewachsenen Mannes. Marduk glaubte die gläsern schimmernden Augen genau zu sehen. Das heisere Krächzen kam näher. Marduk drehte sich hinter das Seil und hielt das Messer stoßbereit. Der Vogel rauschte vorbei. Einer seiner Flügel klatschte Marduk ins Gesicht. Er hieb blindlings zu, stieß aber mit dem Messer nur ins Leere.

Schrille Schreie kamen aus der Höhe. Marduk hob den Kopf und sah das Geierweibchen auf einem Felsenvorsprung hocken. Es schien seinen Gefährten anstacheln zu wollen. Dann ließ es sich fallen und stürzte wie ein Stein auf Marduk herab.

Marduk begann mit dem Seil zu pendeln. Der Vogel breitete die Flügel aus und fing seinen Sturz ab, wobei er gleichzeitig die Klauen gegen Marduk ausstreckte und mit seinem handlangen Schnabel nach ihm hackte.

Marduk erhielt eine Verletzung am Oberarm. Von der Seite kam der zweite Riffgeier. Die Vögel wurden immer erregter. Bei ihren Angriffen nahmen sie immer weniger Rücksicht auf die eigene Sicherheit.

Hör auf, ihn zu reiten, du bringst ihn sonst um! Die Kristalle sind nicht so wichtig!

Wenn er sich nach oben und in Sicherheit ziehen wollte, musste Marduk das Messer wegstecken, um sich mit beiden Händen hochzuziehen. Aber die Vögel würden auch dann nicht von ihm ablassen.

Plötzlich änderte er sein Vorgehen. Er ließ sich in aller Hast zu dem Felsvorsprung hinabgleiten, wo die Kristalle lagen, deretwegen er hergekommen war. Dort hatte er festen Boden unter den Füßen und konnte dem Geierpärchen richtigen Widerstand leisten.

Vor Anbruch der Nacht würde er jedoch nicht umkehren können, denn die Vögel würden ihn wachsam umkreisen.

Das bedeutete, dass er noch auf dem Felsen stehen würde, wenn die Flut kam.

Du hast ihn in die Enge getrieben!

Marduk bückte sich vorsichtig, um nicht durch einen unbedachten Schritt in die Tiefe zu stürzen. Er sammelte die Kristalle ein und steckte sie in seinen Grasbeutel. Seine Beute hatte er nun errungen, aber es war fraglich, ob er damit jemals wieder den Ausgangspunkt seines Unternehmens erreichen würde.

Die Geier schienen erkannt zu haben, dass ihrem Horst keine unmittelbare Gefahr drohte, denn sie hatten ihre Angriffe eingestellt. Wie Marduk jedoch befürchtet hatte, umkreisten sie ihn wachsam. Sie würden über ihn herfallen, wenn er sich heftig bewegte.

Er blickte in die Tiefe.

Täuschte er sich oder begann das Wasser bereits zu steigen?

Er bewunderte das Vogelpärchen, dessen Instinkt es beim Bau des Horstes so geleitet hatte, dass das Nest auch beim Höhepunkt der Flut noch ein paar Meter über der Wasseroberfläche lag.

Marduk wunderte sich, dass die Kristalle niemals weggespült worden waren. Sie hatten allerdings geschützt in einer Bodenmulde gelegen und da sie ein hohes spezifisches Gewicht besaßen, hatten sie ihren Standort nicht verändert. Die Suche nach Kristallen gestaltete sich schwierig, denn das Morgon-Land war weitgehend ausgeplündert. Um über die Grenzen hinaus zu gehen und es im Gebiet anderer Stämme zu versuchen, waren die Morgons zu schwach; außerdem wurde in den anderen Ländern ebenfalls nach Kristallen gesucht.

Marduk war ein untersetzter, muskulöser Mann, mit einem leichten Hang zum Fettansatz. Sein Gesicht war wulstig. Vor allem die Stirnwülste mit den stark ausgebildeten Augenbrauen standen stark hervor. Die beiden Augen waren nur erbsengroß, aber sie saßen an fingerlangen Stielen, die nach allen Richtungen bewegt werden konnten. Marduks Mund nahm den gesamten unteren Bereich des Gesichts ein. Er war breit und von hornigen Lippen umrahmt. Wenn Marduk ihn weit aufriss, konnte er damit Nüsse von der Größe eines Männerkopfs knacken und verschlingen.

Als Zeichen seiner Häuptlingswürde trug Marduk einen fingerdicken Ahornspieß, den man ihm quer durch den Hals gestochen hatte. Einige alte Schamanen beherrschten diese Kunst des Holzstechens, aber auch unter ihren geschickten Händen waren schon einige junge Krieger verblutet, bevor sie die Häuptlingswürde hatten ausüben können.

Marduk hatte das gefährliche Ritual überstanden, wenn ihm auch der Spieß oft zu schaffen machte – vor allem bei schlechtem Wetter.

Seit ein paar Jahren war Marduk schlecht zu Fuß. Er hatte bei einem Kampf gegen einen Eber schwere Sehnenverletzungen am linken Bein davongetragen und zog es daher beim Gehen stark nach. Am liebsten hing er daher am Kletterseil oder schwamm im Meer, denn dabei fielen seine körperlichen Nachteile nicht auf.

Willst du ihn sterben lassen? Er ist immerhin ihr Häuptling!

Marduk umfasste sein Seil mit einer Hand und begann es behutsam zu überprüfen. Dabei ließ er die über dem Meer kreisenden Geier nicht aus den Augen, denn er wollte sie auf keinen Fall herausfordern.

Das Seil würde halten, auch wenn es stärkeren Belastungen ausgesetzt werden sollte.

Wenn sich die Geier noch mehr beruhigt hatten, wollte Marduk sich an den Aufstieg machen. Er hoffte, dass die Vögel sich zurückhielten, wenn er behutsam nach oben kletterte und immer wieder Pausen einlegte.

Plötzlich wurde das Seil von oben aus bewegt.

Marduk legte den Kopf in den Nacken und blickte erschrocken den Steilfelsen hinauf.

Ranjin hatte sein Gesicht über den Abhang geschoben und grinste zu Marduk herab. Er winkte Marduk mit einer Hand zu, mit der anderen hielt er ein Messer und machte eindeutige Gesten in Richtung des Seils.

Marduk unterdrückte einen Aufschrei.

Wie hatte Ranjin ihn nur finden können? Vermutlich hatte der andere ihm nachspioniert, seit er am frühen Morgen das Dorf verlassen hatte.

»Ich könnte das Seil einfach durchschneiden!«, rief Ranjin herab. »Aber das wäre zu einfach. Vielleicht riskierst du den Aufstieg trotz meiner Anwesenheit. Aber vielleicht bist du auch zu feige und wartest, bis die Flut kommt. Ein guter Schwimmer kann sich vielleicht retten, ohne von den Wellen gegen die Felsen geschmettert zu werden.«

Marduk erwiderte nichts.

Was hätte er auch sagen sollen?

Ranjin hatte schon immer auf eine Gelegenheit gewartet, ihn auszuschalten. Ranjin war nicht der geborene Mörder, aber in seinem Hass gegen Marduk war er so verblendet, dass er vor nichts zurückschreckte. Seit Aljine in Marduks Hütte gezogen war, verfolgte Ranjin ihn mit diesem unbändigen Hass. Ein paar Mal hatte er versucht, sich mit Ranjin auszusprechen, doch es war nichts dabei herausgekommen.

Bisher, dachte Marduk voll grimmiger Selbstironie, hatte er die Wahl zwischen dem Geierpärchen und der Flut gehabt – nun war noch Ranjin dazugekommen.

Marduks einzige Hoffnung war, dass zufällig jemand vom Dorf an der Steilküste vorbeikam. Rufen war sinnlos, denn seine Stimme würde nicht über die Steilküste reichen. Außerdem wurde das ansteigende Wasser immer lauter.

»Nun, wie gefällt dir deine Lage?«, rief Ranjin höhnisch. »Willst du nicht um dein Leben bitten? Vielleicht lasse ich mein Herz erweichen und rette dich.«

Marduk schenkte ihm nicht einmal einen Blick.

»Du bist zu stolz, um mit mir zu reden!«, schrie Ranjin außer sich. »Aber dein Stolz kann dir dein Leben nicht retten.«

Er war aufgesprungen und schwang drohend eine Faust.

Die Geier kamen irritiert näher. Sie schienen zu argwöhnen, dass sich ein zweiter Gegner ihrem Nest näherte. Doch sie griffen Ranjin nicht an, wie Marduk für einen Augenblick gehofft hatte.

»Wenn Aljine ihre Trauer über deinen Tod überwunden hat, wird sie zu mir ziehen!«, rief Ranjin. »Es wird nicht sehr lange dauern, denn sie ist eine junge Frau, die sich nach den kräftigen Armen eines Mannes sehnt.«

Marduk schloss die Augen und versuchte, überhaupt nicht hinzuhören. Aber Ranjins Stimme erhob sich über das Kreischen der Raubvögel ebenso wie über das Brausen des Windes und das Schlagen der Wellen gegen die Felsen.

Er befindet sich in einem unlösbaren Dilemma. Du wirst ihn aufgeben müssen.

»Ohne Frage wird man mich zum Häuptling machen!«, fuhr Ranjin fort. »Ich habe die allerbesten Aussichten. Siehst du, Marduk – ich werde letzten Endes doch noch triumphieren, du verdammter Humpler.«

Marduk stöhnte auf.

Niemand hätte je gewagt, ihn wegen seines körperlichen Gebrechens zu verhöhnen. Ranjin war eine feige Ratte, der sich seiner Sache sicher war.

Marduk umklammerte das Seil und begann sich hochzuziehen.

Das Geschrei der Geier wurde sofort lauter. Die beiden großen Vögel kamen näher.

Marduk spürte, wie das Seil erzitterte. Er blickte nach oben und sah Ranjin mit der Messerschneide daran sägen. Ranjin würde das Seil durchtrennt haben, lange bevor Marduk sein Ziel erreichte. Aber selbst wenn Marduk das gelänge, hatte er keine Chance, mit dem Leben davonzukommen. Noch bevor er über den Rand des Steilhangs klettern konnte, würde Ranjin ihn mit einem Fußtritt zurückstoßen.

Der Häuptling ließ sich auf den Felsvorsprung zurückgleiten.

Er hörte Ranjins gellendes Gelächter.

»Warum gibst du so schnell auf, Humpler? Hat dich dein ganzer Mut verlassen? Soll ich Aljine holen, damit sie sieht, wie ihr großer Häuptling in der Todesnot klein und unscheinbar geworden ist?«

Marduk drehte sich langsam um die eigene Achse.

Er blickte ins Meer hinab, das ihm als einziger Ausweg zu bleiben schien. Aber unter ihm ragten spitze Felsen aus dem Wasser. Auch wenn er wartete, bis die Flut sie bedeckte, wurden seine Chancen kaum größer, denn mit der Flut kam die Brandung, die ihn sofort erfassen und gegen den Steilfelsen schmettern würde.

Trotzdem würde er sich für diesen Weg entscheiden, überlegte Marduk.

Das Meer ließ ihm eine winzige Chance, während auf dem Weg nach oben die Geier und Ranjin lauerten, was das sichere Ende bedeutete.

Nur ganz langsam machte der Häuptling sich mit dem Gedanken vertraut, dass er sterben würde. Der Tod war ihm immer als etwas erschienen, das nur die anderen betraf. Er hatte sich niemals über sein Ende Gedanken gemacht. Dass er nun damit konfrontiert wurde, traf ihn um so härter. Alles in ihm lehnte sich dagegen auf. Er wollte sich nicht damit abfinden – unter keinen Umständen.

Sein schier übermächtiger Lebenswille ließ ihn aufschreien.

Ranjin quittierte diesen Gefühlsausbruch mit einem erneuten wilden Gelächter.

Das Meer war inzwischen weiter gestiegen, aber es würde noch einige Zeit dauern, bis es den Felsvorsprung erreicht hatte.

Vielleicht ließ Ranjin mit sich handeln, überlegte Marduk.

»Hör mir zu!«, rief er zu dem Krieger hinauf. »Warum willst du dein Gewissen mit einem Mord belasten, wenn du alles, was du möchtest, auch umsonst haben kannst?«

Ranjins nicht gerade intelligentes Gesicht verzog sich. Doch nach einer Weile des Nachdenkens schüttelte er den Kopf.

»Du willst mich hereinlegen«, warf er Marduk vor. »Aber das wird dir nicht gelingen. Entweder, du steigst herauf und stirbst durch die Vögel und einen Schnitt meines Messers oder du lieferst dich den Wellen aus. Du kannst dein Ende wählen.«

»Ich werde das Dorf verlassen«, versprach Marduk. »Ich werde von hier aus nicht zurückkehren, so dass man annehmen wird, ich sei ertrunken. Damit ist der Weg für dich frei. Du kannst Häuptling werden und Aljine bekommen.«

»Und wie kann ich sicher sein, dass du dich an die Abmachungen halst?«, fragte Ranjin lauernd.

»Du weißt, dass dein Häuptling ein ehrlicher Mann ist. Wer könnte behaupten, mich je eine Unwahrheit sprechen gehört zu haben?«

»Das mag zwar stimmen«, gab Ranjin zu, »doch in diesem Fall kann ich mir nicht sicher sein. Der Gedanke an Aljine und die verlorene Häuptlingswürde würde dich allzeit quälen, so dass du schließlich zurückkommen würdest, um dich an mir zu rächen.«

Vermutlich hatte der andere sogar recht, dachte Marduk. Zumindest von seinem Standpunkt aus ging Ranjin ein zu großes Risiko ein, wenn er den Häuptling entkommen ließ.

Entsetzt begriff Marduk, dass er Ranjin nicht umstimmen konnte. Nichts konnte seinen Tod verhindern.

Marduk ergriff mit beiden Händen das Seil und begann wütend daran zu zerren.

»Das hilft dir auch nicht!«, sagte Ranjin.

Marduk lehnte sich mit dem Rücken gegen die Felswand und schloss die Augen.

Das Kreischen der Geier und das Tosen der stärker werdenden Brandung war in seinen Ohren.

Aber Marduk hatte mit seinem Leben noch nicht abgeschlossen.

 

Die Orbitalstation war vor siebzehn Tagen terranischer Zeitrechnung vom Mutterschiff ausgesetzt worden. Seither hatte sie Gonoos sechsundsechzigmal umkreist.

Die Reiter hatten etwa fünfzehn Zentner Kargo-Kristalle gesammelt, und Kommandant Orejuela schickte sich an, einen Fährrobot nach Gonoos zu schicken, um die kostbare Fracht abzuholen.

Die Eingeborenen trugen die Kristalle an bestimmten Sammelplätzen zusammen und kümmerten sich dann nicht mehr um sie. Mit dem Rückzug der Reiter schienen die Eingeborenen jedes Interesse an den Kristallen zu verlieren, es war, als hätten sie niemals etwas von der Existenz der Mineralien gewusst.

Orejuela war ein Technokrat, das hieß, dass er sich kaum um die psychologischen und philosophischen Aspekte der Reiterei kümmerte. Er selbst war nur einmal geritten, aber sein Träger war bei der Aktion gestorben.

Es gab Reiter, die seit über dreißig Jahren im Dienst der Schürfgesellschaft standen und von denen man den Eindruck hatte, dass sie nichts mehr anderes tun wollten als reiten. Sie wirkten phlegmatisch und geistesabwesend, solange sie nicht unter der Transferhaube saßen.