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Über dieses Buch:

Frische Landluft wirkt bekanntlich Wunder: Trotzdem kann sich Stadtkind Desirée einfach nicht vorstellen, an der Seite von Benny ihr Glück zu finden, denn er ist Bauer aus tiefstem Herzen. Die beiden können nicht miteinander, ohneeinander wollen sie aber auch nicht sein. Das Schicksal scheint ihnen einen Wink zu geben, als sich plötzlich Nachwuchs anmeldet – und die beiden Sturköpfe erst recht ins Gefühlschaos stürzt …

»Eine sehr komische und gleichzeitig sehr tragische Geschichte, mit viel Humor und Feingefühl erzählt.« Westdeutscher Rundfunk

Über die Autorin:

Katarina Mazetti, geboren 1944 in Stockholm, arbeitete als Schwedisch- und Englischlehrerin sowie als Journalistin bei Sveriges Radio. Mit ihrem Erfolgsroman »Der Kerl vom Land« stand sie monatelang in Schweden auf der Bestsellerliste, 2002 wurde das Buch verfilmt.

Katarina Mazetti veröffentlichte bei dotbooks bereits ihren romantischen Schweden-Roman »Der Kerl vom Land – Eine Liebesgeschichte«. Weiterhin erschien ihr schwedischer Liebesroman »Ein Kerl zum Verlieben« sowie der fesselnde Kriminalroman »Das Schweigen der Schuld«.

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eBook-Neuausgabe Februar 2018

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 1998 und 2005 Katarina Mazetti

Die schwedische Originalausgabe erschien 1998 und 2005 unter dem Titel »Familjegraven« bei Alfabeta Bokförlag AB, Stockholm.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 und 2005 Piper Verlag, München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildabbildung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Timages, Madlen, iko, Irina Fischer und Tapui

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-202-3

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Katarina Mazetti

Mein Kerl vom Land und ich

Die Liebesgeschichte geht weiter

Aus dem Schwedischen von Annika Krummacher

dotbooks.

HEITER BIS WOLKIG

Benny

Vermutlich hatte ich Glück, daß ich mich im Treppenhaus auf die Nase legte, als ich nach der ersten der drei Nächte aus Desirées Wohnung schwebte. Ich rutschte mehrere Stufen hinunter, ehe ich mich mit den Ellenbogen am Fahrstuhlschacht abfangen konnte (tat verdammt weh) und auf einem Knie am Treppenabsatz zum Stillstand kam, mit ziemlich seltsam abgewinkeltem Bein. Ich glaubte sogar, es im Kniegelenk knacken zu hören.

Eine Tür öffnete sich im Stockwerk unter Desirée, ein alter Mann im Morgenmantel spähte mißtrauisch ins Treppenhaus hinaus. Da kniete ich also vor ihm und hatte so verflixte Schmerzen, daß ich mir auf die Lippe beißen mußte, um nicht zu stöhnen, aber irgendwie wollte ich ihn beruhigen, daß ich keine Gefahr für die allgemeine Sicherheit darstellte, weshalb ich mich würdig in seine Richtung verbeugte. Benny, der Reichstrottel von Schweden. Die Tür schloß sich mit einem Knall, und ich hörte, wie der Mann das Schloß und die Sicherheitskette einrasten ließ. Er muß geglaubt haben, daß ich Mitglied irgendeiner komischen Sekte wäre, ein Zeuge Jehovas von der schlimmsten Sorte, der schon auf der Treppe eine Andacht hielt, bevor er versuchte, weitere Jünger zu werben. Herrgott noch mal.

Haben Sie schon mal versucht, mit gestrecktem Bein Auto zu fahren, während Sie mit dem anderen Fuß Kupplung, Gas und Bremse betätigen? Das Auto hüpfte nach Hause wie ein Kaninchen.

Aber irgendwie hatte ich auch Glück. Denn den ganzen nächsten Tag hatte ich so verdammte Beinschmerzen, daß ich kaum an etwas anderes denken konnte. Wenn ich es versucht hätte, dann hätte es vermutlich einen Kurzschluß im Hirn gegeben von den ganzen Querverbindungen. Desirée, schon wieder. Die ganzen alten Gefühle, die im Bauch zerrten. Und Anita. Die Gott sei Dank schlief, als ich nach Hause kam, und auch noch, als ich am nächsten Tag in den Kuhstall humpelte. Ich vermied sogar den Anblick ihres Strickzeugs auf der Küchenbank, während ich eine Tasse Instantkaffee in mich hineinschlürfte, den ich mir mit warmem Wasser direkt aus dem Hahn zusammengerührt hatte. Dabei war ich ständig auf dem Sprung, um rechtzeitig hinauslaufen zu können und ihr nicht in die Augen sehen zu müssen.

Und dann das Melken: mit gestrecktem Bein und einem Knie, das so groß war wie ein Handball und heiß vor sich hin pochte. Ich humpelte herum und suchte nach dem Melkschemel, den man sich umschnallt und den ich so lange nicht benutzt hatte, daß ich nicht mehr wußte, wie man darauf das Gleichgewicht hält. Ich kippte um, rutschte in die Jaucherinne und stieß wieder gegen meinen empfindlichen Ellenbogen. Da lag ich mitten im Mist, grinste vor mich hin und sagte laut: Das geschieht dir nur recht, du Stinkstiefel. Und dachte daran, wie ich Desirée mit meiner Erzählung davon amüsieren würde. Ich war so glücklich, daß ich mich schämte.

Doch viel Gelegenheit zum Erzählen gab es nicht. Irgendwie nicht die richtige Stimmung für Smalltalk und lustige Geschichten. Schon als ich mich abends davonmachte, war ich nicht gerade gut drauf. Ich mußte Anita etwas vorlügen, obwohl sie Griebenwurst mit Dillkartoffeln gekocht hatte, mein Lieblingsessen. Der Katalog der Juwelierkette Guldfynd lag auf der Küchenbank, und ich wette, es war kein Zufall, aber ich tat so, als hätte ich ihn nicht gesehen. Ich hatte das Gefühl, als würde sie mich öfter anschauen als sonst, und stotterte eine Geschichte zusammen, wie ich auf dem Heuboden gestolpert sei und mir das Knie gebrochen hätte, und ich litt ziemlich herum. Der Stinkstiefel, der über die Stränge geschlagen hatte und jetzt Trost suchte. Aber das verfehlt nie seine Wirkung, die Krankenschwester in Anita übernahm, und sie drückte sachkundig am Knie herum, verpaßte mir einen Stützverband und sagte, es sei nur eine leichte Verstauchung.

Ich bekam kaum Luft, als ich vor mich hinmurmelte, daß Berggren in Norrbyn Hilfe beim Ausfüllen der EU-Formulare bräuchte. Dann humpelte ich zum Auto und raste geradewegs in Richtung Stadt. Erst nach einer Weile fiel mir ein, daß Berggrens in der entgegengesetzten Richtung wohnen – falls Anita aus dem Fenster gesehen hatte, mußte ich mich auf einige Fragen gefaßt machen.

Doch darauf pfiff ich – denn ich mußte ja los. Schließlich war ich ein Mann mit einer Mission. Ein richtiger Superheld! Einer, der mit magischen Kräften angeschwebt kommen und kleine Krabben schwängern würde. Eigentlich fehlten nur noch der Superman-Anzug und der Mantel. Und natürlich ein Logo auf der Brust ... Ein großes Spermium vielleicht?

Ich grübelte ein bißchen darüber nach, ob ich mir mißbraucht vorkommen sollte. War es nicht ein sexueller Übergriff, sich einen alten Liebhaber zu krallen und sich einfach zu bedienen, wenn man sich plötzlich in den Kopf gesetzt hatte, ein Kind haben zu wollen? Sollte ich ihr eine Abfuhr erteilen und ihr vorschlagen, statt dessen ein Konto bei einer Samenbank zu eröffnen?

Ach, ich wußte sehr wohl, daß ich es einfach nicht bleiben lassen konnte, selbst wenn ich auf einem Bein in die Stadt hätte humpeln müssen. Und Kinder waren für Desirée nicht einfach ein neues Spielzeug. Das einzige, was mich daran hinderte, im Auto laut Hosianna zu singen, war der nagende Verdacht, daß sie eigentlich nur an meinen kleinen schwänzelnden Racker ranwollte, und nicht an mich als Person. Natürlich hatte ich alle meine Zweifel in einen tiefen Brunnen gepackt und den Deckel mit einer Schraubzwinge befestigt. Vielleicht würde ich Anita niemals etwas erklären müssen? Verdammt, vielleicht war ich ja zu oft in der Nähe von grünem Kryptonit gewesen, so daß die Spermien ihren Geist aufgegeben hatten? Oder hatte zuviel Roundup abbekommen oder irgendein anderes Gift, das man in der Landwirtschaft verwendete. Und was würde Desirée dann von mir wollen?

Sie weinte, nachdem wir miteinander geschlafen hatten, und sagte, daß sie mich nicht wiedersehen wolle, denn dann würde sie anfangen, sich wieder nach mir zu sehnen. Nach mir? Wieder? Ich war so verwirrt, daß ich nur »Aha« sagte, aus ihrer Wohnung verschwand und mit dröhnenden Kopfschmerzen nach Hause irrte. Aber am Abend danach fuhr ich trotzdem hin. Drei Versuche, hatten wir gesagt. Und selbst wenn sie es nicht wollte, hatte ich zumindest beschlossen, sie zu fragen, was sie mit »wieder« gemeint hatte.

Aber am dritten Abend war sie nicht zu Hause. Sie öffnete jedenfalls nicht.

Desirée

Ich wachte mit Bennys Duft im Kopfkissen auf. Seife, mit einem Einschlag von Heu, Motoröl und Kaffee, Kuhmist als Kopfnote. Wie es in der Parfümwerbung immer heißt.

Es war ein so merkwürdiger Tag. Es kam mir so vor, als hätte ich einen Schritt aus meinem eigenen Leben getan und mich ein Stück danebengestellt. Alles, was ich dachte, waren nur Randnotizen, ein Schwänzen von meinem zurechtgelegten, vorhersagbaren und ziemlich netten Dasein.

Denn so war es ja. Ich mußte mich auf Standby stellen und mitten in der Bewegung gefrieren, bis dieses Unerhörte entschieden war. Wenn wir ein Kind erwarteten, würden wir alles noch einmal auf den Prüfstand stellen müssen, die Karte quasi neu zeichnen. Wenn nicht, dann wäre alles »business as usual«, und nichts Besonderes wäre geschehen.

So habe ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich klein war und Tante Anna-Lisa mir damit drohte, daß Kinder, die fluchten, im Kinderheim landeten. Ich hatte gerade eine neue Freundin, die Agneta hieß und im Nachbarhaus wohnte. Sie sagte manchmal »verdammter Scheiß« und wischte sich ihre verrotzte Nase mit dem Ärmel ab. Ich bewunderte sie maßlos und wäre gern so gewesen wie sie. Aber wenn mein Vater erfahren hätte, daß auch ich fluchte, dann hätte er mich sicher mit dem Auto zu einem riesigen Haus gebracht, wo es einen Haufen Kinder und lauter bösartige Tanten gab. Da machte ich genau diesen Schritt aus meinem Leben hinaus, befand mich mehrere Tage lang im Ausnahmezustand. Spielte nicht mit der neuen Puppe, um sie nicht zu sehr zu vermissen. Redete nicht, um nicht versehentlich zu fluchen. Ich deckte den Tisch ab und putzte mir extralange die Zähne, um brav zu sein. Tante Anna-Lisa meinte zu meiner Mutter, ich sei zwar ein ganz schön verwöhntes Gör, aber zum Glück brauchte ich nur »jemanden«, der mich mal ein bißchen härter anpackte. Mit »jemand« meinte sie sich selbst. Dann fuhr sie nach Hause, und alles war wieder wie immer, und ich lernte, laut und vernehmlich »verdammter Scheiß« zu sagen, aber nur bei Agneta zu Hause.

»Meine« Wohnung würde plötzlich nicht mehr nur mir gehören. Zu Beginn könnte ich das kleine weiße Gitterbett in mein Schlafzimmer stellen und einen Wickeltisch auf der Badewanne befestigen, aber dann würde ich wohl das Arbeitszimmer ausräumen und es zu einem Kinderzimmer umfunktionieren müssen. Neulich hatte Lilian bei der Arbeit herumgefragt, ob jemand das Doppelbett von ihr und ihrem Mann gebrauchen könne. Sie wollten jeder ein eigenes Zimmer, jetzt, wo das älteste Kind ausgezogen sei. Es würde in mein Schlafzimmer passen, es war nur eins fünfzig breit, und Benny könnte ...

Oder würde es im Zimmerchen unterm Dach auf dem Rönnhof schlafen? Es könnte so hübsch dort werden, direkt neben Bennys Schlafzimmer mit den Ballkleidgardinen, aber war es dort womöglich kalt im Winter, war der Raum überhaupt isoliert? Und würden wir uns ein zweites Auto für mich leisten können?

Obwohl ... in Bennys Schlafzimmer lag eine andere Frau. Ob er wohl gestern direkt danach in ihr Bett gestiegen war? Angenommen, wir stünden in derselben Schlange in der Apotheke, um einen Schwangerschaftstest zu kaufen, und gingen anschließend jeder in seine Richtung und staunten über das positive Ergebnis ...?

Da schob ich einen Eisenriegel vor all meine herumschwirrenden Gedanken und stellte mich auf Standby. Keine Pläne, ehe ich ein Testergebnis in der Hand hielt. Und überhaupt keine, wenn das Ergebnis negativ war. Glaubte ich zumindest.

Ich würde mich nicht einmal vor seiner Frau schämen müssen. Es war klar, daß aus dem Ganzen nichts werden würde. Nichts als die Laune einer einsamen Frau, die unter dem Gewicht eines riesigen, laut schrillenden biologischen Weckers zusammenzubrechen drohte, den sie zum Schweigen bringen wollte.

Den ganzen Tag lang beobachtete ich mich selbst von der Seite, gegen meinen Willen. Ein unwirkliches Gefühl: hier läuft eine Schwangere herum und trinkt Orangensaft und ißt vernünftig und meidet schwere Bücherstapel. Ja, das machte ich, weil ich nichts dagegen tun konnte. Abends, als ich eigentlich ein Glas Wein zum Omelett trinken wollte, sah ich fasziniert zu, wie meine Hand den Wein in den Ausguß kippte. Als würde die Hand von der Gebärmutter gesteuert, nicht von Impulsen des Hirns.

Benny ... An Benny konnte ich nicht einmal denken. Ich kniff die Augen zusammen und stieg jedesmal, wenn meine Gedanken in diese Richtung abzudriften drohten, in meinen abgeschiedenen inneren Raum hinab, ich habe nämlich einmal einen Kurs in Selbsthypnose belegt. Aber er hing den ganzen Tag an meiner Seite herum, wie der Schatten bei einem verwackelten Fernsehbild. Ich bildete mir sogar ein, daß seine Frau heute nachmittag in der Bibliothek gewesen sei und mich angestarrt hätte. Als ob sie mich kennen würde, wir waren uns noch nie von Angesicht zu Angesicht begegnet!

Am Abend kam er wieder, gegen acht. Mein Herz hatte schon eine halbe Stunde lang geschlagen wie nach einem Marathonlauf. Er schien zu humpeln, aber ich konnte ihn nicht einmal fragen, weshalb. Die Stimmung war zu zerbrechlich, als daß man hätte reden können. Wir grinsten uns nur blöde an, gingen direkt ins Schlafzimmer und machten uns an unser wahnsinniges Projekt. Hinterher weinte ich und sagte, er dürfe nicht mehr wiederkommen, denn ich wolle nicht schon wieder anfangen, mich nach ihm zu sehnen.

»Hast du Sehnsucht nach mir gehabt?« sagte er mit echter Verwunderung in der Stimme.

Anita

Ich habe gleich begriffen, daß irgendwas im Busch war, als er sagte, er müsse noch in die Stadt, und dann verschwand, als hätte er Feuer im Hintern. Und weil er eigentlich immer irgendwas murmelt, wo er hinwill, muß es diesmal irgendwas sein, worüber er lieber Stillschweigen bewahren will, nämlich was mit dieser eingebildeten Krabbe, von der er sonst immer so viel geredet hat. Als hätte er versucht, sich von ihr wegzureden, Abstand zwischen sich und sie zu bringen.

Ich habe nie irgendwelche Kommentare abgelassen, als er erzählte, wie grün sie damals im Gesicht geworden war, als er in den Kälberboxen ausmistete, und wie ihre Kichererbsenbällchen geschmeckt hatten. Er versuchte sich davon zu überzeugen, wie unpassend sie für ihn gewesen war, und dazu konnte ich ja nichts weiter sagen, ich war ihr ja noch nicht einmal begegnet. Ich holte nur mein Strickzeug hervor, und nach einer Weile ging das meiste sowieso zum einen Ohr herein und zum anderen hinaus. Zwei rechts, zwei links, neue Farbe, den Faden auf der Rückseite vernäht – ja, klar muß das schwierig für dich gewesen sein, und was hältst du von Griebenwurst zum Abendessen? Mit Dillkartoffeln?

Jetzt bereue ich, daß ich nicht so genau zugehört habe. Es wäre gut gewesen, ein bißchen mehr darüber zu wissen, worum es eigentlich gegangen war bei den beiden. Denn nach gestern abend wird wohl nichts mehr so einfach sein wie noch am Vormittag desselben Tages. Als er fand, daß meine Pistazienwecken genauso gut schmeckten wie die von Tante Ellen und wir uns den Katalog von Guldfynd ansahen. Weißgold, schmal, mit einer Art kleinen Ranke drumrum. Ringe dürfen nicht zu kräftig sein, denn es kann leicht passieren, daß der Ring irgendwo am Traktor hängenbleibt und der Finger gleich mit, wenn der Ring nicht nachgibt. Und er muß ja auf die Finger aufpassen, die er noch hat.

Um zehn Uhr abends kam er nach Hause. Ich saß gerade vor dem Fernseher und sah mir die »Antiquitätenrunde« an. Herrgott, was Leute für alten Mist ansammeln! Und heutzutage darf man die alten Kommoden ja nicht einmal abbeizen oder neu anstreichen, denn es ist so schön, wenn sie abgenutzt sind und von Generationen verschlissen, haben sie gesagt. Er hat gar nichts gesagt, hat sich nur an den Computer gesetzt und das neue Fütterungsprogramm angestarrt, das wir noch nie benutzt haben. Dabei hat er die Tastatur nicht mal angefaßt.

Ich bin zu ihm gegangen und habe ihn gefragt, ob er gern noch einen Abendkaffee hätte, aber er hat bloß gelächelt und genickt, ohne mich anzusehen, als habe er nicht gehört, was ich gesagt hatte. Erst da habe ich ernsthaft Angst bekommen, irgendwie hat es in meiner Brust gegluckst, und ich habe auf einmal fürchterliche Kopfschmerzen bekommen. Deshalb bin ich raufgegangen und habe mich hingelegt, und ich nahm mir vor, falls er Lust auf Sex haben sollte, keinen Mucks von meinem Kopfweh zu sagen, das habe ich schon öfter hinbekommen. Wenn ich mal sage, daß ich aus irgendwelchen Gründen keine Lust habe, dann streicht er mir nur über den Kopf und schläft ein, aber dann kommt er erst mal nicht von sich aus auf mich zu. Beim nächsten Mal muß ich dann sein Interesse wecken. Ich habe den Eindruck, als würde er die Sache mit dem Sex mögen, aber ebensogut auch darauf verzichten können, zumindest mit mir.

Soll das wirklich so sein? Ich lese immer in der Wochenrevue »Wie Sie seine Lust wecken« und mache Tests, bei denen man ankreuzen muß, wie er so ist, und wo man erfährt, was man unternehmen sollte. Wie man ihn überraschen kann, indem man ihm, während er die Sportschau sieht, an die Unterhose geht und ihn an den wildesten Stellen abküßt. Ich habe es noch nicht ausprobiert, es kommt mir so albern vor, aber ich habe mir immer vorgenommen, falls er mal das Interesse verlieren sollte, werde ich noch mal nachlesen und ihn ebenfalls an den wildesten Stellen abküssen. Das hat sie bestimmt auch getan, diese Krabbe. Igitt.

Aber man weiß ja nie bei Männern mit solchen Jobs wie seinem.. Manchmal sagt er nur: Meine Güte, mitten in der Heuernte, du weißt doch, da geht gar nichts! Oder es haben zwei bis drei Kühe in der Nacht gekalbt. Oder er hat den Miststreuer gereinigt und findet, daß alles immer noch nach Mist riecht. Ach, ich weiß es nicht.

In dieser Nacht mußte ich mich mit meinen Kopfschmerzen jedenfalls zu gar nichts bereit finden. Es dauerte mehrere Stunden, ehe er hochkam und sich hinlegte, und da hatte ich schon das Licht ausgemacht und lag still da. Er legte sich nur hin, die Arme unter dem Kopf verschränkt, aber geschlafen hat er nicht, das hörte ich an seinem Atem. Schließlich bin ich eingeschlafen. Eigentlich war ich wahnsinnig müde, weil ich einige Nachtschichten hinter mir hatte und mein Rhythmus sich noch nicht wieder umgestellt hatte. Am Morgen war er weg.

Den ganzen Tag lief ich im Krankenhaus mit Ameisen im Körper herum. Er hatte nichts gesagt und auch nichts getan, aber ich hatte das Gefühl, als sei das Ganze ins Schlingern geraten. Deshalb tat ich an diesem Tag nach der Arbeit etwas, was ich mir schon oft vorgenommen hatte, mir bisher aber noch nie so wichtig erschienen war: Ich ging in die Bibliothek, um sie mir anzugucken.

Ziemlich blöde Idee eigentlich. Ich wußte ja nicht einmal, wie sie aussah. Er hatte keine Fotos, ich hatte sogar mal in seiner Brieftasche nachgesehen. Eine der Bibliothekarinnen klapperte auf hohen Absätzen durch die Gegend, sie war ziemlich gutaussehend mit ihren dunklen Haaren und ihrem beigefarbenen Kostüm und kleinen Goldblättern in den Ohren, hatte aber zwei tiefe Falten über der Nasenwurzel, als sei sie die ganze Zeit sauer auf jemanden. Er hatte sie manchmal »die Beige« genannt. Aber ich glaubte trotzdem nicht, daß sie es war.

In diesem Moment sagte eine ziemlich alte Dame: »Hast du meinen Katalog gesehen, Desirée?« Und da sah ich eine blasse Frau, die am Informationstresen saß und in die Gegend starrte. Und nicht antwortete.

Sie lächelte still vor sich hin. Und da gluckste es wieder in meiner Brust, und ich dachte mir, jetzt ist es gelaufen.

Desirée

Negativ. Der Schwangerschaftstest war negativ.

Seit dem Abend, als ich heulend in Bennys Armen lag und behauptete, daß ich es nicht fertigbringen würde, mich noch einmal mit ihm zu treffen, hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Am folgenden Abend hatte er bei mir geklingelt – ich glaube zumindest, er war es –, aber ich blieb im Dunkeln sitzen, die Arme um das indische Kissen geschlungen, das er mir einmal geschenkt hatte, als er fand, daß mein Wohnzimmer so farblos sei wie der Aufenthaltsraum auf einer Pflegestation. Er klingelte und klingelte, und ich ließ die Tränen fließen und öffnete nicht. Auf dem empfindlichen knallblauen Seidenstoff bildeten sich Salzflecken.

Aber ich glaube, ich hatte die ganze Zeit im Hinterkopf, daß ich ihm ohnehin eines Tages erklären würde, warum ich nicht geöffnet hatte, später, wenn wir wieder zusammensein würden. Wenn wir dort am Tisch des Bibliothekscafés sitzen und mit ernsthaften Falten auf den Gesichtern beschließen würden, wie es mit der Schwangerschaft weitergehen sollte. Wie wir wohnen würden, wie wir das Problem mit seiner Freundin lösen würden, ob wir noch vor der Entbindung zusammenziehen würden, ob wir überhaupt zusammenziehen würden. Und ob wir eine Fruchtwasseruntersuchung machen würden ... Irgendwie war ich so überzeugt davon, daß dieses Gespräch im Bibliothekscafé tatsächlich stattfinden würde, daß das negative Ergebnis einen betäubenden Schock auslöste. Mir war doch morgens schon richtig schlecht gewesen! So scheinträchtig wie eine zweijährige Hündin.

Negativ. Der Test war negativ. Ich war gefühlsmäßig nicht so ganz darauf vorbereitet, obwohl ich jeden Morgen wie ein Mantra wiederholt hatte: Wenn das Ergebnis negativ ist, gönne ich mir eine Woche auf den Azoren, ehe ich mich entscheide, wie es mit meinem Kinderwunsch weitergehen soll ...

Ziemlich albern, denn eigentlich lüge ich mir dabei nur in die eigene Tasche ... Da kann ich noch so viele Prospekte aus dem Reisebüro auf meinem Nachttischchen stapeln.

Denn jetzt habe ich mir richtig ins Knie geschossen. Bevor ich diese wahnsinnige Idee hatte, Benny zu bitten, mich zu schwängern, war ich beinahe über ihn hinweggekommen. Nicht ganz vielleicht, aber fast. Nichts war begraben, alles war noch da, aber ich war weitergegangen, hatte neue Türen einen Spaltbreit offenstehen sehen, hatte neue Düfte im Wind vernommen. Benny war ein Teil meiner Vergangenheit gewesen, und nicht einmal der schlechteste.

Mein Leben war ziemlich aufregend, ich konnte in meiner Arbeit aufgehen, die ich liebte, aber ich konnte auch versuchen, einen Schritt in Richtung Elternschaft zu machen, und dafür hatte ich mich entschieden, vorläufig jedenfalls. Ich fühlte mich warm und voller Leben, wie ein frisch gepflügter Acker voller nützlicher Mikroben, die auf den Sämann warten. Klar, ich konnte in eine Klinik nach Dänemark fahren. Im schlimmsten Fall konnte ich mich in eine Bar begeben und mir einen nicht allzu abstoßenden Sämann besorgen. Aber nach einer unruhigen Nacht, in der Benny in meinen Träumen lächelnd über einen Acker ging und Samen auswarf – Samen, die er aus einer gigantischen Popcorntüte hervorwühlte –, spürte ich, daß Benny mein Sämann war. Ich rief ihn an. Naiv wie ein Teenager, der seine gesamte Erfahrung aus den Leserfragen einer Jugendzeitung bezieht.

Ich hätte begreifen müssen, was ich für ein Risiko einging. Plötzlich wurde die schmerzliche Vergangenheit zur Gegenwart upgedatet. Er war wieder in mein Leben zurückgekehrt, mit seinem zerzausten Trollhaar und seinem Duft, seinem Dialekt und seinem Humor. Wie könnte ich ihn jemals wieder aus der Hand geben, ihn lediglich unbedeutend gebraucht an die Frau zurückgeben, die ein größeres Anrecht auf ihn hatte, weil sie ihm genau das gab, was er haben wollte?

Warum stellte ich mir niemals diese Frage, ehe ich die Augen schloß und den Sprung wagte?

Denn jetzt ist es zu spät. Jetzt werde ich ihn ganz einfach anrufen und ihm erzählen, daß nichts daraus geworden ist, und tschüs auch und ein schönes Leben noch. Und dann wird es wieder ein leeres, verwehtes Loch an meiner Seite geben. Das noch schwerer zu füllen sein wird als letztes Mal, weil ich jetzt weiß, wie besonders es mit Benny war und wie schwer es für mich sein wird, einen anderen geeigneten Partner zu finden.

Dieses verdammte Blut und diese bescheuerte Desirée mit ihrem übertriebenen Muttertrieb! Desirée, die man auf gar keinen Fall näher als zehn Meter an ein zerbrechliches kleines Kind heranlassen sollte, weil sie gefühlsmäßig zurückgeblieben ist. Weil sie ihr eigenes Gefühlsleben ebensowenig beurteilen kann wie ein Tauber den Vogelgesang.

Es geschieht dir ganz recht, Desirée, und jetzt kannst du aufhören, mit dem Leben anderer Menschen zu spielen! Die ganzen alten Fragen, die ihr beiden niemals auch nur annähernd gelöst habt, während noch Zeit dafür gewesen wäre – wie würdest du diesmal damit umgehen? Was hast du geglaubt, was seine Freundin tun würde, womöglich hast du schon ein nettes kleines Abschiedsgeschenk für sie geplant, einen Keramikblumentopf vielleicht?

Die Wahrheit ist natürlich, daß ich überhaupt nicht nachgedacht hatte. Wie oft haben mir verbitterte Frauen mit Ehemännern in der Midlife-Crisis schon erzählt, daß die Kerle nicht mit dem Kopf denken würden ... Ich dagegen hatte mit meiner Gebärmutter gedacht. Ab ins Körbchen, alte Freundin, gewöhn dich an den Gedanken, leer zu bleiben und den Rest deines monotonen Lebens damit zu verbringen, einen Liter Blut pro Monat aus dir herauszuschwappen. Jetzt geht Desirée ans Telefon und ruft an.

Ich kann seine Nummer noch immer auswendig.

Benny

Sie rief mich an, als ich zum Morgenmelken im Stall war. Da kommt Anita nie mit, denn entweder arbeitet sie, oder sie holt nach der Nachtschicht Schlaf nach.

»Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll«, sagte sie.

»Nur zu«, sagte ich mit kratzigem Hals. Junge oder Mädchen? dachte ich.

»Na ja, also, es hat nicht geklappt. Du bist noch mal davongekommen.« Sie verstummte.

»Wie nicht geklappt?« fragte ich. In meinem Schädel stand es still. Ich hatte schon mit verstohlenem Blick Vaters alte Drehbank betrachtet, auf der ich die Eckpfosten für die Wiege drechseln könnte. »Hat der Test nicht funktioniert? Oder versuchst du mich loszuwerden und haust mit dem Kind ab, um es für dich allein zu haben?«

»Hörst du nicht, was ich sage?« meinte sie, und plötzlich erinnerte ich mich wieder daran, wie ihre Stimme klang, wenn sie den Tränen nahe war. »Es hat nicht geklappt. Das Testergebnis war negativ.«

»Nicht geklappt? Überhaupt nicht?« fragte ich dümmlich.

Sie schnaubte und konterte schnell: »Also nicht mit einem Kind. Aber du kannst Mitte April mit einem Wurf Welpen rechnen.«

»Hör mal zu, Desirée«, sagte ich und schwieg eine Weile. »Hörst du?«

»Was denn?«

»Ich lache nicht«, sagte ich.

»Nein, ich weiß. Ich auch nicht.«

Wir waren beide eine Weile still.

»Kann man denn gar nichts machen?« fragte ich. Schlau wie immer.

Sie lachte ein bißchen, noch immer den Tränen nahe. »Was schlägst du vor?« sagte sie dann. »Man kann nicht gegen einen Schwangerschaftstest klagen, falls du das gedacht haben solltest.«

»Man kann weitere Versuche machen.«

Schweigen.

»Ich habe gesagt ...«

»Ich habe gehört, was du gesagt hast.«

Erneutes Schweigen in der Leitung. Um mich herum stieg der Lärmpegel an. Ich hatte gerade erst die Hälfte der Kühe gefüttert, weshalb die andere Hälfte natürlich ziemlich ungehalten war. Währenddessen hatten die ersten Tiere ihre Portionen schon aufgegessen und merkten nun, daß irgend etwas fehlte. Die Kühe, die erst kürzlich gekalbt hatten, brüllten mit ihren zum Bersten gespannten Eutern am lautesten.

»Desirée, ich muß ...«

»Du hast Schluß gemacht«, sagte sie mit einer kleinen, trockenen Stimme.

»Quatsch!« zischte ich. »Du wolltest nichts investieren! Und das weißt du ganz genau. Ich habe nur die Konsequenzen daraus gezogen!«

»Und was warst du bereit zu investieren?«

Gute Frage. Sie sagte noch etwas, aber Jessie muhte so laut, daß ich nichts verstand.

»Das geht so nicht!« schrie ich. »Ich rufe dich an, wenn ich wieder drinnen bin.«

Vermutlich antwortete sie etwas, was ich nicht verstand. Ich beendete das Gespräch und begann mit dem Melken. Die Kühe waren so wütend und genervt, daß eine sogar nach mir trat, sie schlug einfach mit ihrem Huf seitlich aus. Das machen meine Kühe sonst nie, deshalb war ich nicht darauf gefaßt. Ihr Tritt traf mein Knie, nicht das schmerzende, sondern das andere. Meine Beine gaben nach, und zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit rutschte ich in die Jaucherinne. Versuchten sie mir irgendwas mitzuteilen? Benny, du Stinkstiefel?

Sobald ich fertig war, ging ich hinein, duschte das Schlimmste ab und rief sie zurück. Sie ging nicht ran, weshalb ich es in der Bibliothek versuchte. Da ging sie ans Telefon.

»Ich bin's. Jetzt kann ich reden«, sagte ich.

»Aber ich nicht«, zischte sie. Und dann mit lauter Stimme: »Haben Sie schon in der Referenzbibliothek nachgesehen?«

Verdammt noch mal. Kaum hatten wir begonnen, wieder an einem dünnen, leicht zerreißbaren Faden zu spinnen, kamen sofort Kühe und Bibliotheksbesucher an und mischten sich ein. War es nicht auch letztes Mal so gewesen?

»Ich habe dich so vermißt«, rutschte es mir heraus.

»Leg auf! Ich rufe dich in ein paar Minuten zurück.«