Hollywood Love

Hollywood Love

Birgit Kluger

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Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Epilog

Anmerkungen

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Über den Autor

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Prolog

Es gewitterte und stürmte heftig. Der Regen peitschte das Straßenpflaster, und einsame Laternen warfen ihr gelbes Licht in Pfützen, die schnell größer wurden. Der Hollywood Boulevard lag einsam und verlassen da.

Niemand wollte bei diesem Wetter unterwegs sein. Mit einer Ausnahme: meine Eltern. Und die waren nicht nur unterwegs, sondern auch dabei, es zu tun, im Freien, trotz des tosenden Unwetters, der heftigen Donnerschläge und Blitze. Nichts konnte sie an ihrer Mission hindern – und diese Mission lautete: in dieser Nacht, an diesem Ort ein Kind zu zeugen.

Die beiden waren wie zu spät geborene Hippies. Freie Liebe, offener Sex und Reinkarnation waren die Mantras, die sie entdeckten, als die Sechziger schon veraltet waren und die Siebziger in die Yuppie-Generation der Achtziger übergingen. Trotzdem glaubten sie an das, was sie taten. Sie waren sicher, am einzigen Ort der Welt Sex zu haben, an dem es möglich sein würde, Humphrey Bogart zur Wiedergeburt und zu erneutem Ruhm als Filmschauspieler zu verhelfen.

Sein Stern, eingelassen in das Pflaster des Walk of Fame.

Neun Monate später erblickte ich im White Memorial Medical Center das Licht der Welt. Es sollten über zwanzig Jahre vergehen, bis ich in die Geschichte meiner Zeugung eingeweiht wurde.

1

»Ist nicht jeder um drei Uhr morgens betrunken?«

Humphrey Bogart


Mühsam schlug ich die Augen auf. Ein Fehler, den ich sofort bereute. Mein Kopf dröhnte, als würde jemand von innen dagegenschlagen, und ich hatte einen schalen Geschmack im Mund. Schon wieder so eine Nacht, dachte ich, als ich meine Augen vorsichtig zusammenkniff, mich umschaute und feststellte, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich mich befand. Bitte, Gott, lass ihn nicht hässlich sein.

Ich drehte meinen Kopf langsam, ganz langsam zur Seite. Der Mann, der mehr als die Hälfte des Bettes in Beschlag genommen hatte, war mir vollkommen fremd. Ich hätte schwören können, ihm noch nie begegnet zu sein. War in dieser Nacht irgendetwas zwischen uns vorgefallen? Nachdenklich musterte ich den Fremden. Zumindest hatte Gott mein kurzes Gebet erhört, denn wer immer er war, er sah gut aus.

Als hätte er meinen Blick bemerkt, schlug er die Augen auf. Wunderschöne dunkelblaue Augen, umrahmt von schwarzen Wimpern. Anscheinend war gestern mein Glückstag. Er schaute mich verwirrt an, setzte sich auf und massierte sich die Schläfen. So wie es aussah, war sein Kater mindestens genauso groß wie meiner.

»Mann, muss ich dicht gewesen sein, als ich dich abgeschleppt habe.«

Das Lächeln, das sich gerade zögernd auf meinem Gesicht ausbreiten wollte, erlosch. Schlagartig. Es war klar: Im hellen Tageslicht bemerkte er, wie ich tatsächlich aussah.

»Schöner kann ein Tag nicht beginnen«, murmelte ich, stand auf und raffte schweigend meine Sachen zusammen. Diesen Idioten, mit dem ich das Bett geteilt hatte, ignorierte ich. Gerade als ich mich zur Tür bewegte und für immer aus seinem Leben verschwinden wollte, fand er seine Stimme wieder.

»Halt. Bleib stehen. Bitte!« Langsam drehte ich mich um.

»Also, ich teile mir die Wohnung mit jemandem, und ich möchte nicht ….«

Ich bedachte ihn mit dem kältesten Blick, zu dem ich fähig war.

»Es ist ja nur, damit er meiner Freundin nicht von dir erzählt.«

»Und wie soll ich deiner Meinung nach hier rauskommen?«

»Könntest du vielleicht …?« Er deutete zum Fenster.

»Glaubst du im Ernst, ich klettere aus dem Fenster und brech mir die Beine?«

»So schlimm ist es nicht. Du musst nicht klettern, nur über das Fensterbrett auf die Feuerleiter steigen. Es ist ganz einfach, glaub mir.«

»Dann tu’s doch selbst.« Mit diesen Worten riss ich die Zimmertür auf und lief geradewegs auf einen Typen zu, der mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Ich konnte es ihm nicht verdenken. Er saß an einem winzigen Couchtisch, löffelte seine Cornflakes und dachte wahrscheinlich nichts Böses, als ich halb nackt aus dem Zimmer seines Mitbewohners kam. Aber das war noch nicht alles. Neben ihm saß ein etwa achtjähriger Junge. Was zu viel ist, ist zu viel, dachte ich und marschierte wieder ins Zimmer zurück.

Dort lag meine gestrige Eroberung wieder im Bett und hielt sich den Kopf.

»Jetzt hat er was zu erzählen«, murmelte ich, während ich mich in meinen Minirock quetschte und mein T-Shirt über den Kopf zog.

»Also dann. Bis hoffentlich nie wieder.« Mit diesen Worten öffnete ich das Fenster und verschwand.

Fluchend kletterte ich die rostige Feuerleiter hinab. Die Absätze meiner Pumps waren für einen solchen Abstieg nun wirklich nicht gemacht. Als ich unten war, schaute ich mich um. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand.

Missmutig machte ich mich auf den Weg. Das helle Sonnenlicht, das mir in den Augen brannte, trug nicht gerade dazu bei, meine Laune zu verbessern. Musste mir dieser Trottel gleich zur Begrüßung sagen, wie hässlich er mich fand?

Okay, ich bin nicht das, was man als weiblichen Typ bezeichnet. Im Laufe der Zeit habe ich festgestellt, dass ich auch von meiner Einstellung her nicht unbedingt dem fraulichen Stereotyp entspreche. In meiner Kindheit habe ich lieber mit Jungs und Autos gespielt als mit Puppen oder anderen Mädchen. Als Jugendliche fühlte ich mich in Hosen wohler als in Miniröcken. Erst mit Anfang zwanzig, als der modische Trend eindeutig zu Schlauchbootlippen und einer umfangreichen Oberweite tendierte, versuchte ich mehr dem weiblichen Ideal Hollywoods zu entsprechen. Seitdem trage ich mein dunkelbraunes Haar lang und versuche mit Make-up meinem kantigen Gesicht weichere Konturen zu geben. Ich bin, was mein Aussehen anbelangt, etwas empfindlich. Schließlich stand es mir einfach zu oft im Weg. Ich bin Schauspielerin und meist arbeitslos, wie so viele in Hollywood. In der Regel war mein »Typ« gerade nicht gefragt. Beim letzten Casting meinte der Casting-Direktor: »Schätzchen, du bist eine gute Schauspielerin, keine Frage. Und wenn du ein Mann wärst, würde ich dich sofort nehmen, aber für die Rolle brauche ich eine Frau, die auch so aussieht.«

Und dann wunderte sich auch noch gleich nach dem Aufwachen ein vollkommen Fremder, warum er mit mir im Bett gelandet war. Ich war gestern Abend eindeutig auf einen Idioten hereingefallen. Dabei hatte er so gut ausgesehen! Langsam fiel es mir wieder ein: Wir waren uns im Sony’s begegnet, einem kleinen Nachtclub. Das Sony’s war mein zweites Zuhause – wenn mir und Stace, meiner Mitbewohnerin, nichts Besseres einfiel.

Nachdem ich mehr Martinis getrunken hatte, als ich jetzt zählen wollte, hatte er mich angesprochen. Faselte von jeder Menge Beziehungen, die er hätte, und von dem berühmten Regisseur, für den er bald arbeiten würde. Ha! Der Wohnung nach zu urteilen, war er höchstens Kabelträger bei einer drittklassigen Filmproduktion, wenn er überhaupt jemals ein Filmstudio von innen gesehen hatte. Natürlich war ich nach einigen weiteren Martinis auf die älteste Masche Hollywoods hereingefallen und hatte ihm geglaubt. Vielleicht aber hatte mich auch nur sein gutes Aussehen überzeugt. Im weiteren Verlauf der Nacht hatten wir wild rumgeknutscht, gefummelt – und dann war der Mistkerl einfach eingeschlafen und hatte laut zu schnarchen angefangen.

Schwitzend trottete ich weiter. Die Autos zogen an mir vorbei, und ich verfluchte mein Pech. Mein Wagen hatte vor drei Tagen den Geist aufgegeben. Für immer. Einen neuen konnte ich mir nicht leisten. Ich war ja schon froh, wenn ich es schaffte, jeden Monat meinen Anteil an der Miete zu zahlen.

L. A. ohne Auto ist die Hölle, vor allem, wenn man mit einem fürchterlichen Kater in der Mittagshitze orientierungslos drauflosläuft.

Trotz der fehlenden Gebete schien Gott zumindest mein Jammern erhört zu haben, denn die Fata Morgana eines Starbucks-Zeichens flimmerte in der heißen Luft. Ich war gerettet. Ein riesiger Becher Kaffee war genau das, was ich jetzt brauchte.

Wenig später nippte ich mit geschlossenen Augen an dem heißen Getränk und genoss den kühlen Luftstrom, den mir die Klimaanlage ins Gesicht blies. Nur das Paradies konnte schöner sein. Ich beschloss, diesen Tag neu anzufangen. Sobald ich zu Hause war, würde ich das tun, was ich für dieses Wochenende geplant hatte. Nichts. Ich hatte vor, mich so wenig wie möglich zu bewegen und dafür so viel wie möglich zu faulenzen. Vater hatte mich gefragt, ob ich ihn besuchen würde, aber ich hatte keine Lust. Seine ewig wiederkehrenden Predigten hatte ich satt: »Du hast eine große Verpflichtung, verschwende nicht deine Zeit bei Castings für drittklassige Filme, spare dich lieber auf für den einen großen Film, der dir den Durchbruch bringen wird« und so weiter.

Als ich zehn Jahre alt war, starb meine Mutter, und mein Vater war plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, mich ganz alleine großzuziehen. Was nicht einfach war, denn er war selbst einmal mit einem Traum nach Hollywood gekommen. Als wir nur noch zu zweit waren, begrub er alle Ambitionen, ein erfolgreicher Regisseur zu werden, und begann, nachts als Bedienung in einem drittklassigen Restaurant zu arbeiten. Nachdem es ihm nicht gelungen war, seinen Traum umzusetzen, hatte er alles darangesetzt, wenigstens meinen zu verwirklichen. Die Schauspielerei war meine Waffe gegen die Trauer über den viel zu frühen Tod meiner Mutter. Als die schlimmsten Wunden verheilt waren, Jahre später, wurde sie zu einem leidenschaftlichen Ziel: Ich musste Schauspielerin werden.

Mein Vater unterstützte mich, wo er nur konnte: In seiner Freizeit gab er mir Schauspielunterricht. Er studierte etliche Rollen mit mir ein und suchte die Castings für mich aus, von denen er sich am meisten versprach. Trotz seiner Liebe fühlte ich mich erdrückt. Als ich achtzehn war, zog ich aus. Ich musste es auf eigene Faust versuchen. Ich brauchte Freiraum, um herauszufinden, was für ein Mensch ich war und wohin ich als Schauspielerin wollte. Jetzt, fünf Jahre später, reduzierten sich meine Ambitionen darauf, eine Rolle zu wollen, egal wie klein und egal in welchem Film.

Frustriert starrte ich in den Kaffeedampf. Meine Vorsätze, das Beste aus diesem Tag zu machen, schwanden, als ich an meine vergangenen Misserfolge dachte. Vielleicht war es an der Zeit, die sinnlosen Träume aufzugeben. Mit einem richtigen Job könnte ich mir wenigstens ein Auto und ein Frühstück leisten. Stattdessen saß ich mit knurrendem Magen im Starbucks und hoffte, Stace ginge endlich ans Telefon, damit ich sie bitten konnte, mich abzuholen. Erneut drückte ich die Wahlwiederholungstaste auf meinem Handy. Nichts.

Ich hatte gerade weitere fünf Minuten finster vor mich hin gestarrt, als die Tür aufging und ein warmer Luftstrom zu mir hinüberwehte. Mein Bettpartner der vergangenen Nacht betrat das Café und hoffte wahrscheinlich, ungestört einen Kaffee trinken zu können. Der hatte mir gerade noch gefehlt. Wütend fixierte ich ihn, während er sein Getränk bestellte und an der Theke wartete, bis der Barista den dampfenden Becher vor ihn hinstellte.

Man hätte meinen sollen, dass er meine Blicke spürte, sie mussten ihm ein Loch in den Rücken gebrannt haben, aber er schien mich überhaupt nicht wahrzunehmen. Selbst als er den freien Tisch ansteuerte, der neben mir stand, war er mehr damit beschäftigt, seinen Kaffee zu balancieren, als seiner unmittelbaren Umgebung Aufmerksamkeit zu schenken. Erst als er fast über meine provozierend ausgestreckten Beine gestolpert wäre, bemerkte er mich.

»Oh, hi.« Er starrte mich an, als hätte ich zwei Köpfe. Ohne ein Wort drehte ich mich zum Fenster und tat so, als sei die Aussicht auf den Parkplatz des winzigen Einkaufszentrums das faszinierendste Panorama, das ich je gesehen hatte.

»Auch einen Kaugummi?«, platzte er Sekunden später in meine Gedanken und hielt mir ein Wrigley’s Spearmint unter die Nase.

»Nein danke. Etwas zu essen wäre mir lieber.« Mein Blick wanderte zu der Kühltheke hinüber, in der die Sandwiches nur darauf warteten, von mir verschlungen zu werden. »Deine Gastfreundschaft heute Morgen war nicht so überwältigend.«

Für einige Sekunden sah er mir in die Augen, während er sich wohl fragte, ob ich die Geldausgabe wert sei. Warum nur waren seine Augen nicht blutunterlaufen, wie es meine bestimmt waren, und warum nur sah er überhaupt nicht verkatert aus? Seine Haare waren ein bisschen zerzaust, aber das machte ihn nur attraktiver. Meine sahen garantiert aus wie ein Rattennest.

»Warum eigentlich nicht? Vielleicht erfahre ich dann sogar, wie du heißt«, antwortete er.

Eigentlich hatte ich ihn hochmütig von oben herab anschauen wollen, aber das misslang mir. Stattdessen breitete sich ein ungebetenes Lächeln auf meinem Gesicht aus. Das konnte nur der Gedanke an ein Thunfischsandwich, einen großen Milchkaffee und einen Muffin sein. Bevor er es sich anders überlegen konnte, ratterte ich meine Wünsche herunter.

»Isst du immer so viel?«

»Wenn du mich nicht einladen möchtest, lass es eben bleiben«, antwortete ich pampig.

»Geh nicht gleich wieder an die Decke. Ich hol’s dir ja.«

Mit einem zufriedenen Grinsen lehnte ich mich zurück. Wenigstens hatte ich jetzt die Genugtuung, ihn mit dem Frühstück finanziell zu ruinieren.

2

»Schau mir in die Augen, Kleines.«

Humphrey Bogart in »Casablanca«


»Das war gut«, flüsterte Alan und schlang seine Arme um mich.

»Hmmm«, murmelte ich verträumt und kuschelte mich an seine Brust. Nach dem Frühstück im Starbucks, wo wir uns tatsächlich gut unterhalten hatten, fuhr Alan, der mit Nachnamen Warksi hieß, mich nach Hause.Wir landeten noch einmal im Bett und holten alles nach, was wir in der vorangegangenen Nacht versäumt hatten. Zufrieden schloss ich die Augen. Ginge es nach mir, blieben wir den ganzen Tag im Bett.

»Hast du auch Hunger?«, unterbrach Alan diese wohlige Vorstellung.

»Ich habe immer Hunger.«

»Wir könnten noch irgendwo eine Pizza essen gehen«, schlug er vor.

»Ich habe zwei Tiefkühlpizzen hier. Wenn du Lust hast, können wir sie hier essen und das ganze Bett vollkrümeln.« Alan sah mich mit schiefem Grinsen an.

»Gar keine schlechte Idee«, meinte er dann und zog mich enger an sich.

Ganz gegen meine sonstige Gewohnheit – eigentlich hasse ich Hausarbeit, Kochen und alles, was damit zusammenhängt – tänzelte ich kurz darauf in die Küche.

Stace, wie Stacey von ihren Freunden genannt wird, saß an unserer Küchentheke. Ich kenne Stace seit meiner Schulzeit. Wir hatten gleich in der ersten Woche an der Highschool Freundschaft geschlossen. Ebenso wie ich strebte sie damals eine Schauspielkarriere an. Ein halbes Jahr nachdem wir unser Highschool-Diplom endlich geschafft hatten, änderte sie jedoch ihre Meinung und begann eine Ausbildung als Maskenbildnerin und Visagistin. Seit einigen Jahren war sie selbständig, hatte sich in der Branche einen Namen gemacht und hatte es eigentlich gar nicht mehr nötig, sich mit mir eine Wohnung zu teilen.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte sie, als ich, ein Lied vor mich her summend, zwei Pizzen in die Mikrowelle schob. »Und für wen ist die zweite Pizza?«

»Für Alan.«

»Für Alan. Und wer ist Alan?«

»Oh, du wirst schon sehen«, säuselte ich und tanzte durch die Küche.

»Muss ja ein toller Kerl sein«, meinte Stace in dem vergeblichen Versuch, mehr Informationen zu bekommen.

»Stimmmmmt«, rief ich und verschwand im Badezimmer, um die paar Minuten zu nutzen, bevor die Pizzen fertig waren.

»Und was machst du, wenn du nicht damit beschäftigt bist, aus dem Nichts ein Essen zu zaubern?« Ein amüsiertes Lächeln spielte um Alans Lippen.

»Ich arbeite in der Kantine vom Fox Plaza. Also nicht unbedingt der Stoff, aus dem die Träume sind«, antwortete ich.

Alan hob seine Hand und zeichnete die Konturen meiner Wangenknochen nach. »Und was ist der Stoff, aus dem deine Träume sind?«

»Nichts Besonderes«, murmelte ich. »Nichts, was sich nicht jede Zweite, die in Hollywood wohnt, auch wünschen würde. Ich will Schauspielerin werden.«

Sein Finger fuhr eine Linie zu meinem Hals hinunter. »Das hört sich so an, als würdest du selbst nicht viel davon halten«, bemerkte er. Für einen Mann war er erstaunlich aufmerksam. Mir wäre es aber lieber gewesen, wenn er wie all die anderen gewesen wäre. Die Männer, die nichts lieber taten, als ihre eigene Lebensgeschichte in epischer Breite zu erzählen. Ich redete nicht gerne über meinen Traum. Mehr als einmal hatte ich ein ironisches Lächeln geerntet, wenn ich von meinen Wünschen erzählte.

»Ich war bisher nicht besonders erfolgreich«, gab ich zu. »Was ist mit dir? Gibt es etwas, was du unbedingt erreichen möchtest?«, lenkte ich das Gespräch von mir weg.

Alans Hand stoppte kurz über meinem Schlüsselbein.

»Nichts, was nicht jeder Zweite in Hollywood auch gerne erreichen würde«, antwortete er und grinste.

»Aber, nein, ich will nicht Schauspieler werden«, fuhr er fort, bevor ich etwas sagen konnte. »Die andere Hälfte in Hollywood träumt davon, Regisseur zu werden.«

»Bist du deinem Ziel schon näher gekommen?«

»Vielleicht. Drück mir die Daumen, in ein paar Tagen werde ich erfahren, ob ich eine Chance bekomme.«

»Du hast es gut.« Ich seufzte. »Alle anderen haben Erfolg, nur ich nicht«, setzte ich hinzu. Ich musste an Stace denken. Sie konnte sich vor Aufträgen kaum retten, so erfolgreich war sie als Visagistin.

»Gib niemals deinen Traum auf«, flüsterte Alan und zog mich an sich heran. Seine Hand, die eben noch die Konturen meines Körpers nachgezeichnet hatte, strich an meiner Hüfte entlang. Und dann küsste er mich.

Es war später Nachmittag, als Alan auf seine Uhr sah. »Schade, ich muss bald weg«, bemerkte er nach einem kurzen Blick auf das Ziffernblatt.

»Was hast du vor, kannst du nicht bleiben?« Kaum waren die Worte aus meinem Mund, hätte ich sie am liebsten zurückgenommen. Wie uncool kann man sein? Ich hatte Regel Nummer eins verletzt, die besagte: Lass einen Mann nie ahnen, ob du an ihm interessiert bist. Play it cool! Stace hatte diese Regeln sogar eine Zeitlang über unserer Waschmaschine aufgehängt, so lange, bis einer ihrer Verehrer ein nasses T-Shirt in den Trockner stecken wollte.

»Ich … habe noch einen Termin.« Das kurze Zögern verriet mir genug. Er hatte eine Verabredung mit seiner Freundin – und das, nachdem er mit mir im Bett gewesen war.

»Gut, wenn das so ist, gehst du am besten gleich. Ich bekomme Besuch und muss noch aufräumen.« Schon wieder. Ich hätte mich am liebsten geohrfeigt. Hätte mir nicht was Besseres einfallen können? Etwas Interessanteres? Eine Party meinetwegen oder ein Casting-Termin? »Besuch am Samstagnachmittag« hörte sich so an, als ob ich kurz vor der Rente stand. Abrupt schlug ich die Bettdecke zurück und stand auf.

Alan schien etwas überrascht zu sein. Was dachte dieser Idiot sich?

»Ja, klar. Sag das doch gleich. Kein Problem.« Mit diesen Worten stand er auf, angelte nach seiner Hose, die über einem der Rattansessel hing, und zog sich an. Als er fertig war, stand er unentschlossen in der Gegend herum und sah mir beim Aufräumen zu. Normalerweise raffe ich alles zusammen, was auf dem Boden liegt, und stopfe es in meinen Schrank. Heute gab ich mir mehr Mühe: Mit hochrotem Gesicht versuchte ich, die Wäsche in den überquellenden Wäschekorb zu quetschen.

Nachdem klar war, dass Alan nicht einfach so zur Tür herausspazierte, drehte ich mich zu ihm um.

»Ich bringe dich noch hinaus«, sagte ich und zermarterte mir das Hirn darüber, was ich sagen könnte, um wenigstens an seine Telefonnummer zu kommen. Wie immer in diesen Fällen fehlten mir die Worte, so dass wir schweigend den Flur betraten, in dem uns auch schon Stace auflauerte. Sie wollte natürlich unbedingt sehen, wen ich da aufgegabelt hatte. Als sie Alan sah, starrte sie ihn mit großen Augen an. Es hätte nicht viel gefehlt, und ihr wäre die Kinnlade runtergeklappt. Man könnte meinen, sie habe noch nie einen Mann aus meinem Zimmer kommen sehen. Alan sah ähnlich erstaunt aus, als er Stace sah: Sie glich einem entlaufenen Leopard. Jedes Wochenende änderte Stace ihr Aussehen. Heute war alles an ihr im Leopardenmuster. Sogar ihr Haar. Um das Ganze abzurunden, trug sie Kontaktlinsen, die ihr den durchdringenden Blick einer Katze verliehen.

»Das ist Stace«, sagte ich im Vorbeigehen. »Stace, das ist Alan.«

»Hi, Alan. Nett, dich kennenzulernen«, war alles, was Stace herausbrachte. »Gehst du schon?«, schaffte sie auch noch.

»Ja, leider. Muss weg«, antwortete Alan und floh zur Tür. Wahrscheinlich hatte er Angst, ich könnte ihn fragen, ob er wiederkäme.

»Also tschüss, war nett«, fügte er noch hinzu, die Klinke in der Hand. Bevor ich etwas sagen konnte, war er auch schon draußen. Die Tür fiel leise ins Schloss.

»Wow. Was für toller Kerl! Wo hast du den her?«

»Frag lieber nicht. Er ist weg, ohne nach meiner Telefonnummer gefragt zu haben. Das war’s dann wohl. Den sehe ich nie wieder.« Frustriert ließ ich mich auf einen Sessel fallen.

»Dich hat’s ja ganz schön erwischt.« Stace musterte mich mit Kennerblick. In Liebesdingen, vor allem mit Liebeskummer, kannte sie sich bestens aus. Schließlich war sie jede Woche in einen anderen Mann verliebt, der ganz bestimmt derjenige welcher war. Der Mann fürs Leben, den sie heiraten und mit dem sie Kinder haben würde. Nach etwa drei Tagen war meist alles wieder vorbei, entweder, weil bei Stace einfach das Gefühl nicht stimmte, er doch ein Idiot war, mit ihr Schluss gemacht hatte, verheiratet war … oder was auch immer. Die Liste war endlos.

»Wundert dich das? Bei dem Aussehen?«

»Ja, aber Aussehen ist nicht alles«, antwortete Stace in ungewohnter Weisheit, als ob sie nicht gerade fast hechelnd neben ihm gestanden hätte. »Die gutaussehenden Männer habe ich mir seit langem abgewöhnt. Meistens nehmen sie viel und geben nichts.«

Das war mir neu, denn eines musste man Stace lassen: Ihre jeweiligen Traummänner sahen immer gut aus.

»Wart’s ab. Er weiß, wo du wohnst. Vielleicht steht er nächste Woche wieder vor der Tür.«

»Ja, klar. Um dich zum Date abzuholen.«

»Ach, mich hat er doch gar nicht beachtet.« Stace klimperte mit ihren langen Wimpern. »Und außerdem bin ich gerade sehr verliebt.«

Wenn das nicht was Neues war.

Bei Staceys Lebenswandel hörte ich diese Worte so oft, dass ich mir ihre Männer gar nicht mehr merkte. Wenn ich sie überhaupt zu Gesicht bekam. Ihre Männer wechselte Stace fast noch öfter als ihr Aussehen.

»Oh! Kenne ich ihn?«, rang ich mir trotzdem ab.

»Nein, aber er kommt gleich. Dann kannst du ihn dir ansehen.« Mit diesen Worten schwang sie sich vom Barhocker und ging Richtung Badezimmer. Ich seufzte. So wie ich Stace kannte, war das Bad jetzt für mindestens eine Stunde blockiert.

3

»Ein kluger Mann widerspricht seiner Frau nicht. Er wartet, bis sie es selbst tut.«

Humphrey Bogart


Natürlich sah und hörte ich von Alan nichts an diesem Wochenende. Obwohl es ständig läutete und ich anfangs bei jedem Türklingeln voller Hoffnung die Tür öffnete. Aber es war jedes Mal Staceys neuer Lover, der dreimal am Tag vorbeikam, dann wieder gehen musste, nur um kurz darauf wieder vor unserer Tür zu stehen. Ich hätte ihn am liebsten dafür ermordet.

Es war so schlimm, dass ich kurz davor war, selbst zu Alan zu gehen. Ich könnte ja etwas bei ihm »vergessen« haben. Als ich Stace von dieser Idee erzählte, riss sie mir fast den Kopf ab.

»Bist du verrückt?« Stace sah mich an, als hätte ich vorgeschlagen, nackt den Hollywood Boulevard entlangzulaufen.

»Du weißt doch, was passiert, wenn man einem Mann hinterherläuft?«

»Man landet mit ihm im Bett?«, fragte ich, obwohl ich genau wusste, worauf Stace hinaus wollte.

»Das auch. Aber das ist nicht der Punkt. Wenn du so offensichtlich dein Interesse zeigst, bist du keine Eroberung mehr. Na gut, vielleicht habt ihr Sex, aber danach wirst du ihn nie wieder sehen. Deine Anrufe wird er ignorieren. Wenn er dich sieht, wird er so tun, als sei er dir nie begegnet. Vergiss es.«

»Aber …«

»Es ist dein Leben, Lauren. Aber glaube mir, wenn er Interesse hat, wirst du von ihm hören. Wenn nicht …« Sie zuckte mit den Schultern und ließ den Satz in der Luft hängen.

Ich gab mich geschlagen. Stace hatte recht. Wenn Alan mich sehen wollte, wusste er ja, wo er mich finden konnte.

Am Montagmorgen fand ich mich mit der Tatsache ab, dass Alan sich nicht melden würde. Sozusagen ein One-Morning-Stand – mal was anderes als ein One-Night-Stand. So etwas passierte mir nicht zum ersten Mal – und es würde wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal sein.

Also zog ich mich an, fuhr einmal kurz mit der Zahnbürste über die Zähne und raste zur Bushaltestelle. Wie so oft war ich spät dran.

Immerhin hatte ich das Glück gehabt, eine Arbeit in der Filmbranche zu ergattern. Mittlerweile war ich nicht mehr ganz so glücklich darüber. Anfangs hatte ich gedacht, ich bekäme jeden Tag irgendwelche Produzenten, Regisseure oder Schauspieler zu sehen, aber die Realität sah anders aus. Ich arbeitete in der Kantine des Fox Plaza, dem Verwaltungsgebäude von 20th Century Fox, in Century City. Dort saß ich an der Kasse und fertigte die lange Schlange von Hungrigen ab. Unter den Kantinenbesuchern fanden sich aber nicht die erhofften Filmbosse, sondern kleine Sachbearbeiter und Büroangestellte, die ebenso gerne wie ich einen Prominenten gesehen hätten. Die Jobs, die einen wirklich an die Stars heranführten, in den Filmstudios und Shooting-Locations, waren begehrt, und es war nahezu unmöglich, sie zu bekommen.

Lustlos erledigte ich meine Arbeit, während sich die Enttäuschung unaufhaltsam in mir ausbreitete. Schon wieder ein Mann, der nichts von mir wissen wollte. Ähnlich wie meine Versuche, eine Rolle als Schauspielerin zu bekommen, wurde auch die Suche nach dem »Richtigen« zu einem frustrierenden Unterfangen. Vielleicht sollte ich beides endlich aufgeben. Die nächsten Tage bestätigten meine Vorahnung. Für Alan war ich offensichtlich nichts anderes als eine kleine Abwechslung gewesen.

Der Freitagabend kam und mit ihm die Aussicht auf ein Wochenende, an dem ich nicht arbeiten musste. Stacys neue Liebe war schon wieder Schnee von gestern, und so hatte sie Zeit, mit mir wegzugehen.

Der Dampf waberte in dicken Schwaden aus dem Bad, als Stace sich mit einem dicken Turban auf dem Kopf aus dem Nebel löste. Sie verschwendete keine Zeit, sondern setzte sich gleich hin und lackierte ihre Nägel. Ich blieb noch ein wenig vor dem Fernseher sitzen, bei dem Dampf im Badezimmer würde ich sowieso nichts sehen.

»Und, mal wieder was von deinem Alan gehört?«, fragte Stace.

»Erstens ist er nicht mein Alan, und zweitens: Nein, nie wieder was von ihm gehört.«

»Oh oh, schlecht gelaunt heute, was?«

»Ja.« Mit einem Knall stellte ich meinen Teller ab. »Wie soll man da auch gut gelaunt sein? Ich habe einen miesen Job, Absagen von zwei Casting-Agenten, keinen Freund, und ich werde immer älter.«

»Hört sich nach Weltuntergangsstimmung an.«

»Genauso fühle ich mich auch. Vielleicht sollte ich heute einfach zu Hause bleiben«, murmelte ich und erntete dafür einen strafenden Blick.

»Hängen lassen gilt nicht. Das ist genau das Falsche. Wenn du deinen Liebeskummer vergessen willst, brauchst du eine neue Liebe.«

»Ja, kann sein. Aber hat die neue Liebe nicht Zeit bis morgen? Ich habe heute keine Lust.«

»Nein, du kommst mit! Ab ins Bad mit dir, damit du dich in eine Schönheit verwandelst und aus dieser faden Jeans rauskommst.«

»Schönheit – ich? Da lachen ja die Hühner.« Aber ich rappelte mich doch vom Sofa auf.

»Ich weiß gar nicht, warum du dich immer beschwerst. Du bist vielleicht nicht auf den ersten Blick schön, aber auf jeden Fall auf den zweiten.«

»Danke, Stace. Schönheit auf den zweiten Blick, das ist toll. Nur schauen sie alle nur einmal hin.« Mit diesen düsteren Worten verschwand ich im Bad, bevor Stace zu weiteren Aufmunterungsversuchen ausholen konnte.

Wenig später machten wir uns auf den Weg. Stace kannte eine neue Bar am Sunset Strip, die heute Eröffnung feierte, und so setzten wir uns in ihren klapprigen Ford und fuhren los – mit quietschenden Reifen, denn Stace hielt nichts von Geschwindigkeitsbegrenzungen, Blinken und generell normalem Fahrverhalten. »Die Regeln kann ich auch noch beachten, wenn ich hundert bin«, war ihre Meinung. Mir wäre es lieber gewesen, wenn sie es jetzt schon getan hätte.

Trotzdem kamen wir unbeschadet an und stürzten uns in das Getümmel. Diese Kneipe war anders: nicht minimalistisch, sondern eine üppige Welt aus dem Orient. Der Eingang wurde von zwei riesigen Fackeln flankiert, die hoch über uns aufragten. Die Tür bestand aus massivem Holz, das mit gehämmertem Stahl überzogen und aufwendig verziert war. Ein Mohr in orientalischer Kleidung musterte uns kritisch, bevor er uns eintreten ließ.

Endlich drinnen, kam ich mir vor, als sei ich in einem Traum aus Tausendundeiner Nacht gelandet. Der Fußboden war mit Mosaiken belegt, und die Decke war ein glitzernder Sternenhimmel, während die Beleuchtung ausschließlich aus Fackeln bestand, die sich erst bei näherem Hinsehen als unecht herausstellten. Überall standen niedrige Sofas und Diwane, einige der Gäste rauchten Wasserpfeife, und das gesamte Personal trug orientalische Gewänder. Säulen stützten die gewölbeartige Decke über uns und waren mit großen Frucht- und Blumenkörben dekoriert.

Stace schaute sich begeistert um. »Wow, ist das toll.« Ich nickte, damit beschäftigt, die Umgebung in mich einzusaugen wie ein Schwamm.

»Ich glaube nicht, dass ich mir hier einen Drink leisten kann«, sagte ich dann.

»Keine Angst. Heute gibt es alle Drinks zum Happy-Hour-Preis, und der erste ist für Frauen umsonst«, antwortete Stace.

Gemeinsam drängelten wir uns durch die Menge, um wenigstens einen guten Stehplatz zu bekommen, damit wir das Treiben beobachten und vielleicht sogar die Aufmerksamkeit einer Bedienung auf uns ziehen konnten. Wir fanden einen hohen Bistrotisch, der neben einer Säule stand, so dass wir einen guten Überblick hatten und gleichzeitig vor den Ellbogen der anderen Gäste geschützt waren.

Sofort scannte Stace den Raum nach akzeptablen Männern. Ein immer wiederkehrendes Ritual! Ich wusste, bald würde sie losziehen. Und richtig, kaum waren ein paar Minuten vergangen, steuerte sie mit einem Lächeln auf den Lippen auf einen gutaussehenden Fremden zu.

Also stand ich verloren in der Gegend herum, nippte an meinem Drink und tat so, als amüsierte ich mich prächtig. In Gedanken ärgerte ich mich schon wieder über mich selbst. Ein Abend mit Stace lief immer gleich ab. Normalerweise hätte ich ebenfalls nach einem Flirt Ausschau gehalten, aber heute war ich nicht in der Stimmung dafür. Ein Blick in Staceys Richtung zeigte mir, dass sie sich angeregt mit ihrem neuen Traummann unterhielt, lachend zu ihm aufschaute und das volle Programm abspielte.

Er schien auch ganz angetan zu sein, hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt und flüsterte ihr ins Ohr. Wahrscheinlich erzählte er ihr seine Lebensgeschichte und freute sich über Staceys aufrichtiges Interesse.

Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder sie ging mit zu ihm – in dem Fall stünde ich ohne Fahrer da, denn Stace fuhr immer in ihrem eigenen Auto zu solchen Dates –, oder sie lud ihn zu uns ein. Dann konnte ich wenigstens mitfahren.

Ich schaute also ziemlich interessiert hinüber, um zu sehen, wie sich die Sache entwickelte, als plötzlich eine andere Person in mein Gesichtsfeld trat. Alan! Er schob sich durch das Gewühl zur Bar. Und er war allein!

Wie erstarrt beobachtete ich ihn. Er hatte die Theke erreicht und versuchte, die Aufmerksamkeit des Barkeepers auf sich zu ziehen. Das dauerte eine Weile, aber dann wurde er seine Bestellung los und hatte bald darauf ein Glas vor sich stehen. Anstatt sich wie alle anderen irgendwo in das Gewühl zu stürzen, nahm er das Getränk und setzte sich in die hinterste Ecke am Tresen. Neugierig schaute ich weiter zu, dann aber überlegte ich es mir anders und setzte mich in Bewegung. Wenn Gott mir diese Chance bot, würde ich sie nutzen. Sekunden später glitt ich neben ihm auf die Sitzbank. Er schaute nicht hoch, sondern starrte weiterhin in sein Glas, als wäre dort der Stein der Weisen zu finden.

»Hi«, sagte ich nach einer Weile, da er mich immer noch nicht wahrgenommen hatte. Endlich schaute er auf.

»Ach, hallo. Hi.«

Wenn das nicht eine begeisterte Begrüßung war.

»Wie geht’s dir?«, versuchte ich, das Gespräch in Gang zu bringen, denn er hatte schon wieder mit dem Studium der bernsteinfarbenen Flüssigkeit begonnen.

»Beschissen.«

Das war eine eindeutige Aussage, wenn auch nicht die, die ich erwartet hatte.

»Warum? Was ist passiert?«

»Meine Freundin hat mich verlassen. Weil du«, er deutete mit seinem Zeigefinger auf meine Brust, »aus meinem Zimmer gekommen bist.«

»Tja, das war Pech. Aber wenn dir so viel an ihr gelegen hat, dann hättest du mich gar nicht erst mit zu dir nehmen sollen.«

»Da hast du recht.« Trübsinnig starrte er sein Glas an. Dann zog er in einer hilflosen Geste seine Schultern hoch. »Ich weiß auch nicht, warum ich das getan habe. Ich wollte sie nicht verlieren, ich dachte nur, es ist nichts dabei. Solange sie nichts davon erfährt, ist doch alles in Ordnung, oder?«

»Du bist ein Idiot. Wenn du in eine Frau verliebt bist und mit ihr zusammen sein willst, dann schlaf nicht mit anderen Frauen. So einfach ist das.«

»Stimmt. Ich bin ein Idiot.«

Irgendwie hatte ich mir das Gespräch anders vorgestellt.

»Also dann, alles Gute. Vielleicht renkt sich das Ganze wieder ein«, sagte ich, stand auf und zog los, um Stace zu suchen. Es wurde höchste Zeit, dass ich von hier wegkam.

Stace klebte noch immer an ihrer neuen Liebe. Nach meiner Einschätzung konnte es nicht mehr lange dauern, bis die berühmte Frage »Zu dir oder zu mir?« gestellt wurde. Obwohl die beiden nicht so aussahen, als ob sie gestört werden wollten, platzte ich in ihre kuschelige Flüsterecke.

»Stace, können wir gehen?« Als sie nicht reagierte, wiederholte ich meine Frage. Dieses Mal etwas lauter.

»Warum schreist du so?«, empörte sich Stace, während sie sich aus der Umarmung schälte und sich zu mir umdrehte.

»Und warum willst du schon gehen? Wir sind gerade erst gekommen. Außerdem möchte ich mich noch etwas mit Brent unterhalten.«

»Ja, schon klar. Ich nehme ein Taxi. Ich habe keine Lust mehr, mir ist es hier zu langweilig.«

Stace musterte mich kurz.

»Habe ich dich nicht eben mit Alan reden sehen?« Der Frau entging aber auch nichts.

»Kann sein, aber das ist jetzt egal, oder? Ich will nach Hause.«

Stace drehte sich zu Brent um. »Schatz, eine Sekunde, okay?« Statt einer Antwort blies ihr dieser Brent eine Kusshand zu. Stace nahm meinen Arm und zerrte mich beiseite.

»Ich dachte, nach all dem Seufzen und Jammern diese Woche müsstest du doch begeistert sein, Alan zu treffen. Was ist los mit dir? Da drüben sitzt er. Also schnapp ihn dir.«

»Seine Freundin hat ihn verlassen«, sagte ich düster.

»Ja, und? Das ist doch super. Worauf wartest du noch?«

»Er ist immer noch in sie verliebt.«

»Wen interessiert das? Der Mann ist Single. Sitzt alleine an der Bar. Glaube mir, wenn du deine Sache gut machst, weiß er in einer halben Stunde nicht mehr, dass er überhaupt eine Freundin hatte.« Nach einem kurzen Blick auf mein ratloses Gesicht korrigierte sie sich. »Okay, vielleicht dauert es etwas länger. Aber eine Schauspielerin von deinem Kaliber sollte in der Lage sein, dem Jungen den Kopf zu verdrehen.«

»Du verstehst das nicht, Stace. Was soll ich mit einem Typen, der eine andere Frau liebt?«

»Nein, du bist diejenige, die nicht versteht. Er muss sich in dich verlieben. Unsterblich, für immer und zwar jetzt gleich. Wenn du das nicht schaffst, solltest du die Schauspielerei wirklich an den Nagel hängen und dich nach einem anderen Beruf umschauen.«

»Er soll mich lieben und nicht irgendeine Frau, die ich ihm vorspiele.«

Stace schüttelte den Kopf. »Du hast wirklich keine Ahnung von Männern. Bei Männern funktioniert das so: Du spielst ihm etwas vor. Er will mit dir ins Bett. Wenn du gut bist, gefällt es ihm mit dir im Bett und er will öfter mit dir Sex haben. Wenn du ihn so weit hast, denkt er, es ist Liebe. Der Rest ergibt sich von selbst.«

Zweifelnd schaute ich sie an. »Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Männer so einfach gestrickt sind.«

»Bei mir hat es bis jetzt immer funktioniert«, meinte Stace, während sie sich umdrehte und zu Brent zurückging. »Überleg’s dir.«

Ich ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen, während ich unschlüssig in der Gegend stand und einen innerlichen Kampf ausfocht. Ich wollte ihn unbedingt haben, aber was nützte mir ein Mann, der mich nur als Ersatz für seine Ex-Freundin nahm? Andererseits war ich noch immer in ihn verliebt. Es war mir egal, wie ich an ihn herankam. Hauptsache es funktionierte.

Erleichtert, eine Lösung gefunden zu haben, drängelte ich mich durch die Menge zur Bar zurück. Aber Alan war weg. Allein das Glas, aus dem er getrunken hatte, stand noch auf seinem Platz. Ich dumme Kuh. Ich hatte die Chance verpatzt. Enttäuscht setzte ich mich auf den Hocker, auf dem Alan zuvor gesessen hatte. Ich brauchte jetzt was Starkes, um meinen Frust runterzuspülen. Der Barkeeper blickte fragend zu mir rüber, und ich hob das Glas hoch. Kurze Zeit später stand ein Drink vor mir, der genauso aussah wie der, den Alan getrunken hatte. Vorsichtig nippte ich daran, es war ein Scotch. Das wusste ich noch aus der Zeit, als ich Humphrey Bogarts Rollen zu Hause nachgespielt hatte und einmal, um alles so authentisch wie möglich zu machen, einen Scotch dazu getrunken hatte. Mein Versuch endete in einem fürchterlichen Hustenanfall. Zum Glück hatte mein Vater nichts bemerkt.

Nachdenklich trank ich weiter. Einerseits verwünschte ich mich innerlich dafür, so lange herumgestanden und meine Chance bei Alan vertan zu haben. Andererseits kam ich so zum Nachdenken. Das mit der Schauspielerei funktionierte nicht gut, und die ewige Geldknappheit nervte mich zunehmend. Stace dachte, meine regelmäßigen »Joghurttage« dienten dazu, meine schlanke Linie zu erhalten. In Wahrheit musste ich auf den nächsten Gehaltsscheck warten. Hätte Stace das gewusst, hätte sie mir finanziell ausgeholfen, aber das wollte ich nicht. Ich wollte selbst für meinen Lebensunterhalt aufkommen, auch wenn das bedeutete, hin und wieder einen unfreiwilligen Diättag einlegen zu müssen.

Wenn das so weiterging, würde ich die Konsequenzen ziehen und den Traum von der Schauspielerei aufgeben müssen. Nachdenklich starrte ich das Glas an. Jetzt war ich genauso deprimiert wie Alan.

4

»Es macht mir nichts aus, wenn dir meine Manieren nicht passen. Mir gefallen sie auch nicht. An langen Winterabenden bedauere ich diese Tatsache sehr.«

Humphrey Bogart zu Lauren Bacall, in »The Big Sleep«


AC/DCs »Highway to hell« hämmerte aus den Lautsprechern. Der Titel war durchaus passend, auch wenn ich mir vorkam, als sei ich längst dort. In der Hölle. Anders konnte man die Tortur nicht beschreiben, der uns Marie in gewohnter Form unterzog. Die Tae-Bo-Trainerin, die trotz ihrer fünfzig Jahre beneidenswert durchtrainiert war, hüpfte vor uns auf und ab, als hätte die Stunde gerade erst angefangen. Dabei waren schon fünfzig der sechzig Minuten vergangen, was man mir durchaus ansah. In dem Spiegel, der unbarmherzig die armseligen Gestalten zeigte, die noch mithalten konnten, sah ich aus, als hätte ich vierundzwanzig Stunden lang in der Sonne gelegen. Eine Tomate würde blass vor Neid angesichts meiner Hautfarbe.

»Und Jab, rechts, links, Haken«, brüllte Marie in ihr Headset. »Los, bewegt euch. Wir machen hier Boxen, nicht Tai-Chi.«

Keuchend atmete ich aus. Ich schwitzte, und meine Klamotten würde ich nach dem Training auswringen können. Trotzdem gab ich mein Bestes. Den gestrigen Tag hatte ich vorwiegend damit verbracht, in Selbstmitleid zu schwelgen. Allmählich reichte es. Fakt war, ich hatte die Sache mit Alan am Freitagabend vermasselt, aber das war kein Grund, im Bett zu liegen und Chips in mich hineinzustopfen.

»Und Kick. Eins, zwei …«, tönte es aus dem Lautsprecher.

Ich schaffte es kaum, den Tritt bis in Kniehöhe durchzuführen, geschweige denn so hoch, wie Marie es uns vormachte. Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, wie sie zu diesem harmlosen Vornamen kam.

»Komm, Lauren. Lass mich diesen Kick sehen. Höher«, unterbrach sie meine Überlegungen.

Höher? Ich war kurz davor, tot umzufallen. Eines war sicher, ich hatte garantiert jedes Gramm Fett meiner Chips-, Cola- und Schokoladeneis-Orgie verbrannt. Und noch ein bisschen mehr. Wenigstens entsprach ich einem der vielen Schönheitsideale, die Hollywood hinsichtlich der weiblichen Figur hat: Ich war schlank. Meine Figur verdankte ich einer guten Veranlagung, die dafür sorgte, dass ich so viel essen konnte, wie ich wollte ohne, zuzunehmen, was für Stace eine ständige Quelle des Neides war. Mir fehlten zwar die Oberweite, die Schlauchbootlippen und der »weibliche Look«, aber wenigstens musste ich meinen Körper nicht verstecken.

Erstaunlicherweise überlebte ich das Tae-Bo-Training, ohne unter ein Sauerstoffzelt zu müssen. Dieser Erfolg verdiente es, gefeiert zu werden, und so saß ich eine halbe Stunde später frisch geduscht zusammen mit Jamie, einer Leidensgenossin aus der Schauspielschule, an der Vitaminbar des Fitnessstudios.

»Kann man das trinken?«, fragte ich Jamie mit einem zweifelnden Blick auf den Drink, der vor mir stand. Das Gebräu sah wie Schlamm aus und roch auch so.

»Klar, das ist super. Es gibt nichts Gesünderes!«

»Genau so sieht es auch aus«, murmelte ich und überlegte, ob ich das Zeug in einen Plastikbecher schütten und Stace mitbringen sollte. Im Gegensatz zu mir liebte sie dieses gesunde Grünzeug.

»Los, probier es. Du wirst begeistert sein.«

Das bezweifelte ich. Aber Jamies Enthusiasmus war ansteckend. Vorsichtig nahm ich einen Schluck. Genau wie ich es geahnt hatte, Gras vermischt mit Schlamm. Was hatten diese Gesundheitsfanatiker bloß gegen guten Geschmack einzuwenden? Cola zum Beispiel ist ein wundervolles Getränk. Voller Zucker, der Energie gibt, irgendwelchen Inhaltsstoffen, die niemand kennt, die aber super bei Magenverstimmungen sein sollen. Und dann noch jede Menge Koffein, um einen wach zu halten.

»Hast du eigentlich schon von dem Casting gehört, das in zwei Wochen stattfindet? Für den neuen Film von Brad Bailey?«, unterbrach Jamie meine tiefsinnigen Überlegungen.

»Nein, aber es gibt doch laufend Castings von dem Film, der der Kassenschlager wird, und meistens ist es dann der Flop.«

»Kann sein, aber hast du schon einmal von einem Flop gehört, bei dem Brad Bailey Regie geführt hat?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nein. Aber ich habe auch noch nie gehört, dass man als totaler Nobody bei einem Film von ihm unterkommt. Selbst die Nebenrollen besetzt er am liebsten mit Stars, die schon mindestens einen Oscar haben. Und irgendwo als Komparse in der Gegend rumzustehen ist bei ihm genauso langweilig wie überall sonst.«

Jamie rollte mit den Augen und beugte sich noch etwas näher zu mir heran.

»Du weißt aber auch gar nichts! Brad Bailey will nicht nur die Hauptrolle mit einem Neuling besetzen, sondern auch einige der Nebenrollen. Er behauptet, es wäre Zeit, neue Gesichter im Kino zu zeigen, die alten interessierten schon keinen mehr. Hast du nicht von dem Aufruhr gehört, den er damit verursacht hat?«

Jetzt erinnerte ich mich dunkel an etwas, das ich dazu gelesen hatte. Es hatte mich nicht sonderlich interessiert, die prominenten Regisseure und Schauspieler gaben des Öfteren provozierende Äußerungen von sich, wenn sie kostenlose Publicity für einen ihrer Filme haben wollten.

»Und du glaubst wirklich, er hat das ernst gemeint? Ich gehe jede Wette ein, dass er die Hauptrolle mit Johnny Depp und die Nebenrollen mit Robert Pattinson oder Angelina Jolie besetzt. Der will doch nur ein paar Wellen schlagen.«

»Die Hauptrolle kann er gar nicht mit Johnny Depp besetzen. Er braucht nämlich jemanden, den es unter den Stars in Hollywood zurzeit nicht gibt: Jemanden, der aussieht wie Humphrey Bogart.«