FÜR NIKI

FRANZISKA TILLMANNS

DAS OFFENSICHTLICHE

und

DAS VERBORGENE

AUFSTELLUNG UND PRÄSENZ

Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther –
spirituelle Impulse für Aufstellungsprozesse

Inhalt

Vorwort

Teil 1 Aufstellung – Präsenz – Spiritualität

Mein Blick auf Aufstellungsprozesse

ICH und darüber hinaus - Verbundenheit und Freiheit

Das Element Erde

Meditation und Imaginationsanleitung zur Vorbereitung der Aufstellungsarbeit

Aufstellung ICH – ERDE

ERDE – WIR Aufstellung im Großen Kreis

Betrachtungen und Reflexionen zu Aufstellungen in diesem Kapitel

Reflexionen der Repräsentantin der Menschheit

Abschließende Meditation – Bei mir ankommen

Zusammenfassung zum Element Erde

Das Element Wasser

Die Sprache des Herzens und die Bedingungen des Lebens

Meditation und geleitete Imagination - Wasser

Bewegte Meditation zum Element Wasser

Aufstellung ICH – Wasser

Körperübung Herzöffnung

Aufstellung Herz und Zweifel

Abschlussmeditation für das Element Wasser

ZUSAMMENFASSUNG ELEMENT Wasser

Das Element Feuer

Begehren – Wünschen – Wollen – Verantwortung

Meditation des Wünschens und des Wollens

Akzeptanz und Abwehr von Wünschen

Übungen zur Unterscheidung von Einschränkung und bewusstem Verzicht

Übung in Bewegung

Arbeit mit Bildern

Übung: Die Skulptur

Erkenntnis – Wille – Entscheidung – Bekräftigung – Ressourcenbildung - Gestalten

Meditation FEUER

Aufstellung ICH – FEUER

Übung in Bewegung: Ich richte mich aus

Das Tetralemma

Das Element Luft

Meditation: Körper und Geist zusammenbringen

Bewegungsmeditation

Aufstellung Ich und mein Atem

Aufstellung und Krankheit

Aufstellung zum Thema Klarheit und Akzeptanz

ZUSAMMENFASSUNG ELEMENT LUFT

DAS „ELEMENT“ ÄTHER

Körper-Meditation: Vergänglichkeit

Bewegte Übung

Aufstellung: Ich und meine Essenz

Übung: Das Gesehene – Das Nicht - Gesehene Das Offensichtliche – das Verborgene

Meditation: Alle Elemente

Aufstellung aller fünf Elemente

TEIL 2 Texte und Geschichten

Die Entwicklung des Menschseins

Aufstellungsarbeit im Spannungsfeld zwischen Gelebtem und Visionen

Tanz auf der Spirale

Nebel – Zweifel – Licht

Der Sprache des Herzens folgen

Empathie und das „Wissende Feld“

Wollen und Wünschen

Liebe – Gewissheit und Ahnung

Literatur

Fußnoten

Vorwort

Dieses Buch ist eine Praxisanleitung, die neben Aufstellungen, Meditationen und Übungen auch Erläuterungen zu den jeweiligen Themen beinhaltet. Der Impuls, aus einer Weiterbildungsreihe ein Buch zu machen, kam von TeilnehmerInnen an meinen Seminaren, denen ich dafür sehr danke, denn das Schreiben hat mir eine zusätzliche Ebene des Erkennens gebracht.

Meine Hoffnung ist es, dass ich mit dem Buch Achtsamkeit, Wärme und den sensiblen Umgang vermitteln kann, die sich in den Arbeitsgruppen gezeigt und entwickelt haben. Es entstand ein Gruppenprozess, der von Zuneigung und gegenseitiger Achtung geprägt war.

In diesem Buch beschreibe ich einen besonderen Zugang zu Gegebenheiten und Dynamiken des Lebens. Meine Absicht ist es, existentielle Themen in Zusammenhang mit Spiritualität und Aufstellungsarbeit zu betrachten. Spiritualität vermittle ich in diesem Buch als Präsenz, da diese eine der grundlegenden Qualitäten darstellt, die in der Aufstellungsarbeit hilfreich ist. Umgekehrt wird Präsenz durch Aufstellungen gefördert - ein synergistischer Effekt.

Wesentliche Qualitäten in Zusammenhang mit Aufstellungsarbeit sind Achtsamkeit und Präsenz. Für Präsenz und das nicht Fassbare wähle ich den Begriff Spiritualität, weil er neben der notwendigen Bodenhaftung, ein Hinausgelangen über die Verhaftung im Alltäglichen bedeutet. Im Wissen darum, dass sowohl Aufstellungsarbeit als auch Spiritualität mehrdeutig und vielschichtig sind, beschreibe ich in diesem Buch einen Weg der Praxis. Diese Art der Praxis soll bewusst machen, dass selbst in kleinen und vermeintlich unscheinbaren Aufstellungen immer mehrere Ebenen des inneren Erlebens angesprochen werden und ihre Wirkung zeigen. Ebenso verhält es sich mit Spiritualität, die ja für viele Menschen unterschiedliche Bedeutungen hat. Wenn Präsenz und Aufstellung gemeinsam stattfinden, gelingt es, aus einer Stagnation in den Fluss zu kommen. Und genau das möchte ich in diesem Buch sichtbar machen.

Dieses Buch schreibe ich als Psychotherapeutin mit langjähriger Aufstellungs-Praxis und intensiver Auseinandersetzung mit Übungswegen verschiedener spiritueller Ausrichtungen. Ich denke, dass es an der Zeit ist, neue Sichtweisen zuzulassen. Mein Anliegen ist es, den Pfad der Problematisierung und der mehr oder minder gewohnheitsmäßigen Pathologisierungen zu verlassen. Alten Verletzungen will ich mit Kreativität begegnen, um in weiterer Folge auch der Freude am Leben einen Platz zu geben. Ich verstehe dies nicht als Verleugnung, sondern als eine Möglichkeit neue Lösungsansätze zu finden. Der Weg der Achtsamkeit ist dabei hilfreich.

Ich habe mich mit Übungen aus dem Sufismus befasst und diese als körperlich und seelisch zentrierend und stabilisierend erlebt. Sie sind mir auch eine Quelle der Inspiration. Diese Übungen laden dazu ein, Verstand und Herz in Einklang zu bringen. Wer in sich hinein spürt, statt den alten Mechanismen und der eingegrabenen Routine des Verstandes zu folgen, der legt neue Spuren. Der Verstand ist lernfähig, häufig jedoch unflexibel. Wir erzählen uns alte Geschichten sogar dann, wenn diese wenig förderlich sind. Es ist zu beobachten, dass manche Menschen in ihre Geschichten richtiggehend verliebt sind, auch wenn diese destruktiv sind. Wir haben die Illusion, dass wir über Kontrolle und Anpassung mehr geliebt und unangreifbarer werden. Die alten Geschichten in ihrer Wiederholbarkeit lassen uns daran glauben. Doch die Liebe ist größer und lässt sich nicht erhandeln. Über Achtsamkeit und Präsenz können wir dies Schritt für Schritt erkennen, und das lässt uns freier werden.

Ich habe Übungen aus dem Buddhismus einbezogen, weil ich die Grundprinzipien, soweit ich sie kenne, auf Grund ihrer Praxisnähe sehr schätze. Sufismus und Buddhismus haben mich angeregt, Übungen der Gegenwärtigkeit und der Herzöffnung in meiner Arbeit einen guten Platz zu geben. Beide spirituellen Ausrichtungen sind auf Anerkennung aus der Psychotherapie sicher nicht angewiesen, ihre Wege waren und sind seit Jahrhunderten Anregung für zahllose Menschen.

Alle Übungen, die ich gesammelt und entwickelt habe, sind Großteils Körper- und Atem-bezogen. Dies kommt einer psychotherapeutischen Methode wie der Aufstellungsarbeit sehr entgegen, da diese ihren Erkenntnisgewinn aus körperlichen Phänomenen bezieht. Aufstellungsarbeit will ich nicht isoliert betrachten. Ich finde es wertvoll und inspirierend, wenn Wissen und Erkenntnis über den methodischen Rahmen hinausgehen. Im ersten Teil dieses Buch beschreibe ich meine Erfahrungen in Gruppen- und Einzelpsychotherapien, in denen ich mit folgenden Angeboten gearbeitet habe:

• Meditationen,

• Ausgewählte Imaginationen, bzw. Induktionen, die entsprechend dem Seminar-Thema der Einstimmung dienen,

• Körperliche Umsetzung innerer Prozesse angeregt durch Musikzuspielungen entsprechend einem multimedialen und multisensorischen Zugang zum Prozess. In manchen Abschnitten gibt es Empfehlungen für Musiktitel.

• Aufstellungen als Übungsfeld und Demonstration für die TeilnehmerInnen,

• Beobachtungsphasen der demonstrierten Aufstellungen,

• Nachbesprechung von Aufstellungen,

• Übungen zum Erleben von Aufmerksamkeit und Achtsamkeit,

• Reflexionen und Erläuterungen zum Thema der jeweiligen Seminare,

Der zweite Teil dieses Buches bietet themenbezogene Texte und Geschichten, die den Praxisteil ergänzen, bereichern oder unterstützen.

Jedes Thema im Teil 1 ist einem Element zugeordnet und beginnt mit einer Meditation, die meist in eine geleitete Imagination übergeht. Diese Anleitungen sind hervorgehoben, so dass sich die LeserInnen ohne Mühe orientieren können. Daran schließen von Musik begleitete Bewegungsübungen an. Der multimediale Zugang ist Teil des Seminar-Konzeptes. Die Übungen sind von mir entwickelt, manche von ihnen verschiedenen Traditionen entnommen, und /oder modifiziert. Die Möglichkeiten der Multimedialen Kunsttherapie sind in jedem Kapitel mit einbezogen. Auf Malerei wurde aus praktischen Erwägungen verzichtet, nur im Kapitel 3 wird bei „Intention und Hingabe“ auch mit Bildmaterial gearbeitet. Absicht ist es, den schöpferischen Ressourcen Ausdruck zu verleihen und den Sinnen Raum zu geben.

Was bieten Aufstellungen unter Einbeziehung der Elemente:

1. Verkörperung, Erkenntnisgewinn, Nutzung von Ressourcen, Lösung von Anliegen,

2. Erkennen der Verbundenheit in der Unterschiedlichkeit insbesondere über die Betrachtung der fünf Elemente,

3. Sensibilisierungsprozess, Präsenz.

Punkt 1

beschreibt den Grund, warum Menschen zu Aufstellungsseminaren kommen. Aufstellungen zeigen unter anderem die Möglichkeiten, eine neuere, besser passende Geschichte zu finden. Dies ergibt sich durch den Einbezug systemischer Zusammenhänge und deren Verkörperung und lässt neue, lebensfreundlichere Zugänge zu Ressourcen erkennen.

Punkt 2

ist das Erkennen der Verbundenheit in der Unterschiedlichkeit. Im Rahmen von Aufstellungsarbeit ist Verbundenheit über Vernetzt-Sein nicht zu übersehen. Aufstellungsarbeit ist eine Einladung über Verkörperung begreifen zu lernen, dass wir verbunden sind. Was uns verbindet ist so viel mehr als das, was uns scheinbar trennt.

Während meiner langjährigen Aufstellungsseminare in Marrakesch entstand das Konzept, die Elemente Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther mit einzubeziehen. Die Wahrnehmung der nordafrikanischen Kultur, in der sich Menschen anders bewegen, anders verhalten und anders kleiden, brachte mir aus genau dieser Unterschiedlichkeit heraus die Erkenntnis, dass wir Menschen elementar verbunden sind und wir alle Elemente existentiell und in ihren jeweiligen Qualitäten ausnahmslos in uns tragen. Dies bezieht sich auf die körperliche Ebene, denn wir sind aus einem Stoff gemacht. Es bezieht sich auch auf Bedeutungen, die wir den Elementen zuordnen. Die Bedeutung, die wir unseren elementaren Gemeinsamkeiten geben, ist an der Basis wohl sehr ähnlich, doch die Unterschiedlichkeit zeigt sich in der Art, wie wir diese elementaren Gegebenheiten leben.

Viele Menschen haben die Achtung vor den Elementen verloren oder sie erinnern sich ihrer wenig. Das halte ich für bedrohlich. Eine wünschenswerte Dynamik wäre es neben der Wahrnehmung der Unterschiedlichkeit des/der Anderen auch das Verbindende zu sehen, um so in die Akzeptanz des Andersartigen zu kommen.

Über die fünf Elemente sind wir nicht nur als Menschen verbunden, sondern wir können nicht umhin, uns mit der uns umgebenden Natur, also auch mit tierischen und pflanzlichen Mitbewohnern verbunden zu fühlen. Im besten Falle übernehmen wir Verantwortung. Es ist mir ein Anliegen, mit diesem Buch Impulse zu setzen, die das Bewusstsein von Verbundenheit fördern.

Punkt 3

die Sensibilisierung über Achtsamkeit und Präsenz, scheint mir der wichtigste zu sein, auch weil er weniger erwähnt wird. Er liegt mir am Herzen. Ich habe beobachtet, dass Aufstellungen eine deutliche Auswirkung auf Sensibilisierung haben. Und dies geschieht über gesteigerte Aufmerksamkeit und Achtsamkeit im Verlauf einer Aufstellung.

Mit der Übernahme der Repräsentanz einer Qualität oder einer Person geschieht eine sogenannte Fremderfahrung, es wird im besten Falle die eigene Geschichte abgelegt bzw. beiseitegelegt oder als Erkenntnisgewinn eigener Inhalte erfahren. Das vorübergehende Beiseitelegen der eigenen Geschichten, die uns immer wieder auch festlegen, macht frei für unmittelbare Erfahrung.

Auch der Vorgang des Entrollens, des sich bewusst Herausbewegens aus der Fremderfahrung, (aus der Repräsentanz-Rolle) spielt als Möglichkeit zu erkennen mit. Plötzlich bin ich wieder die/der „Alte“, das Gewohnte erfasst mich wieder. Die Identifikation mit unserer eigenen Geschichte wird deutlich. Das bewirkt gesteigerte Aufmerksamkeit.

Mit der Einbeziehung der fünf Elemente, sowie der vorbereitenden Meditationen und Imaginationen beabsichtige ich, Bewusstheit zu entwickeln, die sich in weiterer Folge als neue Sichtweise und Verantwortlichkeit zeigt. Um diesen Sensibilisierungsprozess in Gang zu bringen, sind die Meditationen, Aufstellungen, Betrachtungen und Übungen, die ich in Teil 1 dieses Buches darstelle, hilfreich.

Ich bin den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Weiterbildungsgruppen und anderer Gruppen, die mir erlaubt haben über ihre Erfahrungen zu schreiben, sehr dankbar. Selbstverständlich wurden in der Beschreibung der Aufstellungen die Namen verändert. Die meisten Frauen und Männer hatten Praxis in der Begleitung von Menschen, sei es im Einzel- oder Gruppen-Kontext, sowie in der Beratung von Organisationen und Firmen. Die Fähigkeit der Aufmerksamkeit brachten sie bereits zu einem guten Teil mit, doch ich konnte beobachten, dass die Übungen, die während der fünf Ausbildungs-Module angeboten wurden, zu Präsenz und vermehrter Intensität beitrugen.

In der Beschreibung der angewendeten Übungen und deren Erklärungen verwende ich das Präsens. Erfahrungen aus der Gruppe sind in der entsprechenden Zeitform beschrieben.

Ich verwende meist das „Binnen I“ und die weibliche Form um dem Gendering gerecht zu werden und bitte Männer und Frauen sich angesprochen zu fühlen.

Ich hoffe, dass das Buch als wertvolles Arbeitsmaterial für AufstellerInnen dienen kann. CDs sind ebenfalls beigelegt.

Franziska Tillmanns Sommer 2018

Teil 1
Aufstellung – Präsenz – Spiritualität

Mein Blick auf Aufstellungsprozesse

Aufstellungsprozesse zeigen vielfache Berührungspunkte zu Haltungen und Übungen verschiedener spiritueller Richtungen.

Beispielsweise das Zentrieren und Fokussieren. Sie sind bei der Klärung einer Absicht oder für die innere Haltung, mit der LeiterInnen des Prozesses Menschen mit einem Anliegen begegnen, sehr hilfreich.

Wie stellen LeiterInnen Fragen? Damit sind nicht nur erlernte Techniken, sondern auch der eigene Seelenzustand gemeint. Wie sieht die innere Landschaft der Leiterinnen und Leiter aus? Bei aller Professionalität sind auch sie von ihrem eigenen Leben gefordert.

Nutzen eigener Ressourcen: Wenn LeiterInnen darauf achten, dass in der Unterscheidung zum Problemzustand auch Ressourcen genutzt werden, dann bedeutet das, dass sich LeiterInnen mit dem, was heilsam und nährend ist, ausreichend auseinandergesetzt haben und das Heilsame immer wieder zu sich nehmen. Sei es über den Atem, sei es über Schönheit, über Farben, über Musik, über Gestalten und über die Wahrnehmung der eigenen Kraft.

LeiterInnen können eine nicht wertende Haltung in eine Welt einbringen, die sich auf Funktionieren und Urteilen versteht. Diese ist hilfreich, wenn KlientInnen sich die Frage stellen, was und wen sie im Feld der Aufstellung sehen möchte und was zur Klärung beitragen kann. Ebenso wichtig ist es, das Anliegen zu würdigen. Der nicht wertenden Haltung fehlt es nicht an der Möglichkeit zu unterscheiden. Die Präzision der Unterscheidung wird hingegen durch den Verzicht auf das Werten geschult.

Vertrauen: Im Feld der Aufstellungen begegnen die Gruppe und LeiterInnen dem Vertrauen, wenn KlientInnen jemanden bitten, eine Rolle zu übernehmen. Vertrauen ist im Sinne des Zutrauens, dass jemand sie vertreten kann, zu verstehen. Mit dieser Bitte wird ein Teil des Ichs mit seinen Ego-Anteilen in „unvertraute Hände“ überantwortet. In der Haltung der Personen, die eine Rolle übernehmen, ist sowohl Bereitschaft zum Altruismus, als auch der Wunsch, miteinbezogen zu werden.

Das Stellen bedarf der Präsenz, der Absicht, die aus der Zentriertheit in Handlung umgesetzt wird: „Ich gebe Dir einen Platz!“ Präsenz ist ein Schlüssel bei Aufstellungen, im „Hier und Jetzt“ wird etwas wahrgenommen, das seine Wurzeln in der Vergangenheit haben kann und im Alltag seine Auswirkungen zeigt. Seien diese positiv oder einschränkend. Ganz gegenwärtig sein ohne Vorannahmen, trotz aller Hypothesen, die selbstverständlich auftauchen.

Das Innehalten im „Jetzt“ ist eine der Möglichkeiten, die LeiterInnen und KlientInnen haben, um wirklich zu sehen, zu verändern, zu handeln und heil zu werden. Jeder Moment ist kostbar und der Weg zur Gegenwärtigkeit verlangt, die wandernde Aufmerksamkeit zu bündeln.

Das Eingreifen der LeiterInnen: Wenn man Aufstellungsarbeit als heilsames, lösungsorientiertes Vorgehen betrachtet, dann ist auch die Frage wesentlich, wie sehr LeiterInnen eingreifen sollen und dürfen. Das bedeutet, in Kontakt, in Resonanz mit dem Menschen zu bleiben, der hier seine inneren Bilder sichtbar werden lässt.

Darin zeigt sich Achtsamkeit.

Der Sprachgebrauch: Welche Sätze kommen aus dem Herzen und können vom Gegenüber mit dem Herz „gehört“ werden, sodass Resonanz entsteht?

Zum Beispiel der Satz: „Ich bin dir wirklich gut“, kommt er aus tiefstem Herzen oder aus der Anpassung, weil dies so vorgeschlagen wurde?

Genügsamkeit: Wenn ein Anliegen sehr komplex geschildert wird, dann macht es Sinn, zu minimieren, um zu einer guten Lösung zu gelangen. Manchmal lädt eine Aufstellung zu noch mehr ein, da braucht man Klarheit und Genügsamkeit, um den besten Zeitpunkt für die Beendigung einer Aufstellung zu finden. Es gibt Momente der Dichte, die der Seele zugutekommen. Dabei kommt es auf den Kontakt der Leiterin zur Fragestellerin an. Gute Speisen sollten besser nicht verschlungen werden. Vorzupreschen birgt die Gefahr, zu übersehen, was den Wandel bringt. Und dazu braucht es Mut. Unsere Gesellschaft lässt uns wissen, dass das „VIEL“ erwünscht ist.

Mein erster Lehrer in der Aufstellungsarbeit hat immer wieder etwas brüsk gesagt: „Hier breche ich ab.“ Viele waren schockiert. Heute denke ich, dass es da Unterschiede gab und gibt, denn der Moment der Wandlung war sicher oft gekommen.

Achtsamkeit bedeutet seinem Sinne nach, nicht nur aufmerksam und konzentriert zu sein, sondern den Umgang mit sich und anderen so zu gestalten, dass es dem Wohle aller guttut. Achtsamkeit hat viele verschiedene Ebenen. Sie ist wesentlich, wenn LeiterInnen sich dem Feld zuwenden, in dem die Systemanteile stehen. Gegenwärtigkeit, Achtsamkeit und nicht wertende Haltung haben manches gemeinsam.

Präsenz, die auch als Ausstrahlung wahrgenommen wird, und eine nicht wertende Haltung treten jedoch nicht unbedingt gemeinsam auf. Im strengen Sinne ist Präsenz frei von Vorbehalten, sprich von Ängsten, und deshalb auch ohne das Bedürfnis zu werten. Der Präsenz liegt die Achtsamkeit zugrunde. Sie entsteht durch die Bündelung der Aufmerksamkeit und einer inneren Haltung, die sich durch Wohlgefühl ausdrückt. Präsenz ist das Ergebnis, Achtsamkeit ist der Weg, achtsam sein bedeutet zu sehen, zu hören, zu spüren und in Resonanz zu gehen.

Die Erfahrung von Verbundenheit ist wohl jener Aspekt der Aufstellungsarbeit, der das Besondere und Beeindruckende darstellt, sie ist jedoch eine Erfahrung, die sich in einem Wissen und einer Erkenntnis zeigt, die jenseits des Erklärbaren liegt. Es gibt viele Erklärungen, die das kognitive Denken mehr oder minder zufrieden stellen, doch wirklich erfahren und erkannt wird Verbundenheit mit dem Herzen, über die Erkenntnis des Körpers, über die Auswirkungen in unserem Seelenhaushalt und die Veränderungen im Außen. Die darauffolgende Heilung geschieht, wenn wir dem Wandel zustimmen und uns auf das einstellen, was wir aus tiefstem Herzen wünschen.

ICH und darüber hinaus - Verbundenheit und Freiheit

Dieses Thema ist im speziellen dem ersten Kapitel, das sich mit dem Element Erde befasst, zugeordnet. Es gilt jedoch für alle Kapitel und ist deshalb bereits in der Einleitung angeführt.

Unter ICH ist das Folgende zu verstehen

• die horizontale Ausrichtung; sie ist der eigenen Persönlichkeit zugeordnet,

• das „Ich“ in der Verantwortlichkeit sich selbst gegenüber,

• das „Ich“ in einem größeren System.

Menschen können in Selbstbezogenheit, in Rollenverliebtheit und in der Egozentrik verbleiben. Letzteres kann sich auch in Organisationsformen mit folgender innere Haltung zeigen: „Mir das Meine und noch einmal das Meine, den Letzten beißen die Hunde.“

Darüber hinaus

• darunter verstehe ich als vertikale Ausrichtung den Prozess der eigenen Entwicklung und das fühlende Erkennen des eigenen Potentials und der eigenen Essenz;

• weiterhin verstehe ich darunter die Fähigkeit Bezogenheit zur Gemeinschaft zu entwickeln. Siehe Text im Teil 2: Entwicklung des Menschseins.

Verbundenheit und Freiheit - was ist damit gemeint?

Es geht um das Eingebunden-Sein in den „Organismus Menschheit“. Wenn wir durch Aufstellungen sensibilisiert sind, können wir reichere Antworten auf die folgenden Fragen finden.

• In welchem soziokulturellen Umfeld ist mein Platz? Wer bin ich, wenn ich mich eingebunden und als Teil eines größeren Ganzen verstehe? Wie bewege ich mich in diesem Feld?

• Welche Auswirkungen haben mein Denken, mein Handeln, meine Art der Kontaktaufnahme? Welche Auswirkungen strebe ich an, welche vermeide ich?

• Will ich Verantwortung übernehmen oder reagiere ich wie gewohnt? Resigniere ich?

• Kann ich meine Größe und Würde annehmen oder ducke ich mich?

• Wie frei kann ich sein, wenn ich doch verbunden bin mit allem und jedem?

Allein diese Fragestellungen regen an, machen neugierig und streben nach tieferem Wissen. Neugierde macht wach und erschließt neue Erkenntnisse. Dennoch ist zu beobachten, dass diesen Fragen oft ausgewichen wird.

Wer sensibilisiert ist, hört auf Fühlen und Verstand und macht dann nicht, was sie will, sondern sie weiß, was zu tun ist - das ist Autonomie. Wer in Egomanie verharrt, reagiert bloß und bleibt dumpf.

Autonomie heißt eben nicht Egomanie. Im Bewusstsein von Selbstbestimmtheit und Selbstverantwortung gelten Kraft und Fürsorglichkeit nicht nur der eigenen Person, sondern sie können sich ausdehnen. Über die Fürsorge für andere begegnen wir uns auch selbst. Zunächst ist es wichtig, für sich einstehen zu können, sich selbst zu akzeptieren, ohne zu beschönigen. Dies ist Grundlage der Entwicklung von Beziehungsfähigkeit und sozialer Kompetenz. Um diese bewusste Entwicklung in Gang zu bringen, braucht es einen neuen Blick auf sich selbst und es braucht neues Sehen ohne Wertung. Es kann sehr spannend sein, sich immer wieder neu zu entdecken - ein lebenslanger Prozess der Sensibilisierung, der uns in Kontakt mit uns sein lässt. Ein SEIN im Gegensatz zu ausschließlichem TUN, zu Reagieren und vergleichender Haltung. Im Sein als die Handelnde, Wirkende, Gestaltende und Begegnende wirken. Mit der Aufmerksamkeit auf sich selbst, die eigenen inneren Haltungen und deren Auswirkungen erkennen.

Was lässt Menschen in Dumpfheit verharren und vor Erkennen und neuem Sehen zurückschrecken?

• Bequemlichkeit

• Angst sich und/oder Andere zu enttäuschen

• Angst vor Veränderung und Wandel

• Angst die eigenen Lügen zu entdecken

Das Verharren und Festkleben an der Angst vor sich selbst, vor Anderen und den Gegebenheiten des Lebens ist jedoch kein Muss! Sehen heißt erfühlen, ergründen und dann weitergehen! Damit ist die Entwicklung von Bewusstsein gemeint, aus dem sich Auswirkungen auf Denken und Handeln ergeben. Selbst wenn es immer wieder Momente der Verzweiflung, Enttäuschung und des Selbstbetrugs gibt, – immer wieder aufstehen, kleine Schritte gehen und nicht stehenbleiben. Das ist eine gute Option.

Wie wird man gewahr, dass neue Werte zu etablieren sind?

• Man erkennt sie als Notwendigkeit, um sich sogenannten Sachzwängen der Finanzwirtschaft, des Klimawandels, des Hungers und der Migration entgegenzustellen.

• Erschütterungen, Krankheiten, Verluste, Trennungen, Kriege und Umweltbedrohung weisen auf diese Notwendigkeit hin. Erschütterungen wirken wie ein Weckruf, sie sind notwendig, insbesondere wenn Überzeugungen seelenlos werden.

• Wenn Rituale zur Farce werden und zur bloßen Technik verkümmern, wenn man sich hinter diesen Techniken versteckt oder sich an ihnen festkrallt, um die innere Leere zu füllen.

Wach werden – präsent sein

Bücher, die von tiefer Kraft erfüllt sind, die von Leid und dessen Bewältigung sprechen, können aufwecken, so dass eigene Wahrheiten oder Lügen wieder erlebt werden, und die LeserInnen wieder in Kontakt mit sich selbst und mit der Erde kommen. Es ist wie ein Aufwachen und Bewusstwerden der eigenen Kraft und Erkenntnisfähigkeit und auch der Art und Weise, wie und wohin das Leben steuert. Mit Herz und Verstand handeln, statt in sich immer wiederholenden Reaktionsabläufen zu verharren. Den Gegebenheiten des Lebens auf diese Weise neu zu begegnen und sich der eigenen Würde und der Würdigung anderer bewusst zu werden.

Aufstellungen als gute Möglichkeit

Aufstellungen sind eine Möglichkeit, um aus der Dumpfheit des ständig Wiederholten heraus zu treten. Manchmal zeigen sich Aufstellungen als Erschütterung, doch sie weisen auf den Weg, der der entsprechende ist. Vor allem dann, wenn die Bereitschaft daraus Neues zu gestalten vorhanden ist. Jede kann für sich selbst entscheiden, einen Arm nach dem Neuen auszustrecken und es anzunehmen, und mit dem anderen Arm das Vergangene zu berühren, ohne daran festzuhalten. Das heißt nicht, dass das Alte gelöscht werden sollte, denn es war ja. Es wurde mitgestaltet und ist Teil von dem was du bist.

Es ist keineswegs Sinn einer Aufstellung, das Alte einzuebnen, es macht vielmehr Sinn, das Vergangene dort zu lassen, wo es hingehört, um sich dann mit Intensität und Hingabe dem Jetzt und dem Neuem zuzuwenden. So ist die Lebenslandschaft nicht flach und bewegungsarm, es zeigt sich das, was ist. Wir können zuversichtlich bleiben und das im Blick haben, wozu Herz und Verstand ja sagen.

Begleitung von Menschen, die ein Anliegen haben

Menschen in beratenden Berufen haben die Möglichkeit, Lösungen anzubieten oder gemeinsam mit KlientInnen Lösungsansätze zu entwickeln. Beides ist hilfreich, entscheidend ist es, KlientInnen und ihren Anliegen Achtung entgegen zu bringen. Beides kann Eigenverantwortung und Selbstliebe fördern, je nachdem wie das Angebot einer Lösungsmöglichkeit präsentiert wird. Auch die Einladung eigene Ressourcen zu entwickeln ist je nach Situation sinnvoll. Begleitende bleiben wach und aufmerksam. Sie können von eigenen inneren Krisen profitieren, indem sie der Veränderung zustimmen, die für sie selbst notwendig ist. Der Erfolg einer Intervention hängt auch von der inneren Haltung der begleitenden Person ab. Vordergründig ist es nicht die Aufgabe der Psychotherapie, zur Entwicklung des gesamtmenschlichen Bewusstseins beizutragen, und es gibt auch keinen Auftrag, politisches Bewusstsein zu wecken. Und doch ist es notwendig, die eigene Offenheit dafür zu entwickeln, den Blick zu schärfen und ihn nicht nur dahin zu richten, wo sich Bedrückung anbietet, die sich schon immer angeboten hat. Es gilt dahin zu schauen, wo sich die Umsetzung von Visionen bereits zeigt und Wandel sich ereignet. Wenn wir davon ausgehen, dass wir verbunden sind mit allem was da ist, dann spielt unsere eigene innere Musik ganz sicher eine Rolle. Und diese Musik darf sehr schön sein und uns einstimmen auf die Offenheit für Neues.