Der bedeutende deutsche Physiker Max Planck (1858 - 1947) gilt als Begründer der Quantenphysik. Für seine Entdeckung des planckschen Wirkungsquantums erhielt er 1919 den Nobelpreis.

Der Naturwissenschaftler Dipl.-Math. Klaus-Dieter Sedlacek, Jahrgang 1948, studierte in Stuttgart neben Mathematik und Informatik auch Physik. Nach fünfundzwanzig Jahren Berufspraxis in der eigenen Firma widmet er sich nun seinen privaten Forschungsvorhaben und veröffentlicht die Ergebnisse in allgemein verständlicher Form. Darüber hinaus ist er der Herausgeber mehrerer Buchreihen unter anderem der Reihen 'Wissenschaftliche Bibliothek' und 'Wissen gemeinverständlich'.

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ISBN: 9783746023014

0. INHALTSVERZEICHNIS

1. GELEITWORT.

Die vorliegende Sammlung von Reden und Vorträgen war ursprünglich gedacht als eine neue Auflage meiner in dem nämlichen Verlag erschienenen „Physikalischen Rundblicke“, ergänzt durch Aufnahme einiger inzwischen erschienener Aufsätze allgemeineren Inhalts. Da indessen durch diese Vermehrung der Umfang des Buches allzu stark angewachsen wäre, so hielt ich es für zweckmäßig, von den früheren Schriften etwa die Hälfte wegzulassen und nur die nach meiner Meinung wesentlichsten, nämlich den programmatischen Leidener Vortrag über die Einheit des physikalischen Weltbildes, die beiden Berliner Rektoratsreden und den Stockholmer Nobel-Vortrag hier wieder mit aufzunehmen. Bei dieser beträchtlichen Änderung des Inhalts schien mir für das neue Buch auch die Wahl eines neuen Titels angezeigt.

Bedenkt man, dass seit der Ausarbeitung meines ersten in Leiden gehaltenen Vortrages volle 25 Jahre verflossen sind und dass währenddem die physikalische Wissenschaft Wandlungen erfahren hat von einem Ausmaß wie kaum je zuvor in einem gleichen Zeitraum, so wird man es selbstverständlich finden, dass in den Anschauungen eines Physikers, der alle diese Eindrücke miterlebt hat, sich gewisse Um- und Weiterbildungen vollzogen haben. Dennoch glaube ich mit gutem Gewissen behaupten zu können, dass die Auffassung, die ich bezüglich der großen allgemeinen Fragen der Physik und der physikalischen Erkenntnis bisher zu entwickeln und zu begründen suchte, sich bewährt hat und dass ich den in meinen früheren Schriften dargelegten grundsätzlichen Standpunkt auch heute noch zu vertreten allen Grund habe. Einige kleinere Streichungen oder Zusätze habe ich an einzelnen wenigen Textstellen zur Abrundung vorzunehmen für nützlich gehalten. Die ursprüngliche Fassung ist ja jederzeit aus den Originalen zu ersehen.

So glaube ich, dass die einzelnen bei verschiedenen Gelegenheiten entstandenen Aufsätze sich nach ihrem Inhalt zu einem einheitlichen Ganzen zusammenschließen. Der Grundgedanke und Ausgangspunkt aller Darlegungen ist außerordentlich einfach, er fasst die Aufgabe der Physik als die Erforschung der realen Außenwelt. Das Anfechtbare dieser Formulierung liegt darin, dass die reale Außenwelt etwas ist, was auf keinerlei Weise direkt aufgezeigt werden kann — ein Umstand, der von jeher grundsätzliche Bedenken erregt hat und der auch gegenwärtig eine Reihe namhafter Physiker und Philosophen zu der Schlussfolgerung veranlasst, dass es gar keinen Sinn habe, von einer realen Außenwelt im Gegensatz zu der uns unmittelbar gegebenen Sinnenwelt zu reden. Ich halte diese Auffassung, so einleuchtend sie auf den ersten Blick scheint und so unanfechtbar sie vom rein logischen Standpunkt aus ist, dennoch für kurzsichtig und unfruchtbar. Denn die Forschung verfährt nun einmal gerade auf neu zu erschließenden Gebieten niemals so, dass die zu behandelnden Fragen zunächst genau definiert und dann erst in Angriff genommen werden. Im Gegenteil: ein jeder, der einmal an einem wirklich neuen Problem der Wissenschaft gearbeitet hat, weiß aus eigener Erfahrung, dass es in der Regel nicht minder schwierig ist, ein Problem zu formulieren, als es zu lösen, ja, dass die genaue endgültige Formulierung oft erst zugleich mit der Lösung gefunden wird. So verhält es sich auch mit der realen Außenwelt. Sie steht im Grunde nicht am Anfang, sondern am Ziel der physikalischen Forschung, und zwar an einem Ziel, das niemals vollkommen erreicht werden wird, das aber doch fortwährend im Auge behalten werden muss, wenn man vorwärtskommen will. Hier zeigt sich wieder, dass die Physik, wie überhaupt jede Wissenschaft, einen gewissen irrationalen Kern enthält, den man nicht wegdefinieren kann, ohne der Forschung ihre eigentliche Triebkraft zu rauben, der aber auch andrerseits niemals restlos aufgeklärt werden wird.

Der innere Grund für diese Irrationalität liegt, wie die Entwicklung der neueren Physik immer deutlicher zu zeigen beginnt, in dem Umstand, dass der forschende Mensch selber ein Stück Natur ist, und dass er daher niemals diejenige Distanz von der Natur zu gewinnen vermag, die notwendig wäre, um zu einer vollkommen objektiven Naturbetrachtung zu gelangen. Mit dieser unabänderlichen Tatsache müssen wir uns wohl oder übel abfinden und können im besten Falle Befriedigung nur suchen in dem Bewusstsein, welches dem achtzigjährigen Goethe das schönste Glück des denkenden Menschen bedeutete, dem Bewusstsein, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.

Berlin-Grunewald, 1. Februar 1933.

Der Verfasser.

Vorwort zur vierten Auflage.

In der vorliegenden vierten Auflage sind die bisherigen beiden Bände nach dem Vorschlag der Verlagsbuchhandlung in einem einzigen Band vereinigt worden. Ich habe die Gelegenheit benutzt, um in den neuesten Vortrag über Sinn und Grenzen der exakten Wissenschaft, einige kleine, mir zweckmäßig erscheinende Änderungen vorzunehmen. Das Buch erscheint in einer durch die Weltereignisse schwer erschütterten Zeit, und ich weiß der Verlagsbuchhandlung besonderen Dank dafür, dass es ihr gelungen ist, das Werk mit den von mir gewünschten Verbesserungen und Zusätzen in verhältnismäßig kurzer Frist herauszubringen.

Rogätz bei Magdeburg, im Juni 1944.

Der Verfasser

Vorwort des Herausgebers zur Neuauflage

Nach dem zeitlichen Ende des großen Physikers ist mir nun die ehrenvolle Aufgabe zuteil geworden, die Sammlung seiner Reden und Vorträge zu vervollständigen und darüber hinaus um seine wissenschaftliche Selbstbiografie zu ergänzen. Da sich in den dazwischen liegenden Jahren die Rechtschreibung gewandelt hat, nahm ich vorsichtig einige wenige Anpassungen an die aktuell gültige Rechtschreibung vor. Der Charakter des Werks ist dadurch nicht beeinträchtigt worden, sondern atmet nach wie vor den Geist von Plancks Zeit. Insgesamt handelt es sich um eine leicht verständliche und faszinierende Darstellung seiner Leistung und seiner Naturphilosophie, die wie ich denke historisch interessant und von großem Wert für unser physikalisches Weltbild ist.

Stuttgart, im Januar 2018

Der Herausgeber

2. DIE EINHEIT DES PHYSIKALISCHEN WELTBILDES.

(Vortrag, gehalten am 9. Dezember 1908 in der naturwissenschaftlichen Fakultät des
Studentenkorps an der Universität Leiden.)

Meine sehr geehrten Herren! Als mir die freundliche Einladung übermittelt wurde, hier vor Ihnen über ein Thema meiner Wissenschaft zu sprechen, war mein erster Gedanke der, wie sorgfältig doch die Physik gerade in Holland gepflegt wird, welch glänzende, weltbekannte Namen Ihnen hier tagtäglich voranleuchten, und wie wenig an eigentlich Neuem Ihnen daher ein Vortrag über theoretische Physik, und nun vollends hier in Leiden, zu bieten vermöchte. Wenn ich nun dennoch den Versuch machen will, Ihre Aufmerksamkeit eine Zeitlang in Anspruch zu nehmen, so kann ich den Mut dazu lediglich aus der Überlegung schöpfen, dass unsere Wissenschaft, die Physik, ihrem Ziele ja nicht auf geradem Wege, sondern nur auf vielfach verschlungenen Pfaden stetig sich anzunähern vermag, und dass deshalb auch in ihr der Individualität des Forschers ein breiter Spielraum gelassen ist. So arbeitet der eine an dieser, der andere an jener Stelle, der eine mit dieser, der andere mit jener Methode, und das physikalische Weltbild, um das wir uns alle bemühen, malt sich zur Zeit in jedem wohl etwas verschieden. Daher hoffe ich immerhin auf Interesse bei Ihnen rechnen zu dürfen, wenn ich hier im folgenden versuche, Ihnen die Hauptzüge des physikalischen Weltbildes zu entwerfen, wie es sich aus den mir zur Verfügung stehenden Erfahrungen und Anschauungen heraus gestaltet hat und in Zukunft vermutlich gestalten wird.

I.

Von jeher, solange es eine Naturbetrachtung gibt, hat ihr als letztes, höchstes Ziel die Zusammenfassung der bunten Mannigfaltigkeit der physikalischen Erscheinungen in ein einheitliches System, womöglich in eine einzige Formel, vorgeschwebt, und von jeher haben sich bei der Lösung dieser Aufgabe zwei Methoden gegenübergestanden, oft miteinander ringend, noch öfter sich gegenseitig korrigierend und befruchtend, letzteres am reichsten, wenn sie sich in dem nämlichen Forschergeist zu gemeinsamer Arbeit verbanden. Die eine Methode ist die jugendlichere, sie fasst, einzelne Erfahrungen schnell verallgemeinernd, mit kühnem Griffe nach dem Ganzen und stellt in das Zentrum des Bildes von vornherein einen einzigen Begriff oder Satz, in den sie nun mit mehr oder weniger Erfolg die ganze Natur samt allen ihren Äußerungen zu bannen unternimmt. So machte Thaies von Milet das „Wasser“, Wilhelm Ostwald die „Energie“, Heinrich Hertz das „Prinzip der geradesten Bahn“ zum Haupt- und Zentralpunkt seines physikalischen Weltbildes, in welchem alle physikalischen Vorgänge ihren Zusammenhang und ihre Erklärung finden.

Die andere Methode ist bedächtiger, bescheidener und zuverlässiger, aber an Stoßkraft der ersten lange nicht gewachsen und daher auch sehr viel später zu Ehren gekommen: sie verzichtet vorläufig auf endgültige Resultate und malt zunächst nur diejenigen Einzelzüge in das Bild, welche durch direkte Erfahrungen vollständig sichergestellt erscheinen, ihre weitere Verarbeitung späterer Forschung überlassend. Ihren prägnantesten Ausdruck hat sie wohl gefunden in Gustav Kirchhoffs bekannter Definition der Aufgabe der Mechanik als einer „Beschreibung“ der in der Natur vor sich gehenden Bewegungen. Beide Methoden ergänzen sich gegenseitig, und auf keinen Fall kann die physikalische Forschung auf eine derselben verzichten.

Aber nicht von dieser doppelten Methodik unserer Wissenschaft möchte ich jetzt zu Ihnen reden, sondern ich möchte vielmehr Ihre Aufmerksamkeit richten auf die prinzipiellere Frage, wohin denn diese eigenartige Methodik geführt hat und wohin sie vermutlich noch führen wird. Dass die Physik in ihrer Entwicklung wirklich Fortschritte gemacht hat, dass wir die Natur mit jedem Jahrzehnt erheblich besser kennenlernen, das kann ernstlich gewiss von niemandem geleugnet werden, das beweist ein einziger Blick auf die an Zahl wie an Bedeutung stetig wachsenden Hilfsmittel, mit welchen die Menschheit die Natur ihren Zwecken dienstbar zu machen versteht. Aber in welcher Richtung bewegt sich im ganzen dieser Fortschritt? Inwieweit kann man sagen, dass wir uns dem angestrebten Ziele, dem Einheitssystem, wirklich annähern? Dies zu untersuchen muss jedem Physiker, der sich ein offenes Auge für die Fortschritte seiner Wissenschaft bewahren will, von größter Wichtigkeit erscheinen. Und wenn wir imstande sind, über diese Fragen Auskunft zu erlangen, werden wir auch in die Lage kommen, uns Rechenschaft zu geben über die weitere, heutzutage wieder heiß umstrittene Frage: Was bedeutet uns im Grunde das, was wir das physikalische Weltbild nennen? Ist dasselbe lediglich eine zweckmäßige, aber im Grunde willkürliche Schöpfung unseres Geistes, oder finden wir uns zu der gegenteiligen Auffassung getrieben, dass es reale, von uns ganz unabhängige Naturvorgänge widerspiegelt?

Um zu erfahren, in welcher Richtung sich die Entwicklung der physikalischen Wissenschaft bewegt, gibt es nur ein Verfahren: man vergleicht den Zustand, in dem sie sich gegenwärtig befindet, mit demjenigen in einer früheren Zeit. Fragt man aber weiter, welches äußere Kennzeichen denn das beste Charakteristikum für den Entwicklungszustand einer Wissenschaft zu gewähren vermag, so wüsste ich kein allgemeineres zu nennen als die Art und Weise, wie die Wissenschaft ihre Grundbegriffe definiert und wie sie ihre verschiedenen Gebiete einteilt. Denn in der Schärfe und Zweckmäßigkeit der Definitionen und in der Art der Einteilung des Stoffs liegen, wie allen etwas tiefer Nachdenkenden bekannt ist, sogar die letzten, reifsten Resultate der Forschung häufig schon implizite mit enthalten.

Sehen wir nun zu, wie es in dieser Beziehung mit der Physik gegangen ist. Da gewahren wir zunächst, dass die wissenschaftliche physikalische Forschung in allen ihren Gebieten entweder an unmittelbar praktische Bedürfnisse oder an besonders auffällige Naturerscheinungen anknüpft. Und nach diesen Gesichtspunkten richtet sich naturgemäß die anfängliche Einteilung der Physik und die Benennung ihrer einzelnen Zweige. So entsteht die Geometrie aus der Erd- oder Feldmesskunst, die Mechanik aus der Maschinenlehre, die Akustik, die Optik, die Wärmelehre aus den entsprechenden spezifischen Sinneswahrnehmungen, die Elektrizitätslehre aus den merkwürdigen Beobachtungen am geriebenen Bernstein, die Theorie des Magnetismus aus den auffallenden Eigenschaften der bei der Stadt Magnesia gefundenen Eisenerze. Entsprechend dem Satze, dass alle unsere Erfahrungen an Empfindungen unserer Sinne anknüpfen, ist in allen physikalischen Definitionen das physiologische Element maßgebend, kurz gesagt: die ganze Physik, sowohl ihre Definition als auch ihre ganze Struktur, trägt ursprünglich in gewissem Sinn einen anthropomorphen Charakter.

Wie verschieden hiervon ist das Bild, welches uns das Lehrgebäude der modernen theoretischen Physik darbietet! Zunächst zeigt das Ganze ein viel einheitlicheres Gepräge: die Anzahl der Einzelgebiete der Physik ist erheblich verringert, dadurch, dass verwandte Gebiete miteinander verschmolzen sind: so ist die Akustik ganz in die Mechanik aufgegangen, der Magnetismus und die Optik ganz in die Elektrodynamik; und diese Vereinfachung zeigt sich begleitet von einem auffallenden Zurücktreten des menschlich-historischen Elements in allen physikalischen Definitionen. Welcher Physiker denkt heutzutage bei der Elektrizität noch an geriebenen Bernstein oder beim Magnetismus an den kleinasiatischen Fundort der ersten natürlichen Magnete? Und in der physikalischen Akustik, Optik und Wärmelehre sind die spezifischen Sinnesempfindungen geradezu ausgeschaltet. Die physikalischen Definitionen des Tons, der Farbe, der Temperatur werden heute keineswegs mehr der unmittelbaren Wahrnehmung durch die entsprechenden Sinne entnommen, sondern Ton und Farbe werden durch die Schwingungszahl bzw. Wellenlänge definiert, die Temperatur theoretisch durch die dem zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie entnommene absolute Temperaturskala, in der kinetischen Gastheorie durch die lebendige Kraft der Molekularbewegung, praktisch durch die Volumenänderung einer thermometrischen Substanz bzw. durch den Skalenausschlag eines Bolometers oder Thermoelements; von der Wärmeempfindung ist aber bei der Temperatur in keinem Fall mehr die Rede.

Genau ebenso ist es mit dem Begriff der Kraft gegangen. Das Wort „Kraft“ bedeutet ursprünglich ohne Zweifel menschliche Kraft, entsprechend dem Umstand, dass die ersten und ältesten Maschinen: der Hebel, die Rolle, die Schraube, durch Menschen oder Tiere angetrieben wurden, und dies beweist, dass der Begriff der Kraft ursprünglich dem Kraftsinn oder Muskelsinn, also einer spezifischen Sinnesempfindung, entnommen wurde. Aber in der modernen Definition der Kraft erscheint die spezifische Sinnesempfindung ebenso eliminiert, wie in derjenigen der Farbe der Farbensinn.

Ja, dieses Zurückdrängen des spezifisch sinnlichen Elements aus den Definitionen der physikalischen Begriffe geht so weit, dass sogar Gebiete der Physik, welche ursprünglich durch die Zuordnung zu einer bestimmten Sinnesempfindung als durchaus einheitlich charakterisiert wurden, infolge der Lockerung des zusammenhaltenden Bandes in verschiedene ganz getrennte Stücke auseinanderfallen, also gerade entgegen dem allgemeinen Zuge zur Vereinheitlichung und Verschmelzung. Das beste Beispiel hierfür zeigt die Lehre von der Wärme. Früher bildete die Wärme einen bestimmten, durch die Empfindungen des Wärmesinns charakterisierten, wohlabgegrenzten einheitlichen Bezirk der Physik. Heute findet man wohl in allen Lehrbüchern der Physik von der Wärme ein ganzes Gebiet, die Wärmestrahlung, abgespalten und bei der Optik behandelt. Die Bedeutung des Wärmesinns reicht eben nicht mehr hin, um die heterogenen Stücke zusammenzuhalten; vielmehr wird jetzt das eine Stück der Optik bzw. Elektrodynamik, das andere der Mechanik, speziell der kinetischen Theorie der Materie, angegliedert.

Schauen wir auf das Bisherige zurück, so können wir kurz zusammenfassend sagen: die Signatur der ganzen bisherigen Entwicklung der theoretischen Physik ist eine Vereinheitlichung ihres Systems, welche erzielt ist durch eine gewisse Emanzipierung von den anthropomorphen Elementen, speziell den spezifischen Sinnesempfindungen. Bedenkt man nun andererseits, dass doch die Empfindungen anerkanntermaßen den Ausgangspunkt aller physikalischen Forschung bilden, so muss diese bewusste Abkehr von den Grundvoraussetzungen immerhin erstaunlich, ja paradox erscheinen. Und dennoch liegt kaum eine Tatsache in der Geschichte der Physik so klar zutage wie diese. Fürwahr, es müssen unschätzbare Vorteile sein, welche einer solchen prinzipiellen Selbstentäußerung wert sind!

Bevor wir auf diesen wichtigen Punkt näher eingehen, wollen wir nun noch unseren Blick aus der Vergangenheit und der Gegenwart in die Zukunft richten. Wie wird man in künftigen Jahrhunderten das System der Physik einteilen? Gegenwärtig stehen sich darin noch zwei große Gebiete gegenüber: die Mechanik und die Elektrodynamik, oder wie man auch sagt: die Physik der Materie und die Physik des Äthers. Erstere umfasst zugleich mit die Akustik, die Körperwärme, die chemischen Erscheinungen, letztere den Magnetismus, die Optik und die strahlende Wärme. Wird diese Einteilung die endgültige sein? Ich glaube es nicht, und zwar deshalb nicht, weil diese beiden Gebiete sich gar nicht scharf voneinander abgrenzen lassen.

Gehören zum Beispiel die Vorgänge der Lichtemission zur Mechanik oder zur Elektrodynamik? Oder: In welches Gebiet soll man die Bewegungsgesetze der Elektronen rechnen? Vielleicht möchte man auf den ersten Blick sagen: zur Elektrodynamik, da bei den Elektronen doch die ponderable Materie gar keine Rolle spielt. Aber man richte sein Augenmerk nur etwa auf die Bewegungen der freien Elektronen in Metallen. Da wird man zum Beispiel beim Studium der Untersuchungen von H.A. Lorentz finden, dass die Gesetze derselben weit besser in die kinetische Gastheorie als in die Elektrodynamik hineinpassen. Überhaupt scheint mir der ursprüngliche Gegensatz zwischen Äther und Materie etwas im Schwinden begriffen zu sein. Elektrodynamik und Mechanik stehen sich gar nicht so ausschließend gegenüber, wie das in weiteren Kreisen gewöhnlich angenommen wird, wo sogar schon von einem Kampf zwischen der mechanischen und der elektrodynamischen Weltanschauung gesprochen wird. Die Mechanik bedarf zu ihrer Begründung prinzipiell nur der Begriffe des Raums, der Zeit und dessen, was sich bewegt, mag man es nun als Substanz oder als Zustand bezeichnen. Die nämlichen Begriffe kann aber auch die Elektrodynamik nicht entbehren. Eine passend verallgemeinerte Auffassung der Mechanik könnte daher sehr wohl auch die Elektrodynamik mit umschließen, und in der Tat sprechen mancherlei Anzeichen dafür, dass diese beiden schon jetzt teilweise ineinander übergreifenden Gebiete sich schließlich zu einem einzigen, zur allgemeinen Dynamik, vereinigen werden.

Wenn also der Gegensatz zwischen Äther und Materie einmal überbrückt ist, welcher Gesichtspunkt wird dann in endgültiger Weise der Einteilung des Systems der Physik zugrunde gelegt werden? Nach dem, wras wir oben gesehen haben, ist diese Frage zugleich charakteristisch für die ganze Art der Weiterentwicklung unserer Wissenschaft; doch ist es zu ihrer näheren Untersuchung notwendig, dass wir etwas tiefer als bisher in die Eigenart der physikalischen Prinzipien eindringen.

II.

Ich bitte Sie zu diesem Zwecke zunächst mich zu begleiten an denjenigen Punkt, von welchem aus der erste Schritt zur tatsächlichen Verwirklichung des bis dahin nur von den Philosophen postulierten Einheitssystems der Physik gemacht wurde: zum Prinzip der Erhaltung der Energie. Denn der Begriff der Energie ist neben den Begriffen von Raum und Zeit der einzige allen verschiedenen physikalischen Gebieten gemeinsame. Nach allem, wras ich oben ausführte, wird es Ihnen erklärlich und fast selbstverständlich erscheinen, dass auch das Energieprinzip ursprünglich, noch vor seiner allgemeinen Formulierung durch Mayer, Joule und Helmholtz, einen anthropomorphen Charakter trug. Seine ersten Wurzeln liegen nämlich schon in der Erkenntnis, dass es keinem Menschen gelingen kann, nutzbare Arbeit aus Nichts zu gewinnen; und diese Erkenntnis ihrerseits entstammt im wesentlichen den Erfahrungen, die gesammelt wurden bei den Versuchen zur Lösung eines technischen Problems: der Erfindung des Perpetuum mobile. Insofern ist das Perpetuum mobile für die Physik von ähnlicher weittragender Bedeutung geworden, wie die Goldmacherkunst für die Chemie, obwohl es nicht die positiven, sondern umgekehrt die negativen Resultate dieser Experimente waren, aus denen die Wissenschaft Vorteil zog. Heute sprechen wir das Energieprinzip ganz ohne Bezugnahme auf menschliche oder technische Gesichtspunkte aus. Wir sagen, dass die Gesamtenergie eines nach außen abgeschlossenen Systems von Körpern eine Größe ist, deren Betrag durch keinerlei innerhalb des Systems sich abspielende Vorgänge vermehrt oder vermindert werden kann, und wir denken gar nicht mehr daran, die Genauigkeit, mit der dieser Satz gilt, abhängig zu machen von der Feinheit der Methoden, welche wir gegenwärtig besitzen, um die Frage der Realisierung eines Perpetuum mobile experimentell zu prüfen. In dieser strenggenommen unbeweisbaren, aber mit elementarer Gewalt sich aufdrängenden Verallgemeinerung liegt die oben besprochene Emanzipation von den anthropomorphen Elementen.

Während so das Energieprinzip als ein fertiges selbständiges Gebilde, losgelöst und unabhängig von den Zufälligkeiten einer Entwicklungsgeschichte, vor uns steht, ist das nämliche noch keineswegs in gleichem Maße der Fall bei demjenigen Prinzip, welches R. Clausius unter dem Namen des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie in die Physik eingeführt hat; und gerade der Umstand, dass dieser Satz die Eierschalen seiner Entwicklung auch heute noch nicht vollständig abgestreift hat, verleiht ihm in unserer heutigen Besprechung besonderes Interesse. In der Tat trägt der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie, wenigstens in seiner landläufigen Beurteilung, noch entschieden anthropomorphen Charakter. Gibt es doch zahlreiche hervorragende Physiker, welche seine Gültigkeit in Verbindung bringen mit der Unfähigkeit des Menschen, in die Einzelheiten der Molekularwelt einzudringen und es den Maxwell sehen Dämonen gleichzutun, welche ohne jeglichen Arbeitsaufwand, lediglich durch rechtzeitiges Vor- und Zurückschieben eines kleinen Riegels, die schnelleren Moleküle eines Gases von den langsameren zu trennen vermögen. Man braucht aber kein Prophet zu sein, um mit Sicherheit vorauszusagen, dass der Kern des zweiten Hauptsatzes mit menschlichen Fähigkeiten nichts zu tun hat und dass daher auch seine endgültige Formulierung in einer Weise erfolgen muss und erfolgen wird, welche keinerlei Bezugnahme auf die Ausführbarkeit irgendwelcher Naturprozesse durch Menschenkunst enthält. Zu dieser Emanzipation des zweiten Hauptsatzes werden, wie ich hoffe, auch die folgenden Ausführungen etwas beitragen können.

Gehen wir zunächst etwas näher auf den Inhalt des zweiten Hauptsatzes und seine Beziehung zum Energieprinzip ein. Während das Energieprinzip den Ablauf der natürlichen Vorgänge dadurch beschränkt, dass es niemals Schöpfung oder Vernichtung von Energie, sondern nur Umwandlungen von Energie zulässt, geht der zweite Hauptsatz in der Beschränkung noch weiter, indem er nicht alle Arten von Umwandlungen, sondern gewisse nur unter gewissen Bedingungen gestattet. So lässt sich mechanische Arbeit ohne weiteres in Wärme verwandeln, zum Beispiel durch Reibung, aber nicht umgekehrt Wärme ohne weiteres in Arbeit. Wäre das nämlich möglich, so könnte man etwa die Wärme des Erdbodens, die uns ja unbeschränkt zur Verfügung steht, zum Antrieb eines Motors verwenden und hätte dabei den doppelten Vorteil, diesen Motor, da er den Erdboden abkühlt, zugleich als Kältemaschine benutzen zu können.

Aus der erfahrungsgemäßen Unmöglichkeit eines derartigen Motors, der auch als ein Perpetuum mobile zweiter Art bezeichnet wird, geht nun mit Notwendigkeit hervor, dass es Vorgänge in der Natur gibt, die auf keinerlei Weise vollständig rückgängig gemacht werden können. Denn ließe sich zum Beispiel ein Reibungsvorgang, durch welchen mechanische Arbeit in Wärme verwandelt worden ist, mit Hilfe irgendeines, wenn auch noch so komplizierten Apparats auf irgendeine Weise wirklich vollständig rückgängig machen, so wäre eben der betreffende Apparat nichts anderes als der vorhin geschilderte Motor: ein Perpetuum mobile zweiter Art. Dies erhellt unmittelbar, wenn man sich deutlich vorstellt, was der Apparat leisten würde: Verwandlung von Wärme in Arbeit ohne jegliche anderweitig zurückbleibende Veränderung.

Nennen wir einen solchen Vorgang, der sich auf keinerlei Weise vollständig rückgängig machen lässt, einen irreversiblen Prozess, alle übrigen Vorgänge reversible Prozesse, so treffen wir gerade den Kernpunkt des zweiten Hauptsatzes der Wärmetheorie, wenn wir sagen, dass es in der Natur irreversible Prozesse gibt. Demnach haben die Veränderungen in der Natur eine einseitige Richtung: mit jedem einzelnen irreversiblen Prozess macht die Welt einen Schritt vorwärts, dessen Spuren unter keinen Umständen vollständig zu verwischen sind. Beispiele irreversibler Prozesse sind außer der Reibung die Wärmeleitung, die Diffusion, die Elektrizitätsleitung, die Emission von Licht- und Wärmestrahlung, der Atomzerfall radioaktiver Substanzen u. a. Beispiele reversibler Prozesse sind dagegen die Planetenbewegung, der freie Fall im luftleeren Raum, die ungedämpfte Pendelbewegung, die Fortpflanzung von Licht- und Schallwellen ohne Absorption und Beugung, die ungedämpften elektrischen Schwingungen u. a. Denn alle diese Vorgänge sind entweder schon an sich periodisch, oder sie lassen sich doch durch geeignete Vorrichtungen vollständig rückgängig machen, so dass keinerlei Veränderung in der Natur zurückbleibt, zum Beispiel der freie Fall eines Körpers dadurch, dass man die erlangte Geschwindigkeit benutzt, um ihn wieder auf die ursprüngliche Höhe zu heben, eine Licht- oder Schallwelle dadurch, dass man sie in geeigneter Weise an vollkommenen Spiegeln reflektieren lässt.

Welches sind nun die allgemeinen Eigenschaften und Kennzeichen der irreversiblen Prozesse? und welches ist das allgemeine quantitative Maß der Irreversibilität? Diese Frage ist in der verschiedensten Weise geprüft und beantwortet worden, und gerade das Studium ihrer Geschichte bietet einen besonders charakteristischen Einblick in den typischen Entwicklungsgang einer allgemeinen physikalischen Theorie. Ebenso wie man ursprünglich durch das technische Problem des Perpetuum mobile auf die Spur des Energieprinzips gekommen war, so leitete auch wieder ein technisches Problem: das der Dampfmaschine, zur Unterscheidung zwischen irreversiblen und reversiblen Prozessen hin. Schon Sadi Carnot erkannte, obwohl er eine unzutreffende Vorstellung von der Natur der Wärme benutzte, dass die irreversiblen Prozesse unökonomischer sind als die reversiblen, oder dass bei einem irreversiblen Prozess eine gewisse Gelegenheit, mechanische Arbeit aus Wärme zu gewinnen, ungenützt gelassen wird. Was lag nun näher als der Gedanke, für das Maß der Irreversibilität eines Prozesses ganz allgemein das Quantum derjenigen mechanischen Arbeit festzusetzen, welche durch ihn definitiv verlorengeht? Für reversible Prozesse wäre dann natürlich die definitiv verlorene Arbeit gleich Null zu setzen. Diese Auffassung hat sich in der Tat für gewisse spezielle Fälle, zum Beispiel für isotherme Prozesse, als nützlich erwiesen, sie ist daher bis zum heutigen Tag in gewissem Ansehen geblieben; für den allgemeinen Fall jedoch hat sie sich als unbrauchbar und sogar irreführend gezeigt. Dies hat darin seinen Grund, dass die Frage nach der bei einem bestimmten irreversiblen Prozess verlorenen Arbeit gar nicht in bestimmter Weise zu beantworten ist, solange nicht näher angegeben wird, aus welcher Energiequelle denn die betreffende Arbeit hätte gewonnen werden sollen.

Ein Beispiel wird dies klarmachen. Die Wärmeleitung ist ein irreversibler Prozess, oder, wie Clausius es ausdrückt: Wärme kann nicht ohne Kompensation aus einem kälteren in einen wärmeren Körper übergehen. Welches ist nun die Arbeit, welche definitiv verlorengeht, wenn die (kleine) Wärmemenge Q durch direkte Leitung aus einem wärmeren Körper von der Temperatur T1 in einen kälteren Körper von der Temperatur T2 übergeht? Um diese Frage zu beantworten, benutzen wir den genannten Wärmeübergang zur Ausführung eines reversiblen Carnot sehen Kreisprozesses zwischen den beiden Körpern als Wärmereservoiren. Dabei wird bekanntlich eine gewisse Arbeit gewonnen, und diese Arbeit ist es gerade, welche wir suchen; denn sie geht eben bei der direkten Überführung der Wärme durch Leitung verloren. Aber diese Arbeitsgröße hat gar keinen bestimmten Wert, ehe wir nicht wissen, woher die Arbeit stammen soll, ob zum Beispiel aus dem wärmeren Körper oder aus dem kälteren Körper oder ob irgend anders woher. Man bedenke nämlich, dass die von dem wärmeren Körper abgegebene Wärme bei dem reversiblen Kreisprozess ja gar nicht gleich ist der von dem kälteren Körper aufgenommenen Wärme, weil doch ein gewisser Betrag Wärme in Arbeit verwandelt wird, und man kann mit genau demselben Rechte die gegebene, beim direkten Leitungsprozess übergeführte Wärmemenge Q mit der beim Kreisprozess vom wärmeren Körper abgegebenen oder mit der vom kälteren Körper aufgenommenen Wärme identifizieren. Je nachdem man das erste oder das zweite tut, erhält man für die Größe der beim Leitungsprozess verlorenen Arbeit:

Diese Unbestimmtheit hat Clausius auch wohl erkannt und hat daher den einfachen Carnot sehen Kreisprozess entsprechend verallgemeinert durch die Annahme eines dritten Wärmereservoirs, dessen Temperatur nun ganz unbestimmt ist und dementsprechend auch eine unbestimmte Arbeit ergibt1.

Wir sehen also, dass der eingeschlagene Weg, die Irreversibilität eines Prozesses mathematisch zu fassen, im allgemeinen nicht zum Ziele führt, und wir sehen zugleich auch den eigentlichen Grund, warum dies nicht gelingen konnte. Die Fragestellung ist zu anthropomorph gefärbt, sie ist zu sehr auf die Bedürfnisse des Menschen zugeschnitten, dem es in erster Linie auf die Gewinnung nutzbarer Arbeit ankommt. Wenn man von der Natur eine bestimmte Antwort haben will, muss man von einem allgemeineren, weniger wirtschaftlich interessierten Standpunkt aus an sie herantreten. Das wollen wir jetzt zu tun versuchen.

Betrachten wir irgendeinen in der Natur vor sich gehenden Prozess. Derselbe führt für alle daran beteiligten Körper aus einem bestimmten Anfangszustand, den ich den Zustand A nennen will, in einen bestimmten Endzustand B über. Der Prozess ist entweder reversibel oder irreversibel, ein drittes ist nicht möglich. Ob er aber reversibel oder irreversibel ist, hängt einzig und allein von der Beschaffenheit der beiden Zustände A und B ab, nicht von der Art, wie der Prozess im übrigen verlaufen ist; denn es kommt dabei nur auf die Beantwortung der Frage an, ob, wenn der Zustand B einmal erreicht ist, die vollständige Rückkehr nach A auf irgendwelche Weise erzielt werden kann oder nicht. Ist nun die vollständige Rückkehr von B nach A nicht möglich, also der Prozess irreversibel, so ist offenbar der Zustand B in der Natur durch eine gewisse Eigenschaft vor dem Zustand A ausgezeichnet: ich habe mir einmal vor Jahren erlaubt, das so auszudrücken, dass die Natur zum Zustand B eine größere „Vorliebe“ besitzt als zum Zustand A. Nach dieser Ausdrucksweise sind solche Prozesse in der. Natur durchaus unmöglich, für deren Endzustand die Natur eine kleinere Vorliebe besitzen würde wie für den Anfangszustand. Einen Grenzfall bilden die reversiblen Prozesse; bei ihnen besitzt die Natur die gleiche Vorliebe für den Anfangs- wie für den Endzustand, und der Übergang kann zwischen ihnen beliebig nach beiden Richtungen erfolgen.

Nun handelt es sich darum, eine physikalische Größe zu suchen, deren Betrag als ein allgemeines Maß der Vorliebe der Natur für einen Zustand dienen kann. Es muss dies eine Größe sein, welche durch den Zustand des betrachteten Systems unmittelbar bestimmt ist, ohne dass man irgend etwas über die Vorgeschichte des Systems zu wissen braucht, ebenso wie das bei der Energie, beim Volumen und bei anderen Eigenschaften des Systems zutrifft. Diese Größe würde die Eigentümlichkeit besitzen, bei allen irreversiblen Prozessen zu wachsen, bei allen reversiblen Prozessen dagegen ungeändert zu bleiben, und der Betrag ihrer Änderung bei einem Prozesse würde ein allgemeines Maß liefern für die Irreversibilität des Prozesses.

R. Clausius hat nun diese Größe wirklich aufgefunden und hat sie die „Entropie“ genannt. Jedes Körpersystem besitzt in jedem Zustand eine bestimmte Entropie, und diese Entropie bezeichnet die Vorliebe der Natur für den betreffenden Zustand, sie kann bei allen Prozessen, welche innerhalb des Systems vor sich gehen, stets nur wachsen, niemals abnehmen. Will man einen Prozess betrachten, bei dem auch Einwirkungen von außen auf das System stattfinden, so muss man diejenigen Körper, von denen die Wirkungen ausgehen, als mit zum System gehörig betrachten; dann gilt der Satz wieder in der obigen Form. Dabei ist die Entropie eines Körpersystems einfach gleich der Summe der Entropien der einzelnen Körper, und die Entropie eines einzelnen Körpers wird nach Clausius gefunden mit Hilfe eines gewissen reversiblen Kreisprozesses. Zuleitung von Wärme vergrößert die Entropie eines Körpers, und zwar um den Betrag des Quotienten der zugeführten Wärmemenge durch die Temperatur des Körpers; einfache Kompression dagegen ändert die Entropie nicht.

Um auf das oben besprochene Beispiel der von einem wärmeren Körper mit der Temperatur T1 einem kälteren Körper mit der Temperatur T2 direkt zugeleiteten Wärme Q zurückzukommen, so vermindert sich bei diesem Prozess nach dem eben Gesagten die Entropie des wärmeren Körpers, die des kälteren dagegen wächst, und die Summe beider Änderungen, also die Änderung der Gesamtentropie beider Körper, ist:

Diese positive Größe gibt also frei von aller Willkür das Maß für die Irreversibilität des Wärmeleitungsprozesses. Derartige Beispiele lassen sich natürlich in unzähliger Menge anführen. Jeder chemische Prozess liefert einen Beitrag dazu.

So ist der zweite Hauptsatz der Wärmetheorie samt allen seinen Folgerungen zum Prinzip der Vermehrung der Entropie geworden, und es wird Ihnen nun wohl verständlich erscheinen, weshalb ich, anknüpfend auf die oben aufgeworfene Frage, meine Meinung dahin ausspreche, dass in der theoretischen Physik der Zukunft die erste, wichtigste Einteilung aller physikalischen Prozesse die in reversible und in irreversible Prozesse sein wird.

In der Tat zeigen alle reversiblen Prozesse, sei es, dass sie in der Materie oder im Äther oder in beiden verlaufen, untereinander eine viel größere Ähnlichkeit als mit irgendeinem irreversiblen Prozess. Das ergibt sich schon aus der formellen Betrachtung der Differentialgleichungen, welche sie beherrschen. In den Differentialgleichungen der reversiblen Prozesse tritt das Zeitdifferential immer nur in einer geraden Potenz auf, entsprechend dem Umstand, dass das Vorzeichen der Zeit auch umgekehrt werden kann. Das gilt in gleicher Weise für Pendelschwingungen, elektrische Schwingungen, akustische und optische Wellen, wie für Bewegungen von Massenpunkten oder von Elektronen, wenn nur jede Art von Dämpfung ausgeschlossen ist. Hierher gehören aber auch die in der Thermodynamik betrachteten unendlich langsam verlaufenden Prozesse, die aus lauter Gleichgewichtszuständen bestehen, in denen die Zeit überhaupt keine Rolle spielt oder, wie man auch sagen kann, in der nullten Potenz vorkommt, die auch zu den geraden Potenzen zu rechnen ist. Alle diese reversiblen Prozesse haben auch die gemeinsame Eigenschaft, dass sie, wie Helmhotz gezeigt hat, vollständig dargestellt werden durch das Prinzip der kleinsten Wirkung, welches auf jedwede ihren messbaren Verlauf betreffende Frage eine eindeutige Antwort gibt, und insofern kann man die Theorie der reversiblen Prozesse als eine vollkommen abgeschlossene bezeichnen. Dafür haben die reversiblen Prozesse den Nachteil, dass sie samt und sonders nur ideal sind; in der wirklichen Natur gibt es keinen einzigen reversiblen Prozess, da jeder natürliche Vorgang mehr oder minder mit Reibung oder mit Wärmeleitung verknüpft ist. Im Bereich der irreversiblen Prozesse ist aber das Prinzip der kleinsten Wirkung nicht mehr ausreichend; denn das Prinzip der Vermehrung der Entropie bringt in das physikalische Weltbild ein ganz neues, dem Wirkungsprinzip an sich fremdes Element, welches auch eine besondere mathematische Behandlung erfordert. Ihm entspricht der einseitige Verlauf der Vorgänge, die Erreichung eines festen Endzustandes.

Die vorstehenden Erwägungen werden, wie ich hoffe, genügt haben, um es deutlich zu machen, dass der Gegensatz zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen ein viel tiefer liegender ist als etwa der zwischen mechanischen und elektrischen Prozessen, und dass daher dieser Unterschied mit besserem Recht als irgendein anderer zum vornehmsten Einteilungsgrund aller physikalischen Vorgänge gemacht werden und in dem physikalischen Weltbild der Zukunft endgültig die Hauptrolle spielen dürfte.

Und doch ist die erörterte Klassifizierung noch einer ganz wesentlichen Verbesserung bedürftig. Denn es lässt sich nicht leugnen, dass in der geschilderten Form das System der Physik immer noch mit einer starken Dosis Anthropomorphismus versetzt ist. In der Definition der Irreversibilität sowohl wie auch in der der Entropie wird nämlich Bezug genommen auf die Ausführbarkeit gewisser Veränderungen in der Natur, und das heißt doch im Grunde nichts anderes, als dass die Einteilung der physikalischen Vorgänge abhängig gemacht wird von der Leistungsfähigkeit menschlicher Experimentierkunst, welche doch sicherlich nicht immer auf einer bestimmten Stufe stehenbleibt, sondern sich stetig mehr und mehr vervollkommnet. Wenn also die Unterscheidung zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen wirklich für alle Zeiten bleibende Bedeutung haben soll, so muss sie noch wesentlich vertieft und namentlich unabhängig gemacht werden von jeglicher Bezugnahme auf menschliche Fähigkeiten. Wie das geschehen kann, möchte ich im folgenden besprechen.

III.

Die ursprüngliche Definition der Irreversibilität leidet, wie wir gesehen haben, an dem bedenklichen Mangel, dass sie eine bestimmte Grenze menschlichen Könnens zur Voraussetzung hat, während doch eine solche Grenze in Wirklichkeit gar nicht nachzuweisen ist. Im Gegenteil: das Menschengeschlecht macht alle Anstrengungen, um die gegenwärtigen Grenzen seiner Leistungsfähigkeit stets weiter hinauszurücken, und wir hoffen, dass uns in späteren Zeiten noch mancherlei gelingen wird, was vielleicht vielen jetzt als unausführbar erscheint. Könnte es demnach nicht noch einmal eintreten, dass ein Prozess, der bis jetzt immer als irreversibel angesehen wird, sich infolge einer neuen Entdeckung oder Erfindung als reversibel erweist? Dann würde das ganze Gebäude des zweiten Hauptsatzes unweigerlich Zusammenstürzen, denn die Irreversibilität eines einzigen Prozesses bedingt, wie sich leicht nachweisen lässt, die aller übrigen.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel. Die mikroskopisch gut wahrnehmbare höchst merkwürdige zitternde Bewegung, welche kleine, in einer Flüssigkeit suspendierte Partikel ausführen, die sogenannte Brownsche Molekularbewegung, ist nach den neuesten Untersuchungen eine direkte Folge der fortwährenden Stöße der Flüssigkeitsmolekeln gegen die Partikel. Wäre man nun imstande, mit Hilfe irgendeiner sehr feinen Vorrichtung richtend und ordnend, aber ohne merklichen Arbeitsaufwand, auf die einzelnen Partikel derartig einzuwirken, dass aus der ungeordneten Bewegung eine irgendwie geordnete wird, so hätte man ohne Zweifel ein Mittel gefunden, einen Teil der Flüssigkeitswärme ohne Kompensation in grob sichtbare und daher auch nutzbare lebendige Kraft umzuwandeln. Wäre dies nicht ein Widerspruch gegen den zweiten Hauptsatz der Wärmetheorie? Wenn diese Frage zu bejahen wäre, dann könnte jener Satz doch gewiss nicht mehr den Rang eines Prinzips behaupten, da doch seine Gültigkeit von den Fortschritten der Experimentaltechnik abhinge. Man sieht, das einzige Mittel, um dem zweiten Hauptsatz eine prinzipielle Bedeutung zu sichern, kann nur darin bestehen, dass man den Begriff der Irreversibilität unabhängig macht von allen menschlichen Beziehungen.

Nun geht der Begriff der Irreversibilität zurück auf den Begriff der Entropie; denn irreversibel ist ein Prozess, wenn er mit einer Zunahme der Entropie verbunden ist. Hierdurch wird das Problem zurückgeführt auf eine geeignete Verbesserung der Definition der Entropie. Nach der ursprünglichen Clausiusschen Definition wird ja die Entropie gemessen durch einen gewissen reversiblen Prozess, und die Schwäche dieser Definition beruht darauf, dass derartige reversible Prozesse in Wirklichkeit gar nicht genau ausführbar sind. Man könnte zwar mit gewissem Recht erwidern, dass es sich hierbei gar nicht um wirkliche Prozesse und um einen wirklichen Physiker handelt, sondern um ideale Prozesse, sogenannte Gedankenexperimente, und um einen idealen Physiker, der sämtliche experimentelle Methoden mit absoluter Genauigkeit handhabt. Hier liegt nun aber gerade wieder die Schwierigkeit. Wie weit reichen denn derartige ideale Messungen des idealen Physikers? Dass man ein Gas komprimiert mit einem Druck, der dem Druck des Gases gleich ist, oder es erwärmt aus einem Wärmereservoir, welches die nämliche Temperatur besitzt wie das Gas, lässt sich noch mit Hilfe eines geeigneten Grenzüberganges verstehen, aber dass man z. B. einen gesättigten Dampf durch isotherme Kompression auf reversiblem Wege in Flüssigkeit verwandelt, ohne dass jemals die Homogenität der Substanz verlorengeht, wie das bei gewissen Betrachtungen in der Thermodynamik vorausgesetzt wird, muss schon bedenklich erscheinen. Noch viel auffallender jedoch ist das, was in der physikalischen Chemie an Gedankenexperimenten dem Theoretiker zugetraut wird. Mit seinen semipermeablen Wänden, die in Wirklichkeit nur unter ganz speziellen Umständen und dann nur mit gewisser Annäherung realisierbar sind, trennt er auf reversiblem Wege nicht nur alle beliebigen verschiedenen Molekülarten, einerlei ob sie in stabilem oder labilem Zustand sich befinden, sondern sogar die entgegengesetzt geladenen Ionen voneinander und von den undissoziierten Molekülen, und er lässt sich dabei weder durch die enormen elektrostatischen Kräfte stören, welche sich einer solchen Trennung widersetzen, noch durch den Umstand, dass in Wirklichkeit sofort beim Beginn der Trennung die Moleküle sieh wieder zum Teil dissoziieren, die Ionen sich wieder zum Teil vereinigen. Solche ideale Prozesse sind aber nach der Clausiusschen Definition durchaus notwendig, um die Entropie der undissoziierten Moleküle mit der Entropie der dissoziierten Moleküle vergleichen zu können. Fürwahr, es muss fast wundernehmen, dass alle diese kühnen Gedankengänge die Prüfung ihrer Resultate durch die Erfahrung so gut bestanden haben.

Bedenkt man aber andererseits, dass in allen Resultaten jede Bezugnahme auf die wirkliche Ausführbarkeit jener idealen Prozesse wieder verschwunden ist — es sind ja nur Beziehungen zwischen direkt messbaren Größen, wie Temperatur, Wärmetönung, Konzentration usw. —, so ist die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, dass vielleicht die ganze vorübergehende Einführung solcher idealer Prozesse im Grunde einen Umweg bedeutet, und dass der eigentliche Inhalt des Prinzips der Vermehrung der Entropie mit allen seinen Konsequenzen von dem ursprünglichen Begriff der Irreversibilität oder von der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile zweiter Art ebensowohl losgelöst werden kann, wie das Prinzip der Erhaltung der Energie sich losgelöst hat von dem Satz der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile erster Art.

Diesen Schritt: die Emanzipierung des Entropiebegriffes von menschlicher Experimentierkunst und dadurch die Erhebung des zweiten Hauptsatzes zu einem realen Prinzip, vollzogen zu haben, ist das wissenschaftliche Lebenswerk Ludwig Boltzmanns. Es besteht, kurz gesagt, in der allgemeinen Zurückführung des Begriffes der Entropie auf den Begriff der Wahrscheinlichkeit. Dadurch erklärt sich zugleich auch die Bedeutung des oben von mir aushilfsweise gebrauchten Wortes: „Vorliebe“ der Natur für einen bestimmten Zustand. Die Natur zieht eben wahrscheinlichere Zustände den minder wahrscheinlichen vor, indem sie nur Übergänge in der Richtung größerer Wahrscheinlichkeit ausführt. Die Wärme geht von einem Körper höherer Temperatur zu einem Körper tieferer Temperatur über, weil der Zustand gleicher Temperaturverteilung wahrscheinlicher ist als jeder Zustand ungleicher Temperaturverteilung.