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Über das Buch

Seit seinem dritten Lebensjahr ist Rowan O'Brien mit der Kronprinzessin von Iriann verlobt. Für seine Familie bedeutet die Heirat viel, bedeutet die Verbindung doch eine Rückkehr an die Macht. Aber im Vorfeld der Hochzeit sorgen Gerüchte für Verstimmung: Rowans enge Freundschaft mit der gleichaltrigen Magierschülerin Raven wird von missgünstigen Stimmen aufgebauscht und großgeredet. Dabei empfindet Rowan nichts als Freundschaft für Raven. Die Wahrheit ist viel komplizierter: Rowan liebt keine andere Frau. Sondern den Königssohn Ash.

Ein Liebespaar, das alle Herzen im Sturm erobern wird.

Inhalt

Prolog

Schattenlabyrinth

Der Goldene Wächter

Die Raghaillachs

Gespräch mit einem Knopf

Geständnisse und Lügen

Schatten in der Nacht

Ankunft in Ionnach

Die Wünsche meines Vaters

Eine Festung wie eine Krone

Das Herz der Welt

Die Akademie der Magier

Der undenkbare Tanz

Was wir nicht sagen

Ein Jahr zuvor in Gwilen

Anders

Der Sohn eines Königs

Der Botenstein

Feuer und Meerwasser

Die Ratsversammlung

Auf dem Markt

Sonnenfrüchte

Abendessen mit der Familie

Eine heimliche Bitte

Solánge de Gwilen

Die Kammer der Artefakte

Vertrauen

Das Heckenlabyrinth

Ein königlicher Geburtstag

Die Elfe und der Waldläufer

Der Sturm

Der Kuss

Der Steilhang

Ängste

An der Küste aus Stein

Taubheit

Mitternacht

Das Portal

Die Überreste eines zerbrochenen Traums

Eine unerwartete Begegnung

Geisterkrieger

Scherbenwald

Familienbande

Der Tanz der Schwarzen Königin

Sonnendorn

Der Schacht

Kerker

Ein modriges Bett

Ein gefährlicher Schwur

Der Ritter der Königin

Der Fall des Weißen Schlosses

Schwarze Knochenklippen

Ein steinerner Steg

Goldener Nebel

Das Feld der Geister

Efeu und Bernstein

Das Erwachen der Schwarzen Königin

Ein neuer Anfang

Danksagung

Prolog
Eine alte Sage aus Iriann

Vorzeiten, als das Volk der Elfen noch unter uns wandelte und die Magie stark war, ritt der König der Menschen in den großen Wald von Iriann und jagte. Er folgte den Spuren von Hase, Fuchs und Eber und erlegte allerlei Beute. Als es zu dämmern begann und der König bereits darüber nachdachte, nach Hause zurückzukehren, trat eine weiße Hindin zwischen den Bäumen hervor. Ehe er sich dem edlen Tier nähern konnte, verschwand es wieder im Unterholz.

Eifrig trieb der König sein Pferd an und nahm die Verfolgung auf. Er suchte den ganzen Abend und die halbe Nacht, aber die geisterweiße Hindin fand er nicht. Was er fand, war eine Frau. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte, und er entbrannte augenblicklich in großer Liebe zu ihr. Er fragte sie nicht, aus welcher Familie sie stammte, was sie ganz allein im Wald zu schaffen hatte oder wohin die Hindin verschwunden war.

»Fürchte dich nicht«, sagte er stattdessen und hob sie vor sich in den Sattel. »Ich habe mich in dich verliebt und möchte dich mit mir nehmen, damit du meine Gemahlin und Königin wirst.«

Und so geschah es. Wie der Wind ritten sie bis hin zu seinem Schloss, das der König der Elfen ihm zum Geschenk gemacht hatte. Das Lichte Volk hatte es aus weißem Marmor und Pflanzenwerk erschaffen und dazu Baum, Stein und die Strahlen der Sonne miteinander verwoben, um Türme zu bauen, die bis in die Wolken ragten. Dort wurde die Hochzeit in großer Pracht gefeiert.

Nie sah man den König glücklicher. Er las seiner Königin jeden Wunsch von den Augen ab und hielt sie hoch in Ehren. Denn er wusste nicht, dass die Fremde, die er im Wald getroffen hatte, in Wahrheit eine Hexe war.

Es vergingen Jahre, bis der König die Liebeszauber zerreißen konnte, die seine Gemahlin um ihn herum gesponnen hatte. Als er es begriff, war es beinahe zu spät. Die Hexe trachtete nämlich schon danach, die Macht über ganz Iriann an sich zu bringen. Sie überzog die Insel mit einer todbringenden Krankheit, dem Hexenbrand. Menschen starben wie die Fliegen.

Da erkannte der König ihre wahre Natur und scharte seine Vasallen um sich, das furchtbare Vorhaben der Königin zu vereiteln. Mithilfe mächtiger Artefakte versuchten sie, die Magie der Königin zu rauben. Doch Gawain, ihr heimlicher Geliebter, warnte die Hexe.

Im Herzen des schönen Schlosses kam es zu einem magischen Kampf. Mauern barsten unter Zaubersprüchen, Ströme von Blut färbten den Marmor erst rot und schließlich schwarz. Die entfesselte Magie fraß alles um sich herum und verzerrte jedes Ding in sein schreckliches Gegenteil. Blüten verwandelten sich in Dornen, Spiegel in Scherben und Freude in Leid. Zurück blieb eine düstere Ruine, das Schattenlabyrinth. Zerstört, dunkel und bedrohlich.

Es gelang, die Schwarze Königin zu besiegen, aber der Preis, den der König und seine Getreuen dafür zahlten, war hoch. Keiner im Schloss überlebte diesen Tag. Seither ist das Schattenlabyrinth ein verfluchter Ort, das Schlachtfeld zerbrochener Träume und zerstörter Hoffnungen. Niemand, der die Feste danach betrat, ward je wieder gesehen.

Die, die man nun die Schwarze Königin nennt, ist aber nicht tot. Sie liegt in einem tiefen Zauberschlaf. Alle dreizehn Jahre wird der Bann, der sie gefangen hält, schwächer und sie droht zu erwachen und ihre Fesseln abzustreifen.

Hüte dich, Iriann, denn sollte dies jemals geschehen, wird für dich ein dunkles Zeitalter anbrechen.

Schattenlabyrinth

Die Festung wirkt wie eine schwärende Wunde inmitten der grünen Hügellandschaft. Dieser Ort, den man das Schattenlabyrinth nennt, war einst die schönste Schlossanlage dies- und jenseits des Meeres. Unmöglich, sich das heute vorzustellen. Die kohlschwarzen Ruinen, die sich aus der Landschaft bohren, erinnern mich an das verfaulte Gebiss eines Riesen. Im Umkreis von einer Meile wächst nichts mehr um das einstige Herrscherhaus: kein Baum, kein Strauch, noch nicht einmal Gras. Magie hat das Schloss errichtet und Magie hat es zerstört. Was bleibt, ist ein verfluchter Schandfleck im grünen Herzen unseres Inselkönigreichs.

»Das genügt. Viel näher heranzureiten wäre töricht.« Vater zügelt neben mir das Pferd und gleitet aus dem Sattel.

»Komm«, fordert er mich auf, nachdem ich es ihm gleichgetan habe. Gemeinsam gehen wir zu Fuß weiter auf die Schattenfeste zu, während sich unsere Leibwächter um unsere Pferde kümmern.

Erst am Hügelkamm bleiben wir stehen. Wider besseres Wissen wage ich einen Blick in die Tiefe. Der Hang vor uns fällt steil ab. Dorniges Astwerk krallt sich in die zerklüfteten Felsen. Die rostroten Gesteinseinschlüsse erinnern mich an geronnenes Blut. Mein Magen zieht sich zusammen und mir wird schwindlig. Schnell trete ich einen Schritt zurück und zwinge mich, meinen Blick in die Ferne zu richten, hinüber auf die Festung.

Ich spüre Vaters Hand auf meiner Schulter und langsam beruhigt sich mein Herzschlag. Eine Weile lang sprechen wir nicht. Der Wind zerzaust mir das Haar, die Luft schmeckt nach Rauch und Verwesung und noch etwas anderem. Es ist weniger ein Geschmack als vielmehr ein Prickeln auf der Zunge. Magie. Nirgendwo auf der Welt ist die Magie so stark wie hier. Und nirgendwo so gefährlich. Die schwarzen Mauerreste des Schattenlabyrinths wirken selbst aus der Ferne brandnarbig, als bestünden sie aus Torf.

»Geht es wieder?«

Ich nicke. Vater drückt noch einmal fest meine Schulter, dann lässt er los. »In der Hauptstadt darfst du dir die Angst nicht anmerken lassen.«

Meine Ohren beginnen zu glühen. »In Ionnach gibt es keine Gebirgsschluchten.«

Natürlich weiß ich, dass Vater nicht das meint. In der Hauptstadt kann man auf viele Arten fallen, und viele Große Familien wären begeistert davon, uns stürzen zu sehen.

»Du kannst dich auf mich verlassen«, schiebe ich deshalb hinterher.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Vater nickt. »Das weiß ich, Rowan.«

»Und warum sind wie hierher gekommen?«

»In Ionnach haben die Wände Ohren. Ich wollte noch einmal in Ruhe mit dir reden.«

»Was ist mit Mutter?«

»Ich habe keine Geheimnisse vor ihr oder deinen Schwestern. Aber es gibt Dinge, die ein Vater nur mit seinem Sohn besprechen kann.«

Das erinnert mich an ein äußerst unangenehmes Gespräch vor ein paar Jahren und ich spüre, wie mir die Hitze erneut ins Gesicht steigt. Schon befürchte ich, er würde mit einem Vortrag über die Freuden des Fleisches und das Wunder der Zeugung beginnen, aber Vater wechselt, Briann sei Dank, abrupt das Thema: »Was glaubst du, wie sich die Akademie der Magier in der nächsten Ratssitzung entscheiden wird?«

Das ist eine schwierige Frage. In den Dörfern überschlagen sich die Gerüchte über Schattenkreaturen, die durch die Lande streichen. Bald wird der Hexenbrand wieder in Iriann wüten. Das Schattenlabyrinth zu versiegeln scheint die einzige Möglichkeit, das zu verhindern. Aber damit würde man die Insel auch von der Quelle der Magie abschneiden, und das will eigentlich niemand, am allerwenigsten die Akademie.

»Ich vermute, sie werden gegen die Versiegelung stimmen«, sage ich. »Schlussendlich sind und bleiben sie Magier.«

»Du vermutest es oder du weißt es?«

»Ich vermute es. Woher soll ich es wissen

»Hat dir deine Freundin nichts verraten?«

»Raven ist Lehrmädchen in der Akademie. Du kannst nicht ernsthaft annehmen, sie wüsste, wie sich der Rat entscheidet.«

»Raven ist klug. Und was in diesem Fall noch wichtiger ist, sie vermag sich leise wie eine Katze zu bewegen. Du willst mir doch nicht erzählen, dass sie nichts gehört hat?«

Ich schüttele den Kopf. »Du kennst sie doch. Sie ist vorsichtig. Sie tut nichts, wodurch sie Gefahr laufen könnte, von der Akademie geworfen zu werden. Außerdem haben wir in den letzten Wochen kaum miteinander gesprochen.«

Vater wendet sich mir zu und hebt eine Augenbraue.

»Es ist wahr«, verteidige ich mich und nestele an dem Lederband herum, das ich um den Hals trage und an dem ein daumennagelgroßer Silberknopf hängt. »Ich fürchte, seine Macht ist fast aufgebraucht. Wir versuchen, die Knöpfe so wenig wie möglich zu benutzen.«

Der Silberknopf ist ein Artefakt. Vor Ravens Aufbruch nach Ionnach hat Vater uns identische Knöpfe geschenkt. Wir können damit auch über große Entfernungen hinweg sprechen. Aber mit jeder Benutzung schwindet die Kraft der Artefakte ein bisschen. Nur eine Magieschwemme kann sie wieder aufladen.

»Ich kann sie fragen, wenn wir im Goldenen Wächter sind.«

Vater nickt zufrieden.

»Aber ich glaube nicht, dass sie etwas weiß«, schiebe ich hinterher und gebe mir Mühe, meine Stimme fest klingen zu lassen. »Und ich werde sie nicht dazu überreden, ihre Lehrer zu belauschen.«

»Du solltest ohnehin nicht mehr so viel mit ihr sprechen, wenn du in der Hauptstadt bist.«

Ich glaube, mich verhört zu haben. »Warum nicht?«

»Ich will nicht, dass Alyss Gerüchte zu Ohren kommen. Oder Corwin.«

Daher weht also der Wind. Natürlich geht es um den König. »Es wird keine Gerüchte geben, weil zwischen Raven und mir nichts passiert, was zu Gerüchten führen könnte.«

»Gerüchte müssen nicht immer der Wahrheit entsprechen. Denk an Jonah O’Malley.«

Ich senke den Kopf, weil ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll.

»Wir haben so lange auf diese Verbindung hingearbeitet, Rowan.«

»Die O’Briens sind die mächtigste Familie in ganz Iriann«, halte ich dagegen. »Der König braucht uns.«

»Der König hat auch die O’Malleys gebraucht.« Vater seufzt tief. »Die Situation in der Hauptstadt ist angespannt. Die nächste Magieschwemme ist erst in mehreren Sommern zu erwarten. Trotzdem hat man bereits Kreaturen gesichtet. Immer mehr Stimmen fordern, das Schattenlabyrinth zu versiegeln, ehe es zur nächsten Seuche kommt. Der Kronrat ist sich uneins und jeder bestürmt den König mit den eigenen Ängsten. Es ist jetzt wichtig, Stärke zu zeigen. Und Loyalität.«

»Also wirst du für die Versiegelung des Schattenlabyrinths stimmen?«

»Wenn es das ist, was der König will.«

Wütend kicke ich einen Kiesel in die Schlucht. »Hast du keine eigene Meinung?«

Mein Ausbruch bringt Vater nicht aus der Ruhe. »Natürlich habe ich die. Und die werde ich Corwin auch mitteilen. Aber wenn er sich anders entscheidet, kann er auf meine Stimme zählen. Der Kluge …«

»… wählt seine Kämpfe stets selbst«, beende ich seinen Satz. Das ist einer seiner Leitsprüche. Ich muss mich dazu zwingen, nicht die Augen zu verdrehen. Mein Vater ist ein guter Mensch. Die Bewohner unseres Herzogtums schätzen ihn als gerechten Lehnsherrn und Beschützer. Meiner Mutter ist er ein treuer Ehemann, der sie stets bei seinen Entscheidungen mit einbezieht. Und er hat nicht nur dafür gesorgt, dass wir Kinder eine umfassende Ausbildung erhalten, sondern auch, dass wir nie an seiner Liebe zu uns zweifeln müssen. Meiner kleinen Schwester Willow erlaubt er sogar Unterricht im Schwertkampf.

Aber es gibt eine Sache, in der er unerbittlich ist: die Rückeroberung des Throns von Iriann, auf dem einst unsere Vorfahren gesessen haben. Vor etwa dreihundert Jahren ist die Königswürde von den O’Briens auf die Byrnes übergegangen. Unser Herzogtum Ehrenfeld ist die ertragreichste und damit einflussreichste Region der Insel, aber der Verlust der Krone schmerzt unsere Familie bis heute.

Seit er selbst die Herzogwürde von seinem Vater übernommen hat, zieht mein Vater Fäden und schmiedet Allianzen, die es uns O’Briens erlauben sollen, wieder aufzusteigen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er meine Mutter liebt. Dass sie als die Lieblingsbase der Königin galt, war aber damals sicher der maßgebliche Grund für ihn, um sie zu freien. Als zuverlässiger Unterstützer, aufrichtiger Berater und treuer Freund hat er sich seitdem beim König unentbehrlich gemacht. Sein Plan ist aufgegangen. Nicht nur hat König Corwin ihn in den Stand eines Erzherzogs erhoben. Er hat auch seine älteste Tochter Alyss mit dem ältesten Sohn meines Vaters verlobt. Mit mir.

Alyss war drei Sommer alt, ich nur wenige Monate jünger, und natürlich wurden wir nie nach unserer Meinung gefragt. Jetzt ziehen wir zu den Feierlichkeiten anlässlich ihres siebzehnten Geburtstags nach Ionnach, damit wir vor unserer Hochzeit im nächsten Frühjahr Zeit miteinander verbringen können. Jedenfalls ist das einer der Gründe für unsere Reise. Alyss ist ein lieber Mensch und eine Allianz zwischen den Byrnes und den O’Briens ist in diesen schwierigen Zeiten das Beste für Iriann. Ich hätte es nicht besser treffen können. Aber manchmal frage ich mich, was sie von den Plänen unserer Väter hält.

»Wie würdest du dich entscheiden, wenn du eine Stimme in der Ratssitzung hättest?«

Vaters Frage überrascht mich. Wie würde ich mich entscheiden? »Unsere Insel ist der Ursprung aller Magie«, beginne ich vorsichtig. »Wenn die Artefakte ihre Kräfte verlieren, sind wir vom Wohlwollen unserer Nachbarn auf dem Festland abhängig.«

»Also wärest du dafür, die Schattenfeste nicht zu versiegeln?«

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Und damit eine erneute Ausbreitung des Hexenbrands zu riskieren?«

»Nein! Aber was wäre Iriann ohne Magie? Wie würden wir überleben?«

»Ja.« Vater mustert mich aufmerksam. »Wie würden wir überleben?«

Ich zögere. »In unseren Bibliotheken stapelt sich in Schriftrollen das Wissen von Jahrhunderten. Und was nutzt es uns, die Quelle der Magie fließen zu lassen, wenn es eben diese Magie ist, die einen Hexenbrand entfesseln kann, der unsere halbe Nation auszurotten droht?«

»Es ist gut, dass du Ideen entwickelst. Als König brauchst du eine starke Meinung und einen festen Willen.« Ich lächele, aber Vater ist noch nicht fertig. »Doch um weise zu regieren, musst du erst einmal König werden. Ich mag dir den Weg zum Thron geebnet haben, gehen musst du ihn selbst.«

»Also willst du, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffe. Du bist König Corwin ein ebenso weiser Ratgeber, wie ich es für Alyss sein möchte. Und Raven könnte wiederum mir als Ratgeberin zur Seite stehen.«

Vaters Blick bohrt sich in meinen. »Willst du König werden?«

»Ja«, antworte ich sofort. Als ob ich überhaupt etwas anderes zu ihm sagen könnte.

»Ich bin sehr stolz auf dich, Rowan. Ich weiß, dass du glaubst, ich sei enttäuscht gewesen, als du deine Ausbildung zum Pagen abbrechen musstest. Das Gegenteil ist der Fall. Du hast aus der Not eine Tugend gemacht und dich in deine Studien gestürzt. Du bist nicht ungeschickt in der Kampfkunst und du bist sehr gebildet, sogar gebildeter als ich.« Sein Blick wird noch intensiver. »Wenn es jedoch etwas gibt, worin ich mich auskenne, dann ist das Hofpolitik. Vertrau mir. Ich habe so lange daran gearbeitet, dich auf dem Thron von Iriann zu sehen. Raven ist ein liebes Mädchen. Aber das Letzte, was wir uns kurz vor deiner Hochzeit erlauben können, ist Gerede über eine Affäre mit einer Bürgerlichen.«

Meine Kehle schnürt sich zu. Darüber braucht sich mein Vater nun wirklich keine Sorgen zu machen. Raven ist meine beste Freundin. Ich werde nie etwas anderes als freundschaftliche Gefühle für sie empfinden. Für keine Frau.

Aber das kann ich meinem Vater freilich nicht sagen.

Der Goldene Wächter

Mein Hinterteil schmerzt ordentlich von den vielen Stunden im Sattel. Nachdem ich vom Pferd gestiegen bin und seine Zügel um einen Holzpflock gebunden habe, reibe ich mir verstohlen das Gesäß.

»Armer Junge«, raunt mir meine kleine Schwester zu, während sie sich neben mich stellt, um den Hengst zu streicheln.

Ich stoße ihr meinen Ellenbogen in die Seite. »Ein bisschen mehr Mitleid, bitte.«

»Mitleid?« Willow wirft einen bedeutungsvollen Blick über die Schulter nach hinten zur Kutsche, aus der gerade unsere Mutter steigt. »Wir können für den Rest des Weges gern miteinander tauschen.«

»Pass auf deinen Rocksaum auf, Willow!«, ruft Mutter.

Die stößt ein leises Knurren aus, das nur ich höre. Laut sagt sie »Aber gewiss, Mutter« und rafft ihr Kleid. »Ich weiß gar nicht, was sie hat. Sieht doch total trocken aus.«

Ich folge ihrem Blick auf den Boden. Gestampfte Erde, aber wenigstens nicht so matschig wie die Straße, auf der wir den ganzen Morgen und den halben Nachmittag lang geritten sind.

»Ehrlich, Rowan. So geht es jeden Tag. Willow, tu dies nicht. Willow, tu das nicht. Deine Stickereien sind so grob. Man gähnt nicht unverhohlen, Willow! Nichts kann ich ihr recht machen.« Sie seufzt theatralisch und wischt sich eine widerspenstige Locke aus der Stirn. »Und in der Hauptstadt wird das sicher noch schlimmer. Da könnte sie doch zumindest während der Reise weniger verbissen sein.«

»Sei nicht so undankbar. Sie lässt die Leine ohnehin schon länger, als gut für dich ist«, sagt meine Schwester Fiona, die sich zu uns gesellt. Sie ist elf Monde jünger als ich und einen halben Kopf größer. Wie wir alle besitzt sie die haselnussbraunen Haare und dunklen Augen der O’Briens. »Wir sind übrigens nicht die einzigen Gäste im Wächter

»Woher weißt du das?« Mein Blick sucht die Außengalerien der Fachwerkbauten ab, die rechts und links neben uns aufragen. Sie sind leer. Und außer unseren Pferden kann ich im Hof keine anderen Reittiere entdecken.

Fiona deutet auf den breiten Durchgang zwischen einem der Häuser und dem eigentlichen Gasthof. Im Schatten steht eine Kutsche, nur geringfügig kleiner als die unsere. Das Bild auf dem schwarz gestrichenen Holz erkenne ich sofort: ein Flammen speiender Salamander auf scharlachrotem Grund. Das Wappen der Raghaillachs.

Ausgerechnet.

Während unsere Leibwächter den Stallburschen helfen, sich um die Pferde zu kümmern, folgen wir meinen Eltern ins Gasthaus. Der Goldene Wächter sieht genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung habe. Mächtige Holzsäulen stützen das Schindeldach des hohen Raums, der bis zum Gebälk hin offen ist. Sowohl um die Säulen als auch um die Dachbalken wuchert üppig das Goldkraut, das der Gaststube ihren Namen gibt. In prächtigen Reben hängen die Pflanzen von der Decke und wickeln sich um die Speichen der Wagenräder, die zur Zierde hier und da ins Gebälk genagelt worden sind. Darunter stehen die Tische für die Gäste: mal lang gestreckte Tafeln, mal kleine Rundplatten, um die nicht mehr als vier Stühle passen. Dank hoher Fenster flutet Sonnenlicht den riesigen Raum.

Es gibt keine Feuerstelle in der Gaststube. Der Wirt lässt die Speisen in einem angrenzenden Raum zubereiten, zu dem ein Durchgang hinter dem Ausschank und dem Tresen liegt. Das ist aber nicht das auffälligste Merkmal, durch das sich der Goldene Wächter von anderen Gasthöfen unterscheidet. Es riecht auch deutlich angenehmer. Die Schankstuben der Gästehäuser, in die wir während unserer Reise eingekehrt sind, verströmen ein unangenehmes Aroma nach zu lange geköcheltem Eintopf und ungewaschener Kleidung. In den schlimmsten Fällen mischt sich darunter noch der Geruch vom Urin der Wachhunde, die sich ungeniert im Gastraum erleichtern. Die Binsen, mit denen die Wirtsfamilie den Boden im Goldenen Wächter auslegt, wirken hingegen stets frisch. Zudem mischt man hier wohlduftende Kräuter darunter.

Was mir nicht gefällt, ist der Anblick der Menschengruppe, die ich an einer länglichen Tafel weiter hinten im Gastraum entdecke.

»O’Brien!«, ertönt wie aufs Stichwort die sonore Stimme von Conleth Raghaillach. »Hätte ich es mir doch denken können, dass wir uns hier über den Weg laufen.«

Das Herzogtum der Raghaillachs liegt westlich von Ehrenfeld. Wie für uns führt für sie überland der kürzeste Weg nach Ionnach an der Schattenfeste vorbei. Weil die Raghaillachs neben dem König über die stolzeste Flotte von Iriann verfügen, hatte ich gehofft, sie würden per Schiff in die Hauptstadt reisen.

Mein Vater nickt Conleth knapp zu. »Lord Raghaillach.«

Noch ehe er etwas hinzufügen kann, treten der Gastwirt des Wächters und seine Frau zu uns. »Mylord, wir haben Euch erst morgen erwartet.«

Vater lächelt die beiden freundlich an. »Ich hoffe, wir bereiten Euch mit unserer früheren Ankunft keine Unannehmlichkeiten.«

»Bei Tuath, nein. Es ist nur … In der vergangenen Nacht haben wir eine große Gästeschar beherbergt, die erst vor einer knappen Stunde abgereist ist. Und die Soldaten des Königs sind auch noch da.«

Vaters Mundwinkel zucken. »Ihr habt keine Zimmer für uns?«

»Das ist es nicht, Mylord«, mischt sich die Gastwirtin eilfertig ein. »Wir haben Zimmer für Euch. Sie sind nur noch nicht gerichtet.« Nervös schiebt sie sich eine Haarsträhne unter die Haube zurück. »Ich werde eilen, aber es wird wohl ein Weilchen dauern, bis Ihr dort einkehren könnt.«

Mutter lächelt beruhigend. »Schön habt Ihr es wieder hier.« Sie deutet auf die schlanken Tonvasen auf den Tischen, in denen geschnittene Wiesenblumen mit blauen und violetten Blüten stehen.

»Danke, Mylady.« Die Gastwirtin wirkt sichtlich erfreut.

»Wir werden uns in die Gaststube setzen und eine Erfrischung zu uns nehmen, während Ihr unsere Kammern richtet.«

»Setzt euch zu uns!«, ruft Conleth Raghaillach, der natürlich alles mitbekommen hat. Er steht auf und deutet auf die freien Stühle an der lang gezogenen Tafel, um die er mit den Seinen Platz genommen hat.

Auch das noch.

Als Vater Conleths Vorschlag nickend zustimmt und sich in Bewegung setzt, muss ich mich beherrschen, nicht laut aufzustöhnen.

»Wird schon nicht so schlimm werden«, flüstert Fiona leise, als sie an mir vorbeigeht.

Ich wünschte, sie würde sich nicht irren. Aber ich weiß es besser, um mich dieser Hoffnung hinzugeben.

Die Raghaillachs

Die Raghaillachs stechen aus ihren Begleitern heraus wie Fliegenpilze in einer Ansammlung Stockschwämmchen. Sie tragen Gewänder aus Samt, der scharlachrot eingefärbt ist wie ihr Banner. Alle sind hochgewachsen und bis auf eine Ausnahme besitzen sie einen beachtlichen Bauchumfang. Immer, wenn Conleth Raghaillach über einen Witz lacht, befürchte ich, dass gleich die Knöpfe seines Wamses abplatzen. So gewaltig Lord Raghaillachs Erscheinungsbild ist, so herzlich wirkt er.

Beides Dinge, die man über seinen Sohn nicht sagen kann. Gwyn Raghaillach ist nicht mehr das hagere Frettchen von dreizehn Sommern, das ich zuletzt gesehen habe. Wie bei seinem Vater spannt sich sein eng geschnittenes Wams um seinen Oberkörper. Das liegt aber einzig und allein an den Muskeln, die sich deutlich unter dem Stoff abzeichnen. Er trägt das Haar jetzt länger und hat es am Hinterkopf zu einem Zopf zusammengebunden. Die Pickel von früher sind verschwunden, seine Haut ebenmäßig und braun gebrannt. Er ist verdammt attraktiv geworden und es gefällt mir gar nicht, mit welchen Blicken Willow und Fiona – und selbst Nola, Diarmaids Kindermädchen – ihn betrachten, wenn sie sich unbeobachtet fühlen.

Der Gastwirt bringt Krüge voller Wasser, Bier und verdünntem Wein sowie ein kleines Weidenkörbchen mit süßem Gebäck. Während der ganzen Unterhaltung sagt Gwyn kein einziges Wort. Die spöttischen Blicke, die er mir zuwirft, sprechen allerdings Bände. Ich bin mir sicher, er hat sich kein Stück geändert.

»Und Ihr seid auf dem Weg in die Hauptstadt, um Eure junge Braut zu besuchen?« Überrascht zucke ich zusammen, als Lady Raghaillach mich direkt anspricht.

»Zur Feier ihres Geburtstages, ja.« Ich merke selbst, wie lahm das klingt. »Es freut mich immens, sie endlich wieder zu sehen.«

Gwyn schnaubt, aber außer mir scheint das niemandem aufzufallen.

»Ich habe Ihre königliche Hoheit auf dem Herbstball gesehen.« Lady Raghaillach lächelt und auf ihrer Wange bilden sich tiefe Grübchen. »Sie ist zu einer wahren Schönheit erblüht. Ihr werdet im nächsten Jahr ein stattliches Paar abgeben.«

Ich spüre, wie mir das Blut ins Gesicht steigt. »Danke, Mylady.«

Mutter rettet mich. »Wie man hört, werdet Ihr bald Großmutter, Rowena.«

Lady Raghaillachs Lächeln wird noch strahlender. »Ist es die Möglichkeit? Ich kann es selbst kaum glauben. Aber Ihr habt recht. Mein Liam wird Vater. Die Niederkunft steht kurz bevor. Deshalb sind er und die gute Shawna auch zu Hause geblieben und nur Gwyn begleitet uns in die Hauptstadt. Die Kinder werden so schnell groß.«

»Wem sagt Ihr das? Ich kann nicht glauben, dass Rowan sich im nächsten Jahr bereits vermählen wird.«

Unsere Eltern blicken uns alle der Reihe nach an.

Rowena Raghaillach bedenkt erst meinen kleinen Bruder Diarmaid, dann meine Mutter mit einem sehnsuchtsvollen Blick. »Seht Euch an, Skye. Ich werde bereits Großmutter und Ihr selbst habt noch einen fünfjährigen Sohn.«

»Beneidet mich nicht zu sehr. Ein Enkelkind kann man seiner Mutter zurück in den Arm drücken. Mit einem Racker wie unserem Diarmaid ist das nicht so einfach.«

»Werdet auch Ihr Euch bald verloben?«, fragt Vater Gwyn.

Der verzieht die Lippen, verschränkt die Arme und schweigt. Was einer Beleidigung gleichkäme, wenn sein Vater nicht für ihn einspringen würde.

»Nach dem … Zwischenfall am Schrein des Tuath haben wir beschlossen, das Bündnis mit den Waterfords zu lösen. Unser Gwyn ist wieder ein freier Mann. Aber wer weiß, was der Sommer bringt.«

Neben mir rutscht Willow unruhig auf dem Stuhl hin und her. Die Zeit bei Hof stellt immer eine günstige Gelegenheit dar, neue Bündnisse zu schmieden. Wenn es etwas gibt, an dem meine kleine Schwester so gar nicht interessiert ist, dann ist es ein Verlobungsvertrag – etwas, das ihr ebenso wenig erspart bleiben wird, wie es mir erspart blieb.

»Die Große Ratssitzung sorgt zumindest dafür, dass sich alle Häuser wieder in Ionnach versammeln. Selbst die O’Malleys haben ihr Kommen angekündigt.«

Mutter schürzt die Lippen. »Ich hätte nicht geglaubt, Jonah O’Malley noch einmal bei Hofe zu sehen.«

»Ihre Grafschaft ist mit am stärksten davon betroffen, wenn der Rat beschließt, das Schattenlabyrinth zu versiegeln.«

»Alle kommen. Die Akademie der Magier hat sogar um Unterstützung aus dem Ausland gebeten. Es heißt, die Comtesse de Gwilen ist von den Vulkaninseln aus angereist.«

Mein Pulsschlag beschleunigt sich. »Solánge de Gwilen?«

Conleth klopft sich mit seinen Händen auf den Wanst. »Eben diese.«

»Sie hat ein paar Jahre an der Akademie studiert«, erklärt seine Gemahlin eifrig, obwohl ich mir sicher bin, dass alle das wissen. »Es heißt, sie kommt nicht allein. Gerüchten zufolge bringt sie ihren Halbbruder mit.«

»Welchen?«, fragt Vater. »Sie hat sicher ein halbes Dutzend.« Er gibt sich unbekümmert, aber das nehme ich ihm nicht ab. Solánge de Gwilen ist die Tochter des Königs von Gwilen, unserem mächtigsten Nachbarn auf dem Festland. Vater weiß genau, wie viele Söhne der besitzt.

Das scheint auch Conleth bewusst zu sein. Er trinkt einen Schluck Wein und blickt Vater dann über den Rand seines Glases lauernd an. »Nicht den Thronfolger. Sondern den Goldjungen.«

Ich wusste es!

Ich kann es nicht glauben. Ash kommt in die Hauptstadt. Ich werde ihn wiedersehen.

»Aristide Aurel«, murmelt Vater Ashs vollständigen Namen. »Was will er hier?«

»Ihr habt es nicht gehört?« Es gefällt Lord Raghaillach sichtlich, einen Wissensvorsprung zu haben. Seelenruhig trinkt er einen weiteren Schluck Wein, während ich unter der Tischplatte meine Hände zu Fäusten balle. »Die ganze Angelegenheit ist ein wenig … unappetitlich«, fährt Raghaillach schließlich fort.

»Mein Lieber, bitte.« Seine Frau legt ihre Hand auf die seine.

»Sprecht«, fordert Vater brüsk.

»Ihr müsst Euch keine Sorgen machen.« Mir ist nicht klar, ob Raghaillach damit meinen Vater meint oder seine Frau. »Der König von Gwilen schickt seinen Lieblingssohn nicht nach Iriann, damit der um die Hand einer der Prinzessinnen anhält.«

»Dazu wäre es ohnehin zu spät.«

»Verlobungen kann man lösen«, schaltet sich Gwyn nun doch in die Unterhaltung ein. Er stellt ein süffisantes Grinsen zur Schau und erntet strenge Blicke von seinen Eltern.

»Prinzessin Olwenn ist noch nicht verlobt«, sagt seine Mutter schnell, um abzulenken. Olwenn ist die jüngere Schwester von Alyss. Sie ist fünfzehn, also genauso alt wie Fiona. Wenn Ash Olwenn heiraten würde …

Vater geht weder auf Gwyn noch auf Lady Rowena ein, sondern mustert Conleth kühl. »Was will ein Prinz von Gwilen dann hier?«

»Sich in ein möglichst tiefes Loch verkriechen, nehme ich an. Er kommt nicht zu einem Höflichkeitsbesuch. Er flieht vor einem Skandal.«

Mir wird so heiß, dass ich mir sicher bin, dass mein Kopf so rot leuchtet wie eine Erdbeere. Hoffentlich achtet niemand auf mich. Ich glaube, ich ahne bereits, was Lord Raghaillach sagen wird, noch ehe er es tut.

»Scheint so, als hätte der Goldjunge von Gwilen Dreck am Stecken. Sein Vater ist alles andere als glücklich darüber. Ihr habt noch nichts davon gehört?«

»Spuckt es schon aus, Conleth.«

Tuath und Briann, lasst es nicht das sein, was ich denke.

»Der Prinz wurde auf frischer Tat dabei erwischt, wie er sich mit jemandem in den Laken wälzte.«

Oh nein.

Vater presst missbilligend die Lippen aufeinander. Vermutlich nicht, weil er ahnt, was gleich kommen wird, sondern deshalb, weil er nach ehernen Moralvorstellungen lebt. Anders als viele Adelige würde er meine Mutter nie betrügen.

»Der Junge verlustierte sich allerdings nicht mit einer Frau. Er kreuzte mit einem Ritter sein Schwert, wenn Ihr versteht, was ich meine.«

Mir wird schwindelig. Es überrascht mich nicht. Nicht wirklich. Seit ich ihm im letzten Sommer begegnet bin, habe ich so etwas geahnt. Aber wie? Was?

Ich blicke hinüber zu meinem Vater und sehe, wie er sein Kinn nach vorne reckt. In seiner Miene wechseln sich Abscheu und Erleichterung ab. Und das versetzt mir einen Stich.

»Ihr seht, Banwig, Ihr müsst keine Angst haben«, gluckst Lord Raghaillach vergnüglich. »Gwilen wird Euren Plänen nicht gefährlich. Von dem Goldjungen hat Euer Sohn nichts zu befürchten.«

Vater wirft mir einen Blick zu und ich muss mich zusammenreißen, das Zittern zu unterdrücken, das meinen Körper schütteln will.

Ahnt er es?, frage ich mich wieder einmal. Er darf es nicht ahnen.

Es würde alles zerstören.

Es würde mich zerstören.

Erst, als ich mir sicher bin, dass ich das Glas mit ruhiger Hand halten kann, greife ich nach dem verdünnten Wein vor mir und trinke.

Das Gespräch wendet sich anderen Dingen zu. Lord Raghaillach berichtet von dem Trupp Kreaturenjäger, den die Krone zum Schattenlabyrinth ausgesandt hat. Die Männer übernachten ebenfalls im Goldenen Wächter.

Ich höre kaum zu. Ab und an nippe ich an meinem Wein und beteilige mich ebenso wenig an dem Gespräch unserer Eltern wie Gwyn. Woran der wohl denkt? Ob er mir immer noch so gern den Hals umdrehen will wie früher?

»Es tut mir leid, Mylord O’Brien.« Eine weibliche Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Die Frau des Gastwirts tritt an unseren Tisch und blickt unsicher zwischen meinem Vater und meiner Mutter hin und her. »Ich fürchte, es gibt doch ein Problem. Wir haben ein Zimmer zu wenig.«

»Wenn Diarmaid bei uns im Zimmer schläft, könnte Rowan bei den Mädchen übernachten«, überlegt Mutter. »Und Nola …«

Nola öffnet bereits den Mund, um zu protestieren, aber Vater ist schneller. »Bei den Mädchen? Sicher nicht.«

»Ich könnte bei Sean und Fraerch schlafen«, schlage ich vor. Unsere Leibwächter können raubeinig sein, aber ich kenne sie seit meiner Kindheit.

»Unsinn«, mischt sich Lord Raghaillach ein. »Euer Sohn kann in der Kammer bei meinem Sohn schlafen. Dort ist ohnehin noch ein zweites Bett unbelegt, nicht wahr, Gwyn?«

Keine. Gute. Idee.

Ich habe Gwyn seit Jahren nicht mehr gesehen, aber ich traue ihm noch immer kein Stück über den Weg.

Gwyn brummt etwas Unverständliches.

»Seht Ihr«, Conleth wendet sich an die Gastfrau. »Problem gelöst.«

»Gut«, stimmt mein Vater zu und lächelt mich an. »Es ist ja nicht so, als ob ihr Fremde wäret.«

Eine Frage steht in seinem Blick. Macht es dir wirklich nichts aus?

Es geht nur um eine Nacht. Da wird schon nichts passieren. Wenn ich jetzt das Angebot ausschlage, muss ich verraten, weshalb ich Gwyn nicht traue. Es ist jedoch weder die rechte Zeit, noch der rechte Ort dafür. Deshalb nicke ich. Erleichtert verneigt sich die Gastwirtin vor uns.

Und als wir uns in unsere Kammern zurückziehen, um uns den Staub der Reise aus dem Gesicht zu waschen, folge ich nicht meinen Eltern und meinen Geschwistern, sondern Gwyn Raghaillach.

Der bereits einmal versucht hat, mich umzubringen.

Gespräch mit einem Knopf

Auch auf dem Weg in die Schlafkammer sprechen Gwyn und ich nicht miteinander. Zwei Jahre lang wurden wir gleichzeitig am Hof von Keylam Waterford als Pagen erzogen.

Damals war Gwyn ein klein gewachsener, unscheinbarer Junge mit einem verschrobenen Gesicht. Es ärgert mich, dass die letzten Jahre es so gut mit ihm gemeint haben. Ich muss mich zwingen, nicht an das zu denken, was er mir angetan hat – oder ihm auf den wohlgeformten Hintern zu starren, als er vor mir die Außentreppe emporsteigt.

Gwyn hat mich von Anfang an gehasst. Es war die Hölle – und endete unschön.

Die uns zugedachte Schlafkammer liegt am Ende der Galerie im ersten Stock. Gwyn zieht einen Messingschlüssel aus einer versteckten Tasche in seinem Wams und öffnet die Tür.

Das Zimmer ist geräumig. Zu unserer Rechten stehen zwei Gästebetten mit den Kopfenden an der Wand – beide groß genug, dass mehrere Menschen in ihnen schlafen könnten. Zwischen ihnen befindet sich ein kleines Nachtschränkchen. In der hinteren Wand ist ein Fenster, durch das man bis zum Schattenlabyrinth blicken kann. Eine Kommode steht daneben. Darauf sind eine Schüssel, eine Kanne aus Messing und ein kleiner Spiegel.

Ich weiß nicht, ob mich Gwyn anrempelt oder ich ihn versehentlich streife, als ich an ihm vorbei in die Kammer treten will. Auf jeden Fall muss ich einen Ausfallschritt machen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, und komme unglücklich auf. Ein stechender Schmerz schießt mir durch den Knöchel nach oben und ich fluche.

»Schwierigkeiten mit dem Fuß?«

Gwyn trägt eine so unschuldige Miene zur Schau, dass ich ihm am liebsten ins Gesicht spucken würde.

Als ob er das nicht wüsste.

»Kein Grund, sich Sorgen zu machen.«

Er zuckt mit den Schultern und deutet auf eines der beiden Betten. »Das kannst du nehmen. Das Vordere ist meins.«

Ich hebe eine Augenbraue. »Ich wusste gar nicht, dass der Goldene Wächter dir gehört.«

»Sieh an. Du bist wohl nicht mehr so ein Hasenfuß wie früher.« Er verschränkt die Arme und spannt die Muskeln an.

Demonstrativ wende ich ihm den Rücken zu und gehe zu dem Bett, auf das er gedeutet hat. Dort lege ich den Stoffbeutel ab.

»Sie glauben immer noch, dass du eines Tages unser König wirst.« Gwyn klingt spöttisch.

Keinesfalls werde ich mich von ihm reizen lassen. Ohne auf ihn einzugehen, beginne ich, meinen Beutel aufzuschnüren und darin herumzuwühlen. Eine quälend lange Weile lang steht er nur da und beobachtet mich. Ich spüre seinen Blick in meinem Nacken brennen.

»Wir sehen uns beim Abendessen«, sage ich schließlich frostig.

Jetzt ist es Gwyn, der nicht antwortet. Ich höre, wie die Holzdielen unter seinen Schritten knarren, und drehe mich schnell um. Briann sei Dank kommt er nicht auf mich zu, sondern geht zur Tür.

»Bis gleich«, sagt er. Es hört sich an wie eine Drohung.

Als er endlich weg ist, stoße ich erleichtert die Luft aus. Mit dem Rücken lehne ich mich an das raue Holz der Tür, schließe die Augen und konzentriere mich so lange darauf, einfach nur zu atmen, bis sich mein Puls beruhigt.

Es gibt keine Beweise dafür, dass Gwyn für meinen »Unfall« verantwortlich war. Aber seine Bemerkung wegen meines Fußes … Und selbst wenn ich mich irre: Gwyn und ich kamen noch nie gut miteinander zurecht. Allein die Vorstellung, mir in der kommenden Nacht die Kammer mit ihm teilen zu müssen, lässt mich schaudern. Ich bin mir sicher, ich werde kein Auge zutun.

Und dann auch noch Ash!

Darüber darf ich nicht nachdenken. Durch das schmale Fenster sehe ich, dass sich die Sonne bereits orangerot verfärbt hat. Zeit, mich bei Raven zu melden.

Damit Gwyn nicht in meine Unterhaltung hineinplatzen kann, verkante ich die Lehne des einzigen Stuhls der Kammer unter der Türklinke. Dann werfe ich mich aufs Bett. Ich habe das Lederband mit dem Silberknopf gerade über meinen Kopf gezogen, als sich Raven auch schon meldet. In alten Zeiten soll man mit den Silberknöpfen in der Lage gewesen sein, Besitz über den Geist eines anderen Menschen zu ergreifen. Nun taugen sie nur noch dazu, miteinander in Kontakt zu treten.

»Rowan? Hörst du mich?«

Überrascht richte ich mich auf. In den letzten Wochen klang ihre Stimme immer stark verzerrt, wenn wir über die Artefakte miteinander gesprochen haben. Jetzt höre ich sie so klar und deutlich, als läge sie neben mir auf dem mit Stoff überzogenen Strohsack.

»Sogar sehr gut.«

»Briann und Tuath! Das ist ja unglaublich.«

»Kein Grund, den Namen der Götter leichtfertig auszusprechen.« Grinsend sinke ich ins Kissen zurück und lasse den Silberknopf über meinem Gesicht baumeln. Es tut so gut, Ravens Stimme zu hören. Ich kann es kaum erwarten, ihr endlich wieder gegenüberzustehen.

»Ich spreche die Namen der Götter nicht leichtfertig aus, Mylord. Ich danke ihnen für ihre unendliche Güte.«

»Zweifelsohne.«

»Wo seid ihr? Im Goldenen Wächter

»Vorhin angekommen.«

»Dann seid ihr übermorgen in Ionnach.«

»Glaubst du, wir verstehen uns deshalb so gut? Weil nicht mehr die halbe Insel zwischen uns liegt?«

»Nein. Die Magie …« Sie senkt die Stimme. »Sie wird stärker. Habt ihr das in Ehrenfeld nicht gespürt?«

»Deshalb sind wir auf dem Weg zu euch, Schlaukopf, erinnerst du dich?«

»Du reist in die Hauptstadt, um den Geburtstag deiner Verlobten zu feiern, erinnerst du dich?«

Ich lächele säuerlich. »Als könnte ich das vergessen.«

»Verspürt der Erbe von Ehrenfeld kein Verlangen danach, König zu werden? Das lass besser nicht deinen Vater hören.«

»Ausnahmsweise geht es Vater bei dieser Reise nicht nur darum, unser Bündnis mit der Krone zu sichern. Er macht sich Sorgen, dass die Schwarze Königin erwachen könnte.«

»Damit ist er nicht allein. In der Akademie sind die Nerven zum Zerreißen gespannt. An normalen Unterricht ist nicht zu denken. Alle reden nur von der verfrühten Magieeruption. Und während sich ein Teil der Magier und Schüler vor Angst fast in die Hosen macht, ist der andere Teil begeistert davon. Sie lassen sogar Artefakte vom Festland zurück auf die Insel bringen, weil sie überzeugt sind, dass die Magieschwemme diesmal besonders stark ausfallen wird.«

Ich kaue auf meiner Unterlippe. »Glaubst du, es ist wahr? Glaubst du, die Hexe streift diesmal endgültig die Fesseln ab?«

Niemand zweifelt daran, was geschehen würde, wenn die Schwarze Königin ihrem Gefängnis entkommt. Sie hat Iriann bereits einmal fast vernichtet. Sie wird es wieder versuchen.

»Bevor das geschieht, stimmen selbst die Magier dafür, das Schattenlabyrinth zu versiegeln«, sagt Raven, aber ihre Stimme klingt nicht so selbstsicher, wie sie sich gibt.

»Ich war heute dort. Beim Schattenlabyrinth. Vater und ich haben die Hauptstraße verlassen und sind dorthin geritten. Nicht ganz, natürlich. Nur bis zu einem der Hügelkämme.«

»Gütige Briann!«

»Es ist nichts passiert«, beruhige ich sie, aber ich erinnere mich an das seltsame Prickeln auf meiner Zunge, als wir zu den Ruinen hinüberblickten. Ich stehe vom Bett auf und gehe zum Fenster. In der Ferne taucht die Abenddämmerung die verkohlten Überreste der Feste in zornigrotes Licht.

»Ihr solltet euch dennoch nicht so nah dorthin wagen. Es ist schon wieder eine Kreatur gesichtet worden.«

»Hat man sie gefangen?«

»Nein.«

Einen Augenblick lang schweigen wir. »Im Goldenen Wächter seid ihr sicher«, sagt Raven dann.

»Der König hat sogar einen ganzen Trupp Kreaturenjäger hier stationiert. Aber ich teile mir ein Zimmer mit Gwyn.«

»Gwyn Raghaillach?!«

Seufzend wende ich mich vom Fenster ab und werfe einen Blick zur Tür. »Eben diesem.«

Ich will zurück zum Bett laufen, aber mein Fuß bleibt an einem losen Dielenbrett hängen und ich verliere das Gleichgewicht. Wild mit den Armen rudernd muss ich einen Ausfallschritt machen, um nicht zu Boden zu gehen. Schmerz schießt mir im Knöchel hoch und die Lederschnur entgleitet meinen Fingern. Etwas Nasses spritzt mir ins Gesicht. »Verflucht!«

»Was ist los?« Ravens Stimme klingt gedämpft, als käme sie aus großer Ferne. Hastig blicke ich mich nach dem Silberknopf um. Dann entdecke ich die Schlaufe des Bandes. Sie hängt über dem Rand der Schüssel, die neben der hohen Messingkanne auf der Kommode steht.

»Verflucht!«, wiederhole ich mich, weil ich nicht weiß, welche Auswirkung Wasser auf die Kräfte des Silberknopfes hat. Er besitzt ohnehin nur noch einen Bruchteil seiner Macht. Fließendem Wasser sagt man nach, dass es die Macht magischer Artefakte zerstören kann. Deshalb wirken sie auf dem Festland auch viel schwächer als in Iriann. Vielleicht besitzt Wasser in einer Messingschüssel eine ähnliche Wirkung. Aber da kennt sich Raven besser aus. Sie ist diejenige, die seit frühester Kindheit Abhandlungen über Magietheorie verschlingt und seit mehreren Monden an der Akademie der Magier in die Lehre geht.

Ich ignoriere die Schmerzen in meinem Fuß und humpele zur Kommode, um das Artefakt aus der Schüssel herauszufischen. Zumindest will ich das tun, bis mein Blick auf die Wasseroberfläche fällt, auf der sich ein Gesicht spiegelt. Nicht meines, sondern das eines Mädchens.

Ravens Gesicht im Wasser reißt überrascht die Augen auf. »Rowan! Was hast du gemacht?«

Ich schüttele den Kopf und fange an zu lachen. »Gar nichts. Ich bin gestolpert und der Knopf ist in eine Waschschüssel gefallen. Und jetzt bist du da. Du siehst mich auch?«

»Dein Gesicht schwebt vor mir in der Luft. Wie ein Porträt. Nur dass es sich bewegt.« Ihre Augen leuchten begeistert. »Ich habe noch nie davon gehört, dass die Knöpfe das können.«

»Das hat bestimmt mit der Eruption zu tun.«

Langsam strecke ich den Zeigefinger aus und berühre die Oberfläche des Wassers. Die Bewegung löst kleine, kreisförmige Wellenbewegungen aus. Ravens Spiegelbild verschwimmt und setzt sich neu zusammen.

»Es tut so gut, dich zu sehen.« Ihre Haare sind länger und irgendwie fransiger. »Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«

Sie zupft an einer der Strähnen. »Gefällt es dir?«

Es steht ihr hervorragend. Sie wirkt selbstbewusster, frecher. In Ehrenfeld hat sie die Haare immer sehr kurz und schlicht getragen, fast wie ein Junge.

»Du siehst toll aus. Das Hauptstadtleben tut dir gut.«

Sie lächelt, aber jetzt wirkt sie traurig. »Das tut es. Wirklich. Ich wünschte nur, Ionnach läge nicht so weit entfernt von zu Hause.«

Das wünsche ich mir auch. »Ich habe Briefe dabei. Von deiner Mutter und von deiner Großmutter.«

»Das ist wunderbar. Es ist nur … wenn ich sie doch nur sehen könnte.« Ihre Miene hellt sich auf. »Vielleicht, wenn die Magie stärker wird, glückt das mit den Silberknöpfen auch in Ehrenfeld.«

»Vielleicht.«

Vielleicht beschließen der Kronrat und die Akademie allerdings auch, das Schattenlabyrinth zu versiegeln. Und das kann das Ende aller Magie bedeuten. Andererseits braucht es dann auch keine Akademie mehr und Raven kann nach Hause kommen.

So oder so, es wird dauern, bis sie ihre Familie wieder sprechen kann. Weder ihre Mutter, noch ihre Großmutter besitzen so etwas wie diesen Silberknopf. Nur Adelige und Magier haben Artefakte. Dem gemeinen Volk sind sie verboten. Für Raven gilt eine Ausnahme, weil mein Vater für sie vorgesprochen hat und sie so trotz ihres niederen Standes als Schülerin an der Akademie aufgenommen wurde.

»Ich vermisse Ehrenfeld so sehr!«

»Du könntest deine Familie besuchen.«

»Die Reise dauert ewig. Für so viele Tage komme ich hier nicht weg, ohne meinen Studienplatz aufs Spiel zu setzen.«

»Ich meinte nicht zu Pferde.«

Einen Moment lang schauen wir uns in die Augen.

»Nur für ein paar Stunden«, füge ich hinzu. »Niemand wird merken, dass du überhaupt weg warst.«

Sie wendet den Kopf ab. »Das geht nicht.«

Der Silberknopf ist nicht Ravens einziges Artefakt. Sie besitzt einen faustgroßen Orb aus grün geäderter Jade. Wir nennen ihn den Torstein, weil er ein magisches Portal öffnet, das seinen Besitzer überall hinbringen kann. Niemand außer mir und ihrer Großmutter weiß davon. Raven hält ihn selbst vor ihrer Mutter geheim. Und sie weigert sich, ihn zu benutzen, weil sie zu viel Angst vor den Folgen hat.

»Du könntest vorsichtig sein.«

»Nein, Rowan.«

»Du hast selbst gesagt, die Magie spielt gerade verrückt. Ich glaube nicht, dass du Angst davor haben musst, dass seine Macht versiegt.«

Ihr Kopf fährt wieder zu mir herum. Sie fixiert mich. In ihren Augen glänzen Wut und Tränen. »Es ist zu gefährlich! Was ist, wenn sie mich erwischen?!«

Ich senke den Kopf. Dann werden sie Raven den Torstein abnehmen, das weiß ich. Unsere Insel mag als Herz der Magie gelten, aber ein so mächtiges Artefakt wie das ihre gibt es selbst hier kaum mehr. »Es tut mir leid, lass uns nicht streiten. Ich vermisse dich einfach.«

Ihre Miene wird weicher. »Ich dich auch.«

Wir grinsen uns an.

»Der Speisesaal schließt bald«, fährt sie fort. »Ich sollte mich beeilen, wenn ich noch etwas in den Magen bekommen will.«

Ich nicke. Die Sonne ist inzwischen bereits halb hinter dem Horizont verschwunden. »Ist gut. Ich muss auch los. Mein Vater erwartet, dass ich rechtzeitig zum Abendmahl im Gastraum bin. Vermutlich will er Lord Raghaillach keinen Anlass dazu geben, am Hof zu behaupten, der Erzherzog habe seinen Nachwuchs nicht im Griff.«

Raven verdreht die Augen. »Ich hasse Politik. Wir sehen uns übermorgen.«

»Wenn ich die Nacht überlebe.«

»Wegen Gwyn?«

Ich nicke grimmig.

»Muss ich mir Sorgen machen?«

»Er wird mir kaum mitten in der Nacht ein Messer zwischen die Rippen jagen.«

»Rowan!«

Ich versuche, mein Lächeln zuversichtlicher wirken zu lassen, als ich mich fühle.

»Ich weiß, ich habe gesagt, es ist zu gefährlich, den Stein zu benutzen. Aber wenn du wirklich Hilfe brauchst …«

Ich schüttele den Kopf. »Mach dir keine Sorgen. Ich bin kein zehnjähriger Junge mehr. Wenn Gwyn Raghaillach versucht, irgendwelche Dummheiten zu machen, wird er es bereuen.«

Durch meine eigenen Worte fühle ich mich gleich selbst etwas zuversichtlicher. Raven und ich verabschieden uns voneinander und ich angele das Artefakt aus der Messingschüssel und trockne es vorsichtig mit dem Saum meines Hemdes ab.