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Johannes Narbeshuber (Hrsg.)

IN BEZIEHUNG.
WIRKSAM.
WERDEN.

Vorwort von
Werner Vogelauer

Geleitwort von
Friedrich Glasl

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Print:  ISBN 978-3-940112-83-5

ePub: ISBN 978-3-940112-88-0

1. Auflage 2020

© 2020 Concadora Verlag, Stuttgart

Satz, Typografie und Umschlaggestaltung: elnis // design Ellen Butz, Ravensburg

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, des auszugsweisen Nachdrucks, der Übersetzung und der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, vorbehalten.

www.concadoraverlag.de

Besonders möchte ich an dieser Stelle Werner Vogelauers gedenken, der kurz vor Drucklegung dieses Buches verstorben ist. Seine unermüdliche Aufbau-Arbeit, seine vielen wesentlichen Impulse, seine Bereitschaft, für seine Überzeugungen einzutreten und seine Freundschaft werden wir nie vergessen. Sein Vermächtnis halten wir in Trigon in Ehren, gemeinsam mit den über 1.000 Absolventinnen und Absolventen seiner Coaching-Lehrgänge.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Geleitwort

Danke!

Kapitel 1:
Der systemisch-evolutionäre Ansatz der Trigon Entwicklungsberatung

1.1 In Beziehung. Wirksam. Werden: Was steht hinter „systemisch-evolutionär“?

1.2 „Form folgt Bewusstsein“ – zur Grundhaltung des systemisch-evolutionären Denkens

1.3 Die vier Ziele in der Entwicklungsbegleitung

1.4 Arbeitsprinzipien

1.4.1 Prozessbegleitung auf gleicher Augenhöhe…

1.4.2 Aus der konkreten Situation und Fragestellung heraus…

1.4.3 Der Blick auf Muster, Strukturen und archetypische Grundbilder…

1.4.4 Wertschätzend und ressourcenorientiert…

1.4.5 Syntaktische Angebote…

1.4.6 Komplexe Situationen mit Licht und Schatten…

1.4.7 Ganzheitlich und gesamtverantwortlich…

1.5 Systemverständnis

1.5.1 Komplexität und Eigendynamik

1.5.2 Drei Subsysteme

1.5.3 Innen- und Außenwelt

1.5.4 Durchgängige Muster in den darüber- und darunterliegenden Systemebenen

1.5.5 Systemrelevante Spannungsfelder und Polaritäten

1.5.6 Entwicklungszusammenhang

1.6 Entwicklungsverständnis

1.6.1 Ein positives und realitätsbezogenes Verständnis der Potenziale, Ressourcen und Grenzen des Systems

1.6.2 Phasenmodelle und Entwicklungsgesetzmäßigkeiten

1.6.3 Spannungsfelder und Unterschiedlichkeiten

1.6.4 Das System unterstützen

1.7 Erkenntnistheoretische Haltung

Kapitel 2:
Entstehungsgeschichte und Quellen des systemisch-entwicklungsorientierten Ansatzes

2.1 Die Entstehungsgeschichte des systemisch-entwicklungsorientierten Beratungsansatzes

2.2 Systemtheorie

2.2.1 Geschichte und zentrale Begriffe

2.2.2 Prinzipien des Zusammenspiels

2.2.3 Konstruktivismus: Was als wirklich wahrgenommen wird, entscheidet sich im System

2.2.4 Was bedeutet das im Coaching?

2.2.5 Wertvolles aus der Systemtheorie für das systemisch-evolutionäre Coaching

2.3 Das anthroposophisch inspirierte Entwicklungsverständnis des NPI

2.3.1 Geschichte und zentrale Begriffe

2.3.2 Entwicklungsphasen im Lebensgang eines Individuums

2.3.3 Entwicklungsphasen von Arbeitsgruppen

2.3.4 Entwicklungsphasen einer Organisation

2.3.5 Fit und Misfit

2.3.6 Was bedeutet das im Coaching?

2.3.7 Wertvolles aus dem Entwicklungsverständnis des NPI für das systemisch-evolutionäre Coaching

2.4 Die Transaktionsanalyse

2.4.1 Geschichte und zentrale Begriffe

2.4.2 Was bedeutet das im Coaching?

2.4.3 Wertvolles aus der Transaktionsanalyse für das systemisch-evolutionäre Coaching

2.5 Die Gestalttheorie

2.5.1 Geschichte und zentrale Begriffe

2.5.2 Die Feldtheorie nach Kurt Lewin

2.5.3 Die Gestaltpsychologie und die Gestaltgesetze

2.5.4 Die Gestalttherapie und der Entwicklungsansatz

2.5.5 Was bedeutet das im Coaching?

2.5.6 Wertvolles aus der Gestalttheorie für das systemisch-evolutionäre Coaching

2.6 Der Personzentrierte Ansatz

2.6.1. Geschichte und zentrale Begriffe

2.6.2 Was bedeutet das im Coaching?

2.6.3 Wertvolles aus dem Personzentrierten Ansatz für das systemisch-evolutionäre Coaching

2.7 Der hypnosystemische Ansatz

2.7.1 Geschichte und zentrale Begriffe

2.7.2 Was bedeutet das im Coaching?

2.7.3 Wertvolles aus dem hypnosystemischen Ansatz für das systemisch-evolutionäre Coaching

2.8 Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften: Mindfulness und Embodiment

2.8.1 Geschichte und zentrale Begriffe/Modelle

2.8.2 Was bedeutet das im Coaching?

2.8.3 Wertvolles aus Neurowissenschaften, Mindfulness und Embodiment für das systemisch-evolutionäre Coaching

2.9 Die Systemischen Strukturaufstellungen (SySt®)

2.9.1 Geschichte und zentrale Begriffe

2.9.2 Was bedeutet das im Coaching?

2.9.3 Wertvolles aus dem SySt®-Ansatz für das systemisch-evolutionäre Coaching

Kapitel 3: Die Toolbox des systemisch-evolutionären Coachings

3.1 Grundlegendes Handwerkszeug

3.1.1 Ziele setzen im Coaching

3.1.2 Skalierungen

3.1.3 Fragetechniken – insbesondere Zirkuläre Frage und Wunderfrage

3.1.4 Paraphrasieren

3.1.5 Spiegeln

3.1.6 Bodenanker

3.1.7 Arbeit mit dem „leeren Stuhl“

3.1.8 Utilisation

3.1.9 Transfer-Vorbereitung

3.2 Ablaufmodelle

3.2.1 Rhombus und Hexagon

3.2.2 Die Lemniskate

3.2.3 Problemdekonstruktion nach SySt®

3.2.4 Schema hypnosystemischer Lösungsarbeit

3.3 Konkrete Interventionen im Prozess

3.3.1 Vier-Ebenen-Methode

3.3.2 Ziele-Netz

3.3.3 Kraftfeld-Modell (nach K. Lewin)

3.3.4 Inneres Team & Seitenmodell

3.3.5 Das Werte- und Entwicklungsquadrat als Diversity Coaching Instrument

3.3.6 Agiles Werterad

3.3.7 Glaubenspolaritäten-Schema nach SySt®

3.3.8 Tetralemma

3.3.9 Problem-Lösungs-Gymnastik

3.3.10 Zukunftssprung

3.3.11 Mein nächster bester Schritt

3.3.12 Die U-Prozedur

3.3.13 Embodiment-Übung

3.3.14 Gefühlsgewitter

3.3.15 Body Scan

3.3.16 Schwellenübertritt

3.3.17 Richtungen im Raum und Grenzen

3.3.18 Individuelle Atmosphäre

Kapitel 4: Fallbeispiele

4.1 Fallbeispiel: Wie kann ich meine Kompetenz zeigen und selbstbewusst auftreten?

4.2 Fallbeispiel: Wie stehe ich hier meine „Frau“?

4.3 Fallbeispiel: Entwicklungs-Coaching – Von der Alltagsbewältigung zu zukünftigen Berufs-Optionen

4.4 Fallbeispiel: Vom Stellvertreterkrieg zu klaren Verhältnissen

4.5 Konflikt-Coaching bei Caucus

5. Literaturverzeichnis

1.1 Der systemisch-evolutionäre Ansatz der Trigon Entwicklungsberatung

2.2 Systemtheorie

2.3 Das anthroposophisch inspirierte Entwicklungsverständnis des NPI

2.4 Transaktionsanalyse

2.5 Gestalttheorie

2.6 Der Personzentrierte Ansatz

2.7 Der hypnosystemische Ansatz

2.8 Neurobiologie

2.9 Die Systemischen Strukturaufstellungen (SySt®)

3.1.1 Ziele setzen

3.2.2 Die Lemniskate

3.2.3 Problemdekonstruktion nach SySt®

3.3.5 Das Werte- und Entwicklungsquadrat als Diversity Coaching Instrument

3.3.7 Glaubenspolaritäten-Schema nach SySt®

3.3.8 Tetralemma

3.3.12 Die U-Prozedur

3.3.13 Embodiment-Übung

3.3.15 Body Scan

3.3.16 Schwellenübertritt

3.3.17 Richtungen im Raum und Grenzen

3.3.18 Individuelle Atmosphäre

4.1 Fallbeispiel: Wie kann ich meine Kompetenz zeigen und selbstbewusst auftreten?

4.4 Fallbeispiel: Vom Stellvertreterkrieg zu klaren Verhältnissen

4.5 Konflikt-Coaching bei Caucus

Vorwort

Als wir Trigon vor 35 Jahren gründeten, lag unser Fokus klar auf Organisationen. Die Entwicklung des einzelnen Menschen interessierte uns durchaus, aber das war eher philosophisch geprägt. Arbeiten wollten wir als Organisationsentwickler. Mit dem Ziel, Organisationen so mitzugestalten, dass sie auch den Menschen besser gerecht würden, die in und mit ihr tätig waren. Coaching als Begriff war im deutschen Sprachraum noch nahezu inexistent.

Gerade meine Erfahrungen in der Organisationsentwicklung führten mich immer mehr zur Frage der Begleitung einzelner Schlüsselpersonen in Veränderungsprozessen. Als ich Ende der Achtziger Jahre begann, mich intensiv mit Coaching zu beschäftigten, war das in Trigon durchaus mit Gegenwind verbunden: Passte das zu unserem Auftrag, unserer Ausrichtung? Würde dieses neue Thema am Ende unsere Positionierung verwässern?

Die kontroversen Sichtweisen erwiesen sich retrospektiv jedoch als Gewinn. Etliche von uns setzten sich praktisch und in engagierten Diskussionen mit dem Thema auseinander. Bald wurde deutlich, wie sehr sich die beiden Tätigkeitsfelder gegenseitig unterstützen und befruchten konnten. Der Erfolg auf dem Markt gab uns Recht und half, das junge Feld in Trigon zu verankern.

Auch bei unseren Kunden hat sich der Blick auf Coaching über die Jahre grundlegend verändert. Die ersten Unternehmen, die damals auf das Thema aufsprangen, ernteten nicht selten schräge Blicke. Später galt es als en vogue, in Coaching zu investieren. Aber auch lange danach wurde es von vielen im Unternehmen noch als ein Ausdruck von Schwäche oder besonderer Bedürftigkeit gesehen, Coaching in Anspruch zu nehmen. Auch das hat sich irgendwann geklärt und mittlerweile ist es in den meisten Unternehmen zur Selbstverständlichkeit geworden.

In Zukunft wird Coaching weiter an Bedeutung gewinnen. Denn es ist ein tragfähiges Instrument, um in unserer – bedingt durch Globalisierung und Digitalisierung – immer komplexer werdenden Welt zurecht zu kommen. Die beruflichen Herausforderungen und Fragestellungen werden sich noch rascher verändern, als das in den vergangenen Jahren der Fall war. Und damit auch die Anforderungen ans Coaching.

Unser erster Coaching-Lehrgang fand 1995 in Melk statt – mit sechs Teilnehmern. Das Trainerteam mit Hans von Sassen, Katharina Liebenberger, Elli Biehal und mir war fast genauso groß. Wir brachten im Sinne von Mastery-Learning wenig Input ein und arbeiteten stark aus den Fragen und dem Prozess der Teilnehmer heraus.

Seit damals haben über hundert Trigon Coaching-Lehrgänge stattgefunden. Über die Jahre ist ein Fundus an Erfahrungen, Modellen und Instrumenten entstanden. Vom Anbieter einer Dienstleistung sind wir immer mehr auch zu einer eigenen Schule geworden, mit einer ganz spezifischen Grundhaltung und Ausrichtung und einem eigenen Methodenrepertoire. Es ist gelungen, einen einzigartigen Zugang zu entwickeln, der uns von anderen abhebt.

Das „Methoden-ABC“ mit seinen sechs Auflagen und die „Coaching-Praxis“ haben wesentlich dazu beigetragen. Das vorliegende Buch ist ein wertvoller nächster Schritt in dieser Entwicklung. Erstmals macht es den systemisch-evolutionären Coaching-Ansatz von Trigon als Schule sichtbar und positioniert ihn auch begrifflich klar. Ich freue mich sehr über diese engagierte Initiative von Johannes Narbeshuber und darüber, wie er das Thema Coaching gemeinsam mit allen anderen Autorinnen und Autoren dieses Buches weiterträgt.

St. Pölten, im September 2019

Werner Vogelauer

Geleitwort

Mit großer Freude habe ich die Entstehung dieses Buches miterlebt und in einigen Kapiteln selbst dazu beigetragen. Dabei komme ich selbst gar nicht aus dem Coaching. Organisationsentwicklung und Konfliktbegleitung bzw. Organisationsmediation waren und sind in den 52 Jahren meines Beraterlebens meine Kerndisziplinen. Aber ohne Coaching wäre vieles nicht gelungen.

In Trigon haben wir trotz verschiedenartiger Arbeitsschwerpunkte bestimmte grundlegende Konzepte gemeinsam. Bei aller Unterschiedlichkeit der Persönlichkeiten von uns Beraterinnen und Beratern, unseren fachlichen Hintergründen und methodischen Spezialismen verbindet uns ein tieferes Verständnis von Entwicklung. Ob es sich nun um Beratung und Begleitung von Einzelpersonen handelt, um Teams oder um ganze Organisationen, immer geht es uns darum zu beachten, wie die Entwicklung des einen die Entwicklung des anderen bedingt und fördert. Sie hängen als Teile eines größeren Ganzen zusammen. Einerseits wird das kleinere System – Individuum oder Gruppe – vom größeren System Organisation beeinflusst und geformt. Doch die Entwicklung des umgebenden größeren Systems wird andererseits nur möglich, wenn sich in ihm die Menschen und Gruppen entwickeln. Deshalb habe ich 1983 in meinem Buch „Verwaltungsreform durch Organisationsentwicklung“ als Hauptziel der Organisationsentwicklung definiert, dass die einzelnen Menschen durch ein prozesshaftes Vorgehen bei Organisationsänderungen in ihrer Fähigkeit wachsen sollen, ihre Organisation bewusst zu gestalten und permanent aus eigener Kraft zu innovieren. Dabei ist die Entwicklungsarbeit mit Individuen, wie sie durch Coaching geschieht, für die Einzelperson schon ein Wert an sich, doch darüber hinaus eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg der Organisationsentwicklung.

Dem wird im Buchtitel das Begriffspaar „systemisch-evolutionär“ gut gerecht. Gerade die Verbindung des Systemverständnisses mit dem Evolutionsverständnis unterscheidet den Trigon-Ansatz von anderen Coaching-Schulen. Dass heute praktisch jede Schule auf ein Systemverständnis baut, ist gut, aber es ist kein ausreichendes Unterscheidungsmal mehr. Dass jedoch der Systemansatz auch noch vom Entwicklungsdenken geleitet wird, macht den Ansatz von Trigon schon zu etwas Besonderem.

Was das im Coaching bedeutet, das wird nach Jahren des gemeinsamen Ausprobierens und Reflektierens und Entwickelns im vorliegenden Buch von Kolleginnen und Kollegen erstmals der Öffentlichkeit als Ganzes vorgestellt. Es ist also selbst die Frucht gelingender Entwicklung, die darin besteht, immer wieder innezuhalten und der Frage nachzugehen „Was macht mich und uns unserem tieferem Wesen nach aus? Was will sich in dieser und in der nächsten Phase entfalten? Wie können wir noch besser erkennen, in welche Richtung sich unser Klient entwickeln will, um seine selbstgesetzte Sinngebung zu verwirklichen? Was können wir anders als bisher tun, um unseren Klienten dabei zu noch mehr Wirksamkeit zu verhelfen?“

In diesem Sinne wünsche ich dem systemisch-evolutionären Coachingansatz, dass er sich im Dialog mit unseren Klienten, mit Kolleginnen und Kollegen in der Fachwelt selber weiter entwickle und dass dieses Buch zu seiner Verbreitung beitragen möge. Das kommt uns allen zugute, gleichgültig, in welcher Funktion oder Rolle wir an der Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit arbeiten.

Salzburg, im Oktober 2019

Friedrich Glasl

Danke!

Beim Dank an alle, die an diesem Buch mitgewirkt haben stehen zuallererst meine langjährigen Kollegen, Mentoren und Freunde Werner Vogelauer und Friedrich Glasl.

Danke für Eure jahrzehntelange Pionierarbeit, Eure Visionskraft und die radikale Großzügigkeit, mit der Ihr Eure Entwicklungen nicht nur in Trigon, sondern mit der ganzen Welt geteilt habt.

Danke Euch allen anderen, die Ihr ebenfalls an diesem Buch mitgeschrieben habt: Elli Biehal-Heimburger, Werner Leeb, Harriet Kretschmar, Oliver Martin, Erika Bergner, Georg Engelbertz und Julia Andersch als Kolleginnen und Kollegen in Trigon. Gerhard Leinweber, Esther Narbeshuber, Birgit Parkos-Greger und Eva-Maria Kampel als wichtige Kooperationspartnerinnen und –partner. Danke an Josef Freystetter für den oft kontroversen aber immer bereichernden Austausch zu verschiedenen Systemverständnissen.

Alle waren wir über die Jahre in verschiedensten Zusammenarbeiten, Austauschprozessen und gemeinsamen Entwicklungen verbunden. Die meisten von Euch sind oder waren auch massgeblich am Trigon Zertifikatslehrgang Coaching beteiligt, der seit bald 25 Jahren in Wien, Köln und Zürich stattfindet. Eine Freude, mit Euch unterwegs zu sein!

Danke den Menschen in Trigon, die – ergänzend zu den bereits genannten – unser gemeinsames Lernen rund um unser Entwicklungs- und Systemverständnis organisiert, impulsiert und beflügelt haben. Insbesondere waren das in den letzten Jahren Rudi Ballreich, Trude Kalcher, Hanns Piber und Ingo Bieringer.

Danke an alle, die uns mit anderen Coaching-Ansätzen als wertschätzende Kollegen, Freunde und Sparringspartner über die Jahre inspiriert haben und uns geholfen haben, im Sinn einer „bezogenen Individuation“ unseren eigenen, authentischen Zugang zu entwickeln: Gunther Schmidt und Stephen Gilligan, Arist von Schlippe, Jochen Schweitzer und Jürgen Kriz, Susanne Cook-Greuter und Michael Habeker, Marshall Rosenberg, Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd.

Danke den Menschen, die uns bei der ganz praktischen Umsetzung unterstützt haben: Elisabeth Artner mit unermüdlichen Korrekturen und Layoutarbeiten, Nontira Kigle und Kurt Liebig mit den Grafiken und Cornelia Fritsch vom Concadora-Verlag.

Und schließlich allen Lehr- und Mentor-Coachs des Lehrgangs in Wien und Köln, allen Teilnehmenden und unseren Coachees. Von und mit Euch haben wir unschätzbar viel gelernt. Was für ein Privileg liegt in der Rolle als Coach, dass wir uns selbst aus jedem Gespräch, jedem Prozess mindestens so viel Staunen und so viele Entwicklungsimpulse mitnehmen können wie unser Gegenüber …

Salzburg, im Oktober 2019

Johannes Narbeshuber

Kapitel 1:
Der systemisch-evolutionäre Ansatz der Trigon Entwicklungsberatung

Johannes Narbeshuber

1.1 In Beziehung. Wirksam. Werden: Was steht hinter „systemisch-evolutionär“?

Die Entwicklung von Einzelpersonen, Teams, Organisationseinheiten, Organisationen, gesellschaftlichen Gruppierungen und ihr Verhältnis zur Gesellschaft steht im Zentrum unserer Arbeit bei Trigon. All diese Zielgruppen verstehen wir als lebende Systeme.

Daraus erschließt sich auch das Begriffspaar „systemisch-evolutionär“:

Das Zusammenspiel der Einzelbestandteile in lebenden Systemen ermöglicht es, dass das übergeordnete System mehr ist als die Summe der Teile. Durch ihre Beziehung zueinander entsteht mehr und qualitativ anderes, als die Einzelteile jemals sein könnten – eine neue Ebene der Wirksamkeit. Das übergeordnete System steht seinerseits wieder in Wechselwirkungen und Beziehungen mit anderen Systemen. Es ist also zugleich Ganzes und wieder Teil von etwas Größerem, umfassender Wirksamem. Wir gehen davon aus, dass lebende Systeme in ihrem Aufbau und in ihrer Funktionsweise bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen. Diesen Gesetzmäßigkeiten ist der Abschnitt „Systemverständnis“ gewidmet.

Zentral für Entwicklungsberatung ist zudem das Verständnis, dass lebende Systeme zeitlebens im Werden und in Entwicklung begriffen sind. Es geht also um mehr als nur darum, dass ein System im Hier und Jetzt einigermaßen tauglich funktioniert. Um für aktuelle Herausforderungen längerfristig tragfähige Lösungen zu finden, scheinen uns die größeren Entwicklungszusammenhänge und ihre Prinzipien wichtig. Mehr dazu findet sich im Abschnitt „Entwicklungsverständnis“.

Ein wesentliches Merkmal lebender Systeme ist es, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Auch im systemisch-evolutionären Beratungsansatz entfaltet sich das Wesentliche aus dem Zusammenspiel der beiden Elemente, der systemtheoretischen Perspektive und dem Fokus auf Entwicklung. Einem differenzierten Verständnis von Spannungsfeldern in Systemen und ihrer Funktion für die Weiterentwicklung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.

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Abb.1.1.1: Lehrgangslandkarte „Systemisch-evolutionäres Coaching“

In dieser Überblicksdarstellung haben wir eine Reihe von Modellen zusammengetragen, die uns in diesem Zusammenhang wichtig sind. Oben wird dabei mehr auf das Individuum fokussiert, unten auf die Organisation. Links finden sich wesentliche Modelle zu verschiedenen Systemebenen und -elementen, rechts Modelle mit Entwicklungsbezug. Die mittlere Spalte visualisiert, wie Weiterentwicklung aus dem Zusammenspiel der Einzelelemente und verschiedenen Ebenen des Systems entsteht.

Die Farben Blau, Grün und Rot stehen dabei in dieser Reihenfolge für die Ebenen Denken, Fühlen und Wollen (s. Abschnitt 1.5.2 in diesem Kapitel).

1.2 „Form folgt Bewusstsein“ – zur Grundhaltung des systemisch-evolutionären Denkens

Peter Senge stellte 1990 in seinem Buch „Die fünfte Disziplin“ und im gleichnamigen „Fieldbook“ ein Basispaket von Methoden und Werkzeugen zur Verfügung, von denen viele kompatibel mit bereits vorher bestehenden Trigon-Konzepten und Instrumenten waren und Eingang ins Repertoire von Trigon gefunden haben. Im Laufe der folgenden Jahre stellten Senge und seine Mitarbeiter fest, dass mit diesen Methoden in manchen Fällen außergewöhnliche Erfolge erzielt wurden, dieselben Methoden und Werkzeuge jedoch in anderen Fällen keine nennenswerten Veränderungen brachten. Was bedingte den Unterschied? Dieser Frage gingen Otto Scharmer und andere in einem achtzehnjährigen Forschungsprozess nach, der zur Entwicklung der „Theorie U“ führte.

Otto Scharmer fasst sein Buch „Presence“ in drei Sätzen zusammen:

„Die Qualität der Ergebnisse, die von einem beliebigen System hervorgebracht werden, hängt von der Qualität des Bewusstseins ab, aus dem heraus Menschen im System handeln. Die Formel für einen erfolgreichen Veränderungsprozess lautet nicht ‚Form folgt Funktion‘ sondern ‚Form folgt Bewusstsein‘. Die Struktur des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit bestimmt, wie sich eine Situation entfaltet.“ (Scharmer / Käufer 2014: 31 f.)

In diesem Sinne halten wir die Inhalte, Modelle und Instrumente im Beratungsansatz von Trigon für wichtig, für noch wichtiger jedoch die Haltung, aus der heraus sie in Entwicklungsprozessen eingesetzt werden.

1.3 Die vier Ziele in der Entwicklungsbegleitung

1983 publizierte Friedrich Glasl erstmals die vier Ziele der Organisationsentwicklung (in Glasl 1983: 26 ff.), die seither Eingang in zahlreiche weitere Publikationen gefunden haben. Sie sind in ihrer Grundlogik 1:1 auch auf die anderen Arbeitsfelder von Trigon übertragbar, insbesondere auf das Coaching:

1.Wichtigstes Hauptziel: Befähigung zur Selbsterneuerung. Befähigung des Coachee zu Selbstentwurf, Selbstgestaltung und Selbststeuerung.

2.„Effektivitätsziel“: Steigerung des Problemlösungspotenzials, um mit inneren und äußeren Herausforderungen und Spannungsfeldern erfolgreich umzugehen (und dafür die für den Coaching-Prozess vereinbarten Ziele zu nutzen).

3.„Humanisierungsziel“: Humane Gestaltungsprinzipien für das Vorbereiten, Einleiten und Durchführen des Änderungsprozesses, Reflektieren der Beziehungen und Machtverhältnisse. Im Coaching meinen wir damit einen zusehends wohlwollenden und lebendigen Umgang des Coachee mit den verschiedenen Mitspielerinnen und Mitspielern im eigenen inneren Team und einen tieferen Zugang zu eigenen Ressourcen und Möglichkeiten, mit dem Ziel einer entsprechend freieren und verbundeneren Gestaltung der Kommunikation mit anderen.

4.Ziel der Authentizität: Befähigung zum Umgang mit eventuellen Spannungen, Widersprüchen in Zielfeldern 1, 2 und 3 sowie zwischen 1, 2 und 3 nach eigenem Wertempfinden des Coachee.

1.4 Arbeitsprinzipien

Diesen Zielen nähern wir uns mit folgender Grundhaltung in unserem Arbeiten an: Prozessbegleitung auf gleicher Augenhöhe, in der wir…

aus der konkreten Situation und Fragestellung heraus und

mit dem Blick auf Muster, Strukturen und archetypische Grundbilder

wertschätzend und ressourcenorientiert

syntaktische Angebote machen, die

die komplexe Situation mit Licht und Schatten

ganzheitlich und gesamtverantwortlich wahrnehmen und gestalten helfen.

1.4.1 Prozessbegleitung auf gleicher Augenhöhe…

… sieht sich im Unterschied zur inhaltlichen Beratung (oft auch als „Expertenberatung“ bezeichnet) ausschließlich für den Prozess verantwortlich. Dieser beinhaltet Aspekte wie die Gestaltung und allfällige Überprüfung der schriftlichen Vereinbarung, Wahl und Tiefe der Interventionen sowie die Gestaltung der Beziehung.

Die Inhalte kommen von der Coachee. Wenn sich zeigt, dass in einer bestimmten Situation inhaltliche Informationsdefizite bestehen, können im Coaching beispielsweise Wege gefunden werden, wie die Coachee mit diesem Defizit umgehen oder sich die notwendigen Informationen außerhalb des Coachings organisieren kann. Diese inhaltliche Enthaltsamkeit dient zum einen der Rollenklarheit des Prozessbegleiters, zum anderen der Eigenständigkeit der Coachee im Sinne des Hauptziels „Befähigung zur Selbsterneuerung“.

Gleiche Augenhöhe beinhaltet darüber hinaus, dass wir uns selbst den Herausforderungen aussetzen, vor denen unsere Kunden stehen. In der Organisationsberatung bedeutet dies, dass wir uns bewusst für die Gestaltung einer gemeinsamen Organisation unserer Beratungsfirma Trigon Entwicklungsberatung entschieden haben, mit allen Mühen, Abstimmungsbedarfen und Konflikten, die das manchmal mit sich bringt. Als Einzelberaterinnen und Einzelberater hätten wir viele dieser Sorgen nicht (und dafür andere). Vor allem aber hätten wir weniger authentisches eigenes Erleben zu den Herausforderungen organisationaler Dynamik.

Im Coaching bedeutet gleiche Augenhöhe auch, dass wir die Fragen und Spannungsfelder unserer Coachees auch an uns „heranlassen“ und uns einfühlen – im Bewusstsein, dass uns auch unangenehme Erlebnisse unserer Coachees auf einer universell menschlichen Ebene bestens bekannt und vertraut sind. Auch wir selbst kennen und erleben – wie jeder Mensch – immer wieder Nichtwissen, Hilflosigkeit und Verwirrung. Uns selbst und unserem Gegenüber hier nichts vorzumachen ermöglicht Begegnung – und die Nutzung derartiger Erlebnisse als „kostbare Ressourcen“ (vgl. Varga von Kibéd / Sparrer 2018: 171 ff.).

1.4.2 Aus der konkreten Situation und Fragestellung heraus…

… zu arbeiten bedeutet für uns, unserem Kunden in seiner einzigartigen Entwicklungsherausforderung mit seinen spezifischen Themen wach und achtsam zu begegnen. Der Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit und der Gestaltung eines lebendigen Prozesses im Austausch mit dem Kunden kommt damit eine besondere Bedeutung zu.

Das Gegenteil dieses Verständnisses wäre etwa ein schablonenhaftes Vorgehen nach Checklisten und starren Ablaufmustern.

1.4.3 Der Blick auf Muster, Strukturen und archetypische Grundbilder…

… ermöglicht es den Beteiligten, ein gemeinsames Bild zu den größeren Zusammenhängen ihrer Thematik zu entwickeln. Zur Diagnose und Entwicklung von Systemen sind Archetypen notwendig, welche die Wahrnehmung und das Handeln strukturieren und eine gemeinsame Ausrichtung der Beteiligten ermöglichen. Trigon bietet hier bewusst Ur-Bilder an, die sowohl auf logischen Grundprinzipien als auch auf spirituellen Archetypen beruhen und die Menschen und Organisationen in ihrer Ganzheit berühren und würdigen.

Diese Bilder ermöglichen es, vielfältige Bezüge herzustellen und ein Gefühl von Berührung und Stimmigkeit zu erreichen. Diese Qualität ist erfahrungsgemäß mit rein kognitiv, quantitativ-empirisch ermittelten Modellen nicht möglich, sondern bedarf auch imaginativer und intuitiver Methoden.

1.4.4 Wertschätzend und ressourcenorientiert…

… zu begleiten hilft dabei, die vorhandenen Kräfte, die in Stress-, Krisen- und Konfliktsituationen durch innere oder äußere Schwierigkeiten geschwächt oder blockiert worden sind, zu suchen und zu stärken. Dadurch werden Menschen und soziale Systeme befähigt, ihr Wirken aus eigenen Kräften zu gestalten und sich nicht von Beratung abhängig zu machen.

Das muss kein Widerspruch zu gut eingesetzter Konfrontation sein, die wir als Interventionsmethode schätzen. Konfrontation setzt jedoch eine intakte, vertrauensbasierte Beziehung zwingend voraus.

1.4.5 Syntaktische Angebote…

… beziehen sich auf den Rahmen und die Struktur für den Reflexions- und Entwicklungsprozess. Ein syntaktisches Angebot kann beispielsweise darin bestehen, dem Coachee eine bestimmte Sortierlogik vorzustellen, mit der er seine Gedanken zum Für und Wider in einer Entscheidungssituation ordnen kann. In Abgrenzung dazu wäre ein inhaltliches Angebot eine Empfehlung für Entscheidungsoption A oder das Einbringen von Aspekten der Option B durch die Coach.

Der Begriff „syntaktisches Angebot“ bezieht sich dabei auf die Prozessgestaltung. Er soll verdeutlichen, dass die Verantwortung für die Gestaltung des Prozesses zwar primär bei der Coach liegt, sich der Prozess jedoch im Zusammenspiel zwischen Coach und Coachee entfaltet. Wenn der Coachee ein Angebot, etwa die vorgeschlagene Sortierlogik, nicht annehmen möchte, so ist dies legitim und kann im Prozess ergebnisoffen reflektiert werden. Daraus kann sich in weiterer Folge Vielfältiges entwickeln, etwa eine geänderte Sortierlogik oder ein besseres Verständnis beim Coachee für das Angebot, das er dann doch annimmt, oder eine Klärung einer Beziehungsstörung, aus der heraus der Coachee das Angebot nicht annehmen wollte.

1.4.6 Komplexe Situationen mit Licht und Schatten…

… erfordern einen multiperspektivischen Zugang in Abgrenzung zu einfachem Ursache-Wirkungs-Denken. Sowohl im System- als auch im Entwicklungsverständnis von Trigon spielen Spannungsfelder und Polaritäten eine wesentliche Rolle. Entwicklung ist unweigerlich mit Chancen und Grenzen konfrontiert und bringt Licht und Schatten zum Vorschein. Widersprüche und Ambivalenzen verlieren ihren Schrecken, wenn wir immer mehr lernen, uns ihrer bewusst zu werden, sie auszuhalten und konstruktiv-flexibel zu managen. Das Ausblenden einer Seite bzw. eines Pols führt unweigerlich zu Einseitigkeit, Abspaltung, blinden Flecken und Leid.

Ein wesentlicher Aspekt in der Begleitung kann deshalb darin bestehen, solche Seiten und Pole in den Prozess zu integrieren, die in der gegenwärtigen Situation zu wenig Wertschätzung und Beachtung finden. Damit unterscheidet sich unser Beratungsansatz auch deutlich von einer einseitig verstandenen Ressourcen- und Lösungsfokussierung, in welcher der Blick auf Schwieriges tabuisiert wird.

1.4.7 Ganzheitlich und gesamtverantwortlich…

… zu arbeiten bedeutet für uns, Menschen und Systemen in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit offen zu begegnen. Insbesondere verstehen wir unter Ganzheitlichkeit auch den Bezug zu den Tiefendimensionen. Um erwünschtes Verhalten und gesetzte Ziele zu erreichen ist es hilfreich, eine Kooperation von kognitiven und unwillkürlichen Prozessen herzustellen und bisherige Verhaltensweisen und Lösungsmuster zieldienlich zu nutzen. Unser Beratungsansatz berücksichtigt dies durch vielfältige, sowohl kognitive als auch imaginative, intuitive und sozial-künstlerische Methoden und Vorgehensweisen.

Gesamtverantwortliche Begleitung zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht einseitig Partei ergreift. Sie strebt danach, das Kundensystem zu Lösungen zu befähigen, die für alle Beteiligten vertretbar und annehmbar sind. Auch hier spielt das Denken in Spannungsfeldern und Polaritäten eine zentrale Rolle.

1.5 Systemverständnis

Eine wesentliche Quelle für das Systemverständnis von Trigon sind die Konzepte und Methoden des seinerzeitigen NPI-Instituts für Organisationsentwicklung. Bereits 1960 erkannte Bernard Lievegoed die Systemtheorie als Chance, eine meta-disziplinäre Theorie zu schaffen. Aus dieser Forschungsarbeit stammen zentrale Elemente wie die Dreigliederung, die in der klassischen Systemtheorie nicht enthalten, aber gut mit ihr kompatibel ist.

In der Auseinandersetzung mit einem lebenden System legen wir auf die folgenden Aspekte besonderen Wert:

Komplexität und Eigendynamik,

Drei Subsysteme,

Innen- und Außenwelt des Systems,

Durchgängige Muster in den darüber- und darunterliegenden Systemebenen,

Systemrelevante Spannungsfelder und Polaritäten,

Entwicklungszusammenhang.

1.5.1 Komplexität und Eigendynamik

Menschen und Organisationen werden sowohl von bewusst gesteuerten als auch von unwillkürlichen, intuitiven Prozessen geprägt. Oft genug sind die letztgenannten Prozesse die wirkmächtigeren. Wird diese Tiefendimension von Systemen vernachlässigt und ausgeblendet, etwa weil sie „nicht ins Konzept passt“, verleitet dies rasch zu einem illusionären Machbarkeitsanspruch und produziert entsprechende Frustration, wenn hartnäckige Kulturmuster oder der „innere Schweinehund“ die sauber durchdachten Pläne zunichte machen.

Verschiedene Systemelemente und Systemebenen beeinflussen sich permanent wechselseitig, ohne dass wir genau vorhersagen können, wie und mit welchem Ergebnis.

1.5.2 Drei Subsysteme

Für die Situationsdiagnose, für Veränderungsinterventionen und für deren Auswertung sind deshalb Methoden erforderlich, die der physischen, seelischen und geistigen Dimension eines Systems gerecht werden. Aus einem archetypischen Grundverständnis abgeleitet unterscheidet der Systemansatz bei Trigon drei Subsysteme. Auf der Ebene der Organisation sind das (1) das kulturelle, (2) das soziale und (3) das technisch-instrumentelle Subsystem (Glasl / Lievegoed 2016: 15 ff.).

Die weitere Ausarbeitung und Untergliederung ist an vielen Stellen publiziert und soll hier nicht näher ausgeführt werden (vgl. Glasl / Kalcher / Piber 2014).

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Abb. 1.5.2.1: Drei Subsysteme der Organisation

Das kulturelle Subsystem enthält die beiden Elemente aus Identität und Strategie.

Das soziale Subsystem setzt sich aus Struktur, Menschen/Gruppen/Klima und Einzelfunktionen/Gremien/Organen zusammen.

Das technisch-instrumentelle Subsystem beinhaltet Prozesse und physische Mittel.

Auf der Ebene des Individuums lauten die drei psychischen Subsysteme Denken, Fühlen und Wollen.

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Abb. 1.5.2.2: Drei Subsysteme im Individuum

Denken – unsere kognitiven, rationalen, analytischen Fähigkeiten.

Wollen – die Ebene unserer (unbewussten) Triebe, Instinkte, Sehnsüchte.

Fühlen – Körper- und Sinneswahrnehmung und Emotionen können unserem Denken als „Übersetzungshilfe“ dienen, um einen Zugang zu den tieferen Schichten unseres Wollens zu erhalten.

Der archetypische Charakter dieser Gliederung ermöglicht eine rasche und in sich stimmige Zuordnung zu weiteren Dreiheiten, die sich in verschiedenen Kulturen und Traditionen wiederfinden1. Die drei Subsysteme weisen jeweils unterschiedliche Logiken und Gestaltungsprinzipien auf.

Wie im vorigen Abschnitt zu archetypischen Grundbildern ausgeführt, verstehen wir diese Dreiheit als hilfreiche Strukturierungsmöglichkeit in der Diagnose und Entwicklung von Systemen (nicht als dogmatisches, starres Schema oder mit absolutem „Wahrheitsanspruch“).

Das Zusammenspiel von Denken, Fühlen und Wollen ist auch ein wesentlicher Bestandteil des Salzburger Achtsamkeitsmodells (SAM) und wird in diesem Zusammenhang von Narbeshuber / Narbeshuber (2019) ausführlich beschrieben. Auch Otto Scharmers Theory U basiert auf der schrittweisen Öffnung von Denken, Fühlen und schließlich Wollen.

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Abb. 1.5.2.3: Das U

Ganzheitliche, tiefgreifende Veränderungen erfordern es, dass Denken (blau), Fühlen (grün) und Wollen (rot) gleichermaßen einbezogen werden. Friedrich Glasls U-Prozedur und Otto Scharmers Theory U beschreiben Prozesse, in denen das möglich wird.

1.5.3 Innen- und Außenwelt

Das Systemkonzept von Trigon differenziert, wie bereits angedeutet, die drei Subsysteme und die darin enthaltenen sieben „Wesenselemente“ der Organisation im Inneren des Systems. Dieselbe Differenzierung ist hilfreich bei der Betrachtung der Schnittstellen zum größeren, umgebenden System.

Innen und Außen stehen in vielfältiger Wechselwirkung. Wie Glasl (2013) in Bezug auf die Konfliktdynamik aufzeigt, entstehen Probleme zwischen Personen aus einer Interaktion von Systemdynamik und Persönlichkeit. Er beschreibt dabei zwei Tendenzen:

Projektion oder Externalisierung, also die Neigung, persönliche Problemanteile auszublenden und auf Systemaspekte abzuschieben (vgl. Glasl 2013: 210 ff.).

Personifizieren, also die Tendenz, einzelne Schuldige zu suchen, anstatt die Situation als komplexes Zusammenspiel aller Systemelemente zu begreifen (vgl. Glasl 2013: 222 ff.).

Für unseren Coaching-Ansatz bedeutet das, Menschen dazu zu befähigen, sowohl ihr Inneres als auch ihre soziale Umwelt bewusster zu erfassen und zu gestalten.

1.5.4 Durchgängige Muster in den darüber- und darunterliegenden Systemebenen

Ken Wilber (2006) entwickelte die Perspektive, dass Wirklichkeit besser begreifbar wird, wenn wir sie nicht als „Ganzes“ denken, das aus Teilen, Atomen oder Quarks zusammengesetzt ist, sondern aus „Ganzen/Teilen“, sogenannten Holons, wobei das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Ein Holon ist ein Ganzes und ist gleichzeitig ein Teil von einem Ganzen. Eine Einzelperson etwa bildet ein Holon, das auf einer darüber liegenden Systemebene im Holon „Abteilung“ enthalten ist. Was auf der Systemebene „Einzelperson“ die Außenwelt ist (Kolleginnen und Kollegen, Büroeinrichtung, …), ist im Holon „Abteilung“ Innenwelt.

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Abb. 1.5.4.1: Holone

Ein Holon ist ein Ganzes und ist gleichzeitig ein Teil von einem Ganzen.

Etwas ungewohnter, aber im Coaching ebenso relevant ist die systemische Betrachtung der unterhalb der Einzelperson liegenden Systemebene, die etwa Schulz von Thun (2007) als „inneres Team“ konzipiert. Innere Anteile oder „Teammitglieder“ unterscheiden sich voneinander auf vielfältige Weise – sie können laut oder leise sein, melden sich schnell oder langsam, sind dominant im Außenkontakt oder zeigen sich nur nach innen, wo sie z. B. als Gedanke, Emotion, Impuls, oder Körpersignal auftreten. Zwischen unseren inneren Teammitgliedern herrscht eine ähnliche Gruppendynamik wie im äußeren Leben.

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Abb. 1.5.4.2: Das innere Team

Unsere Persönlichkeit lässt sich als Zusammenspiel verschiedener innerer Anteile verstehen.

Gewisse Systemprinzipien, Spannungsfelder und Entwicklungsgesetzmäßigkeiten ziehen sich dabei durch alle Ebenen belebter Systeme. Francisco Varela und Humberto Maturana (2009) haben dabei die klassischen systemischen Prinzipien wie Autopoiese, Homöostase oder strukturelle Kopplung formuliert, die auf Zellen, Pflanzen und den menschlichen Organismus ebenso anwendbar sind wie auf unsere individuelle psychische Struktur, auf Teams, Organisationen und Gesellschaften.

Sobald ein rudimentäres (Vor-)Bewusstsein ins Spiel kommt, kommen weitere Prinzipien hinzu, auf die im Abschnitt „Entwicklungsverständnis“ noch näher eingegangen wird. Auch das Prinzip der Dreigliederung lässt sich ab diesem Punkt auf allen Systemebenen nutzen.

Luc Ciompi entwickelte in seiner Fraktalhypothese (Ciompi / Endert 2011: 32 ff.) die Perspektive auf die oft frappierenden Gemeinsamkeiten zwischen über- bzw. untereinanderliegenden Systemebenen bzw. Holons. So belegen Ciompi / Endert (2011) u. a. am Beispiel des Aufkommens des Nationalsozialismus in Deutschland, wie die emotionalen Muster einzelner Personen durch soziale Ansteckung und zirkuläre Prozesse der gegenseitigen Verstärkung identisch sind mit denen einer Gruppe oder eines Volkes.

Für unseren Coaching-Ansatz bedeutet das, dass wir unsere Coachees dazu ermutigen, sich mit wiederkehrenden Mustern auf verschiedenen Systemebenen auseinanderzusetzen, um zu neuen Perspektiven und Lösungsideen zu gelangen.

1.5.5 Systemrelevante Spannungsfelder und Polaritäten

Polaritäten und Spannungsfelder verstehen wir als wesentliche und notwendige Grundelemente lebender Systeme. Spannungsfelder sind unvermeidbar und bleiben immer bestehen. Im Unterschied zu Entscheidungssituationen sind sie nicht lösbar. Man kann lediglich einen mehr oder weniger guten Umgang damit finden.

Spannungsfelder bestehen auf allen Systemebenen (z. B. Individuum–Duo–Team–Organisation). Die Systemebenen stehen miteinander in permanenter Wechselwirkung.

Jeder Pol in einem Spannungsfeld hat…

eine Lichtseite und beinhaltet etwas Gutes, einen Nutzen oder Vorteil,

eine Schattenseite (Übertreibung) und beinhaltet etwas Schwieriges, einen Nachteil oder eine Gefahr.

Je dominanter eine Seite wird, desto heftiger muss die Gegenwehr der anderen werden.

Je mehr beide Seiten in der Übertreibung landen, desto verzerrter und eingeschränkter wird ihre Wahrnehmungsfähigkeit.

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Abb. 1.5.5.1: Polaritäten als Quelle von Entwicklung

Grundlegende Gegensätze lassen sich nicht auflösen. Wir können aber hilfreicher oder weniger hilfreich damit umgehen. Daraus leitet sich für unseren Coaching-Ansatz folgende Grundstrategie für den Umgang mit „Zwickmühlen“ ab:

Beide Impulse/Polaritäten mit ihrer Licht- und ihrer Schattenseite benennen (Wert und Übertreibung).

Die Symptome für Übertreibungen auf beiden Seiten wahrnehmen.

Empathie entwickeln: Die Bedürfnisse hinter beiden Übertreibungen wahrnehmen.

Die Lösungssuche an den Bedürfnissen auf beiden Seiten ausrichten und den Lösungsraum ausweiten.

Im (ggf. inneren) Dialog zwischen beiden Seiten zu einer Entscheidung kommen, die beide Bedürfnisse respektiert („sowohl – als auch“).

1.5.6 Entwicklungszusammenhang

Ob unsere Coachee 28, 35 oder 49 Jahre alt ist, macht aus unserer Sicht einen wesentlichen Unterschied im Coaching. Je nach Lebensphase wird sie vor unterschiedlichen Fragen und Herausforderungen stehen, werden ihr unterschiedliche Erfahrungen und Ressourcen zur Verfügung stehen. Ihre beruflichen Handlungsspielräume und die Erwartungen an sie werden fundamental andere sein, wenn sie in einem Pionierunternehmen tätig ist als in einer Organisation in der Differenzierungs- oder Integrationsphase. Mehr dazu im nächsten Abschnitt.

1.6 Entwicklungsverständnis

Der Beratungsansatz von Trigon geht davon aus, dass Entwicklung, wenn sie gelingt, einer gewissen inneren Richtung und Logik folgt. Anders ausgedrückt: Die Entwicklung von (teil-)bewussten lebenden Systemen ist nicht völlig beliebig, sondern folgt bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die im Folgenden näher beschrieben werden.

Trigon-BeraterInnen und Coachs fühlen sich dem Ziel verpflichtet, Coachees dabei zu unterstützen, diese Entwicklung immer wacher, kompetenter und eigenverantwortlicher zu gestalten, gemäß dem Hauptziel der Befähigung zur Selbsterneuerung. Der Blick auf die innere Logik von Entwicklungen und damit verbundene Spannungsfelder kann Orientierung für Entwicklungsprozesse von Menschen, Organisationen und der Gesellschaft geben.

Worin ein hilfreicher nächster Entwicklungsschritt besteht, definiert die Coachee. Dass sie im Coaching-Prozess angemessen mit eigenen Emotionen, tieferliegenden Lebensthemen, Spannungsfeldern und Entwicklungsfragen in Berührung kommen kann, ist Aufgabe des Coachs.

Für die Entwicklung lebender Systeme scheint es uns hilfreich, …

ein positives und realitätsbezogenes Verständnis der Potenziale, Ressourcen und Grenzen des Systems zu gewinnen und zu vergemeinschaften,

dafür Phasenmodelle und Entwicklungsgesetzmäßigkeiten zu beachten (und bei Bedarf auch wieder loszulassen),

Spannungsfelder und Unterschiedlichkeiten ins Bewusstsein zu bekommen (Differenzierung),

das System dabei zu unterstützen, kreative und seinem Potenzial und Entwicklungsstand angemessene Wege zu finden, mit diesen Spannungsfeldern und Unterschiedlichkeiten umzugehen (Integration, Authentizität).

1.6.1 Ein positives und realitätsbezogenes Verständnis der Potenziale, Ressourcen und Grenzen des Systems

Je nach Entwicklungsstand stehen andere Möglichkeiten und ein anderes Mindset zur Verfügung.

1.6.2 Phasenmodelle und Entwicklungsgesetzmäßigkeiten

Die Entwicklungsmodelle des NPI werden als wesentliche Quelle unseres Coaching-Ansatzes im nächsten Kapitel ausführlicher dargestellt. Diese verstehen wir als hilfreiche Landkarten, mit denen wir Arbeitshypothesen generieren, die uns zu Fragen anregen und zu denen wir manchmal Skizzen und Grundgedanken explizit anbieten.

1.6.3 Spannungsfelder und Unterschiedlichkeiten