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DR. DORIS WOLF

Wenn der
Partner geht

Trennungsschmerz
und Liebeskummer
bewältigen

PAL Verlagslogo

Trennung und
chaotische Gefühle
durchstehen

Wieder Kraft
und Zuversicht
tanken

PAL Verlagsgesellschaft mbH

Seit 35 Jahren der Verlag für praktisch anwendbare Lebenshilfen erfahrener Psychotherapeuten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, abrufbar im Internet über http://dnb.d-nb.de

© PAL Verlagsgesellschaft, München

www.palverlag.de

ISBN 978-3-923614-74-5

eISBN 978-3-923614-90-5

33. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

Bild Umschlag: © Kelly Sikkema, www.unsplash.com

Bild Seite 2: © Thomas Peham, www.unsplash.com

Dr. Doris Wolf arbeitet zusammen mit ihrem Partner und Kollegen Dr. Rolf Merkle seit 35 Jahren als Psychotherapeutin in eigener Praxis.

Die Internetseite der Autorin: www.doriswolf.de

Die Ratschläge dieses Buches sind von der Autorin und vom Verlag sorgfältig geprüft. Autorin und Verlag können jedoch keine Garantie geben und schließen jede Haftung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden aus.

Inhalt

Einleitung

1Die vier Phasen der Trennungserfahrung

2Die Macht unserer Gedanken

3Phase I: Nicht-Wahrhaben-Wollen

4Phase II: Aufbrechende Gefühle

Verzweiflung

Einsamkeitsgefühle und Angst

Schuldgefühle und Selbstzweifel

Wut und Hass auf den Partner

Wut und Hass auf sich selbst

Die Reaktionen unseres Körpers

5Phase III: Neuorientierung

Loslösung

Ihr neues Selbstwertgefühl

Freundschaften

Sexualität

Alte Wunden

6Phase IV: Neues Lebenskonzept

Vertrauen

Liebe und Partnerschaft

Verantwortung

Die Freiheit zu entscheiden

7Die Geschichte einer Beziehung

Nachwort

Einleitung

Liebe Leserin, lieber Leser,

das Thema dieses Buches liegt mir aus zwei Gründen ganz besonders am Herzen: zum einen, weil mir in meiner psychotherapeutischen Praxis täglich viele verzweifelte Frauen und Männer begegnen, die sich gerade in einer Trennungs- bzw. Scheidungskrise befinden; zum anderen, weil ich mich selbst vor einigen Jahren in genau dieser schwierigen Lage befunden habe. Mein Partner hatte mir plötzlich und für mich völlig unerwartet eröffnet, dass er sich von mir trennen möchte. Damals habe ich mich nicht wiedererkannt. Ich hätte nie gedacht, mich jemals so hilflos, verlassen und verzweifelt zu fühlen. Ich glaubte damals, nie mehr in meinem Leben glücklich und zufrieden sein zu können. Ich durchlebte Phasen von tiefer Verzweiflung, Angst, Hoffnungslosigkeit, Hass, Schuldgefühlen und Selbstzweifeln. Heute weiß ich, dass all diese Gefühle nach einer Trennung/Scheidung normal sind und dass in all diesen Gefühlen schon die Wurzel für einen Neuanfang steckt.

Ja, heute behaupte ich, dass diese Trennung eine der wichtigsten Erfahrungen meines Lebens darstellt. Ich habe damals erfahren, wie wenig Selbstvertrauen und Achtung ich mir selbst gegenüber hatte. Erst durch die Trennung ist mir bewusst geworden, wie abhängig ich mich von meinem Partner gemacht hatte. Erst durch die Trennung ausgelöst habe ich begonnen, mich zu fragen, was mir im Leben wichtig erscheint.

Heute kann ich gegenüber meinem Ex-Partner sogar Dankbarkeit empfinden. Ohne ihn hätte ich den Weg zu einer reifen und gleichberechtigten Partnerschaft nicht so schnell finden können.

Diese Erkenntnis mag für Sie, wenn Sie gerade noch tiefen Schmerz verspüren, sarkastisch klingen. Sie brauchen mir im Augenblick nicht zuzustimmen. Sie brauchen und können noch nicht fühlen, dass das Ende einer Partnerschaft tatsächlich eine Chance darstellt.

Alles, was Sie im Augenblick brauchen, ist die Bereitschaft, mich in diesem Buch zu begleiten. Und wenn Sie sich selbst demgegenüber im Augenblick innerlich noch sträuben, dann legen Sie das Buch nochmals für eine Weile aus der Hand. Viele Menschen haben Angst davor, beim Lesen dieses Buches zu schnell Abstand von ihrem Partner zu bekommen. Das Lesen dieses Buches ist für sie wie ein Verrat der Partnerschaft und Liebe. Sie spüren innerlich zwei Stimmen. Sie wollen auf der einen Seite ihren Schmerz loswerden, auf der anderen Seite aber noch nicht darangehen, sich mit dem Ende der Partnerschaft zu beschäftigen. Lassen Sie sich noch ein wenig Zeit. Sie können, wann immer Sie wollen, zu mir und meinem Buch zurückkehren. Ich werde auf Sie warten.

Ich weiß, dass es schmerzt, Abschied zu nehmen, und dass man am liebsten alles ungeschehen machen oder den Kopf in den Sand stecken würde. Die Bewältigung einer Trennung ist wie das Besteigen eines Berges – nur dass Sie sich nicht freiwillig ins Tal gestellt haben. Sie haben nicht freiwillig Ihren Koffer gepackt und sind auf Reisen gegangen. Sie wurden sozusagen „zwangsweise verschickt“. Den Weg durch die Trennungskrise beginnen Sie ganz unten im Tal. Sie entscheiden dann – so hoffe ich, sich aus dem Tal auf den Weg zum Gipfel zu machen. Schritt für Schritt müssen Sie sich nach oben emporarbeiten. Es gibt keine Möglichkeit für Sie, direkt vom Tal zum Gipfel zu gelangen. Für den Aufstieg brauchen Sie Zeit. Der Aufstieg ist beschwerlich. Sie werden Pausen einlegen und Umwege gehen müssen, aber Sie können den Gipfel erreichen.

Ich werde Sie auf dem Weg zum Gipfel begleiten. Ich kann den Weg nicht für Sie gehen. Ich kann Ihnen Ihre schmerzlichen Gefühle nicht abnehmen. Ich kann Ihnen jedoch dabei helfen, dass Sie sich auf Ihrem Weg zum Gipfel nicht verirren oder gar verschütt gehen.

Sie werden in diesem Buch Schritt für Schritt erfahren, wie Sie Ihren Schmerz, Ihre Wut, Angst und Schuldgefühle abbauen können. Auch in Ihrer Trennung steckt die Chance, sich weiterzuentwickeln und gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Sie haben die Chance, sich wieder aufzurichten, Ihre seelischen Schmerzen zu lindern und zu gesunden. Sie können verhindern, dass aus Ihrer tiefen Enttäuschung eine chronische Depression oder chronischer Hass auf Ihren Partner oder sogar auf die gesamte Menschheit wird. Sie können die Zeit Ihres Trauerns erheblich verkürzen.

Ferner erfahren Sie, wie Sie die Trennung ohne fremde Hilfe positiv bewältigen und in Zukunft solche tiefen seelischen Verletzungen weitgehend vermeiden können.

Ich wünsche Ihnen viel Mut, Kraft und Energie auf dem Weg zu einem neuen Lebensabschnitt.

Ihre

Doris Wolf

Mein Buch richtet sich gleichermaßen an Frauen und Männer. Alle durchlaufen den gleichen Trennungsprozess. Der Einfachheit halber, und weil ich eine Frau bin, spreche ich jedoch im gesamten Buch nur von „dem Partner, der gegangen ist“.

1 Die vier Phasen der Trennungserfahrung

du bliebst kurz stehen

im windfang

vier augen

ein blick

ein ende

und dann habe ich mein bett

aus unserem haus getragen und verladen

Ich weiß nicht, wie lange Ihr Partner sich schon von Ihnen getrennt hat. Ich weiß nicht, ob Sie verheiratet waren oder in einer Lebensgemeinschaft zusammengelebt haben. Ich weiß nicht, ob die Trennung Sie mit oder ohne Kinder, mit oder ohne finanzielle Absicherung, aus heiterem Himmel oder langsam anbahnend traf.

Gleichgültig, wie lange und unter welchen Lebensumständen Sie verlassen wurden, nach einer Trennung sind Gefühle der Verzweiflung, der Wut, des Hasses, der Angst und der Schuld ganz normal. Auch die Trennung vom Partner durch den Tod führt zu diesen negativen Gefühlen. Sie reihen sich nun ein in eine große Gruppe von Menschen, die jetzt auch diese Gefühle verspüren. Mit dem Eingehen einer Partnerschaft geht jeder auch das Risiko ein, bei der Trennung diese negativen Gefühle mehr oder weniger stark zu erfahren. Ja, jeder Mensch, der sich emotional an einen anderen Menschen, ein Tier oder einen Gegenstand bindet, wird all diese unangenehmen Gefühle erleben, wenn er sich aufgrund irgendwelcher Umstände von ihnen trennen muss.

Jeder Mensch, der sich in einer Trennungssituation befindet – zur Zeit kommt auf zwei Ehen eine Scheidung in Deutschland – durchläuft einen Prozess, den ich in vier Phasen einteile: Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens (1), die Phase der Aufbrechenden Gefühle (II), die Phase der Neuorientierung (III) und die Phase des Neuen Lebenskonzeptes (IV).

Die vier Phasen sind nicht eindeutig voneinander getrennt. Sie können sich überlappen, zusammenfallen und sich miteinander vermischen. Besonders innerhalb der ersten beiden Phasen kommt es häufig zu Überschneidungen. Die Phasen der Trennungsverarbeitung verlaufen zudem nicht kontinuierlich. Es wird Fortschritte und Rückschritte geben. Auch wenn Sie schon in einer fortgeschrittenen Phase sind, können Sie hin und wieder zurückfallen. Meist ist der Rückfall jedoch erheblich kürzer und von weniger intensiven Gefühlen begleitet.

Jede dieser Phasen ist für Sie notwendig und sinnvoll – auch wenn Sie am liebsten bei Phase IV anfangen würden. Jede bietet Ihnen Möglichkeiten, neue Seiten von sich kennenzulernen und das Gefühl der Stärke zu entwickeln, diese Phase zu bewältigen.

Höre ich Sie fragen, was Sie jetzt in Ihrem Zustand mit all dieser Theorie anfangen sollen? Ich weiß, Ihnen steht wahrscheinlich im Augenblick der Kopf nicht nach dem theoretischen Wissen, welche seelischen Phasen man nach einer Trennung durchläuft. Ihnen genügt es, zu erleben, wie elend es Ihnen gerade zu Mute ist. Bitte, bleiben Sie trotzdem in Ihren Gedanken bei mir. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass das Wissen über die verschiedenen Phasen Ihnen helfen kann, Ihre Gefühle besser zu verstehen und zu akzeptieren. Sie werden sich Ihren Gefühlen gegenüber nicht mehr so hilflos und ausgeliefert fühlen. Sie werden nicht mehr den Eindruck von sich haben, absolut gestört oder gar verrückt zu sein. Wenn Sie Ihre Gefühle und Gedanken besser verstehen, dann sind Sie auch in der Lage, diese zum Positiven zu verändern.

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Die vier Phasen der Trennungserfahrung

Phase I: Nicht-Wahrhaben-Wollen

Diese Phase ist gekennzeichnet durch Verleugnung und Ignorieren der endgültigen Trennung. Sie spielen das Spiel Gib mir noch einmal eine Chance. Ich werde alles anders machen. Wenn Ihr Partner ausgezogen ist, suchen Sie nach Gründen, wieder Kontakt mit ihm aufzunehmen. Sie fahren ihm nach oder inszenieren ein „zufälliges Treffen“. Wenn Sie noch mit ihm zusammenleben, beobachten Sie beständig, ob er beispielsweise an einem Tag freundlicher zu Ihnen ist oder sogar noch einmal mit Ihnen schlafen möchte. Sie bemühen sich darum, besonders attraktiv und nett zu Ihrem Partner zu sein. Sie weigern sich, die Wohnung zu verändern und Ihren Freunden mitzuteilen, dass Ihr Partner sich von Ihnen getrennt hat. Sie tragen den Ehering noch am Finger und erzählen Bekannten, dass Ihr Partner auf einer großen Reise ist. Täglich warten Sie auf eine Nachricht von ihm oder auf seine Rückkehr. Sie leben in der Hoffnung, alles sei nur ein böser Traum.

Im Wechsel mit der Hoffnung treten Verzweiflung, manchmal auch Wut auf den Partner und Wut auf sich selbst auf. Und damit wären wir in der Phase II.

Phase II: Aufbrechende Gefühle

Die Phase II ist durch starke Stimmungsschwankungen und Orientierungslosigkeit gekennzeichnet. Sie kennen sich selbst nicht mehr. Sie sind verzweifelt, fühlen sich hilflos und sehen keine Möglichkeit, jemals wieder glücklich zu werden. In Gedanken gehen Sie immer wieder all die schönen Erlebnisse durch, die Sie mit Ihrem Partner geteilt haben. Sie denken: „Nie wieder werde ich das … erleben.“ Sie geben sich die Schuld für das Auseinanderbrechen der Partnerschaft: „Hätte ich nur noch mehr für die Partner schaft getan.“, oder „Ich hätte öfters ihm zuliebe das … und das … tun sollen.“ Sie werden von starken Selbstzweifeln geplagt und machen sich in Gedanken eine Negativliste über Ihre Person: „Ich bin zu dick, unfähig im Bett, kein guter Partner, dumm, unattraktiv etc.“ Immer wieder kommt in Ihnen ein Angstgefühl hoch. Sie haben Angst davor, Ihr Leben nicht alleine meistern zu können. Schon die alltäglichsten Tätigkeiten, die Sie all die Jahre mit Bravour geschafft haben, trauen Sie sich nicht mehr zu. Sie haben Angst vor den Nächten, den Wochenenden und dem Alleinsein in der Wohnung. Die Veränderung der Finanzen, der Wohnung, möglicherweise die alleinige Erziehung der Kinder, die bürokratische Abwicklung der Scheidung erscheinen Ihnen als unüberwindbare Hürden. Verzweiflung und Ängste wechseln sich ab mit Wut- und Hassgefühlen. Wenn Ihr Partner in den Augenblicken, in denen Sie auf ihn zugehen und sich um ihn bemühen, nicht auf Sie eingeht, sind Sie wütend auf sich. „Wie kann ich nur so blöd sein, mich so zu erniedrigen!“ oder „Ich sollte es nicht nötig haben, ihn so zu brauchen!“, sind Ihre Gedanken. Sie verlieren in diesen Augenblicken die Achtung vor sich selbst. Aber gleichzeitig haben Sie auch Wut auf den Partner: „Der sollte mich nicht so abfahren lassen!“ oder „Was bildet der sich ein, mich so zu behandeln! Dem werde ich es zeigen. Ich kann genauso hart sein wie er!“, sind häufige Gedanken. Sie sinnen nach Möglichkeiten, sich zu rächen und es ihm heimzuzahlen. Gegen Ende dieser Phase beginnen Sie langsam, wieder Land zu sehen. Es folgt schließlich Phase III.

Phase III: Neuorientierung

Von gelegentlichen kurzen Rückschlägen abgesehen, beginnen Sie nun, Ihr Leben wieder aktiv in die Hand zu nehmen. Sie sehen, dass Ihr Leben weitergehen kann und Ihnen noch mehr Möglichkeiten als diese eine Partnerschaft offen stehen, um glücklich zu sein. Sie haben den Gedanken an eine Wiedervereinigung aufgegeben. Die Abneigung und Verbitterung gegenüber Ihrem Partner nehmen ab.

Sie beginnen, Kontakte zu anderen Menschen aufzunehmen. Zusammenhänge zwischen Ihrer Persönlichkeit und dem Scheitern der Partnerschaft werden Ihnen deutlich. Sie entwickeln ein neues Selbstwertgefühl und lernen, sich selbst Zuwendung und Anerkennung zu geben.

Phase IV: Neues Lebenskonzept

In dieser Phase Ihrer Entwicklung spüren Sie deutlich, die Trennung ist keine Strafe dafür, dass Sie versagt haben. Sie erkennen, dass sie die einzig mögliche Lösung für eine selbstzerstörerische Partnerschaft war. Durch Ihre Trennung haben Sie gelernt, mehr zu Ihren eigenen Stärken zu finden. Sie können sich jetzt frei entscheiden, ob Sie eine neue Partnerschaft eingehen wollen oder nicht. Ihnen ist bewusster, was Sie sich in einer neuen Partnerschaft wünschen. Sie entwickeln ein neues Konzept von Liebe und Partnerschaft. Sie haben noch eine andere Freiheit gewonnen: die Freiheit, Sie selbst zu sein. Aus Ihrer Vergangenheit haben Sie wichtige Schlussfolgerungen gezogen. Sie haben sich selbst besser kennengelernt und neue Fähigkeiten in sich entdeckt und entwickelt.

Sie werden sich bewusst darüber, welchen Einfluss Ihre vergangene Partnerschaft auf eine zukünftige haben kann. Sie lernen, wieder Vertrauen anderen Menschen gegenüber zuzulassen.

Muss jeder Mensch alle vier Phasen durchlaufen?

Die vier Phasen Ihrer Entwicklung sind vergleichbar mit einer Bergbesteigung. Sie beginnen im tiefsten dunklen Tal und steigen langsam zum hellen Gipfel auf. Sie können bis zum Gipfel gelangen, wenn Sie es nur möchten. Auf dem Weg zum Gipfel werden Sie ein manches Mal am liebsten umkehren oder dort verharren wollen.

Einige Menschen werden nicht die Stärke haben, diese vier Phasen zu durchlaufen. Einige kommen doch noch zu einer Aussöhnung mit dem Partner – nicht aus Liebe, sondern weil für beide Partner das Alleinsein zu schmerzhaft und angstauslösend war. Einige werden in Hass oder Depression steckenbleiben. Sie werden ihren Blick nur in die Vergangenheit lenken, den Verlust betrauern oder ihr Leben damit verbringen, dem Partner Rache zu schwören und ihn mit „Giftigkeiten“ zu bombardieren. Einige werden sich vor Erreichen der Phase IV in eine neue Partnerschaft flüchten. Einige werden sich zuvor das Leben nehmen.

All diese Menschen verpassen das wunderbare Gefühl, die Vergangenheit als wichtige Erfahrung abgeschlossen zu haben und sich frei entscheiden zu können.

Lassen Sie mich Ihnen versichern, es ist die Anstrengung wert, sich bis zum Gipfel hochzuarbeiten. Sie können an den Gipfel gelangen, es werden keine übermenschlichen Kräfte verlangt. Es ist kein Gipfel, der nur von Reinhold Messner erreichbar wäre.

Wie lange dauert der Weg bis zum Gipfel?

Im Durchschnitt dauert es ein Jahr, bis man zu Phase III kommt. 2–4 Jahre benötigen die meisten, bis sie ein neues Lebenskonzept entwickelt haben (Phase IV). Einige werden jedoch schneller, andere langsamer sein. Jeder Mensch hat sein eigenes individuelles Tempo, sich auf die neue Situation einzustellen und sich weiterzuentwickeln. Wie schnell Sie an den Gipfel gelangen, ist abhängig von Ihrer Lebensgeschichte und Ihren Einstellungen zu sich und dem Leben. Lassen Sie sich nicht von der Zeitangabe anderer erschüttern. Sie werden aus der Krise kommen und können bis Phase IV gelangen. Einige Menschen benötigen auch eine zweite gescheiterte Beziehung oder mehrmaliges Wiederversöhnen und Trennen vom Partner.

Versprechen Sie mir, sich nicht zu verurteilen, wenn Sie sich zunächst noch ein paar Mal im Tal verirrt haben. Ich weiß, dass es einfacher wäre, sich mit dem Partner wieder zu versöhnen oder gleich einen neuen Partner zu finden, bei dem Sie sicher wären, dass es Ihnen ewig gutgehen wird und Sie ihn nie verlieren werden. Aber das Leben funktioniert nicht so. Wenn Sie sich nicht bis Phase IV durcharbeiten, werden Sie immer wieder dieselben tragischen Erfahrungen machen wie bei dieser Trennung.

Noch ein Wort zur Abrundung Ihres Bildes: Auch Ihrem Partner sind die vier Phasen der Trennungserfahrung nicht erspart geblieben. Der Unterschied ist: Er hat während ihrer noch bestehenden Partnerschaft die einzelnen Phasen durchlaufen und ist nun bereits an dem Punkt, sich lösen zu können. Er hat einen zeitlichen Vorsprung.

Warum kommen manche Menschen gut über eine Trennung hinweg und andere zerbrechen fast daran?

Zunächst einmal müssen wir uns vor Augen führen, dass das äußere Auftreten und Verhalten eines Menschen täuschen kann. Viele Menschen, insbesondere Männer, halten es für eine Schwäche, verzweifelt zu sein und zu trauern. Sie bauen nach außen eine Fassade auf, betäuben sich mit Beruhigungstabletten oder Alkohol und brechen, wenn überhaupt, dann nur in aller Stille zuhause zusammen. Es gibt dennoch Unterschiede darin, wie stark Menschen unter einer Trennung leiden. Verschiedene Faktoren spielen dabei eine Rolle:

1. Die Beziehung zu dem Partner, der sich trennt

Welche Bedeutung hatte der Partner im Leben des Verlassenen? Gab es viele gemeinsame Aktivitäten? War er die einzige wichtige Bezugsperson? Bestand seitens des Verlassenen noch Vertrauen und Achtung dem Partner gegenüber?

2. Die Persönlichkeit des Verlassenen

Hatte er sein Leben rund um den Partner aufgebaut, sich nur durch die Partnerschaft und seine Zuneigung liebenswert und wichtig gefühlt? Hat er bisher nie alleine gelebt und sein Leben alleine in die Hand genommen gehabt? Hat er in seinem Lebensplan eine Trennung einkalkuliert und sich schon einmal innerlich damit befasst? Hat er schon einmal eine Trennung erlebt? Hat er das Vertrauen, den Verlust überwinden und sein Leben alleine leben zu können? Sieht er sich attraktiv genug, wieder einen Partner finden zu können?

3. Das Alter des Verlassenen

Vor allem für ältere Menschen, die nach langer Ehezeit verlassen werden, ist die Trennung schwer zu verkraften.

4. Das Geschlecht des Verlassenen

In vielen Untersuchungen wird deutlich, dass sich Männer sehr viel schwerer damit tun, ihr Leben ohne Partner zu arrangieren. Sie werden häufiger krank und lassen im Beruf stark in den Leistungen nach. Von der Gesellschaft wird immer noch erwartet, dass sie in der Öffentlichkeit nicht weinen und Gefühle zeigen. Männer reden mit anderen Männern selten über ihre Gefühle. Von der Umwelt bekommen sie nach einer Trennung meist mehr Unterstützung als Frauen, weil sie ja „in vielen Dingen hilfloser sind“. Von Kollegen werden sie schneller wieder in Kontakt mit anderen Frauen gebracht. Meist gehen sie auch schneller wieder eine Beziehung ein – auch wenn sie den Ablösungsprozess noch nicht vollständig durchlaufen haben.

5. Die Umstände der Trennung

Kam die Trennung unerwartet aus heiterem Himmel oder hat sie sich durch zahlreiche Androhungen und auch häufige Konflikte angekündigt? Trennte sich der Partner, weil ein neuer Partner im Spiel war? Führt die Trennung auch zu dem Verlust einer finanziellen Absicherung, der Wohnung, der Kinder, des Arbeitsplatzes, des gesellschaftlichen Status? Ist der Verlassene berufstätig oder kann er zumindest auf eine Berufsausbildung zurückgreifen? Gibt es einen stabilen stützenden Freundeskreis? Gibt es einen langen Weg durch die Gerichtsinstanzen, bis es zu einer Scheidung kommt?

Was gibt es an Hilfsangeboten?

In diesem Buch werden Sie Hilfestellungen finden, wie Sie die einzelnen Phasen durchleben können, ohne darin steckenzubleiben. Sie können auch in Ihrem örtlichen Branchenverzeichnis unter der Rubrik „Psychologen“ und „Psychotherapie“ nachschlagen. In jeder größeren Stadt gibt es auch Beratungsstellen wie die Pro Familia oder Ehe- und Familienberatungsstellen, die Ihnen weiterhelfen können.

Hilfe durch einen Fachmann zu suchen ist keine Schande. Es zeigt, dass Sie sich und Ihr seelisches Wohlbefinden wichtig nehmen. Sie sind weder „unfähig“ noch „verrückt“, wenn Sie Unterstützung von außen suchen. Wirklich „verrückte“ Menschen gehen nicht zum Therapeuten, denn Sie glauben nicht, dass Sie Hilfe benötigen. Wenn Sie der einzige Mensch wären, der Unterstützung bei der Lösung seiner Probleme suchen würde, könnte keine Beratungsstelle und kein einzelner Therapeut davon leben.

Nutzen Sie die Chance, sich helfen zu lassen, wenn Sie den Eindruck haben, dadurch leichter mit der Trennung fertigwerden zu können. Alarmzeichen: Wann Sie unbedingt einen Therapeuten aufsuchen sollten:

Wenn Sie sich täglich damit beschäftigen, sich das Leben zu nehmen und sich schon einen genauen Plan hierzu ausdenken.

Wenn Sie aus Ihrem Schmerz herauskommen möchten, aber keinen Weg hierzu finden.

Wenn Sie Ihren Körper, die Ernährung und Hygiene vernachlässigen, weil Sie denken, es sei eh alles sinnlos.

Wenn Sie länger als vier Wochen Beruhigungs- und Schlafmittel nehmen, täglich oder exzessiv Alkohol trinken, zu viel oder zu wenig essen.

Wenn Sie sich gerne mit einer neutralen Person aussprechen möchten, aber niemanden haben, dem Sie offen und auch immer wieder über Ihre Gefühle erzählen können.

Wenn Sie bemerken, dass Sie eine direktere persönliche Beratung durch einen Therapeuten benötigen, dann können Sie bei Ihrer Krankenkasse nach einer Liste von verhaltenstherapeutischen Psychotherapeuten fragen.

Was ich Ihnen in diesem Buch mitgeben möchte

Ich möchte Sie gerne in diesen vier wichtigen Phasen Ihres Lebens begleiten. Sie werden in diesem Buch die Erfahrungen finden, die ich durch meine Trennung und durch therapeutische Gespräche mit den Klienten in meiner Praxis gesammelt habe. Ich werde Ihnen all die Hilfestellungen geben, die ich meinen Klienten auch gebe.

Viele dieser Hilfestellungen stoßen bei Ihnen zunächst vielleicht auf Widerstand. Sie mögen einwenden: „Die hat leicht reden.“, „Bei mir geht das nicht so einfach.“, „So schlimm wie bei mir war es bei ihr bestimmt nicht.“, „Ich kann das nicht machen, was sie so einfach empfiehlt.“, „Ich bin zu schwach.“. Diese Reaktion ist normal und menschlich. Aber ich weiß auch, dass Sie schneller aus Ihrer Krise herauskommen werden, wenn Sie diese Hilfestellungen auf sich anwenden. Und das ist doch Ihr Wunsch, oder?

Ich möchte Ihnen Ihre Gefühle nicht wegnehmen oder sie abtun. Sie sind der einzige Mensch, der spürt, was in Ihnen alles an Gefühlsstürmen tobt. Niemand kann sich ganz genau in Sie hineinversetzen und nachempfinden, wie es Ihnen jetzt im Augenblick geht – auch kein Therapeut. Niemand hat haargenau dieselben Gefühle empfunden wie Sie jetzt im Augenblick. Ich kann Ihnen nur von meinen Gefühlen nach der Trennung erzählen und darüber, was Menschen in gleicher Situation mir während der Therapie offenbaren. Wenn ich Ihre Stimmung also an bestimmten Stellen in meinem Buch nicht ganz genau treffe, bitte ich Sie, mich zu entschuldigen.

Wo auch immer Sie im Augenblick stehen, kann ich Ihnen jedoch versichern, dass Sie nicht hilflos sind. Ihr Partner hat entschieden, sich von Ihnen zu trennen. Das ist sein Recht. Aber er hat keine Möglichkeit, über Ihre Gefühle zu bestimmen, wenn Sie es nicht wollen. Das ist Ihre Freiheit und gleichzeitig Ihre Chance.

Nur weil Sie diese Freiheit haben, können Sie jetzt sofort Ihre Bergbesteigung beginnen und wieder Selbstvertrauen, Lebensfreude und innere Harmonie gewinnen. Ja, Sie können sogar noch weit über Ihre jemals erlebten positiven Gefühle hinausgelangen – auch wenn Sie es sich im Augenblick nicht vorstellen können oder schon mit weniger zufrieden wären.

Wie Sie am besten mit diesem Buch arbeiten

Lassen Sie sich Zeit bei der Durcharbeitung des Buches. Ich habe dieses Buch so aufgebaut, dass ich Sie von Phase I bis IV begleiten kann. Arbeiten Sie sich von Kapitel zu Kapitel vor. Lesen Sie zunächst jedes Kapitel einmal durch, um sich einen Überblick zu verschaffen. Dann wählen Sie sich aus dem betreffenden Kapitel die Abschnitte aus, die Sie im Augenblick besonders betreffen. Führen Sie die dazugehörigen Übungen sehr sorgfältig aus. Gehen Sie erst zur nächstfolgenden Phase über, wenn Sie auch gefühlsmäßig hinter den Übungen stehen. Damit Sie besser einschätzen können, wo Sie im Augenblick stehen, werde ich Ihnen am Anfang der Kapitel häufig einen kurzen Fragebogen vorlegen. Üben Sie, mit sich geduldig zu sein – so wie Sie wahrscheinlich auch mit Ihrer besten Freundin in solch einer Krisensituation umgehen würden.

Das Tagebuch

Führen Sie für die Zeit Ihres Heilungsprozesses ein Tagebuch, dem Sie täglich oder wöchentlich Ihre Gedanken und Gefühle anvertrauen. Ihm können Sie alles offenbaren, Ihre Klagen wiederholen, ohne sich damit zu beschäftigen, was andere über Sie denken werden, wenn Sie dasselbe zum hundertsten Mal ausdrücken. Es steht Tag und Nacht für Sie zur Verfügung. Nutzen Sie dieses Tagebuch auch dafür, die Übungen, die ich Ihnen vorschlage, einzutragen.

Schriftliche Aufzeichnungen werden Ihnen helfen, sich über Ihre Gedanken und Gefühle bewusstzuwerden. Sie werden auch etwas Ordnung in Ihr Gefühlswirrwarr bringen. Später wird es Ihnen vielleicht auch Freude bereiten, Ihr persönliches Wachstum anhand Ihrer Aufzeichnungen noch einmal nachzuvollziehen. Sie werden dann deutlich erkennen, wie weit Sie sich von Ihrem momentanen Fühlen und Denken entfernt haben. Manche Menschen können später gar nicht mehr verstehen, „wie sie jemals so … fühlen und denken konnten“.

2 Die Macht unserer Gedanken

Ehe wir uns die vier Phasen der Trennungsbewältigung zusammen ausführlicher anschauen und uns an den Aufstieg zum Gipfel machen, möchte ich Ihnen erklären, wie Ihre Gefühle entstehen.

Gerade in einer Trennungssituation bekommen wir den Eindruck, der Partner habe uns in dieses tiefe Unglück gestürzt und uns all unseren Schmerz zugefügt. Wir fühlen uns dem Partner ausgeliefert und denken, nur wenn er zurückkommt, wieder glücklich sein zu können. Oder anders ausgedrückt, glauben wir, nie mehr froh sein zu können, wenn er nicht mehr zurückkommt.

Mit der Erwartung, der Partner mache uns glücklich bis an unser Lebensende, haben wir die Partnerschaft angetreten. Und jetzt stehen wir vor den Scherben der Partnerschaft. Der Partner ist gegangen und wir fühlen uns unglücklich. Ist das nicht logisch und natürlich? Müssen wir da nicht für immer traurig sein?

„Nein, wir müssen nicht für immer und ewig traurig sein – auch wenn wir jetzt in diesem Augenblick den Eindruck haben“, ist meine eindeutige Antwort darauf. Sie haben wahrscheinlich in Ihrem Bekanntenkreis auch schon erlebt, dass Menschen unterschiedlich schnell über einen Verlust hinwegkommen. Es gibt Menschen, die 20 Jahre nach dem Tod des Partners noch genauso viel Schmerz verspüren wie an dessen Todestag. Es gibt aber auch Menschen, die schon nach vier Wochen ihren Schmerz so weit überwunden haben, dass sie sich gelegentlich wieder freuen können. Die Erklärung hierfür liegt nicht darin, dass der Partner verstorben ist. Sie liegt darin, wie stark der Zurückgebliebene ihn gebraucht hat und von ihm abhängig war. Nur, wenn dieser viele Erwartungen und die Einstellung hatte, ihn zu seinem Glück zu brauchen, kommt es zu einer sehr heftigen langandauernden Trauerreaktion oder einem Trennungsschock.

Unsere Gefühle entstehen immer als Folge unserer Gedanken, Wünsche oder Erwartungen. Dass wir überhaupt fühlen, ist unvermeidbar, solange wir leben. Menschen ohne Gefühle sind tot. Über die Art und das Ausmaß unserer Gefühle können wir jedoch bestimmen – und zwar bestimmt jeder einzelne von uns selbst über die Art und die Intensität seiner Gefühle. Ihr Partner kann Ihnen „keine Gefühle machen“, die Sie nicht wollen. Er kann in Ihnen nur die Gefühle auslösen, die Sie zulassen. Einzige Ausnahme davon sind körperliche Gefühle wie Schmerzen durch Schläge.