Frank Elstner

Ich hörte eine
indianische Trommel

Die Ethnologin Frances Densmore als Bewahrerin indianischen Kulturgutes

Essay

Palisander

 

Abbildungen

Alle Abbildungen sind gemeinfrei.

Erstausgabe (eBook-Ausgabe)

© 2015 by Palisander Verlag, Chemnitz

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Covergestaltung: Anja Elstner unter Verwendung der Fotografie »Piegan Indian, Mountain Chief, listening to recording with ethnologist Frances Densmore, 2/​9/​1916.«

Lektorat: Palisander Verlag

Redaktion & Layout: Palisander Verlag

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

ISBN 978-3-957840-20-2 (e-pub)

www.palisander-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

I. »Ich hörte eine indianische Trommel«

II. Die Lieder der alten Lakota

A. Die Entstehung des Werkes

B. Das Werk

C. Bedeutung und Wirkung

Weitere Bücher

Fußnoten

Frances Densmore mit Trommel und Rassel.

I. »Ich hörte eine indianische Trommel«

Mit 26 Jahren war Frances Densmore, geboren im Jahre 1867 in Red Wing, Minnesota, bereits eine hervorragend geschulte Musikerin. Sie hatte in Ohio Musik studiert und ihre musikalischen Fertigkeiten und Kenntnisse an der Harvard-Universität in Boston bei erstrangigen Lehrern vervollkommnet. Sie arbeitete als Musiklehrerin und Organistin und hielt Vorträge über Wagner-Opern.

Abb. 1: Frances Densmore als junge Frau.

Doch im Jahre 1893 erhielt ihr Leben eine neue Ausrichtung. In jenem Jahr erschien ein Buch mit dem Titel »A Study of Omaha Indian Music«, verfasst von der Ethnologin Alice Cunningham Fletcher (1838 - 1923). Fletcher beschrieb darin unter anderem, wie sie auf die Musik der Indianer aufmerksam geworden war:

Abb. 2: Alice C. Fletcher und Chief Joseph (Hinmaton-Yalatkit, 1840 - 1904) auf dem Nez-Percé-Lapwai-Reservat in Idaho, 1889. Links im Bild ist Fletchers Dolmetscher, James Stuart, zu sehen.

Ich erinnere mich gut an meine erste Erfahrung beim Hören indianischer Musik. Obwohl ich es als Studentin gewohnt war, mich zu bemühen, frei von vorgefassten Ideen zu sein und über Vorurteile und Abneigungen erhaben, fiel es mir schwer zu erkennen, was die Leute jenseits des Gelärmes auszudrücken versuchten. Ich glaube, ich kann mit Fug und Recht sagen, dass ich während der ersten drei oder vier Mal, bei denen ich Tänze oder Feste besuchte, wenig oder nichts von indianischer Musik vernommen habe außer einem abwärts verlaufenden Geschrei, das durch die heftig geschlagene Trommel zerrissen und zerfetzt wurde. Das Geräusch war peinigend, und mein Interesse an dieser Musik erwachte erst, als ich bemerkte, dass nur ich allein diese Pein empfand; alle anderen hatten ihr Vergnügen daran (ich war die einzige meiner Rasse, die anwesend war) – offensichtlich gab es etwas, das sich meinen Ohren entzog … Aus diesem Grund begann ich darauf zu lauschen, was hinter dem Lärm lag, genauso, wie man bei einem Phonographen auf die aufgezeichnete Stimme lauscht und dabei das Geräusch der Maschine ignoriert. […] Meine Bemühungen, zu hören, was hinter dem Lärm lag, wurden belohnt. Ich hörte die Musik und fand heraus, dass es in diesen indianischen Liedern etwas gab, das zu studieren und aufzuzeichnen sich lohnte.1

Frances Densmores erste Impressionen von indianischer Musik waren gänzlich anderer Art:

»Wie kam es dazu, dass Sie begonnen haben, indianische Musik zu studieren?« – Diese Frage wurde mir viele Male gestellt. […] Meine Antwort lautete: »Ich hörte eine indianische Trommel, als ich sehr, sehr jung war.« Andere haben die gleiche Trommel gehört, und bald war das Geräusch wieder vergessen, aber ich bin ihm all die Jahre hindurch gefolgt. Unbewusst hat sie mich gerufen, und ich bin ihr gefolgt, von British Columbia zu den Everglades in Florida, über die Prärien und die Gebirge, durch die Wüste – immer rief mich die indianische Trommel. Ich habe sie an sonderbaren Orten vernommen, in der Morgendämmerung und um Mitternacht, mit ihrem geheimnisvollen Dröhnen.

Aber um zu meinem ersten Eindruck von der indianischen Trommel zurückzukehren: Wir lebten in Red Wing, Minnesota, und von unserem Haus aus konnte man über den Mississippi blicken. Gegenüber der Stadt, auf einer Insel, befand sich ein Lager von Sioux-Indianern, und nachts, wenn sie tanzten, konnten wir den Klang der Trommel hören und sahen das Flackern ihrer Lagerfeuer. In der Abenddämmerung lauschte ich diesen Klängen, nachdem ich zu Bett gebracht worden war. Anstatt mich mit Geschichten über Kriegstänze und Skalps zu ängstigen, sagte meine kluge Mutter: »Diese Indianer sind interessante Leute mit Bräuchen, die sich von den unseren unterscheiden, aber sie werden dir nichts tun. Es gibt keinen Grund, Angst vor ihnen zu haben.« So schlief ich ein mit meinem Kopf voller Phantasien über die »interessanten Leute« jenseits des Mississippi.

Am Oberlin-Konservatorium für Musik traf ich »interessante Leute« aus vielen Ländern […]. Die Atmosphäre war kosmopolitisch und eine Vorbereitung auf dreißig Indianerstämme.

[…] Später studierte ich Chopin und Brahms […], spielte Orgel, leitete einen Knabenchor, gab Klavierunterricht und […] hielt Vorträge über Wagner-Opern. Aber unter all dem lag der Ruf der indianischen Trommel, tief und klar.

Auf der Weltausstellung in Chicago 1893 hörte ich Indianer singen, sah sie tanzen und hörte sie schreien, und mir war angst und bange. Aber ich las, was Miss Alice Cunningham Fletcher zu jener Zeit über die Musik der Omaha schrieb und wurde mit John Comfort Filmore bekannt, der ihre phonographischen Aufnahmen transkribierte. Während der nächsten zehn Jahre habe ich meinen aufnahmebereiten Geist mit all dem gefüllt, was Armeeoffiziere über Indianer geschrieben haben, was Historiker über Indianer geschrieben haben sowie mit einigen Veröffentlichungen des Bureau of American Ethnology […]. All dies bereitete mich auf mein Lebenswerk vor.2

Fletchers Forschungen, von denen Densmore bereits ein oder zwei Jahre vor der Buchveröffentlichung erfahren hatte, schienen ihre frühen Kindheitseindrücke wieder wachgerufen zu haben, und so begann sie unverzüglich mit einem intensiven Studium – zunächst theoretischer Natur – indianischer Musik. Fletcher wurde dabei ihre Mentorin. Bereits 1895 hielt Densmore Vorträge über die Musik der Indianer, auf Grundlage von Fletchers Studien. 1904 erlebte sie den berühmten Apache-Häuptling Geronimo (Goyaałé, 1829 - 1909) auf der Weltausstellung in Saint Louis. Dieses im Folgenden von ihr beschriebene Erlebnis lässt bereits das Geheimnis ihres späteren Erfolgs erahnen