cover

Stephanie Mold

Ich bin wie Zucker

Jung und blond in Istanbul

 

 

 

Copyright © 2015 Der Drehbuchverlag / edition a, Wien 

2. Auflage, 14. Februar 2016 

Alle Rechte vorbehalten 

eBook: Ich bin wie Zucker - Jung und blond in Istanbul 

ISBN: 978-3-99041-805-5 

Efe

 

„Wie heiße ich?“, fragt eine Stimme neben mir.

   „Ich weiß es nicht mehr“, antworte ich ehrlich.

   „Efe heiße ich“, sagt die Stimme.

   Ich stütze mich auf beide Ellbogen, schaue mir zuerst Efe, dann das Zimmer an. Nach vier Monaten ich bin wieder in Istanbul.

   Weder Efe noch sein Zimmer wirken allzu  ansprechend. Efes Aussehen lässt sich irgendwo zwischen Marjorie, der allwissenden Müllhalde aus Fraggles, und Jesus einordnen.

   Und das Zimmer: Dieses Zimmer schlägt alles, was ich bisher in Istanbul gesehen habe.

   Auf der Wand befindet sich ein riesiger Schimmelfleck, es gibt kein Fenster sondern ein notdürftig mit Luftpolsterfolie abgedichtetes Loch, durch das Tageslicht hereinsickert.

   Der Schlafplatz, eine Matratze auf dem Boden, ist feucht und kalt. Ich hätte gestern Nacht mit dem Dolmus fahren können, einer Art Sammeltaxi in Form eines Kleinbusses, das auf Zuruf hält. Aber das Dolmus war mir noch nicht ganz geheuer.

   „Efe, wie haben wir uns eigentlich kennengelernt?“, will ich verwirrt wissen.

   „Mein Freund Serkan hat im Peyote zu mir gesagt: Schau Efe, da ist ein Mädchen für dich. Da

   habe ich dich gefragt: Bist du Deutsche? Und du hast geantwortet: Nein. Dann habe ich gefragt: Sprichst du Deutsch? Und du hast gesagt: Ja. Und dann habe ich gefragt: Willst du mitkommen? Und du hast gemeint: Ja.“

   Wie kannst du bloß ein Mädchen in so eine Drecksbude mitnehmen? Und wie um alles in der Welt konnte ich mit so einem Höhlenmenschen mitgehen?

   „Efe, wie kannst du nur so leben?“, frage ich.

   „Also, ich mag es hier“, antwortet Efe, „du magst es nicht?“

   „Nein, wie du lebst ist schlecht für die Gesundheit.“

   „In der Nacht bin ich aufgewacht, von einem Geräusch“, meint Efe. „Ich dachte mir, da wäre ein Dieb. Aber dann fragte ich mich: Wer will denn hier einbrechen? Da bin ich wieder eingeschlafen. Das ist gut, nicht wahr?“

   „Hm.“

   „Weißt du, ich bin nicht ehrgeizig“, stellt Efe fest und gähnt.

   Die Müllhalde hat gesprochen. Nicht ehrgeizig zu sein ist in Efes Fall durchaus positiv zu werten. Deshalb habe ich wahrscheinlich noch immer meine und er hat seine Kleider an.

   „Efe, warum kannst du so gut Deutsch?“

   „Ich studiere Technische Physik auf Deutsch. Ich hatte gute Noten beim Abitur, deshalb wurde ich dafür eingeteilt. Bei uns läuft es so. Mir war es egal. Und was machst du hier?“

   „Ich war auf Erasmus und bin wiedergekommen. Ich studiere Kunst.“

   „Warum bist du wiedergekommen?“

   Ja, warum eigentlich? Weil mir Nicola ein Zimmer in einem Viertel angeboten hat, das ich mag. Weil ich von der Linzer Kunstuni Geld für vier weitere Monate bekommen habe. Weil ich nach meinem ersten unbefriedigenden Aufenthalt in Istanbul nicht aufgeben wollte. Weil ich jetzt so etwas wie einen Plan habe.

   „Was ist Erasmus?“, fragt Efe.

   „Da kannst du für ein Semester oder zwei mit Geld von der EU in einem anderen Land studieren. Die Türken dürfen damit auch nach Europa, frag mal nach.“

   Efe gähnt.

   „Kommst du ursprünglich aus Istanbul?“, will ich wissen.

   „Ja, ich bin hier aufgewachsen. Mein Vater ist Georgier, mit dem habe ich keinen Kontakt mehr, und meine Mutter ist tot. Uteruskrebs. Ich werde bestimmt auch mal daran sterben, viele in meiner Familie sind schon daran gestorben.“

   „Aber du hast doch gar keinen Uterus“, murmle ich und kuschle mich an Efe auf der schimmeligen Matratze. Der Wärme wegen.

 

Efe muss arbeiten. Um zehn Uhr vormittags beginnt er seinen Dienst in einer Bar, die dem ausgehungerten Partyvolk Frühstück serviert. Wir gehen die abenteuerliche Treppe des schiefen Hauses hinunter.

   „Du kannst mich gerne besuchen, die Bar heißt Gece und liegt in Tünel, ganz in der Nähe von hier“, meint er.

   Sicher nicht, denke ich, während ich lächle. „Mal sehen, Efe“, sage ich.

 

Ich wohne mit Nicola über einer Garage, drüben, auf der asiatischen Seite. Mein neues Stipendium ist Recherchezwecken gewidmet. Ich müsste eigentlich nichts Großartiges liefern, nur einen Bericht. Aber ich habe mehr vor. Ich plane eine Arbeit, mit der ich Istanbul durchleuchten will. Romantische Konzeptkunst, nur das Konzept habe ich noch nicht wirklich.

   Neben einer Moschee gibt es in dem Viertel auch eine armenische und eine griechisch-orthodoxe Kirche sowie eine Synagoge. Die meisten Menschen hier sind aufgeschlossen und gebildet. Sie trotzen den Touristenströmen. In diesem Stadtteil gibt es keine Hotels, er ist nicht in Reiseführern eingetragen. Nur fünf Bus-Minuten weiter reiht sich ein Fischrestaurant ans nächste, aber bei uns habe ich meine heilige Ruhe. Dieser Ort tut mir gut, ich fühle mich nicht wie eine blöde blonde Ausländerin.

   Unausgeschlafen wanke ich die Allee entlang. Der Oktober hat die Blätter bunt gefärbt. Ich kenne schon ein paar Menschen hier. Der Mann, der das Telefon beim Taxistand bewacht, hat mich vor kurzem auf Deutsch angesprochen. Er habe einmal in Hamburg gelebt. Jetzt grüßt er mich immer freundlich und besonders laut auf Deutsch, damit die anderen mitbekommen, wie international er ist.

   Dann gibt es noch einen Antiquitätenhändler, Herrn Kamil. Er hat einen langen Bart und ist fett. Ich trinke oft mit ihm Tee in seinem Laden. Der Laden gleicht einer Kapelle mit seinen kostbaren Wandbehängen, den alten Schwarzweißfotos und dem kunstvoll verzierter Vogelkäfig mit dem Wellensittich darin. Besucher kommen und gehen, während Herr Kamil immerzu Tee kocht.

   Herr Kamil sieht aus, wie man sich Gott vorstellt, wenn man wenig Vorstellungskraft besitzt: Ein alter Mann mit langem Bart und geheimnisvoller Aura. Schlechte Zähne hat Herr Kamil. Keine Ahnung, ob Gott schlechte Zähne hat. Mit wenig Fantasie kann man sich Gott mit schlechten Zähnen vorstellen, mit viel Fantasie kann man sich Gott gar nicht vorstellen.

   Am Nachmittag werde ich in Kamils Haus gehen, in das Gotteshaus sozusagen, um mit dem Chor des Viertels türkische Volkslieder zu singen. Herr Kamil hat mich freundlich dazu eingeladen, in Istanbul wurde ich zuvor selten freundlich zu etwas eingeladen, deshalb werde ich hingehen.

   „Steffi, wo warst du denn?“, fragt Nicola. „Ich habe mir Sorgen gemacht. Ist alles in Ordnung?“ Er streichelt eine seiner Katzen.

   „Ich war bei einem Typen, nichts passiert, nur übernachten. Ich wollte, dass er mich zum Dolmus begleitet, da schlug er vor, dass ich bei ihm schlafe.“

   Schemenhaft kehrt die Erinnerung an die vergangene Nacht zurück. „Ich sagte klipp und klar, dass ich nur bei ihm schlafe, ohne Sex, er akzeptierte es.“

   „Und es ist wirklich gar nichts passiert?“

   „Er hat ein bisschen gefummelt, aber in der Früh hat er sich entschuldigt, es war ihm peinlich.“

   Nicola befummelt seine Katze. Ich hätte Efes Wohnung fotografieren sollen, denke ich. „Ich dachte immer, dass wir hier eher schlecht wohnen, aber bei dem war es wirklich an der Schmerzgrenze“, erzähle ich. „Wenigstens hatte er keine Katzen, es roch nicht so übel wie bei uns.“

   Ich hasse Nicolas Katzen. Es sind ehemalige Straßenkatzen. Der Kater ist so groß wie ein kleiner Tiger, dementsprechend üppig sind seine Exkremente. Die Katze ist seine Schwester, aber er bespringt sie trotzdem. Sie ist etwas zurückgeblieben und langsam, deshalb entkommt sie ihm nie. Arme Katze. Ständig diese Hausvergewaltigungen.

   „Steffi, du solltest öfter solche Nächte verbringen, das täte dir gut“, meint Nicola, während er die erschöpfte Katze kämmt.

   Ich stelle mich unter die Dusche. In Linz war duschen selbstverständlich. Auch mitten in der Nacht, wenn ich vom Kellnern in der Rockerbar Aquarium heimkam, gab es jede Menge warmes Wasser.

   Hier ist das Wasser kalt und am Schlauch fehlt der Brausekopf. Man duscht zwischen dem Menschen- und dem Katzenklo. Aber im Gegensatz zu den Katzen haben wir wenigstens einen Abfluss. Vor kurzem habe ich auch ein Fitnesscenter gefunden, wo es Warmwasserduschen gibt.

 

Zwischen mehrstöckigen Holz- und Backsteinhäusern steige ich die Treppen zu Kamils Haus hinauf. Verfallene Gebäude mit dem Charme der Jahrhundertwende stehen neben neu renovierten Häusern, dazwischen lehnen die Baracken von Zigeunern. Dörfliches Lebensgefühl wechselt sich blitzschnell mit Großstädtischem ab. In Kamils Haus ist alles aus Holz, der Boden, die Wände, die Treppen. Durch die Fenster fällt der  Blick auf die hängende Bosporusbrücke, die mich immer ein bisschen an die Golden Gate Bridge erinnert. Fatma und Hakan sind da, beide kenne ich aus Kamils Laden.

   Fatma ist islamische Religionslehrerin am österreichischen Gymnasium, sie hat viele wirre Haare und wirkt manchmal auch geistig verwirrt. Hakan ist der schmalzige Dorfplayboy, er spielt die Ud, ein Seiteninstrument. Dabei grinst er manchmal Fatma an, die immer hochrot wird, und manchmal auch mich.

   Bilge, die Chorleiterin begrüßt mich herzlich und nennt mich Canim, Seelchen. Bilge hält sich für eine gute Sängerin, schließlich war sie am Konservatorium. In Wirklichkeit singt sie wie eine eingesperrte Katze, den Chor leitet sie dominant wie eine Gefängnisdirektorin.

   Ich sitze neben dem alten Herrn Hamdi, weil der Deutsch kann und eifrig Liedertexte für mich übersetzt. Wir singen, dass der Wind dich vermisst, der Strand auch und sogar der Regen vermisst dich. Welche Inbrunst, welche Sehnsucht, denke ich, und schaue auf den Bosporus und zu der Brücke, die den europäischen mit dem asiatischen Teil verbindet. Alles glitzert. Im Sonnenlicht funkeln die Autos darauf wie kleine Diamanten. Die Schiffe ziehen am blauen Meer dahin.

   Bei meinem ersten Anlauf zur Eroberung Istanbuls war jeder Sonntag ein Horror. Ich kannte niemanden und war depressiv. Jetzt werde ich vielleicht jeden Sonntag diese Familie hier haben, denke ich. Essen gibt es nach dem Singen auch. Istanbul, werden wir noch richtige Freunde, du und ich?

 

Es ist Samstag. Ich bin mit Nicola und seiner neuen portugiesischen Flamme Nana in einer Bar in Beyoglu, dem eigentlichen Zentrum Istanbuls auf der europäischen Seite. In den engen Seitengassen der Flaniermeile Istiklalstraße reiht sich eine Bar an die andere. Ich mag Nana nicht, sie ist ein alternatives Pseudo-Hippie-Gör. Dreadlocks, Flohmarktkleidung und nichts im Kopf, nur Saufen und Männer. Die will weder die Welt noch sich selbst retten.

   Dennoch bin ich froh, dass Nicola ein Mädchen hat. Er hat so viel Liebe in sich und wird sie leider selten los, außer bei seinen belämmerten Katzen. Ich mag es nicht, wenn er mir beim Gehen die Hand auf die Schulter legt und meint: „Du bist mein Seker, mein Zucker.“ Jetzt hat er dafür Nana, Gott sei Dank. Ich eigne mich nicht als Zucker. Ich bin nicht süß. Ich finde mich meistens zu grob.

   Nana und Nicola sehen sich ähnlich, beide haben viele Haare, sind spindeldürr und frei von gutem Geschmack. Wenn sie betrunken sind, singen sie Manu Chao. Nana wirbelt dann in ihren langen Altkleidersammlungsröcken herum, flirtet mit Kellnern, und Nicola kränkt sich.

   Nana liebt ihn nicht so wie er sie. Sie ist Erasmus-Frischfleisch und würde es alleine in Istanbul nicht schaffen. Vor mir fürchtet sie sich, weil ich sie durchschaue.

   „Nicola, ich gehe ins Peyote“, sage ich zu ihm als der Alkohol zu wirken beginnt. Ich habe keine Lust auf dieses unehrliche Pärchengetue.

   Das Peyote ist eine dunkle Bar mit guter alternativer Musik. Eine Blondine, die nicht flirten kann, braucht dort nicht mehr zu tun als einfach vorhanden zu sein. Binnen drei Minuten werde ich immer angesprochen.

   Baris, der Punkmusiker mit einem Faible für bunte Polyesterhemden ist da. Er macht sich immer lustig über mich. Ich mag es, wenn mich Männer aufziehen, nur sollten sie wissen, wann es genug ist. Baris weiß es manchmal nicht.

   Ich entdecke Efe, die Müllhalde. Er sieht mich mit traurigen Augen an. „Ich habe im Gece auf dich gewartet und du bist nicht gekommen.“

   Hundeblick. Meint der das ernst? Ich schiele zu dem verwegenen Baris hinüber. Efe ist jedenfalls weniger gefährlich, finde ich.

   Schon wieder habe ich bei Efe geschlafen, und wieder ist nichts passiert. Ich fange an, ihn zu mögen. Ich mag seine Haare, sie sind dicht und schokoladebraun. Ich mag sein Gesicht, er hatüberraschenderweise schöne Zähne. Er stinkt nicht mal.

   Efe steht auf. Er fragt mich etwas auf Türkisch.

   „Ne?“, frage ich.

   „Steffi, sag nicht ne, ne ist unhöflich. Sag efendim wenn du etwas nicht verstehst, efendim.“

   Ich mag seine Stimme, sie ist tief und sonor, und wenn er Deutsch spricht, tut er es überlegt und langsam, wie ein Prediger. „Wiederhole“, befiehlt er. „Efendim.“

   „Efendim“, sage ich.

   „Genau. Efendim.“

   Er hat in seinem Hemd geschlafen und wechselt es jetzt. Ich hatte ihn für etwas korpulent gehalten, aber in Wirklichkeit sind das Muskeln. Er bemerkt meinen Blick. „Mein Vater ist wie ein Bär. Ich mache keinen Sport, ich bin eben so.“

   „Ich gehe jetzt manchmal ins Fitnesscenter“, erwidere ich.

   „Du solltest lieber schwimmen gehen.“

   Spielt er auf meine Figur an? Der sollte froh sein, dass er irgendeine abkriegt, die freiwillig in so eine Höhle mitkommt. Auch egal, dem brauche ich ja nicht zu gefallen.

   Vor seinem schiefen Haus sieht er mich fragend an. Will er meine Nummer? Will er, dass ich ihn in seiner Bar besuchen komme? Ich schweige und lächle. Ich will wieder Oberhand haben, Kontrolle und Rache wegen der Schwimmsache. „Tschüss Efe“, sage ich.

   Ich fühle mich überlegen.

   Er lächelt. „Tschüss.“

 

Es ist Sonntag und ich gehe wieder singen. Sie haben einen Gast aus Deutschland. Er spazierte

   herum und landete in Herrn Kamils Laden. Der lud ihn zum Chor ein. So sind sie hier. Zum Glück gibt es in dem Viertel so wenige Touristen, sonst wäre bald die ganze Bude voll.

   Der Deutsche ist arrogant, erzählt, dass seine Tochter etwas Tolles in England studiert. Klavier oder so.

   Er spiele selbst gut Klavier, sagt er, aber er würde auch gerne die Ud lernen, die berühre sein Herz. Aber er wäre Perfektionist und er würde die Ud niemals so beherrschen wie er das Klavier beherrsche.

   Ipek, die schon länger im Chor singt, hört zu und grinst. Sie ist fünfundvierzig und sieht aus wie eine alternde Hollywoodschauspielerin. „Das erste, was du beherrschen solltest, ist dein Ego“, sagt sie zu dem Deutschen.

   Ich lache mir ins Fäustchen. Ipek gefällt mir.

 

Ich denke immer öfter an Efe. Es war schön mit ihm in der muffigen Höhle. Ich fühle mich wohl mit ihm, ich mag seinen Körper, ich mag seine ruhige Art. Soll ich ihn im Gece besuchen? Einfach so, es ausprobieren? Und die Wohnung: Statt ein Foto von ihr zu machen und ihn damit zu provozieren und vorzuführen, könnte ich sie nachbauen, denke ich. In einer Box, mit ihm aus Plastilin darin und Möbel aus Karton und Flohmarktplunder.

   „Nicola, lass uns heute ausgehen“, schlage ich vor. Ich denke an das Gece, wo Efe arbeitet. „Nehmen wir Doruk auch mit“, sage ich.

   Doruk ist unser Freund. Er war mit einer slowenischen Erasmusstudentin zusammen und glaubt, es immer noch zu sein, aber so viel ich weiß, hat sie schon einen Neuen in Slowenien. Nicola und ich meiden dieses Thema in seiner Gegenwart.

   Doruk spricht perfekt Englisch und ist der einzige Türke, mit dem ich Bier trinken kann, ohne dass er mich anbaggert. Er gibt sich gern mitteleuropäisch, obwohl er noch nie in Mitteleuropa war. Er mag mich, er sagt immer, dass er auf Blondies stünde. Ich bin ein Blondie.

   Doruk kennt das Gece. Er weiß, dass ich wegen Efe hin will, und das gefällt ihm offenbar nicht.

   Das Lokal liegt auch in Beyoglu. Es scheint relativ bekannt zu sein, Nicola kennt es auch.

   Wir nehmen zu dritt die Fähre von der Station Üsküdar auf der asiatischen Seite nach Karaköy.

   Doruk raucht an der Reling. Wir betrachten die von tausend Lichtern funkelnde Bosporusbrücke und blicken über das schwarze Wasser hinüber nach Beyoglu. Wenn ich nachts in den europäischen Teil fahre, werde ich immer euphorisch, es ist, als könnte ich das Pulsieren von Beyoglu schon spüren. „Ich liebe diese Scheiß-Stadt, auch wenn ich immer von der EU träume“, meint Doruk. Ich nicke.

   Ausländer kennen das Gece offensichtlich auch, sie mögen Bars mit großen Fenstern, durch die sie von außen hineinsehen können. Da trauen sie sich dann.

   Efes Sehnsucht nach mir scheint kleiner gewesen zu sein, als er mir vorgegaukelt hatte. Er wirkt verwirrt als ich mit den beiden Männern das Lokal betrete. Er bedient uns, blickt mich dabei aber nicht an und greift sich in seinen braunen Haarschopf.

   Weder Nicola noch Doruk finden Efe sonderlich attraktiv. Wir betrinken uns, ich sitze neben Doruk. Vielleicht sollte ich mir Doruk angeln, denke ich. Er ist groß, stattlich, hat rötliche Haare und helle Haut, seine Großmutter stammt aus Mazedonien. Er ist wunderbar sarkastisch, ich finde ihn anziehend.

   Sarkasmus findet man hier selten. Die meisten Türken haben einen harmlosen Humor, einen Kicherhumor, der nicht verletzt. Doruk aber, der kann verletzend werden, mit dem kann man sich so richtig streiten. Aber mit ihm würde es mit der Zeit zu ernsthaft werden, er würde zu mir nach Europa wollen.

   Doruk und Nicola haben genug vom Gece. Ich will heute nicht alleine schlafen, die Perspektive, in Efes Holzfällerarmen zu nächtigen ist zu verlockend. „Efe, kann ich heute bei dir schlafen?“, frage ich ihn direkt als wir zahlen.

   Er ist etwas konsterniert, dann meint er: „Wenn du willst.“

   Nach Sperrstunde machen wir mit anderen Kellnern und einer fetten Spanierin die Nacht zum Tag. Efe hält immer Abstand zu mir. Anscheinend sollen die anderen nicht merken, dass zwischen uns etwas läuft. Ich sehe großzügig darüber hinweg. Einfach nur in seinen Armen schlafen, der Rest kümmert mich nicht.

   Zuerst gehen wir ins Peyote. An Wochentagen ist weniger Publikum da. Auf den Kellner hatte ich einmal ein Auge geworfen. Heute drückt er mir einfach so, als Efe gerade nicht in Sicht ist, ein Zettelchen in die Hand. Darauf steht: Mahir, beni ara - ruf mich an. Sein Name und seine Nummer.

   Wow.

   „Der Kellner hat mir gerade seine Nummer auf einen Zettel geschrieben“, sage ich stolz zu Efe, als er zurückkommt.

   „Dann ruf ihn doch an.“

   „Ich habe keinen Grund dafür“, meine ich lächelnd.

   Er erwidert mein Lächeln nicht. Wir ziehen weiter in eine Kellerdisko, die wie eine Höhle eingerichtet ist. Ich bin zumeist alleine in dieser Gruselgrotte, denn Efe meidet mich. Sie spielen Musik aus den Achtzigern, Michael Jacksons Billy Jean und solche Sachen.

   Ich werde ständig angesprochen. Ein Typ streichelt meine Haare und ich hoffe, dass es Efe sieht. „Lass uns gehen“, sagt er als ich noch einmal angebaggert werde.

   Einer seiner Freunde und die Spanierin kommen auch mit. Efe hat eine Terrasse auf dem schiefen Haus, eine schiefe Terrasse. Der Ausblick ist dennoch beeindruckend. Ich wünsche mir, dass mich Efe hält, aber er tut nichts dergleichen.

   Die Spanierin quatscht die ganze Zeit auf türkisch. Tussi, denke ich, ich kann besser Türkisch als du. „Efe, ich lege mich schon mal ins Bett“, sage ich und gehe schlafen.

 

„Efe, musst du heute arbeiten?“, frage ich ihn am nächsten Tag.

   „Nein“, gähnt Efe.

   Es ist auch dieses Mal nichts passiert.

   „Willst du zu mir kommen? Auf die asiatische Seite? Dort ist es sehr schön.“

   Efe sieht mich mit seinen braunen Augen schockiert an und zieht seinen Arm unter meiner Schulter weg. „Nein, ich muss lernen.“

   „Lernen? Ich dachte, du bist nicht ehrgeizig?“

   „Manchmal muss sogar ich lernen.“

   „Na, dann gehe ich mal“, meine ich leichthin.

   Diesmal blickt mich Efe nicht bittend an, so wie er es nach unseren bisherigen Nächten tat.

   Anscheinend will er meine Nummer nicht mehr.

   Vielleicht sollte ich wirklich den Oberkellner vom Peyote anrufen. Dann könnte ich zuerst Efes Wohnung in einer Box nachbauen und dann die des Kellners. Und anschließend die von allen möglichen anderen Typen.

 

Die Garage, über der ich wohne, hat ein schweinchenrosa Tor. Nicola wohnt auf der anderen Seite des Ganges. Mein Kämmerchen ähnelt einem Puppenhaus, weil Ramazan, der Hausbesitzer, einen bizarren Geschmack hat. Die Wände sind pink, der Boden ist ein Parkett-Imitat aus Plastik. Das Zimmer ist kaum zwei Meter hoch, die Fenster reichen bis zum Boden.

   Ich habe sogar ein eigenes Klo, es befindet sich unter der Treppe zum nächsten Stock, hinter einem Wandvorsprung. Ich besitze eine Steckdose und einen kleinen Gasofen. Mit Efe wäre es sogar ein bisschen romantisch, dieses rosa Loch, aber der will mich ja nicht besuchen.

   Die Tage werden schon wieder kühl. Ich sitze neben dem Ofen und betrachte die Nachricht von Mahir, dem Oberkellner. Soll ich? Er scheint jedenfalls ein wichtigerer Kellner als Efe zu sein, und hübscher ist er auch. Ich würde mich gewissermaßen hochschlafen. Obwohl ich mit Efe noch gar nicht geschlafen habe.

   Ich besticke den Zettel. Zuerst sticke ich Mahirs Namen nach. Dann sticke ich kleine Spinnen mit schwarzen Glitzersteinen als Hintern dazu. Und dann lotusähnliche Blumen. Ich sticke zwei Stunden und denke darüber nach, ob ich Mahir anrufen soll.

   Ich traue mich nicht, stelle ich am Schluss fest. Aber das mit den Boxen könnte ich wirklich machen, überlege ich. Lauter Wohnungen mit Plastilintypen darin.

 

Der nächste Samstagabend im Peyote. Ich habe zu Hause schon etwas vor getrunken. Damit es nicht so teuer wird, und weil ich gern allein trinke.

   Der Club ist gerammelt voll. Mahir schiebt sich an mir vorbei, ich stecke ihm seinen jetzt verzierten Zettel zu. Er nimmt ihn unauffällig und geht weiter.

   Ich lasse es darauf ankommen. Vermutlich wird er denken, dass ich nicht ganz dicht bin. Meine Vorstellungen von Romantik sind wohl etwa so bizarr wie Ramazans Geschmack.

   Während ich noch auf eine Reaktion warte, kommt Efe. „Wir brauchen keine Nummern auszutauschen, wir sehen uns auch so immer“, stellt er fest.

   Ich strahle ihn an. Dann wird mir schlecht und ich gehe kotzen. Später, als ich Mahir längst vergessen habe, zieht mich Efe aus dem Club und zahlt das Taxi.

   Wieder schlafen wir umarmt ein, wobei ich ihn mehr umarme als er mich.

   „Efe“, sage ich am Morgen und streife ihm dabei die Haare aus dem Gesicht. Mittlerweile gefällt mir sein Gesicht sehr gut und seine Haare habe ich sowieso schon immer gemocht.

   „Ja?“

   „Eigentlich könnten wir ja auch mal miteinander Sex haben.“

   Er sieht mich entgeistert an.

   „Ich hatte schon so lange keinen Sex mehr, aber mit dir könnte ich es mir vorstellen“, sage ich.

   „Wie lange hattest du keinen Sex mehr?“

   „Hmm, vier Jahre, vielleicht fünf.“

   „Was?!“

   Jetzt ist er richtig schockiert. Nach einer Schweigepause fragt er: „Gibt es denn in Österreich keine guten Männer?“

   „Naja, da gab es mal jemanden aus New York, aber der hatte eine Freundin und ich war zu moralisch. Aber er hätte schon mit mir geschlafen, glaube ich. Dann wollte mich ein Holländer verführen, aber ich hatte das Gefühl, als würden sich zwei Schallplatten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit drehen, er war schon ganz woanders, bei einem anderen Lied. Und dann war da noch ein Österreicher, aber der hat schon die halbe Stadt flach gelegt. Wenn du dir dann denkst, der war schon in Monika und in Doris, und jetzt ist er in dir … Das fand ich eklig.“

   „Hmm. Du bist komisch.“

   Mehr fällt Efe nicht dazu ein.

   „Lass uns aufstehen, ich muss um zehn im Gece sein“, ist seine nächste Bemerkung.

   „Steffi, kann ich deine E-Mail-Adresse haben?“, fragt er dann noch.

   Ich nenne sie ihm. Er schreibt sie nicht auf.

   „Warum schreibst du sie nicht auf?“, frage ich.

   „Ich merke sie mir“, behauptet Efe. Wir stehen vor dem Schmuddelhaus, das ich inzwischen kuschelig finde. Ich fühle mich nicht mehr überlegen.

  „Tschüss Efe.“

   „Tschüss Steffi.“

 

Ich bin auf der Bilgi-Universtät und checke meine E-Mails. Freunde haben ihre Kontakte spielen lassen, und ich kann hier gratis einen Erasmus-Türkischkurs belegen. Die Bilgi ist im Unterschied zur staatlichen Mimar Sinan, an der ich Erasmus war, privat. Es gibt für Studenten ein eigenes Shuttle-Service mit Kleinbussen vom Taksimplatz aus. Inmitten der Zigeunergegend Dolapdere wurde für die Bilgi ein altes Fabrikgebäude umgebaut. Ein Acker grenzt daran, Zigeunerhühner laufen herum. Der Kurs ist das einzige, womit ich mich in Istanbul beschäftige.

   Efe hat mir geschrieben. Er könne nicht mit mir schlafen. Es täte ihm leid. Er will mich treffen und mit mir reden, um mir die Frage zu beantworten, die ich ihm nicht gestellt habe.

   Welche Frage habe ich ihm nicht gestellt? Warum tut der denn auf einmal so kryptisch?

   Ich antworte freundlich, dass ich kein Problem damit habe. Dass es dabei nicht um ihn geht, sondern dass ich mich entschlossen habe, wieder Sex zu haben, wenn nicht mit ihm, dann mit jemand anderem. Seit ich regelmäßig trainiere, fühle ich mich etwas wohler in meiner Haut. Ich habe sogar begonnen, mich ein bisschen zu mögen.

   Scheiße, warum habe ich mir nicht Mahir gekrallt, denke ich missmutig. Mit meiner Zettel-Aktion habe ich mir diese Option vermutlich ganz verbaut. Dann schreibe ich noch milde: Wenn wir uns wieder zufällig treffen sollten und ich keinen Schlafplatz habe, hoffe ich dennoch, dass ich bei dir übernachten darf. Ich esse in der Kantine. Fleisch. Und überlege, was ich Efe denn bitteschön hätte fragen sollen.

   Später checke ich meine Mails abermals. Efe hat bereits geantwortet. Das Problem wäre, dass er eine Freundin habe. Die Beziehung liefe schlecht. Er fände es so besonders mit mir, schreibt er noch.