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Inhaltsverzeichnis

Widmung
Vorwort - So wie ein Bach ...
Erstes Kapitel
Was willst du mit deinem Leben anfangen? - Leben an der Grenze
Zweites Kapitel
Ein Wanderzirkus Gottes - Anfänge meiner Berufstätigkeit. Aktion Missio
Drittes Kapitel
Kinder der Traurigkeit - Familienschicksal und Engagement gegen die Apartheid
Viertes Kapitel
Am Anfang war das Lied - Kindheits- und Jugend-Erfahrungen. Aufbruch in die Ökumene
Fünftes Kapitel
Von der Mühe und dem Glück, ein neuer Mensch zu werden - Direktorin der Frauenabteilung beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf
Sechstes Kapitel
Brot und Wein - Abendmahl zu feiern ...
Siebtes Kapitel
»Das mit den Männern und den Frauen ...« - Feminismus. Sheffield-Konferenz 1981. Blick ins andere Deutschland
Achtes Kapitel
That’s New York - Ökumenisches Lernen in einer globalen Stadt
Neuntes Kapitel
Leben in seiner Fülle - Die Sechste Vollversammlung des Weltkirchenrates (ÖRK) in Vancouver 1983
Zehntes Kapitel
Brot und Rosen und Strukturen - Frauenpolitik. Dekade der Kirchen in Solidarität mit den Frauen
Elftes Kapitel
Der Mensch ist die Medizin des Menschen - Karibische Jahre. Arbeit am Theologischen College. Wesley Women’s Drama Group
Zwölftes Kapitel
Fremd zieh ich wieder ein ... - Pfarrerin in einer Ortsgemeinde in Deutschland
Dreizehntes Kapitel
Im Palmengarten - Frankfurt am Main und die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK)
Vierzehntes Kapitel
Ich hebe meine Augen auf zu den Wolken ... - Bischöfin in der Nordelbischen Kirche
Fünfzehntes Kapitel
Anstiftungen - Das Wachsen der Nordkirche
Sechzehntes Kapitel
»Frag doch die Tiere ...« - Ruhestand und Entdeckung der Theologischen Zoologie
Zuletzt (Anhang)
Predigen als Beruf. Drei Predigten
Die Macht Gottes - Predigt zu Psalm 8
Die Augen Gottes - Predigt zur Losung der 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2013
O when the saints ... - Predigt über »Über das Weltgericht« Matthäus 25,31-46
Kurzbiographie
Verwendete Literatur
Eigene Publikationen
Quellen- und Bildnachweis
Copyright

Zuletzt (Anhang)

Predigen als Beruf Drei Predigten

Die Macht Gottes

Predigt zu Psalm 8

 

In den Psalmen stellen die Betenden große Menschheitsfragen: Was ist der Mensch? So hört es sich in modernem Sprachgewand an: 16

Du, unser Gott,
wie wunderbar auf der Erde ist dein Name.
Dein Glanz über den Himmeln wird besungen.

 

Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen hast du eine
Macht geschaffen gegen alle, die dich bedrängen, auf dass
Feindschaft und Rache verstummen.
Wenn ich die Himmel sehe, deiner Finger Werk,
den Mond und die Sterne, die du bereitet hast,

 

was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst
und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?

Ließest ihm ein Geringes nur mangeln,
göttlich zu sein,
kröntest ihn mit Ehre und Glanz,
hießest ihn walten der Werke deiner Hände.
Alles setztest du ihm zu Füßen,
Schafe und Rinder allesamt
Und auch das Getier des Feldes,
den Vogel des Himmels
und die Fische des Meeres,
was die Pfade der Meere durchwandert.

 

Du wunderbarer Gott. Dein Name ist ICH BIN DA.
fürwahr DU BIST DA auf der ganzen Erde.

Da staunt jemand. Und öffnet seine Seele dem Wunder des Universums. An jedem Teil der geschaffenen Welt ist Gottes Gegenwart, Gottes Schönheit und Glanz zu erkennen.

Nicht nur die Größe Gottes, nein, Gottes ganzes Wesen.

In der Zeit, als Menschen den achten Psalm zu singen begannen, waren in der Menschheitsgeschichte aus Hirten Bauern geworden, die Tiere zur Feldarbeit zähmten. Sie sprachen von Gott in der Sprache ihrer Lebenswelt. »Der Herr ist mein Hirte.« Bildliche Wendungen, Metaphern. Nur in Bildern ihrer Welt können Menschen ihre Erfahrungen und Einsichten über Gott mitteilen. Niemand hat Gott je gesehen.

Es war eine patriarchalische Kultur. Das Männliche war der höchste Wert. Jeder Gedanke über Gott formt sich an diesem höchsten Wert. So dachten die Menschen an Gott als ein männliches Wesen. Sie redeten von Gott wie von einem menschlichen, mächtigen Herrscher. Von Heerscharen, Befehlsgewalt und Gehorsam. Es wurde daraus ein allmächtiger, allgegenwärtiger, allwissender Gott. »Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen«, übersetzt Luther den Anfang des achten Psalms.

Die Rede von »Gott, der alles so herrlich regieret« ist für viele Menschen eine der schönsten Lobpreisungen Gottes. Vielen Menschen des 20. Jahrhunderts ist sie aber nach den Erfahrungen des Holocaust/der Shoah im Halse stecken geblieben. Warum? Diesem Bild fehlt ganz und gar das Wissen um Gottes Leiden und Gottes Mitleidenschaft. Es liegt ein Schatten auf diesem Bild. Wie viel Missbrauch und Unrecht hat dieses »Herrscherbild« Gottes ermöglicht. Es fehlt ihm, was Jesus uns von Gott gezeigt hat, die ganz andere Art der Macht, die Macht der gewaltlosen Liebe.

So begannen die Menschen, die sich als Statthalter Gottes verstehen, herzhaft zu herrschen. Sie haben Herrschen als Beherrschen missverstanden. Die Verantwortung war abhandengekommen. Sie haben die Tiere niedergezwungen zur Feldarbeit. Und sie schmiedeten Waffen und unterwarfen Völker. Sie beherrschten. Die Menschen berufen sich heute noch immer auf das Beherrschen der Natur, obwohl die ökologischen Nöte, die Ausrottung zahlloser Tierarten, das Auftauen der Permafrostböden und die Zerstörung lebenswichtiger ökologischer Räume immer größer wird. »Untertan-machen« übersetzte Luther (1 Mose 1,28), »dominium terrae« nennt es Descartes. Und seither ist die Beherrschung der Erde immer weiter ausgedehnt worden und – sie wird immer brutaler und totaler: bei der Embryonenforschung, beim Klonen, bei der Genmanipulation.

Diese Herrschaft hat die Ehrfurcht außer Kraft gesetzt. Es ist schwer, das uns so vertraute Bild von Gott, dem Herrscher und HERRN in Frage zu stellen. Auch wenn es als Gegenbild und Kritik an menschlicher Herrschaft gebraucht worden ist, ist es schwer, es einfach unbesehen weiter zu gebrauchen. Kann/darf/ soll das Bild seine »beherrschende« Stellung behalten? Die Metapher des Herrschens hat zu viel Schaden angerichtet!

Nie mehr soll im Namen Gottes menschliche, ehrfurchtlose Herrschaft gerechtfertigt werden, auch nicht über die Schöpfung. Solches Herrschaftsdenken hat das Lebenssystem der Erde an den Rand der Zerstörung gebracht. Wir können nicht mehr erklären, warum ein Gott, der so herrlich regiert, solche Zerstörung an der Schöpfung zulässt. Ehrfurcht ist in unserer Gegenwartskultur ein antiquiertes Wort. Das Staunen über die Schönheit und Vollkommenheit des Geschaffenen ist zu Nostalgie geworden.

Der achte Psalm aber will die Menschen wieder Ehrfurcht lehren. Ein neuer Herzschlag stellt sich ein, wenn wir sagen: Gott wohnt in allem Geschaffenen. Ein Funke Gottes ist in allem, was lebt – und heiligt es! Es genügt nicht, ein paar grüne Gebete zu sprechen und die Ökologie zu den ethischen Vorräten hinzu zu addieren. Es geht um mehr. Es geht um die Mitte, um Gottes Anwesenheit in der Schöpfung. Es geht um das Heilighalten des Gott-geschaffenen Lebens.

Die hebräischen Wörter haben weite Bedeutungsfelder und erlauben es, Gottes DA-SEIN als ein Walten, und nicht als ein Herrschen zu verstehen. Das Moment des Zwangs und der Gewalt klingt dann nicht mehr mit.

Angesichts von so viel Zerstörung ist es Zeit, als Christengemeinden den Mut zu haben, neue theologische Wege zu gehen. Im Welten-Haus gelten andere als hierarchische Gesetze. Das Konzept der Beherrschung zerstört es.

Leben vollzieht sich nur in dem fein gesponnenen Netz der Gegenseitigkeit, im Anerkennen von Abhängigkeit, im Miteinander. »Alles ist mit allem verflochten« scheint eine triviale Wahrheit und doch ist sie der Schlüssel zur Zukunft. Heute gilt es zu sagen: Gott waltet im Schöpfungswerk, Gott beherrscht es nicht. Ja, Gott wohnt im Welten-Haus. Es muss neu erfunden werden, richtig Mensch zu sein.

Wie konnte man den Psalm so missverstehen? Beherrschung und Unterwerfung der Mitwelt daraus ableiten? Er wurde falsch gelesen. Herrschsüchtig gelesen.

Dabei irritiert der Psalm gleich zu Beginn durch einen Vers, einen echten Widerhaken:

Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen hast du eine Macht geschaffen gegen alle, die dich bedrängen, auf dass Feindschaft und Rache verstummen.

Dieser Satz ist der Schlüssel zum Verstehen des Ganzen. Er sagt etwas über das Wesen der Macht Gottes. Es ist die Macht, die im Kleinen, Schwachen, Kindlichen sichtbar wird. Und schließlich in Jesus von Nazareth, der hilflos gekreuzigt wurde. Dennoch hat sich seine gewaltlose Macht unter den Menschen und in der Geschichte ausgebreitet. Trotz der Gewaltgeschichte des Christentums, die es auch gibt.

Wenn man das Bild sprechen lässt: Aus dem Munde von Kindern und Säuglingen hast du eine Macht geschaffen, kann man an den Schrei eines Neugeborenen denken. Oder an die entwaffnende Macht eines Kinderlachens. An kindliches Vertrauen und Arglosigkeit. Auch die schlaue Bereitschaft von Kindern, den Schmerz schnell zu vergessen, wenn da ein Tier, ein Stein, eine Pflanze, eine Süßigkeit ist, an der sie sich freuen können.

Ich denke an meinen verhungerten Engel, das Kwashiorkor-Baby. Es hat mit Macht zu mir gesprochen. Meinem Leben eine Richtung gegeben. Genau wie das HIV-infizierte Kind in Südafrika. Es wirkt in mir fort, wenn ich Bilder im Fernsehen sehe: ein Mädchen, das herzzerreißend weint aus Heimweh nach der jahrelang abwesenden Mutter, die im fernen Deutschland illegal alte Menschen pflegt.

Solche Schreie gegen das Unrecht erreichen die Menschen und erinnern sie an die gerechten Beziehungen, die es zu schaffen gilt. Die Macht von Kindern kann aller kalkulierenden Feindschaft und Bosheit den Boden entziehen. Davon spricht dieser alte Text. Und nicht zu vergessen, dass das Christentum überhaupt mit einem Kind angefangen hat, das in einem Stall geboren wurde. Diese Macht aus dem Munde der Kinder hat sicher in meinem Leben gewirkt und ich erlebe sie immer wieder als einen Einspruch gegen die menschliche Beherrschungs- und Unterwerfungs-Praxis.

Heute höre ich den Psalm sagen: Die Erde gehört euch nicht. Sie ist die Wohnung Gottes. Sie ist euch nur geliehen!

Der Text endet mit dem Dank für Gottes ganz andere Macht, aber eben doch Macht, die die Welt durchwaltet. Die Möglichkeit bleibt erhalten, dass die Menschen endlich, endlich »gute HaushalterInnen der mancherlei Gnade Gottes« werden. (1 Petr 4,10)

Der Mensch hat, sagt der Psalm, fast göttliche Gene. Ließest ihm ein Geringes nur mangeln, göttlich zu sein. Göttlich sein aber heißt, biblisch verstanden – barmherzig sein und gerecht.

Die Augen Gottes

Predigt zur Losung der 10. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2013

 

Liebe Geschwister!

 

Heute kann man mit einem großen Auge aus dem Weltall auf den Planeten Erde blicken. Und mit rasanter Geschwindigkeit auf eine einzelne Stadt, ein Haus zuzusteuern. Mit Google Earth. So habe ich mir als Kind das Auge Gottes vorgestellt. Wenn wir noch einmal diese kindliche Perspektive einnehmen: Was ist es, das das Auge, besser die Augen Gottes sehen, wenn sie auf den blauen Planeten, dieses göttliche Lieblingsprojekt, blicken? In diesen Tagen sehen sie die Ameisenstrassen froher ChristInnen in Hamburg, die aufgeregt durcheinanderlaufen. Wonach suchen sie? Nach Orientierung? Auswegen? Nach Menschen- und Gottes-Nähe? ...

Wir sind heute erneut auf dem Weg der Gerechtigkeit unterwegs, den zu gehen uns die ökumenische Bewegung so nachdrücklich lehrt mit der »Dekade zur Überwindung der Gewalt« und dem »Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«. Wir begegnen Gott immer wieder neu, dessen Name Gerechtigkeit ist. Der/die uns als AgentInnen der göttlichen Gerechtigkeit in die Wüste der überentwickelten Welt schickt. Frieden und Gerechtigkeit wird es nur geben, wenn »Jeder Mund voll Korn ist«, also satt.

Die Bergpredigt zeigt uns den Weg der Gewaltlosigkeit. Wir können, sagt Jesus, einander im Frieden gerecht werden. Dazu hat Gott uns doch zu gerechten Menschen gemacht! Gott schenkt uns aus reiner Gnade jeden Tag alles, was wir brauchen, den Atem zum Leben, den Tag und die Nacht, das Brot und die Liebe. Wir sollen für einander Hüter/Hüterin sein! Deshalb fragen wir gerade die Ökonomie, die sagt, der Eigennutz sei nützlich für die Ökonomie: Ist die Ökonomie heute denn noch nützlich für die Menschen, oder nur für wenige? Wir wollen das Miteinander anders gestalten und suchen das »buon vivir«, das gute Leben für alle. Und wissen nach diesem Kirchentag noch einmal genauer, dass die Oikumene, die ganze bewohnte Erde, unsere gefährdete Heimat und doch unsere Zukunft ist.

So legen wir die Themen, die uns auf den Nägeln brennen, bereit für das Gepäck nach Korea: Den gerechten Frieden in einer ökonomisierten Welt mit ihren totalitären Ansprüchen;

Das große Genug , die Selbstbescheidung, von der wir auf diesem Kirchentag so viel geredet haben. Und hoffen, dass in Busan »ein Wort gesagt wird, das die Welt nicht überhören kann.« (Bonhoeffer) Und hoffen, dass ein Papst Franziskus zum Bündnispartner einer neuen Stimme der Kirchen in einer Zeit wie der unseren wird.

Zu Gott, der großen Hüterin des Lebens, sprechen wir das inständige Gebet der Losung: Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden.

Die Losung für Busan spricht für meine Ohren etwas neu aus. Eine neue Klarheit kündigt sich an. Gott des Lebens. Bisher hat die Ökumenische Bewegung Gottes Weisung in erster Linie als Weg-Weisung für das gerechten Zusammenlebens der Menschen und der Kirchen verstanden. Als Antwort auf die Frage: »Mensch, wo ist dein Bruder? Wo ist deine Schwester?« Heute steht eine neue Frage vor uns: Wo ist dein Bruder, der aussterbende Pandabär und deine Schwestern, die Bienen? Wo sind die vielfältigen, ausgerotteten Geschöpfe Gottes, die Tiere und Pflanzen? Wie steht es um das Meer und die Luft?

Die Losung spricht vom Gott des Lebens. Denn heute geht es schlicht um das Leben selbst, um das physische, biologische Leben auf dem Planeten Erde. »Was den Bienen geschieht, geschieht auch den Menschen«, soll Einstein gesagt haben. Um die Vielfalt, die sich in Jahrmillionen entwickelt hat und die für uns Menschen unabdingbare Grundlage des Lebens ist. Erst jetzt, wo die Gefährdung dieses Lebens schon mit Händen zu greifen ist, beginnen wir es ernst zu nehmen: Gott schaut nicht wie Google Earth distanziert und voyeuristisch auf uns herab. Gott selbst ist das Leben, das in allen Geschöpfen gegenwärtig ist, das Herz des Lebens selbst. Die Welt ist sakramental. Gott spricht zu den Menschen auch durch die Geschöpfe, durch Wind, Blumen und Tiere. Auch wir können den Theophanien, den Erscheinungen Gottes begegnen, wenn wir Augen dafür haben. Ja, Gott schreit uns an im Gebrüll gequälter Versuchstiere. Oder aus den Ställen der Massentierhaltung. Die Tiere haben ihr eigenes Lebensrecht verloren, um unseres Fleischverzehrs willen.

Das Motto der Vollversammlung bringt uns zum Sprechen: »Gott des Lebens: Sprich mit uns, damit wir das Wunder des Lebens endlich verstehen. Öffne uns die Augen.« Die Erde ist selbst ein Lebewesen. »Alle lebendigen Dinge auf der Erde, von den Walen bis zu den Viren und von den Eichen bis zu den Algen bilden eine einzige lebendige Einheit, die in der Lage ist, die Bedingungen für den Erhalt des Leben zu schaffen.« (Leonardo Boff) Die Temperatur der Erde, der Salzgehalt des Meeres, die Zusammensetzung der Atmosphäre, das Konstanthalten der CO2-Konzentration gemeinsam schaffen die Grundlage dafür, dass Leben auf dem Planeten Erde möglich ist. Die Erde verhält sich wie ein menschlicher Körper, der alle Arten von Mechanismen hat, seine Temperatur konstant zu erhalten. Wäre der Planet Erde um ein Weniges näher an der Sonne, würde alles Leben verbrennen; wären er ein Weniges weiter von ihr entfernt, würde alles Leben erfrieren. Nein, wir sind genau dort, wo Leben möglich ist. Jetzt aber steigt das Fieber der Erde – durch die Menschen-gemachte, falsche Überentwicklung

Gott des Lebens, öffne uns die Augen für das Gleichgewicht, das alles im Lot hält, das wir im Begriff sind zu zerstören.

Die Einsicht wächst auch, dass der »homo sapiens« sich selbstbezogen ins Zentrum der Dinge gestellt hat. Eine patriarchalische Theologie hat ihn zum Beherrscher der Natur erklärt. Wir verhalten uns wie Despoten, die sich an ihre Herrschaft klammern, die verhindert, dass wir empathische Mitgeschöpfe werden. Gott des Lebens, lehre uns, Dich zu ehren in allen Deinen Geschöpfen. EvolutionswissenschaftlerInnen denken ernsthaft darüber nach, ob der »homo sapiens«, wie einst die Dionsaurier, irgendwann verschwinden wird, weil er sich nicht lebensfördernd auf der Erde verhält, sondern ihre herrliche Vielfalt zerstört. Die Erde wird sich vom Anschlag der menschlichen Gier in Millionen Jahren erholen und neue Vielfalt hervorbringen. Möglicherweise. Vielleicht ist uns tatsächlich diese Erde nur auf sehr begrenzte Zeit als Wohnraum gegeben. Wir müssten dann noch einmal über unsere Eschatologie, über die letzen Dinge nachdenken.

Die Busan-Reisenden werden Menschen treffen, die vom anderen Ende der Erde kommen, die anders singen, beten und denken, andere Ängste und andere Prioritäten haben.

Und doch vertrauen sie, wie wir, auf die Versöhnungskraft Christi und die Erneuerungskraft des Heiligen Geistes. Werden wir EuropäerInnen unsere Angst verständlich machen können, dass dies eine einmalig gefährdete Zeit ist in der Menschheitsgeschichte? Dass Busan zu einer einzigen Krisensitzung zur Rettung des Lebens auf dem Planeten werden müsste? Und die versammelte Christenheit ein Wort spricht, das die Welt – zuerst aber die Kirchen selbst – nicht überhören können.

Was wird in Busan geschehen? Vielleicht ist die Lösung in der Losung schon ausgesprochen: »Gott des Lebens«. Diese Eingangs-Anrufung wölbt sich wie ein Bogen über alle Suche nach Gerechtigkeit und Frieden. Das Leben, die schiere Ermöglichung des Fortbestandes der Lebensvielfalt ist das große Vorzeichen vor der Klammer aller Friedens- und Gerechtigkeitsanliegen. Alle Nöte der Menschen werden sich verschärfen, wenn es nicht gelingt, das steigende Fieber der Erde zu senken. Die Lebens-Luft wird dünn werden für alle, wie in Peking während des Smogalarms im Winter. Es wird mehr Flüchtlinge, mehr Hungertote, mehr Kriege, mehr Migration geben.

Nicht weil die Menschen schlechter sind, wird es so werden, sondern weil wir nicht klar genug gehört haben, auch in den Kirchen, dass wir den Gott des Lebens in allen seinen/ihren Geschöpfen, mit denen wir die Erde teilen, ehren sollen. Es ist ein furchtbares Missverständnis, das wir am Beginn des 21. Jahrhunderts korrigieren müssen.

Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden. Du willst nicht, dass die Geschöpfe des Planeten zerstört werden. Schaffe in allen, die hier beim Kirchentag sind, die Mitleidenschaft, die in Jesus von Nazareth war. Gebrauche uns als Agenten des Lebens, als Anwältinnen der Gerechtigkeit für alle, die das Leben auf dem Planeten Erde teilen.

Die Kirchen und ChristInnen sollen aufwachen aus dem Schlaf des Traditionalismus und der Kleinteiligkeit und wirksame Instrumente des Friedens und der Gerechtigkeit werden zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und Natur.

Das geben wir den Busan-Reisenden und dem Generalsekretär des ÖRK mit auf den Weg. Und unsere Gebete und unseren Segen. Wir hier werden weiter gehen auf dem den Weg der Gerechtigkeit und versuchen, einfacher zu leben. Wir finden neue Namen für Gott, die nicht von der Allmacht sprechen, sondern von der Mitleidenschaft Gottes, nicht vom Herrschen, sondern vom Walten Gottes in allen Geschöpfen.

 

Die Augen Gottes.

Wir wissen, wie sehr der Blick eines geliebten Menschen in uns ungeahnte Kräfte der Kreativität und Lebensliebe entbinden kann. Wie viel mehr wird der Blick Gottes uns stark machen!

Denn Gott ist es, der/die auch die Evolution im Blick hat.

 

Blicke uns an, Gott des Lebens!
Aus der Tiefe des Wassers.
Im Blick eines Tieres.
Mit den Augen der Menschen.
Hilf uns leben!
Weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden
mit den Menschen und mit der ganzen Erde. Amen.

O when the saints ...

Predigt über »Über das, Weltgerich Matthäus« 25,31-46

 

»Liebe Synodengemeinde!

Einmal, sagt der Evangelist Matthäus, wird der wahrhaft vollkommene Mensch, der Menschensohn, auf die Bühne der Geschichte treten. Seine tiefe Menschlichkeit wird ihr sehendes Auge auf die Menschheitsgeschichte werfen.

Da wird dann das apokalyptische Ausmaß des Dramas, in das sich die Menschheit gestürzt hat, offen zutage treten. Gigantische Verteilungskämpfe finden statt zwischen Nord und Süd, Ost und West. Hungernde Flüchtlinge strömen über die Erde. In supermodernen Kriegen werden Gegner vernichtet. Tiere irren auf der Suche nach den letzten Lebensräumen umher. Menschen ringen in vergifteten Städten nach Atem. In modernen, schlanken Machtstrukturen kämpfen sie um ihre Menschlichkeit. Riesige ferngelenkte Computer verwalten die Erde. Terror regiert in den Städten. Das Geld wird in obszöner Direktheit über die Bühne gerollt. Jeder fällt über jeden her im freien Wettbewerb der Kräfte. Frauen werden herumgestoßen und vergewaltigt. Kinder werden in Laborgläsern gezeugt, weil die Fähigkeit und der Wille zur Fortpflanzung in der reichen Welt erstirbt, die Armen hingegen übervölkern den Erdball. Das sind die Katastrophen, die die Menschheit über sich selbst gebracht hat. Was bliebe einem strafenden Gott da noch zu tun übrig?

Der Menschensohn, der wahre Mensch, bringt in seinem Gefolge all die mit sich, die durch die Jahrhunderte hindurch die Menschlichkeit unter die Menschen getragen haben, die Engel der Menschheit. Groß ist ihre Zahl. Sie, die der Wahrheit und Gerechtigkeit auf Erden gedient und dafür ein riskantes Leben nicht gescheut haben. Die Märtyrerinnen und Märtyrer der alten Kirche, die Armuts- und Gerechtigkeitsmenschen des Mittelalters, die modernen Engel der Menschheit, fromme und nichtfromme, Catharina von Georgien und Franz von Assisi, Oscar Romero und Ida Ford aus El Salvador, Martin Luther King und Mahatma Ghandi, Elsa Brandström und Rosa Luxemburg, Toyhito Kagawa, Rigoberta Menchu und Mandela, die Kämpfer der Menschlichkeit durch die Geschichte hindurch, auch die Namenlosen aller Zeiten und aller Völker. Überwältigend wird der Anblick all dieser mutigen Menschen sein, von denen so viel Vision, Kraft und Wille ausging und die eine unübersehbare Spur auf der Erde hinterlassen haben. Sie haben der Weltgeschichte einen anderen Verlauf gegeben.

Diese Engel der Menschheit werden um den Menschensohn versammelt sein und alles Licht, das von ihm und ihrem Leben ausging, wird die Weltbühne hell machen: Jede dunkle Falte der Geschichte wird durch ihre leuchtende Gegenwart transparent. Auf der Bühne der Weltgeschichte nimmt dann der wahrhaft menschliche Mensch den höchsten Ehrenplatz ein und ruft die Menschheit aus allen Enden der Erde zusammen, aus der ganzen Ökumene – der ganzen bewohnten Erde. Und da kommen sie, die Reichen und die zerlumpten Ghettomütter und Straßenkinder; sie kommen, die Kriegsherren und die Kriegsopfer, die Despoten und die schweigenden Massen, die endlos gelitten haben im Dunkeln, es kommen die Kämpfer mit der aufgerissenen Brust und die eleganten Verwalter des Geldes, die Atemlosen, denen das Blut aus den Schuhen quillt und die smarten Manager. Es kommen die Kämpferinnen und Kämpfer. Es kommen auch die Frommen und die Lauen, die Eiferer und die Verzagten. Sie alle kommen herbei, sie warten und hoffen ... und fürchten das gerechte Ende der Geschichte.

Da werden sie plötzlich einander in die Augen schauen, die Opfer und Täter. Die einen werden ihre Wunden enthüllen und die anderen ihre Rechtfertigungen stammeln. Viele werden nicht wissen, auf welche Seite sie treten sollen, selbst Opfer, selbst Täter oder beides zugleich und sie werden die Augen niederschlagen vor der enthüllenden Klarheit des Menschensohns. Es wird eine große Verwirrung geben, ein Gerenne und Suchen; denn aller äußere Schein ist plötzlich abgefallen und sie stehen da mit ihren nackten Herzen – und was zählt ist nur die schlichte, wirkliche Tat.

Dann wird der wahrhaft menschliche Mensch aufstehen und es wird sich, ohne dass er viel täte, eine Gasse bilden: die Menschen treten zur Rechten und zur Linken. Sie werden im Lichte seiner Gegenwart plötzlich ganz klar wissen, wohin sie gehören; es entsteht ein überdeutliches Schwarz-Weiß-Bild. Sie wissen selbst am besten, wofür sie sich entschieden haben in ihrem Leben. Der Menschensohn muss es gar nicht entscheiden. Die Menschen haben dem Richter selbst die Entscheidung abgenommen und zwar schon längst, zu ihren Lebzeiten. Jetzt ist nur die Stunde des Ans-Licht-Kommens, nicht Stunde der willkürlichen Richtersprüche.

Die auf der rechten Seite werden verlegen um sich schauen, einander wiedererkennen, hier und da einander zuwinken. Der Menschensohn wird sagen: »Ich lag an eurem Weg, ich war in euren Gefängnissen. Ich hause obdachlos im Freien. Ich liege hungrig in den Slums der Welt. Mir habt ihr menschliche Gesetze gemacht, mich habt ihr vor der Folter gerettet. Mit mir habt ihr euer karges Brot geteilt, mir habt ihr eure Kirchen geöffnet, mit mir und für mich habt ihr gebetet und gesungen und eure Kirche reformiert, mir habt ihr eure Grenzen geöffnet, mir habt ihr Arbeit gegeben. Ich wohne in jedem Menschen, weil ich das Erbteil Gottes in jedem Menschen bin. Ich, der Menschensohn, teile meinen Segen, meine göttliche Kraft mit Euch. Ihr seid schon längst Teil des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit und werdet es bleiben.«

Und es wird ihnen wie Schuppen von den Augen fallen: ihr absichtsloses oder auch bewusstes Ringen um mehr Menschlichkeit, ihr stilles und lautes Kämpfen, das spontane oder bewusste, immer aber beschwerliche Eintreten für die armen, hungernden, nackten, kranken und gefangenen Mitmenschen; für sie war es der Weg der Menschlichkeit, es war kein Verdienstweg zu Gott. Wie sollte es auch sein? Denn auch sie selbst sind auf solche Erweise der Liebe angewiesen gewesen, das wissen sie. Es ist doch alles ein Geben und Nehmen. Was jetzt mit ihnen passiert auf dieser Weltbühne, kommt ihnen vor wie eine glanzvolle Zurschaustellung des Selbstverständlichen. »Wir haben doch nur das Naheliegende getan, was hätte das mit Dir, Menschensohn, in dem wir jetzt den Christus erkennen, zu tun?« Absichtsvolle, kalkulierende Frömmigkeit, da hat Luther recht, ist hohl, befriedigt nicht. Aus einem ungeteilten Herzen steigt die überzeugende Tat auf. »Wer, wenn nicht Du, gab uns solche Herzen?«

Sie werden verwundert um sich blicken, es vielleicht geahnt haben und doch erstaunt sein über diese Wendung der Dinge.

Auf der linken Seite aber bricht großer Schrecken aus: Scham, Angst und Entsetzen wird die befallen, die des tiefen Mangels an Menschlichkeit in ihrem Leben gewahr werden. »Wir waren blind«, werden sie rufen, »wir haben Dich, den wahrhaft Menschlichen, nicht richtig erkannt. Wir waren abgelenkt, falsch informiert. Deine Prediger haben uns den Sinn vernebelt. Wir haben sie nicht verstanden, die Nacktheit der Bettler, die Krankheit der Kranken, den Hunger der Armen, die Verzweiflung der Spaßgesellschaft. Wir haben doch ein-, zweimal im Jahr für die Hungernden gespendet. Zählt das nicht? Es muss ein Irrtum, ein entsetzlicher Irrtum sein. Wie hätten wir DIR nicht helfen wollen, Du, der Du der Christus bist. Aber die Not der Menschen im Allgemeinen kam uns wie Schicksal vor, die Zahl der Fremden hat uns geängstigt. Die Gefängnisse waren zu weit weg. Wir haben es nicht gewusst. Wir hatten keine Zeit. Nein«, werden sie schreien, »wir sind doch nur die kleinen Leute. Wir hatten doch keine Macht, wir haben doch gebetet und gesungen und Dich angerufen.« Aber der Menschliche – und es ist nun vor aller Augen, dass Jesus von Nazareth der Christus, der wahre Mensch ist – wird ohne Wenn und Aber sagen: »Nein, es ist kein Irrtum. Ihr habt nicht menschlich gehandelt. Ihr habt euch verweigert. Ich war euch nicht sauber genug. Ihr habt meinen Frieden nicht ausgebreitet, in den Gottesdiensten habt ihr nicht gelernt, den Frieden einander weiterzugeben. Ich bin nicht gekommen, auf dass ihr einmal im Leben, an mir, menschlich handeln könnt, sondern damit ihr ein für alle Mal menschliche Menschen werdet. Geht weg von mir – ihr habt die dunkle und böse Seite gewählt. Es ist nicht Raum für das Böse im Reich Gottes. Die Welten stoßen sich. Geht mit den Engeln des Bösen, die euch geführt und verführt haben.«

Da werden sie heulen und Zähne klappern und verzweifelt auf ihre vertanen Leben blicken; sie werden die Opfer ihrer Gier, Nachlässigkeit und Blindheit entsetzt anstarren und erkennen, dass niemand anders als sie selbst und das Auge der Geschichte ihre eigenen Richter sind. Nichts ist geschehen, was sie nicht zutiefst gewusst und gewählt hatten. Sie hatten die Stimme Gottes in ihrem Gewissen erfolgreich erstickt. Auf ewig vertan ein Menschenleben, das so viele Chancen hatte. Das ist die unendliche Pein, auf diese vertanen Chancen zu blicken und die Scherben des selbstsüchtigen Lebens in den Händen zu halten. Mehr Pein braucht es nicht. Die Verzweiflung brennt wie Feuer.

Ist es das, was im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums steht? Was geht uns das an, die wir heute eine Synodensitzung beginnen?

Einmal, sagt der Evangelist Matthäus, wird der wahrhaft vollkommene Mensch, der Menschensohn, auf die Bühne der Geschichte treten. Ist dieser Text für uns heute? Er ist.

Wie wird Christus uns finden, uns, die Nordelbische Kirche, die nordelbische Synode? Diese Geschichte gilt nicht nur den Einzelnen, sie gilt auch uns als Gemeinschaft, als Kirche. Ja, bei solchen Schwarz-weiß-Bildern scheint alles klar zu sein. Wie aber im Dickicht des Umbruchs, mitten in den Entscheidungen in den Kirchengemeinden, in den Verteilungskämpfen? Wo ist da rechts und links, richtig und falsch, schwarz und weiß? Hart trifft es die einen, unseren pfarramtlichen Nachwuchs. Sind wir wirklich bereit, ihn in die Wüste zu schicken? Hart trifft es die Mitarbeitenden, deren Arbeitsplatz verloren geht. Nichts ist so im Umbruch wie die Arbeitswelt. Wie werden wir ihr in Zukunft gerecht werden? Noch sind wir mittendrin. Was will uns die Geschichte sagen als Kirche, die gemeinsam unterwegs ist. Viele von uns haben sorgenvolle Herzen. Viel Zeit und Kraft wird investiert, viel Schweiß der Edlen vergossen bis zur physischen und psychischen Erschöpfung, um die Zukunft der Kirche herauszufinden. Wir müssen einander befragen, beraten: »Ist der ausgeglichene Haushalt das einzige Ziel, das wir noch verfolgen und geht uns das »Wozu das alles« verloren?« Dies ist klar mit dieser Geschichte: Unsere Kirche wird und muss auch mit weniger Mitteln die Möglichkeiten erhalten, die Hungernden zu speisen, die Nackten zu kleiden, die Gefangenen zu besuchen, die Traurigen zu trösten. Sie muss Menschen befähigen und ermutigen, das zu tun. Sie ist um der Menschen willen da, Nachfolgegemeinschaft Jesu, der all dies getan hat. Wir sollen »die Welt ins Gebet nehmen«. Alles, was wir tun, jeder Dienst, jede Ortsgemeinde ist daran zu messen, damit die Welt glaube. Was soll sie glauben? Dass Gott die Welt liebt und ihr gut will. Alles wird hineingestellt in die Klarheit des Lichtes des Menschensohnes. »Gott und den Menschen dienen«, diesem Ziel dient unser Beten, Loben, Danken, Handeln.

Matthäus will uns diesen Hunger nach Gottes Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit nicht abgewöhnen. Er will uns auch nicht nur auf das Ende der Zeiten vertrösten. Er will uns keine Angst machen.

Durch dieses große Gemälde vom Einzug des wahren Menschen und aller Engel der Menschheit will er uns in unserer Überzeugung stärken, dass es richtig ist, auf die Seite Jesu zu treten und in diesem Sinne die Kirche zu verändern und zugleich zu erneuern. Wir dürfen und sollen uns mutig in den Zug derer einreihen, die ihr Leben den großen und würdigen Zielen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit verschrieben haben. Nicht Arroganz und Lüge, Protz und Macht, sondern die wahre Menschlichkeit wird am Ende auf dem Thron sitzen. Die Engel Gottes auf Erden sind unvergessen vor der letzten Gerechtigkeit, das sagt der Text. Wir werden staunen, wie groß ihre Zahl ist. Am Ende wird nicht gefragt werden, ob ich ein Gandhi oder eine Elsa Brandström war, sondern ob ich in den Grenzen meines Lebens wahrer, menschlicher Mensch gewesen bin, ob wir wahre lebendige Kirche gewesen sind, die nicht sich selbst lebt, sondern den Menschen gedient hat und sich in allem Beten und Singen dazu orientieren lässt vom Herrn der Kirche.

Am Ende wird eine große Freude sein über alle, die sich auf den schönen, schweren Weg der Gottes- und Menschenliebe gemacht haben und dies auch in den Strukturen der Kirche umsetzen, die bescheidener werden. Die Wirkkraft des Senfkorns, das erzählen viele Geschichten der Bibel, hängt nicht von der Größe ab.

Und allen, die Unrecht erlitten haben in den Händen der Ungerechtigkeit und Folter, wird versprochen, dass die sehende Gerechtigkeit Gottes auch das gesehen hat und Gott selbst die Wunden heilt.

In den schwarzen Gemeinden Amerikas und der Karibik gibt es ein bekanntes Gospellied. Es wurde von Menschen gesungen, deren Menschlichkeit während der Sklavenzeit und bis zum heutigen Tage mit Füßen getreten wurde und wird. Und doch singen sie dieses Lied:

»O when the Saints go marching in,
o when the Saints go marching in,
O Lord I want to be in that number,
o when the Saints go marching in.«

In meinen Worten: »Wenn all die Heiligen einmal auftreten werden, ja, wenn sie alle ins Licht der Geschichte treten werden, dann Gott, dann möchte ich auch dabei sein, wenn all die Heiligen gemeinsam mit Dir auftreten werden.«

Es ist ein Lied, das diesen schweren Text vom Weltgericht leicht macht. Wenn die Heiligen einziehen ... Das könnten wir sein. Das werden wir sein. Gewiss doch.

Wir in unserer europäischen Gedankenschwere können solche Hoffnungen kaum noch ausdrücken. Entweder sind wir mutlos und erschlagen von einer solchen Geschichte. Oder wir lassen sie gleich ganz wegfallen.

Aber unsere ökumenischen Geschwister helfen da mit ihrem Lebensmut unserer depressiven Schwachheit auf. Dieses Lied wurde ja und wird noch heute von Menschen gesungen, die eine dramatische Geschichte haben, Nachkommen der SklavInnen. Sie trompeten es in den schönsten Jazz Solos unter die Menschheit: »O when the saints go marching in ...« Sie halten die tapfere Inbrunst und naive Frömmigkeit aufrecht, die wir brauchen, um den schönen, schweren Weg der Gerechtigkeit zu betreten. Und wir, wir fangen an, dazu zu tanzen, das ist ja klar. Das fährt einem in die Glieder. Die Freude darüber, dass es so viele sind, springt über. Viele Menschen reihen sich ein. Nichts ist schöner, als so freudig entschlossene Menschen zu sehen. Es macht uns Mut, unsere Entscheidungen zu treffen zum Lobe Gottes und zum Dienst an den Menschen. Nichts wünsche und erbitte ich mehr, als dass Gott uns diese Leichtigkeit schenkte und die Schwere, die Halbherzigkeit und Unsicherheit von uns nimmt. Damit wir immer besser wissen, auf welche Seite wir uns zu stellen haben, in unserem persönlichen Leben und mit den Entscheidungen über die Zukunft unserer Kirche. Nichts wünsche und erbitte ich mehr, als dass wir in jeder Zelle unseres kirchlichen Daseins eine menschenfreundliche, der Welt zugewandte, prophetische und ökumenische Kirche sein werden.

O when the saints go marching in ...

Wenn die Heiligen einziehen werden mit dem Menschensohn ... dann, ja dann will ich auch dabei sein. Amen.

Kurzbiographie

Bärbel Wartenberg-Potter geboren am 16. September 1943 in Pirmasens in der Pfalz, Studium der Germanistik und Theologie, verheiratet mit Philip Potter, ehem. Generalsekretär des Weltkirchenrates in Genf.

 

1970-1972 »Aktion Missio«

1972-1974 »Dienst für Mission und Ökumene« der Württembergischen Landeskirche

1977-1980 Studienleiterin im »Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildungsarbeit« (ZEB), Stuttgart

1980-1985 Direktorin der Abteilung »Frau in Kirche und Gesellschaft« des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Genf, Schweiz

1985-1990 Dozentin am »Vereinigten Theologischen College« der Universität der Westindischen Inseln und Universitätspfarrerin, Kingston, Jamaika

1991-1997 Gemeindepfarramt in Stuttgart-Botnang

1997-2001 Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), Frankfurt a.M.

2001-2008 Bischöfin der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche für den Sprengel Holstein Lübeck

 

Vorsitzende des Kuratoriums des »Instituts für Theologische Zoologie« (seit 2009), www.theologische-zoologie.de

Vorsitz der »Kommission für Theologische Ausbildung« beim Evangelischen Missionswerk in Deutschland

Schirmfrau des Vereins »Verwaiste Eltern« Schleswig Holstein, www.vesh.de

Verwendete Literatur

Arendt, Hannah, Vita Activa oder Vom tätigen Leben, München 1983

Bahr, Ehrhard, Was ist Aufklärung, Thesen und Definitionen, Reclam Texte 9714, Stuttgart 1974

Begerau, Christiane u.a. (Hg.), Abendmahl, Fest der Hoffnung, Gütersloh 2000

Biermann, Wolf, CD »Die Welt ist schön« 1998

Brecht, Berthold, Gesammelte Werke 2, Stücke 2, Die Maßnahme, (Reis-Lied) Frankfurt a.M. 1967

Boff, Leonardo, Die Botschaft des Regenbogens, Düsseldorf 2002

Cantate Domino, World Council of Churches, Kassel, London 1974

Camara, Dom Helder, The Desert is fertile, New York 1974

Caprano-Diehl, Gabriele, Euthanasie-Verdacht in der Heil- und Pflegeanstalt Klingenmünster 1944-1946, Marburg, 2012

Coenen, Lothar u.a., Vancouver 1983, Beiheft der Ökumenischen Rundschau Nr. 48, Frankfurt a.M. 1984

Evangelisches Gesangbuch, Ausgabe für die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, Hamburg 1994

Fromm, Erich, Ihr werdet sein wie Gott, Reinbek 1980

Gandhi, Mahatma, Ausgewählte Texte, Hg. Richard Attenborough, München 1983

Gillwald, Katrin, Ein Primus der Sinnstiftung. Die Riverside Church, Diskussionspapier des Wissenschaftzentrums Berlin für Sozialforschung, Mai 2004

Girard, René, Das Ende der Gewalt, Analyse des Menschheitsverhängnisses, Freiburg 1983

Göhres Annette u.a., Bischöfinnen und Bischöfe in Nordelbien 1924-2008, Kiel 2008

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Harrison, Beverly Wildung, Making the connections, hg. v. Carol Robb, Boston 1985

Hymns and Psalms, A Methodist and Ecumenical Hymn Book, London 1983

Jepsen, Maria, »das Weib rede in der Gemeinde«. Erste Lutherische Bischöfin, Gütersloh 1992

Lange, Ernst, Lesebuch, Hg. Georg Friedrich Pfäfflin und Helmut Ruppel, Berlin 1999

Lange, Ernst, Die ökumenische Utopie oder Was bewegt die ökumenische Bewegung?, Stuttgart 1972

Lange, Ernst, Kirche für die Welt, Aufsätze Hg. Rüdiger Schloz, Gelnhausen 1981

Littell, Jonathan, Die Wohlgesinnten, Roman, Berlin 2008

Loccumer Brevier. Verstehen durch Stille, Hg. Heinz Behnken u.a. 2001, 4. Aufl. 2008 (darin Marie Luise Kaschnitz)

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Marley, Bob, Uprising (Schallplatte), Recorded Tuff Gong Studio Kingston Jamaica, darin: Redemption Song

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Parvey, Constance, Die Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche, Sheffield Report, Neukirchen-Vluyn 1985

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Rüppell, Gert, Erinnern – für eine ökumenische Zukunft, 30 Jahre Plädoyer 1979-2009, Frankfurt a.M. 2009

Schorlemmer, Friedrich, Das soll Dir bleiben, Stuttgart 2012

Schottroff, Luise, Johannes Tiele (Hg.), Gotteslehrerinnen, (darin das Portrait von Lois Kroehler), Stuttgart 1989

Stahl, Daniel, Nazi-Jagd, Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen, Göttingen 2013

Sundermeier, Theo, Südafrikanische Passion, Wuppertal 1977

Taufe, Eucharistie und Amt, Konvergenzerklärungen der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Frankfurt a.M. 1984

Twain, Mark, Meine geheime Autobiographie, ed. Harriet Elinor Smith u.a., Berlin 2012

Tillich, Paul, Impressionen und Reflexionen, Gesammelte Werke XIII, Stuttgart 1972

Unser Lied, Deutscher Bund der Mädchenbibelkreise Leipzig 1928

Wartenberg-Potter, Bärbel, Mitleidenschaft, Geistliche Mut-, Mahn- und Trost-Reden einer ökumenischen Bischöfin, Stuttgart 2010

Eigene Publikationen

Schwarzer Widerstand – weiße Herrschaft, ein Handbuch, (mit Wolfgang von Wartenberg), Nürnberg 1975

Wir werden unsere Harfen nicht an die Weiden hängen. Engagement und Spiritualität, Stuttgart 1985

Das Kreuz. Baum des Lebens, (zusammen mit Dorothee Sölle und Luise Schottroff ), Stuttgart 1987

Die Reise der Pachamama. Eine theologische Erzählung, Stuttgart 1989

Freedom is for freeing. A study book an Galatians (mit Philip Potter), New York 1990

Wes Brot ich ess’, des Lied ich sing ... Die Bergpredigt lesen, Freiburg 2007

Mitleidenschaft, Geistliche Mut-, Mahn- und Trost-Reden einer ökumenischen Bischöfin, Stuttgart 2010

Die Bergpredigt der Bibel, Freiburg 2013

 

Herausgabe

Schwarz kann nicht ziehen. Ein Werkbuch zum Thema Rassismus am Beispiel Südafrika, Stuttgart 1973

Aufrecht und frei. Was Frauen heute in der Bibel entdecken, Offenbach /Main 1986

Komm, lies mit meinen Augen. Biblische und theologische Entdeckungen von Frauen aus der Dritten Welt (mit John Pobee), Offenbach/ Main 1987

Die tägliche Erfindung der Zärtlichkeit: Gebete und Poesie von Frauen aus aller Welt (mit Sybille Fritsch), Gütersloh 1990

Dorothee Sölle, Gewöhnen will ich mich nicht, Engagierte Texte und Gedichte, Hg. Bärbel Wartenberg-Potter Freiburg 2006

Was tust du, fragt der Engel, Mystik im Alltag, Freiburg 2004

www.baerbel-wartenberg-potter.de

Quellen- und Bildnachweis

Hanna Arendt aus: Dies.: Vita activa oder Vom tätigen Leben, © Piper Verlag GmbH, München 2002. –Erich Fried , aus: ders.: Kind in Peru. Anfechtungen, © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1967. –Wolf Biermann : Sag wann haben diese Leiden ..., aus: ders.: Große Ermutigung (Refrain), aus: ders.: Alle Lieder, Hoffmann und Campe Verlag GmbH, Hamburg, © 1966 by Wolf Biermann., – Brigitte Vielhaus: Brot wandelt sich © Brigitte Vielhaus, Abdruck mit freundl. Genehmigung der Autorin. -Marie Luise Kaschnitz , aus: dies.: Dein Schweigen – meine Stimme, © Iris Schnebel-Kaschnitz. –Bert Brecht : Weiß ich, was ein Reis ist?, Auszug aus »Song von Angelbot und Nachfrage«, aus: Bertolt Brecht: Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 14: Gedichte 4, © Bertolt-Brecht- Erben / Suhrkamp Verlag 1993. -Schalom Ben-Chorin : Freunde, dass der Mandelzweig (nach Jeremia 1,11), © Text 1942 SCM Hänssler, Holzgerlingen, Melodie: Fritz Baltruweit, © tvd-Verlag, Düsseldorf. –Dietrich Bonhoeffer , aus: Dietrich Bonhoeffer Werker (DBW), Bd. 8: Widerstand und Ergebung, © Gütersloher Verlagshaus, Güters- loh, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München, S. 204- 205. –Hans-Jürgen Netz (Melodie: Nis-Edwin List-Petersen), aus: Wasser – Quellen der Schöpfung, © tvd-Verlag, Düsseldorf 1993. –Predigt »O when the saints ... «, aus: Bärbel Wartenberg- Potter: Mit Leidenschaft. Geistliche Mut-, Mahn- und Trost-Reden einer ökumenischen Bischöfin (Christentum heute, Bd. 7), © 2010 W. Kohl- hammer GmbH, Stuttgart 2010.

Fotos und Abbildungen: Bild 1, Bild 2, Bild 3, Bild 4, Bild 5, Bild 6, Bild 7, Bild 8, Bild 9, Bild 10, Bild 11, Bild 12, Bild 13, Bild 14, Bild 15, Bild 16, Bild 17, Bild 18, Bild 19, Bild 20, Bild 21, Bild 22, Bild 23, Bild 24, Bild 25, Bild 26, Bild 27, Bild 28 und Bild 29: © privat. – Bild 30: Foto: M. Dominguez, © World Council of Churches, Genf/Schweiz. – Bild 31, Bild 32: © World Council of Churches, Genf/Schweiz. – Bild 33: Cartoon, © Anne S. Walker, International Women’s Tribune Centre, New York/Australien. – Bild 34, Bild 35: Fotos: Peter Williams, © World Council of Churches, Genf/Schweiz. – Bild 36: © epd-bild/ Arnold. − Bild 37: Cartoon, © Claudius Ceccon, Rio de Janeiro/Brasilien. – Bild 38: Foto: Stefan Wallocha, © pictures alliance/dpa/Stefan Wallocha.