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Bibliografische Information der Nationalbibliotheken: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Österreichischen Nationalbibliothek

Impressum:

1.Auflage, für Verein „Respekt für Dich“ – Autoren gegen Gewalt

Mail: respektfuerdich@gmx.at

Cover by Karina-Verlag / Coverbild © by Karin Pfolz

Illustration © Karin Pfolz

Autoren: © Verena Grüneweg, Karin Pfolz

Überarbeitung, Layout, Design: Karin Pfolz, Karina-Verlag

August 2014, Vienna, Austria, Karina Verlag, Vienna.

ISBN 978-3-9503862-3-3

karina.bookoffice@gmail.com

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Verena Grüneweg

Hexenmaske

Hexenmaske

Jeder im Dorf kannte sie. Für viele war sie eine Spinnerin, anderen schien sie einfach nur unheimlich. Beliebt war sie hier nicht. Eltern hielten ihre Kinder vor ihr fern und wichen ihr aus. Aber Gespräche über sie gab es jede Menge. Häufig sah man die Einwohner zusammenstehen und über sie tratschen. Statt ihren Namen zu nennen, wurde sie nur die Hexe genannt. Warum, das ließ sich leicht erklären, denn die Menschen hier waren „einfach gestrickt“.

Eine Frau im Dorf trug Jeans mit einer Bluse; vielleicht noch eine zarte feine Kette und die Haare zusammengebunden. Aber sie trug ihre langen roten Haare offen. Trug nur schwarze Kleider. Ihr war Schmuck auffällig, ein Pentagramm hing ihr an einer langen Kette um den Hals – definitiv ein Hexenzeichen. All das sorgte dafür, dass das Gerede über sie nicht verstummte.

Vorwerfen konnte man ihr nichts, freundlich war sie immer. Aber mehr als ein Lächeln, ein leises `Moin´ kam nicht über ihre Lippen. Geschweige, dass sie an irgendwelchen Festen im Dorf teilnahm. Ein Schwätzchen mit der Nachbarin halten gab es bei ihr nicht. Sie erzählte nie etwas von sich. Es war unmöglich etwas über sie zu erfahren.

Gut, die Dorfbewohner waren nicht immer fair zu ihr gewesen. Kinder hatten einmal Steine in ihre Fenster geschmissen und ihre Hauswand beschmiert. Doch ernst konnte das nicht genommen werden. Kinder spielten eben nun mal Streiche. Mehr war es doch nicht gewesen! Wirklich unverständlich war ihre Reaktion! Sie hatte nicht mit den Eltern geredet, geschimpft oder gar die Polizei informiert. Nichts dergleichen. Ohne ein Wort ließ sie die Scheiben auswechseln und die Kritzeleien entfernen. Ihr Verhalten war unheimlich, nicht normal!

Ihr Name war Emelie und sie hatte mit ihren fünfunddreißig Jahren mehr erlebt, als so manch anderer Mensch ertragen konnte. Das Leben hatte es nicht immer gut mit ihr gemeint. Sie hatte gelernt damit zu klarzukommen und versuchte nach vorne zu schauen.

Vor langer Zeit war sie ein fröhlicher Mensch, wie die anderen hier im Ort. Ihre Kleider waren bunt und sie liebte das Leben, mit allem, was es beinhaltete. Bei jedem Fest war sie die Letzte, die immer noch auf der Tanzfläche stand und sich der Musik hin gab. Sie hatte gerne und viel gelacht. Das Glück war ihr Dauergast. Immer hätte es so weiter gehen können, dann jedoch kam dieser eine Tag.

Dachte sie heute an ihr früheres Leben zurück, kam es ihr vor, als wären all ihre Erinnerung nur ein Trugbild - das ihr Gehirn ihr vorgaukelte. Das, was für sie heute Realität war, war die Erinnerung an den Abschiedskuss ihres Mannes, das Lachen ihrer Kinder. Ihre kleine Tochter, die rief: »Bis gleich, hab dich lieb Mama.«

Es sollte das Letzte sein, was sie von ihr hörte. Schemenhaft erinnerte sie sich an die Polizistin, die an der Haustür klingelte. Ihre Worte, einfach nur Bruchstücke. Unfall, der Unfallverursacher betrunken, alle tot ... es tut uns leid. An mehr erinnerte sie sich nicht. Sie brach weinend zusammen, genauso wie das Kartenhaus ihres Lebens.

Sie wollte nicht mitleidig angestarrt werden oder dass jemand hinter vorgehaltener Hand tuschelte. Auch Beileidswünsche ertrug sie nicht mehr. Ein Jahr nach dem Unfall war sie umgezogen. Weit fort von der Heimat, an einen Ort, wo sie niemand kannte.

Der Ort Ochtersum mitten in Ostfriesland gefiel ihr. Ein friedliches Dorf, in das sie sich zurückziehen konnte. Zuerst hatte sie noch Kontakt zu den anderen Einwohnern gesucht. Ein Lächeln, ein Hallo, zu mehr hatte es ihrerseits noch nicht gereicht. Sie war freundlich zu ihnen. Allerdings bemerkte sie sehr schnell, dass es sinnlos war. Sie sah die Blicke der anderen, wenn sie an ihnen vorbei ging. Sie sprachen Bände, Worte brauchten sie nicht. Warum sollte sie versuchen, akzeptiert zu werden? Wozu? Also zog sie sich immer mehr in ihre eigene traurige, trostlose und düstere Welt zurück. Der Glaube an ihre Religion und ihre Tiere wurde zu ihrem Lebensinhalt. Das alleine hielt sie davon ab, dieser Welt für immer den Rücken zu kehren.

In den letzten Wochen war die Abneigung gegenüber Emelie immer mehr zu spüren. Die Leute scheuten sich nicht mehr zu zeigen, was sie von ihr hielten. Waren es am Anfang nur Blicke und einzelne Worte gewesen, begannen nun die Kinder sie immer öfter quälen. Vor einigen Tagen hatte eine alte Frau ihr ›Hexe‹ hinterhergezischt. In der Nacht darauf hing eine tote Katze an ihren Zaun.

Es wurde immer schlimmer und Emelie merkte, dass die Zeit gekommen war, diesen Ort wieder zu verlassen. Ihre Ruhe fand sie hier nicht, schon gar nicht um glücklich zu werden. Gleich Morgen würde sie beginnen, sich um alles zu kümmern, um diesen Schritt zugehen. Heute Nacht jedoch war Vollmond. Sie liebte diese Nächte und das Licht des Mondes. Es waren die wenigen Stunden, die ihr Frieden und Ruhe brachten.

Vollmond, eine super Nacht, um eine richtig tolle Party zu feiern, dachte sich Dieter. Der Sommer würde bald vorbei sein. Er hatte die Schule beendet und im August begann seine Lehre beim Bauern Ewald Lenz. Allein der Gedanke daran, wie seine Zukunft aussah, ließ ihn mürrisch dreinblicken. Das war nicht das, was er sich erträumt hatte. Seinen Zukunftswunsch, Friseur in Berlin mit eigenen Laden, behielt er lieber für sich. Er wusste, was von ihm erwartet wurde. Er war der einzige Sohn. In sechs Jahren würde sich sein Vater zur Ruhe setzen. Den Hof, seit Generationen im Besitz der Familie, sollte Dieter weiterführen, eine Landwirtstochter heiraten, Kinder zeugen, vor allem einen Stammhalter, seine Frau betrügen und nach Jahren der Langeweile die Augen für immer schließen. So war nun mal das Leben hier. Illusionen brauchte er sich keine machen.

Das war die Zukunft, doch heute war jetzt und nun. Er würde feiern und hoffentlich die Nacht seines Lebens erleben.

Der Mond strahlte hell und spendete optimales Licht für die Party. Schnell hatte diese ihren Höhepunkt erreicht. Alle Jugendlichen aus dem Dorf waren gekommen und der Alkohol floss in Strömen. Jeder von ihnen lachte und tanzte ausgelassen. Besser konnte es wirklich nicht laufen. Dieters Laune war so gut wie schon lange nicht mehr. Nicht zuletzt weil Marjam, sein großer Schwarm, zu der Feier gekommen war. Die kleine Blonde hatte es ihm wirklich angetan. Man, war die sexy, die konnte jeden haben! Ja, es stimmte schon, sie war erst fünfzehn. Eigentlich bedeutete das, dass sie für ihn viel zu jung war. Aber wenn er sah, wie viel Alkohol sie trinken konnte; Wahnsinn, mehr wie ein alter Seebär. Den ganzen Abend über hatte er versucht, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Egal wie lustig er war und was für tolle Sprüche er von sich gab, sie ignorierte ihn vollkommen. Etwas Außergewöhnliches musste passieren. Irgendwas …

Kurz vor Mitternacht machte Emelie sich zu einem Spaziergang auf den Weg. Die Temperatur war mild und sehr angenehm. In der Ferne hörte sie den Ruf einer Eule, kurz darauf ein Rascheln im Unterholz. Auch die Tiere genossen diese Nacht, ebenso wie sie. Es schien, als würde es einer der schönsten Nächte vom ganzen bisherigen Sommer werden. Tief atmete sie die frische saubere Luft ein. Wie gut das gemähte Gras und der herannahende Herbst rochen.

Emelie schaute zum Mond hinauf. In solchen Nächten war sie ihrer Familie ganz nahe. Sie dachte traurig zurück an die Zeit, wie sie früher gewesen war. Die Gesichter ihres Mannes und ihrer Kinder erschienen vor ihren Augen. Immer mehr Erinnerungen stiegen in ihr hoch. Wie sie jeden Abend ihren Kleinen das Gutenachtlied vorsang. Ganz vertieft lief sie, leise summend, die Straße zurück zu ihrem Haus. Es war schon spät und es wurde Zeit, schlafen zu gehen. Plötzlich wurde sie durch laute Musik und Gelächter aus ihren Gedanken gerissen. Sie kannte das bereits. Wieder einmal ein Trinkgelage, wie fast jedes Wochenende. Einerseits hatte sie Verständnis für die Jugendlichen, es gab ja nicht viel, was sie unternehmen konnten. Andererseits hatte sie durch Alkohol ihre Familie verloren. Der Unfallverursacher hatte die Wahl gehabt, ob er trinkt oder nicht. Für ihre Familie hatte es diese Auswahl nicht gegeben. Sie versuchte, keinen Hass zu empfinden, es würde nichts ändern. Um damit klarzukommen, was geschehen war, war es leichter es als Schicksal anzusehen. Langsam wurde ihr kalt und sie war froh gleich wieder in ihrer warmen Stube zu sein.

Timo, Dieters bester Freund, hatte Emelie im Mondschein laufen sehen. Niemals hatte er mit ihr gesprochen. Er kannte sie eigentlich gar nicht. Trotzdem fühlte er eine starke Abneigung. Immer wieder hatte er den Gesprächen seiner Eltern über sie gelauscht. Was sie sagten, war keineswegs vorteilhaft gewesen. Auch er war ein Außenseiter im Dorf; für viele von seinen Schulkameraden war er einfach nur Luft. Ein Niemand. Nur Dieter redete ab und zu mit ihm. Für Timo war er der einzige Freund.

Das war auf der Party auch nicht anders. Selbst Dieter opferte nicht viel Zeit für ihn, war er doch ständig hinter Marjam her. Dies erschien nun Timo eine gute Gelegenheit zu sein, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Eifrig lief er zu Dieter, um ihm zu erzählen, was er gerade entdeckt hatte: »Hey Alter, haste gesehen? Da lief gerade unsere Dorfhexe. Wer weiß, was die für ne Voodoo Show abgezogen hat.«

Dieter hatte keine Lust, mit Timo über Emelie zu reden. Er hatte Wichtigeres zu tun und versuchte das Gespräch kurz zu halten. Leicht genervt erwiderte er: »Timo, das ist doch Quatsch, es gibt keine Hexen.«

Timo jedoch ließ sich nicht so leicht abwimmeln. Er sprach extra laut: «Denkst du! Ich kann mir vorstellen, dass die gerade auf dem Friedhof war und alle verflucht hat. Die ist doch stinksauer, du weißt schon, wegen der Schmierereien und der toten Katze.«

Langsam kotzte Dieter das Gerede von Timo wirklich an. Glaubte er doch nicht an diesen ganzen Hokuspokus. Völliger Blödsinn! Gerade als er Timo den Rücken kehren wollte, bemerkte er Marjam neben sich. »Weißt du Dieter, früher hat man die Hexen gefoltert. Mit Feuer und so. Wenn sie keine Hexen waren, starben sie in den Flammen und ihre Seelen wurden gerettet. Waren sie aber welche, empfanden sie keine Schmerzen und überlebten unbeschadet. Wäre doch interessant, das bei unserer Hexe auszuprobieren.«

Timo starrte Marjam mit offenem Mund an. Es war ihm anzusehen, dass er wirklich darüber nachdachte. Dieter fühlte sich nicht mehr wohl in seiner Haut. Die anderen hörten grinsend zu. Marjams Idee schien ihnen zu gefallen!

»Komm Dieter, sei kein Frosch. Ich mein nicht, sie wirklich verbrennen. Eher so ein bisschen mit Feuer ängstigen. Nur so zum Spaß. Einfach mal gucken, wie sie reagiert.«

Mirjams Stimme war leise und sehr ruhig. Dieter behielt das mulmige Gefühl. Das vor seiner Traumfrau zuzugeben, nein das konnte er nicht. Was sollte er tun? Die Stimmung begann zu brodeln. Die Schmierereien waren ja noch ganz lustig, bei der Sache mit der toten Katze war er nicht dabei gewesen. Das jetzt fand er überhaupt nicht gut. Am liebsten wäre er nach Hause gegangen.

Emelie hatte ihr Haus noch nicht erreicht. Sie hörte die Stimmen immer näherkommen. Das gefiel ihr nicht. Unruhe und Angst krochen in ihr hoch. Der grausame Streich mit der Katze ging ihr durch den Kopf. Sie lief immer schneller, doch die anderen kamen näher. Fast hatten sie die Hexe erreicht und die Aufregung stieg. Wo sie vorher gesungen und gelacht hatten, war auf einmal Stille. Es war wie in einem Film, ein sehr schlechter Film, in dem Dieter mitspielte. Ihm war klar, das war die letzte Chance das nahende Unheil aufzuhalten. Er versuchte, etwas zu sagen und seine Freunde zu stoppen.