Will Hofmann

Götter

Roman

Fabulus-Verlag

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© 2016 by Will Hofmann
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Lektorat: Elmar Klupsch, Stuttgart
Umschlaggestaltung: Gestaltungsbüro Röger & Röttenbacher GbR, Leonberg
Satz und E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-944788-26-5

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Inhalt

Prolog

Flucht

Freiheit

Rache

Prolog

Die Frau fiel ihm sofort ins Auge. Clemens Röder wollte sich drei Dosen Sauerkraut kaufen. Er liebte es, zwischendurch eine Gabel davon in den Mund zu schieben und genüsslich zu kauen. Er brauchte nichts dazu, es ersetzte ihm das zweite Frühstück. An seinem Kartoffelstand hatte er immer einen kleinen Vorrat stehen, und der war aufgebraucht.

Die Fremde stand neben ihm, als er im untersten Regal die richtige Marke suchte. Sie war merkwürdig gekleidet; eher nach der Herrenmode zu Kaisers Zeiten, wie Clemens sie von alten Bildern her kannte. Ja, die Dame trug Herrenkleidung, eine Art hellen Leinenanzug. Der war reichlich abgetragen und einen Tick zu groß, das kam nun noch hinzu.

Eigentlich waren Clemens zuerst die Schuhe aufgefallen, als er sich gebückt hatte. Die sahen aus wie selbstgemacht, halbprofessionell. Bei Schustern in Marokko hatte er ähnliche Gebilde gesehen, aus weichem Leder, ohne Sohle, über den Knöcheln wie ein Sack zusammengebunden.

Die Frau entfernte sich, Clemens blickte hinter ihr her. Sie hatte einen leichten, federnden Gang, die Bewegung war elastisch, fast tanzend – frisch, ganz im Gegensatz zu ihrer Kleidung.

Clemens konnte nicht anders, er ging der Fremden nach, bemühte sich aber, nicht aufzufallen.

Auch das war merkwürdig. Die Frau nahm Dinge aus den Regalen und musterte sie so, als hätte sie sie noch nie gesehen. War sie eine Ausländerin, die versuchte, die Etiketten zu entziffern?

Doch nicht nur die Dosen und Packungen erforschte sie. Sie starrte auch die Regale, die Preisschilder, die Wurst-, Fleisch- und Fischtheke an, als wäre das alles rätselhaft für sie.

Clemens gewahrte wohl, dass auch andere Kunden verwundert reagierten. Einige warfen der Frau neugierige, oft abschätzig Blicke zu.

Die Fremde entdeckte jetzt die Kühltruhen. Clemens konnte sich nicht helfen, es kam ihm so vor, als ginge sie nicht einfach nur dorthin, sondern sie schien regelrecht zu studieren und zu beobachten, was andere Kunden dort machten; so, als sei ihr das alles vollkommen unbekannt. Kurz darauf griff die Fremde in die Gemüsetruhe, ließ die Erbsenpackung aber sofort wieder fallen. Hatte sie etwa mit der Kälte in der Kühltruhe nicht gerechnet? Schnell fasste sie sich ein Herz, nahm die Erbsen nochmals heraus und betrachtete die Schachtel von allen Seiten. Sie schüttelte sie und legte sie leicht irritiert zurück.

Dann ging die junge Frau zu den Kurzwaren. Dort stand ein Mann in ähnlicher Aufmachung, er trug einen buschigen Vollbart. Die beiden gehörten ohne Zweifel zusammen. Sie zog ihn zu den Kühltruhen und zeigte ihm ihre Entdeckung. Auch er war von den gekühlten Artikeln mehr als beeindruckt. Von ihrer Unterhaltung konnte Clemens nicht jedes Wort verstehen, er merkte aber schnell, dass sie in einem merkwürdigen Tonfall sprachen. Es hörte sich nicht nach einem ausländischen Akzent an, eher nach einem Dialekt – einen, den er jedoch noch nie gehört hatte. Und herumgekommen war Clemens Röder schon ordentlich. Mehr als einmal hatte er Leuten, die er neu kennenlernte, sehr genau die Region benennen können, aus der sie kamen.

»Na ihr zwei, seid wohl aus dem Urwald geflohen?«, meinte ein anderer Kunde. Er kam sich offenbar besonders witzig vor und griente in sich hinein. Die beiden sahen sich verunsichert an, beratschlagten sich kurz und gingen zur Kasse, ohne aber etwas zu kaufen. An der Kasse starrten sie wieder wie gebannt auf die Vorgänge, die dort abliefen. Im Vorbeigehen musterten fast alle Leute das seltsame Paar, als käme es aus einer anderen Welt. Jemand scharwenzelte um sie herum, und Clemens machte ihn sofort als Ladendetektiv aus. Die Situation konnte sich zuspitzen.

Die beiden hatten längst bemerkt, dass sie beobachtet wurden. Schließlich nahm der Mann die Schöne bei der Hand, ging an der Kassiererin vorbei und brummelte: »Hab mein Geld vergessen.«

Clemens kam es eher so vor, als hätten sie überhaupt keines. Vielleicht wussten sie nicht einmal, was das war. Die Kassiererin nickte beiläufig. Die Zwei verließen den Laden, und Clemens bedauerte es, eine so lange Schlange vor sich zu haben.

Clemens schätzte die Frau auf Anfang dreißig. Dunkelblondes, kräftiges Haar, das lang hinter die Schultern fiel. Wettergegerbtes Gesicht mit betonten Wangenknochen. Nicht im üblichen Sinn schön, eher ausdrucksstark. Tiefliegende Augen, die neugierig in die Welt blickten und hellwach die Umgebung aufnahmen. Eine Frau, die schnelle Entscheidungen treffen konnte und Entschlusskraft ausstrahlte. Dazu die schlanke Figur mit den wendigen Bewegungen – äußerst anziehend.

Schade, dass sie weg war. Auch der Mann schien interessant. Doch ihn hatte Clemens längst nicht so genau beobachtet. Beide waren geheimnisvoll.

Offenbar hatten sie einen derart gewaltigen Eindruck auf Clemens gemacht, dass er in der Nacht von Ufos träumte. Und einem davon entstieg das seltsame Paar als Botschafter einer anderen Welt. Die Frau kam auf ihn zu – sehr elegant gekleidet.

Eine Weltraumprinzessin.