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Rainer Magulski

Eddas Lebenszeichen

Kriminalroman eines Kriminalisten auf der Suche

Groas Erweckung

Lang ist die Wanderung,

die Wege sind lang,

Lang ist der Menschen Verlangen.

Wenn es sich fügt, dass sich erfüllt Dein Wunsch,

So lacht Dir günstiges Glück

aus “Groas Erweckung“ in der „Älteren Edda“

(altnordische Liedersammlung)

Vorbemerkungen

Wenn ein Kriminalist als Krimi-Autor die Wirklichkeit verlassen will, wird ihm das nie ganz gelingen. Dennoch betone ich: Dieser Roman ist eine Fiktion. Allerdings sind darin Wahrheiten aus meinem wirklichen Leben eingesponnen. Mein Alter Ego Rudi Fritz lässt grüßen! Vorsicht: In den anderen Roman-Protagonisten versteckt sich Rudi Fritz eher nicht.

Vielleicht rätselst Du, was dieser besondere Untertitel besagen soll: Kriminalroman eines Kriminalisten auf der Suche nach weltoffenen und partnerschaftlich gesinnten Menschen für ein Gründerteam zum Projekt Weltbürger21. So signalisiere ich bewusst auf dem Titelblatt mein Anliegen. Niemand soll beim Lesen enttäuscht werden. Es erwartet den Leser ein etwas anderer Kriminalroman. In ihm geht es neben kriminalistischen Aspekten auch um wichtige politische und weltpolitische Einsichten und Ansichten. Wenn Du spontan „verrückter Versuch“ denkst, kann das durchaus eine mehrheitsfähige Einschätzung sein. Vielleicht hat Dich der Untertitel neugierig gemacht. Dann wirst Du auf viele der sich stellenden Fragen im Roman Antworten finden.

Zur Klarstellung gestehe ich noch: Als Schriftsteller fühle ich mich nicht - obwohl ich über die Jahre mehrere Bücher veröffentlicht habe. Dagegen bin ich im Denken und Fühlen Kriminalist geblieben - obwohl ich nach einer erfolglosen Protestphase meinen Traumberuf als Konstanzer Kripochef schweren Herzens aufgegeben habe, um mir selbst treu bleiben zu können.

Nun bin ich einige Jahre Rentner und blicke auf ein gutes, glückliches und vielseitiges Leben zurück. Seit meiner Jugendzeit bin ich ein politisch nachdenklicher Mensch geblieben. Bei meiner Sicht auf unsere irdische Welt empfinde ich starke Gefühle von politischer Ohnmacht. Dieser Roman und die darin zur Sprache kommenden Vorhaben helfen mir, meine Ohnmachtsempfindungen zu mildern. Selbst dann, wenn meine Gedanken kein Echo auslösen. Dann habe ich es wenigsten versucht. Meine Ideen brauchen die moralische und faktische Unterstützung von vielen Menschen. Sonst geht es nicht. Mein Ziel, in vielen Ländern gemeinnützige Stiftungen als Non-Profit-Organisationen zu gründen beziehungsweise Beratung bei Aufbau, Organisation und Führung von solchen Stiftungen zu leisten, ist nur mit einem starken Team erreichbar. Es gibt weltweit viele NPOs und NGOs mit sinnvollen Anliegen. Dennoch sind die Motive und Ziele dieser Stiftung einmalig. Auch deshalb: Die Mitgliedschaft ist kostenfrei und zu Spenden darf niemand persönlich angegangen werden. Trotzdem kann die angedachte Stiftung auf dem voraussichtlich langen Weg hin zu einem Weltkonzern sein, der alle reinen Kapital-Gewinne ausschließlich gemeinnützig für eigene oder unterstützungswerte andere partnerschaftliche Projekte mit humanitären, kulturellen oder politischen Zielen verwenden wird.

Falls Du im Erleben der aktuellen Weltgeschichte Ohnmachtsgefühle auch kennst, wirst Du mich verstehen. Wie immer Du denkst - ich wünsche Dir beim Lesen dieses Romans spannende Momente, kriminalistisches Einfühlungsvermögen und vielleicht versteckte Freude bei einigen je nach Einschätzung pikanten Passagen, die sich aus meinem persönlichen und kriminalistischen Erfahrungsschatz ergeben haben.

Mit diesem Kriminalroman hoffe ich, bei meinen beabsichtigten Lesungen im deutschsprachigen Raum Türen zu einem interessierten Publikum öffnen zu können.

Dabei kann ich neben dem kriminalistischen Nachdenken zum Fall auch meine Überlegungen zum Projekt mit einem „Gründerteam der Weltbürger-21-Stiftung“ erläutern.

Rainer Magulski

1 Schonzeit auf MS Nordnorge

Die flackernden Polarlichter wirken wie wehende Seidentücher in überwiegend grünen und lilafarbenen Pastelltönen. Um dieses Naturschauspiel erleben und genießen zu können, ist er schon früh aufgestanden. Den besonderen Mondaufgang noch vor Sonnenaufgang möchte er erleben. Eine seltene Konstellation mit Vollmond, Venus und Mars am Morgenhimmelhorizont ist angekündigt. Der tosende Wind im Hafen von Harstad bläst kräftig auf Deck der MS Nordnorge. Deshalb hört er die Boogie-Woogie-Musiktöne von seinem alten Nokia-Handy nicht. Schonzeit für ihn. Er beobachtet die routinierte Ruhe der beiden bärtigen Männer, die in ihrem gelben Ölzeug an der Landungsbrücke warten. Eine kleine Frau und drei große Männer, alle in warmen Klamotten mit Kapuzen eingepackt, lassen sie noch kurz vor dem Auslaufen aufs Schiff zusteigen. Nachdem die Luken geschlossen sind, legt die MS Nordnorge vom Hafen-Kai ab und taucht schwungvoll in die aufgeschäumte See ein. Von seinem Standplatz auf dem Vordeck schaut er dem ersten Tagesschimmer am Horizont gespannt entgegen. Die kalte Gischt spritzt in sein Gesicht und auf seine Kleidung. So spürt er die See unmittelbar. Das tut ihm gut. Von diesen fantastischen Farbspielen am norwegischen Morgenhimmel ist Manfred Hellinger begeistert. Er genießt die raue See und das grandiose Schauspiel der magischen Nordlichter.

Hinter einer kleinen Wolke, die wie ein farbenprächtiger aufgezogener Bühnenvorhang den Blick freigibt, taucht wie am Band gezogen die goldfarbene Vollmondscheibe auf. Mit staunenden Blicken und Gedanken begleitet Manfred fasziniert den herüberstrahlenden Erdbegleiter. Er meint, nicht den Mann im Mond sondern ein kleines Kind eingerollt wie einen Embryo in der goldenen Mondscheibe zu erahnen und denkt:

Der Mond ist Einzelkind der Erde – oder ein Findelkind? Wissenschaftlich scheint noch ungeklärt, ob der Erdtrabant aus Erdenmasse oder aus Teilen eines vorbeiziehenden anderen Himmelskörpers entstanden ist. Einerlei, ob er Kind oder Findelkind der Erde ist. Für den Mond ist die Erde jedenfalls jetzt Mutter Erde, so wie für die Erde die Sonne Mutter Sonne ist. Aber es geht ja noch weiter. Wenn die Wissenschaft sich nicht irrt, gehört die Sonne neben 100 bis 300 Milliarden (das ist kein Schreibfehler) anderen Geschwister-Sonnen zu unserer Galaxis als Mutter, die ja Mutter Milchstraße genannt werden könnte. Mit unserem galaktischen Mantel Mutter Milchstraße ist das Wahnsinnige lange noch nicht genug. Unsere Galaxis ist ja auch nur ein Kind innerhalb des Weltalls, in dem sich vielleicht bis zu 500 Milliarden andere Galaxien tummeln sollen. Und könnte es sein, dass unser Weltall, unser Kosmos nur ein relativ kleiner Teil eines gigantischen Universums ist, das tatsächlich aus vielen unzählbaren Kosmen besteht? Unvorstellbare riesige Räume und ewige Zeiträume, die gedanklich nicht mehr wirklich erfassbar sind. Und Einsteins Urknalltheorie, die sich so gesehen auf unseren Kosmos-Teilbereich beschränkt, würde das vermutlich aushalten können - auch wenn Wissenschaftler erst jetzt Einsteins Wellentheorie bewiesen haben sollen. Einerlei. Jedenfalls hält das Kind Mond Mutter Erde ganz schön in Schwung. Immerhin gehen die gewaltigen Bewegungen von Ebbe und Flut und wohl noch viele andere Turbulenzen in der Atmosphäre auf das innige Erde-Mond-Mutter-Kind-Verhältnis zurück. Vielleicht sogar noch manches Beben im Erdinneren. Aber was soll’s, der Mond ist hier und jetzt einfach fantastisch. Fast zum Anbeten! Wir Erd-Menschen sollten eigentlich erkannt haben, dass es für uns keine Chance gibt, unsere Spezies auf einem anderen Planeten des Sonnensystems oder gar irgendwo in der Milchstraßen-Galaxis anzusiedeln. Deshalb wäre es allemal vernünftig, unsere kostbare Erde nicht zu zerstören. Nur auf ihr kann die Menschheit vernünftig leben. Wenn die Weltraum-Wissenschaft trotzdem irrsinnige Anstrengungen unternimmt, um auf anderen Gestirnen Lebensmöglichkeiten für den Menschen zu untersuchen, dann mag das eine für die Wissenschaft einträgliche Beschäftigungsmöglichkeit sein. Die dafür erforderlichen Mittel könnte die Menschheit sicher sinnvoller auf der Erde verwenden. Jedenfalls ist klar: Wir haben keine Chance, von der Erde zu flüchten. Deshalb sollten wir Menschen die Lebensgrundlagen für uns und alles andere Leben auf diesem wundervollen und verwundbaren Himmelskörper nicht selbst zerstören.

Heute ist schon sein fünfter Hurtigruten-Tag. Die zwölf Tage dauernde Schiffsreise entlang der norwegischen Küste vom südlichen Bergen über das Nordkap bis nach Kirkenes und wieder auf einer Parallel-Route nach Bergen zurück schmückt sich als „die schönste Seereise der Welt“. Sie ist es auch für ihn. Die mächtigen Fjorde, eingerahmt von imposanten Berglandschaften, beeindrucken ihn auch jetzt wieder. Und die an den Uferkanten angesiedelten kleinen Dörfer mit ihren farbenfroh bemalten Häuschen vereinen sich zur bunten Vielfalt. Wie Wildblumenblüten auf einer Wiese unterstreichen sie die Schönheit und Faszination dieses nordischen Naturlandes. Vor vielen Jahren hatten Manfred und Frida auf dieser Schiffsroute ihre Hochzeitsreise unternommen. Damals fuhren sie zur Mitsommerzeit. Es waren unvergessliche Tage. Auch Frida konnte wenigstens für die Tage auf See ihre schlimmen Erfahrungen in Ruanda verdrängen. Den unvergesslichen Flittertagen während der Seereise folgten vertrauensvolle Ehejahre - und nach der Ankunft ihrer Zwillinge die beglückende Elternschaft. Bis zu dem schrecklichen Verkehrsunfall vor vier Jahren, als ein betrunkener Jüngling zu schnell in eine Kurve raste, auf die Gegenfahrbahn geriet und frontal auf Fridas Mini Cooper auffuhr. Sie war sofort tot. Auch der junge Mann starb Tage später. Bis heute kann Manfred diesen Schicksalsschlag nicht verwinden.

Frida und Manfred lernten sich 1990 zufällig in Ruanda kennen. Damals hielt er sich nur wenige Wochen in einem Hotel in Kigali auf, um als Bankmanager die ruandische Regierung zu beraten. Frida bewohnte ein Zimmer im selben Hotel. Sie engagierte sich mit viel Enthusiasmus als Kinderärztin bei „Ärzte ohne Grenzen“. In den folgenden Jahren bis 1994 musste sie während des ausbrechenden Bürgerkriegs Schreckliches erleben. Den Menschen wurde schlimmste Gewalt angetan. Frauen, Männer und sogar Kinder wurden mit Macheten bestialisch verstümmelt oder ermordet und oftmals einfach geköpft. Viele Frauen und Kinder wurden vor einem Massaker brutal geschändet. Wenn die durchs Land ziehenden menschlichen Bestien keine anderen Waffen hatten, wurden ihre Opfer mit Knüppeln grausam und erbarmungslos totgeschlagen. Die Huttu-Horden hatten es vor allem auf Angehörige der verfeindeten Tutsi abgesehen. Aber es wurden auch andere Menschen massakriert, die das Morden verhindern wollten oder den Tutsis Unterschlupf gewährten. Damals gelang es Frida mit ihrem Ärzteteam, Ruanda im April 1994 vor dem endgültig ausbrechenden Genozid zu verlassen. Frida konnte diese schlimmen Erlebnisse und Bilder nie vergessen. Als bald nach der Hochzeit die Zwillinge geboren wurden, gab sie ihren Beruf ganz auf. Sie wollte von da an alleine für die Kinder und die Familie da sein.

Manfred Hellinger bleibt lange auf Deck. Er ist ein stattlicher schlanker Mann und misst etwas über 1,80 m. Seit Beginn der Schiffsreise hat er sich nicht mehr rasiert. Seine Bartsprossen sind teils schwarz, rötlich, braun und grau. Sie geben ihm ein leicht wildes Aussehen, zumal der Wind ihm sein dunkles Kopfhaar zerzaust hat. Manfred denkt ganz nach innen gekehrt: Frida, Du fehlst mir sehr - und unseren Kindern. Unaufhörlich werde ich Dich lebenslang tief in meinem Herzen lieben, ehren und vermissen. Ich sehne mich in meinen Träumen nach Dir. Diese Reise habe ich unternommen, um meine guten Erinnerungen neu beleben zu können und Dir dadurch nah zu sein.

Als die Sonne sich über dem Horizont mit kräftigem Blutrot ankündigt und immer mehr Seemöwen mit kreischenden Rufen auf sich aufmerksam machen und so ihren Appetit herausschreien, entschließt er sich, ins Schiffsrestaurant zu gehen. Auf das Frühstück freut er sich. Im Restaurant gehört er zu den ersten Gästen. Manfred setzt sich wie gewohnt an den runden Tisch mit Blick auf die jetzt im Morgenlicht leuchtende, stürmische See. Einige Minuten genießt er den Ausblick. Dann geht er zum Büfett und platziert auf einem Tablett Kaffee und naturtrüben Apfelsaft, Brötchen mit Butter und Marmelade, Schinken, Salami und Käse. Außerdem legt er neben den Käse ein paar Weintrauben. Dazu nimmt er sich auch noch ein weichgekochtes Ei aus einem mit Stroh ausgeschlagenen Körbchen. Zurück an seinem Tisch lässt er sich sein opulentes Frühstück schmecken. Als er schon gerade fertig gefrühstückt hat, kommt seine wettergegerbte norwegische Schwägerin Hannah zusammen mit ihrem hochgewachsenen Mann Harald an den Tisch und begrüßt ihn mit „Hallo Manfred“, umarmt ihren Schwager herzlich und strahlt ihn mit ihren blauen Augen fröhlich an. Harald begrüßt Manfred zuerst mit einem kräftigen Händedruck – aber dann umarmen sich die Männer auch. Diese Hurtigruten-Schiffsreise hat Manfred über die beiden gebucht, nachdem Hannah und Harald ihn zu der Reise überredet hatten. Die Beiden sind allerdings erst gestern in Trondheim zugestiegen. Dort wohnen sie in ihrem kleinen blauen Häuschen. Nur die schmale Strandstraße trennt ihr Haus vom Fjord-Ufer. Manfred ist froh, weil beide Norweger sind und die Landessprache sprechen. Allerdings wird auf dem Schiff auch viel deutsch und englisch gesprochen. Nach der herzlichen Begrüßung bedienen sich auch Hannah und Harald am reichhaltigen Büfett. Manfred versteht sich mit beiden bestens. Erst als Hannah und Harald mit ihren gefüllten Tellern wieder zurück an den Tisch kommen, fällt seiner Schwägerin Manfreds Äußeres auf:

„Manfred, Deine Jacke ist ja ganz feucht - Du warst so früh schon auf Deck?“

„Ja, sogar fast zwei Stunden. Diese farbenreichen Polarlichter faszinieren mich. Und dazu hab ich noch eine sehenswerte Konstellation von Mond, Venus und Mars erlebt, die ganz nah zusammen über dem Horizont zu sehen waren. Ein fantastisches Bild. Und ich habe viel an Frida und unsere erste Hurtigruten-Reise denken müssen. Es war ja unsere Hochzeitsreise. Frida fehlt mir sehr. Aber ich bin dankbar für die Zeit mit ihr und für unsere prächtigen Zwillingskinder. Nils hat gestern angerufen. Er will zum ersten Mal nach dem Beginn seines Medizinstudiums in Berlin für ein Wochenende nach Hause kommen und ausspannen. Das Studium fordert Nils ordentlich. Wichtig ist ihm aber auch, ein paar Tage mit Edda zu haben, bevor sie nach Brasilien fliegt.“

„Wie geht es eigentlich Edda?“

„Ich denke gut. Zuletzt habe ich vorgestern mit ihr telefoniert. Auf meinen Anruf und dann meine SMS von gestern Abend hat sie allerdings noch nicht reagiert. Seit ihrem Australienaufenthalt schaltet sie ihr Smartphone oft ab – auch wegen der etwa zehnstündigen Zeitverschiebung zwischen Sydney und Deutschland. Edda meint, sie will sich von der digitalen Welt gelegentlich frei machen, und sie sehe es dann beim Anschalten und könne zurückrufen oder mailen, falls jemand sie erreichen wollte. Edda kam vor zwei Wochen von Australien zurück. Im Bauunternehmen mit Architekturbüro von Onkel Hendric hat sie ein Praktikum absolviert, um sich auf ihr Studium vorzubereiten und auch ihr Englisch zu verbessern. Es hat ihr in Sydney gut gefallen. Was sie bisher erzählt hat, klang begeistert. Sie will bald an der TU Berlin ein Architektur-Studium aufnehmen. Vorher fliegt sie aber für einige Monate nach Brasilien, um sich dort die futuristische Metropole anzusehen. Edda kann in Brasilia bei einem Freund von mir wohnen. Er spricht auch Deutsch. Seine deutschen Vorfahren kamen im 19. Jahrhundert aus Pommern nach Brasilien. Übrigens leben dort viele Deutschstämmige. Sie pflegen sogar die alte Kultur mit den fröhlichen pommerschen Festen und Gebräuchen. Viele der deutschen Nachkommen sprechen sogar immer noch ihren Pommerschen Dialekt. Mein guter Freund Dr. Filipe Richter arbeitet bei der Banco do Brasil im Management. Er freut sich auf Eddas Besuch und meinte neulich, er wolle ihr auch viel von Brasilien zeigen.“

Das Restaurant füllt sich langsam. Manfred wird es auf einmal kalt. Er hat das Bedürfnis, sich unter die warme Dusche zu stellen und frisch zu machen. Zu Hannah und Harald sagt er:

„Ich bitte Euch um Nachsicht. Mir wird kalt und mich schubbert es – ich denke, ich sollte jetzt duschen, um mich nicht zu erkälten. “

„Pass bloß auf Dich auf, Manfred, dann sehen wir uns vielleicht später in der Bibliothek. Oder willst Du Dich wieder im Fitnessraum sportlich schinden?“ Hannah schmunzelt.

„Heute werde ich lieber ein interessantes Buch über die Machenschaften der Vatikan-Bank zu Ende lesen. Ein sehr aufschlussreiches und gut recherchiertes Buch in einem undurchsichtigen Milieu, das nicht grundlos in der öffentlichen Kritik steht. Das Buch gibt tiefe Einblicke in die dunklen Seiten der katholischen Kirche. Kann ich Euch empfehlen. Dem neuen Papst Franziskus wird es vielleicht gelingen, in der Vatikan-Bank und im Vatikan aufzuräumen. Er hat doch tatsächlich gewagt, seiner Kurie gewissermaßen die Leviten zu lesen. Wenn er sagt, die katholischen Priester, Bischöfe und Kardinäle litten an ‚geistlichem Alzheimer‘ und hätten Krankheiten wie ‚existentielle Schizophrenie‘, ‚sozialen Exhibitionismus‘ und ‚Machtgier‘, dann sagt er eigentlich nur, dass seine Kurie ein Club der Scheinheiligen ist. Ich mag diesen Papst mit seiner volksnahen Sprachgewalt und fürchte, dass er mit dem riskanten Frontalangriff sich womöglich selbst stark gefährdet hat. Hoffen wir, dass er von den gedemütigten Würdenträgern nicht gemeuchelt wird“, grinst Manfred und verabschiedet sich.

2 Duschgespräche

Seine Mini-Suite mit dem roten Polstermobiliar gefällt Manfred. Bevor er sich auszieht, wirft er einen Blick aus dem Bugfenster. Die MS Nordnorge fährt im dichten Abstand an der Felsküste des Fjords entlang Richtung Finnsnes. Der Wind ist abgeflaut. Die gleichmäßigen Schiffsschwingungen sind jetzt kaum noch spürbar. Bevor er den blauen Anorak auszieht, leert er seine Taschen: Seine kleine Taschenlampe, Tempo-Taschentücher, Taschenetui, das Brillenetui, das rote Schweizermesser, sein altes Nokia-Handy, die Briefmappe und den Taschenkalender. Er legt alles auf den abgerundeten Kabinentisch. Seine Kleider wirft er locker auf den davorstehenden roten Ledersessel.

Die Dusche genießt er – der warme Duschstrahl erzeugt eine wohlige innere Wärme. Ein gutes Gefühl. Manfred lässt den verhaltenen Wasserstrahl über die Haare und sein stoppelbärtiges Gesicht bis zu den Füßen lange fließen. Wie häufig, wenn er sich unter der Dusche gut fühlt, spricht er mit seinen Körperteilen. Anstatt zu singen. Als er seine Füße abduscht, blickt er auf seine beiden großen Zehen:

„Jetzt bin ich stolz, Eure Zehennägel endlich wieder gesund und schimmelfrei hinbekommen zu haben. Das hat ja lange gedauert. Wenn ich recht überlege über zwei Jahre. Jetzt fühlt ihr Euch wieder gut an. Ich glaube, die tolle selbst hergestellte Nachtkerzen-Creme von Helga Grommer hat viel dazu beigetragen.“

Der große linke Zeh reagiert zuerst: „Mich hast Du doch schon vor einem Jahr wieder gesund bekommen. Dein rechter Zehennagel dagegen wollte und wollte nicht heilen.“

Der große rechte Zeh empört: „Jetzt hör sich einer diesen Schleimer an – dabei hast Du mich damals angesteckt. Aber ich bin froh, wieder einen gesunden Nagel zu haben. Rudi, mich kannst Du auch künftig mit der Nachtkerzen-Creme verwöhnen. Mir tut sie wirklich gut.“

„Erwin ist bestimmt bereit, die wild wachsenden gelben Nachtkerzenblüten im nächsten Sommer oder Herbst wieder zu suchen und zu ernten. Dann kann Helga beim Aufkochen im Melkfett-Sud die Nachtkerzen-Creme herstellen. Einmal habe ich ihr dabei zusehen können. Das war ein erstaunlicher Prozess, als das Öl der Nachtkerzenblüten sich beim Aufkochen mit dem Melkfett verbunden hat. Viele große und kleine Blasen verursachten ein brodelndes Schauspiel. Einige Blasen platzten dabei geräuschvoll auf – das Ganze wirkte wie ein spektakulärer Versuch im Chemielabor.“

Zu seinen Bartstoppeln, die ihn jetzt jucken, sagt Manfred schmunzelnd:

„Ihr könnt mich ruhig ein paar Tage kitzeln – ihr habt immerhin eine gute Woche vor euch, bevor ich euch wieder kurz halten werde.“

„Muss das sein? Wir sind im Moment fein raus – und möchten das gerne länger dürfen. Vielleicht kannst Du eines Tages mit unserer Hilfe sogar den Weihnachtsmann spielen. Deine Kinder würden ganz bestimmt sehr überrascht sein und sich riesig freuen.“

„Ok. Ich werde darüber nachdenken. Aber zuvor wollen wir diese Urlaubsreise genießen. Bis Weihnachten ist noch lange hin. Meine Erinnerung vom letzten Versuch, Euch möglichst ungeschoren herauszulassen erbrachte dann ja ein farbenbuntes Stoppelfeld in mein Gesicht. Ein unansehnlicher Wuschelbart wuchs, der nun wirklich nicht zu meinem Beruf passt. Allerdings hat sich das in der allgemeinen gesellschaftlichen Anschauung in den letzten Jahren gewandelt. Seid froh, wenn ihr mich bis zum Ende der Schiffsreise umgarnen und manchmal sogar kräftig jucken könnt.“

Mit seinem Duschgel reibt Manfred jetzt den ganzen Körper ein. Dann nimmt er den Duschkopf zur Hand und richtet den Strahl minutenlang auf seinen Rücken. Dabei legt er genüsslich den Kopf in den Nacken. Dann steuert er den Duschstrahl auf seine Brust und führt ihn langsam nach unten erneut zu den Füßen. Und wieder hoch zum Bauchnabel. Jetzt hört er fast gehaucht:

„Willst Du mich heute nicht ordentlich waschen? Meinen Hals hast Du vergessen.“

Schmunzelnd richtet Manfred den Duschstahl jetzt auf sein Glied und wäscht sich da untenrum nun auch wie immer gründlich:

„Du hast natürlich Recht, mein kleiner Kumpel. Ich hoffe nur, Du willst heute nicht schon wieder wie so oft in letzter Zeit mich bedrängen und groß rauskommen?“

„Warum nennst Du mich heute kleiner Kumpel und nicht wie sonst kleiner Freund?“

„Weil das jetzt besser dazu passt, wo du hin willst … offenbar hast Du Sehnsucht, mal wieder unter Tage sein zu können! Du wirst Dich gedulden müssen – ich bin nicht soweit und nicht bereit, deinem ständigen Drängen nachzugeben. Gliedgesteuerte Gezeiten waren gestern. Schließlich bin ich kein gliedgesteuerter Geselle mehr. Du kannst mir glauben: als gehirngesteuerter gestandener Mann fühle ich mich selbstbestimmter.“

„Ha, ha, eine Sehbrille hast Du ja schon – willst Du warten, bis Du Hörhilfen, Gehhilfen und für mich Stehhilfen brauchst?“

„Ho, ho, lass gut sein, Du kleiner Schelm!“

„Du bist schließlich kein Bischof oder Papst. Also freue Dich einfach, weil ich immer mannhaft zu Dir stehen möchte. Gliedbeglückende Gefühle sind mir jedenfalls lieber als eine hirnverrückte Hängepartie. Du solltest mich wieder einfach mehr beachten und wichtig nehmen. Oft denke ich an die alte Zeit, als wir uns beide lustvoll fühlen konnten. Du kannst Dich bestimmt an einige der damals für uns beglückenden und bewegten Begegnungen erinnern. Ist lange her!“

„Ach hör schon auf! Willst Du Schlingel jetzt den Putin spielen?“

„Wer ist Putin?“

„Also, Putin ist der Präsident von Rußland. Er zeigt sich ganz gerne als sportlicher, starker Mann und manchmal sogar nackt beim Reiten – jedenfalls obenrum - damit alle Welt sehen kann, wie potent er ist. Das willst Du mir anscheinend auch von Dir leise zu verstehen geben, nicht wahr? “

„Ist Rußland nicht eine Diktatur – und Putin dann ein Diktator?“

„Das würde der nie zugegeben. Er ist zwar gewählt –viele sprechen von Wahlmanipulationen- aber Du hast recht: ein lupenreiner Demokrat ist er wohl eher nicht. Auch wenn der Altbundeskanzler Gerhard Schröder ihn schon so tituliert hat. Dafür hat der einen sehr guten Posten erhalten. Schröder ist kurze Zeit nach seiner Abwahl als Bundeskanzler Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG geworden. Das ist eine Tochtergesellschaft der russischen Erdgasfirma Gazprom, die Mehrheitsanteile an der Nord-Stream-Pipeline hat. Und mit ihr wird russisches Erdgas durch die Ostsee transportiert.“

„Klingt das nicht nach Lobbyismus?“

„Nun, das war tatsächlich nicht von der Hand zu weisen. Allerdings sahen das einige damals schon nahe an einer frechen Korruptionsvorbereitung, weil von der Deutschen Bundesregierung der Gazprom eine Bürgschaft über einen Milliardenkredit zugesagt wurde, kurz bevor Schröder als Bundeskanzler abtreten musste. Erst als ein lauter Aufschrei durch die Medien zu hören war, lehnte die Gazprom den Kredit ab, womit die Bürgschaft hinfällig war. Gerhard Schröder hat sich spätestens unmittelbar nach seiner Abwahl beim TV-Auftritt der Parteivorsitzenden selbst demaskiert. Obwohl er der Wahlverlierer war, tönte er gegenüber der Gewinnerin Angelika Merkel wie leicht angetrunken:

„Es gibt einen eindeutigen Verlierer – und das ist nun wirklich Frau Merkel“.

Damals sind bei diesem peinlichen Auftritt seine Defizite jedem Betrachter klar geworden. Und deshalb habe ich mich über Merkels Wahl zur ersten deutschen Kanzlerin dann auch noch nach der Koalitionsbildung mit Schröders SPD echt gefreut.“

3 Wir haben sie

Nachdem Manfred die etwas enge Dusche verlassen hat, trocknet er sich ganz gründlich ab. Dabei denkt er leicht amüsiert an den kleinen Dialog mit seinem Glied: Wir Menschen sind über die Sittenlehre in unseren Köpfen fast schon genetisch geprägt, den Intimbereich sogar vor uns selbst zu verbergen. Den Dialog von eben mit meinem Glied werde ich besser nicht in meinem Tagebuch oder sonst wo verewigen. Wenn das meine Kinder oder andere Menschen eines Tages lesen würden, müssten sie sich vielleicht fremdschämen. Dabei gibt es allenfalls einen funktionellen Unterschied zwischen meinem Glied und den anderen Gliedmaßen. Allerdings ist die Sexualität der stärkste Trieb, den es für die meisten Lebewesen und uns Menschen gibt. Das steckt wohl dahinter, dass in der Menschheitsgeschichte von den Mächtigen dieser dominierende Trieb mit allen Mitteln eingezäunt wurde. Sogar sprachlich wurde um das Untenrum ein großer Bogen gemacht. Jedoch galt das alles immer nur für das gemeine Volk. Bei einem offeneren und ehrlicheren Umgang mit der Sexualität würden bestimmt viel Leid und auch viel schlimme Kriminalitätsformen vermeidbar sein oder wenigstens stark reduziert werden.

Mit Blick auf seinen kleinen Freund bemerkt Manfred lächelnd:

„Aber nun, mein kleiner Kumpel, wollen wir uns anderen lustvollen Momenten zuwenden. Ich werde mich leger anziehen, dann auf dem Panoramadeck die fantastische Aussicht genießen und voraussichtlich ein bisschen lesen.“

„Was liest Du denn gerade?“

„Ein Buch über die Vatikan AG von Gianluigi Nuzzi. Dieses Buch enthüllt die Finanz- und Politskandale im Vatikan. Es ist kürzlich in deutscher Übersetzung erschienen und handelt von skrupellosen Finanzoperationen, Verbindungen zur Mafia, Geldwäsche, Bestechung von Politikern und vielen anderen miesen Machenschaften.“

„Musst Du im Urlaub solche Schmutzgeschichten wirklich lesen?“

„Ich muss nicht, möchte aber – mich interessiert das einfach. Allerdings auch aus beruflichen Gründen. Und du bleibst besser entspannt. Um aber nochmal auf Putin zurück zu kommen. In meinen Augen ist er keinesfalls ein lupenreiner Demokrat sondern ein undurchsichtiger Pokerspieler, der manchmal mit Falschspielertricks sogar Erfolge hat, aber am Schluss doch vermutlich auffliegt und auf die Nase fällt. Alleine seine zweite Präsidentschaft ist eine verfassungsfeindliche Inszenierung.“

„Was ist denn das für eine Geschichte?“

„Ich denke jetzt weniger an die erneute Präsidentschaftsgewinnung sondern vor allem an sein Vorgehen gegen die Ukraine bei der Annektion der Halbinsel Krim. Dazu an die gesteuerte Separatistenbewegung in der Ostukraine. Und dann wurde mit einer russischen Buk-Flugabwehrrakete das Passagierflugzeug MH17 über der Ostukraine abgeschossen. In der Ostukraine und auf der Krim wurden russische Uniformen ohne Abzeichen von Vermummten getragen und russische Panzer und andere schwere Waffen eingesetzt. Das entlarvt Putin, der im UN-Sicherheitsrat durch sein Veto verhindert hat, dass ein Tribunal zur Untersuchung dieses Flugzeugabsturzes eingesetzt werden konnte, bei dem alle 298 Menschen an Bord zu Tode kamen. Und jetzt hat er auch noch mit seiner Flugwaffe im Syrischen Bürgerkrieg auf der Seite von Diktator Baschar al-Assad eingegriffen. Mal sehen, wie die russischen Invasionen in der Ukraine und der Syrien-Einsatz für Putin enden. Offenbar geht es Putin bei all seinen Aktionen darum, in der Weltpolitik wieder eine Rolle zu spielen. Das ist mehr als verständlich. Es wäre nach der Auflösung der alten UDSSR wichtig gewesen, das geschwächte Russland nicht in eine Außenseiterrolle zu drängen. Von daher kann sich auch Russland gegenüber und von den USA mit der NATO gewissermaßen bedroht fühlen.

Allerdings hat sich ja jetzt auch Deutschland ein wenig Hals über Kopf im Syrienkrieg engagiert. Aber lassen wir das Thema heute besser ruhen. “

Manfred lacht lautlos in sich hinein. Er ist jetzt guter Dinge und schaut sich in seiner Minisuite um. Sie gefällt ihm. Er ist rundum zufrieden mit seiner Unterbringung. Beim weiteren Abtrocknen blickt er in den Spiegel: Mit den bunten Bartstoppeln bin ich mir selbst fremd. Aber sie verdecken meine sonst etwas strengen Gesichtszüge. Vielleicht sollte ich meinen Bart von einem Profi bewerten und probeweise beschneiden lassen. Das kann ich mir bis zum Ende der Reise locker überlegen.

Die Reise gibt Manfred das elementare Bewusstsein ich lebe und will aus meinem Leben trotz allem was Sinnvolles machen. Bei diesem Gedanken zieht er sich neue warme Unterwäsche, seine legere Cordhose und den marineblauen Pullover an. Dann nimmt er den kleinen Fön zur Hand und trocknet sein kurzgeschnittenes schwarzes Kopfhaar. Beim erneuten Blick in den Spiegel entdeckt er zwei längere graue Haare, die von seiner linken buschigen Augenbraue abstehen. Aus seinem Taschenetui nimmt er seine kleine Fingerschere und entfernt die störenden Haare. Als er die anderen Utensilien vom Kabinentisch wieder einstecken will, greift er auch zum Handy. Auf dem Display sieht er das kleine Briefsymbol Er fragt sich, wer ihm eine SMS geschickt haben könnte. Er ruft sie auf und liest:

wir haben ihre Tochter-keine Bullen-5 Mille-melden uns wieder

Diese schlimme Nachricht kommt von Eddas Handy. Sie benutzt ein Smartphone. Die SMS ist bereits um 07.23 h gesendet worden. Jetzt ist es schon kurz nach neun Uhr.

Manfred, bleib ganz ruhig, sagt er sich, vielleicht ist das nur ein übler Scherz. Das will ich genau wissen, denkt er spontan, ich rufe einfach zurück.

Er wählt Eddas Rufnummer. Eine Computerstimme teilt ihm mit, dass der Teilnehmer zurzeit nicht erreichbar ist. Er könne aber eine Nachricht hinterlassen. Nach dem Piep-Ton sagt Manfred mit zuerst ruhiger, dann leicht erregter und zunehmend hastiger Stimme:

„Edda, wenn das mit der Entführung kein übler Scherz ist, sage den Leuten folgendes: Natürlich werde ich für Dich bezahlen. Und die Polizei wird jetzt nicht von mir verständigt. Allerdings gilt das nur, wenn Dir kein Haar gekrümmt wird. Deine Entführer sollen wissen: ich werde alles für Dich und Dein Wohlergehen tun. Ich brauche ein paar Tage, bis ich von Norwegen zurück bin und das viele Geld beschaffen kann. Bitte melde Dich. Ich muss wissen, ob Du ok bist.“.

Damit beendet er seinen Rückruf. Manfred überlegt, habe ich gerade was falsch gemacht - so falsch kann das eigentlich nicht sein. Jetzt versucht Manfred, seinen Sohn Nils auf dessen Handy zu erreichen. Es meldet sich aber niemand, obwohl er lange klingeln lässt.

Als Manfred einige Minuten überlegt, was er jetzt machen soll, klingelt sein Handy – im Display steht „Nils“. Manfred nimmt das Gespräch an:

„Hallo Nils, bist Du dran?“

„Ja Papa. Ich war in einer Vorlesung und hatte mein Smartphone auf lautlos gestellt – ich habe die Vorlesung schnell verlassen, weil ich gesehen hab, dass Du anrufst. Was ist los?“

„Ich habe von Eddas Handy eine SMS erhalten. Darin wird von irgendwelchen Tätern behauptet, sie hätten Edda entführt. Moment, ich lese Dir die SMS vor – Augenblick, ich muss umschalten - die Nachricht lautet: Wir haben ihre Tochter. Keine Bullen. 5 Mille. Melden uns wieder. Das ist schon alles. Nils, hast Du eine Ahnung, was das bedeutet?“

„Das ist ja ganz fürchterlich, Papa. Was mit Edda los ist, weiß ich nicht. Ich habe sie heute früh schon vergeblich anzurufen versucht. Wir haben gestern miteinander telefoniert. Sie hat mir erzählt, dass sie sich mit ihren Freundinnen Susanna und Amalie treffen wird. Die drei wollten ausgehen. Habe Edda heute früh nicht erreicht. Ich wollte hören, wie der Abend war. Aber ihr Handy war wohl ausgeschaltet. Auf ihrer Mailbox habe ich um Rückruf gebeten. Sie hat sich noch nicht gemeldet. Das fand ich sonderbar, zumal wir verabredet hatten, heute früh zu telefonieren.“

Nils schweigt einen Moment. Dann spricht er bestimmend und betonend und dringlich:

„Papa, Du musst auf jeden Fall so schnell wie möglich nach Hause kommen! Wir sollten vielleicht die Polizei informieren – oder was meinst Du?“

„Ich weiß nicht mehr genau, was ich spontan auf die Handy-Mailbox von Edda gesprochen habe. Jedenfalls habe ich dabei gesagt, wenn das mit der Entführung kein übler Scherz ist, werde ich natürlich für ihre Freiheit bezahlen. Und die Polizei wird nicht verständigt, wenn ihr nichts geschieht. Ich habe auch gesagt, dass ich ja in Norwegen bin und erst in ein paar Tagen von Norwegen zurück sein kann. Erst dann könne ich das viele Geld beschaffen.“

Nils schnell gesprochene Worte verraten seine innere Ungeduld und seinen Tatendrang:

„Ich fahre sofort nach Hause. Ich hoffe, Du kommst auch so schnell wie möglich mit dem nächsten Flieger. Wenn es nicht anders geht, nimmst Du eben einen Privat-Jet.“

„Ganz bestimmt, ich komme so schnell es geht. Sobald ich den Zeitplan kenne, sage ich Dir und auch Erwin Bescheid, wann er mich in Frankfurt abholen kann. Hast Du eine Idee, was wir schon jetzt tun können?“

„Wir sollten Rudi um Hilfe bitten. Vielleicht kann er ja sogar nach Bad Homburg kommen. Wenn er gesund ist und Zeit hat, wird er uns sicher beistehen. Immerhin hat er mit uns damals das Entführungsthema gründlich behandelt. Bist Du einverstanden, dass ich versuche, ihn zu erreichen?“

„Natürlich. Wäre wirklich gut, wenn Rudi uns unterstützen könnte.“

„Er kann doch auch wieder bei uns wohnen?“

„Ja natürlich, das ist doch klar und sinnvoll. Hast Du seine Telefonnummer?“

„Hab ich. Wie Du weißt, telefonieren Edda und ich oft mit ihm – nicht so selten und meistens nur an Geburtstagen wie Du. Wenn er es einrichten kann, hilft er uns ganz sicher.“

„Unser Schiff hat heute Morgen Harstad verlassen. Ich werde mich erkundigen, wie ich am schnellsten zurückkommen kann. Hanna und Harald sind seit gestern auch hier und werden mir helfen, zumal sie sich in Norwegen besser auskennen und die Landessprache sprechen. Wenn ich Genaueres weiß, melde ich mich. Ich hoffe, wir bekommen das hin und Edda steht alles unbeschadet durch. Wir beide sollten jetzt stark und zuversichtlich bleiben. Es würde mir zusätzlich Mut machen, falls Rudi uns beistehen kann. Also bis dann, wir telefonieren.“