coverpage

Über dieses Buch:

England im 11. Jahrhundert: Seit neunhundert Jahren herrschen die Frauen des Clans MacTavish über Burg Renwyg – bis William der Eroberer und seine wilden Normannen einfallen. Um ihrer Familie zur Flucht zu verhelfen, stellt sich ihnen die junge Bethany in der Rüstung eines Ritters entgegen – und unterliegt schließlich dem Krieger Roger de Bellemare im Zweikampf. Als Roger entdeckt, dass sein Gegner eine junge Frau ist, kennt sein Zorn keine Grenzen – ebenso wenig wie sein Verlangen, die Schöne für sich zu gewinnen. Können seine fordernden Küsse Bethany beweisen, dass er ihr Schicksal ist? Oder machen die Geheimnisse aus seiner Vergangenheit ihre Liebe unmöglich?

Über die Autorin:

Marian Edwards ist eine amerikanische Autorin, die bereits zahlreiche historische Liebesromane veröffentlichte.

Bei dotbooks erscheinen in der Bellemare-MacTavish-Reihe auch folgende Romane:

In den Armen des Lairds

In den Fängen des Ritters

***

eBook-Neuausgabe Mai 2019

Dieses Buch erschien bereits 1999 unter dem Titel Sklavin seiner Sehnsucht bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1996 by Marian Jastrzembski

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel Hearts Victorious bei Kensington Publishing Corp., New York.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1999 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Published by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., NEW YORK, NY 10018 USA

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von

© shutterstock/iLongLoveKing, Dave Head, sivilla, Premium Art, Bogachyova Arina und © Fotolia/VV

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-810-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort Die Geliebte des Ritters an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Marian Edwards

Die Geliebte des Ritters

Roman

Aus dem Amerikanischen von Georgia Sommerfeld

dotbooks.

Für eine Frau mit bemerkenswertem Mut
und einen Mann mit großem Herzen:
Lilian und Edward Jastrzembski.
Eure Kinder und Enkel sind dankbar
für eure Weisheit und Liebe.

Für meinen Sohn Pete,
der die Klugheit und Vernunft besaß,
das Datum festzusetzen –
und für Denice,
die klug genug war zu warten.
Mögen die Jahre, die vor euch liegen,
mit Glück und Liebe gesegnet sein.

Für all meine Schwestern im Geiste –
Maggie, Joan, Suzie, Kathy und Laura,
die Damen mit dem Rotstift.
Was seid ihr für ein Team!

Prolog

NORMANDIE, 1044

Wilhelm hatte den metallischen Geschmack von Blut im Mund, ein Auge war fast völlig zugeschwollen, und außerdem hatten die Schläge auch noch einige seiner Zähne gelockert.

»Laß den kleinen Bastard jetzt in Ruhe, bis der Pair kommt, Étienne«, sagte der Mann, der dabei war, Holz für ein Lagerfeuer aufzuschichten.

Der Junge, der wie ein schlaffes Hemd in Étiennes Faust hing, hoffte inständig, daß der Mann auf seine Kumpanen hören würde.

»Es wäre das beste, wenn wir ihn gleich jetzt töten würden dann hätten wir unsere Ruhe«, meinte Étienne und schüttelte Wilhelm wie ein Hund einen Knochen.

»Non. Das wird Veryl tun. Schließlich stammt der Plan von ihm.«

Diese Eröffnung fuhr wie ein gleißender Blitz in Wilhelms schmerzgetrübtes Bewußtsein. Seine Entführung und Ermordung war von seinesgleichen geplant worden.

Étienne ließ ihn los, und Wilhelm sank zu Boden. Die harte Erde erschien ihm wie ein weiches Bett. Mit seinen auf dem Rücken gefesselten Händen konnte er sich nicht wehren, war den tückischen Fußtritten seines Peinigers hilflos ausgeliefert. Als der Mann endlich von ihm abließ und Wilhelm tief durchatmen wollte, verspürte er einen Schmerz, als sei ihm ein Messer in die Brust gerammt worden. Der Stiefel seines Angreifers hatte ihm die Rippen gebrochen. Es schien ihm zwar, als habe er keinen heilen Knochen mehr in seinem geschundenen Körper, doch er gab sich noch nicht verloren. Flach atmend kämpfte er gegen die quälende Übelkeit und drohende Ohnmacht an. Er mußte wach bleiben – sobald die Schurken unachtsam würden, würde er fliehen.

Auf der Seite im taufeuchten Gras liegend, das sein zerschlagenes Gesicht kühlte, spürte er plötzlich sanft und rhythmisch den Boden unter seinem Kopf vibrieren: Ein Reiter näherte sich. Er warf einen Blick zu den beiden Schergen hinüber, die in ihre Mahlzeit und Becher vertieft am Feuer hockten. Ihre Entspanntheit ließ darauf schließen, daß sie den Pair erst später erwarteten und den Reiter nicht kommen hörten.

Gowain Mactavish galoppierte im Sattel vornübergebeugt durch die abenddunkle Normandie. Die Hufe des von ihm zu immer größerer Eile angetriebenen Pferdes schleuderten nasse Erdklumpen und welke Blätter in die Luft. Plötzlich änderte das Tier seine Gangart, und Gowain zügelte es. Nachdem er mit dem Soldritterleben abgeschlossen hatte, wollte er dieses verfluchte Land so schnell wie möglich verlassen und in seine Heimat Schottland zurückkehren, aber er würde dafür kein Pferd zuschanden reiten. Es hatte sich einen Muskel gezerrt, und er war noch Stunden von Calais und dem Schiff entfernt, das ihn nach Hause bringen sollte. Plötzlich sah er in der Ferne einen Lichtschein zwischen den Bäumen hindurchflackern. Er müßte ohnehin rasten, und vielleicht erwartete ihn dort angenehme Gesellschaft.

Gemächlichen Schrittes ritt er auf das Lagerfeuer zu. Als er auf die Lichtung hinausritt, griffen die beiden dort sitzenden bewaffneten Männer aufgeschreckt nach ihren Schwertern. »Ich führe nichts Böses im Schilde«, beruhigte er sie. »Mein Name ist Gowain Mactavish, und ich muß meinem Pferd eine Ruhepause gönnen, da ich es über Gebühr beansprucht habe.«

Beide Männer waren aufgesprungen, doch nur einer von ihnen kam auf ihn zu. »Ich heiße Soren, und dies«, er deutete mit einer schwungvollen Handbewegung auf seinen Freund, »ist Étienne. Wir sind im Auftrag unseres Herrn unterwegs.«

Der herablassende Ton des Normannen entlockte Gowain ein dünnes Lächeln. »Was ist das für ein Auftrag, bei dem ein Bursche gefesselt und geknebelt wird?« fragte er mit einem Blick auf Wilhelm, den er gleich bei seiner Ankunft bemerkt hatte.

»Der Bastard ist eine Bedrohung für die Normandie«, erklärte Soren und machte noch einen Schritt auf ihn zu. »Was sagt Ihr nun, Schotte?« Er grinste verächtlich.

»Ich habe kein besonderes Interesse an der normannischen Politik«, gab Gowain mit der gleichen Verachtung in seinem harten Blick zurück. Und dann verfiel er, den Mann scharf beobachtend, von der normannischen in die schnarrende Sprache seiner Heimat. »Und noch weniger an Feiglingen und Verrätern. Zur Hölle mit den Normannen!«

Gowain wendete sein Pferd, als wolle er davonreiten, doch es war nur eine List, derer er sich bediente, um sein Schwert unbemerkt ziehen zu können. Bevor Soren begriff, wie ihm geschah, steckte es bereits tief in seiner Brust. Étienne kam mit gezücktem Schwert angerannt, doch er war kein ernstzunehmender Gegner für Gowain, der ihn mit Leichtigkeit ebenfalls zum Teufel schickte, wonach er von seinem Pferd stieg und den mißhandelten, blutverschmierten Burschen losband. »So, mein Junge. Und du sollst eine Bedrohung für den normannischen Thron sein?« Er brach in schallendes Gelächter aus.

Obwohl es ihm sichtlich Schmerzen bereitete, richtete der Junge sich zu seiner vollen Größe auf und blickte seinem Retter stolz ins Gesicht.

»Wenn Ihr die Normannen so haßt – warum habt Ihr mich dann verschont, Mactavish?«

Es verblüffte Gowain, daß der Junge seiner Sprache mächtig war. Er musterte ihn aufmerksam. Das eine Auge war zwar zugeschwollen, doch das andere hielt seinem Blick unerschrocken stand. »Das Ungleichgewicht ging mir gegen den Strich – und außerdem hasse ich nicht alle Normannen.« Er gab dem jungen Burschen Zeit, seine Worte aufzunehmen, und setzte dann hinzu: »Aber wenn du erwachsen bist und dich dann auf dem Schlachtfeld mit mir messen willst, werde ich gegen dich kämpfen. Schotten führen gegen Männer Krieg, nicht geben Kinder.«

»Ich stehe in Eurer Schuld, Gowain Mactavish. Ich werde Eure ehrenhafte Haltung nicht vergessen. Falls Ihr jemals meiner Hilfe bedürfen solltet, wendet Euch getrost an mich.«

»Hört, hört!« spöttelte Gowain gutmütig, doch gleichzeitig hatte er das Gefühl, daß das Versprechen dieses jungen Burschen keine leere Prahlerei war. »Wie lautet dein Name, mein Junge?«

»Wilhelm, Herzog der Normandie. – Merkt ihn Euch. Ihr habt ihn heute nicht zum letztenmal gehört.« Er hatte wieder ganz ruhig gesprochen, aber dieses Mal lagen Leidenschaft und Überzeugung in seinen Worten, daß der schottische Grundherr, der eben noch gespottet hatte, ihm glaubte. Obwohl dem jungen Mann das Bücken offensichtlich Qualen bereitete, durchsuchte Wilhelm die beiden Toten. »Sie haben ein fürstliches Handgeld für des Königs Tod bei sich. Meinen.«

Gowain ließ die Übertreibung unwidersprochen durchgehen; er hielt den Jungen für einen Sproß des Hochadels, der sich in der Hitze der Erregung wichtig machte. Beutel mit Gold landeten vor Gowains Füßen. »Wohin willst du jetzt gehen, Wilhelm?«

»Zurück in meine Festung, von wo ich entführt wurde.«

Der Junge bat ihn nicht um Hilfe und machte auch den Eindruck, als brauche er keine – im Lichte der Umstände und der Gefahr, auf Wegelagerer zu stoßen, höchst beeindruckend. Gowain starrte auf die Goldbeutel hinunter.

»Reite mit mir, Junge«, schlug Gowain ihm vor.

Der junge Wilhelm nickte zustimmend, zog einen Ring vom Finger und reichte ihn Gowain. »Als Erinnerung an diesen Abend. Ihr habt Euch mit Eurer Freundlichkeit einen Platz in meinem Herzen verdient – und ich bin Menschen, denen ich vertraue, treu.«

Mactavish lächelte ihn nachsichtig an. Den Jungen umgab zwar etwas Besonderes, aber sicherlich war er nicht der Herzog der Normandie und Monarch dieses Landes. Und doch konnte er ihn sich merkwürdigerweise auf dem Thron vorstellen und – wider Willen – als den Eroberer von England. Es war ein unheimlicher und beunruhigender Gedanke, doch sosehr er sich auch bemühte, ihn zu verdrängen – er hielt sich hartnäckig. Wieder wurde sein Blick von dem Gold angezogen: Ein Handgeld für die Ermordung eines Königs, dachte er, dann überlegte er – könnte es wahr sein?

»Hebt das Gold auf, Gowain, unser Schicksal wartet«, sagte der junge Wilhelm.

Und Laird Mactavish gehorchte, ohne gegen den Ton oder den Befehl aufzubegehren.

Erstes Kapitel

HASTINGS, ENGLAND, 1066

Bierdunst und Schweißgeruch schlugen Royce de Bellemare entgegen, als er das Wirtshaus betrat und sich in dem schmuddeligen Gastraum nach seinem Bruder umsah. Er saß an einem der hinteren Tische.

»Wilhelm hat mir Burg und Land eines Sachsen in North Umberland zu Lehen gegeben.«

»Das tut mir leid, Royce – ich weiß, daß das nicht das war, was du wolltest.« Guy übernahm die Papiere, die sein Bruder aus dem Hemd gezogen hatte, und bedeutete dem Wirt, noch einen Krug Ale zu bringen. »Vielleicht gefällt es deiner Verlobten ja in England«, meinte er mit einem wissenden Lächeln, während er die Dokumente überflog.

»Non – sie wird es hassen!« erwiderte Royce bei dem Gedanken an seine schöne Damiana, ein normannisches Edelfräulein von außergewöhnlicher Anmut. »Verdammt, ich will diese Heirat. Lady Damianas Rang würde mir ermöglichen, bei Hofe zu verkehren. Ich bin nicht gewillt, mein Leben lang als einfacher Ritter zu gelten, und ich will dieses Vermächtnis auch nicht an meine Erben weitergeben.« Royce trank einen großen Schluck Bier. »Aber dieses gottverlassene Stück Land in der englischen Wildnis ist alles, was ich ihr zu bieten habe.«

»Wenn sie dich liebte, Bruder«, entgegnete Guy, ohne sich die Mühe zu machen, seine Verachtung zu verbergen, »wäre es ihr gleichgültig, wo sie mit dir leben würde.«

»Wenn?« Royce knallte den Krug auf den Tisch und starrte seinen Bruder wütend an. »Damiana hat darauf gewartet, daß ich mein Glück mache.«

Guy schüttelte den Kopf und beugte sich vor, als wolle er seinem Bruder ein Geheimnis anvertrauen. »Damiana hat dich in der Hoffnung in den Krieg geschickt, daß du entweder fallen und sie damit von ihrem Eheversprechen erlösen würdest oder so großen Ruhm erwürbest, daß Wilhelm dich mit Ländereien in der Normandie belohnte.«

»Guy, deine Abneigung gegen die Lady beeinträchtigt dein Urteilsvermögen. Du siehst ihren Charakter völlig falsch, mon frère.«

»Ach ja?« Guy wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab.

»Dann schicke nach Damiana – du wirst ja sehen, welche Begeisterung die Früchte deiner Mühen ihr entlocken.«

»Das tue ich, sobald du und ich die Burg in Besitz genommen haben.«

NORDENGLAND, 1066

Mord, Totschlag. Panisches Angstgeschrei. Gebrüll. Männer stürmten durch die Burg, metzelten jeden nieder, der ihnen im Weg stand. Blut strömte aus zerteilten Körpern. Kinder wimmerten, hockten in den Ecken, starrten auf das Gemetzel.

Bethany erwachte schweißgebadet. Der Alptraum war so wirklichkeitsnah gewesen, daß sie einen Moment brauchte, um sich zurechtzufinden. Die Schreckensbilder waren zweifellos eine Folge der schlimmen Nachrichten, die auf der Flucht vorbeikommende Kriegsmüde übermittelten. Wilhelm von der Normandie hatte Harolds Armee bei Hastings vernichtend geschlagen, und mit dem Tod des Rivalen war Englands Kampfgeist geschwunden. Es hieß, daß der Herzog am Weihnachtstag den Thron besteigen würde.

Wenn Wilhelm König von England würde, wäre auch dieser entlegene Außenposten vor den normannischen Teufeln nicht sicher. Der Gedanke ließ Bethany bis ins Mark erschauern.

Sie warf sich eine Decke um die Schultern, verließ ihr Schlafgemach. Die Burg war ruhig – zu ruhig. Es war entmutigend. Sie ging hinaus auf die unbemannten Festungsmauern und schaute nach Süden, wo ein Waldbrand die Wolken am nächtlichen Oktoberhimmel dunkelrot färbte. Ein eisiger Windstoß fegte heran und hätte beinahe ihre Wolldecke mit sich fortgerissen.

»Bitte, laß es regnen!« flüsterte sie inbrünstig, und wie als Antwort auf ihr Stoßgebet fielen kurz darauf erste, schwere Tropfen. Vielleicht könnten die Männer das Feuer jetzt löschen und endlich auf ihre Posten zurückkehren – es war Krieg, und ohne die Garde waren sie schutzlos.

Sie schloß die Augen, um die verwaisten Wehrgänge nicht mehr sehen zu müssen, und das Gesicht ihrer Mutter erstand in der Dunkelheit. Es war zwar schon fünf Jahre her, daß sie diese Welt verlassen hatte, doch Bethany hörte ihre Stimme so klar und deutlich, als habe sie gestern noch zu ihr gesprochen. »Bethany – es ist Zeit für dich, meinen Platz einzunehmen.«

Mit Tränen in den Augen hatte Bethany vor dem Totenbett ihrer Mutter gekniet, um die beiden kostbaren Erbstücke entgegenzunehmen, die seit neunhundert Jahren von der Mutter an die Tochter weitergegeben wurden. »Beschütze unsere Familie und sorge für unsere Dienstleute«, hatte ihre Mutter gesagt und ihrer Tochter den Dolch mit dem juwelenverzierten Griff und seiner eingebetteten römischen Münze in der mit feiner Stickarbeit überzogenen Scheide in die ausgestreckten Hände gelegt. »Das ist deine einzige Pflicht. Übe dein Geburtsrecht aus. Versage dich nicht den Ahnen.« Unter den Augen ihrer Mutter hatte Bethany feierlich den prächtigen Gürtel mit seiner ungewöhnlichen Geschichte um ihre Hüften gelegt. Die gestickten Bilder erzählten ausführlich die Geschichte ihrer Ahnfrau – eines northumbrischen Edelfräuleins, das von einem römischen Eroberer bezwungen und dann zur Siegerin über ihn wurde. Die Liebe hatte die Lust besiegt, worauf der römische Soldat verfügt hatte, daß stets die älteste Tochter des Hauses Land und Burg erben sollte. Dolch und Gürtel waren ein Symbol ihres Vermächtnisses – eines Erbes in weiblicher Linie.

»Ja, Mutter, ich werde für sie sorgen«, hatte Bethany geantwortet und mit dem Daumen über die römische Münze gestrichen. »Ich schwöre es.«

Das Bild verblaßte, und Bethany seufzte in Erinnerung an ihre geliebte Mutter. Die Verantwortung für ihre Dienstleute lastete nun auf ihren Schultern, und selbst wenn sie sich verheiratete, würde sie nicht geringer werden, denn ihr Ehemann könnte niemals der Eigentümer der Burg oder der Ländereien werden. Er würde nie mehr sein als ein Beschützer.

Bethany öffnete die Augen und sah wieder den verlassenen Wehrgang vor sich. Sie hatte den alten Hauptmann der Wache, Cedric, mit seinen Männern hinausgeschickt, damit sie den Waldbrand bekämpften, weil das Feuer, wenn es näher kam, eine Bedrohung für Mensch und Vieh bedeutete, doch jetzt kamen ihr Zweifel, ob es klug gewesen war, der Naturgewalt zu trotzen und sich damit hilflos der drohenden Menschengewalt auszuliefern.

Sie hätte viel darum gegeben, ihren Vater um Rat fragen zu können, und bat in einem stillen Gebet um seine gesunde Rückkehr. Obwohl er ein erfahrener Krieger war, hatte er zwei Invasionen nicht voraussehen können. Er war mit allen Männern aus dem Dorf und den meisten seines bewaffneten Gefolges nach Stamford Bridge gezogen, um an der Seite von König Harold den Angriff des Königs von Norwegen abzuwehren. Vorsichtshalber hatte er die zwanzig erfahrensten Männer seiner Truppe zur Verteidigung des Gutes zurückgelassen. Hätte er getan, was sie getan hatte? Beklommen hörte sie eine innere Stimme flüstern: wahrscheinlich nicht.

Der Regen war stärker geworden, hatte sie bereits bis auf die Haut durchnäßt, trotzdem konnte sie sich noch nicht entschließen, wieder hineinzugehen. Sie ging einem Wächter gleich den regengepeitschten Wehrgang auf und ab. Auf den hinteren Mauern blieb sie stehen und starrte auf die dunkle Regenwand. Dort im Norden, nur ein paar Meilen entfernt, lebte der Clan ihres Vaters, die Sippe Mactavish. Sie hatte ihrem Onkel eine Nachricht gesandt, hatte ihm ihre Notlage geschildert und Männer angefordert. Die Schotten waren wilde Krieger, trotzdem konnte sie nicht sicher sein, daß ihr Onkel seinen Clan zum Eingreifen bewegen könnte. Sie hatte den Reichtum, über den diese Grundherrschaft verfügte, angedeutet und ihn ihrer großzügigen Dankbarkeit versichert. Wenn dies ihren Onkel nicht überzeugte, dann würde ihn nichts überzeugen.

Bethany seufzte tief. Die Alternative war nicht erfreulich. Sie müßte eine Ehe eingehen. Wenn ihr Onkel kein Heer aufstellen könnte, würde er ihre Heirat arrangieren. Es gab viele Clanmitglieder, die mit Freuden ihren Namen aufgeben und ihren annehmen würden, den, der für das Land stand, das ihr gehörte. Alles, was sie von einem Ehemann wollte, war, daß er die Burg verteidigte und die zugehörigen Ländereien beschützte, aber die Zeit für monatelange Verhandlungen hatte sie nicht!

Sie wandte dem Norden den Rücken zu und machte sich auf den Rückweg zu ihren Gemächern. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als zu warten. In ihrer Hilflosigkeit fühlte sie sich wie ein Blatt im Wind. Der Eid, den sie ihrer Mutter geleistet hatte, lastete schwer auf ihren Schultern. Sie mußte einen Weg finden, ihre Familie und Dienstleute in Sicherheit zu bringen. In ihrem Schlafgemach angekommen, schob Bethany zähneklappernd ein dickes Holzscheit ins Feuer, warf die durchweichte Decke ab, streifte ihr am Körper klebendes, durchnäßtes Nachtgewand ab und ließ es achtlos zu Boden fallen, trocknete sich in aller Eile ab und holte ein frisches aus der Truhe, dessen Saum kaum den Boden berührt hatte, als sie auch schon ins Bett sprang.

Sie hatte gerade die schweren Bettdecken bis zur Nasenspitze hochgezogen, als ein Blitz den Raum geisterhaft erhellte und gleich darauf ein Donnerschlag die Mauern erzittern ließ. Die Tür flog auf, und ihr kleiner Bruder, Bret, kam hereingestürmt und stürzte sich in ihre Arme.

»Ich habe Angst«, jammerte er, sein Gesicht an ihrer Brust bergend.

Auch sie hatte Angst – aber nicht vor dem Gewitter. »Du brauchst dich nicht zu fürchten, Bret – bei mir bist du in Sicherheit.« Als wollten sie ihre Worte Lügen strafen, brachen Blitz und Donner über sie herein, kaum daß sie zu Ende gesprochen hatte. Bethany zog ihren Bruder mit sich unter die Decken, und als sie ihm leise das Schlaflied vorsang, mit dem sie ihn seit dem Tod ihrer Mutter schon oft getröstet und beruhigt hatte, spürte sie, wie sein kleiner, verkrampfter Körper sich allmählich entspannte. Bret schmiegte sich an sie und war bald darauf eingeschlafen. Als sie seine Hand in die ihre gleiten spürte, schnürte Rührung ihr die Kehle zu. Sie strich ihm sanft die flachsblonden Haare aus der Stirn, küßte das Kind, das mehr ein Sohn für sie war als ein Bruder, zärtlich und flüsterte: »Ich werde dich beschützen. Ich schwöre es.«

»Kommst du mit mir in die Kapelle, Bethany?« Mary stand mit der Bibel in der Hand in der Küche und schien die Geschäftigkeit um sie herum gar nicht wahrzunehmen.

Bethany trocknete sich die Hände am Leinentuch, das sie um ihre Taille geschlungenen hatte, ab und ging um die Kinder, die auf dem Boden spielten, herum, zu ihrer Schwester. »Heute nicht, Mary.«

»Das wird den Pater aber bekümmern«, meinte Mary vorwurfsvoll.

»Wenn der gute Pater herkommt und meine Arbeit tut, werde ich gern eine Stunde in der Kapelle zubringen«, erwiderte Bethany aufgebracht. »Wir müssen heute den Kohl in Salz einlegen und am Abend die roten Bete, und morgen müssen die Kartoffeln, Karotten und Steckrüben sortiert und eingelagert werden.« Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie war es möglich, daß es ihrer Schwester entging, wie fieberhaft die Frauen aus dem Dorf arbeiteten, um die Früchte des Feldes für den langen Winter haltbar zu machen?

Die entsetzte Miene ihrer Schwester veranlaßte Bethany, ihre entschiedene Weigerung ein wenig abzuschwächen. »Sage Pater John, daß ich meine Gebete heute bei meinem Abendspaziergang sprechen werde.«

Mary nickte besänftigt und wandte sich zum Gehen. Bethany schüttelte den Kopf. Mary war ein so frommer, guter Mensch, daß es schwerfiel, ihr böse zu sein. Wenn sie ihre Gebetsstunden absolviert hätte, würde sie in die Küche kommen und helfen. Bei ihr stand Gott an erster Stelle und der Mensch an zweiter.

Bethany hatte eine andere Auffassung – sie glaubte, daß Gott denen half, die sich selbst halfen. Als sie sich umdrehte, um zu ihrer Arbeit zurückzukehren, sah sie Bret mit Kindern aus dem Dorf spielen. Das unbeschwerte Gelächter der Kleinen machte sie beinahe glauben, daß alles in Ordnung war.

Aber das war es nicht.

Seit dem Gewitter waren drei Tage vergangen, und die Männer waren immer noch nicht zurück. Und die Antwort ihres Onkels ließ ebenfalls auf sich warten. Die Zeit drängte, denn die Normannen würden kommen, und wenn sie es täten, würde sich das Leben für jeden Sachsen verändern.

»Eure Schwester ist eine gute Christin«, sagte Maida, die Köchin, mit einem wissenden Grinsen, als sie Bethany den nächsten Kohlkopf zum Schnitzeln reichte.

»Ja«, nickte Bethany, doch sie fand, daß Mary genausogut beim Arbeiten in der Küche beten könnte wie in der Kapelle. Dieser sündige Gedanke war typisch für sie und eine Bestätigung dessen; was sie bereits wußte: Sie war nicht aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihre Schwester.

Der Unterschied zwischen ihnen beschränkte sich nicht nur auf ihre Einstellung zur Kirche – er erstreckte sich auch auf ihre Wesensart und ihr Aussehen. Mary hatte mit ihrer makellosen Haut und den silbern schimmernden Haaren etwas Engelhaftes – es fehlte nur der Heiligenschein, um das Bild zu vervollständigen –, wogegen Bethany mit ihrer wilden, roten Lockenmähne und den Sommersprossen auf den Wangen an einen Kobold erinnerte. Ein spöttisches Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie Maidas Blick begegnete. »Der Eifer meiner Schwester wird uns den Segen für unsere Mühen einbringen.« Maida ließ sich nicht von Bethanys Worten in die Irre führen und erwiderte ihrerseits lächelnd: »Ja – aber satt wird man vom Beten nicht.«

»Maida!« rügte Bethany sie in gespieltem Entsetzen. »Das ist Gotteslästerung! Vielleicht hat meine Schwester recht und ich sollte wirklich mehr Zeit in der Kapelle verbringen. Es könnte nicht schaden.«

Jetzt lachte die Köchin lauthals. »Aber würde es helfen, Mylady?«

Bethanys Lächeln wurde breiter – die Köchin kannte sie einfach zu gut. »Wahrscheinlich nicht«, räumte sie ein und packte sich den nächsten Kohlkopf.

Der Tag verging wie die anderen – mit Arbeit in der Küche und dem Schlichten von Streit –, und als sie Bret zu Bett brachte, war sie erschöpft und voller Sorge. In ein Umschlagtuch gehüllt trat Bethany in die Nacht hinaus. Während sie leise den Gang hinter der Wehrmauer entlangwanderte, kam sie zu der Frau, die Wache hielt, einer alten Streithenne, die der Vier-Stunden-Wachdienst daran erinnern sollte, daß händelsüchtiges Gezänk unter diesem Dach nicht geduldet würde. Bethany übersah die Frau aus dem Dorf geflissentlich und setzte ihren Rundgang fort.

Der Mond tauchte die Landschaft in geisterhaft-bleiches Licht. Sie hatte sich hinter diesen Mauern bisher immer sicher gefühlt. Heute nicht.

»Lady Bethany?«

Die tiefe, männliche Stimme ließ sie erschrocken herumfahren. »Pater John!«

»Es tut mir leid, Kind. Ich wollte Euch nicht erschrecken.«

»Das habt Ihr nicht – ich war nur in Gedanken.«

»Beim Gebet?«

Sie hätte ihn natürlich anlügen können, doch der Burgkaplan war ein Mann, dem sie große Achtung entgegenbrachte.

»Nein – ich habe nachgedacht.«

»Über die überfälligen Männer?«

»Ja. Ich fürchte ...« Sie brach ab.

»Sprecht weiter, mein Kind – Ihr braucht mir keine Tapferkeit vorzuspielen.«

»Ich vermisse unsere Gespräche, Pater«, sagte Bethany, den mitfühlenden Blick des Geistlichen meidend.

»Mir geht es ebenso. Vielleicht könnten wir uns ein wenig unterhalten, wenn ich morgen in die Küche käme. Ich denke, Mary sollte sich dazugesellen und sich an der Arbeit beteiligen. Sie mißbraucht die Kapelle als Vorwand, um sich um ihre Pflichten herumzudrücken.«

Diese Äußerung gab so genau ihre eigene Überlegung wieder, daß Bethany in schallendes Gelächter ausbrach. Als sie seine verwirrte Miene sah, sagte sie: »Ich danke Euch, Pater John. Ich hatte schon gefürchtet, daß ich in der Hölle schmoren müßte, weil ich das dachte.«

Er lachte leise. »Dann treffen wir uns dort. Sprecht mit Eurer Schwester – sie wird auf Euch hören.«

»Das werde ich, Pater.«

»Und jetzt laßt uns über Euch sprechen. Ihr habt dunkle Ringe unter den Augen, und ich habe bemerkt, daß Ihr wie ein Dienstbote schuftet, anstatt die Arbeiten zu überwachen, wie es der Herrin der Burg zukommt.«

»Müßiggang ist aller Laster Anfang«, scherzte sie, um der Stimmung die Ernsthaftigkeit zu nehmen.

Der Pater nahm ihre rauhen, schwieligen Hände in die seinen und erwiderte, auf ihren scherzhaften Ton eingehend: »Wenn ich mir die Schwielen da ansehe, dann habe ich keine Sorge, daß Ihr einem Laster anheimfallt.« Er segnete sie und ermahnte sie, ihr Bett aufzusuchen.

Bethany hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als sie wachgerüttelt wurde. »Kommt schnell, Mylady!« beschwor Maida sie, und ihre drängende Stimme trieb sie augenblicklich aus dem Bett. Sie fuhr in ihre Kleider und folgte der Köchin zum Wehrgang hinaus.

»Dort, Mylady! Seht Ihr das?« Maida deutete auf das Geländer vor dem großen Tor.

Ein Schatten bewegte sich quälend langsam auf das Burgtor zu, und Bethany bemühte sich verzweifelt zu erkennen, worum es sich handelte.

»Es ist ein Pferd – und es liegt etwas quer darüber«, sagte Maida.

Bethanys Nackenhaare stellten sich auf. Es war ein Mann.

»Öffnet das Tor!« Bethany rannte die enge gewundene Treppe hinab und stürzte auf den Hof, als das Pferd hereintrottete. Herr des Himmels!

Ein schlaffes Bündel hing über dem Sattel, und als Maida näher mit der Fackel heranging, erkannte Bethany das Gesicht des Hauptmanns der Burgwache. »Cedric!« Sie streckte die Hand aus und berührte vorsichtig seinen blutverkrusteten Bart.

Er wollte den Kopf heben, doch die Anstrengung ließ ihn vor Schmerz aufstöhnen.

»Hilf mir!« wandte Bethany sich an Maida, die das Kommando gewohnt energisch weitergab, worauf mehrere Bedienstete herbeieilten. Die Frauen halfen, Cedric vom Pferd zu heben und ins Innere der Burg zu tragen. Mit besorgten Mienen und furchtsam flüsternd starrten die jäh aus dem Schlaf Gerissenen den verwundeten Soldaten an, der in der Großen Halle auf den schnell mit frischen Binsen aufgeschütteten Steinboden gelegt wurde. Bethany kniete sich neben ihn. »Cedric! Könnt Ihr mich hören?«

Er versuchte mit kraftlosen Fingern, ihre Hand zu umfassen, und sagte mit schwacher Stimme: »Vergebt mir, Mylady – ich habe versagt.«

»Nicht sprechen«, ermahnte Maida ihn, sich auf der anderen Seite neben ihn kniend. »Wir wollen erst Eure Wunden versorgen.«

»Nein!« Der Druck seiner Finger verstärkte sich. »Sie sind alle tot!«

Mary kniete sich mit einer Schüssel voll warmen Wassers und einem Tuch neben ihre Schwester. »Wer ist tot?«

Beim Klang ihrer Stimme wandte Cedric sich Mary zu. »Die Wache.«

Maida fing die Wasserschüssel auf, die Marys Hand entglitt. Endlich hatte die Wirklichkeit Einzug in Marys Welt gehalten, dachte Bethany.

»Mary«, sagte sie, ihre Hand umfassend. »Setz dich hin – wir kümmern uns um Cedric.«

Mary stolperte davon, und Bethany verspürte einen kurzen Anflug von Bedauern ob ihrer Unfähigkeit, ihre Schwester zu trösten, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den verwundeten Burghauptmann konzentrierte. »Bleibt ruhig liegen, Cedric.«

»Vergebt mir.« Er atmete zitternd ein. »Es waren die Normannen – sie haben uns überfallen. Sie kommen, Mylady ...« Seine Stimme erstarb, als er in die Bewußtlosigkeit hinüberglitt.

Eine eisige Hand schloß sich um Bethanys Herz. »Heiliger Beda!« flüsterte sie, den Schutzpatron North Umberlands anrufend. Die Normannen waren bereits in der Nähe des Dorfes. Greuelgeschichten aus dem Krieg und ihre Alpträume fielen über sie her. Die umstehenden Frauen rückten voller Angst näher zusammen.

»Tayte – ich brauche meinen Medizinkasten«, teilte Maida der Kinderfrau ohne aufzublicken mit, während sie sich einen Überblick über Cedrics Wunden verschaffte. Die scharfe Stimme der Köchin riß Tayte aus ihrer Schreckenslähmung, und sie eilte davon, um das Gewünschte zu holen.

»Es sieht schlecht aus«, sagte Maida zu Bethany, als sie den übel zugerichteten Cedric, der dankenswerterweise in Bewußtlosigkeit verharrte, von Rüstung und Waffenrock befreite. Bethany fragte sich, wie er es geschafft hatte, lebend zurückzukommen – sein Körper war über und über mit Wunden bedeckt.

Tayte ging Maida zur Hand, während Bethany die Wunden reinigte.

»Einige müssen genäht werden und einige ausgebrannt«, erklärte Maida und gab Tayte ein Messer, damit sie es ins Feuer hielte.

Bethany trat der Schweiß auf die Stirn. Sie hatte schon viele verwundete Männer behandelt und wußte um die Gefahr des Ausbrennens. Voller Angst suchte sie über Cedrics reglose Gestalt hinweg den Blick der Älteren, die ihre unausgesprochene Frage mit der Feststellung beantwortete: »Ich habe keine Wahl – wenn ich es nicht tue, verblutet er.«

Bethany bestätigte die Einschätzung der Köchin mit einem Nicken.

»Du und Tayte, ihr müßt ihn festhalten«, ordnete Maida, das rotglühende Messer zückend, an. Bethany legte sich über Cedrics Brust, während Tayte seine Arme zu Boden drückte. Cedric bäumte sich auf, als Maida die erste Wunde ausbrannte, blieb jedoch gottlob bewußtlos. Maida arbeitete schnell und gewissenhaft, und Bethanys Bewunderung für die Frau wuchs, denn sogar sie hatte angesichts des widerlichen Gestanks verbrannten Fleisches größte Mühe, ihre Übelkeit im Zaum zu halten.

Nachdem die schlimmsten Wunden ausgebrannt waren, nähten die drei Frauen die anderen und versahen sie mit Breiumschlägen.

Als schließlich alle Verletzungen versorgt waren, dämmerte bereits der Tag herauf.

»Jetzt liegt sein Schicksal in Gottes Hand«, sagte Maida, sich das Blut von den Händen waschend. »Wie unseres.«

»Amen«, schallte es im Gebetssingsang von der anderen Seite der Großen Halle herüber, von wo Mary mit großen Augen und leichenblassem Gesicht in tiefer Verzweiflung ihre Schwester anstarrte.

Bethany wußte nicht, wie sie sie trösten sollte, und so nahm sie Zuflucht zu einer Anordnung: »Beeil dich, Mary – sonst kommst du zu spät in die Kapelle.« Ein gequälter Seufzer entrang sich ihrer Brust. Sie fühlte sich schrecklich unzulänglich und der Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, nicht im mindesten gewachsen.

»Nein, Schwester – ich werde hier in der Burg gebraucht.«

Der erwachsene, entschlossene Ton überraschte Bethany, und sie dankte Gott im stillen für diesen Sinneswandel ihrer Schwester.

Bethany breitete eine Decke über Cedric – mehr konnte sie im Augenblick nicht für ihn tun. Die Frauen aus dem Dorf begannen, ihre tägliche Pflichtarbeit zu erledigen, und Bethany ging in den Burghof hinunter. Es war kalt, doch sie war so von ihren Sorgen gefangengenommen, daß sie es nicht merkte. Was, um Himmels willen, sollte sie tun?

Um die Mittagszeit kam die Antwort ihres Onkels. Sie hielt sie in der Hand wie ein Todesurteil. Er könne keine Männer schicken, schrieb er. Wenn sie Asyl suche, würde er es ihr und ihren Leuten gern gewähren – aber gegen ein Entgelt.

Bethany wußte, daß sie keine andere Möglichkeit hatte, als sein Angebot anzunehmen. Sie konnte die Burg ohne kampfstarke Männer nicht verteidigen, und sie war nicht bereit, ihre Leute der normannischen Sklaverei auszuliefern.

Zumindest hatte die qualvolle Untätigkeit jetzt ein Ende. Bethany ordnete an, alle Wertgegenstände, die sich in diesen Mauern befanden, auf Karren zu laden, und kurz darauf hasteten Frauen und Kinder, die Arme voller Erbstücke, treppauf, treppab durch Renwyg Castle.

Tränen trübten Bethanys Blick, als die Schätze vieler Generationen zum erstenmal von ihrem angestammten Platz entfernt wurden.

Sie rollte sorgfältig den Wandteppich zusammen, auf dem die erstaunliche Geschichte ihrer matriarchalischen Familie dargestellt war.

Bei Sonnenuntergang standen sechs Karren beladen mit Gold, Silber und allem anderen von Wert und einer mit Lebensmitteln bereit zum Abtransport im Hof. Obwohl die Frauen Angst hatten, begegnete ihr unerschütterliches Vertrauen. Es beschämte sie, daß Frauen, die doppelt so alt waren wie sie, sich auf ihre Führung verließen. Sie betete zu Gott, daß sie sie nicht enttäuschen würde.

Heute abend, im Schutze der Dunkelheit, würden die Wagen mit den Schätzen und dem verwundeten Burghauptmann die Burg verlassen und am Morgen in Schottland sein. Frauen und Kinder würden erst morgen auf den Weg geschickt, denn die Kinder müßten sich nach dem Arbeitstag erholen, damit sie den langen Marsch durchhielten. Nun müßte sie noch die sechs Frauen auswählen, die die Karren ziehen könnten – den Handwagen mit den Lebensmitteln würde sie Pater John überantworten. Er hatte die größte Erfahrung, und auch wenn sie in Schottland Wegzoll bezahlen und vielleicht Söldner anwerben müßten – die Nahrungsmittel waren wichtiger.

Denn alle Armeen – selbst solche, die sich aus Frauen zusammensetzten – konnten nur kämpfen, wenn sie bei Kräften waren.

Zweites Kapitel

»Großer Gott!« flüsterte Bethany, als sie vom Wartturm auf das Normannenheer hinunterstarrte. Es war zu spät!

»Legt die Waffen nieder und öffnet das Tor! Ergebt euch, und wir werden Milde walten lassen. Solltet ihr Widerstand leisten, kennen wir kein Erbarmen.«

Beim Klang der normannischen Stimme richtete ein jeder in der Burg seinen Blick auf Bethany und wartete auf eine Antwort. Einzig Mary schien einer Bewegung fähig – sie hastete von Panik getrieben über den Hof, stolperte immer wieder, als sie die Treppe zum leeren Wehrgang und zu ihrer Schwester hinaufstieg.

Bethany war sich klar darüber, daß die Angst ihrer Leute noch dadurch gesteigert wurde, daß sie die Worte des Normannen nicht verstanden. Nur Bethany beherrschte die fremde Sprache – aber sie wünschte, sie täte es nicht.

»Was wollen sie?« fragte Mary ihre Schwester, als sie auf den Mauern bei ihrer Schwester ankam.

»Sie sagen, wenn wir uns ergeben, würden sie Milde walten lassen«, erklärte Bethany, ohne die Augen von dem normannischen Reiterheer zu lösen, das zu ihren Füßen vor der Ringmauer stand.

Mary wurde leichenblaß. »Was wirst du tun, Schwester?« Sie warf einen Blick gen Himmel, als erwarte sie ein Wunder von dort.

Bethany schaute in die angsterfüllten Gesichter der Frauen, die ihre Kinder an sich drückten, und faßte einen Entschluß. »Du mußt unsere Leute durch den Tunnel führen«, sagte sie zu Mary. »Geh zu unserem Onkel nach Schottland – er wird euch Schutz gewähren.«

Mary erbleichte. »Aber der Weg ist weit.«

»Vom Ausgang des Tunnels sind es nur zehn Meilen bis zur Grenze.« Bethany war heilfroh, daß die Lastkarren am Abend zuvor auf den Weg gebracht worden waren. »Du mußt das tun. Folge den Radspuren.«

Mary rang verzweifelt die Hände. »Ich kann das nicht, Bethany – ich habe Angst. Du mußt das tun.«

»Möchtest du lieber hierbleiben und dich mit den Normannen auseinandersetzen?«

Diese Frage gab den Ausschlag. »Nein. Ich werde sie führen«, sagte sie und senkte ihren blonden Kopf. »Und was wird aus dir?«

Bethany lächelte schwach. »Ich werde mir etwas einfallen lassen, damit ihr Zeit habt.«

Der Kummer in den Augen ihrer Schwester war schwer zu ertragen. Sie umarmten sich, und Bethany ging hinüber zur Brustwehr. Sie beugte sich über die Wehrmauer und schaute auf das riesige Heer der Normannen hinunter. Ihr Vater hatte sie ihre Sprache gelehrt, als sie noch ein Kind gewesen war, und dann hatten sie beide sich ihrer zum Spaß bedient, wenn sie andere aus ihrer Unterhaltung ausschließen wollten. Doch das war lange her, und sie hoffte inständig, daß ihr Gedächtnis sie nicht im Stich ließe.

Bethany atmete tief durch und rief hinunter: »Normanne! Der Herr dieser Burg hat mich, da ich Eure Sprache spreche, beauftragt, Euch seine Worte zu übermitteln. Er möchte ein sinnloses Blutvergießen vermeiden. Er wird um die Mittagszeit seinen besten Krieger und Soldaten hinausschicken, damit er gegen Euren besten antreten kann. Der Ausgang des Kampfes wird darüber entscheiden, was weiter zu geschehen hat.«

Ein Reiter, ein Hüne, löste sich aus der Kolonne. »Da steckt doch eine List dahinter, Sächsin!«

»Nein – es ist keine List. Einer unserer Soldaten wird einem der Euren gegenübertreten, wenn die Sonne am höchsten steht – auf dem offenen Feld.« Sie zeigte auf das grasbewachsene Feld am Fuße des Burghügels. »Es heißt, die Normannen fürchteten weder Tod noch Teufel – aber vielleicht ist das ja nur ein Gerücht.«

»Ich nehme die Herausforderung Eures Herrn an, Mylady – doch wenn das Widerstand heißen soll, dann gnade Euch Gott.«

»Ja, Normanne. Aber wenn Euer Mann fällt, werdet Ihr Euch ergeben.«

Der Normanne lachte und lenkte sein Pferd zurück in die Kolonne.

Bethany war so erleichtert, daß beinahe ihre Knie nachgegeben hätten. Sie hatte gefürchtet, daß der normannische Heerführer ihren Vorschlag nicht annehmen würde.

Jetzt, da er es getan hatte, würde sie es sich nicht erlauben, über den Ausgang dieses Wagnisses nachzudenken. Selbst wenn sie den Tod fände, wäre das barmherziger als das Schicksal, das die Normannen für sächsische Frauen vorsahen.

Im Hof hatten sich die Frauen um Mary geschart, doch niemand hörte ihr zu. Bethany schüttelte den Kopf. Mary war ein zu ängstliches Wesen.

Sie lief die Treppe hinunter, drängte sich zwischen die sich hin und her schiebenden Dorfbewohner hindurch und hob gebieterisch die Hände. »Ihr werdet mit Mary gehen. Wenn euch euer Leben lieb ist, sorgt dafür, daß eure Kinder sich ruhig verhalten, und beeilt euch, zur Grenze zu kommen.« Bethany wandte sich ihrer Schwester zu und gab ihr den Ring ihres Vaters. Als sie sich daran machte, den Gürtel mit dem Dolch zu lösen, den zu tragen stets nur der ältesten Tochter gestattet war, wich Mary einen Schritt zurück.

»Ich kann ihn nicht annehmen, Bethany. Unserem Familienbrauch nach ist es deine Pflicht, ihn an deine Tochter weiterzugeben. Er geht nur auf mich über ... wenn du ohne eine Erbin stirbst«, endete sie mit zittriger Stimme und schob den Gürtel und Dolch von sich, die ihre Schwester ihr hinhielt, womit sie sowohl die Ehre als auch die damit verbundene Verantwortung zurückwies.

Bethany verstand die Bedenken ihrer Schwester und drang nicht weiter in sie. Statt dessen wandte sie sich wieder an die Frauen. »Geht jetzt – und geht mit Gott.«

»Gütiger Himmel – warum hast du dich darauf eingelassen, Royce?« fragte Guy entgeistert. »Nach dem Gesetz gehört dir die Burg doch!«

»Ganz einfach«, erwiderte sein Bruder, den Blick auf die Anlage geheftet. »Es wird meinem Anspruch Nachdruck verleihen. Nach dem Zweikampf werden die Sachsen mein Eigentumsrecht nicht in Zweifel ziehen.« Sein prüfendes Auge stellte fest, daß nirgendwo Mörtel zwischen den Quadersteinen herausgebröckelt war. Sein neues Zuhause war in einem guten Zustand.

»Ich hätte wissen müssen, daß es nicht die Herausforderung des Sachsen war, die dich dazu veranlaßte. Schließlich regiert dich die Vernunft, und nicht das Gefühl.« Guy schlug seinem Bruder auf den Rücken und bemerkte Royces plötzlich nachdenkliche Miene. »Was ist?«

Royce schaute noch immer unverwandt die Burg an. »Findest du es nicht merkwürdig, daß niemand auf den Mauern steht? Siehst du einen Bogenschützen?«

Sein jüngerer Bruder suchte die Mauern ab. »Was schließt du daraus?«

»Nimm dir ein paar Männer. Sucht nach einem Tunnel oder einer Höhle. Ich wittere eine Verschwörung, und ich habe keine Lust, mich von Sachsen überlisten zu lassen.«

Guy nickte und wendete sein Pferd, um dem Befehl seines Bruders nachzukommen.

Nachdenklich betrachtete Royce die Burg. Sie wäre seine letzte Eroberung. Er hatte genug vom Krieg. Gott, war er müde! Tod und Zerstörung laugten die Seele eines Mannes aus. Er sehnte sich nach dem beschaulichen Leben eines Landedelmannes, für das er so lange gearbeitet und gekämpft hatte. Alles, was ihm jetzt noch im Wege stand, war ein einziger Soldat. Er würde sich dem Mann selbst stellen. Zuviel stand auf dem Spiel, um einen anderen damit zu betrauen.

Als der Mittag nahte, durchforstete Bethany die Kleider des Knappen ihres Vaters. »Das ist, glaube ich, das Richtige«, meinte sie und hielt den wollenen Rock und die langen Hosen eines Edelknaben hoch.

Ihre alte Kinderfrau und die Köchin waren bei ihr geblieben, um sie anzukleiden und ihr zu helfen, das Streitroß zu besteigen.

Maida polsterte ihre Schultern und ihre Brust.

»Warum tust du das?« wollte Bethany wissen.

»Damit die Rüstung Eure Haut nicht wundscheuert«, erklärte die Köchin und fuhr fort, Bethany mit dicker Wollwatte zu umwickeln.

»Nein – nimm das weg!«

Maida zögerte einen Moment und sagte dann: »Die Polsterung würde Euch aber kräftiger wirken lassen.«

Das überzeugte Bethany. »Wenn es so ist, dann laß sie dran.« Das lange Kettenhemd zwang Bethany beinahe in die Knie.

»Wie können die Männer all das Eisen nur schleppen?«

»Sie sind doch viel stärker und größer als Ihr, Lady Bethany. Ihr seht trotz all der Wattierung noch nicht einmal wie ein Junge aus.«

»Das stört mich nicht. Sollen sie ruhig über den Krieger lachen, der ihnen geschickt wird. Je länger sie sich amüsieren, um so mehr Zeit habt ihr für eure Flucht. Sobald ich draußen bin, verriegelt das Tor und macht euch auf den Weg. Ich bete zu Gott, daß ihr sicheren Boden erreicht.«

Taytes Augen schwammen in Tränen. »Wir verdanken Euch unser Leben, Mylady. Ich wünschte, es gäbe eine andere Möglichkeit.«

»Ich auch – aber es gibt keine.«

Maida war nicht so gefühlsbetont. »Es besteht immer noch die Hoffnung, daß Ihr überlebt.«

»Ja, Maida – genauso wie die Möglichkeit, daß mir Flügel wachsen und ich davonfliege«, spöttelte Bethany. Sie verzichtete darauf hinzuzufügen, daß sie nicht einmal erwartete, die nächste Stunde zu überleben. Sie hob Gürtel und Dolch von dem Kleiderberg am Boden und reichte Maida beides. »Sorge dafür, daß meine Schwester die Symbole unserer Familiengeschichte erhält.« Als sie Maidas Blick begegnete, erkannte sie darin, daß auch sie sich über die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage klar war.

Als der verabredete Zeitpunkt kam, sprach Bethany ein kurzes Gebet, in dem sie Gott bat, die Leute, die unter ihrem Schutz standen, in den Norden und in die Sicherheit zu geleiten. Für sich selbst erbat sie nichts.

Wettererprobte Bäume standen kahl und dunkel für den Angriff des Winters bereit, und faulende Blätter bedeckten den Boden, als sie aus der Burg auf den vereinbarten Treffpunkt zu ritt. Der eisige Herbstwind brachte ihren vor Aufregung fiebrigen Wangen willkommene Kühlung. Die drohende Gefahr schärfte ihr Wahrnehmungsvermögen, und sie atmete tief – und genießerisch – den Geruch der nassen Erde und des für die Jahreszeit typischen Verfalls ein, der die Luft schwängerte.

Die normannischen Reiter hatten sich auf dem Hügel oberhalb der Wiese aufgestellt. In dem gleißenden Licht erschienen es ihr nicht mehr so viele zu sein, doch ihre Zahl war unwichtig. Ein paar hundert Männer genügten, um die Burg zu stürmen, doch das einzige, worauf es ankam, war der Zweikampf.

Sie verschloß ihre Ohren gegen die Beleidigungen und anzüglichen Bemerkungen, das Gelächter über ihre zierliche Gestalt. Sie zügelte ihr Pferd am Rand der Wiese und blickte dem Reiter entgegen, der auf sie zukam, eine imposante Erscheinung mit breitem Brustkorb und Armen so dick wie Äste eines alten Baums. Dieser Soldat brauchte kein wattiertes Unterkleid unter seinem Kettenhemd. Sie wußte, sie würde die erste Attacke nicht überstehen.

»Seid Ihr bereit?« fragte eine Stimme in der verhaßten normannischen Sprache hinter dem Mundschutz der Kettenhaube.

Der Mann umfaßte den Griff seines Schwertes und blickte zu ihr herüber.

Da sie ihrer Stimme nicht traute, nickte sie.

Er zog sein Schwert und wartete darauf, daß sie dasselbe tat.

Sie hatte einige Mühe, das breite Schwert zu ziehen, und als sie es endlich geschafft hatte, zog das Gewicht ihren Arm nach unten, und sie brauchte beide Hände, um die Waffe zu führen.

Ihr Gegner amüsierte sich köstlich über ihre Anstrengungen. »Schickt man hier Kinder zur Verteidigung einer Burg aus?« lachte er. »Halt das Schwert still, Knabe – das Gefuchtel macht mich ganz schwindlig.«

Sein Schwert schwingend ritt er auf sie zu, und Bethany lernte im Bruchteil eines Augenblicks den Geschmack von Todesangst auf ihrer Zunge kennen. Sie hob in dem tapferen Bemühen, seinen Schlag abzuwehren, ihre Waffe. Der Schlag riß ihr beinahe die Schulter aus dem Gelenk. Schweiß brach ihr aus allen Poren, als sie sich abmühte, ihr unruhiges Pferd unter Kontrolle zu bringen.

Die Furcht verlieh ihr ungeahnte Kräfte, als sie das Tier mit einer Hand brutal zügelte, während sie das Schwert dem nächsten Angriff entgegenhob. Eisen krachte auf Eisen, und der Zusammenstoß hatte eine solche Wucht, daß sie das Gefühl hatte, alle Zähne zu verlieren. Sie hatte kein Gefühl mehr in ihren Armen, und als sie die nächste Attacke kommen sah, hatte sie ihr nichts mehr entgegenzusetzen. Die flache Seite der gegnerischen Klinge versetzte ihr einen Schlag, dessen Kraft sie aus dem Sattel warf. Sie versuchte aufzustehen, doch das Gewicht von Ringpanzer und Schwertgehenk hielten sie am Boden fest.

Der Krieger stieg ab, kam zu ihr herüber, setzte die Spitze seines Schwertes auf ihre Kehle und fragte: »Ergebt Ihr Euch?«