Cover

Über dieses Buch:

Sie formten Weltreiche, regierten die Menschheit und schrieben jene Kapitel der Geschichte, die noch heute Auswirkungen auf unser Leben haben – doch was wäre geschehen, wenn Karl der Große nie zum Kaiser gekrönt worden wäre? Wenn ein Messerstoß verhindert hätte, dass ein sittenstrenger Geistlicher zum mächtigsten Papst aller Zeiten wurde? Oder wenn Friedrich II. in jungen Jahren gestorben wäre, lange bevor er als »alter Fritz« die Schlachtfelder Europas mit Blut tränken sollte? Ein einzelner Todesfall kann das Leben von Millionen Menschen ändern – mit erstaunlichen Folgen!

Spannend, erhellend und faszinierend: der Historiker und erfolgreiche Autor Robert Gordian präsentiert sechs kontrafaktische Erzählungen über Karl den Großen, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II. – und lässt uns hautnah teilhaben an historischen Ereignissen der besonderen Art.

Über den Autor:

Robert Gordian (1938–2017), geboren in Oebisfelde, studierte Journalistik und Geschichte und arbeitete als Fernsehredakteur, Theaterdramaturg, Hörspiel- und TV-Autor, vorwiegend mit historischen Themen. Seit den neunziger Jahren verfasste er historische Romane und Erzählungen.

Robert Gordian veröffentlichte bei dotbooks bereits die Romane ABGRÜNDE DER MACHT, MEIN JAHR IN GERMANIEN, NOCH EINMAL NACH OLYMPIA, XANTHIPPE – DIE FRAU DES SOKRATES, DIE EHRLOSE HERZOGIN und DIE GERMANIN sowie drei historische Romanserien:

ODO UND LUPUS, KOMMISSARE KARLS DES GROSSEN

Erster Roman: »Demetrias Rache«

Zweiter Roman: »Saxnot stirbt nie«

Dritter Roman: »Pater Diabolus«

Vierter Roman: »Die Witwe«

Fünfter Roman: »Pilger und Mörder«

Sechster Roman: »Tödliche Brautnacht«

Siebter Roman: »Giftpilze«

Achter Roman: »Familienfehde«

DIE MEROWINGER

Erster Roman: »Letzte Säule des Imperiums«

Zweiter Roman: »Schwerter der Barbaren«

Dritter Roman: »Familiengruft«

Vierter Roman: »Zorn der Götter«

Fünfter Roman: »Chlodwigs Vermächtnis«

Sechster Roman: »Tödliches Erbe«

Siebter Roman: »Dritte Flucht«

Achter Roman: »Mörderpaar«

Neunter Roman: »Zwei Todfeindinnen«

Zehnter Roman: »Die Liebenden von Rouen«

Elfter Roman: »Der Heimatlose«

Zwölfter Roman: »Rebellion der Nonnen«

Dreizehnter Roman: »Die Treulosen«

ROSAMUNDE, KÖNIGIN DER LANGOBARDEN

Erster Roman: »Der Waffensohn«

Zweiter Roman: »Der Pokal des Alboin«

Dritter Roman: »Die Verschwörung«

Vierter Roman: »Die Tragödie von Ravenna«

Ebenfalls erschien bei dotbooks die beiden Kurzgeschichtenbände EINE MORDNACHT IM TEMPEL und DAS MÄDCHEN MIT DEM SCHLANGENOHRRING sowie die Reihe WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN mit kontrafaktischen Erzählungen über berühmte historische Persönlichkeiten:

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Caesar, Chlodwig, Otto I., Elisabeth I., Lincoln, Hitler

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Napoleon, Paulus, Themistokles, Dschingis Khan, Bolívar, Chruschtschow

WÄREN SIE FRÜHER GESTORBEN: Karl der Große, Arminius, Gregor VII., Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

***

Originalausgabe Juli 2015

Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Ralf Reiter

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Illustrationen von Frank Beutel, www.fb55.de

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-221-0

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter.html (Versand zweimal im Monat – unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieses Buch gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Wären sie früher gestorben 3« an: lesetipp@dotbooks.de (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Robert Gordian

Wären sie früher gestorben …

Karl der Große, Arminius, Gregor VII, Mark Aurel, Peter I., Friedrich II.

Sechs kontrafaktische Erzählungen

dotbooks.

Zum Geleit

Kontrafaktische historische Erzählungen?

Jede beruht auf überlieferten Tatsachen, doch ein wichtiges Faktum ist ausgespart. Der Hauptakteur des geschichtlichen Vorgangs fällt aus. Ein früher Tod hindert ihn, seine welthistorische Rolle zu spielen.

Was wäre ohne ihn geschehen? Welche Ereignisse hätten nun eintreten können? Wie wäre es ohne das Erscheinen dieser prägenden Persönlichkeit in der Geschichte der Menschheit weitergegangen? Wäre die Welt ohne sein oder ihr Auftreten besser oder schlechter geworden?

Wir wissen es nicht.

Doch es öffnet sich hier ein weiter Raum für unterhaltsame Spekulationen. Der frühe Tod des noch nicht aufgetretenen Protagonisten oder der Hauptdarstellerin einer Geschichtsepoche erfordert für das zu spielende Stück ein Alternativszenarium. Wir können nur eines anbieten. Dabei gäbe es unzählige.

Vielleicht lässt der Leser sich darauf ein und macht seine eigenen Entwürfe …

KARL DER GROSSE

Schwertmission gescheitert

Ich, der Mönch Brun, grüße dich, Ragnovald, meinen Bruder und verehrten Lehrer aus der Klosterschule. In großer Bedrängnis wende ich mich an dich mit der dringenden Bitte, mich mit deiner Weisheit zu erleuchten und mir beizustehen.

Ich habe den Auftrag, die Annalen unseres Klosters fortzusetzen, nachdem unser alter Skriptor, der Bruder Lucius seligen Angedenkens, gestorben ist.

Und ausgerechnet jetzt, da ich anfange und meine ersten Einträge mache, sind Ereignisse eingetreten, die die Welt auf den Kopf stellen und deren Folgen unabsehbar sind.

Wie soll man beschreiben, was geschieht und was unsere Welt von Gott entfernt und in ein Tollhaus verwandelt!

Ich bin verwirrt, und immer wieder zögere ich mit der Darstellung des Vorgefallenen. Bei den Oberen des Klosters, dem Abt, dem Propst, dem Camerarius und anderen, wollte ich Rat holen. Doch ich erhielt keinen, denn auch sie sind ratlos. Sie alle wissen nicht, was nun weiter geschehen wird. Ob man hier mitten im Lande der Sachsen noch länger verweilen kann oder ob es besser ist, rechtzeitig die Flucht zu ergreifen.

Denn es scheint sicher zu sein, dass die sächsischen Aufrührer irgendwann auch dieses Kloster angreifen werden. Ein erst vor einem Jahr gegründetes Kloster in der Nähe wurde bereits zerstört, mehrere Kirchen gingen in Flammen auf. Zum Glück wären wir in der Lage, in zwei Tagen den Rhein zu erreichen.

Man hört aber auch, dass es Hoffnung gibt, weil die Sachsen ihre Wut nur an Franken auslassen, die alten Stammesbrüder aber schonen. Ich selbst bin ja auch ein Abkomme von Sachsen, die vor längerer Zeit über das Meer gingen und auf der britischen Insel sesshaft wurden. Meine Sprache ist der der heutigen Sachsen noch ähnlich, ich kann mich mit den Bauern hier gut verständigen und dabei das Wort Gottes verbreiten. Auch einige Erfolge habe ich aufzuweisen. So gelang es mir, einen alten Opferplatz zu zerstören. Doch was ist das jetzt alles noch wert!

Jetzt muss ich, wenn ich Bauern begegne, Schmähungen über mich ergehen lassen. Einmal wurde ich schon verprügelt, ein andermal von einem Felsen gestoßen. Mein linker Arm ist gebrochen, der Bruch schlecht verheilt. Zwei unserer Brüder wurden erschlagen.

Trotzdem geben wir nicht auf, denn gerade in so unsicheren Zeiten brauchen die Menschen das Wort Gottes, um nicht zu verzweifeln und sich dem Teufel zu unterwerfen. Denn kein anderer als der Antichrist steckt hinter den alten Götzen, dem Wodan, dem Donar, dem Saxnot, die ihre Herrschaft wiederherstellen wollen.

Doch zurück zum Zweck dieses Briefes.

Von dem großen Ereignis, das alles geändert hat, habt ihr, die ihr auf der anderen Seite des Rheins lebt, natürlich längst gehört. Wie es aber tatsächlich ablief, ist euch vielleicht nicht richtig dargestellt worden. Ich selbst aber war sogar Augenzeuge. Nicht mehr als zehn Schritte entfernt stand ich, als das Unglück geschah – dieses große Unglück, das die christliche Welt, die noch immer auf die Rückkehr des Erlösers wartet, erneut in Zweifel und Hoffnungslosigkeit stürzt.

Wie konnte es nur geschehen, dass Gott der Herr so etwas zuließ? Dass er uns dieser grausamen Prüfung aussetzt. Sind unsere Sünden denn so groß, dass er uns den Retter und Beschützer nahm, ohne den wir nur Sand im Winde sind?

Wie aber soll ich das Unglück – oder sollte ich sagen: den Unfall – in unseren Klosterannalen darstellen? Die fränkischen Krieger verbreiten schon, es sei gar nicht hier bei unserem Kloster geschehen. Nicht hier habe dieses erhabene, gottgefällige Leben geendet, sondern auf dem Schlachtfeld. Dort sei er, der Unersetzliche, seinen Kriegern vorangeritten, mitten hinein in die Haufen der vorwärtsdrängenden Feinde, und habe in der siegreichen Schlacht an der Haase noch Dutzende Sachsen erschlagen, bevor er, von hundert Wunden gezeichnet, vom Pferd sank. So sei er – immer eingedenk der selbst gestellten Aufgabe, die Ungläubigen in Gottes Reich zu führen, notfalls gewaltsam – als Held gefallen.

Unser Herr Abt riet mir, diese Erzählung aufzugreifen und noch etwas auszuschmücken, zum Beispiel zu schildern, dass man dem unsterblichen Helden das Kreuz vorangetragen oder dass er es sogar selbst den heidnischen Unholden entgegengestreckt habe, während er gleichzeitig das Schwert schwang. Unser Herr Propst schlug vor, das Erlebnis des römischen Kaisers Konstantin in der Schlacht an der Milvischen Brücke als Muster zu verwenden, wo diesem, wie Eusebius mitteilt, das Kreuz am Himmel erschien, dazu die Worte: »Mit diesem siege!«

Aber gegen beides gab es Einwände, die ich, wie ich gestehen will, teile. Es ist auch dem größten Helden mit übermenschlichen Kräften kaum möglich, ein Pferd im Galopp in die Schlacht zu reiten und dabei den Zügel fahren zu lassen, um in der einen Hand ein Schwert, in der anderen ein Kreuz zu halten und dabei noch einen Ungläubigen nach dem anderen niederzustrecken. Und was die Himmelserscheinung betrifft, so würden ja alle, die sich im römischen und christlichen Schrifttum ein bisschen auskennen, gleich bemerken, dass es sich hier nur um ein erbauliches Märchen handelt. Außerdem wäre ich ein plagiarius, Dieb am geistigen Eigentum anderer.

Man muss ja bedenken, dass die, die nach uns kommen, das lesen werden, unsere Annalen studieren, und die werden dann vielleicht sagen, ich, Brun, sei ein Lügner und Übertreiber gewesen. Und mein Gewissen ließe mir keine Ruhe, nicht einmal im Jenseits, falls mir die Gnade des ewigen Lebens zuteilwird, da ich, wie schon erwähnt, aus der Nähe sah, was wirklich passierte.

Dieser Gedanke lässt mich nicht los, denn wenn ich mir vorstelle, dass ich vor dem Jüngsten Gericht in Gegenwart des Herrn als Zeuge aussagen und den Vorfall schildern müsste, und es käme heraus, dass ich als Verfasser der Annalen des Klosters gelogen hatte … was würde mir da geschehen? Würde der himmlische Vater mir die fromme Lüge verzeihen, mich vielleicht sogar noch dafür belobigen? Oder würde er sagen: Wie kamst du dazu, elender Wurm, das große Strafgericht, das ich in diesem Falle für dringend notwendig hielt, zu verschweigen und zu verhüllen? Was sollte ich darauf antworten? Die Verdammnis wäre mir gewiss, ewige Höllenqualen würden mich erwarten.

Denn könnte es – verzeih meine Offenheit – nicht möglich sein, dass man im Himmel missbilligte, was im vorigen Jahr bei Verden geschah? Diese furchtbare Hinrichtungsorgie, dieses Blutbad. Der Tod von Tausenden, die vielleicht gar nicht gegen Gott, sondern nur gegen die Zwangsherrschaft der Franken waren.

Offen eingestehen muss man ja, dass unser christliches Bekehrungswerk hier in Sachsen nicht so recht vorankam, so dass wir statt frommer Belehrung und liebevoller Zuwendung, wie es im Wesen unseres Glaubens liegt, immer mehr auf Zwang und Gewalt setzten.

Schon König Pippin, der Vater des Unersetzlichen, war mit raubenden, brennenden Heerhaufen über den Rhein gekommen und hatte sächsische Gaue unterworfen. Nie wurde gewartet, bis wir, die Missionare, den geistigen Boden bereitet hatten, der die Eingeborenen für die neue christliche Lehre in friedlicher Weise reif gemacht hätte. Nein, es hieß von Anfang an, die paganissimi, diese Erzheiden, seien nur durch Furcht und Schrecken zu bekehren, so wie es im Alten Testament heißt vom rächenden Gott: Wer nicht an mich glaubt, der sterbe durch das Schwert, auch seine Frauen und seine Kinder und keine Seele soll am Leben bleiben.

So sahen die meisten Sachsen in unserem Herrn Jesus Christus einen Sklavenhalter und Zwingherrn, der sie nur ausbeuten und unterdrücken wollte. Und uns, die wir über das Meer gekommen waren, um ihnen die frohe Botschaft zu bringen, betrachteten sie als seine Helfershelfer. Wobei man leider feststellen muss, dass viele geistliche Hirten sich nicht die Mühe gaben, die Menschen zu überzeugen, dass sie den falschen Göttern opferten. Anstatt die Schafe, die sie treulich hüten sollten, zu ermahnen, wenn sie ihnen nicht willig folgten, lieferten sie sie gleich ihren Schlächtern aus.

So muss man leider von einer »Schwertmission« sprechen.

So richtig begann es erst vor elf Jahren, im Jahr des Herrn 772, als die Franken in das Gebiet der Engern einrückten. Da nahmen sie gleich die Eresburg, die stärkste sächsische Grenzfestung, und dann zogen sie weiter und zerstörten den Sachsen ihr Heiligtum, das sich dort in der Nähe erhob. Es hieß, nach einem ihrer Götter, die »Irminsul« und war eine »das All tragende Säule«.

Die wurde also – es war ein mit Schnitzereien verzierter gewaltiger Baumstamm – umgehauen, und von da an war nur noch Wut und Hass auf beiden Seiten.

Mein Vorgänger Lucius schrieb in unsere Klosterannalen für 772: »Auf der Eresburg wurde eine Kirche zu Ehren des Apostels Petrus erbaut. Der milde König hatte Mitleid mit den gottlosen Sachsen, erleuchtete sie und brachte ihnen den wahren Glauben. In dem heidnischen Heiligtum verwahrten sie einen beträchtlichen Schatz. Was er an Gold und Silber fand, nahm er mit und verteilte es unter seine Getreuen.«

Ich wage nicht, hier von Raub zu sprechen, höchstens von Kriegsbeute, die dem Sieger zustand. Aber die Sachsen waren natürlich empört, und zwei Jahre später erhoben sie sich, stürmten die Eresburg, verjagten die Franken und machten die neuen Befestigungen und Bauten dem Erdboden gleich.

Da kehrte der große Kriegsherr, der inzwischen die Langobarden in Italien unterworfen hatte, zurück, und voller Zorn schickte er vier Heere gegen die Sachsen.

Bruder Lucius trug für das Jahr 774 dieses ein: »Drei Heere siegten mit Gottes Hilfe und richteten ein Blutbad unter den Ungläubigen an. Das vierte musste nicht mehr eingreifen. Der milde König eroberte die Sigiburg an der Ruhr und drang über die Weser nach Ostfalen vor. Viele Nordsachsen, Albinger und Wigmodi vertrieb er und siedelte sie in Gallien und anderen Teilen des Reiches an. Das verlassene Land übergab er fränkischen Herren. Nachdem er Geiseln und Beute genommen hatte, kehrte er nach Francien zurück und dankte Gott, der mit ihm zufrieden war. Denn wie es schon in der Heiligen Schrift heißt, sollen auf Befehl des Herrn die Ungläubigen unterworfen oder ausgerottet werden.«

So ging es weiter. Jedes Jahr kamen die Franken über den Rhein und siegten mit Gottes Hilfe. Die widerborstigen Sachsen wurden gleich massenhaft in ihre Flüsse und Seen getrieben, um von uns getauft zu werden. Feierlich mussten sie »Donar, Wodan, Saxnot und allen den Unholden« abschwören. Die hohen Geistlichen teilten das Sachsenland in Missionssprengel auf und gründeten Bistümer: Paderborn, Halberstadt, Hildesheim, Verden. Der große König ließ überall auf Bergen und an Flüssen schwer einnehmbare Grenzbefestigungen anlegen.

Für das Jahr 780 notierte unser früherer Skriptor in den Klosterannalen: »Auf einer Reichsversammlung in Lippspringe wurde die fränkische Grafschaftsverfassung eingeführt. Eine Capitulatio de partibus Saxonae wurde erlassen, damit die Sachsen endlich aus Furcht vor der Macht des Herrn auf die Knie sanken und auf weiteren Widerstand verzichteten. Die Todesstrafe erlitt nun, wer gewaltsam in eine Kirche eindrang; wer dort Feuer legte oder Kirchengut stahl; wer einen Priester verletzte oder tötete; wer heidnische Magie betrieb; wer den Körper eines Verstorbenen nach heidnischem Brauch verbrannte; wer sich der Taufe entzog; wer sich mit anderen Heiden gegen Christen verschwor. Mit Gottes Hilfe gelang es, eine gerechte christliche Ordnung einzuführen.«

War sie wirklich gerecht? War sie christlich? Heute habe ich meine Zweifel. Dieses strenge Gesetzeswerk fachte den Widerstand der Sachsen erst recht an. Aus ihrer Mitte trat ein Heerführer an die Spitze, ein Edeling namens Widukind. Unter ihm schlugen sich zwei Jahre später die Sachsen am Süntel-Gebirge mit einem fränkischen Heer, das dabei vollständig aufgerieben wurde.

Doch war der Erfolg, gegen fränkische Unterfeldherren erzielt, nur ein vorübergehender. Bald war der gewaltige Kriegsherr selbst zur Stelle, und nun war er in seinem Zorn nicht mehr aufzuhalten und handelte wie ein rächender Gott. Die erschrockenen sächsischen Edelinge liefen gleich feigherzig zu ihm über und lieferten alle aus, die sich empört hatten und derer sie habhaft werden konnten.

In ein Lager bei Verden, an der Stelle, wo die Aller in die Weser mündet, trieb man diese Aufrührer, dazu auch Gefangene, die man schon früher gemacht hatte; Verweigerer der Taufe, Geiseln, Schuldige nach dem Sachsen-Kapitular.

Dies zu berichten, war meine erste Aufgabe als neuer Skriptor. Mit zitternder Feder schrieb ich die furchtbare Zahl, wie sie mir glaubhaft mitgeteilt wurde, für das Jahr 782 in die Annalen: 4500 quod ita et factum est. (Und dies ist auch so geschehen)

Sie alle wurden hingerichtet – erschlagen, geköpft, gehängt. In die Aller geworfen, trieben die Leichen in die Weser. Das Wasser der Flüsse färbten sie rot. Die Weser trug die Toten ins Meer oder schwemmte sie irgendwo ans Ufer. Noch jetzt werden welche gefunden.

Aber der Zorn des großen Königs war noch nicht abgekühlt. Zu viele hatten sich in die Wälder geflüchtet, verweigerten halsstarrig die Bekehrung. Unter Widukinds Führung sammelten sich die Empörer erneut. Doch in zwei Schlachten, der ersten bei Detmold, der zweiten am Haase-Fluss, ereilte sie abermals ein furchtbares Strafgericht: Beide Schlachten verloren sie, und wieder kamen Tausende um.

Es schien, dass der Herr im Himmel dazu sein Einverständnis gegeben hatte.

Wenn es aber so war, warum ließ er dann zu, was ein paar Tage nach jener zweiten Schlacht geschah? Warum schützte er nicht den Sieger, der ihn, den wahren Gott, mit Waffengewalt den heidnischen Sachsen zurückgebracht hatte?

So erfahre nun, was sich tatsächlich ereignete.

Nach getanem Werk – ich meine die Schlacht an der Haase – wollte der große König sich wieder in die Sicherheit seines Fränkischen Reichs zurückziehen, denn Sachsen ist ja trotzdem immer noch Feindesland, und es ist nicht ratsam, auch nicht für einen von mehreren Hundertschaften bewachten Herrscher, hier zu überwintern.

Da traf nun ein Bote bei uns ein und brachte die Mitteilung, dass der siegreiche König samt Gefolge am nächsten Tag auf seinem Wege zum Rhein bei uns eintreffen und einmal oder auch zweimal in unserem Kloster übernachten werde. Es versteht sich, dass bei uns große Aufregung herrschte und dass unsere Oberen – der Abt, der Propst und die anderen – mit größter Sorgfalt ihre Vorbereitungen trafen, damit der hohe Gast sich bei uns wohl fühlen konnte. Vor allem unser Cellerar war eifrig bemüht, eine festliche Tafel zu decken, denn unsere magere Klosterkost war den Helden der gewonnenen Schlacht ja nicht zuzumuten. Wir schwärmten aus, um den Bauern der Umgebung Kühe und Schafe von der Weide zu treiben. Stundenlang saß ich in der Küche und rupfte Hühner.

Endlich war es so weit, die Ankunft des großen Königs wurde gemeldet. Wir Mönche sammelten uns draußen vor dem Tor, um ihn mit Jubelgesang und begeistertem Zuruf zu empfangen. Es hatten sich auch viele Neugierige eingefunden, um die einmalige Gelegenheit des Anblicks eines unsterblichen Helden wahrzunehmen.

Da kam nun zunächst ein Trupp seines Kriegsvolks, der dafür sorgte, dass niemand im Wege stand und dass keiner der zur Begrüßung Erschienenen Waffen trug. Wir Mönche stellten uns auf beiden Seiten des Tores auf, durch das der König und sein Gefolge hindurchmussten.

Dieses Tor … ich muss es dir kurz beschreiben. Unser Kloster war einmal eine römische Festung, ein sogenanntes castrum. Die Gebäude sind zwar von Holz, doch die Mauer ist von Stein, und das einzige Tor ist gerade so hoch und so breit, dass zwei Reiter nebeneinander hindurchkönnen. Ein gewaltiger, glatt behauener Felsbrocken begrenzt es nach oben als Sturz. Bei der Verwandlung in eine Klosterpforte wurden hölzerne Torflügel mit einem Fensterchen für den Pförtner eingefügt, doch die hatten wir nun zu diesem Anlass weit geöffnet, damit der König und sein Gefolge bequem hindurchreiten konnten und erst absitzen mussten, wenn sie drinnen den großen Vorhof durchquert hatten.

Das Tor also war weit offen, und ihm näherte sich nun der Herr Karl mit seinem Gefolge. Was für ein Anblick – dieser gewaltige Mann zu Pferde! Ein prächtiges Tier, viel größer als seine Artgenossen, und der Reiter – mindestens sechs Fuß hoch, barhaupt, mit wehendem Haar. Wir Mönche sangen und jubelten. Die Bauern standen mit offenen Mäulern stumm und ergriffen angesichts einer so erhabenen Erscheinung.

Den großen König freute dieser Empfang. Er nickte lachend nach allen Seiten, fasste nur mit einer Hand den Zügel, winkte mit der anderen. Dabei hielt er in scharfem Trabe stracks auf das weit offene Tor zu. Das Pferd – vielleicht scheute es wegen des Lärms, den wir machten – beschleunigte seinen Gang noch, und mit einem Sprung … oh, oh, ich wage es kaum zu beschreiben!

Mit diesem Sprung hob es den Reiter so in die Höhe, dass er im selben Augenblick – immer noch winkend, um sich blickend, der Gefahr nicht gewärtig – mit dem Kopf an den Sturz rammte. O mein Gott! Das warf ihn sogleich aus dem Sattel. Das Pferd glitt unter ihm hinweg. Der große, schwere Mann fiel rücklings zu Boden, blutüberströmt die Stirn, das Gesicht, der Bart, die Rüstung. So lag er stöhnend unter dem Tor, mit zuckenden Gliedern.

Wie soll ich beschreiben, was nun geschah? Wehgeschrei, Verwirrung, Entsetzen. Helfende Hände streckten sich nach dem Gestürzten aus. Ein Tragebett wurde gebracht, auch ich fasste das Ende einer Stange. Wir schafften ihn gleich in die Krankenstube, der Bruder Medicus suchte das Blut zu stillen, die schreckliche Wunde zu reinigen. Der Verletzte ließ es geschehen, er hatte schon das Bewusstsein verloren. Und er gewann es nicht wieder. Sein rasselnder Atem versiegte, und als das Glöckchen zu unserer Abendandacht läutete, war er tot.

König Karl, den schon viele »den Großen« nannten, verschied umgeben von seinen Getreuen. Wir weinten und haderten mit Gott, weil er uns unseren Führer und Beschützer nahm. Das fränkische Reich und die Christenheit sind verwaist. Nur sechsunddreißig Jahre währte das Leben dieses Erhabenen, der vielleicht dazu berufen war, die Welt zu verändern. Der Herr im Himmel hatte anders entschieden und ihn abberufen.

Wie das geschah, war ungerecht, und vielleicht hatte der Teufel die Hand im Spiel. Nicht auszuschließen ist auch, dass die alten Götter der Sachsen, diese Unholde, noch so viel Macht haben, ihre Anbeter, die der Herr Karl zu Tausenden von der Erde tilgte, wenn nicht zu schützen, so doch zu rächen. Denn dass es ihm nicht vergönnt war, als Held und Kämpfer zu sterben, sondern – verzeih den drastischen Vergleich – wie ein Tölpel, der nicht achtgab, einen Türsturz übersah, den Kopf nicht einzog und sich die Stirn blutig stieß … das scheint mir doch der Beweis dafür zu sein, dass heidnische Mächte dahintersteckten. Böse Dämonen geistern durch diese finsteren sächsischen Wälder und treiben ihr Unwesen. Wir müssen wachsam sein, beten und sie mit Gottes Hilfe vertreiben.

Doch nun rate mir, lieber Bruder Ragnovald, wie ich den unerhörtesten Vorfall, der sich in unserm erst sieben Jahre alten Kloster ereignete, in den Annalen der Nachwelt schildern soll.

Hier ein Entwurf: »Gegen Ende dieses Jahres 783 gefiel es dem Herrn, unser frommes Haus zum Schauplatz eines schrecklichen Unglücks zu machen. Infolge eines schweren Unfalls, von heidnischen Dämonen verursacht, die in sein Reittier gefahren waren, damit es ganz ungebärdig wurde, verlor der Herr Karl, König der Franken und Langobarden und Sieger über Sachsen, Friesen und andere Völker, der hier gastliche Aufnahme suchte, sein Leben. Niemals erlitt die Christenheit in ihrer jahrhundertelangen Geschichte einen solchen Verlust.«

Soll ich diesen letzten Satz weglassen?