Ulrich Offenberg
MYTHOS SÜDSEE
Die Entdeckung des blauen
Kontinents Pazifik
© Verlag KOMPLETT-MEDIA GmbH
2011, München/Grünwald
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ca. 3.000 v. Chr.: | Beginn der Besiedlung der Südsee |
ca. 1.600 v. Chr.: | Besiedlung der Fidschi-Inseln |
ca. 500 v. Chr. | Besiedlung von Tonga und Samoa |
100 v. Chr.: | Ptolemäus erschließt theoretisch die |
Existenz einer „terra australia“ | |
ca. 400 n. Chr.: | Besiedlung der Osterinseln und Hawaiis |
ca. 600: | Besiedlung der Gesellschafterinseln |
ca. 800: | Besiedlung Neuseelands |
1480 - 27. April 1521: | Fernão de Magalhães/Ferdinand |
Magellan | |
25. September 1513: | Entdeckung des „Südmeeres“ durch |
Nunez de Balboa | |
1519 - 1521: | Erste Umseglung der Welt durch |
Ferdinand Magellan | |
1519: | Entdeckung von Feuerland durch |
Magellan | |
6. März 1521: | Entdeckung von Guam durch Magellan |
1567: | Expedition zu den Salomon-Inseln |
1569/1570 | Entdeckung des Südpazifiks durch |
Mandana | |
1602: | Gründung der „Ostindischen Gesellschaft“ |
in den Niederlanden | |
1603 - 10. Okt. 1659: | Abel Janszoon Tasman |
1606: | Erste Entdeckung Australiens durch |
Willem Janszon Tasman und Jan | |
Rooseggen | |
1616: | Cornelisz Schouten und Jacques le |
Maire entdecken den Seeweg rund | |
um Kap Hoorn | |
24. November 1642: | Entdeckung Tasmaniens durch Abel |
Janszoon Tasman | |
5. April 1662: | Ankunft des ersten Missionars in der |
Südsee: Diego Luis Sanvitores | |
1676 - 13. Dez. 1721: | Alexander Selkirk, berühmt geworden |
als Robinso Crusoe | |
5. April 1722: | Jakob Roggeveen entdeckt die Osterinseln |
1728 – 1779: | James Cook, Entdecker der Südsee |
1768 | Entdeckung Neuseelands und Australiens |
durch James Cook | |
21. Juni 1767: | Entdeckung Tahitis durch Samuel |
Wallis | |
2. April 1768: | Der französische Seefahrer Louis-Antoine |
de Bougainville wirft vor | |
Tahiti Anker | |
17. Januar 1773: | Überquerung des südlichen Polarkreises |
durch James Cook, „Entdekkung“ | |
der Antarktis | |
18. Januar 1778: | Entdeckung Hawaiis durch James Cook |
28. April 1789: | Meuterei auf der Bounty |
1796: | Zweite Missionierungswelle durch |
die London Missionary Society | |
1814: | Missionierung Neuseelands durch |
Samuel Mardsen | |
6. Februar 1840: | Vertrag von Waitangi zwischen |
Queen Victoria und den Maoris auf | |
Neuseeland | |
19. Jahrhundert | Walfang-Boom in der Südsee, Sandelholz-Boom, Sklavenhandel |
7. Juli 1898: | Annektion Hawaiis durch die USA |
1946 – 1962: | Atombombentest auf verschiedenen |
Südsee-Atollen (Bikini, Johnston) | |
21. August 1959: | Hawaii wird 50. Bundesstaat der USA |
Franzosen in der Südsee
Freie Liebe auf Tahiti
Die Kolonisierung der Welt
Magellan umsegelt die Erde
Die Entdeckung der Salomon-Inseln
Menschenfleisch als Gastgeschenk
Angriffe der Eingeborenen
Ablehnung bei der Heimkehr
Die ersten Missionare
Die Suche nach dem Süd-Kontinent
Die Legende von Robinson Crusoe
Abel Tasman entdeckt Neuseeland
Die Entdeckung der Osterinsel
James Cook – der Entdecker der Südsee
Die Kartierung Neuseelands
Die Entdeckung Australiens
Eine Ahnung von der Antarktis
Cooks Ende auf Hawaii
Die Völkerwanderung über See
Die frühen Seefahrer der Südsee
Die Tradition des Kannibalismus
Die Entdeckung Tahitis
Meuternde Matrosen
Die Meuterei auf der Bounty
Die polynesischen Gottheiten
Tyrannische Missionare
Walfett, das Gold der Südsee
Der weiße König der Südsee
Die Ruinen von Nan Madol
Die europäischen Herrscher
Aufstieg und Untergang Hawaiis
Enge Bindung an die USA
Lepra auf den Südsee-Inseln
Maoris kämpfen für Unabhängigkeit
Gier nach Sandelholz
Die Sklavenhändler
Das Erbe der Weißen
Es war am frühen Nachmittag des 25. September 1513, als der spanische Edelmann Nunez de Balboa vor Begeisterung laut aufschrie. Der Anblick, der sich ihm und seinen erschöpften Begleitern bot, war phantastisch. Bis zum Horizont glitzerte ein gewaltiges, tiefblaues Meer. Der Spanier war endlich am Ziel seiner Wünsche und Hoffnungen angekommen. Er hatte geschafft, was noch keinem Europäer vor ihm gelungen war: die Entdeckung des sagenumwobenen „Südmeeres“.
20 entsetzliche Tage hatte sich Balboa mit seinen 190 Männern durch einen schier undurchdringlichen Dschungel gekämpft, ständig attackiert von Wolken von Moskitos, bedroht von giftigen Schlangen und Riesenspinnen, deren Stiche tödlich waren. Immer wieder mussten die Männer Angriffe feindlicher Indianerstämme abwehren. Meter um Meter hatten sie sich in ihren schweren Rüstungen vorgekämpft, oft am Ende ihrer Kräfte.
Angetrieben wurden sie einzig vom eisernen Willen Balboas, der von Ruhm und Reichtum träumte, wenn es ihm gelänge, das sagenumwobene „Südmeer“ mit seinen gewaltigen Schätzen an Gold und Silber zu finden. Dafür musste er sich aber 83 Kilometer quer durch die Landenge zwischen dem Nordatlantik und dem Nordpazifik kämpfen, die heute vom Panama-Kanal durchschnitten wird. All diese Mühen schienen sich nun gelohnt zu haben. Balboa blickte von einer Anhöhe aus im Triumph auf den schneeweißen Strand, an dem sich die Wellen dieses fremden Ozeans brachen.
Der spanische Konquistador war sich der Bedeutung seiner Entdeckung durchaus bewusst. Seinen 69 Landsleuten, die den Todesmarsch durch den Dschungel überlebt hatten, gestattete er aber zunächst nicht, den Strand zu betreten. Er ordnete eine viertägige Ruhepause an, in der er eine aufwändige Zeremonie vorbereitete. Sie sollte dem Zweck dienen, alle Inseln und Kontinente, die von diesem Ozean umspült wurden, für die spanische Krone in Besitz zu nehmen.
Es war eine theatralische Inszenierung, die der abenteuerlustige Edelmann, der sich im übrigen auf der Flucht vor Gläubigern befand, den Männern schließlich bot. In der rechten Hand das blanke Schwert, in der linken die Flagge seines Königs, stapfte Balboa in voller Rüstung ins flache Wasser. Entschlossen stach er mit der Klinge in die sanft anrollenden Wellen. Dabei schwenkte der Spanier die Fahne seines Landes und diktierte dem anwesenden Notar mit hoher Stimme, dass er „diesen Ozean samt Inseln ein für allemal in den Besitz des spanischen Königreichs nehme.“
Seinen Männern am Strand, die dieses Schauspiel fasziniert beobachteten, befahl Balboa, den himmlischen Mächten ihre Referenz zu erweisen. Sie mussten sich tief verneigen und Jesus Christus sowie der Mutter Gottes für diese einzigartige Entdeckung von Herzen danken.
Balboa hatte, ohne es zu ahnen, fast 15.000 Kilometer von der Heimat entfernt, den größten Ozean der Welt entdeckt. Hinter dem Horizont erstreckte sich, auf der anderen Seite der bisher bekannten Erdkugel, ein blauer Kontinent, von dem wir heute wissen, dass er 20.000 Inseln umfasst und so groß ist wie die gesamte Mondoberfläche. Er hatte das Tor zu einer exotischen Welt aufgestoßen, die so gar nichts mit der bigotten, lustfeindlichen Wirklichkeit gemeinsam hatte, die in Europa zu Beginn des 16. Jahrhunderts herrschte. Während der Reformator Martin Luther gegen die willkürliche Herrschaft des Papstes rebellierte und zum Entsetzen seiner Anhänger eine Nonne heiratete und mit ihr Kinder zeugte, herrschte in der Südsee seit Jahrhunderten die freie Liebe, war der Tausch von Frauen selbstverständlich.
250 Jahre später berichtete der französische Seefahrer Louis-Antoine de Bougainville ausführlich über dieses ferne Paradies. Er leitete eine französische Weltumsegelung und ließ am 2. April 1768 vor Tahiti Anker werfen. Die später in Paris veröffentlichten Erzählungen über seine Erlebnisse in der Südsee elektrisierten das im Absolutismus erstarrte Europa. Sie entfachten in ganzen Generationen eine tief sitzende Sehnsucht nach einer Welt ohne einengende Gesetze und gesellschaftliche Zwänge. Bougainvilles Berichte von „edlen Wilden“ auf den paradiesischen Inseln inspirierten viele Schriftsteller und Maler wie Paul Gauguin zu ihren wichtigsten Werken.
Kaum hatten die Franzosen damals mit ihren beiden Schiffen Boudeuse und Etoile beigedreht, näherten sich Kanus der Einheimischen und umzingelten die Schiffe der Europäer. Die Tahitianer schwenkten grüne Palmwedel zum Zeichen der Freundschaft. In ihren Kanus saßen splitternackte junge Frauen. Das spontane, sachkundige Urteil der Franzosen: Die einheimischen Damen waren den Europäerinnen in Aussehen und ansprechenden Formen weit überlegen und zierten sich nur wenig. Auch die eingeborenen Männer zeigten sich generös: Die Gäste hatten unter den Töchtern des Landes die freie Wahl und konnten sich den Schönheiten ausgiebig widmen.
Louis Antoine de Bouganville berichtete sehr plastisch: „Man kann sich vorstellen, wie schwer es angesichts eines solchen Schauspiels war, 400 junge französische Seeleute, die sechs Monate lang keine Frauensperson mehr gesehen hatten, zu bändigen. Aller Vorsicht ungeachtet kam ein junges Mädchen auf das hintere Verdeck und stellte sich an eine der Luken über der Ankerwinde. Diese Luke stand offen, damit die Leute frische Luft bekamen. Sie ließ ungeniert ihre Bedeckung fallen und stand vor den Augen aller da wie Venus, als sie sich dem Paris zeigte. Sie hatte einen göttlichen Körper. Matrosen und Soldaten drängten sich zur Luke, und vielleicht ist niemals so fleißig an dieser Stelle gearbeitet worden. Durch unsere Sorgfalt hielten wir doch das verzauberte Schiffsvolk im Zaume, obgleich wir nicht wenig mit uns selbst zu kämpfen hatten.“
Der Schiffskoch, so heißt es in dem Bericht von Bougainville weiter, habe sich mit einer Inseltochter von Bord geschlichen. An Land angekommen, wurde er seiner Kleidung beraubt, intensiv untersucht und sollte dann vor versammelter Bevölkerung „seinen Mann stehen.“ Dabei gab es Probleme und viel Gelächter. Der Koch erhielt aber sein Eigentum zurück und beichtete dem Kapitän nach seiner Rückkehr kleinlaut von seinem Abenteuer. Begleitet wurde der französische Kapitän von dem Naturforscher Philibert Commercon und einem Assistenten, der sich J. Baret nannte. Dieser Assistent war eine verkleidete Frau – Jeanne. Bei der Landung auf Tahiti erkannten die polynesischen Männer sofort diese Verkleidung und versuchten ihr Liebesglück bei dieser Dame – sogar unter Androhung von Gewalt. Die Franzosen mussten schützend eingreifen.
Der Bericht Bougainvilles über seinen Besuch in Polynesien schuf jene verklärte Südsee-Romantik, die bis heute fortwirkt und von der der Mythos Südsee noch immer zehrt. Diese Insulaner, die laut Bougainville durch nichts verdorbenen waren, schienen Rousseaus Ideen vom glücklichen Naturzustand des Menschen zu bestätigen, der nur durch die Zivilisation verdorben würde. Dass es auch hier in der Südsee Klassengesellschaften, ausgeprägte Etikette gab, ja auch Mord und Totschlag wie überall auf der Welt, davon war zunächst keine Rede.
Besonders für die Völkerkundler der damaligen Zeit war der Bericht von Louis Antoine de Bougainville interessant. Für sie erschien Tahiti als das einzige Land der Erde, wo Menschen ohne Laster, ohne Vorurteile, ohne Mangel und ohne inneren Zwist leben. Die Früchte des Landes wuchsen, so schien es, ohne jede Kultivierung, und der Gott der Insel war die Liebe. Frauen waren seine Hohepriesterinnen, die Männer seine begeisterten Jünger. Die körperliche Vereinigung – ohne Zögern und Heimlichkeit – war hier ein religiöser Akt.
Alles bei diesem Volk trug in den damaligen vorschnellen wissenschaftlichen Expertisen den Stempel der vollkommensten Harmonie und Natürlichkeit. Es lag wohl an der prüden, eingeschnürten Klassengesellschaft des Alten Kontinents, dass die ehrwürdigen Professoren zu diesen euphorischen Urteilen gelangten. Auch akademische Weihen schützen offensichtlich vor Torheit nicht, wenn sexuelle Phantasie die Hormone in Wallung bringt.
Bougainville erzählte vom friedlichen Handel zwischen den Eingeborenen und den weißen Entdeckern, von Ausflügen ins Landesinnere und der großzügigen Gastfreundschaft der Insulaner. Wörtlich heißt es: „Unsere Leute gingen täglich entweder einzeln oder zusammen in kleinen Gruppen unbewaffnet umher. Die Wilden nötigten sie in ihre Wohnungen und gaben ihnen zu essen. Es blieb nicht bei der Bewirtung allein, sondern man bot ihnen auch junge Mädchen an. Die Wohnung war gleich voll von Männern und Frauen, die die Neugier herbei lockte. Man streute ein Lager von Laub und Blumen und blies auf der Flöte dazu. Die Göttin der Liebe ist hier zugleich die Göttin der Gastfreundschaft, sie hat hier keine Geheimnisse. Die Wilden wunderten sich, wenn unsere Leute Bedenken trugen, ihr öffentlich zu opfern, welches den europäischen Sitten so sehr zuwider ist. Indessen zweifle ich nicht, dass mancher Matrose sich nach dem Landesbrauch bequemt hat.“
Neun Tage ankerten die Franzosen vor Tahiti, dann setzten sie die Segel Richtung Heimat. Bougainville hatte die Insel zunächst als „Neu Kythera“ bezeichnet, aber später nutzte er konsequent den einheimischen Namen „Tahiti“. Er registrierte die verschiedenen Tätowierungs-Formen der Geschlechter und befragte dazu einen Jüngling namens Aoturu, den er an Bord genommen hatte.
Tätowierungen, so berichtete Aoturu über einen Dolmetscher, seien Mannbarkeits-Symbole, sagten aber auch viel über die Stellung im Familienclan und den persönlichen Mut bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit Nachbarvölkern aus. Bei den Frauen künden Tätowierungen über Stand und Herkunft sowie Anzahl der Kinder. Darüber hinaus sollen die schmerzhaften Verzierungen auch noch ihre besondere Schönheit unterstreichen. In Europa wird Aoturu in den Salons von Paris wie ein Maskottchen herum gereicht und stirbt schließlich auf einer Reise zu den Seychellen.