Impressum:

1. Auflage, für Verein „Respekt für Dich“ – Autoren gegen Gewalt

Covergestaltung by Karina-Verlag, Karin Pfolz

Coverfoto © Rainer Moore

Text:© Karin Pfolz, Verena Grüneweg

Überarbeitung, Layout, Design: Karin Pfolz, Karina-Verlag

Lektorat: Angela Hochwimmer

Jänner 2015, Vienna, Austria, Karina-Verlag, Vienna.

ISBN 978-3-9030-5603-9

karina.bookoffice@gmail.com

www.karinaverlag.at

Books on Demand GmbH

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Bibliografische Information der Nationalbibliotheken: Die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Österreichischen Nationalbibliothek, ebenso ist diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet.

1. Kishara

Ich erwachte, und alles, was ich sah, als ich meine Augen öffnete, war Dunkelheit. Kälte erfasste mich und ließ mich erschaudern. Sofort spürte ich es: Dies war nicht mein Schlafzimmer – nicht mein Zuhause.

Trotzdem, für einen kurzen Moment hoffte ich, alles wäre nur ein Teil eines verrückten Traumes, und ich wäre immer noch in diesem gefangen. Dass mein Gehirn mir nur einen Streich spielte und dieser Raum, der so dunkel wie die Nacht war und ohne die mir so bekannten Geräusche am Morgen, nur eine weitere Episode meiner Fantasie darstellte. Erneut schloss ich meine Augen im Glauben, wenn ich sie wieder öffnen würde, sei alles wie an jedem anderen Tag. Ich würde die Stimmen von Menschen auf der Straße und die Geräusche vorbeifahrender Autos vernehmen. Lächelnd meine Augen aufmachen und das Sonnenlicht sehen, das durch die Vorhänge fiel und mich wach küsste.

Schlaftrunken mich auf die Bettkante setzen, kurz nachdenken und den Kopf über diesen Traum schütteln. Vorsichtig blinzelte ich und realisierte sehr schnell, es war die Wirklichkeit, keine Illusion. Das, was ich unter meinem Körper fühlte, war nicht mein Bett. Ich lag auf einer Matratze.

Sie war hart und klamm und stank nach Metall. Ein Geruch wie altes Blut, vergammeltes Fleisch. Feuchtigkeit, die mich umfing, sich an mich klammerte und mich frösteln ließ. Ich starrte in das Nichts, versuchte, wenigstens einen kleinen Schimmer von Licht zu finden. Erfolglos. Fassungslos tastete ich wie ein Blinder um mich herum, griff auf der Suche nach irgendetwas Fühlbarem ins Leere. Es gab nichts, keinen Nachttisch, auf dem eine kleine Lampe stand, die ich anmachen konnte. Wo war ich, was war geschehen? Starr lag ich in der Dunkelheit, unfähig mich zu bewegen, und wiederholte immer wieder diese Fragen in meinem Kopf.

Meine Gedanken fuhren Achterbahn. Was sollte ich tun? Verzweifelt horchte ich auf ein Geräusch; irgendjemand musste doch hier sein. Nichts, nur ein leises Tropfen wie aus einem Wasserhahn, wenn er nicht richtig zugedreht war.

„Denk nach, Kishara, keine Panik, bleib einfach nur ruhig.

Alles lässt sich erklären. Vielleicht ist das nur ein dummer Scherz, von deinen ach so guten alten Freunden. Eine kleine Retourkutsche, mehr nicht.“, flüsterte ich in die Stille hinein. Dieser Gedanke, der mir plausibel erschien, beruhigte mich ein wenig und brachte mich dazu, mich aus meiner Starre zu lösen. Ein dumpfer, pochender Schmerz klopfte in meinen Schläfen, als ich mich aufrecht hinsetzte. Unwillkürlich fuhr meine Hand hoch zu der Stelle, wo er am intensivsten zu fühlen war. Vorsichtig tastete ich sie mit den Fingerspitzen ab. Es fühlte sich klebrig und schorfig an, wie eine Wunde, die mit geronnenem Blut bedeckt war. Übelkeit überkam mich und ich musste würgen. Dennoch riss ich mich zusammen, atmete langsam ein und aus und versuchte, die aufkommende Panik in mir zu unterdrücken. Mir war klar, lange würde ich mich nicht mehr unter Kontrolle haben. Ich musste jetzt und nun handeln. Herausfinden, wo ich war und eine Möglichkeit finden, diesem Ort zu entfliehen.

Auch wenn die Übelkeit blieb, hatte zumindest das Würgen aufgehört. Langsam erhob ich mich von meinem Lager, versuchte, auf meinen beiden Beinen zu stehen und scheiterte kläglich. Kaum hatten meine Füße den kalten Boden berührt, gaben meine Beine nach und ich fiel auf meine Knie. Ein lautes Knacken durchbrach die Stille. Wie ein Messer fuhr der Schmerz in mein linkes Handgelenk. Zischend zog ich die Luft ein, biss die Zähne zusammen, um nicht zu laut loszuschreien. Ich wartete einen kurzen Augenblick, dass der Schmerz etwas nachließ, um dann auf allen Vieren weiter zu kriechen. Stück für Stück tastete ich mich vorwärts. Fühlte mit den Händen kantige, unregelmäßig verlegte Steine. Solche, wie man sie auf nostalgischen Marktplätzen fand. Ich hatte keine Ahnung, in welche Richtung ich eigentlich kriechen sollte, dennoch bewegte ich meinen Körper immer weiter vorwärts. Es dauerte nicht lang, und ich stieß gegen etwas Hartes und Unüberwindbares.

Ich streckte eine Hand aus, um zu fühlen, was es war. Eine Mauer, gebaut aus denselben Steinen, die ich bereits am Fußboden wahrgenommen hatte, die mir den Weg versperrte. Doch keimte Hoffnung in mir auf. Vielleicht gab es eine Tür, irgendeinen Ausgang, durch den ich diesem ganzen Wahnsinn entfliehen konnte. Hektisch tastete ich die Wand ab, um bald zu merken, dass es nichts gab, was sich öffnen ließ.

Um mich herum gab es nur diese Mauer – gebaut aus kaltem Stein. Ich merkte, wie sich ein Schluchzen in meiner Kehle bildete und begann, mir die Luft abzuschnüren. Nicht aufgeben, nur nicht aufgeben, nur ein Scherz, ein blöder Scherz, wie ein Gebet formten sich die einzelnen Buchstaben zu Wörtern in meinem Kopf. Ich drehte mich um, steuerte in eine andere Richtung und kroch erneut den Boden entlang. Mittlerweile war ich dazu übergangen, die Worte nicht nur zu denken, sondern immer wieder zu flüstern. Ein Versuch, die andere Stimme in meinem Kopf, die sagte: „Wenn das alles nur ein dummer Scherz ist, warum hast du diese Wunde am Kopf? Glaubst du wirklich, sie würden dich damit hier liegenlassen und den Spaß immer weiter treiben?“, zu unterdrücken. Doch egal, wie oft ich versuchte, einen Ausgang zu finden; alles, was sich mir offenbarte, waren neue Mauern, die ich nie in der Lage sein würde zu überwinden. Die Stimme in mir schrie bereits. Wie ein Tier im Käfig irrte ich durch den Raum. Unfähig, irgendeine Orientierung zu behalten. Ich wollte nicht aufgeben, wollte mein Schicksal, eine Gefangene zu sein, nicht akzeptieren. Nach endlosen, kläglich scheiternden Versuchen, einen Ausgang zu finden, schaffte ich es nicht mehr, gegen meine Panik anzukämpfen. Ich begann kichernd, irre vor mich hin zu plappern: „Und, Kishara, du liest doch so gerne Thriller, in denen das passiert: Das Opfer ist eingeschlossen, genau wie du. Hast du dir jemals wirklich vorgestellt, wie das so ist, hast du? Sag mir, was würde der Mensch in deinen Büchern machen? Weißt du es?“. Oh ja, ich kannte die Antwort, er würde wie von Sinnen schreien, und genau das tat ich jetzt ...

Mir war nicht bewusst, wie lange ich geschrien hatte. Irgendwann musste ich erschöpft zusammengebrochen sein. War einfach auf den kalten Steinboden in die rettende Welt der Ohnmacht geflohen. Diesmal gab es keine Illusionen mehr beim Aufwachen. Ich verschwendete keine Zeit mit Wunschdenken. Vorerst ergab ich mich meinem Schicksal, eine Gefangene zu sein. Auf Händen und Knien führte mein Weg zurück zu meinem Lager, der Matratze.

Ich robbte auf sie und streckte meinen schmerzenden Körper aus. Das Pochen im Kopf hatte sich verstärkt und war kaum noch auszuhalten. Hinzu gesellte sich das Stechen in meinem Handgelenk. Ich fühlte mich wie eine einzige Wunde. Tränen liefen über mein Gesicht. Ohne einen Laut von mir zu geben, sah ich in die Dunkelheit. Mit der letzten mir verbleibenden Kraft versuchte ich, meine Gedanken zu ordnen. Fragen, was sein würde, wenn ich nie wieder dieses Gefängnis verlassen könnte, schob ich mit aller Macht beiseite. Stattdessen begann ich, Antworten auf das, was geschehen war, zu suchen. Die Lösung lag in meiner Vergangenheit. Irgendetwas musste in den letzten Monaten, Wochen, Tagen oder auch nur Stunden passiert sein, welches all dies erklärte.

Inhaltsverzeichnis

  1. Kishara
  2. Pamina, noch zwei Monate
  3. Kishara, heute
  4. Pamina, noch zwei Monate
  5. Kishara, heute
  6. Pamina, noch fast zwei Monate
  7. Kishara, heute
  8. Pamina, noch fast zwei Monate
  9. Kishara, heute
  10. Pamina, noch eineinhalb Monate
  11. Kishara, heute
  12. Pamina, noch eineinhalb Monate
  13. Kishara, heute
  14. Pamina, noch eineinhalb Monate
  15. Kishara, heute
  16. Pamina, noch eineinhalb Monate
  17. Kishara, heute
  18. Pamina, noch eineinhalb Monate
  19. Kishara, heute
  20. Pamina, fast noch eineinhalb Monate
  21. Kishara, heute
  22. Pamina, noch fast eineinhalb Monate
  23. Kishara, heute
  24. Pamina, noch fast eineinhalb Monate
  25. Kishara, heute
  26. Pamina, noch ein Monat und eine Woche
  27. Kishara, heute
  28. Pamina, noch ein Monat und zwei Tage
  29. Kishara, heute
  30. Pamina, noch ein Monat
  31. Kishara, heute
  32. Tamara, noch siebenundzwanzig Tage
  33. Kishara, heute
  34. Tamara, noch 19 Tage
  35. Kishara, heute
  36. Tamara, kurz vor dem Zusammentreffen
  37. Kishara, heute
  38. Tamara, der Anfang vom Ende
  39. Kishara, heute
  40. Tamara, kurz vor dem Ende
  41. Kishara, heute
  42. Tamara, kurz vor dem Ende
  43. Kishara, heute
  44. Tamara, gleich heute
  45. Kishara, heute
  46. Tamara, heute
  47. Kishara, heute
  48. Tamara, heute
  49. Kishara, jetzt
  50. Das letzte Kapitel

2. Pamina, noch zwei Monate

Wie jeden Tag begann ich den Morgen mit einem ausgedehnten Training. Mein Körper verlangte das einfach, und ohne Bewegung war ich einfach unfähig, auch nur irgendetwas zu tun oder einen normalen Gedanken zu fassen.

Außerdem fand ich, dass es sehr befreiend für meine Sorgen war, denn die finanzielle Bedrängnis, unter der ich seit der Trennung von meinem Exfreund litt, drückte mir jede Lebensfreude ab. Ich konnte einfach kein Ende meiner Misere mehr sehen. Diese morgendlichen auspowernden Bewegungen ließen mich wenigstens für diese eine Stunde die Sorgen vergessen. Was ich sanft mit zarter Klaviermusik begann, endete dann oft mit hartem Rock, der mir den Schweiß aus jeder Pore trieb. Mindestens zwei Liter Wasser wechselten so den Weg von dem Krug in meinen Körper und über meine Trainingskleidung in die Luftfeuchtigkeit.

Doch leider musste auch ich zu einer gewissen Zeit an meiner Arbeitsstelle sein, und so beendete ich diese Aktivität mit einer ordentlichen kalten Dusche.

Seit Monaten mied ich abends den Weg zum Postkasten und erlaubte mir die Freiheit, dass mich Rechnungen und Zahlungsaufforderungen immer erst mit einem Tag Verspätung erreichten. Ich erhöhte also meinen Schuldenberg immer mit einer gewissen Zeitverzögerung. Dies brachte mir zwar nicht wirklich eine Verbesserung der Lage ein, aber zumindest ließ es mich glauben, dass ich wenigstens ein wenig Einfluss auf den Lauf der Dinge hatte. Also nahm ich die Post immer erst am Morgen aus dem Postfach und öffnete die Briefe nach getaner Arbeit.

Es erwarteten mich immer mehrere Schreiben. Verschiedene Inkassobüros, Mitteilungen des Gerichtsvollziehers, Mahnungen und diverse andere Briefe, die mich zu einer Zahlung aufforderten. Nun, es lag nicht an mir oder meiner Vergangenheit, sondern an der meines Exfreundes. Er hatte in dem halben Jahr, das er mit mir verbrachte, gelebt wie `Gott in Frankreich`. Gönnte sich alles, was gut und teuer war, und ließ die Rechnungen auf meinen Namen ausstellen. Zu allem Übel hatte er auch noch meine Bankdaten bei seinen Gläubigern angegeben und sich dann rechtzeitig aus dem Staub gemacht, bevor die ersten Mahnungen den Weg zu mir fanden. So ergab es sich, dass der Schock darüber, dass er mich von einer Minute auf die andere verlassen hatte, sich in eine riesige Wut auf diesen Menschen verwandelte. Ich versuchte, die Monate danach alles zu tun, damit die Gläubiger mir glauben, dass nicht ich, sondern mein Exfreund die Aufträge tätigte. Aber es half mir nichts. Er hatte alles über Internet bestellt, meinen Account verwendet, meinen PC und meine Bankdaten. Selbst das Meldeamt konnte mir nicht helfen, da sogar sein Name falsch war. An diesem Menschen war einfach alles falsch.

Und die Polizei – nun, die belächelte mich nur, denn ich war nicht die Einzige, die auf diesen Typen hereingefallen war. Sie hatten über zwanzig Anzeigen, zwar alle mit anderen Namen, aber von der Personenbeschreibung her und dem Tathergang handelte es sich um denselben Menschen. Meinen lieben Exfreund.

Ja, ich hätte vielleicht etwas vorsichtiger sein sollen. Meine Freunde – wenn man diese oberflächlichen Menschen so nennen darf – tuschelten ja fleißig über mich und meine neue Flamme. Ich selbst war ja eher eine unscheinbare graue Maus. Ungeschminkt, ein Friseur sah mich nie, meine Kleidung war praktisch, aber nicht schön. Naja, hässlich und ungepflegt war ich nicht, aber eben unauffällig. Praktisch. Normaler Durchschnitt. Marco, so nannte er sich: groß, dunkles Haar, athletischer Körper mit einem Sixpack, nach der neuesten Mode gekleidet, ein Gesicht - wie aus einem Modemagazin. Hinreißend. Also, die Wahrheit war, wir passten überhaupt nicht zusammen. Nebeneinander sahen wir aus, als wenn der große Bruder seine schüchterne Schwester mitschleppen musste.

Aber ich sah das natürlich nicht so, damals. Denn ich war verliebt in diesen schönen Mann – und er in mich, sagte er zumindest. Es gab ja auch keinen Grund für mich zu zweifeln. Denn er behandelte mich wie eine Prinzessin, trug mich praktisch auf seinen Armen durchs Leben. Mindestens einmal pro Woche verwöhnte er mich mit Geschenken, Blumen, einer kurzen Reise übers Wochenende und all dem, was eine junge Frau sich so erträumt. Auf meine Fragen, wie er denn dies alles finanziere, wo er doch keiner geregelten Arbeit nachging, antwortete er immer, dass er aus wohlhabendem Hause stamme und seine Familie ihm monatlich einen stattlichen Betrag auf sein Konto überweise. Das wirkte auf mich beruhigend, und ich glaubte ihm das einfach. Dass von meiner Kreditkarte keine Abrechnungen kamen, das hat mich nicht beunruhigt, denn ich zahlte niemals damit und dachte so bei mir, dass dann eben keine Rechnungen kämen. Dass mein liebender Marco die Rechnungen verschwinden ließ, das konnte ich nicht einmal erahnen.

Dann war er auf einmal weg. Einfach so. Ohne irgendeine Vorwarnung. Ich kam von der Arbeit nach Hause, und die Wohnung war verlassen. Kein Marco. Doch auch Schmuck, Bargeld, Bilder und alles, was zu Geld zu machen war, waren weg. Aber sein Handy war da. Es lag auf dem Esszimmertisch. Zertrümmert. Ein alter Hammer daneben.

Mit dieser Erinnerung an längst vergangene Tage einer scheinbar glücklichen Beziehung wagte ich also an diesem Morgen den Weg zu meiner Arbeitsstelle – mit einem kurzen Stopp beim Postkasten. Einige Briefe wanderten in meine Tasche, ohne genau beachtet zu werden. So fiel mir auch nicht auf, dass eines der Schreiben nicht von einem Gläubiger war.

3. Kishara, heute

Heute oder gestern Morgen oder vielleicht noch davor, mir fehlte jegliches Zeitgefühl, wann es gewesen war, begann mein Tag wie jeder andere zuvor. Mein Wecker hatte geklingelt, und ich stand müde auf. Die Nacht davor war wieder mal lang und aufregend gewesen. Ich ging ins Badezimmer und nahm eine Dusche, zog meine Kleidung an und schminkte mich. Ein kurzer Blick in den Spiegel, der mir zeigte, dass von der Müdigkeit nichts mehr zu sehen war, ließ mich zufrieden lächeln. Ja, ich hatte das Glück, eine Frau zu sein, der die Männer hinterherschauten. Danach trank ich einen Kaffee und aß mein Croissant, fütterte und streichelte kurz meine drei Kater, um mich dann auf den Weg zu meiner Arbeit zu machen. Nichts Auffälliges, ganz normaler Alltag. Ich liebte meinen Beruf als Tierärztin. Zwar hatte ich nur eine kleine Praxis, aber sie lief gut. So gut, dass ich mir eine Helferin, Tina, ein liebes Mädchen, leisten konnte. Ich hatte es mit achtunddreißig Jahren geschafft, mir eine sichere Existenz aufzubauen. Wirkliche finanzielle Sorgen kannte ich nicht. Ansonsten gab es nicht viel in meinem Leben, das mir wichtig erschien. Freunde, ich meine so richtige, die für mich durchs Feuer gingen, hatte ich nicht.

Nur viele Bekannte, die sich durch mich Vorteile erhofften.

Mit all dem hätte ich gut umgehen können. Es stellte kein Problem für mich dar. Jedoch, dass ich eine Single-Frau war, die abends alleine zuhause saß, damit konnte ich nicht klarkommen.

Vor drei Monaten sah das noch ganz anders aus. Ich lebte in der Illusion, eine gute Beziehung zu führen. Fünf Jahre hatte sie angedauert, und ich war glücklich in dieser Zeit.

Bilder von einer Hochzeit, wie sie sich jedes kleine Mädchen wünschte, beflügelten meine Welt. Ich lebte wie auf Wolke sieben, bis die Realität mich grausam von ihr runterschubste. Cecile war der neue Engel an Tims Seite, die meinen Platz einnahm. Für mich blieb der Himmel ab diesem Moment geschlossen. Ich fiel in ein dunkles Loch, wollte ihn nicht gehen lassen. Konnte nicht wirklich glauben, dass ich so einfach abserviert wurde. Wer war ich ohne ihn? Nein, eine Kishara gab nicht so schnell auf. Zahllose Anrufe, Nächte vor seiner Wohnung, Briefe, Emails und vieles mehr ließen mich fast zur Stalkerin werden. Auch das war mir völlig gleichgültig. Ich würde ihn zurückbekommen. Mein Kampf um ihn würde weitergehen. Ich erinnerte mich, dass ich an diesem Tag irgendetwas geplant hatte, nur ich konnte mir nicht mehr zusammenreimen, was es war und worum es ging. Dieser Teil des Tages war vollkommen aus meinem Gedächtnis gestrichen.

Zurück zu Tina, meiner Tierarzthelferin. Wenn ich jetzt glaubte, sie würde sich vielleicht wundern, dass ich nicht zur Arbeit kam, dann war das ein Trugschluss. Denn die nächsten vier Wochen würde keiner von uns in der Praxis auftauchen; sie war wegen Urlaub geschlossen. Weiter durchforstete ich meinen Kopf nach irgendeinem Hinweis oder jemandem, der mich vermissen würde. Das Letztere konnte ich gleich abhaken – es gab niemanden! Meine Eltern hatten mich aus ihrem Leben gestrichen, Freunde, solche, die sich Sorgen um einen machten, die gab es ja nicht. Alle anderen, insbesondere meine ehemalige Schwiegermutter in spe, würden froh sein, wenn sie nichts von mir sahen. Die Einzigen, denen ich fehlen würde, waren meine Katzen, doch selbst die hatten eine Katzenklappe und konnten kommen und gehen, wann sie wollten. Da mein Haus außerhalb der Stadt ziemlich einsam gelegen war, würde niemandem auffallen, dass ich nicht nach Hause kam.

Meine Gedanken begannen abzuschweifen, warum das so war. Auch wenn ich selber die Erklärung kannte, dennoch, dies war wirklich nicht der richtige Augenblick, sich darüber Gedanken zu machen. Ich riss mich zusammen und versuchte, zurück zu den Ereignissen des Tages zu gehen. Jedoch ein Geräusch riss mich aus meiner Konzentration. Hatte ich wirklich Schritte gehört, oder war das nur ein Teil meiner Einbildung gewesen? Ich hielt den Atem an und lauschte in die Dunkelheit ...

4. Pamina, noch zwei Monate

Der Abend war schon weit vorangeschritten, und noch immer saß ich auf meiner abgenutzten Couch und betrachtete das Schreiben in meiner Hand. Der Betrag, der hier genannt wurde, überstieg die Schulden auf meinen Konten bei Weitem. Doch daran waren auch Bedingungen geknüpft. Ich sollte etwas tun, was vielleicht ein wenig illegal wäre. Nichts wirklich Aufregendes. Nichts, was ich nicht verantworten hätte können. Warum mich ein so unangenehmes Gefühl bei der Sache beschlich, das war mir unerklärlich. Einzig einen Raum sollte ich finden. Keinen normalen Raum. Sondern einen sehr stabil gebauten. Einen, der nicht durch eine normale Türe zu öffnen sei. Und abgeschieden sollte er sein. Keine Nachbarn. Eine Wegbeschreibung zu dem Ort und eine Skizze sowie Fotos des Raumes sollte ich an ein Postfach senden. Sobald dies erledigt wäre und es den Ansprüchen entspräche, würde der Empfänger meiner Informationen eines der Konten von mir aus dem Minus befreien. Ein reizvoller Gedanke.

Immer wieder drehte ich diesen Brief in meinen Händen.

Immer wieder las ich die Zeilen. Ein komischer Auftrag. Sehr eigenartig. Wieso kam der Absender auf mich? Wieso wusste er von meinen Schulden?

Irgendwann musste ich dann mit dem Schreiben in der Hand eingeschlafen sein. Die Sonne blinzelte bereits durch mein Fenster, als ich aufschreckte. Der Brief lag am Boden neben der Couch. Es war Samstag, und ich musste nicht zur Arbeit. Lust auf Training hatte ich nicht, denn inzwischen witterte ich einen Weg, der mich in eine bessere Lage versetzen könnte. Doch wo beginnen? Mit dem Zug irgendwo aufs Land fahren und ein altes, verlassenes Gemäuer suchen, das war mir ein wenig zu aufwendig, und wie sollte ich auch wissen, in welche Richtung ich mich bewegen sollte. Ich hatte ja keine Ahnung, wo ich so etwas finden könnte. Irgendwie musste ich also ein Fahrzeug auftreiben.

Aber wie?

Das Mieten eines Fahrzeuges kam nicht in Frage, dazu fehlte mir Geld und Kreditkarte. Freunde, die mir eines leihen würden, hatte ich auch nicht. Also blieb mir nur eine Variante. Ich musste eines klauen. Irgendwie war mir das alles egal. Ich war sowieso schon abgestempelt durch die Schulden meines Exfreundes, also kam es auf eine kleine Straftat auch nicht mehr an.

Ein neues Fahrzeug stand nicht zur Diskussion. Es musste einfach ein altes Modell sein, das keine elektronische Sicherung hatte. Dadurch, dass ich in Jugendjahren oft an meinen Autos herumschraubte, wusste ich genau, welche Kabel ich zusammenschließen musste, um zu starten. Der Türverschluss war bei alten Autos mit Hilfe eines Drahtes und eines Schraubenziehers auch nicht wirklich ein Problem.

Also machte ich mich in die Vorstadt auf, um einen passenden fahrbaren Untersatz zu finden. Vorzugsweise mit einem gut gefüllten Tank. In meiner Handtasche befanden sich ein großer und ein kleiner Schraubenzieher, ein Drahtkleiderhaken – so einer, wie man ihn in einer Wäscherei bekommt – und ein kleines Fläschchen Öl.

Die Suche erwies sich auch als nicht so schwierig, wie ich anfänglich vermutet hatte. Bereits nach einigen Minuten unauffälligem Spazieren fiel mir ein alter Opel Kadett auf, der sehr gepflegt wirkte, aber sicher bereits an die zwanzig Jahre auf dem Tachometer hatte. Perfekt. Solche Autofetischisten neigen dazu, die Fahrzeuge immer vollgetankt bereitzustellen. Außer mir war kein anderer Mensch zu sehen, also stellte ich meine Handtasche unauffällig auf die Motorhaube, damit es so aussah, als ob ich etwas suchen würde. Mit einer raschen Handbewegung klemmte ich den Schraubenzieher zwischen Tür und Dichtung des Autos, drückte damit die Tür etwas aus dem Rahmen und steckte den Kleiderhaken durch. Mit der Schlinge konnte ich den Knopf der Türsperre umfassen, ein Ruck und schon offen.

Wunderbar. Geht noch immer. Bevor mich noch jemand entdeckte, schlüpfte ich schnell auf den Fahrersitz und zog die Kabel unter dem Lenkrad hervor. Binnen einer halben Minute ratterte der Motor, und meine Tour ins neue Leben konnte beginnen.

Langsam fuhr der alte Wagen über die bald erreichte Landstraße. Immer mehr entfernte ich mich von der Stadt und bewegte mich in die Gegend, wo ich alte Weinkeller vermutete. Dies erschien mir als geeignet, denn diese Keller wurden gut und stabil gebaut, lagen nicht in den Ortschaften, und meist waren sie unter großen Erdhügeln versteckt.

Kindheitserinnerungen ans Versteck-Spielen in diesen Kellern wurden in mir geweckt, da mein Vater mit mir oft in diese Gegend fuhr. Umso näher ich den Kellergassen kam, umso mehr konnte ich mich erinnern. Damals gab es einen von diesen Kellern, bei dem der Eingang eingebrochen war. Weil das Ausschaufeln des Einganges zu schwierig war, hatte der Weinbauer einfach einen neuen Eingang von oben eingebaut. Als Türe eine Falltür zum Aufklappen.

Eine Leiter als Abstieg und fertig. Zur damaligen Zeit nahmen die Menschen das nicht so genau mit Bauvorschriften oder Sicherheit. Für uns Kinder war das natürlich perfekt.

Genau nach diesem Keller wollte ich suchen.

Immer mehr kam mir die Gegend bekannt vor. Die Häuser der Dörfer, der Blumenschmuck, alles so wie damals. Hier hatte sich einfach nichts verändert.

Instinktiv wusste ich, welchen Feldweg ich fahren musste, und kurz darauf konnte ich den Wagen neben dem gesuchten Keller abstellen. Der Eingang, der zum Weg hin lag, war mittlerweile vollkommen zugewachsen. So wie das aussah, machte sich keiner die Mühe, diesen wieder auszugraben. Ich konnte also annehmen, dass der versteckte Eingang an der Oberseite nach wie vor vorhanden war. Mit dem Handy fotografierte ich die Umgebung, den verschütteten Eingang, und machte mich auf, den Aufstieg zum tatsächlichen Eingang zu wagen.

Oben angekommen, stand ich auf einer verwilderten Wiese und konnte nicht die Spur einer Falltür entdecken. Irgendwie musste ich die doch finden können. So schwer konnte das nicht sein. Das Gewicht meiner Handtasche erinnerte mich an den großen, schweren Schraubenzieher, der sich darin befand. Also zog ich ihn heraus und begann ihn in Abständen in den Boden zu stechen. Wenn die Falltür noch vorhanden war, dann müsste ich einen Widerstand bemerken, denn das Erdreich war vom letzten Regen noch weich, und das Metall des Schraubenziehers glitt leicht in den Boden.

5. Kishara, heute

Stille. Angespannt wartete ich darauf, noch einen Laut zu hören. Ich atmete flach und versuchte, vollkommen ruhig zu sein. Vielleicht war dort oben jemand, der jeden Moment mein Gefängnis öffnen würde. Was war es, das ich geglaubt hatte zu hören? Waren es Schritte oder eine Stimme, die ich wahrgenommen hatte? Es schien mir unmöglich, das Geräusch einzuordnen. Nur, dass da irgendetwas gewesen war, das wusste ich. Ich öffnete meinen Mund, wollte um Hilfe rufen, doch der Versuch misslang, denn kein Ton kam über meine Lippen. Wie ein Blitz schoss der Gedanke durch meinen Kopf, es könnte der Entführer sein, und er war gekommen, um sein Werk zu vollenden.

Die Angst schnürte mir die Kehle zu. Warum ich so reagierte, konnte ich mir selbst nicht erklären; logisch war das nicht. Denn die Person, die mich hier unten eingesperrt hatte, wusste doch sowieso, dass ich hier war. Aber mein ganzes Verhalten ließ sich nicht mehr mit der normalen Reaktion eines Menschen vergleichen. War ich sonst jemand, der genau wusste, was er tat, verwandelte ich mich jetzt zu einem Häufchen Elend. Ich lernte ein mir unbekanntes Gefühl kennen – Schwäche! Und genau diese sorgte dafür, dass die Panik in der Ecke meines Verstandes kauerte und nur darauf wartete, mich erneut anzuspringen. Ich versuchte, mir selbst Mut zuzusprechen, und das, was mich daran hinderte, Stärke zu zeigen, nicht zu beachten. Es reichte gerade noch, dass zumindest ein leises Hallo aus meinem Mund kam. Zaghaft, kaum hörbar, fast wie ein Flüstern. Natürlich kam keine Reaktion; selbst wenn ein Mensch dort oben über mir wäre, so wäre es für ihn unmöglich gewesen, meinen Hilferuf zu hören. Erneut rief ich: „Hallo!'', diesmal um einiges lauter, doch auch jetzt öffnete sich keine Tür, kein Licht fiel in mein Verlies. Es kam keine Rettung, um mich hier rauszuholen. Ich bettelte, flehte und schrie immer wieder: „Hallo! Ist hier irgendjemand?! Bitte! Hilfe! Helft mir doch, ich bin hier unten eingesperrt! Hilfe!!!''. Immer lauter wurden meine Rufe, ohne dass ich eine Antwort erhielt. Mir war überhaupt nicht mehr bewusst, was ich tat. Es schien, als ob ich all meine Panik rausschreien wollte.

Irgendwann begriff ich, es hatte keinen Sinn; wer auch immer da oben gewesen war, war schon lange wieder fort.

All mein Flehen half mir nicht, und ich würde weiter in meinem Käfig gefangen bleiben, allein.

Meine Stimme versagte, und wieder verfiel ich in einen Zustand der Resignation. Fast kam es mir so vor, als ob ich den Klang meines eigenen Zerbrechens hören konnte. Ich rollte mich auf die Seite und zog meine Knie ganz eng an meinen Körper. Wie ein kleines Kind umklammerte ich sie mit beiden Armen. Ohne dass ich es mitbekam, begann ich mich leise wimmernd hin und her zu wiegen. Statt stark zu sein, eine Lösung zu finden, überließ ich mich voll und ganz der Angst in mir. Sie flüsterte in meinem Verstand und malte Bilder, was werden würde, wenn mich niemals jemand hier finden würde. Wer war es, der mich hier wie ein Tier gefangen hielt? Ein Psychopath, ein Serienmörder, jemand, dem es Spaß machte, andere zu quälen? Würde er zurückkommen, um mich zu foltern? Ich hatte zu viele Filme gesehen, zu viele Bücher gelesen, deren Handlung genau meiner Situation entsprach. Eine Frau, die gefangen gehalten wurde – hilflos ihrem Peiniger ausgeliefert. Oh ja, ich hatte eine sehr ausgeprägte Fantasie. Konnte mir leibhaftig vorstellen, wie er mich schlug, vergewaltigte und immer wieder erniedrigte – nur so zu seinem Vergnügen. Und dann, wenn er genug von mir hatte, mein Leben beendete. So furchtbar diese Vorstellung in meinem Kopf auch war, sie ließ sich noch steigern. Denn was wäre, wenn niemand mehr diesen Raum betreten würde? Jemand, der mich als Spielzeug für seine abartigen Vorlieben hielt, würde dafür sorgen, dass ich – solange er es auskosten wollte – am Leben blieb. Das bedeutete, er würde mir zu essen und zu trinken geben. Und vielleicht ergäbe sich dann irgendwann auch eine klitzekleine Chance für mich zu fliehen.