FINNLAND IST EINE REISE WERT!

© Rössig, Wolfgang

WOLFGANG RÖSSIG

Der Autor studierte Literatur und Kunstgeschichte, entdeckte die Leichtigkeit des Seins in einem Mökki am See und war fortan dem Zauber der Mittsommernächte und der farbenfrohen Ruska-Zeit erlegen. Er liebt finnisches Design, Moltebeerenmarmelade – und die verblüffende Ansammlung von Vokalen in der finnischen Sprache.

So fing sie an, meine Finnlandsehnsucht – und bis heute fällt mir keine bessere Erholung vom Großstadtstress ein als einige sommerliche Tage irgendwo im »Land der Tausend Seen«. Dabei ist die Bezeichnung reines finnisches Understatement für diesen Fleckenteppich in Saphirblau und Smaragdgrün. Schon die Saimaa-Seenplatte ist ein amphibisches Labyrinth aus Inseln, Nebenarmen, Buchten und Kanälen. Wo hört da ein See auf und fängt der nächste an? Unendlich viel Platz für ein Mökki, eines der ungezählten, am liebsten rot gestrichenen Ferienhäuschen, umrahmt von zartgrünen Birken, und bitte mit eigenem Bootsanleger und Sauna, von der aus man direkt in den glasklaren See springen kann. Das Wasser ist gar nicht so kalt, denn Karelien wird im Sommer von der Sonne verwöhnt. Wer keine Lust hat, mit dem Boot den weiten Weg zum nächsten Lebensmittelladen anzutreten, angelt sich einen leichtsinnigen Barsch aus dem See und in den Wäldern findet man Beeren und Pilze. Entspannender kann Urlaub nicht sein!

Szenenwechsel: Knackige Kälte, sternklare nordfinnische Polarnacht – es ist Kaamoszeit. Heute werden sie tanzen, die himmlischen Schleier der Aurora borealis. Die alten Schamanen der Sámi konnten die Götterfackeln herbeirufen und mit ihren Zaubertrommeln eine Pforte in die andere Welt öffnen. Wer das Nordlicht entziffern kann, löst das Geheimnis vom Ursprung der Welt, heißt es im finnischen Nationalepos Kalevala. Die Schlittenhunde heulen, als der erste grüne Schein aufflackert, wieder verschwindet, immer schwungvoller zurückkehrt, bis ein gewaltiger Vorhang über das schwarze Firmament flattert und in allen Regenbogenfarben magische Lichtflecken auf die Schneeflächen zaubert. »Wir haben die Farben des Nordlichts in unsere Kleidung gewebt«, sagen die Sámi.

© Getty Images/EyeEm/Tretjakov, Teemu

Mitternachtssonne bei Hämeenlinna

Im Februar, wenn der Frost am strengsten ist, kehrt das Sonnenlicht wieder. Erst nur für wenige Minuten, dann für ein paar Stunden taucht es die filigrane Schneelandschaft in unwirklich zartes, immer intensiver glühendes Rosa, bevor die stundenlange blaue Dämmerung zurückkehrt. Das ist die schönste Zeit für Ausflüge mit Schneemobil und Rentierschlitten oder Schlittenexpeditionen durch die tief verschneite Wildnis, mit einer jaulenden Huskymeute, die enthusiastisch 40 Kilometer am Tag zurücklegt, suoran suoran, immer geradeaus. Winterwunderland Finnland – und warm eingepackt ist die knackige trockene Kälte gar kein Problem. Oft löst sich die Eisdecke des Inari-Sees in Lappland erst im Juni auf. Fast nahtlos geht der Spätwinter in den Frühsommer über, und an den felsigen Ufern der Inseln und Schären von Finnlands drittgrößtem See leuchten die in polaren Zwergformen wachsenden Fichten, Kiefern und Birken in vielen Grüntönen. Bald hüllt die Mittsommernacht die weite herbe Landschaft in transparentes magisches Licht. Jetzt könnte man die Bären im Oulanka-Nationalpark besuchen oder im Lemmenjoki mit Goldwaschen die Urlaubskasse aufbessern.

Anfang September explodiert Lappland dann förmlich in den strahlenden Farben der Ruska-Zeit. Das ist der Moment, um auf eine der Felskuppen im Nationalpark Pallas-Ounastunturi zu steigen und Europas sauberste Luft zu atmen. Vom 821 m hohen Pallastunturi schweift der Blick über karge Berg- und Moorlandschaften, über blaue Seen und bunte Wälder. Vielleicht werden schon am nächsten Tag die ersten Schneeflocken des nahenden Winters die letzte große Wildnis unseres Kontinents wieder weiß überzuckern.

Aber gibt es in Finnland nur Landschaft? Von wegen! Im Sommer lassen die Finnen, wie es in der Landessprache so schön heißt, »die Mücken tanzen«. Helsinki blendet Besucher mit der opernwürdigen Klassizismuskulisse des Senatsplatzes und fesselt mit bahnbrechender Avantgardearchitektur, modernem Design bis in die Zehenspitzen, aber auch mit einem ziemlich abgefahrenen Nachtleben, schräges Kaurismäki-Feeling inklusive. Auf dem Kauppatori-Markt breiten Finnlands Bauern im Sommer ein Füllhorn heimischer Delikatessen aus, und gleich neben der Markthalle verkaufen Fischer am Kai fangfrische Meerestiere direkt vom Kutter aus.

Ausgesprochen jung und lebendig präsentiert sich auch das alte Turku. Schließlich durfte es sich 2011 im Glanz einer Kulturhauptstadt Europas sonnen. Längere Städteaufenthalte aber weiß Finnlands Natur mit Erfolg zu boykottieren. Vor Turku wartet die herrliche Schärenwelt des Südwestens. Mit Kanu und Fahrrad könnte man hier tagelang von Insel zu Insel hüpfen, in lichten Nächten sein Zelt aufschlagen und auf den besonders sonnigen Åland-Inseln den nordischen Sommer vertrödeln. Worauf warten Sie noch?

© Getty Images/Otte, Silvia

Eine Eisschicht hält niemanden vom Schwimmen ab – man nennt es einfach »Eisbaden«