Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet
über www.dnb.de abrufbar.

© 2019 Franz-Josef und Johannes Wagner

Fotos: Vanda Mendes, Mariana Silva, Lúcia Teixeira Verde, Franz-Josef Wagner, Johannes Wagner

Videos: Johannes Wagner

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-74948811-7

Inhalt

Sind die zu Fuss oder mit dem Bus aus Alemanha gekommen?

Diese Frage stellt ein junger Schüler Sr. Gabi, als sie uns am zweiten Tag unserer Reise nach Brasilien im Projekt „Madre Rosa“ den Kindern und Mitarbeiter*innen vorstellt. Für ihn ist Alemanha ein Stadtteil von São Luis. Dass jemand aus Deutschland mit dem Flugzeug zu ihnen kommt, um sie kennenzulernen und dann noch vor Ort zu arbeiten, scheint undenkbar.

Auch für uns war vor der Reise vieles unvorstellbar: die Herzlichkeit der Menschen, die Offenheit der Schwestern, die Zuneigung der Kinder, die warmen Temperaturen, das andersartige Essen, die mangelhafte Infrastruktur. Und vieles andere. Umso mehr waren und sind wir begeistert über die Zeit in São Luis und Bacabal, über die fantastischen Erlebnisse und die neu entstandenen Freundschaften.

Mit diesem Buch möchten wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, an unseren Erfahrungen und Erlebnissen teilhaben lassen und vielleicht auch bei Ihnen Offenheit für die Menschen dort und Engagement für das Projekt „Madre Rosa“ wecken. Die Arbeit und das Leben in Maranhão sind ein Schatz, der entdeckt werden will.

Die meisten Texte stammen von Franz-Josef, die Videos hat alle Johannes erstellt, Fotos haben wir beide gemacht. Aber es war unsere gemeinsame Reise. Und so ist das hier auch unser gemeinsamer Bericht, der auf den Emails aufbaut, die wir an einen kleinen Freundeskreis direkt aus Brasilien verschickt haben. Einige haben uns ermutigt, daraus ein Buch zu machen. Diesen Vorschlag haben wir gerne aufgegriffen, denn so können wir noch mehr von den Menschen erzählen und auch einige Bilder zeigen.

Dass wir diese 8 Wochen erleben konnten, war nur mit der Unterstützung vieler verschiedener Menschen möglich – Kinder, Jugendliche und Erwachsene, aus Europa wie auch aus Brasilien. Keine Aufzählung einzelner Personen, aber ihnen allen widmen wir mit einem DANKE - OBRIGADO dieses Buch!

Eggstätt, im Februar 2019

Franz-Josef und Johannes Wagner

Wie alles begann

Der 2. Mai 2018 ist ein besonderer Tag. Nicht für jeden, denn nach dem 1. Mai-Feiertag, der wettermäßig etwas besser hätte sein können, beginnt für die meisten ein normaler Arbeits- oder Schultag. Nicht so für die bayerischen Abiturienten. Sie starten an diesem Mittwoch ihre Prüfungen – Mathematik steht als erstes auf dem Programm. Die Aufregung ist auch bei Johannes zu spüren. Wie läuft das alles ab? Werden die richtigen Themen drankommen? Reicht meine Vorbereitung aus? Wie geht es wohl den Freunden?

Von alldem bekomme ich fast nichts mit, außer per SMS: „Viel Glück für Mathe!“ – „Danke“. Ich bin in Waldbreitbach, und ähnlich aufgeregt wie Johannes. Hier beginnt das Vorbereitungstreffen zum 29. Generalkapitel der Waldbreitbacher Franziskanerinnen. Auch für die 27 Ordensschwestern, die als gewählte Vertreterinnen bei dem 12-tägigen Kapitel im Juni die Richtung der Gemeinschaft für die nächsten sechs Jahre festlegen, ist es kein normaler Tag. Das Vorbereitungstreffen dient dem Kennenlernen, dem Austausch, der Einstimmung. Hier wird festgelegt, an welchen Themen im Generalkapitel gearbeitet werden wird. Welche Vorarbeiten noch nötig sind. Vor allem wird die emotionale Grundlage geschaffen: wie gehen wir miteinander um, in welcher Atmosphäre diskutieren wir, wie schaffen wir es, dass das Generalkapitel auch ein spirituelles Ereignis werden kann. Entsprechend bin ich als einer von zwei Prozessbegleitern etwas aufgeregt. Wird es ein guter Start werden? Schaffen wir eine gute, fruchtbare Stimmung? Nach der ersten Etappe am Vormittag sieht es gut aus, das Mittagessen findet in einer freudigen und entspannten Atmosphäre statt. Und auch der SMS-Verkehr mit Johannes klingt ganz positiv: „Wie lief’s?“ – „Passt scho´“. Viel besser geht ja wohl nicht …

Mit dem Abitur kommt die erste Zeitenwende. Schluss mit der Schule, weiter geht es mit dem Studium oder einer Ausbildung. In jedem Fall aber die Loslösung von zuhause. Und etwas von der Welt zu sehen, Neues zu entdecken, Fremdes kennenzulernen. Bereits während der Vorbereitung auf die Abiturprüfung entsteht die Idee, im Anschluss daran für einige Wochen auf einen anderen Kontinent zu reisen und dort auch etwas „Nützliches“ zu tun. Niek, ein früherer Arbeitskollege aus den Niederlanden, hat eine Stiftung gegründet, die sich für verbesserte Bedingungen auf Lombok, einer Nachbarinsel von Bali, einsetzt. Ein erstes Skype-Telefonat hört sich vielversprechend an, das könnte etwas sein. Wir fassen den Herbst als günstigen Zeitraum ins Auge, schauen schon mal nach Flügen. Zwischenstopp in Singapur und ein paar Tage Aufenthalt dort – alleine der Gedanke beflügelt.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. In den letzten beiden Juni-Wochen findet das Generalkapitel statt. Mit dabei ist auch Sr. Lúcia Teixeira Verde aus Brasilien, die von den Schwestern dort als Vertreterin der Region in das Generalkapitel gewählt wurde. Unter allen Kapitelteilnehmerinnen sticht Sr. Lúcia deutlich heraus: zum einen ist sie mit 38 Jahren die jüngste (das Durchschnittsalter liegt bei etwa 70 Jahren), zum anderen fällt sie mit ihren pechschwarzen Haaren und dem dunklen Hautteint auf. Außerdem ist sie die einzige Schwester, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Zum Glück sprechen etliche Schwestern portugiesisch, sodass auch außerhalb der Kapitelsitzungen, bei denen es zwei Dolmetscherinnen gibt, meistens jemand zum Übersetzen in der Nähe ist. So auch bei einem Abendessen, als wir uns am Tisch über alles Mögliche unterhalten. Recht unvermittelt fragt mich Sr. Lúcia: „Und, Franz-Josef, wann kommst Du uns mal in Brasilien besuchen?“ Nur kurz überrascht, antworte ich: „Übernächste Woche“ „Und wie lange bleibst Du?“ – „Ein Jahr“. An ihrem großen Blick erkenne ich, dass meine Ironie nicht angekommen ist. Also zurückrudern: „Ich könnte mir schon vorstellen, mal nach Brasilien zu kommen. Aber es muss nicht nur für mich, sondern auch für meine Familie passen. Mal schauen.“ Wie ein kleiner Virus nistet sich der Gedanke in meinem Kopf fest. Nach dem Kapitel überlegen meine Frau und ich zuhause, ob Brasilien eine Alternative zu dem Arbeitseinsatz auf Lombok sein könnte. Als Johannes, der zu dieser Zeit auf einer zweiwöchigen Alpenüberquerung ist, Mitte Juli nach Hause kommt, bespreche ich die Option mit ihm. Er ist durchaus offen, Südamerika kennt er genauso wenig wie Asien.

Aber gibt es dort auch etwas für uns zu tun? Bei einem Skype-Telefonat mit Sr. Lúcia und Sr. Gabi, die inzwischen wieder in Brasilien sind, wird deutlich: Baumaßnahmen, Mitarbeit im Projekt, Festvorbereitungen – Arbeit gibt es mehr als genug. Recht schnell entscheiden wir uns für Brasilien! Und als das Auswärtige Amt nach dem furchtbaren Erdbeben eine Reisewarnung für Lombok herausgibt, bestätigt sich, dass wir intuitiv die richtige Entscheidung getroffen haben.

Unterwegs nach Brasilien

Als am Morgen um 3:00 Uhr der Wecker klingelt, bin ich schon wach. Obwohl ich die letzten Tag recht „cool“ war, bin ich wohl doch etwas aufgeregt. Die Reise nach Brasilien geht endlich los. Endlich! Die Vorbereitung hat die vergangenen Tage dominiert, der Versuch, mit einem spontanen Brunch am Samstag auf unserer Terrasse auch mal über anderes zu reden, hat nur bedingt geklappt. Aber zumindest hatte die Vorbereitung des Brunch nichts mit Brasilien zu tun, denn es gab unser traditionelles Brunch-Essen: Aufstriche, Burger, Salate. Leider hatten so spontan etliche keine Zeit für den Besuch, aber es war auch in kleiner Runde toll!

Nach dem Brunch: packen! Wie verpackt man 9 kg Gummibärchen, 2 kg Schokolade, 7 Blockflöten, Malstifte, Spielkarten und 5 Fußbälle zwischen den Kleidern, wenn man außer ein paar T-Shirts und kurzen Hosen nichts mitnehmen muss. Regenanorak und Daunenjacke sind überflüssig, genauso Winterschuhe und lange Unterhosen. Nach 2 Stunden ist alles verstaut und wird hoffentlich den Transport gut überstehen. Die kleine Gitarre, die wir für Sr. Gabi transportieren, kommt ins Handgepäck. Wenn uns langweilig wird, werden wir uns als Straßenmusiker versuchen. In einem Land, das den Rhythmus so im Blut hat wie Brasilien, wären wir Dilettanten bestimmt eine kleine Sensation.

Um 3:30 Uhr fahren wir los zum Flughafen. Im Radio geht es nur um die Wahl in Bayern. Wir hören gar nicht mehr hin. Iris erzählt, dass am Samstagabend um kurz nach halb zehn noch Klaus angerufen hat, um uns eine gute Reise zu wünschen. Wie nett ist das denn! Schade, dass wir den Anruf verpasst haben wegen frühem Schlafen, aber der Gedanke an die Geste macht Freude. Freunde sind wirklich etwas Wunderbares!

Sicherheitskontrollen am Flughafen machen so viel Spaß wie ein Besuch am Zahnarzt: wenn’s nichts zu bohren gibt und das Personal nett ist, kann man es gerade so aushalten. Wir kommen gut durch. Dann zum Gate im Bereich K – ein relativ neues Terminal in München mitten auf dem Rollfeld. D.h. zwei lange Rolltreppen runter, 4 Minuten warten, 1 Minute U-Bahnfahrt, zwei lange Rolltreppen hoch. Schock am Gate: es gibt keine Zeitungen. Im ganzen Bereich K nicht. Da wir noch 30 Minuten Zeit haben bis zum Boarding, mache ich die Tour zurück: Rolltreppen runter, warten, Zugfahren, Rolltreppen hoch. Im Bereich G werde ich fündig, ergattere eine ZEIT, eine FAZ Sonntagszeitung und ein Sportmagazin – für Lesestoff ist gesorgt. Und bin noch pünktlich zum Boarding wieder zurück.