Impressum:

1.Auflage, für den Verein „Respekt für Dich“ – Autoren gegen Gewalt

Text © Andreas Petz

Überarbeitung, Layout, Design, Cover, Coverbild, Illustrationen:

© Karin Pfolz

Lektorat Bettina Böhm

Jänner 2015, Vienna, Austria, Karina-Verlag, Vienna.

ISBN: Print 978-3-9030-5613-8

E-Book 978-3-903056-13-8

Books on Demand GmbH

karina.bookoffice@gmail.com

www.karinaverlag.at

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Bibliografische Information der Nationalbibliotheken:
Die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Österreichischen Nationalbibliothek, ebenso ist diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliothek verzeichnet.

Menschen die verschwunden sind,
versunken in des Meeres Tiefen.
Über nasse Gräber pfeift der Wind,
niemand weiß, wo sie entschliefen,

denn auf dem Meer, …

da stehen keine Kreuze!

Ein friedliches Dorf

Vier Wochen lag die Hochzeit von Azikiwe und seiner Frau Maymun zurück und nun war sie also fertig, die Hütte in der sie ihr Leben verbringen wollten. Hier, im kleinen Dorf Dada Gumbi in Somalia würden ihre Kinder behütet aufwachsen.

Das ganze Dorf hatte den beiden beim Bau der Hütte geholfen. Alle hatten aus Stroh von den Feldern und Lehm aus der Lehmgrube, die in der Nähe der Wasserstelle lag, die Wände geformt. In gewissen Abständen waren sie mit schmalen Balken, die aus geraden Baumstämmen geschnitzt waren, unterstützt worden, was die Wände stabiler machte. Die Baumstämme hatten sie tief in den Erdboden eingegraben, was der Hütte zusätzlichen Halt verlieh und die Zwischenräume waren mit dünnen Ästen verwoben, damit das Lehmgemisch besseren Halt bekam. Mit ihren Füßen hatten sie den Erdboden festgestampft und mit Schilf aus der näheren Umgebung das Dach gedeckt.

Es war eine gute Hütte, sie würde Wind und Regen standhalten, sobald die Sonne den Lehm gut getrocknet hatte. Nur gegen Feuer könnte sie nicht bestehen, aber gebrannt hatte es im Dorf noch nie, soweit sich Azikiwe und Maymun erinnern konnten.

Es war ein friedliches Dorf und das junge Ehepaar hatte eine glückliche Kindheit in dieser Dorfgemeinschaft erlebt. Sie hatten immer genug zu essen, und wenn auch niemand im Dorf wirklich reich war, so lebte es sich doch gut hier. Alle Einwohner des Dorfes waren Christen und einmal im Monat kam ein Priester aus der fernen Mission mit einem alten, klapprigen Auto zu ihnen. Dieser hatte auch die wundervolle Trauung von Maymun und Azikiwe vorgenommen, bei welcher das ganze Dorf dann ausgiebig gefeiert hatte.

Die beiden hatten für den Start in ihre Ehe immerhin schon fünf Hühner und einen Acker, auf dem sie alles anpflanzen konnten, was sie zum Leben brauchten. Außerdem gab es viele Früchte in der Umgebung und hin und wieder wurden auch gemeinsam wilde Tiere gejagt, die den Dorfbewohnern gutes Fleisch lieferten.

Azikiwe war fleißig und so hoffte er, dass er schon in wenigen Jahren eine Kuh oder doch zumindest eine Ziege würde anschaffen können. Dann, so dachte er, wäre das Familienleben perfekt, denn er würde, wenn es so weit war, ohne Schwierigkeiten auch zwei oder drei Kinder ernähren können.

So ging das Leben sorglos seinen Weg. Am Morgen und am Abend, wenn es noch angenehme Temperaturen gab, wurde auf dem Feld gearbeitet, Wasser geholt und die Tiere wurden versorgt. Am Mittag, wenn die Sonne am höchsten stand und es ungeheuer heiß war, dann verkrochen sich die Dorfbewohner in den Schatten ihrer Hütten und ruhten sich von der Arbeit aus. Manchmal badeten sie auch am Mittag an einer Wasserstelle, die nicht weit vom Dorf entfernt hinter hohen Felsen versteckt lag und angenehme Kühlung bescherte.

Es war ein geregelter Ablauf, der nur hin und wieder von außergewöhnlichen Ereignissen unterbrochen wurde. So zum Beispiel, wenn Besuch aus einem anderen Dorf kam, oder der fahrende Händler laut hupend mit seinem überladenen Lastwagen in einer Staubwolke ins Dorf sauste und einige frei laufende Hühner aufgeregt gackernd und flatternd zur Seite sprangen. Bei ihm konnte man alle möglichen, wichtigen Gegenstände genauso einhandeln, wie Dinge, die zwar kein Mensch wirklich brauchte, aber eben doch gerne besaß. Nicht nur für die Kinder im Dorf, die beim Abschied des Händlers immer so lange als möglich hinter dem Lastwagen her rannten, war das ein großartiges Ereignis, sondern auch für die Erwachsenen. Hin und wieder brachte der Händler seltsame Wunderdinge mit, mit denen er seine neugierigen Kunden sehr beeindruckte.

Einmal hatte ein Mann aus dem Dorf beim fahrenden Händler ein Nudelholz erstanden. Niemand im Dorf wusste, was das war und was man damit anfangen konnte, aber es sah interessant aus und so wollte der Mann damit seine Frau überraschen und beeindrucken.

Diese war aber dann alles andere als beeindruckt. Da sie ebenfalls nicht wusste, wozu sie das komische Teil benutzen sollte, war sie wütend auf ihren Mann, der viele Eier, welche die Hühner gelegt hatten, gegen das hässliche Ding eingetauscht hatte. Sie warf ihm Verschwendung vor und jagte ihn, mit dem Nudelholz in der Hand, durch das Dorf. Als sie dann sogar damit nach ihm schlug, duckte sich der Mann schnell, das Nudelholz sauste gegen die steinharte Wand eines Hauses und zerbrach. Das ganze Dorf brüllte vor Lachen und schließlich mussten auch die Eheleute selbst über die ganze Situation herzlich lachen und versöhnten sich schnell wieder. Die Hühner legten fleißig neue Eier und neun Monate später hatten die beiden ein weiteres Kind. So gab es öfter ähnliche Szenen, die das Dorfleben auf lustige Art und Weise bereicherten und bei jeder Feier immer und immer wieder erzählt und auch gerne nachgespielt wurden.

Aber eines Nachts, da wurde der Friede durch Fremde gestört, die plötzlich im Dorf auftauchten. Sie hatten Gewehre und befahlen allen Bewohnern ihre Häuser zu verlassen. Müde und überrascht wankten die friedlichen Bewohner verschlafen aus ihren Häusern, Kinder weinten und mussten von den Müttern getröstet werden. Die Fremden schimpften auf die Dorfbewohner und riefen: „Ihr Christenhunde!“ Dann trieben sie das Vieh, Kühe, Schafe, Ziegen und sogar die Hühner zusammen.

Maymun wollte nicht zulassen, dass ihre Hühner gestohlen wurden. Noch bevor ihr Ehemann sie daran hindern konnte, stürzte sie sich wütend auf den Mann, der ihre Hühner gerade aus dem Gehege holte. Schnell griffen andere Fremde mit zu. Sie bedrohten Azikiwe, der seiner Frau helfen wollte mit ihren Gewehren, hielten Maymun fest und banden ihr die Hände auf dem Rücken zusammen. Dann mussten mehrere Bewohner am Rande des Dorfes ein tiefes Loch graben. Maymun wurde hinein gestellt und so eingegraben, dass nur noch ihr Kopf aus der Erde schaute. Die fremden Männer stellten sich vor sie hin, lachten und beschimpften Maymun.

Danach trieb ein Teil der Fremden die Bewohner aus dem Dorf, während die restlichen die Hütten anzündeten und mit dem Vieh aus dem Dorf verschwanden. Vorher hatten sie noch die Essensvorräte der Dorfbewohner geplündert.

Maymun blieb alleine zurück, sie musste voller Entsetzen mit ansehen, wie ihre gerade erst fertiggestellte Hütte und auch die anderen Hütten des Dorfes verbrannten. Eine ungeheure Wut stieg in ihr auf.

Am Morgen, als die Sonne aufging, kamen von überall her Ameisen und krabbelten über ihr Gesicht. Sie konnte nichts anderes dagegen tun, als hin und wieder den Kopf etwas zu schütteln, aber das hielt die Ameisen nicht lange ab. Die Ameisen kitzelten sie im Gesicht und sie konnte sich weder kratzen, noch die Ameisen auf Dauer abschütteln, das nervte sie ungeheuer. „Wenn das lange andauert“, sagte sie zu sich selbst, „dann verliere ich den Verstand.“

Je höher die Sonne stieg, umso durstiger wurde Maymun. Würde jemand von den Dorfbewohnern zurückkehren und sie retten? Oder würde sie hier in der Glut der Sonne elend verschmachten? Was wollten die Fremden überhaupt mit den Dorfbewohnern anfangen? Wozu hatten sie all die Menschen mitgenommen? Maymun fand keine Antwort.

Eine Träne rann plötzlich über ihre Wange und sie wunderte sich nur, woher ihr ausgetrockneter Körper das Wasser für diese Träne nahm. Sie versuchte sich zu bewegen, vielleicht könnte sie die Erde um sich herum etwas lockern, aber es war aussichtslos.

Am Nachmittag waren die Hütten des Dorfes restlos abgebrannt, es stieg nur hier und da noch etwas Rauch aus der Asche in den blauen Himmel. Zum Glück war der Rauch des Feuers nicht vom Wind in Maymuns Richtung geblasen worden, sie wäre bestimmt daran erstickt. Die Sonne schien mittlerweile so heiß auf Maymuns Haupt, dass sie ohnmächtig wurde.

Als sie aus der Ohnmacht wieder erwachte, stand die Sonne in tiefroter Farbe bereits am Horizont. Bald würde die Nacht da sein und es würde endlich etwas kühler werden. Sie schüttelte heftig ihren Kopf um die lästigen Ameisen loszuwerden, gleichzeitig machte sie sich etwas Sorgen, denn in der Nacht schlichen oft gefährliche wilde Tiere umher. Diese Tiere hielten sich zwar sonst vom Dorf eher fern, denn die vielen Menschen machten ihnen dort zu viel Krach, aber jetzt war das Dorf leer und vollkommen ruhig. Es war allerdings möglich, dass der Geruch der verbrannten Häuser die Tiere wenigstens in dieser Nacht noch fern halten würde, denn Tiere fürchteten sich vor dem Geruch von Rauch. Aber Maymun wusste nicht, wie lange sie hier eingegraben bleiben würde.

Da hörte sie plötzlich ein Geräusch, jemand näherte sich ihr von hinten. Maymun konnte deutlich die Schritte vernehmen, obwohl die Person die da kam barfuß war. Sie konnte nicht nach hinten blicken und befürchtete schon, die Fremden wären zurück gekommen, um sich an ihrem Schicksal zu ergötzen. Plötzlich spürte sie, wie jemand mit den bloßen Händen die lockere Erde um sie herum wegschaufelte und da hörte sie auch die Stimme ihres Mannes: „Maymun, lebst du noch?“

„Azikiwe“, konnte sie nur flüstern, ihr Mund und ihre Lippen waren so trocken, dass sie kaum einen Ton herausbrachte.

Ihr Mann Azikiwe war zurückgekommen. Er grub, ganz ohne Werkzeuge, so schnell und so tief er konnte. Dann zog er seine Frau aus der Erde heraus, nahm ihr die Fesseln ab und holte ihr in einem großen Blatt mehrmals Wasser aus der versteckten Wasserstelle des Dorfes. Gierig trank Maymun das kühle Nass, es erfrischte sie sehr und sie war ihrem Mann unheimlich dankbar dafür.

„Eine Elefantenherde hat die fremden Männer mit den Gewehren abgelenkt und in diesem Moment konnte ich fliehen“, erzählte Azikiwe am nächsten Morgen, nachdem er und seine Frau ein paar Früchte gegessen hatten, die Azikiwe von einem Baum außerhalb des Dorfes geholt hatte. Dann erzählte er:

„Dein Bruder Latrell und seine Frau Tanisha konnten auch flüchten. Sie werden den Fremden vorsichtig folgen um zu sehen, wohin sie unsere Leute bringen. Vielleicht können sie auch noch weitere befreien.“

„Wir sollten ihnen folgen, damit wir helfen können“, meinte Maymun mutig und Azikiwe antwortete: „Ja, das werden wir! Sobald du stark genug bist, brechen wir auf, denn hier … “, er schaute mit trauriger Miene auf das niedergebrannte Dorf, „können wir nichts mehr tun. Das alles wieder aufzubauen bringt wohl nichts, solange diese Rebellen im Land sind und es jederzeit wieder zerstören können. Außerdem haben wir kein Vieh und kein Saatgut mehr.“

Während Maymun sich ausruhte, ging Azikiwe durch das niedergebrannte Dorf. Der Anblick der zerstörten Häuser schmerzte ihn sehr. Hier hatte er eine glückliche Kinder- und Jugendzeit verbracht und dasselbe hätte er sich für seine eigenen Kinder gewünscht. Aber nun würde vermutlich vieles anders kommen. Alles Materielle war zerstört, aber seine Erinnerungen waren lebendig, die konnte ihm niemand nehmen. Er durchsuchte die Reste der Häuser nach Gegenständen, die vielleicht noch brauchbar und von Nutzen sein konnten. Doch außer ein paar Messerklingen, die Griffe waren verbrannt, würden aber durch geschnitztes Holz ersetzbar sein, fand er nichts Brauchbares.

Immerhin hatten sie so für unterwegs zumindest eine primitive Waffe um sich notfalls gegen wilde Tiere zur Wehr zu setzen. Auch im Nahkampf mit einem der Rebellen hätte er durch die Messerklinge eine größere Chance, falls dies nötig sein sollte. Außerdem war ein Messer für viele kleine Dinge des täglichen Lebens gut und nützlich. So war er froh, diese Messerklingen gefunden zu haben, auch wenn sie wegen des Feuers nicht mehr sonderlich scharf waren. Er würde unterwegs neue, handliche Griffe schnitzen und die Klingen an Steinen schleifen, bis sie wieder scharf waren.

Einige Stunden später ging es Maymun bereits gut genug. Sie würden in der kühlen Nacht laufen, das war besser als in der glühenden Sonne, und Azikiwe kannte den Weg, zumindest bis zu der Stelle, an der er geflohen war. Sein Schwager Latrell wollte auf dem weiteren Weg Markierungen hinterlassen. Abgeknickte Äste, die in die Richtung zeigten, in der die Rebellen gegangen waren, oder ein paar kleine Steine, die Latrell zu einem Pfeil zusammenlegen würde. Azikiwe kannte solche Zeichen, er und Latrell hatten das oft als Kinder im Spiel gemacht. Er würde die Zeichen sicher finden, solange es hell genug dazu war.

Nur zweimal machten sie eine kurze Pause, sonst liefen sie die ganze Nacht hindurch. Zum Glück waren sie unterwegs keinen wilden Tieren begegnet, sie hatten außer den Messerklingen keinerlei Waffen bei sich und hätten sich kaum gegen einen Löwen oder andere Tiere wehren können. Maymun war, als die Sonne aufging, ziemlich erschöpft, aber sie hatten die Stelle erreicht an der Azikiwe den Rebellen entkommen war.

Maymun setzte sich nieder, um auszuruhen und Azikiwe ging, um nach den Spuren der Rebellen zu schauen und um heraus zu finden, wohin sie mit den Gefangenen gegangen waren.

Schon nach kurzer Zeit kam er zu Maymun zurück, zeigte nach Norden und sagte: „Ich habe die Spur gefunden und auch ein Zeichen von Latrell. Glaubst du, wir können noch ein Stück Weg zurücklegen, bevor die Sonne zu heiß wird?“

Maymun stand sofort auf, nickte mit dem Kopf und ging los. Azikiwe bewunderte ihre Kraft sowie ihre Ausdauer und folgte ihr. Nach einiger Zeit, die Sonne stand glühend heiß hoch oben am Himmel, da kamen sie an einen kleinen Wald, der etwas abseits des Weges lag, den die Rebellen gegangen waren.

„Hier können wir im Schatten rasten und etwas schlafen“, meinte Azikiwe, während er in den Wald hinein lief. „Wenn die Sonne nicht mehr ganz so heiß vom Himmel brennt, gehen wir weiter, denn wir brauchen das Tageslicht, damit wir die Zeichen von Latrell sehen.“

Maymun hörte die letzten Worte schon nicht mehr, sie war eingeschlafen. Sie glaubte, nur zehn Minuten geschlafen zu haben, als Azikiwe sie vorsichtig an der Schulter rüttelte. Als sie die Augen öffnete, hielt Azikiwe seinen Zeigefinger senkrecht vor seinen Mund, um ihr deutlich zu machen, dass sie leise sein sollte.

Warum gab es nur solch grausame Menschen