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Copyright © 2007 by Cadmos Verlag GmbH, Brunsbek

Gestaltung und Satz: Ravenstein + Partner, Verden

Lektorat der Originalausgabe: Anneke Bosse

Titelfoto: Sabine Stuewer

Fotos: Anneke Bosse, Karen Diehn, Ilka Hoppe,

Christiane Slawik, Sabine Stuewer

Zeichnungen: Susanne Retsch-Amschler

Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur
nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den
Verlag.

eISBN 978-3-8404-6409-6

Inhalt

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Vorwort

Was ist das Sommerekzem?

Definition

Auslöser

Individuell begünstigende Faktoren

Der Einfluss des Futters

Der Einfluss der Haltung

Die anderen Ideen

Und was noch eine Rolle spielt

Rasse

Alter

Fellfarbe

Geschlecht

Vorkommen und Verbreitung

Eckdaten

Aus der Sicht der Mücke

Aus der Sicht des Pferdes

Zur geografischen Verbreitung

Immunologie

Was passiert denn nun im Pferd?

Die Sensibilisierung

Die Immunabwehr

Der Mechanismus einer Allergie vom Typ 1

Diagnostische Proben und Tests

Funktionelle Allergietests

Weitere Tests

Symptome und resultierende Veränderungen

Überblick

Die fünf Stadien

Der Aufbau der gesunden Haut

Das Übel an der Wurzel packen: Züchterische Maßnahmen

Importpferde

Die Haltung des Sommerekzemers

Die Ernährung des Sommerekzemers

Die richtige Strategie

Futtermittel

Spezielle Futterzusätze

Möglichkeiten der Behandlung

Immunmodulation

Aufbereitungen von Eigenblut oder Gegensensibilisierung

Hyposensibilisierung

Insol®-Injektionen

Eigenbluttherapie

Paramunisierung

Engystol ad us vet.®

Unspezifische Immunmodulation

Akupunktur

Homöopathie

Schüßler-Salze

Kräuter

Kortikoide

Antihistaminika

Das Allergen fernhalten

Räumliche Trennung

Ekzemerdecken

Mückenschutzmittel

Beeinflussung der Symptome und Beschleunigung der Abheilung

Öle und Fette

Sonstige Mittel

Schlusswort

Vorwort

zur fünften, vollständig überarbeiteten Auflage

Nahezu zehn Jahre nach Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches ist das Thema noch immer aktuell. In der Forschung hat sich sehr viel getan und unser Wissen über diese Erkrankung ist gewachsen. Ebenso gewachsen sind die Möglichkeiten, dem Sommerekzem zu begegnen. Bis heute gibt es allerdings keine Behandlung, die die Erkrankung wirklich heilt, und außerdem nichts, was bei jedem Pferd zuverlässig für Linderung sorgt. Immer noch ist die Lebensqualität Tausender betroffener Pferde und ihrer Halter erheblich beeinträchtigt.

Ich hoffe, dass ich Ihnen durch die Zusammenstellung neuer Erkenntnisse mit bewährtem Wissen ein wenig Hilfe für Ihren Umgang mit dieser Erkrankung geben kann. Sehr wichtig ist mir die sichere Unterscheidung von Dichtung und Wahrheit. Heute gibt es sehr viele Informationsmöglichkeiten wie zum Beispiel das Internet. Infos aus Datenbanken und Chats sind zum Teil sehr gut und stützen sich auf Fakten, allerdings mischen sie sich mit Dichtungen, die ebenso wahr wirken, aber jeder Tatsache entbehren und Ihnen und Ihrem Pferd gegebenenfalls mehr schaden als nützen. Wie überall gibt es fünf Experten und sechs Meinungen …

Sammeln Sie gesicherte Informationen, lassen Sie Ihr Wissen wachsen, bleiben Sie kritisch und geben Sie nicht auf, die richtige Strategie für Ihren Ekzemer zu finden und anzuwenden.

Anke Rüsbüldt, im März 2007

Was ist das Sommerekzem?

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Definition

Seit einigen Jahren sind sich die Tiermediziner einig über die Ursache der Erkrankung. Dennoch halten sich hartnäckig Gerüchte um verschiedenste auslösende Faktoren.

Das Sommerekzem ist eine Allergie gegen den Speichel bestimmter Mücken. Das Verhältnis zwischen Allergieneigung und Stärke der Symptome ist aber bei verschiedenen Pferden duruchaus unterschiedlich, außerdem können viele Umstände das sichtbare Krankheitsbild beeinflussen. Zusätzlich begünstigende Faktoren erscheinen manchmal als Auslöser, weil die Erfahrung zeigt, dass bei ihrem Ausbleiben die Symptome nicht oder nur vermindert auftreten.

Inzwischen ist eindeutig nachgewiesen, dass es sich beim Sommerekzem um eine Allergie vom Typ 1 handelt, eine Überempfindlichkeitsreaktion gegen Inhaltsstoffe des Speichels von Mücken.

Je nach Region werden verschiedene Mücken verantwortlich gemacht. Im Sprachgebrauch heißen sie Gnitzen, Kriebelmücken, Stechmücken oder Sandmücken, zoologisch in unseren Breiten meist Culicuides Spezies. Vermutungen in dieser Richtung gab es schon sehr lange – so gibt es Literaturhinweise, dass bereits 1964 der Pferdetierarzt Ernst Elsholz die Ansicht vertrat, dass vor allem winzigste Mücken als Verursacher des Sommerekzems angesehen werden müssen.

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Die Mücke ist schuld daran, dass es juckt … und juckt … und juckt … (Foto: Hoppe)

Die Veranlagung für eine Allergie gegen Inhaltsstoffe des Mückenspeichels ist erblich. Die Heritabilität, also die Wahrscheinlichkeit, dass die Veranlagung tatsächlich vererbt wird, ist allerdings relativ gering. Stuten vererben die Veranlagung häufiger als Hengste.

Wichtig: Die häufig synonym gebrauchten Begriffe Sommerekzem und Sommerräude sind sehr unterschiedliche Erkrankungen! Die Sommerräude ist eine Erkrankung durch Endoparasiten, die einen Teil ihres Lebenszyklus in der Haut von Pferden verbringen und ihre Eier dort ablegen.

Auslöser

Je mehr wir über „unseren“ Erreger und seine Lebensgewohnheiten wissen, desto besser können wir ihn überlisten. Trotz all der Plage, die diese Mücke unseren Pferden und uns verschafft, ist sie ein Teil unserer belebten Natur. Ansätze, die auf die totale Vernichtung der Mücken hinzielen und unsere unmittelbare Umgebung so sehr mit Insektiziden verseuchen, dass schließlich auch die Singvögel und Schwalben nicht mehr auf lebenswerten Wohnraum treffen, versprechen zwar Erfolg beim Kampf gegen das Sommerekzem, sind aber nicht vertretbar.

Diese Stechmücken sind außer auf Island weltweit verbreitet. Auf Island gibt es durchaus auch einige unangenehme Insekten, wie jeder weiß, der mal zur „falschen“ Zeit dort Urlaub gemacht hat – aber eben nicht die den Ekzemern gefährlichen Stechmücken.

Die Mücken, um die es uns hier geht, brauchen Gegenden mit geeigneten Brutplätzen, um sich vermehren zu können. Dafür bieten sich vor allem stehende oder langsam fließende Gewässer an. Ob es sich dabei um natürliche oder künstliche Gewässer mit oder ohne Lichteinstrahlung handelt, ist nahezu egal. Auch die Wasserqualität ist nicht von ausschlaggebender Bedeutung, auch wenn sich die verschiedenen Mücken in ihren Ansprüchen ein bisschen unterscheiden.

Wichtig für die Mücken ist ein gewisser Windschutz, sodass größere Gewässer im Allgemeinen gemieden werden. Wichtig ist dies für uns, weil in Gegenden, in denen nicht gebrütet werden kann, in der Regel auch kein Bedarf an Blut besteht. Nur die tragenden Weibchen saugen Blut. Ein ekzemkrankes Pferd bleibt in einem tanzenden Mückenschwarm gelassen stehen – hier tanzen die Männchen und die ernähren sich von Blütensäften.

Die Stechmücken sind nur fünf bis zehn Millimeter groß und haben einen schlanken, mit Schuppen oder Haaren bedeckten Körper. Ihre Mundwerkzeuge sind zum Stechrüssel umgebildet, der etwa halb so lang ist wie ihr Körper. Einzelne Arten unterscheiden sich in der Stellung des Stechrüssels zur Körperachse, in dem Aufbau der beiderseits des Stechrüssels angebrachten Taster, im Aufbau des Schildchens auf dem Rücken und in vielen weiteren kleinen Besonderheiten. Sie wiegen nur 1/1700 Gramm – erstaunlich, dass die erkrankten Pferde die Berührung spüren, noch bevor die Mücke sticht.

Vom Ei über Larvenstadien und Puppe entwickelt sich die Stechmücke je nach Wassertemperatur innerhalb von zwei bis fünf Wochen. Das weibliche Tier kann bereits kurze Zeit nach dem Schlüpfen aus der Puppe begattet werden. Nach dem Blutsaugen legt eine einzelne Mücke bis zu 400 Eier. Es gibt zwei Vermehrungshöhepunkte: im April bis Mai und dann noch einmal im September bis Oktober, wenn die Brutplätze wieder feucht werden, während wir uns über den milden Herbst freuen. Die Entwicklung der Mücken ist sehr stark witterungsabhängig, in trockenen und heißen Jahren gibt es einfach weniger Mücken.

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Insektenschwärme sehen gefährlicher aus, als sie sind: Nur die weiblichen Mücken saugen Blut und werden dem Ekzemer gefährlich. (Foto: Stuewer)

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Nur fünf bis zehn Millimeter klein, aber Verursacher großer Probleme: die Kriebelmücke.

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So fängt es an: Stiche in der Bauchnaht verraten, dass die Mücke es sich hier gütlich getan hat. (Foto: Diehn)

Zum Vermehren benötigt die Mücke Blut – und wählt dafür unser Pferd. Sie sticht vor allem an weichen Hautstellen und bevorzugt in Bereichen, in denen die Haare senkrecht stehen: vor allem Mähnenkamm, Schweifrübe, Kruppe und Bauchnaht – jener schmale Streifen in der Mitte des Bauches, an dem beide Körperhälften sich treffen.

Bevor die Mücke mit pumpenden Bewegungen Blut saugen kann, gibt sie zur Verhinderung der Blutgerinnung etwas Speichel ab. Genau dieser Speichel ist es, auf den der Sommerekzemer überempfindlich reagiert.

Der Zeitpunkt, zu dem die Mücke am liebsten sticht, ist stark von meteorologischen Gegebenheiten abhängig. Trocken, kühl und windig mögen Mücken es überhaupt nicht, ebenso wenig Dauerregen und starke Sonneneinstrahlung. Richtig stechlustig werden sie in feuchter Wärme und in der Dämmerung. Lieblingszeiten sind deshalb schwüle Abende, beginnende Gewitter und die Zeit kurz nach Sonnenuntergang. Außerdem ist die Mücke auch nachts aktiv. Das Aufstallen der Pferde tagsüber und der nächtliche Weidegang – als Tipp zum Teil immer noch veröffentlicht – läuft nicht nur dem Tagesrhythmus der Pferde zuwider, sondern ist auch völlig sinnlos.

Stechmücken entfernen sich ungern von dem Ort ihrer Geburt. Normalerweise legt eine Mücke nachts zwei bis maximal acht Kilometer zurück, und sie fliegt nicht höher als drei Meter.

Einzelne Fälle von Sommerekzem bei aufgestallten Pferden können eventuell mit einer Überempfindlichkeit gegen einzelne in Stallungen lebende Stechfliegen erklärt werden.

Individuell begünstigende Faktoren

Es gibt Pferde, die ohnehin Schwierigkeiten im Hautstoffwechsel haben, was sich zum Beispiel in verzögertem Haarwechsel, starker Schuppenbildung, hoher Empfindlichkeit für Parasiten- oder Pilzbefall und langsamer Wundheilung äußert. Solche Pferde sollten auf generelle Stoffwechselprobleme untersucht werden.

Auch hormonelle Ungleichgewichte können zu erhöhter Anfälligkeit der Haut führen. Einige Stuten scheuern sich zum Beispiel während der Rosse am ganzen Körper. Bei anderen Stuten verändert sich die Hautempfindlichkeit während und nach einer Trächtigkeit. Hier sichere Diagnostik und Bekämpfung zu betreiben macht im Hinblick auf die Schwere der auftretenden Veränderungen sicher Sinn. Dafür ist zunächst das aufmerksame Beobachten notwendig. Ob und unter welchen Umständen das Krankheitsbild sich verändert, kann für eine exakte Diagnose von unschätzbarem Wert sein.

Das Sommerekzem ist in gewisser Weise der Neurodermitis des Menschen gar nicht so unähnlich – dementsprechend müssen wir auch den Einfluss der Psyche des Pferdes beachten. Manches Pferd fängt unter Stress vermehrt an, sich zu scheuern. Andere juckt es, wenn der Besitzer allein in den Urlaub fährt. Auch beim Pferd ist das seelische Wohlbefinden von ausschlaggebender Wichtigkeit für die Gesundheit.

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So schlimm kann es werden: Diverse Faktoren spielen eine Rolle, wenn ein Ekzem so schlimm wird. (Foto: Hoppe)

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Reichlich gedüngte Weiden machen Pferde nicht nur fett, sondern strapazieren auch den Stoffwechsel und erhöhen damit die Ekzemanfälligkeit. (Foto: Slawik)

Der Einfluss des Futters

Sehr viele Ekzempferde gehören zu den nordeuropäischen Ponyrassen. In den Ursprungsländern dieser Rassen ist die Ernährung der häufig robust lebenden Pferde ganz anders als die hier übliche Fütterung. Satte grüne Graswiesen kommen sehr wenig vor, rohfaserreiches und mineralstoffintensives Futter ist häufig die Grundlage. Diese Pferde werden bei uns oft zu dick, haben dabei aber Defizite in der Mineralstoff- oder Spurenelementversorgung. So entsteht auch im Sommer auf guter Weide eine Fehlernährung. Das Übergewicht schadet dem Stoffwechsel des gesamten Pferdes und die Mängel gefährden die Hautgesundheit.

Häufig kommt es auch während der Winterfütterung in der Rationszusammensetzung zu einem Vitaminmangel und einer unausgewogenen Mineralstoffversorgung. Es ist ein grundsätzlicher Irrtum, dass mit einem handelsüblichen Alleinfutter in jedem Fall der Bedarf eines Pferdes gedeckt werden kann. Besonders interessant für unser Ekzempferd sind der Kalziumgehalt, das Verhältnis von Kalzium zu Phosphor, die absoluten Gehalte an Kupfer, Zink und Selen und das Verhältnis dieser Spurenelemente untereinander. Art und Menge der enthaltenen Fette sind ebenfalls von Bedeutung. Eine Eiweißüberversorgung soll Allergien negativ beeinflussen können.

Allergiker haben andere Ansprüche an Futtermittel als Tiere ohne Hypersensibilitätserscheinungen. In vielen handelsüblichen Futtermitteln fehlen Bestandteile, sie finden sich in falschen Mengenverhältnissen zueinander oder blockieren sich gegenseitig in der Aufnahme. Auch der Zusatz von Vitaminen in Fertigfuttern ist nicht immer ausreichend.

Es gib inzwischen auch spezielle Alleinfuttermittel für Allergiker. Sie sind zwar meist teuer, aber häufig sehr gut. Schauen Sie immer auf die Fütterungsempfehlung und fragen Sie kritisch nach, ob dieses Futter speziell für Ihr Pferd passt. Firmen, die sich über die Herstellung gezielt Gedanken machen, bieten Zusatzinformationen und eine Beratungshotline.

Vitaminüberversorgungen mit den Vitaminen A, D und E können ebenfalls Schäden verursachen oder begünstigen. Unerkannte Leber- oder Nierenerkrankungen beeinflussen den gesamten Stoffwechsel.

Gerade Pferde mit Neigung zu Hautproblemen müssen im Gesundheitszustand regelmäßig kontrolliert und bedarfsgerecht gefüttert werden.

Natürlich kosten auch ein Blutbild und eine Ernährungsberatung Zeit und Geld – doch das Verhältnis zwischen Aufwand und Erreichbarem ist hier so gut, dass es sich wirklich lohnt.