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Nr. 115

 

Kämpfer für Garbesch

 

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Ende August des Jahres 3587 spitzt sich die Lage für die Menschheit zu: Gewaltige Raumschiffe besetzen das Sonnensystem. An Bord sind die so genannten Orbiter, die in gigantischen Klonfabriken entstanden sind – nach dem Vorbild real existierender Terraner. Die Orbiter folgen einem Programm, das eine Million Jahre alt ist.

 

Sie glauben, in den Menschen die Kämpfer für Garbesch zu sehen, ihre Gegner aus lange vergessener Vergangenheit. Gegen ihre technische Überlegenheit haben die Bewohner der Erde keine Chance. Aber sie verfügen über eine Geheimwaffe besonderer Art: Ein Roboter schmuggelt sich in die Reihen der Orbiter ein ...

1.

 

 

»Garbeschianer, verlasst die Milchstraße! Kehrt zurück in die unseligen Gefilde eurer Herkunft! Invasoren haben in dieser Galaxis nichts verloren.

Dies ist unser Ultimatum: Wenn am 20. September eurer Zeitrechnung nur noch einer eurer Horden in der Milchstraße weilt, werden wir ihn rücksichtslos vertreiben. Es wird keine Gnade geben und keine weiteren Verhandlungen, dann sprechen die Waffen.«

 

Julian Tifflor schlug mit der Faust auf die schwebende Tischplatte. Unsicherheit und Verzweiflung mischten sich in seinem Gesicht. Seine braunen Augen schimmerten feucht, als er Adams anschaute, der auf der anderen Seite des Arbeitstisches stand, abwartend die Arme vor der Brust verschränkt.

»Natürlich habe ich Fehler gemacht«, bekannte Tifflor. »Der Regierungschef macht immer Fehler. Nur leider weiß ich nicht, welche ich mir zuschreiben soll.«

Er ging zu dem Getränkeautomaten, füllte eine Tasse mit dampfendem Kaffee, stellte diese aber schon Sekunden später achtlos ab, ohne getrunken zu haben. Mit einer fahrigen Geste deutete er auf die imposante Skyline rings um Imperium-Alpha.

»Soll wirklich alles umsonst gewesen sein, was wir mühsam neu aufgebaut haben?« Seine Stimme klang bitter. »Die Liga Freier Terraner, die Galaktische-Völkerwürde-Koalition, die Befriedung der Milchstraße, das wachsende Gefühl der Zusammengehörigkeit aller Völker ...?«

Ihn überraschte, dass Adams hartnäckig schwieg, und er zweifelte nicht daran, dass der Wirtschaftsminister spürte, wie tief seine Verbitterung inzwischen saß.

»Hatten wir in den letzten Monaten nicht schon mehr als genug Schwierigkeiten?«, fuhr er fort. »Die Loower, die UFOs und die Weltraumbeben haben uns extrem viel Nervenkraft abverlangt. Und nun diese Ungeheuerlichkeit. Ausgerechnet wir Menschen sollen die Okkupanten unserer eigenen Heimatgalaxis sein!«

»Für die Orbiter sind wir die Horden von Garbesch, und das werden wir in ihren Augen auch bleiben – Plünderer, Verbrecher und was weiß ich noch«, bestätigte Adams. »Es ist ein Hohn, als lache das Schicksal über uns ...«

»So leicht lasse ich mich nicht unterkriegen!« Tifflors Nervosität verflog. »Es wird Mittel und Wege geben, den Orbitern zu widerstehen. Ein Exodus der humanoiden Völker ist jedenfalls unmöglich ...«

Er verstummte. Seine Gedanken schweiften einige Tage zurück, als die Situation bedrohlich geworden war ...

 

»Erster Terraner, wir erwarten von Ihnen, dass Sie die Liga in eine friedliche und gesicherte Zukunft führen!« Die Diskussion in der Führungsspitze der LFT hatte einen neuen Höhepunkt erreicht. Das Wort führte Merten Tabrizianja, ein aggressiver Gegenspieler Tifflors, der bei jeder Gelegenheit die getroffenen Maßnahmen kritisierte. »Es ist gut, dass Rhodan nicht hier ist, sonst wären längst die Verantwortlichen für das Desaster zur Rechenschaft gezogen worden.«

Um Beifall heischend blickte der Mann in die Runde der Versammelten.

Eine ältere Frau aus Adams' Stab erhob sich. »Sie reden wie so oft polemischen Unsinn«, warf sie Tabrizianja vor. »Wir alle wissen, dass Perry Rhodan eine friedliche Lösung mit den Orbitern anstreben würde. Das wollen wir ebenfalls. Unser Problem ist leider, dass wir nicht in der Lage sind, die Orbiter davon zu überzeugen, dass wir mit den Horden von Garbesch absolut nichts zu tun haben.«

Tabrizianja holte tief Luft, ehe er den Einwand abschmetterte. »Haben Sie die Meldungen von heute Morgen verschlafen?«, fragte er. »Zweiundzwanzig Sonnensysteme wurden von den Flotten der Keilraumschiffe abgeriegelt. Das Ultimatum gilt für alle humanoiden Milchstraßenvölker. Dass die Blockade von Olymp wirtschaftliche Probleme mit sich bringt, ist nur ein Teil der Bedrohung. Schlimmer sind die ersten Auseinandersetzungen mit den Orbitern, weil nervös gewordene GAVÖK-Leute oder eigentlich unbedeutende planetare Regierungen den Nervenkrieg nicht durchhalten. Wir wissen bereits, dass die Gegner über schwere und wirkungsvolle Waffensysteme verfügen. In Kürze werden wir im Solsystem ebenfalls bedroht sein – ich verlange mit allem Nachdruck, dass wir uns dagegen wappnen.«

»Und wie?«, fragte Tifflor gelassen.

»Sie sollten eine Antwort parat haben!«, kam die bissige Antwort. »Sie sind der Erste Terraner.«

»Ich mache mir keine Illusionen, das gestehe ich offen ein.« Tifflor blieb gelassen, auch wenn es in ihm völlig anders aussah. »Vielleicht können wir einen Teilerfolg gegen eine der Orbiterflotten erzielen, wenn wir alle Kräfte in einem Sonnensystem zusammenziehen. Aber abgesehen von den zu erwartenden hohen Verlusten unserer ohnehin nicht sehr starken Verbände – es gibt eine Reihe guter Gründe, dass wir nicht mit Gewalt vorgehen.«

»Ihre Ausreden interessieren mich nicht«, konterte Tabrizianja. »Nein, Sie sollen sich jetzt nichts aus den Fingern saugen. Mir leuchtet ein, dass wir sogar mit Unterstützung der GAVÖK die Orbiter und ihre unerschöpflich scheinenden Quellen nicht besiegen können. Unser oberstes Gebot sollte dennoch sein, das Solsystem zu schützen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Orbiter hier sein werden.«

Der Erste Terraner ließ sich mit der Antwort Zeit. Er beriet sich im Flüsterton mit Adams, bevor er sich wieder der Versammlung zuwandte.

»Ich sehe die Gefahr einer Besetzung des Solsystems genauso wie Sie, Mr. Tabrizianja, daraus mache ich kein Hehl. Ich verschweige auch nicht, dass wir im Augenblick kaum in der Lage sind, unsere eigene Stärke hinreichend genau abzuschätzen. Die GAVÖK ist ein lockerer Zusammenschluss. Die Entwicklung der Liga, der von Laren und Überschweren geplünderten Welten und ebenso der Verbündeten der GAVÖK verlief stürmisch und in einer zu kurzen Zeitspanne. NATHAN war lange Zeit desaktiviert, ihm fehlen Grundsatzinformationen. Und Mutoghmann Scerp hatte in den letzten drei Jahren alle Hände voll zu tun, um die Ordnung in der Milchstraße wiederherzustellen, für statistische Erhebungen blieb ihm keine Zeit, uns übrigens ebenso wenig.«

»Ich verlange, dass umgehend Bestandserhebungen vorgenommen werden!«, rief Tabrizianja. Tifflor gebot ihm mit einer heftigen Handbewegung zu schweigen.

»Alle erforderlichen Maßnahmen sind eingeleitet.« Der Erste Terraner klang leicht gereizt. »Aber selbst wenn wir in einem Sektor der Milchstraße ein deutliches Übergewicht erzielen könnten, weigere ich mich, gegen die Orbiter offen anzutreten. Auch Perry Rhodan würde das nicht tun.«

»Rhodan!«, höhnte eine Frau. »Er wäre auf jeden Fall bereit, das Solsystem zu schützen.«

»Glaubt wirklich jemand, dass ich das nicht tun will?«, fuhr Tifflor unbeirrt fort. »Ich bezweifle nur, dass das Zusammenziehen aller Flottenteile das geeignete Mittel dafür wäre. Die LFT hat auf größere Verbände verzichtet, um ihren Friedenswillen in der Milchstraße zu demonstrieren. An dieser Idee halte ich grundsätzlich fest, unsere Machtmittel sind also von vornherein beschränkt. Lassen Sie mich aber noch eines zu Mr. Tabrizianjas Bemerkungen sagen: Jede große Flottenansammlung würde die Orbiter in ihrem Irrglauben bestärken, und die erste Raumschlacht wäre so gut wie programmiert. Wenn sich die Orbiter gegen einzelne Hitzköpfe zur Wehr setzen müssen, ist das zwar bedauerlich, aber durchaus eine andere Situation. Ich brauche keine perfekte statistische Erhebung für die Erkenntnis, dass wir selbst mit Unterstützung aller GAVÖK-Völker den Kürzeren ziehen würden.«

»Haben wir den nicht schon gezogen, als wir die Loower gehen ließen?«, rief Tabrizianja. »Mit den Trümmerleuten wären wir stark genug gewesen, die Orbiter zurückzuschlagen.«

»So nicht!« Adams erhob sich und versuchte, seinem leicht verkrümmten Körper eine straffe Haltung zu geben. »Ich erinnere mich gut, dass ausgerechnet Sie pausenlos den Abzug der Loower verlangt haben. Sie drehen sich mit dem Wind.«

Tabrizianjas Hand wischte durch die Luft, als wolle er das Argument aus der Welt fegen. »Eine gute Führungsspitze hätte die Orbitergefahr frühzeitig erkannt und sich mit den Loowern verbündet. Schließlich haben sie von uns das begehrte Augenobjekt erhalten. – Und was haben wir dafür bekommen? Nichts!«

»Ich bewundere Ihre sachliche Art der Argumentation.« Inzwischen klang Tifflor ironisch. Ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Einige Männer und Frauen klopften demonstrativ auf die Pulte, um ihn zu unterstützen.

»Es gibt noch andere Gründe, die LFT-Flotte nicht auf Gedeih und Verderb an das Solsystem zu binden«, fuhr Tifflor fort. »Vielleicht gefallen Ihnen diese Aussagen besser, Mr. Tabrizianja. Ich erwähnte schon, dass unsere Flotte nicht gerade überwältigend groß ist. Wir benötigen die Schiffe, um alle Handelsbeziehungen und Kontakte zu den Kolonialwelten und den GAVÖK-Verbündeten aufrechtzuerhalten. Durch die Maßnahmen der Orbiter sind uns ohnehin bereits erhebliche Beschränkungen auferlegt. Wenn wir uns der letzten Möglichkeiten selbst berauben, geraten wir in eine Sackgasse, aus der nicht einmal Sie einen Ausweg wissen.«

Tifflors Gegenspieler rief eine Antwort, die aber im erneuten Trommeln der Versammlung unterging.

»Es bleibt bei den festgelegten Maßnahmen«, beharrte der Erste Terraner, als wieder Ruhe einkehrte. »Wir beobachten die Orbiter und versuchen, Zeit zu gewinnen. NATHAN recherchiert, wie die Kräfteverhältnisse wirklich sind. Vor allem müssen wir einen Weg finden, den Orbitern plausibel zu machen, dass wir keine Garbeschianer sind.

Wirtschaftsminister Adams wird zwei Arbeitsgruppen bilden. Eine soll sich mit der Technik der Keilschiffe befassen, die andere alle Hinweise auswerten, die uns zum Ursprung der Orbiter und ihrer Armada führen können.

Ich werde heute Abend über Terravision eine Erklärung abgeben. Die Versammlung ist geschlossen.«

 

Der Angriff kam für die sieben Flibustier so überraschend, dass sie zu keiner wirkungsvollen Gegenwehr imstande waren. Vor allem hatten sie während ihres Aufenthalts in dem Rehabilitationszentrum keinesfalls mit einer solchen Attacke gerechnet.

Mehrere faule Tomaten trafen Brush Tobbon und zerplatzten. Verdutzt blieb der gut zwei Meter große Epsaler stehen. Neben ihm sackte Markon Treffner zu Boden. Mit beiden Händen versuchte er, eine aufschäumende schleimige Masse aus seinem Gesicht zu wischen.

Lediglich Kayna Schatten konnte dem Angriff mit einer instinktiven Drehung ausweichen. Ein mit Farbe gefülltes Wurfgeschoss zerplatzte hinter ihr an der Wand des Werkstattgebäudes, in dem die Flibustier ihrem Rehabilitationsprogramm nachgingen. Ihre helle Kleidung färbte sich an mehreren Stellen blutrot.

Axe schrie erschrocken auf und verstummte gurgelnd, als ihm einer der jugendlichen Angreifer eine Metallstange über den Kopf zog. Blut rann ihm über die Schläfe.

Pearl Simudden erging es nur wenig besser. Zwei Lassoschlingen schlossen sich ruckartig um seinen Oberkörper. Die Arme an den Leib gepresst, wurde der Akone von mehreren Männern vorwärtsgezerrt. Als er stürzte, schleiften sie ihn über den Boden weiter.

Wütendes Protestgeschrei begleitete die Attacken. Die Angreifer verfluchten die Flibustier wegen ihres verbrecherischen Lebenswandels, vor allem aber als die wahren Schuldigen am Ultimatum der Orbiter. Gegen Körn Brak und Josto ten Hemmings ging die Meute mit bloßen Fäusten vor. Beide wirkten schon von ihrer Gestalt her, als hätten sie nur wenig Nehmerqualitäten.

Der psychologische Druck auf die Flibustier war ohnehin schon groß. Sie unterlagen einem psychologischen Programm, das ihre schnelle Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitete.

Die Angreifer stoben auseinander, als Dr. Coburn heraneilte. Über sein Kombiarmband rief der Arzt mehrere Helfer herbei, die sich um die lädierten Flibustier kümmerten.

»Es ist zum Kotzen, Doc.« Wütend starrte Kayna Schatten den Kriminalpsychologen an. In ihrer Ausdrucksweise hatte sie sich noch nicht von der Vergangenheit gelöst. Trotzdem war sie schon nicht mehr die eiskalte und berechnende Planerin, die sich an jedem gelungenen Coup ergötzte. Das Wissen um die mit ihren Ebenbildern und den Kopien ihrer Kumpane bemannten Flotten der Orbiter hatte sie verändert. Die aktuelle Behandlung tat ein Übriges dazu.

»Ich meine, es ist zum Verzweifeln«, fuhr sie nach kurzem Zögern fort. »Wir geben uns alle Mühe, um den Weg zurück zu finden, unterziehen uns sogar freiwillig diesem Sch..., den psychologischen Programmen. Aber was hilft das alles, wenn eine Horde wilder Rüpel uns als Freiwild ansieht? Soll das der Sinn Ihrer Maßnahmen sein?«

»Natürlich nicht.« Coburn versuchte, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. »Wir bemühen uns, jedem Straftäter den Weg zurück in die Gemeinschaft zu ebnen. Das geht aber nur mit Geduld und mit der Bereitschaft von beiden Seiten. An Ihrer Bereitschaft hege ich keinen Zweifel, denn Ihre Psychogramme sind durchaus positiv einzuschätzen. Den größten Teil Ihres Weg müssen Sie jedoch selbst bewältigen. Was die Verstöße der vielen Jugendlichen anbelangt, die derzeit hier weilen, so sind diese nichts im Vergleich zu Ihrer Geschichte. Eigentlich ging es diesen Menschen nur nicht schnell genug, nachdem sie im Rahmen der Aktion Pilgervater von Gäa zur Erde kamen. Sie hatten eine perfekte Welt erwartet, aber die gibt es nirgendwo. Auch diese jungen Leute brauchen Geduld. Vergessen Sie das nicht, Kayna, dann wird sich Ihr Groll rasch legen.«

Die Frau nickte bedächtig. Sie griff nach den beiden Haarzöpfen, die sie sonst zu einem Knoten gebunden trug. »Vielleicht geht mir das alles ebenfalls zu langsam«, sagte sie nachdenklich. »Unser Motto war immer: ›Entweder – oder, und das schnell!‹ Rückschläge wie eben hätte ich früher nie akzeptiert.«

»Warum gehen wir nicht wieder an die Arbeit?«, fragte Tobbon.

Simudden hob die Schultern. »Ich für meinen Teil will genauer wissen, was die Leute so gegen uns aufbringt. Sie sind das, was wir vor langer Zeit waren.«

»Wir sind die Flibustier«, bemerkte ten Hemmings mit einem bitteren Tonfall. »Und wir sehen aus wie die Orbiter.«

Der Psychologe schüttelte den Kopf. »Sie waren die Flibustier, und die Orbiter sehen aus wie Sie«, berichtigte er.

 

Am Abend saßen alle sieben im Gemeinschaftsraum und warteten auf eine angekündigte Rede des Ersten Terraners. Die aufsässigen Jugendlichen hatten sich ebenfalls eingefunden; einige von ihnen hatten sich für den Angriff sogar entschuldigt. Die Stimmung war trotzdem merklich gedämpft.

Tifflors Rede fiel kurz aus. Er umriss die Situation in der Milchstraße und erwähnte die wichtigsten Sonnensysteme und Stützpunkte, die mittlerweile von den Orbiterflotten abgeriegelt wurden. Er machte kein Hehl aus der Bedrohung auch für Terra und ließ eine Aufzeichnung einspielen, in der ein Orbiter das Ultimatum gegen die Horden von Garbesch wiederholte. Es handelte sich um eine Simudden-Type. Sofort richteten sich die Blicke aller auf den hochgewachsenen Hyperphysiker, dem dieser Orbiter glich wie ein Ei dem anderen. Pearl Simuddens Miene verhärtete sich; ihm war anzusehen, dass er mit sich selbst rang.

Ausführlich begründete der Erste Terraner, warum er eine Abriegelung des Solsystems als Vorbeugemaßnahme ablehnte. Er verschwieg dabei nicht, dass verlässliche Zahlen über die Stärke der GAVÖK nicht zur Verfügung standen.

»Nach dem Wiederaufbau Terras und der Gründung der Liga Freier Terraner haben wir zwar wieder feste Verbindungen zu achtundvierzig unserer ehemaligen Siedlungswelten. Dabei handelt es sich aber durchweg um kleinere Planeten, die nur über wenige eigene Kampfschiffe verfügen. Der Wiederaufbau der großen Welten, die sich weitgehend selbstständig gemacht und der GAVÖK angeschlossen haben, ist noch lange nicht abgeschlossen. Knapp drei Jahre sind selbst für Völker wie die Ertruser, Plophoser und Epsaler zu wenig, um die Folgen der weit über hundert Jahre dauernden Larenherrschaft zu überwinden. Über die Stärke dieser Siedlernachkommen liegen uns nur vage Angaben vor.«

Tifflor machte eine kurze Pause.

»Es gibt für uns nur eine Verhaltensweise in der momentanen Situation. Abwarten und nach einer Lösung suchen – etwas anderes kann nicht infrage kommen.«

Davon, dass Kommandos längst nach der Herkunft der Orbiterflotten suchten, erwähnte Tifflor nichts. Außer dem engen Führungsstab der LFT und den Flibustiern, die mit dem Vario-500 zusammengetroffen waren und dessen Pläne in den Grundzügen kannten, wusste auch niemand davon. Kayna Schatten wirkte für einen Moment, als wolle sie aufspringen und alle zum Kampf gegen die Orbiter auffordern. Aber nach einem tiefen Atemzug entspannte sie sich wieder.

Der Moderator der Sendung bat den Ersten Terraner um Antworten auf einige Fragen. »Es ist einzusehen, dass die kurze Zeit des Wiederaufbaus es noch nicht erlaubte, eine große und kampfstarke Flotte in Dienst zu stellen«, schloss er vorsichtig. »Ich glaube aber, dass die terranische Bevölkerung ein Recht darauf hat, genauere Daten zumindest über die eigene Kampfstärke zu erhalten.«

Tifflor zog die Stirn kraus.

»Was Sie sagen, ist grundsätzlich richtig«, antwortete er. »Bevor ich jedoch Zahlen nenne, weise ich auf zwei Umstände hin, die vielleicht nicht genügend bekannt sind. Die LFT hat sich, wie übrigens nahezu alle anderen der GAVÖK angeschlossenen Zivilisationen, schon frühzeitig bereit erklärt, die eigenen Kampfverbände zu limitieren. Damit wollten und wollen wir allen Völkern der Milchstraße zeigen, dass Machtansprüche nicht bestehen. Unsere Flotte dient ausschließlich dem Selbstschutz.

Der zweite wichtige Punkt betrifft NATHAN. Das Mondgehirn hat, das wissen wir heute mit Sicherheit, mit ES ein Abkommen getroffen. Darin geht es um den zahlenmäßigen Ausbau unserer Raumflotte. Wir selbst haben uns gegenüber der GAVÖK verpflichtet, nicht mehr als zehntausend Kampfschiffe der Klassen mit zweihundert Metern Durchmesser und darüber in Dienst zu stellen. NATHAN ist nicht bereit, diese Zahl mit Superschlachtschiffen aufzufüllen. Da die Luna-Werften seiner Kontrolle unterstehen und wir zudem die Wünsche von ES akzeptieren, auch wenn wir deren Sinn nicht immer erkennen, hält sich unsere Flottenstärke in Grenzen. Wir haben drei neue Ultraschlachtschiffe der GALAXIS-Klasse in Dienst stellen können, ferner sechzig Schiffe mit jeweils 1500 Metern sowie neuntausend Schwere Kreuzer. Daneben verfügen wir über eine Handvoll älterer Schiffe. NATHAN hat die Werftarbeiten inzwischen gestoppt und erklärt, das von ES gesetzte Maß sei erreicht.«

Der Moderator hob die Schultern. »Worin liegt der Sinn einer zahlenmäßig schwachen Flotte?«, fasste er provozierend nach.

»Sie ist trotz allem stark genug, um Terra und das Solsystem gegen jeden bekannten oder möglichen Feind aus der Milchstraße zu schützen«, antwortete Tifflor ruhig.

»Aber die Armada der Orbiter kommt aus der Milchstraße ...«

»Das ist richtig. Bei den Orbitern handelt es sich offensichtlich nicht um einen bekannten Feind im Sinne der Überlegungen von ES.«

»Sie wollen damit andeuten, dass die Superintelligenz von den Orbitern nichts wusste?« Die Ironie des Moderators war unmöglich zu überhören.

»Ob dem so ist, entzieht sich meiner Kenntnis«, gestand Tifflor freimütig. »Wir wissen allerdings, dass sogar Superintelligenzen Grenzen gesetzt sind.«

Ein paar Belanglosigkeiten später war die Sendung beendet.

Die Flibustier schlichen unzufrieden in ihre Unterkünfte. Es tat sich nichts, was zu ihrer gefühlsmäßigen Entlastung beigetragen hätte. Im Gegenteil. Die Gefahr durch die Orbiter und das sichere Gefühl der Mitschuld am drohenden Untergang der Menschheit standen unvermindert im Raum.

 

Pamela Tissot war 202 Jahre alt und eine waschechte Terranerin. In jungen Jahren hatte sie das Wirken der ganjasischen Urmutter und das Ende des Kleinplaneten Pluto miterlebt, und seitdem nannte sie sich selbst augenzwinkernd Urmutter. Im August 3587 bewohnte sie ein geräumiges Appartement im 147. Stock des Laury-Marten-Memorials in Terrania City.

Pamela Tissot war in der Tat eine Urmutter, denn sie hatte einundzwanzig Kinder geboren, die längst weit verstreut in der Milchstraße lebten. Als ihre Kinder selbst für Nachkommen sorgten, war sie rasch Gefahr gelaufen, den Überblick zu verlieren. Daraus entwickelte sich ihre besondere Liebhaberei, das Sammeln von Daten. Anfangs waren es nur die Namen ihrer Nachfahren gewesen, der Planeten, auf denen sie lebten, und die Besonderheiten der betreffenden Sonnensysteme. Doch als ihr im Jahr 3491 einer ihrer Urenkel eine Kleinpositronik schenkte, weitete sie ihr Hobby aus. Sie sammelte plötzlich alle Daten, die ihr über die Bevölkerung der Milchstraße, über fremde Intelligenzen und Raumflotten unterkamen. Eigentlich war das Geschenk des Urenkels ein »Auf-den-Arm-Nehmen« gewesen. Pamelas Sammlertick war zwar in der weitverzweigten Verwandtschaft bekannt, aber niemand nahm ihn so richtig ernst.

Als die Erde ihren langen Weg über den Sonnentransmitter Sol-Kobold antrat, hatte Pamela Tissot auf Olymp gelebt, dem Planeten des Freihändlerkaisers Anson Argyris. Im Gegensatz zu NATHAN, der mit Luna ebenfalls durch den Transmitter verschwunden war, hatte sie die Geschehnisse in der Milchstraße beständig verfolgen können. Sie hatte während all der Jahre den Kontakt zu ihren Nachkommen nie abreißen lassen, obwohl viele Transmitterstrecken lahmgelegt worden waren und die meisten Hyperfunkverbindungen längere Zeit nicht bestanden. Mit Geschick und ihren detaillierten Kenntnissen hatte Pamela Tissot es immer wieder verstanden, sich der größer werdenden Schar ihrer Nachkommen bemerkbar zu machen und Informationen zu sammeln.

Inzwischen war die stattliche Zahl von 3521 erreicht. Pamelas persönlicher Ehrgeiz hatte sich ein eindeutiges Ziel gesetzt: Bevor sie aus dem Leben scheiden sollte, musste sie der Jahreszahl der terranischen Zeitrechnung entsprechend viele Nachkommen haben.

Als Julian Tifflor seine Rede hielt, fehlten ihr noch 66 Urururenkel. Pamela Tissot hatte das sichere Gefühl, dass sie ihrem Ziel nicht mehr fern war. Seit dem terranischen Wiederaufbau flossen die Informationen zudem reichlicher.

Sie lachte über Tifflors vorsichtige und ungenaue Angaben über die Kolonialwelten und die GAVÖK. Liebevoll tätschelte sie ihre Kleinpositronik, die längst um einige Erweiterungen angewachsen war.

»Ach Pluto«, spottete sie amüsiert. »Der Erste Terraner kennt sich in der Milchstraße nicht aus.«

Sie hatte ihrem Rechner den Namen des zerstörten neunten Planeten gegeben, als stete Mahnung, dass nichts verloren gehen durfte.

Immer noch lachend, strich sie sich einige Haare aus der Stirn.

»Er weiß nicht genau Bescheid, der Erste Terraner. Ich glaube, Pluto, ich muss ihm gewaltig die Leviten lesen.«

2.

 

 

Der gebündelte Hyperfunkimpuls kam aus dem Milchstraßenzentrum und erreichte das Flaggschiff der NEL-Flotte der Orbiter, die BARDER-NEL. Quiryleinen, der das Kommando über den großen Verband keilförmiger Raumschiffe innehatte, wandte sich an die Orbiter in der Kommandozentrale. Quiryleinen war eine Axe-Type; zwar nicht im Aussehen, aber doch in den geistigen Fähigkeiten unterschied er sich von dem Original.

»Wir haben die Aufgabe erhalten, das Hauptsystem der Garbeschianer zu blockieren und das Ultimatum zu stellen«, sagte er dumpf.

Die 25.000 Keilraumschiffe setzten sich in Bewegung und verschwanden schon nach kurzer Zeit im Hyperraum. Einhundertundachtzig Lichtjahre vom Solsystem entfernt beendeten sie die Überlichtetappe für ein kurzes Orientierungsmanöver.

Wenig später erreichte die Flotte die Umlaufbahn der äußeren Sol-Planeten. Nur noch mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit drangen die Orbiter weiter vor.

Quiryleinen ließ das vorbereitete Ultimatum auf Normal- und Hyperfrequenzen senden.

 

Der 23. August 3587 war für Julian Tifflor ein ereignisreicher Tag. Schon am frühen Morgen erwartete ihn die erste bedeutungsvolle Meldung. Mutoghmann Scerp, der alles in seinen Kräften Stehende tat, um den losen Verbund der GAVÖK-Staaten zusammenzuschweißen, hatte sich aus der Eastside gemeldet. Der Bitte des Ersten Terraners entsprechend, wollte er in den nächsten Tagen zur Erde kommen.

Tifflor atmete auf, denn er setzte nach wie vor gewisse Hoffnungen in die GAVÖK.

Das galt ebenso für Anson Argyris. Von den Flibustiern wusste er, dass der Robotkaiser von Olymp unterwegs war, um die Herkunft der Orbiter und ihrer Flotten zu ergründen. Zwar hatte Tifflor einige Informationen über die Robotwelten Varovaar und Churuude, ihre Position war jedoch bis zur Stunde unbekannt. Außerdem galt als nahezu sicher, dass es mehrere solcher Welten geben musste.

Ein Mitarbeiter meldete dem Ersten Terraner, dass eine Frau namens Pamela Tissot ihn dringend zu sprechen wünschte. »Die alte Dame lässt sich nicht abweisen«, erklang es aus dem Akustikfeld über Tifflors Arbeitstisch.

»Sie muss warten!«

Tifflor widmete sich dem ersten Bericht der neuen Arbeitsgruppen. In einer knapp gefassten Darstellung informierte er sich über die Eigenarten der Keilraumschiffe, soweit diese schon bekannt waren. Die besten Daten gab es bislang über die Orbiterflotte im Bereich von Olymp.

Bislang lagen Informationen zu vier Schiffstypen vor.

Da waren die Erkunder, so jedenfalls die Bezeichnung, die das Arbeitsteam vergeben hatte. Wie alle Orbiterschiffe wiesen Erkunder die typische Keilform auf, die in der Draufsicht wie ein gleichschenkliges Dreieck erschien. Ein Erkunder war 110 Meter lang, im Heckbereich ebenso breit und der schnellste Typ. Ein Beschleunigungsvermögen von über 900 Kilometern pro Sekundenquadrat war nachgewiesen. Die Bewaffnung galt jedoch als relativ schwach.

Der nächstgrößere Schiffstyp war der Aufheller mit 400 Metern Länge. Aufheller erschienen als Vorkommando, wenn die Orbiter ein neues System besetzten. Über diese Schiffe waren auch die beiden hauptsächlichen Waffentypen der Orbiter bekannt geworden. Der Irregulator-Strahler arbeitete auf sechsdimensionaler Basis und wirkte auf Positroniken extrem störend. Der Anti-M-Strahler erzeugte ein Antimateriefeld, das Angriffsziele in einer gigantischen Explosion vernichtete.

Den Aufhellern folgten stets die Sachaufklärer, die mit 900 Metern den zweitgrößten Schiffstyp darstellten. Übertroffen wurden sie lediglich vom Vollstrecker. Diese Supereinheit maß eineinhalb Kilometer.

Bei allen Orbiterschiffen lag die Hauptzentrale im Bereich des leicht nach unten geneigten Bugs, der, aus einiger Distanz gesehen, die Anmutung eines angreifenden Riesenvogels hervorrief.

Tifflor fröstelte leicht, als er die Holobilder betrachtete.

Wieder meldete sich der Mitarbeiter aus einem der Vorzimmer. Er erinnerte den Ersten Terraner daran, dass Pamela Tissot immer noch wartete.

»Die Dame ist sehr energisch. Inzwischen behauptet sie, über wichtige Informationen zu verfügen. Und wenn Sie ihr nicht zuhören, will sie Imperium-Alpha in die Luft sprengen.«

»Hat sie das gesagt?«

»Nicht wörtlich, aber doch sinngemäß.«

»Dann achtet darauf, dass sie das nicht tut«, entgegnete Tifflor ungerührt. Vergeblich suchte er nach einem Bericht der zweiten Arbeitsgruppe über die Herkunft der Orbiter. Zwischendurch ließ er sich das Konterfei der Frau einblenden.

Er kannte Pamela Tissot nicht. Weder ihr Gesicht noch ihr Name weckten eine Erinnerung in ihm, also ließ er sie weiter warten.

Nächster Punkt seiner Tagesordnung war ein Gespräch mit Dr. Coburn vom Rehazentrum Golden Sun. Tifflor wollte sich nach den Fortschritten in der Behandlung der ehemaligen Flibustier erkundigen.

»Es braucht alles seine Zeit«, sagte Coburn zurückhaltend. »Was fehlt, um das soziale Bewusstsein der sieben überhaupt wiederherzustellen und in die richtigen Bahnen zu lenken, ist eine ernst zu nehmende Aufgabe, bei der sie sich wirklich bewähren müssten. Ich werde hoffentlich etwas Passendes finden.«

»Was steht auf ihrem Programm?«

»Ausgang in Begleitung«, antwortete der Kriminalpsychologe. »Die Probanden müssen sich daran gewöhnen, mit der Normalität umzugehen – sofern sich unsere Situation überhaupt als normal umschreiben lässt.«

Das Gespräch war rasch beendet. Tifflor wusste die Flibustier bei Dr. Coburn in sehr guten Händen.

»Mr. Tabrizianja wünscht Sie zu sprechen«, wurde ihm unmittelbar darauf gemeldet. »Er verlangt die sofortige Einberufung des gesamten Rates.«

»Er soll warten«, knurrte Tifflor. »Vorher werde ich mit dieser Mrs. Tissot reden. Herein mit ihr!«

Kurz darauf betrat Pamela Tissot den Arbeitsraum. Ihr Gesicht war vor Erregung gerötet. Tifflor schätzte sie auf beinahe zweihundert Jahre, und er wunderte sich über ihre Geschmeidigkeit.

Die Frau war knapp einen Meter sechzig groß und sehr füllig. Die Arme in die Hüften gestemmt, baute sie sich vor ihm auf.

»Aha!«, sagte sie lautstark. »Der liebe Erste Terraner bequemt sich endlich, die Urmutter zu empfangen. Wichtige Regierungsgeschäfte zu erledigen, was? Na ja, was soll's. Du kannst gar nicht richtig regieren, weil du nicht die vollständigen Daten über die Zustände besitzt.«

Erwartungsvoll schaute sie Tifflor an. Er zog nur leicht die Stirn kraus.

Pamela Tissot zauberte aus ihrem weiten Umhang ein Bündel Druckfolien hervor und hielt sie triumphierend hoch.

Plötzlich lachte sie über das ganze runzlige Gesicht. »Aber ich habe die Daten! Alle! Und das auf dem neuesten Stand. Ich weiß mehr als dein komischer Natron, lieber Erster Terraner.«

»Wer ist Natron?«, fragte Tifflor. »Und sagen Sie nicht ständig du und lieber Erster Terraner zu mir.«

»Natron?« Tissots Entrüstung wirkte gekünstelt. »Ich meine natürlich NATHAN, lieber Erster Terraner. Und du musst dir absolut nichts daraus machen, dass ich dich duze. Mit zweihundertundzwei Jahren darf ich mir das erlauben, oder?«

Tifflor lächelte jetzt, denn auf gewisse Weise war ihm die Dame sympathisch. »Sie scheinen zu übersehen, Mrs. Tissot, dass ich 1626 Jahre alt bin«, erinnerte er leicht amüsiert.

»Und wennschon.« Die Alte ließ sich nicht irritieren. »Dafür habe ich 3521 Nachkommen. Du hast keinen einzigen.«

»Oh! Sind Sie nur gekommen, um mir das zu sagen?«

»Natürlich nicht.« Tissot wedelte mit den Folien in der Luft herum. »Hier ist alles, was du brauchst. Daten und Informationen über die Stärke der Siedlungswelten und der GAVÖK-Mitglieder.«

Interessiert griff Tifflor nach den Folien. Die Frau plauderte unterdessen munter weiter. Sie erzählte, dass das Datensammeln ihr Lebensinhalt war und wie sie auf diese Manie verfallen war.

»Mein Pluto ist zwar nur eine positronische Speicherbank, aber er scheint besser informiert zu sein als du und NATHAN«, beendete sie ihren Redeschwall. »Ich habe über hundertfünfzig Jahre hinweg Informationen gesammelt. Meine Verbindungen zu Freunden und Verwandten überall in der Milchstraße sind zwar nicht so schnell wie deine Hyperfunkstrecken, aber dafür sorgfältiger und besser ausgebaut. Ich habe beinahe in jedem Winkel Informanten sitzen. Na, gefällt dir das? Wegen deiner dürftigen Rede von gestern Abend bin ich gekommen. Deine Unwissenheit war köstlich – amüsant für mich.«

Julian Tifflor blickte nachdenklich auf die oberste Folie. »14,7 Milliarden Epsaler, 251 Kampfschiffe«, las er halblaut. »18,4 Milliarden Ertruser, 192 Kampfschiffe. 1,1 Milliarden Oxtorner und 22 Kampfschiffe ... Sind Sie sicher, dass diese Angaben richtig sind?«

»Sie sind so sicher wie Mohrrüben Guckys Leibspeise sind. Und, beim Barte von Anson Argyris, zweifelst du an dem, was die Urmutter sagt?«

Tifflor griff in die Lichttastatur über seinem Arbeitstisch. Mehrere Hologramme bauten sich auf, allerdings so abgeschirmt, dass Tissot sie nicht einsehen konnte.

»Machen wir einen Test, liebe Urmutter«, sagte der Aktivatorträger höflich. »Wie viele Einwohner hat die Erde? Wie viele davon leben in Terrania City?«

»Das habe ich dabei.« Die Alte kramte eine Folie aus dem kleinen Stapel und warf einen kurzen Blick darauf. »8,2 Milliarden Menschen auf Terra, davon 55,2 Millionen in Terrania. Zufrieden damit?«

»Allerdings, liebe Urmutter. Sie fangen an, mir zu gefallen.«

 

Julian Tifflor übermittelte die Daten, die ihm Pamela Tissot gebracht hatte, dem Mondgehirn.

»Die Richtigkeit der Angaben ist nicht bewiesen«, kommentierte NATHAN. »Vor allem lassen sich zwei wesentliche Schlussfolgerungen nicht ziehen. Es ergibt sich kein Hinweis auf die Herkunft der Orbiter. Auch über die Loyalität ehemaliger Kolonialwelten, die inzwischen mehr zur GAVÖK tendieren, und über die Zuverlässigkeit der kleineren Systeme, die sich der Liga angeschlossen haben, lässt sich wenig sagen. Zudem müsste der Status eines Beistandspakts mit Scerp besprochen werden.«

»Mutoghmann Scerp befindet sich im Anflug auf das Solsystem«, bemerkte Tifflor.

Pamela Tissot folgte angespannt dem knappen Dialog und machte sich Notizen.

»Über die Stärke der GAVÖK gibt es noch keine verbindlichen Werte«, fuhr NATHAN fort.

»Mein Pluto hat auch darüber ausreichend Informationen!«, ereiferte sich die alte Dame.

NATHANS holografisches Logo wich einem pulsierenden roten Punkt.

»Ortung in einer Entfernung von 180 Lichtjahren!«, meldete das Mondgehirn. »Die Daten kommen von zwei Robotsonden des MEWS. Etwa 25.000 Keilschiffe der Orbiter haben Kurs auf das Solsystem.«

»MEWS ...«, murmelte Tissot. »Das Middle-range Early Warning System bis etwa zweihundert Lichtjahre rings um Sol?«

Tifflor antwortete ihr nicht, denn Homer G. Adams stürmte in den Arbeitsraum.

»Es geht los, Tiff! Jetzt kommt es darauf an.«

Der Erste Terraner nickte knapp und wandte sich wieder seiner Besucherin zu. »Mrs. Tissot, wenn uns noch die Gelegenheit bleibt, komme ich gerne auf Ihre Datenbank zurück. Aber vorerst müssen Sie mich entschuldigen.«

Die Frau nickte verständnisvoll. »Ich wünsche dir und uns viel Glück und Erfolg, Erster Terraner.«

Während sie den Raum verließ, trafen bereits weitere Hiobsbotschaften ein. Die Orbiterflotte war im Außenbereich des Solsystems materialisiert. Einzelne Erkunder erschienen schon wenig später in der Nähe der äußeren Planeten.

Schließlich der erste Kontakt. Eine Axe-Type meldete sich über Hyperfunk.

»Garbeschianer! Ich bin Quiryleinen, Kommandant der NEL-Flotte. Ihr wisst, was wir von euch erwarten. Verschwindet aus dieser Galaxis!«

Das war alles, das Konterfei des Orbiter-Kommandanten erlosch.

»Was tun?« Adams widmete sich der Bildwand, auf der die Verteilung der Flotte schematisch dargestellt wurde.

»Ein Aufruf an alle Bewohner des Systems: Es darf zu keinen Kämpfen kommen!«, sagte Tifflor scharf. »Und wir müssen Kontakt zu den Orbitern aufnehmen, verhandeln und wenigstens Zeit gewinnen.«

»Ich veranlasse das.« Adams nickte schwach.

Dann war Tifflor wieder allein. Die Verantwortung lastete schwer auf seinen Schultern.

 

Seit zwei Tagen war es Odgen Vierhuz und seiner Lebensgefährtin Rimini el Berida immer wieder gelungen, dem Patrouillenboot der Liga auszuweichen. Die beiden Prospektoren legten keinen Wert darauf, beobachtet zu werden. Sie hielten sich mit ihrem Raumschiff, das nur die einfache Bezeichnung V-409 trug, auf einem Asteroiden verborgen.

Im Asteroidengürtel konnte leichte Beute gemacht werden. Vierhuz und seine Gefährtin arbeiteten zwar hart an der Grenze der Legalität, aber das störte beide wenig. So würden sie etwas schneller den Wohlstand erreichen, den sie sich wünschten. Die vielen Wracks, die nach der Larenzeit noch im Solsystem zu finden waren, konnten sich durchaus als Goldgrube erweisen.

Auf zwei nahe beieinanderstehenden Asteroiden hatte Vierhuz große Metallansammlungen geortet, zweifellos Havaristen. Wenn die Besatzung des LFT-Schiffs jedoch ebenfalls darauf aufmerksam wurde, war die Sache so gut wie gelaufen.

»Der Kreuzer dreht ab«, stellte die hagere Frau unvermittelt fest. »Das muss mit diesem Funkspruch der Orbiter zusammenhängen.«

Vierhuz deutete auf das Ortungsbild. »Eines der Keilschiffe ist in der Nähe erschienen. Ob die uns wirklich aus der Milchstraße vertreiben können?«

»Wir finden immer irgendwo ein Versteck«, erwiderte el Berida verhalten.

Der Kreuzer hatte Kurs auf das Keilschiff genommen. Was dann jedoch kam, verblüffte die beiden Terraner auf der V-409. Die Anweisung aus Imperium-Alpha, dass die eigene Flotte äußerste Zurückhaltung wahren sollte, hatten sie mitgehört.

Der Kommandant des Kreuzers forderte die Orbiter unmissverständlich auf, dass sie binnen fünf Minuten aus dem Solsystem verschwinden sollten.

»Das gibt Ärger«, murmelte el Berida.

Das Keilschiff, eine 400-Meter-Einheit, reagierte nicht auf die Drohung. Erst als der Kreuzer tatsächlich das Feuer eröffnete, geschah das Unfassbare.

»Wir befinden uns im Wirkungsbereich einer Orbiterwaffe!«, rief Vierhuz entsetzt.

Alle relevanten Systeme des Prospektorenschiffs fielen aus oder zeigten zumindest irreale Werte. Funk ... Ortung ... Antrieb, nichts reagierte mehr auf Vierhuz' Bemühungen, wenigstens eine Reaktion zu erzielen. Die einzige Möglichkeit, das Geschehen zu beobachten, boten die normaloptischen Systeme.

Wenn auch auf die Distanz schon merklich verwaschen, was Vierhuz und el Berida sahen, ließ ihnen den Atem stocken. Der 200-Meter-Kreuzer vollführte einen regelrechten Eiertanz, seine unregelmäßig arbeitenden Steuertriebwerke versetzten ihn in eine unkontrollierte Schlingerbewegung.

»Die sind voll in den Wirkungsbereich geraten!«, rief Vierhuz. »Wir haben wohl nur etwas Streustrahlung abbekommen.«

Die ersten Systeme fuhren schon wieder hoch. Der Prospektor lächelte verkrampft, als die neu entstehenden Anzeigen Grünwerte zeigten.

Der Kreuzer hingegen schien weiterhin hilflos zu sein. Ein Chaos von Störgeräuschen erklang im Funkempfang, und nur für einen Moment glaubten die beiden Terraner, eine menschliche Stimme zu hören, die um Hilfe rief.

»Wir müssen sie unterstützen!«, drängte el Berida. »Über kurz oder lang wird der Kreuzer mit einem der Felsbrocken kollidieren, und dann ...«

»Leicht gesagt. Unser Traktorstrahler ist zu schwach, um den Riesenpott auch nur annähernd zu stabilisieren.«

»Irgendwie sollten wir wenigstens die Besatzung übernehmen.«

»Das sind um die vierhundert Personen. Wohin mit ihnen? Den Platz haben wir gar nicht.«

Rimini el Berida spürte die Ablehnung ihres Gefährten, der Besatzung des Patrouillenbootes wirklich zu helfen. »Ich schlachte zwar herrenlose Wracks aus«, sagte sie bissig, »aber ich lasse keine Menschen umkommen.«

Widerspruchslos verfolgte Vierhuz, dass die Frau auf der Standardfrequenz der LFT Hilfe für das angeschlagene Schiff anforderte. Sie gab die Positionsdaten durch, verschwieg aber die eigene Identität.

»Und nun sollten wir verschwinden«, drängte sie dann. »Die terranischen Rettungskreuzer sind schnell.«

 

Am Abend des 23. August 3587 zog Julian Tifflor eine erste Bilanz. Die Flotte der Orbiter verhielt sich abwartend. Quiryleinens Flaggschiff BARDER-NEL stand nahe dem Saturnmond Titan in Warteposition.

Beim Einflug der Keilraumschiffe in das Solsystem war es zu mehreren Zusammenstößen gekommen, die jedoch allesamt für die Terraner glimpflich verlaufen waren. Die Orbiter verzichteten zwar bislang auf den Einsatz tödlich wirkender Waffen, aber schon gegen ihren humanen Irregulator-Strahler gab es keine brauchbare Abwehr.

Tifflor überflog die Berichte von insgesamt fünfzehn gewaltsamen Auseinandersetzungen. Am bedrohlichsten erschienen ihm der Angriff eines Kreuzers im Bereich des Asteroidengürtels auf ein einzelnes Keilschiff und dessen Folgen. Lediglich aufgrund eines Notrufs war die Besatzung des Kreuzers quasi in letzter Sekunde vor der Kollision mit einem Asteroiden bewahrt worden. Die Helfer hatten das führungslose Schiff gerade noch rechtzeitig evakuiert.

25.000 Keilraumschiffe ... Julian Tifflor hatte durchaus die Möglichkeit, alle LFT-Verbände zusammenzuziehen, um die Orbiter mit geballter Macht aus dem Solsystem zu vertreiben. Die Chancen auf einen Erfolg standen fünfzig zu fünfzig, er schob diese Überlegung aber rasch beiseite. Die Orbiter verfügten über Reserven in unbekannter Größenordnung. Mehrere ihrer großen Flotten standen an neuralgischen Positionen und konnten zweifellos schnell nach Sol verlegt werden.

Bei Tifflor befanden sich einige seiner engsten Mitarbeiter und natürlich Adams. Auch sein hartnäckiger Widersacher der letzten Wochen, Merten Tabrizianja, war erschienen. In Anbetracht der kritischen Situation verhielt er sich allerdings loyal.

»Wir haben keine Möglichkeit, die Orbiter gewaltsam zu vertreiben«, stellte Tifflor zum wiederholten Mal fest. »Quiryleinen lässt nicht mit sich verhandeln. Die abwartende Haltung der Orbiter bringt uns aber keinen Millimeter weiter.«

Tabrizianja nickte. »Wie erwartet ist es auf Terra schon zu vereinzelten Unruhen gekommen. Letztlich haben sich die besonnenen Kräfte aber durchgesetzt.«

Tifflor massierte sich mit einer Hand den Nacken. »Unsere Versuche, mehr über die Orbiter zu erfahren, indem wir eines ihrer Schiffe aufbringen, sind schon im Ansatz stecken geblieben«, sagte er. »Nach wie vor stammt der Großteil unseres Wissens von den Flibustiern und nicht zuletzt von dem Amateurarchäologen Sarder. Irgendwo im galaktischen Zentrumsbereich muss es demnach Werftplaneten geben, von denen die Orbiter und ihre Keilschiffe kommen.«

»Hat NATHAN keinen Hinweis gefunden?«, fragte Tabrizianja.

Ein Achselzucken begleitete Tifflors Antwort. »NATHAN sagt, dass er nur spekulieren kann. Wir müssen abwarten, was dabei herauskommt. Einsatzkommandos warten nur darauf, dass wir halbwegs brauchbare Zielkoordinaten erhalten. Voraussetzung für eine Suche ist aber auch, dass die Orbiter das Solsystem nicht völlig abriegeln. Bislang lassen sie unsere Schiffe passieren.«

»Wie sieht es mit Verhandlungen tatsächlich aus?«, fragte ein jüngeres Mitglied des Krisenstabs.

Tifflor machte eine wegwerfende Handbewegung. »Quiryleinen quittiert zwar unsere Funkbotschaften, reagiert aber nicht auf ihren Inhalt. Ich habe schon überlegt, ob wir mitteilen sollen, dass wir technisch gar nicht in der Lage sind, viele Milliarden Menschen zu evakuieren.«

»Ich frage mich, unter welchen Voraussetzungen die Orbiter zu Verhandlungen bereit sein könnten«, warf Adams ein. »Aber ich finde keine brauchbare Antwort.«

Tabrizianja meldete sich noch einmal zu Wort. »Was ist mit den Bestandserhebungen, die wir beschlossen haben? Sie sind unerlässlich für einen Kräftevergleich.«

»Ja, richtig. Uns liegen mittlerweile unerwartet genaue Angaben über die Situation der Siedlungswelten vor. Das Ergebnis ändert indes nichts daran, dass wir keine Möglichkeit haben, den Orbitern mit Waffengewalt entgegenzutreten.«

»Und die Einzelheiten ...?«

Tifflor ließ ein Datenholo aufleuchten.

»Im Solsystem leben seit dem Abschluss des Unternehmens Pilgervater wieder 8,7 Milliarden Menschen. Zu 213 ehemaligen Siedlungswelten unterhalten wir enge wirtschaftliche Beziehungen, zu 48 Systemen beste politische Bindungen. Noch haben nicht alle ihre stimmberechtigten Vertreter zur Erde gesandt, denn diese Welten befinden sich wie wir noch in der Aufbauphase. Wir reden wohlgemerkt nur über knapp vier Milliarden Menschen und eine äußerst geringe Kampfkapazität. Dazu gehört noch Olymp mit 45 Millionen Menschen und 32 Millionen Angehörigen anderer Völker.«

»Und die GAVÖK?«

»Hier muss vor allem die rechtliche Seite geklärt werden. Ich setze einige Hoffnung auf Mutoghmann Scerp, mehr aber noch auf Anson Argyris und seine Mission.«

3.

 

 

»Kannst du schlafen?«, fragte Josto ten Hemmings leise.

»Nein«, lautete die Antwort des Mathematikers Brak.

Die beiden ehemaligen Flibustier bewohnten einen gemeinsamen Raum im Rehazentrum. Mitternacht war schon lange vorbei, doch sie fanden keine Ruhe.

»Was denkst du?«, fragte Brak nach einer Weile.

»Ich denke gar nichts«, antwortete der korpulente Waffentechniker. »Aber ich sehe Bilder, sobald ich die Augen schließe.«

»Bilder?«

»Besser gesagt: Ebenbilder. Ich sehe mich selbst in tausendfacher Kopie. Alle diese Gestalten zeigen mit dem Finger auf mich und schreien mich an. ›Garbeschianer, verschwinde aus der Milchstraße!‹, rufen sie. Und du? Hast du keine solchen Visionen?«

»Doch.« Brak stemmte sich auf den Unterarmen hoch. »Aber ich sehe keinen von uns, sondern ein Heer von Menschen. Ihre bösen Blicke verfolgen mich, selbst dann, wenn ich wie jetzt die Augen offen habe und einfach ins Dunkle blicke.«

»Ob Alkohol gegen diese Wahnvorstellungen hilft?«

»Fang nicht wieder damit an!«, knurrte Brak. »Abgesehen davon wird Coburn dir nicht einen Tropfen zugestehen.«

»Wir sollten mit ihm über diese Visionen reden.«

»Nicht mitten in der Nacht.«

»Dann reden wir eben mit den anderen.« Josto ten Hemmings schwang sich aus dem Bett. »Wenn wir schon nicht schlafen, können die es noch weniger.«

Verwundert schaute Brak auf, als nur Sekunden später der Türsummer ansprach.

Kayna Schatten trat ein. »Es gibt einiges zu besprechen«, sagte sie. »Wie bisher kann es jedenfalls nicht weitergehen. Kommt ihr mit?«

»Wir hatten die gleiche Idee«, bemerkte ten Hemmings wie beiläufig.

Die Anspannung der letzten Tage stand der Planerin der Flibustier ins Gesicht geschrieben. Trotzdem lächelte sie. »Wenn wir alle das gleiche Bedürfnis haben, finden wir leichter eine gemeinsame Entscheidung.«

Sie trafen einander im Aufenthaltsraum. Jeder wirkte übermüdet und abgespannt. Nur Axe schien davon wenig berührt, er lehnte sich in seinem Sessel zurück und schloss die Augen.

»Ich schlafe nicht«, kommentierte er nach einer Weile, ohne die Lider zu öffnen. »Ich finde es nur praktisch, ohne Ablenkung zu diskutieren.«

»Bislang habe ich von dir keinen Mucks gehört«, sagte Tobbon gereizt.

Axe schwieg dazu. Plötzlich aber fuhr er hoch und starrte mit weit aufgerissenen Augen in die Runde. »Quiryleinen«, ächzte er. »Quiryleinen, das bin ich. Ich habe eben mit mir gesprochen.«

»Und was hast du zu dir gesagt?« Kayna Schattens Frage klang ungewöhnlich sanft und geduldig.

Der dicht behaarte Gäa-Geborene blickte die kleine Frau durchdringend an. Ein paar Mal setzte er zur Antwort an, doch es dauerte, bis er seine Worte formulieren konnte.

»Quiryleinen ist der Ansicht, ich sollte mit ihm reden.«

»Hä?«, machte Tobbon.

»Wie meinst du das?« Simudden, der ewige Warner unter den Flibustiern, witterte etwas Verdächtiges.

»Die Sache ist doch ganz einfach.« Die Planerin blickte die Männer entschlossen an. »Keiner von uns findet wirklich Ruhe, uns verfolgen Wahnvorstellungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Sobald ich schlafe, träume ich Grässliches, was mich schnell wieder hochtreibt. Ich weiß nicht, wie ich dazu sagen soll, wahrscheinlich ist es so etwas wie ein allmählich wachsendes Gewissen – die Folge dessen, was hier im Rehazentrum mit uns geschieht.«

»Vergiss nicht die Eindrücke, denen wir bei den Orbitern ausgesetzt waren«, warf Brush Tobbon ein. »Die Untersuchungen ... die Fluchtversuche ... die unermessliche Zahl von Ebenbildern ...«

»Richtig.« Kayna Schatten seufzte. »Coburn hat das immer wieder betont, und ich glaube ihm.«

»Was er sagt, klingt sehr praktisch«, murmelte Axe.

Kayna ging darauf nicht ein. »Hier auf Terra ist für uns nichts leichter geworden«, stellte sie fest. »Die Zusammenstöße mit den Jugendlichen haben uns nur noch mehr verletzt. Ich denke, wir brauchen eine Aufgabe, nach der wir uns selbst wieder mit Achtung betrachten können. Eine Art Wiedergutmachung.«

Für eine Weile herrschte völlige Stille.

Schließlich räusperte sich der Akone Simudden: »Du hast bestimmt etwas in petto. Also spuck's schon aus, Kayna!«

Die Frau leckte sich über die Lippen. »Im Solsystem ist inzwischen der Teufel los, seit die Orbiter da sind. Diese verdammten Doppelgänger sind unser eigentliches Problem; unser Weg zurück in die menschliche Gesellschaft führt wohl nur über sie. Unsere Misere schreit geradezu danach, dass wir mit Quiryleinen verhandeln. Wir müssen ihn davon überzeugen, dass die Menschen keine Garbeschianer sind. Das ist es, was ich will, und wenn ich mich dafür in Stücke reißen lassen müsste.«

Die Männer blickten einander an. Keiner erhob Widerspruch.

Ausgerechnet Axe klatschte demonstrativ in die Hände. »Auch wenn es mitten in der Nacht ist, ich rufe Coburn an. Er muss sich bei Tifflor für uns einsetzen, damit wir den Job kriegen. Ich will endlich wieder ruhig schlafen können.«

 

Homer G. Adams erwartete Tifflor schon sehr früh am Morgen in dessen Arbeitsraum in Imperium-Alpha. Als Träger eines Zellaktivators kamen sie beide mit nur zwei Stunden Schlaf durchaus zurecht.

»Was gibt es Neues?«, fragte der Erste Terraner anstelle einer Begrüßung.