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Band 37/38

 

ALBATROS

 

Die größte Schau des Universums

 

Ernst Vlcek

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Die Frühzeit der Kosmischen Hanse wird wieder lebendig

Die Kosmische Hanse ist eine von Menschen gegründete Handelsorganisation, die zahlreiche Planeten miteinander verknüpft. Ihr geheimes Ziel ist, die Mächtigkeitsballung von ES vor den Ränken der feindlichen Superintelligenz Seth-Apophis zu schützen.

 

Seth-Apophis wirkt durch Agenten, die nichts davon wissen, dass sie im Dienst einer fremden Macht stehen. Doch wenn sie »aktiviert« werden, begehen sie auch schrecklichste Verbrechen. Der Mutant Fellmer Lloyd macht es sich zur Aufgabe, Personen ausfindig zu machen, die diese Agenten rechtzeitig entdecken können. Dabei stößt er auf eine unbegreifliche Macht ...

 

Im Jahr 1967 alter Zeitrechnung verschwindet in Paris ein Zirkus spurlos. Im vierten Jahrhundert Neuer Galaktischer Zeitrechnung taucht er plötzlich wieder auf, als sei nichts geschehen. Was steckt hinter diesem Geheimnis? Ist der Zirkus etwa eine Falle von Seth-Apophis? Ein Hanse-Spezialist soll es herausfinden ...

 

Dieser Band präsentiert zwei Romane von Ernst Vlcek, der lange Zeit die PERRY RHODAN-Serie als einer ihrer Exposéautoren steuerte. Sie beleuchten einige der Geschehnisse, die sich in der frühen Zeit der Kosmischen Hanse ereignet haben – und sie geben tiefere Einblicke in eine hochinteressante Epoche der PERRY RHODAN-Serie ...

Inhaltsverzeichnis

 

 

Erstes Buch

ALBATROS

 

Zweites Buch

Die größte Schau des Universums

 

 

 

ALBATROS

 

Abenteuer in Moms Garten – dem Zentrum der Para-Kräfte

Gefahr aus dem Dunkeln

 

Die Gründung der Kosmischen Hanse ist allen Menschen der Liga Freier Terraner und sicherlich auch dem Großteil der anderen Milchstraßenbewohner gut in Erinnerung. Zu eindeutig waren die Zeichen: Statt des Jahres 3588 schrieb man auf Terra und den Welten unter seinem Einfluss plötzlich das Jahr 1 einer neuen Zeitrechnung. Dass sich alle Menschen, ungeachtet von Rang und Stand, plötzlich duzten, fiel im Vergleich hierzu kaum auf. Derlei Entwicklungen hatte es in der Geschichte der Menschheit immer wieder gegeben, wenn auch lokal beschränkt und selten von langer Dauer.

Aber eine »Neue Galaktische Zeitrechnung«? Viele Völker der Milchstraße hielten dies für eine beispiellose Anmaßung der Terraner. Viele befürchteten, dass sich unter dem Deckmantel der Liga Feier Terraner gleichsam durch die Hintertür wieder ein Solares Imperium erhöbe, eine alte und zugleich neue Macht mit hegemonialem Anspruch. So schlimm die Milchstraße von der 125 Jahre dauernden Larenherrschaft auch betroffen worden war – dem Solaren Imperium als erklärte Führungsmacht trauerte niemand nach. Entsprechend groß war das Misstrauen.

Niemand konnte zu diesem Zeitpunkt ahnen, wie gerechtfertigt diese Zeitumstellung auch unter galaxisweitem Gesichtspunkt war. Die Gründung der Kosmischen Hanse läutete nur vordergründig eine Renaissance Terras ein: Zum ersten Mal seit langer Zeit standen die Völker der Milchstraße wieder in direktem Konflikt mit den Streitkräften einer anderen Superintelligenz.

Die Galaktiker (ein Begriff, der seinerzeit noch kaum benutzt wurde) waren plötzlich direkt in einen größeren kosmischen Konflikt eingebunden, der sie bislang nur am Rande betroffen hatte: der Auseinandersetzung mit der negativen Superintelligenz Seth-Apophis. Und die Kosmische Hanse war die Speerspitze dieses Kampfes.

Nur, dass dies noch nicht einmal die Mehrzahl der Terraner wusste – geschweige denn der Rest der Galaxis.

Die meisten Geheimdokumente aus der Gründungszeit der Hanse sind selbst heute noch nicht offen zugänglich. Aber es ist klar, dass umfassende Vorbereitungen getroffen werden mussten, die in der besonderen Natur des neuen Gegners und seiner speziellen Vorgehensweise begründet waren.

Ein wichtiger Punkt war, dass Seth-Apophis offensichtlich nach Belieben und ohne äußere Anzeichen »Schläfer« rekrutieren konnte, die selbst nicht wussten, dass sie als Agenten vorgesehen waren. Solange sie nicht aktiviert wurden, war es nahezu unmöglich, solche Schläfer zu identifizieren.

Dass eigenes Personal durch einen Gegner übernommen werden konnte, war den Terranern zwar seit der Cappinkrise bekannt, und man hatte Möglichkeiten der Identifizierung entwickelt. Allerdings erwiesen sich die meisten der bewährten »Cappinspürer« (so sie denn noch lebten) als nutzlos angesichts dieser neuen Gefahr.

Und so mussten unter großer Geheimhaltung und immensem Kostenaufwand neue Projekte ins Leben gerufen werden. Eines davon war die vom Mutanten Fellmer Lloyd geleitete Organisation zur Aktivierung potenziell Sensitiver. Auf einem eigenen Asteroiden forschte man nach Möglichkeiten zur Entdeckung von Agenten der Seth-Apophis. Der Erfolg war gering, die aus den Forschungen hervorgehenden »Nebenbedrohungen« indes oft schwerwiegend. Vermutlich nicht zuletzt deshalb sind die meisten diesbezüglichen Unterlagen nach wie vor unter Verschluss.

 

(Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 13. Jahrhunderts NGZ; Kapitel 1.4.12, Notwendige Weiterentwicklungen von Grundlagen und Wissen aus der Vor-Hanse-Zeit)

1.

 

Mom, magst du mich wirklich?

Aber ja, Omni, du bist Moms Liebling.

Nur Mom nannte ihn so: Omni. Für die anderen war er Springinsfeld, Plappermaul oder Plaudertasche, je nachdem, ob sie gut auf ihn zu sprechen waren oder nicht, ob sie seine Redseligkeit hervorheben wollten oder seine Erzählkunst. Er war ein quicklebendiger Junge, und er konnte ganz vortrefflich Geschichten erzählen, o ja, das konnte er. Besonders seine Eltern, Grauheimchen und Gutmut, wussten das zu schätzen und waren darum sehr stolz auf ihn, und sie nannten ihn zärtlich und ehrfürchtig Poe, was von Poet abgeleitet war.

Er hatte viele Rufnamen, alles Abkürzungen, Zusammensetzungen oder Verballhornungen, die auf seine Fähigkeiten und Eigenschaften hinzielten und auch die augenblickliche Stimmung desjenigen ausdrückten, der ihn anredete oder über ihn sprach.

Sie sagten: »Bitte eine Geschichte, Plauderer!«, wenn sie ihm schmeicheln und etwas von ihm wollten. »Halt doch die Luft an, Plapperer!«, schalten sie ihn, wenn er ihnen zu viel redete. Und wenn er den gewissen entrückten Blick hatte, den er immer bekam, wenn seine Fantasie ihn auf Reisen führte, dann fragten sie erwartungsvoll: »Wohin zieht es dich diesmal, Träumer?« Denn sie wussten, dass er danach wieder eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen hatte.

Er hörte praktisch auf jeden Namen, denn er wusste schon, wann er angesprochen war. Doch selbst sah er sich als großen weißen Vogel, der uneingeschränkte Freiheit genoss und sich auf ständiger Wanderschaft durch die Unendlichkeit befand.

Der große weiße Vogel – Albatros – möchte ich sein. Das war sein Geheimnis, darüber wisperte er mit niemand. Dieses Geheimnis kannte nicht einmal Mom, und wenn sie es kannte, so behielt sie es für sich. Er hätte es gerne gehört, dass jemand ihn Albatros nannte, aber darauf kam offenbar niemand von selbst, und darauf hinweisen mochte er nicht.

Dieses Wunschbild, der große weiße Vogel, stammte aus einem Albtraum, es gehörte einem alten, leeren, gebrochenen Mann, der nichts außer diesem weißen Vogel in sich trug; der nur diese eine große Sehnsucht kannte: frei und ungebunden wie ein Albatros zu sein. Sonst besaß dieser arme Mann nichts, weder eine Erinnerung noch irgendwelche Wunschvorstellungen. Dieser Albtraum hatte Poe sehr gerührt, und er hatte danach geweint.

Warum weinst du, Omni?

Gibt es einen großen weißen Vogel, der Albatros heißt, Mom?

Gewiss. Bei uns gibt es alles, was es gibt.

Und wo finde ich den Albatros?

Finde dich erst einmal selbst, Omni.

Das war eine äußerst unbefriedigende Antwort gewesen, und er hatte sich vorgenommen, sich auf die Suche nach dem Albatros zu machen. Den großen weißen Vogel zu finden, wurde für ihn zu einer fixen Idee. Aber der Albtraum kam nicht wieder, er hatte viele andere intensive Träume, und seine Fantasie wurde umfangreicher und ausgeprägter, so dass seine Sehnsucht abklang, weil sie von immer neuen Eindrücken verdrängt wurde. Es gab so vieles Neue zu entdecken, so viele Erfahrungen zu sammeln, dass das Alte darunter verblasste, verschüttet wurde. Aber irgendwo in seinem Hinterkopf zog der große weiße Vogel weiterhin seine Kreise.

Er erinnerte sich noch gut seines ersten Traumes. Er hatte ihn mit vier oder so gehabt und fand heute, dass es eine ziemliche wirre Abfolge von Bildern und Klängen war, die ihm seine unreife Fantasie da bescherte. Als er zu seinen Eltern gelaufen kam, um ihnen von seinem Erlebnis zu berichten, da waren sie ganz selig gewesen.

Gutmut, den er damals noch artig Vater nannte, nahm ihn auf den Schoß. Grauheimchen, die damals weder mausgrau noch still und in sich gekehrt gewesen war, sondern das letzte Wetterleuchten ihrer abklingenden Fantasie genoss, wie sie ihm später sagte, war vor ihn hingekniet.

»Erzähle uns von deinem Erlebnis, Häschen«, baten ihn seine Eltern, für die er noch kein Poet war, sondern ein drolliges Kindchen. »Hab keine Scheu, erzähle frei von der Leber weg.«

Und während sie gebannt an seinen Lippen hingen, hatte er seine erste Geschichte erzählt, so wie sie ihm im Traum eingegeben worden war: so wirr und mit so vielen fremden Begriffen ausgeschmückt, die er vorher noch nie gehört hatte, deren Bedeutung ihm aber bewusst war, ohne dass sie ihm jemand erklärte.

Und so hatte er die Geschichte, dieses Märchen, seinen Eltern wiedergegeben: Es war einmal ein hässlicher Planet.

Niemand mochte ihn, alle Raumfahrer wichen ihm aus. Denn dieser hässliche Planet hatte eine zu starke Gravitation, und seine Atmosphäre war giftig. Er wurde von schrecklichen Ungeheuern bevölkert, den wildesten und grausamsten Kreaturen des Universums, denn sie allein konnten hier überleben. Über die Oberfläche des hässlichen Planeten fegten Orkane, aus dem permanenten Wolkenmantel ergossen sich Wassermassen in Strömen, und aus seinem Innern eruptierte Magma. Feuer und Wasser bildeten den unseligen Kreislauf, und dieser ewige Kampf der Elemente war der Fluch, der auf diesem Planeten lastete. Denn diese gegensätzlichen Elemente verhinderten, dass diese Welt erblühen und ein menschenfreundliches Kleid bekommen konnte. Der Planet war verhext, ein böser Zauber lastete auf ihm, so dass keinerlei Chance bestand, dass Menschen auf ihm siedeln würden, sie machten einen großen Bogen um den hässlichen Planeten. Da er auch überaus arm an Bodenschätzen war, wurden nicht einmal Roboter ausgesetzt, um hier zu schürfen.

So besaß der hässliche Planet keine Möglichkeit, auf sich aufmerksam zu machen und von seinem Fluch erlöst zu werden.

Doch da geschah eines Tages ein Wunder. Eine Schöne strandete auf dem Hässlichen. Dieser Mensch verlor sein Raumschiff und damit jegliche Fluchtmöglichkeit, so dass er in der Hölle des hässlichen Planeten gefangen war. Das Wunderbare aber war, dass die Schöne nicht mit ihrem Schicksal haderte und sich ihm nicht überließ. Sie war nicht nur schön, sondern auch stark, klug und von untadeligem Charakter. Sie nahm den Hässlichen, wie er war, trotzte allen Gefahren und setzte sich gegen alle Widernisse durch.

Und siehe da, der hässliche Planet wurde durch die Liebe und den Mut eines einzigen Menschenkinds von seinem Fluch erlöst und durfte nun in paradiesischer Pracht erblühen.

Aus dem hässlichen Planeten war eine schöne Welt geworden.

 

Nachdem er geendet hatte, herrschte eine ganze Weile Schweigen, von dem er zuerst nicht wusste, was er davon halten sollte. Aber dann – zum ersten Mal in seinem Leben – vernahm er das Wispern der Gedanken seiner Eltern, und es drückte Freude und Glücksempfinden und noch ein breites Spektrum weiterer schöner Gefühle aus. Und die Worte seines Vaters bestätigten seinen Eindruck.

»Er hat es«, sagte sein Vater gerührt. »Unser Sohn hat endlich seine Fantasie bekommen.«

Seine Mutter fuhr ihm durch den wirren Haarschopf, küsste ihn ab und sagte: »Du wirst uns immer alles erzählen, was du träumst, Häschen, nicht wahr? Du darfst uns keinen Traum verschweigen.«

Er versprach es; er war ja damals zu jung, um die Bedeutung eines solchen Versprechens zu begreifen. In der Folge verfielen seine Eltern immer mehr, sie bemühten sich nicht einmal darum, um ihre entschwindende Fantasie zu kämpfen, und wurden allmählich zu Grauheimchen und Gutmut. Sie wurden schneller alt, als er seine zweiten Zähne bekam. Und das war lange, bevor er seinen Albtraum hatte und sich danach sehnte, ein Albatros zu sein, und diese Sehnsucht allmählich wieder zu vergessen drohte.

Er war bald kein Häschen mehr, wurde zu Springinsfeld, einem aufgeweckten Jüngling, und zum Meistererzähler im Dorf, zum Plauderer, Plaud oder Plau. Und es war eine besondere Auszeichnung, dass seine Eltern ihn Poe nannten.

Für ihn wurde diese Ehre manchmal zu einer großen Belastung, denn er hätte viel lieber still vor sich hingeträumt, als immer wieder seinem Ruf als Erzähler nachkommen zu müssen. Aber, wie gesagt, es belastete ihn nur manchmal, und dann zeigte er es nicht; ansonsten gefiel es ihm ganz gut, sich vor den fantasielosen Erwachsenen hervortun zu können.

Die Erwachsenen besaßen wenigstens genügend Phantasie, sich die erzählten Träume vorstellen und ausmalen zu können. Aber sie besaßen nicht mehr die Fantasie, sie selbst zu träumen. Warum das so war, das wusste Poe nicht, und nicht einmal Mom hatte ihm diese Frage beantworten können oder wollen. Als er Grauheimchen einmal diese Frage gestellt hatte, antwortete sie: »Mom gibt und Mom nimmt. Aber wozu brauchen wir Fantasie, wenn wir dich haben?«

Daraufhin hatte Poe das Thema gewechselt und eine Frage gestellt, die ihn ebenfalls brennend interessierte. »Hast du Mom schon einmal gesehen?«

»Mom ist überall, alles ist Mom«, hatte Grauheimchen geantwortet.

»Ja, ich weiß, das sagt man allgemein. Aber hast du schon einmal näheren Kontakt mit Mom gehabt? Ist dir Mom schon wenigstens einmal in einer Inkarnation gegenübergetreten?«

Daraufhin war Grauheimchen so sehr erschrocken, dass er seine Frage sofort wieder bereute. »Dir etwa schon, Poe?«

»Nein«, hatte er wahrheitsgetreu geantwortet und verschwiegen, dass er fast ständig mit Mom wisperte. Denn die Reaktion seiner Mutter hatte ihm gezeigt, dass Mom für sie eine höhere Macht, etwas Fiktives war und nicht ein lebendes Wesen. Er wollte ihren Glauben nicht erschüttern, indem er sie wissen ließ, dass er Zwiegespräche mit Mom führte.

Mom, magst du mich wirklich?

Wie oft willst du es denn noch hören, dass du mir von allen der Liebste bist, Omni?

Dann zeige dich mir.

Ich bin überall um dich.

Aber ich möchte dich in deiner Gestalt sehen, Mom.

Es ist besser, du hörst mich in deiner Fantasie und siehst mich bloß in deiner Phantasie, Omni.

 

Einige Tage nach dem Gespräch mit seiner Mutter fasste er sich ein Herz und teilte sich seinem Vater mit. Er sagte geradeheraus: »Manchmal – eigentlich, wann immer ich will – kann ich mit Mom wispern. Was sagst du dazu?«

Für einen Moment hellte sich das Gesicht seines Vaters auf, er schien seine Jugend zurückzugewinnen und von einem müden Alten zu einem Fantasiebegabten zu werden. Er sagte lächelnd: »Ja, ja, ich weiß, wie das ist.«

»Dann hast du das früher auch gekonnt? Und Heimchen auch?«

Gutmut nickte, und dabei umspielte ein erinnerungsseliges Lächeln seinen Mund.

»Warum hat Heimchen mir das verschwiegen?«

Sein Vater zuckte die Schultern und meinte: »Weißt du, Poe, für unsereinen ist das alles schon zu lange her, und manchmal erkennt man die Grenze zwischen Einbildung und Wirklichkeit nicht mehr. Für manche Erwachsene ist es schwer, über die eigenen Kindheitserlebnisse richtig zu urteilen. Darum verdrängt man sie. Mom ist für deine Mutter so etwas Unvorstellbares geworden, dass sie am liebsten nicht darüber spricht.«

»Und was ist mit dir, Vater?«

»Ich höre lieber dich als mich sprechen.«

»Ich habe nur noch eine Frage. Hast du Mom jemals gesehen? Durftest du Mom von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen?«

»Du grübelst wie ein Alter, Poe«, sagte Gutmut traurig, und dabei wurde er zu einem richtigen Seni, dessen jedem einzelnen Wort die Senilität schwer anhing. »Aber ich will es dir verraten: Ich habe Mom überall gefunden. Und ich fühle mich heute wie damals wohl in Moms Garten.«

Poe musste daraufhin flüchten, um seinem Vater nicht irgendeine Grobheit ins Gehirn zu plärren.

 

Es war ein Morgen nicht wie jeder andere, obwohl der Tagesbeginn seinen normalen Lauf zu nehmen schien. Aber Poe fühlte, dass etwas in der Luft lag, wie er es nannte, wenn ihm seine Fühligkeit für bevorstehende Ereignisse etwas Ungewöhnliches erahnen ließ. Er wusste nur noch nicht, was ihm der Tag bescheren würde. Er hatte schlecht geschlafen, und der Grund dafür mochte sein, dass ihn seine Vorahnung des Kommenden schon in der Nacht geplagt hatte.

Beim Frühstück belauschte er Grauheimchens und Gutmuts Gedanken, doch verliefen diese in normalen Bahnen. Als seine Mutter das Frühstück brachte – Ziegenmilch mit Käse und Brot und Früchte aus Moms Garten –, dachte sie: Poe könnte wieder mal was erleben ...

Laut sagte sie: »Nehmen wir Mom in uns auf.«

Sie sagte es stereotyp, wie ein pflichtmäßiges Morgengebet. Gutmut nickte dazu, schwieg; er nahm das Frühstück schweigend zu sich. Dabei dachte er: Es würde mich interessieren, ob ich noch in der Lage wäre, mich Poe zu sperren. So alt fühle ich mich doch gar nicht, ich bin nur aus der Übung. Wenn ich mich darauf konzentrierte, eine Gedankensperre zu errichten, müsste es mir gelingen zu verhindern, dass Poe mich belauscht.

»Das kannst du nie, Vater«, sagte Poe nach Beendigung des Frühstücks und verließ das Haus. Er empfing im Fortgehen Gutmuts grüblerische Gedanken; der müde Alte war nicht einmal in der Lage, Poes Bemerkung mit seinen vorangegangenen Überlegungen zu assoziieren.

Das Dorf war längst aufgewacht. Vor fast allen Häusern saßen die Erwachsenen. Sie lächelten ihm zu, wenn er an ihnen vorbeikam, oder wünschten ihm einen guten Tag. Aus Moms Garten, von weit außerhalb des sicheren Dorffrieds, erklang das heisere Brüllen eines hungrigen Raubtiers, es war so weit weg, dass Poe es nicht wispern konnte – das heißt, er hätte es sicher aushorchen können, wenn er es unbedingt gewollt hätte. Aber es lag ihm nichts daran.

Poe erreichte das Haus von Keß. Ihr Vater saß auf der Altenbank neben der Eingangstür, blinzelte in die Sonne. Er hörte schon schlecht und schreckte förmlich hoch, als Poe vor ihm auftauchte.

»Hast du mir einen Schreck eingejagt, Poe«, sagte Keß' Vater. »Ich dachte, du seist der schwarze Panther, der mich gerufen hat.«

Poe lachte pflichtschuldig, weil er dachte, das sei ein Witz, aber er hörte damit auf, als er die Gedanken des Alten empfing. Er bildete sich tatsächlich ein, dass der schwarze Panther, der in der Ferne brüllte, ihn als Beute auserkoren hatte und ihn rief. Was war er doch für ein Seni!

Keß kam aus dem Haus, fiel Poe um den Hals und küsste ihn. Poe wurde dabei ganz seltsam zumute. Keß hielt ihn von sich, zwinkerte ihm zu und rief lachend: »He, Plau, hast du schon Ameisen in der Hose?«

Er wollte daraufhin wütend werden, aber die Nähe von Keß' Eltern ließ ihn die Flucht ergreifen.

»Warte doch, Plau.« Keß kam ihm blitzartig nachgewandelt. Sie war ein zierliches, kokettes Mädchen mit blonden, seitlich abstehenden Zöpfen – und eine gute Formerin. Sie konnte einen großen Haufen Mist im Nu in ein Kunstwerk verwandeln, wofür jeder andere Stunden oder Tage gebraucht hätte. Sie hakte sich bei ihm unter und passte sich seinem Schritt an. »Es war doch nicht so gemeint. Es ist doch nicht schlimm, wenn du in das gewisse Alter gekommen bist. Mit sechzehn wäre das nur natürlich. Du brauchst eine Gefährtin, ich weiß.«

Er versetzte ihr einen derartig starken Kick, dass sie einige Schritte von ihm fortgeschleudert wurde und sich erst knapp vor einer Hausmauer abfangen konnte. Sie sah ihn zuerst wütend an, dann grinste sie böse.

»Pass mal auf, Traumtänzer!«, sagte sie giftig, und dann plärrte sie derart intensiv, dass Poe meinte, dass selbst der Dorfseni sie hören musste: Hört, hört, Poe ist verliebt. Poe hat die Liebe entdeckt! Poe ist verliebt!

Poe wäre am liebsten im Erdboden versunken, und er hätte sich unsichtbar gemacht, wenn er dadurch dem Spottgewisper der anderen hätte entrinnen können.

Wirklich?

Poe, wie ist dieses Gefühl? Stärkt es die Fantasie?

Wer ist die Glückliche?

Auf, auf zum fröhlichen ...

Poe konnte die Sticheleien nicht mehr hören. Er hielt die Luft an, bis er glaubte, der Kopf würde ihm platzen. Er wartete, bis der Druck in seinem Gehirn übermächtig wurde – dann atmete er aus. Sein aus Zorn geborener Gefühlsstau entlud sich in einem blitzartigen Orkan, der zehn Schritt im Umkreis wirkte. Als Poe wieder zur Besinnung kam und sich sein Blick klärte, sah er vor sich die Trümmer einer Hütte.

Mom, habe ich das getan?, fragte er erschrocken.

»Du dämlicher Gockel!«, hörte er eine zornige Stimme rufen. »Was fällt dir ein, so zu wettern.«

»Sei nicht garstig, Bruder«, vernahm er daraufhin eine besänftigende Mädchenstimme. »Plau wurde gereizt und hat in verständlicher Erregung gehandelt. Es ist ja nichts passiert.«

Poe sah Feiß und seine Schwester Hand in Hand aus den Trümmern des Hauses schweben. Ihrer beider Eltern waren links von ihm materialisiert; ihre Kleidung sah mitgenommen aus, sie selbst schienen nicht verletzt. Aber man sah ihnen an, dass sie unter Schock standen.

»Es tut mir leid«, sagte Poe in ihre Richtung. »Ich wollte es nicht ... ich wusste gar nicht, dass ich so wettern kann. Ich werde den Schaden wiedergutmachen.«

»Macht nichts«, sagte die Mutter des ungleichen Geschwisterpaars.

»Das kostet dich eine Geschichte als Buße«, scherzte der Vater. Er wiegte den Kopf. »Na, du bist mir vielleicht ein Wirbelwind, Springinsfeld.«

Feiß kam zu Poe und starrte ihm herausfordernd in die Augen. Er war groß und fett, eben ein richtiger Feiß. Er war so träge, dass er seine Körpermassen nicht einmal richtig in die Schwebe bringen konnte, und selbst wenn er wisperte, klang es ölig und schleimig. Seine Schwester Empi war mit diesem Bruder gestraft. Sie war etwas älter als Poe und auch älter als ihr Bruder, sie wirkte nur wegen ihrer knabenhaften Gestalt und ihrem kurz geschnittenen Haar wie ein kleines Mädchen. Poe wurde rot, als er an sie dachte.

»Das kostet dich was, Plau«, sagte Feiß. »Niemand, nicht einmal ein verliebter Gockel, spielt innerhalb des Dorffrieds ungestraft den Poltergeist. Der Wiederaufbau des Hauses ist für dich keine echte Buße, das kostet dich nur ein paar Gedanken nebenbei.«

»Was verlangst du?«, fragte Poe und bemühte sich, nicht an Empi zu denken, doch fürchtete er, dass er ihr nichts vormachen konnte.

»Na, wie wär's damit, wenn du dich in einer Sportart mit mir misst, die ich bestimme?«, sagte Feiß.

»Mit dir?«, fragte Poe ungläubig.

Ja, mit mir, du Großmaul!, schleuderte ihm Feiß entgegen. Und er schrie so laut, dass das ganze Dorf es hören konnte: »Vielleicht kann ich was, was du nicht kannst!«

»Einverstanden«, sagte Poe. »Woran hast du gedacht?«

Feiß grinste schleimig.

»Das sollst du herausfinden, Plaud«, sagte er. »Du hast Klasse und Rasse und glaubst, uns anderen in allen Disziplinen überlegen zu sein. Es müsste dir ein Leichtes sein, mich zu durchschauen und auch zu schlagen. Wenn du die Herausforderung annimmst, dann gilt sie von jetzt an. Einverstanden?«

»In Ordnung.«

»Gut.« Feiß grinste wieder, siegesgewiss. »Dann mach dich auf einiges gefasst, Plaud.«

Er entfernte sich und entschwand während des Gehens. Poe konnte sein Wispern noch kurze Zeit hören, obwohl er unsichtbar war, doch dann schirmte er seinen Gedankenstrom ab. Feiß war wie aus Moms Garten verschwunden.

»Kommst du mit, Plau?«, fragte Empi und ergriff seine Hand. Als Poe auf die Trümmer des Hauses deutete, fügte sie hinzu: »Das hat Zeit bis später. Ma und Pa kommen einstweilen bei Freunden unter, nicht wahr?« Ihre Eltern nickten eifrig dazu. »Machen wir uns mit den anderen einen vergnügten Tag. Du musst auf andere Gedanken kommen, Plau. Dein Seelenzustand gefällt mir gar nicht.«

Sie führte ihn an der Hand zum Dorffried, dahinter begann Moms Garten, die Wildnis. Ihre Eltern riefen ihr noch nach: »Passt gut auf euch auf. Da schleicht ein Raubtier um das Dorf.« Das war die Mutter. Und der Vater: »Bring doch wieder mal Wild für einen saftigen Braten mit, Empi, ja?«

»Sie sind alt und wunderlich«, sagte Empi entschuldigend. »Aber sie sind herzensgut, und darum mag ich sie. Mom allein weiß, wie sie zu Feiß gekommen sind.«

Empi ließ Poes Hand los und schwebte empor.

»Komm!«, rief sie ihm zu. »Machen wir's den Wolken nach.«

Poe wollte sie daran erinnern, dass er im Lustwandeln nicht so besonders war, verkniff es sich dann aber. Er würde alles tun, um für einige Zeit mit Empi allein zu sein.

Aus der Ferne meldeten sich Keß, Wiwiw, Swapper, Kirre und die anderen.

Tut mir leid, Plau, dass ich so kiebig war. Sind wir wieder Freunde?

Klar, Keß.

Hüte dich vor Empis Bruder, Plau. Er ist ein richtiger Heimlichfeiß. Er verheimlicht uns irgendein Talent.

Danke, Wiwiw.

Was quasseln wir, gehen wir lieber auf Pantherjagd.

Poe wollte Swapper schon antworten, doch da meldete sich Mom in seinem Geist.

Der schwarze Panther hat Schonzeit. Jagt Gazellen, wisperte sie.

Meine Alten wünschen sich einen Wildbraten, mischte sich da Empi ein. Wie wäre es, wenn wir uns eine Gazellenherde suchten?

Poe war verblüfft, denn Empis Reaktion war so, als hätte auch sie Moms Wispern vernommen. Dabei hatte er gedacht, dass er persönlich angesprochen worden war.

Einverstanden, treffen wir uns in der Steppe bei unserem Affenbrotbaum, meldete sich Kirre aus der Ferne. Mit einem Seitenhieb auf Poe fügte er hinzu: Pass auf dich auf, Empi. Vielleicht ist Plau auch so ein verschlagener Typ wie dein Bruder.

Sei nett, Kirre, erwiderte Empi.

 

Poe schwebte neben Empi mit den Wolken dahin. Sonst hielt er nicht viel von dieser Art des Lustwandelns, er träumte lieber von fremdartigen Lebewesen und exotischen Landschaften, er hatte geradezu einen Heißhunger auf solche Träume, als müsste er so viele wie nur möglich in sich aufsaugen, bevor ihn seine Fantasie verließ. Aber mit Empi machte das Spaß. An ihrer Seite fühlte er sich wie ein Vogel – wie ein großer weißer Vogel, der ruhelos wanderte und frei wie der Wind war. So frei und majestätisch und ungebunden wie ein Albatros.

»Ist das nicht herrlich?«, wollte Empi wissen.

»Mhm.«

Poes Kehle war auf einmal wie zugeschnürt, sein Gehirn ein Eisblock, in dem seine Fantasie eingefroren war.

»Plau, warum gibst du dich so unglücklich?«, fragte sie ihn, tauchte lachend in eine Wolke ein und stieß wieder daraus hervor. Ihr Kopf war dabei weit zurückgebeugt. »Bitte, lache, Plau. Ich möchte dich nicht als Inkarnation allen Unglücks aus Moms Garten fühlen.«

»Ich habe schlecht geschlafen.«

»Ich weiß warum. Du liebst mich, Plau.«

Er wurde vor Schreck schwer wie ein Stein und fiel in die Tiefe. Empi fing ihn auf und holte ihn zu sich hoch.

»Sei unbesorgt, die anderen können unser Gespräch nicht belauschen«, sagte sie. »Ich habe immer geglaubt, deine Zuneigung zu mir sei bloß Freundschaft. Aber seit heute Morgen weiß ich, dass du dich in mich verliebt hast, Plau. Ich kann nicht schweigend darüber hinweggehen, dafür empfange ich deine Emotion zu stark. Wir müssen darüber sprechen, um klare Linien zu schaffen.«

»Klare Linien!«, wiederholte er bitter. »Das hört sich abweisend an.«

»Bleib gescheit, Plau«, sagte sie. »Ich möchte deine Freundschaft behalten, sie ist das Schönste, das ich im ganzen Dorffried empfange. Aber ich kann deine Liebe nicht erwidern – nicht diese Art von Liebe, die körperliche, die dich letzte Nacht geplagt hat. Dafür habe ich mich einem anderen versprochen.«

Es schnürte ihm wieder die Kehle zu, sein Gehirn gefror zu einem Eisblock, Empi musste ihn ein gutes Stück des Weges tragen. Er sammelte sich allmählich wieder, versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Er wollte das Thema wechseln, er schämte sich und wollte sich nicht völlig lächerlich machen.

»Landen wir«, sagte er und ließ sich fallen. Träumen, träumen, das wäre schön. »Ich möchte dir eine Frage stellen, die mich schon lange plagt.«

Sie landeten auf einer Lichtung in der Wildnis. Rings um sie war nur das Wispern harmloser Kleintiere und das Säuseln ungefährlicher Pflanzen.

»Empi, wie stehst du zu Mom?«, fragte er.

»Wie alle anderen auch, vermute ich ...«, sagte sie nachdenklich. Doch dann schüttelte sie den Kopf, und ihr Gesicht veränderte sich, zeigte einen Ausdruck, der eine Mischung aus Tadel und kameradschaftlicher Anteilnahme war. »Lenke nicht ab, Plau, kapsele dich nicht ab. Wir müssen dein Problem aus der Welt schaffen. Träume einmal nicht. Ich möchte von dir wieder Gefühle wie früher empfangen. Ich mag dich nicht leiden fühlen, sonst leide ich mit. Du bist mein Freund, mein Auserwählter ist Kirre.«

Kirre!

Sie zuckte unter seinem Plärren zusammen.

»Er hat dich ganz kirre gemacht«, sagte er bitter. »So ist es doch, nicht wahr? Du musst das als Gefühlsempfängerin doch spüren.«

Aber sie schüttelte den Kopf.

»Kirre kann einem mancherlei einsuggerieren. Er kirrt die wildeste Bestie aus Moms Garten zu einem lammfrommen Haustier. Aber er könnte eine Empathin wie mich nicht so beeinflussen, dass sie wider ihren Willen Liebe empfinden könnte. Ich habe gewählt und befunden, dass Kirre für mich der beste Partner fürs Leben ist.«

Poe schwieg. Er wollte träumen, ein Albatros sein und fortfliegen ...

»Sei nicht traurig, Plau – bitte.«

»Ich muss allein sein.«

Er hätte nicht zu jagen vermocht, konnte das Wispern anderer Menschen nicht ertragen.

»Kannst du auch Moms Wispern vernehmen?«, fragte er fast barsch.

»Wer denn nicht?«

»Nennt sie dich ihren Liebling?«

»Plau! Du weißt so gut wie ich, dass kein Mensch die besondere Gunst von Mom besitzt. Alle Wesen, jeder Käfer, jeder Vogel, jede Blüte in ihrem Garten, sind den anderen gleichgestellt.«

Poe sprang fort, weit weg von Empi.

Nur du bist Moms besonderer Liebling, Omni, glaube mir.

2.

 

Keß' Vater hatte sich fein herausgeputzt. Er hatte sich sogar den struppigen Oberlippenbart, der ihm den Namen Kater eingebracht hatte, mit einer Kerze abgebrannt. Er trug auch sein bestes Gewand, das Keß für ihn aus Pflanzenfasern geformt hatte.

So präsentierte er sich der Gemeinde. Die Jungen waren alle ausgeflogen, so dass die Erwachsenen unter sich waren.

»Wie sollen wir dich denn nun nennen, wo du keinen Katerbart mehr hast«, scherzte Gutmut. Alle lachten.

»Ihr dürft mich als Kater in Erinnerung behalten«, sagte Keß' Vater. Wieder lachten einige.

Kater suchte zuerst den Dorfseni auf, um von ihm Abschied zu nehmen.

»Leb wohl, Methusalem, ich gehe ja nicht für immer.«

»Aber warum du und nicht ich?«, sagte der Dorfseni. »Ich bin der Älteste im Dorf und hätte ein Vorrecht.«

»Moms Wege sind unerforschlich«, erwiderte Kater. »Sie gibt und nimmt, und wir müssen es nehmen, wie sie es bestimmt.«

»Ich beneide dich«, sagte der Dorfälteste und drückte ihm die Hand. »Ich hoffe, dein Gehör trügt dich nicht, und du gehst den richtigen Weg.«

»Mein Gehör mag nachgelassen haben«, sagte Kater und tippte sich an die Stirn. »Aber mein Geist ist noch rege. Ich kann sehr gut dem Ruf des schwarzen Panthers folgen. Dir, Methusalem, wünsche ich, dass auch du schon bald das letzte Wispern hörst.«

Sie begleiteten Keß' Vater bis zum Dorffried, winkten ihm zu und riefen ihm die besten Glückwünsche nach. Es war ein fröhlicher Abschied, obwohl sie wussten, dass sie Keß' Vater nie mehr wiedersehen würden.

Es geschah selten genug, dass einer aus ihren Reihen einen hochoffiziellen Abgang hatte, die meisten verschwanden heimlich, still und leise, und darum gestaltete sich Katers Abschied zu einem richtigen kleinen Fest.

Er verschwand im Dickicht.

Aus der Ferne erscholl das heisere Gebrüll eines Raubtiers.

 

Poe sperrte sich dem Wispern der anderen. Sie versuchten, ihn mit allen möglichen Tricks zu ködern, um ihn für die Gazellenjagd zu gewinnen. Empi lockte ihn sogar mit der Aussicht:

Wie-Wolken-im-Wind verleiht uns allen Gazellengestalt, so dass wir uns unter die Herde mischen können!

Sie sprach dabei, wohl um ihm zu schmeicheln, sogar Wiwiws Namen vollständig aus.

Aber selbst dieser Verlockung, in den Genuss von Wiwiws Fantasie zu kommen, widerstand er. Poe fühlte sich elend.

Er hatte sich zum Gespött des ganzen Dorfes gemacht.

Er versuchte zu träumen.

Komm, großer weißer Vogel ... Aber seine Fantasie blieb stumpf. Er versuchte, Roak zu erreichen, jenen barbarischen Vierbeiner mit der widerstandsfähigen Schuppenhaut, der der Häuptling eines großen Stammes war und wilder und gerissener als der Königstiger in Moms Garten. Poe schloss die Augen, ließ seine Fantasie schweifen und wartete. Aber Roak kam nicht. Dabei hätte dessen urweltliche, archaische Welt gerade zu seiner chaotischen Stimmung gepasst.

Er hätte auch jeden anderen Traum willkommen geheißen, aber auch wirklich jeden. Er brauchte Ablenkung, um nicht immer wieder an die Szene im Dorf denken zu müssen, wie er sich vor all seinen Kameraden bloßgestellt hatte, von Keß gedemütigt worden und von Feiß herausgefordert worden war. Im Augenblick wäre er völlig wehrlos gewesen, Feiß hätte mit ihm tun und machen können, was er wollte. Aber Empis Bruder gab kein Lebenszeichen von sich. Was führte er im Schilde? Besaß er tatsächlich eine Fantasie besonderer Art, oder bluffte er nur. Empis Bruder – Empi ... Sie liebte Kirre, na, wenn schon.

Poe merkte, wie er sich selbst verrückt zu machen begann. Er wollte träumen und vergessen. Er besaß eine breite Palette bunter Träume, die von Menschen und Nichtmenschlichen handelten, die in möglichen und unmöglichen Welten lebten, manche davon so unvorstellbar fremd, dass die Senis, denen er Geschichten daraus erzählte, nur die Köpfe schütteln konnten. Aber mit seiner Erzählkunst schaffte er es, sie ihnen näherzubringen und glaubhaft zu schildern – oder zumindest so, dass sie sich mit etwas Phantasie etwas darunter vorstellen konnten.

Keiner hatte ein so breites Traumspektrum wie er, Poet. Und was das Besondere an seinen Träumen war, die von so unglaublichen und exotischen Welten handelten: Sie gehörten alle in ein und dasselbe Universum.

Dies war sein Universum, er hatte es mit seiner Fantasie erschaffen.

Warum fand er plötzlich keinen Zugang?

Er wusste, dass nicht allein die Gefühle daran schuld waren, die er für Empi entdeckt hatte. Er glaubte nicht, dass sein Liebesempfinden seine Fantasie tötete, obwohl das schon vorgekommen war und eigentlich der normale Reifeprozess war: Wenn man seine kindliche Unschuld verlor, dann büßte man in der Regel auch seine Fantasie ein. Das war ein unabänderliches Gesetz von Mom.

Poe verscheuchte diese Gedanken, um nicht wieder auf Abwege zu geraten. Dass er keinen Zugang zu seinen Traumwelten fand, hatte mit Empi nichts zu tun.

Er war sicher, dass etwas anderes der Grund war. Er hatte eine unruhige Nacht gehabt, weil seine Fühligkeit für kommende Ereignisse ihn geplagt hatte. Und am Morgen hatte er gespürt, dass etwas in der Luft lag. Es hatte irgendetwas mit dem Brüllen des Raubtiers zu tun. Das mit Empi hatte ihn zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bedrückt – erst Keß hatte ihn darauf aufmerksam gemacht und dadurch den Dingen einen anderen Lauf gegeben.

Eigentlich hatte er herausfinden wollen, was ihn eigentlich plagte. Es war kein Traum gewesen, da war er ganz sicher, denn er hatte zwar eine unruhige, aber traumlose Nacht verbracht.

Der schwarze Panther hat Schonzeit. Jagt Gazellen!

Er hörte Moms Wispern, als würde sie sich eben bei ihm melden. Und er sah, wie Keß' Vater von allen seinen Mitsenis und besonders vom Ältesten Abschied nahm, um seinen Weg in Moms Garten anzutreten. Poe sah die Szene vor sich, wie sie sich ereignet haben mochte oder – wie sie sich ereignen würde! Er hatte sie miterlebt, obwohl er gar nicht anwesend war.

Und er sah durch die Augen des schwarzen Panthers eine ausgemergelte Gestalt, fantasielos und daher außerstande, das Wispern der ihn umgebenden Gefahren wahrzunehmen. Keß' Vater schlug sich mit bloßen Händen seinen Weg durch das Dickicht, kämpfte sich förmlich hindurch, zielstrebig und entschlossen, so als kenne er sein Ziel. Dabei merkte er nicht, wie ein dunkler, lang gestreckter Schatten ihm folgte.

Poe sah die Raubkatze und empfing ihr Wispern, er spürte förmlich ihre Mordlust und ihren Heißhunger, es war, als nähme er mit ihren Nüstern die Witterung der Beute wahr – und als fasse er den Entschluss, sich darauf zu stürzen.

Gleichzeitig durchlebte er aber auch die Leiden des Opfers im Angesicht des Todes. Kater, Keß' Vater, war bis zuletzt unbeschwert, fröhlich und geradezu von der Sehnsucht nach dem Tod beseelt gewesen. Doch als die Krallen nach seiner Kehle schlugen, sich das mörderische Raubtiergebiss vor ihm auftat, da hatte er ganz erbärmliche Todesangst. Und er erkannte, dass Sterben nicht einfach eine Rückkehr zu Mom war, sondern sehr weh tat.

Und Poe empfing diese Todesangst ebenso schmerzlich wie das Opfer selbst. Er sprang, sich am Todesschrei des Opfers orientierend, einfach davon ...

Poe fand sich auf einer Lichtung wieder, auf die gerade Kater trat. Er lebte, war wohlauf, pfiff sogar vergnügt vor sich hin, hielt aber verblüfft inne, als er Poe erblickte.

»Nanu«, entfuhr es ihm. Er öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen. Doch da ertönte ein heiseres Brüllen in seinem Rücken.

Ein geschmeidiger schwarzer Schatten tauchte auf einem Ast auf, spannte sich zum Sprung. In Erinnerung an den grauenvollen Todeskampf sammelte Poe alle seine Geisteskraft und schleuderte sie gegen den schwarzen Panther.

Das Tier wurde emporgehoben und gegen den Baumstamm geschleudert, von wo es leblos in die Tiefe fiel. Was danach passierte, wusste Poe nicht mehr genau. Er sah auf einmal das Dorf vor sich und Kater, wie er, ein geschlagener, enttäuschter Uraltseni, über den Fried kletterte und heimwärts schritt. Poe bildete sich ein, sich dabei überlegt zu haben, ob er die Gelegenheit nicht nützen sollte, um das Haus von Empis Eltern wiederaufzubauen. Aber das war nur ein Gedankenfunke. Viel stärker brannte Moms Wispern in seinem Geist, sie tadelte ihn, erteilte ihm eine schwere Rüge. Aber dann zeigte sie sich wieder nachsichtig, indem sie sein Vergehen nicht bestrafte.

Poe nahm das alles nicht so richtig wahr, denn er floh in einen Traum. Und er war selbst überrascht, als er sich – erst zum zweiten Mal in seinem Leben – in dem Traum von dem alten, gebrochenen und so furchtbar leeren Mann wiederfand.

Er war leer, weil er keine Erinnerung hatte.

Er war leer, weil er geistig völlig abgestumpft war.

Er war leer, weil er keine Eindrücke aus seiner Umgebung aufnahm, nicht einmal von seiner nächsten, sie war fremd und kalt.

Und er war leer, weil er seine Persönlichkeit aufgegeben hatte.

Er war ein Idiot.

In der weiten, leeren, trostlosen Landschaft seines Ichs flog nur der große weiße Albatros. Das war alles, was er besaß.

Er war ein Schatten bloß. Ein Nichts. Ein Vakuum. Alles, was er einmal besessen hatte oder gewesen war, war ihm entwichen, man hatte es aus ihm gepumpt. Irgendein Moloch hatte ihn leergesaugt.

Da blitzte im Vakuum seines Geistes ein Gedanke auf:

Ich möchte heim.

Poe entkam dem Albtraum und schwor sich, sich nie mehr wieder davon gefangen nehmen zu lassen. Ihm war zum Heulen. Ihn fröstelte. Und er war sich nicht klar darüber, ob das Beben seines Körpers von unterdrücktem Schluchzen oder von einem Schüttelfrost kam. Oder ob er in seinem Mitgefühl derart wetterte, dass nicht nur Moms Garten in weitem Umkreis von unsichtbarem Hagel verwüstet wurde, sondern auch sein Innenleben.

Er fand erst wieder Ruhe, als er sich in einen anderen, schöneren Traum flüchtete. In den Traum von Jim Harlow, der ein Mensch wie er war, aber auf einem Planeten namens Terra lebte und den Status eines galaktischen Bürgers hatte. Er lebte im Jahre 49 NGZ – eine Zeitrechnung übrigens, die für alle Träume gültig war, die in diesem, Poes, Universum spielten –, und er war Angestellter der Kosmischen Hanse. Poe verfolgte Jim Harlows Lebensweg schon seit einigen Jahren, jedoch nur episodenweise, darum überraschte es ihn, dass sein Traumpartner auf einmal Schwierigkeiten sonderbarer Art hatte.

 

Jim war verheiratet. Das bedeutete nichts anderes, als dass er mit einer Frau zusammenlebte, dies jedoch vertraglich hatte festhalten lassen. Das war so Sitte auf Terra. Jims Frau hieß Viela, und er hatte zwei Kinder mit ihr. Sie waren noch recht klein und von ihren Eltern abhängig.

Die Verhältnisse in Poes Traumuniversum waren recht eigen und manchmal total verkehrt. Besonders auf Terra und den dazugehörenden Welten waren Eltern Autoritätspersonen. Poe wusste selbst nicht, wie er auf dieses seltsame Gesellschaftssystem kam. In manchem hatte er wohl die Verhältnisse aus Moms Garten einfach umgekehrt, aber nicht in allem.

Jim war ein kleiner Angestellter in der Verwaltung der Kosmischen Hanse. Er machte Statistiken, eine langweilige Angelegenheit, die jegliche Phantasie tötete. Doch plötzlich stand Jim im Mittelpunkt. Poe wusste das aus seinen Gedanken.

Jim war also von einer Stelle zur nächsthöheren weitergereicht worden, bis er schließlich in diesem Zimmer landete. Er war am ganzen Körper und am Kopf mit Magnetplättchen beklebt, die wiederum standen mit allen möglichen Geräten in Kontakt. Eine komplizierte Angelegenheit. Das Ganze hieß »Testserie«. – Jim wurde einer ganzen Reihe von Tests ausgesetzt.

Poe stieg ein, als Jim gerade eine Ruhepause gegönnt wurde, darum hatte Jim Zeit, sich mit dem Ablauf der Geschehnisse zu befassen.

Jetzt ist es wieder so weit!, dachte Jim und löste damit einen Alarm aus.

Augenblicklich ging die Tür auf, und ein älterer Mann – vom Aussehen her ein Uraltseni, wie man in Moms Garten keinen fand – trat ein. Jim hatte ihn vorher noch nie gesehen.

»Ich bin Doc Hauff, ich bin in weiterem Sinn einer deiner höchsten Vorgesetzten, Jim«, sagte er zur Begrüßung. »Du hast doch nichts dagegen, dass ich dich Jim nenne? Ich heiße Archibald. Archie für dich. Du hast den Alarm ausgelöst.«

»Ja, das habe ich getan, Archie«, sagte Jim ergeben. »Wo ist denn Fred, ich meine Doc Lingham. Kaum habe ich mich an ein Gesicht gewöhnt, da taucht schon wieder ein neues auf. Das ist nicht persönlich gemeint, Archie.«

»Ich schätze, dass ich etwas länger mit dir zusammenarbeiten werde, Jim«, sagte Doc Hauff, alias Archibald, alias Archie – wenigstens die Namensvielfalt war in dieser Traumwelt mit der in Moms Garten gleich. Der Doc fuhr fort: »Du hast den Stein selbst ins Rollen gebracht, Jim, und damit eine Lawine ausgelöst.«

»Was, nur weil ich über Kopfschmerzen geklagt habe?«

»Nun, etwas mehr steckt doch dahinter«, sagte Hauff. »Du hast es einen geistigen Druck, ein parapsychisches Albdrücken und so weiter genannt. Du hast sogar den Verdacht geäußert, dass du geistig manipuliert werden würdest. Wir mussten der Sache nachgehen.«

»Habt ihr wenigstens herausgefunden, was für ein Leiden ich habe?«

Hauff kräuselte die Lippen.

»Wir sind einige Schritte weiter ... Warum hast du den Alarm ausgelöst?«

»Es ist wieder so weit. Der Druck nimmt zu.«

»Ausgezeichnet.«

»Du hast leicht reden. Ich fühle mich elend.«

»Ich meine nur, dass uns dein Zustand zu positiven Testergebnissen verhelfen könnte.«

»Schon gut. Schlagen die Geräte aus?«

»Manche. Deine Gehirnströme haben einen Phasensprung durchgemacht, deine geistige Aktivität hat sich gesteigert. Dafür hat die elektromagnetische Spannung abgenommen. Das ist ein Phänomen.«

»Ich fühle mich, als werde ich von einem Psycho-Vampir ausgesaugt.«

»Ein treffender Ausdruck. Du hast also das Gefühl, dass jemand oder etwas deine Geisteskraft in sich aufnimmt.«

»Ja, so ähnlich.«

»Und leistet er dafür auch einen Ersatz?«

»Wie soll ich das verstehen, Archie?«

»Ich meine, wird das dir entzogene geistige Potenzial durch eine andere Kraft ersetzt?«

»Ich merke nichts davon.«

»Dann muss ich mich deutlicher ausdrücken. Empfängst du einen fremden Willen?«

»Ich spüre, dass etwas Fremdes da ist. Es ist als geistiger Druck spürbar. Und ich merke, wie es mich belauscht und die Informationen aus meinem Geist entzieht. Manchmal flimmert es mir vor den Augen, so als würde das Fremde durch sie sehen.«

»Ist es mit deinem Gehör dasselbe wie mit der Sehkraft?«

»Natürlich, das habe ich schon allen möglichen Leuten zu erklären versucht.«

»Aber diese Frage hat dir noch keiner gestellt«, sagte Hauff und warf dabei einen Seitenblick auf irgendwelche Instrumente. »Spürst du das Fremde als einen Zwang. Hörst du fremde Stimmen, oder empfängst du einfach aufdringliche Befehlsimpulse?«

»Aha, darauf willst du hinaus«, sagte Jim in plötzlicher Erkenntnis. Er schüttelte den Kopf. »Ich handle nicht unter fremdem Zwang. Nichts und niemand versucht, mich zu beeinflussen. Ich bin geistig normal und habe meinen eigenen Willen behalten. Ich fühle mich nur beobachtet und belauscht. Als hätte jemand mein Gehirn angezapft.«

»Nur nicht aufregen, Jim. Ich muss dir diese Fragen stellen, um alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Wir möchten dich schließlich von diesem Albdrücken befreien.«

»Da bin ich gar nicht mehr so sicher«, sagte Jim, den seine Frau auch »Schnuckelchen« nannte und der bei seinen Kindern wegen eines vorstehenden Überzahns auch »Gucky« hieß; den Zusammenhang verstand Poe allerdings nicht. Jim fügte hinzu: »Ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass ihr in mir nur noch ein interessantes Versuchsobjekt seht.«

»Bilde dir nicht zu viel ein, Jim«, sagte Hauff grinsend. »Unser Interesse lässt allmählich nach.«

»Heißt das, dass ich gesund bin, und dass ihr nichts finden konntet?«, fragte Jim hoffnungsvoll. Poe spürte seine aufkeimende Erleichterung so stark, wie es Empi auch nicht besser gekonnt hätte. Dabei war sie eine Gefühlsempfängerin und er nicht.

»Wir möchten nur noch einen einzigen Test machen«, sagte Hauff. »Er dauert nur ganz kurz. Wenn er ebenfalls negativ verläuft, dann lassen wir dich gehen. Aber ich hoffe immer noch, dass du es bringst, Jim. Es wäre schade um dich.«

»Wieso?«, fragte Jim erstaunt. »He, Doc, du willst mich doch nicht nur neugierig machen? Was soll die Anspielung, es wäre schade um mich?«

Hauff war die ganze Zeit unruhig hin und her gewandert und hatte sich mit allen möglichen Geräten beschäftigt. Jetzt setzte er sich in einen Sessel, der Jims gegenüberstand, überschlug die Beine und setzte eine bedeutungsvolle Miene auf.

»Ich gehöre einer Unterorganisation der Kosmischen Hanse an, die sich Lloyds nennt«, begann Hauff. »Sie hat einen längeren Namen, der besagt, dass sie sich mit parapsychischen Erscheinungen befasst. Ihr steht der berühmte Telepath Fellmer Lloyd vor, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen mit paranormalen Fähigkeiten auszuforschen und ihr Talent zu fördern. Wir dachten, dass du ein Mutant sein könntest, dessen potenzielle Fähigkeiten nur noch nicht zum Durchbruch gekommen sind.«

»Ich – ein Mutant?«, staunte Jim. Aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich sofort wieder. »Das kannst du mir nicht erzählen, Archie. Wozu dann die Fragen, ob jemand mir seinen Willen aufzwingen wolle?«

»Zugegeben, wir haben auch diese Möglichkeit in Betracht gezogen, doch können wir sie streichen«, sagte Hauff. »Du musst nämlich wissen, dass wir von Lloyds nicht nur Talente suchen, sondern gewisse paranormale Fähigkeiten anderer Art bekämpfen. Daran, dass ich dir diese Geheimnisse verrate, kannst du ersehen, dass ich dir vertraue.«

Jim blieb misstrauisch, aber Poe merkte, dass er Feuer gefangen hatte, wie er selbst übrigens auch. Soviel er mitbekam, suchten die Lloyds Menschen mit Fähigkeiten, wie sie alle Kinder aus Moms Garten besaßen. Der Traum begann interessant zu werden, auf jeden Fall erzählenswert, und Poe hatte sich schon eine Pointe zurechtgelegt.

»Um was für einen Test handelt es sich?«, wollte Jim wissen.

Hauff ließ sich mit der Antwort Zeit. Poe hätte gerne gewusst, was in seinem Kopf vorging, aber dazu hätte er ihn gegen Jim als Traumpartner eintauschen müssen, und das wollte er nicht.

Plötzlich lächelte Hauff und sagte: »Fellmer Lloyd ist zufällig auf der Erde, und da habe ich ihn gebeten ...«

»Zufällig?«, rief Jim aus, er glaubte nicht an einen solchen Zufall.

»Also schön«, schränkte Hauff ein. »Du warst uns wichtig genug, dass wir Fellmer verständigten. Er will dich testen. Wenn du einverstanden bist, wird er sich mit dir telepathisch in Verbindung setzen.«

»Hat er das insgeheim nicht schon getan?«, fragte Jim.

»Nein, du sollst dein Einverständnis geben.«

»Okay, ich bin ganz offen. Es ist mir eine Ehre, das Medium für einen so berühmten Telepathen zu sein. Lloyd soll anfangen. Wo ist er?«

»Er wird vorerst nicht in Erscheinung treten«, sagte Hauff. »Er steht mit mir in Gedankenverbindung und wartet auf mein Zeichen. Ich werde es ihm jetzt geben, Jim. Einverstanden?«

»Nur zu.«

Poe musste innerlich grinsen. Zum ersten Mal empfand er die Handlungsweise seiner Traumfiguren als –