cover
Adora Belle

Hinter den Spiegeln

Gay Fantasy Romance


Manchmal glauben wir, dass es Welten sind, die uns trennen und erkennen nicht, dass es sich in Wirklichkeit nur um lächerliche Gräben handelt, die wir mit einem einzigen beherzten Sprung durchaus überwinden könnten - wenn wir den Mut dazu hätten ...


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Trugbilder ... ?

 

 

 

 

 

Müde schloss Kai die Tür zu seiner Wohnung auf. Es war so spät, dass es eigentlich schon wieder früh war, und er erwog ernsthaft und nicht zum ersten Mal, sich eine andere Arbeit zu suchen. Dabei wusste er jedoch bereits, dass er dies nicht tun würde, denn viel zu sehr genoss er es, im zuckenden Licht der Diskothek, in der er die ganze Woche nachts hinter dem Tresen stand, bei hämmernden Beats die Menge zu studieren.

Zwar hatte er in der Regel keine Zeit, sich großartig zu unterhalten, aber er schaute in die Gesichter, servierte Getränke und fühlte sich als Teil des Ganzen. Wenn der Rhythmus aus den Boxen dröhnte, dass der Fußboden vibrierte, wenn sich die Discobesucher dazu bewegten, als wären sie eins, dann pulsierte das Leben um Kai herum, sog ihn ein und riss ihn mit. Und das war es doch, worauf es ankam!

Zu spüren, dass er lebendig war, dass er noch atmete und fühlte!

Vor etwas über einem Jahr hatte er einen schweren Autounfall nur knapp überlebt, und nicht nur das, er hatte auch nur oberflächliche Verletzungen davon getragen, während zwei seiner Freunde, die mit im Wagen gesessen hatten, eingeklemmt wurden und verbrannt waren.

Er selbst war gerade noch aus dem zerquetschten Wrack gekrochen, und kaum war er draußen gewesen, hatte es plötzlich eine Stichflamme gegeben und der Wagen Feuer gefangen.

Er hatte noch versucht, seine Freunde zu retten, aber das Metall des Autos war so deformiert gewesen, dass er nicht einmal die Türen hatte öffnen können. Zudem war das Feuer sehr schnell so heiß geworden, dass er nicht einmal mehr in die Nähe des Autos gehen konnte. Per Handy hatte er deshalb voller Panik die Feuerwehr alarmiert, aber sie hatten sich an einer einsam gelegenen Landstraße befunden, fernab der nächsten Ortschaft. Zudem in einer Gegend, wo mitten in der Nacht praktisch kein Verkehr herrschte.

Als die Rettungskräfte endlich eintrafen, stand der Wagen bereits in hellen Flammen, und man hatte nichts mehr für die beiden jungen Männer darin tun können. Kai war daraufhin mit einem Schock zusammengebrochen und hatte anschließend einige Zeit in psychologischer Behandlung verbracht. Die war allerdings nicht besonders erfolgreich gewesen, sodass er sie schließlich von sich aus ersatzlos beendete.

Er bastelte sich stattdessen seine eigene Therapie, und die bestand in erster Linie daraus, dass er sein Leben komplett umkrempelte. Vor dem Unfall hatte er studiert, und sein Ziel war es gewesen, Zahnarzt zu werden und eine eigene Praxis zu besitzen.

Danach jedoch sah er keinen Sinn mehr darin, weil er sich fragte, wozu er sich ein solches Ziel stecken sollte, wo doch im Bruchteil einer Sekunde alles vorbei sein konnte. Jetzt fand er es viel wichtiger, zu leben und das auch zu spüren, wenn auch ohne das Korsett eines fest gesteckten Planes.

Er hatte also sein Studium abgebrochen, und als seine Familie ihn bedrängte, diesen Schritt rückgängig zu machen, war er von zuhause ausgezogen und hatte den Kontakt auf ein Minimum reduziert. Er lebte seitdem mehr oder weniger in den Tag hinein, tat nur wozu er Lust hatte und lebte von Gelegenheitsjobs, die er gerade so lange behielt, bis er genug Geld beisammen hatte, um eine Weile über die Runden zu kommen. Er brauchte nicht viel Geld, wohnte in einer billigen, kleinen Wohnung und hatte keine besonderen Ansprüche.

So war er auch zu diesem Job in der Disco gekommen. Er hatte schon während seines Studiums oft gekellnert, sodass er mit der Materie an sich keine Probleme hatte, und je länger er blieb, umso mehr merkte er, dass es ihm Spaß machte. Also jobbte er weiter dort, ohne seinen Lebensstil großartig in Frage zu stellen. Er verschwendete keine Gedanken an seine Zukunft und scherte sich auch nicht um die Meinung Anderer.

Mit den meisten seiner alten Freunde hatte er sowieso keinen Kontakt mehr, und neue zu finden, war ihm schlichtweg zu anstrengend.

Vage war ihm bewusst, dass er sich früher oder später damit auseinandersetzen musste, was er nun wirklich mit seinem restlichen Leben anfangen wollte, denn dass es nicht ewig so weitergehen konnte bis zum Sankt Nimmerleinstag, war selbst ihm klar. Aber vorläufig verschob er diese Entscheidung jeden Tag aufs Neue in eine ferne Zukunft.

Gähnend schlurfte er nun durch die Diele seines winzigen Appartements und holte sich in der Küche eine angebrochene Milchtüte aus dem Kühlschrank.

Seine Kleider rochen nach Schweiß, und er fühlte sich klebrig, wie jeden Morgen, wenn er nach Ende seiner Schicht noch bis zur endgültigen Schließung der Disco getanzt hatte, um sich auszupowern und nach seiner Heimkehr tief und möglichst traumlos schlafen zu können.

Er würde jetzt noch schnell in die Dusche springen und dann den Tag, der eben seine ersten Vorboten über den Horizont schickte, verschlafen. Erst am späten Nachmittag würde er wieder aufstehen und am Leben teilnehmen.

Kai streifte seine Jacke aus und ließ sie achtlos auf den einzigen Küchenstuhl fallen, bevor er wieder in die Diele trat und zum Badezimmer ging. Da plötzlich gewahrte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung, und schlagartig war er hellwach. Er blieb stehen und merkte, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug.

Das konnte doch nicht sein, oder?

Beim letzten Mal hatte er es sich doch auch nur eingebildet, nicht wahr?

Wie in Zeitlupe drehte er sich um, wandte sich dem deckenhohen Garderobenspiegel zu, und für einen Sekundenbruchteil fiel sein Blick auf ein bizarres Bild, bevor es erlosch und er nur noch sich selbst in seinem dämmrigen Flur sehen konnte.

Aber da war wirklich etwas gewesen! Diesmal war er sich ganz sicher!

Zögernd trat er auf den Spiegel zu, streckte eine Hand aus und berührte das kühle Glas. Im nächsten Moment schüttelte er über sich selbst den Kopf. Was machte er denn?

Er war schlicht todmüde, das war alles. Da konnte man schon manchmal Dinge zu sehen glauben, die es nicht wirklich gab.

Trotzdem ... Sein Verstand beharrte darauf, etwas gesehen zu haben, oder besser - jemanden. Genauso wie beim letzten Mal, vor drei Tagen. Ebenfalls früh am Morgen, nach der Rückkehr von seinem Job und auch da war er völlig erledigt gewesen. Und auch da hatte er für die Dauer eines Wimpernschlages etwas zu sehen geglaubt, was sich trotz der kurzen Zeitspanne regelrecht in sein Bewusstsein eingebrannt hatte, etwas was so eindeutig fantastisch war, dass es nur seiner Einbildung entsprungen sein konnte.

Andererseits … konnte man sich zwei Mal exakt die gleiche Person einbilden?

Beide Male hatte er einen jungen Mann gesehen, groß gewachsen und von schlankem Körperbau, den nichtsdestotrotz eine Aura körperlicher Kraft umgab, welche seine sehnige Figur Lügen strafte. Er hatte lange, hellblonde Haare gehabt, die in einer unsichtbaren Brise wehten und mithilfe zweier dünner Zöpfe an den Schläfen aus der Stirn gehalten wurden. Das Gesicht war schmal geschnitten, mit hohen Wangenknochen und aristokratischen Zügen. Dunkle Augen stachen aus einem geisterhaft blassen Antlitz hervor, schienen bis auf den Grund von Kais Seele zu sehen, und der Blick des Fremden war von fast bedrohlich wirkendem Ernst.

Gekleidet war er in einen dunklen Umhang, der genau wie sein Haar vom Wind bewegt wurde und unter dem ein helles Hemd von altmodischem Schnitt und eine eng anliegende, schwarze Hose zu sehen waren. Die Füße steckten in kniehohen, schwarzen Schaftstiefeln, die sich eng an seine Beine schmiegten und aus weichem Leder zu bestehen schienen.

Das Absurdeste war jedoch ein Gegenstand, der an seiner Hüfte baumelte und Kai vollends davon überzeugte, dass es sich um ein Hirngespinst handeln musste: eine schmale Schwertscheide, in der er den kunstvoll gearbeiteten Griff einer Stichwaffe sehen konnte.

Vielleicht sollte er heute mal die Dusche ausfallen lassen und direkt schlafen gehen? Er träumte ja offensichtlich schon mit offenen Augen!

In einer unwilligen Geste schüttelte Kai den Kopf und trat von dem Spiegel zurück, aus dem ihm jetzt nur noch sein eigenes, übernächtigtes Gesicht entgegensah.

Blödsinn! Entschlossen öffnete er die Tür zu seinem Badezimmer, einem Raum, der gerade mal groß genug war, dass eine winzige Dusche, ein Waschbecken und eine Toilette darin Platz fanden und stellte sich unter die Brause.

Er seifte sich ein, spülte sich ab und machte dann das Wasser aus. Rasch trocknete er sich ab, warf das Handtuch beiseite und verließ den Raum, um schlafen zu gehen. Als er an seinem Garderobenspiegel vorbeikam, warf er noch einmal einen misstrauischen Blick hinein, doch es war nichts Verdächtiges zu sehen.

Gleich darauf kroch er in sein ungemachtes Bett, zog die Decke über die Ohren und war rasch fest eingeschlafen.

Unter einem fremden Himmel, ...

 

 

 

 

 

  beschienen von einem kalten Mond richtete Lon sich auf. Er hatte über eine flache Schale mit Wasser gebeugt dagesessen, im Licht eines ersterbenden Lagerfeuers und weitab von jeglicher Siedlung.

„Und? Hast du ihn gefunden?“, fragte eine tiefe, weiche Stimme, und er sah kurz zu seinem Begleiter hinüber, der seine Trance bewacht hatte. Lon nickte und strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn.

„Ich schätze schon“, sagte er knapp.

„Wurde auch Zeit.“ Der Andere sah vielsagend zum Mond hinauf, der eine dünne Sichel bildete.

Lon folgte seinem Blick und machte sich dann daran, sein Nachtlager herzurichten. Wortlos schlüpfte er unter seine Decke und drehte dem Anderen den Rücken zu.

„Gesprächig wie immer, hm?“, brummte der und holte eine Zigarette hervor. Anschließend rückte er dichter ans Feuer und begann seine Wache. Die Nacht war noch lang ...