cover

F. Scott Fitzgerald

Zärtlich
ist die Nacht

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Renate Orth-Guttmann

Mit einem Nachwort von

Heinrich Detering

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 1934 bei

Charles Scribner’s Sons, New York,

erschienenen Originalausgabe: ›Tender is the Night‹

Copyright © 1933, 1934 by Charles Scribner’s Sons

Copyright renewed © 1961, 1962 by

Frances Scott Fitzgerald Lanahan

Die 1982 bei Diogenes ebenfalls unter dem Titel

Zärtlich ist die Nacht erschienene deutsche Ausgabe

beruhte auf einer 1951 bei Charles Scribner’s Sons

postum herausgegebenen Fassung

Die hier vorliegende Übersetzung folgt der

ursprünglichen Fassung und ist erstmals 2006

im Diogenes Verlag erschienen

Das Motto ist folgender Ausgabe entnommen:

John Keats, Werke und Briefe, ausgewählt und übertragen

von Mirko Bonné, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1995

Die Übersetzung folgt in der Benennung der Hautfarben
dem englischsprachigen Original

Sämtliche Begriffe sind im zeitlichen Kontext zu verstehen

Covermotiv: Grafik aus dem Album

›Les choses de Paul Poiret vues par Georges Lepape…‹,

1911 (Ausschnitt)

Copyright © 2021 ProLitteris, Zürich

 

 

 

 

Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten

Copyright © 2022

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 23695 8

ISBN E-Book 978 3 257 60272 2

[5] Für Gerald und Sara

Viele Feste!

[7] Und bin schon bei dir! Zärtlich ist die Nacht

(…)

Nur Licht scheint keines sacht

Vom Himmel Brisen dünn

Durchs dunkle Grün und Moos der Wege wehn.

John Keats, Ode an eine Nachtigall

[11] Erstes Buch

[13] 1

An dem freundlichen Gestade der französischen Riviera steht etwa auf halbem Wege zwischen Marseille und der italienischen Grenze ein großes stolzes rosenfarbenes Hotel. Ehrerbietige Palmen kühlen seine gerötete Stirn, und ein kurzes, strahlend weißes Stück Strand liegt ihm zu Füßen. Neuerdings kommen prominente und mondäne Gäste hierher zur Sommerfrische; noch vor einem Jahrzehnt stand es, wenn die englische Klientel im April gen Norden gezogen war, praktisch leer. Jetzt umdrängen es zahlreiche Bungalows, aber zu Beginn dieser Geschichte sah man nur die morschen Dächer von zehn, zwölf alten Landhäusern wasserrosengleich aus dem dichten Pinienwald herausragen, der sich von Gausse’s Hôtel des Etrangers bis zu dem acht Kilometer entfernten Cannes erstreckt.

Das Hotel und sein Strand, ein hellbrauner Gebetsteppich, waren eins. Das frühe Morgenlicht warf das ferne Bild von Cannes, warf das Rosa und Cremeweiß alter Befestigungen und den Purpur der Bergkette, die das Land gegen Italien hin abgrenzte, auf die Wasserfläche, und all diese Bilder zitterten nun leicht inmitten der Kringel und Kräuselwellen, welche die Pflanzen vom tiefen Meeresgrund durch das klare Flachwasser nach oben schickten. Noch vor acht war ein Mann in blauem Bademantel zum Strand [14] heruntergegangen und hatte sich nach einigen ausgiebigen Kaltwasseranwendungen unter lautem Stöhnen und Schnaufen eine Minute im Meer abgestrampelt. Nach seinem Weggang herrschte eine Stunde Stille an Strand und Bucht. Frachtschiffe zogen langsam am Horizont gen Westen; Pagen schrien auf dem Vorhof des Hotels herum; der Tau trocknete auf den Pinien. Wieder eine Stunde später hörte man die ersten Autohupen auf der kurvenreichen Straße, die am Massif des Maures entlangführte, einem flachen Gebirgszug, der die Küstenregion von der eigentlichen französischen Provence trennt.

Eine Meile landeinwärts, wo die Pinien verstaubten Pappeln weichen mussten, befindet sich ein abgelegener Eisenbahn-Haltepunkt, und von dort fuhr an einem Junivormittag des Jahres 1925 eine Pferdekutsche mit einer Dame und ihrer Tochter zum Hôtel Gausse hinunter. Das Gesicht der Mutter hatte einen welkenden Liebreiz, den bald geplatzte Äderchen durchziehen würden; ihr Ausdruck war zugleich abgeklärt und auf angenehme Weise wach. Von der Mutter aber ging der Blick des Betrachters sehr schnell hin zur Tochter mit den zauberhaften rosa Handflächen und den Wangen, die so hinreißend gerötet waren wie die Haut von Kindern, wenn sie abends kalt gebadet haben. Die schöne hohe Stirn stieg leicht schräg zum Haar hin hoch, das sie wie ein Wappenschild umschloss und zu Locken und Wellen und Kringeln in Aschblond und Gold aufsprang. Die Augen waren hell, groß, klar, feucht und leuchtend, das Wangenrot, von der starken jungen Pumpe ihres Herzens bis unmittelbar unter die Haut befördert, reine Natur. Der Körper verharrte noch zaudernd am letzten Rand der [15] Kindheit – sie war beinah achtzehn, fast fertig, aber noch taubedeckt.

Als Meer und Himmel in einer dünnen heißen Linie unter ihnen auftauchten, bemerkte die Mutter: »Ich habe so eine Ahnung, dass es uns hier nicht gefallen wird.«

»Ich will sowieso nach Hause«, sagte die Tochter.

Beide sprachen in heiterem Ton, schienen aber kein eigentliches Ziel zu haben, was sie offenbar verdross; überdies hätte es ein beliebiges Ziel auch nicht getan. Sie wünschten sich starke Reize – nicht aus dem Bedürfnis heraus, übersättigte Nerven zu kitzeln, sondern mit der Gier preisgekrönter Schulkinder, die sich ihre Ferien verdient haben.

»Wir bleiben drei Tage, dann fahren wir heim. Ich telegrafiere gleich nach Schiffskarten.«

Im Hotel buchte die Tochter ihre Zimmer in idiomatisch korrektem, aber ziemlich farblosem Französisch, das wie auswendig gelernt klang. Nachdem sie ihre Zimmer im Erdgeschoss bezogen hatten, trat sie ins Licht der hohen Glastür und tat ein paar Schritte auf die steinerne Terrasse, die sich über die ganze Länge des Hotels erstreckte. Beim Gehen hielt sie sich wie eine Tänzerin, nicht an den Hüften durchhängend, sondern vom Kreuz her gestrafft. Draußen beschnitt die heiße Sonne ihren Schatten, und sie zog sich rasch zurück – es war zu hell, um etwas erkennen zu können. Das fünfzig Meter entfernte Mittelmeer verlor seine Pigmente von Sekunde zu Sekunde mehr an die brutalen Sonnenstrahlen; nur jenseits des Geländers schmorte ein bleicher Buick in der Hotelauffahrt.

Im ganzen Umkreis regte sich Leben nur am Strand. Dort saßen drei britische Kindermädchen und strickten das [16] gemächliche Muster des viktorianischen England, das Muster der vierziger, sechziger und achtziger Jahre in Pullover und Socken, begleitet von Klatschgeschichten, die so formelhaft waren wie Beschwörungen; näher am Wasser hatten sich zehn, zwölf Personen unter gestreiften Sonnenschirmen häuslich eingerichtet, indes ihre zehn, zwölf Kinder unbesorgten Fischen durchs flache Wasser nachjagten oder nackt und von Kokosöl glänzend in der Sonne lagen.

Als Rosemary an den Strand kam, rannte ein zwölfjähriger Junge an ihr vorbei und stürzte sich unter Jubelgeschrei ins Meer. Bedrängt von den fremden Blicken legte sie den Bademantel ab und folgte ihm. Ein paar Meter ließ sie sich mit dem Gesicht nach unten treiben, und weil ihr das Wasser zu flach war, stellte sie sich schwankend auf die Füße und watete weiter hinein; wie ein Bleigewicht spürte sie den Wasserwiderstand an den schlanken Beinen. Als ihr die Wellen bis zur Brust gingen, sah sie zum Ufer zurück. Ein Glatzkopf in Badetrikot und mit Monokel, die buschig bewachsene Brust gebläht, den Nabel eingezogen, musterte sie aufmerksam. Als sich ihre Blicke begegneten, ließ der Mann das Monokel fallen, das sich eilends in den albernen Brusthaaren versteckte, und schenkte sich aus einer Flasche, die er in der Hand hielt, etwas in ein Glas.

Rosemary legte sich bäuchlings aufs Wasser und kraulte mit kräftigem Viererzug zum Floß hinaus. Das Wasser griff nach ihr, zog sie liebevoll aus der Hitze heraus, lief ihr ins Haar und rann in alle Ecken und Winkel ihres Körpers. Genüsslich rollte sie sich darin herum und schloss es in die Arme. Am Floß angekommen, war sie außer Atem, aber eine gebräunte Frau mit sehr weißen Zähnen sah zu ihr [17] herunter, und Rosemary, der jäh das nackte Weiß ihres Körpers bewusst wurde, legte sich auf den Rücken und ließ sich zum Ufer zurücktreiben. Der behaarte Mann mit der Flasche sprach sie an, als sie aus dem Wasser kam.

»Nur dass Sie’s wissen – da draußen hinter dem Floß hat es Haie.« Er war von unbestimmbarer Nationalität, sprach aber Englisch in gedehnt näselndem Oxford-Tonfall. »Gestern haben sie zwei britische Matrosen von der Flotte in Golfe-Juan aufgefressen.«

»Du lieber Himmel«, stieß Rosemary hervor.

»Der Abfall von den Schiffen lockt sie an.«

Er ließ den Blick abgleiten, um deutlich zu machen, dass er sie nur angesprochen hatte, um sie zu warnen, trippelte zwei Schritte zurück und schenkte sich erneut ein.

Mit einem nicht unangenehmen Gefühl der Genugtuung angesichts der Aufmerksamkeit, die ihr mit diesem Gespräch zuteil wurde, sah sich Rosemary nach einem Liegeplatz um. Offenbar hatte jede Familie den vor ihrem Sonnenschirm liegenden Streifen Sand in Besitz genommen; außerdem gab es viel Besuch und Geplauder hin und her, so dass sie es als dreist empfunden hätte, sich in dieses Gemeinschaftsleben hineinzudrängen. Weiter oben, wo der Strand voller Kiesel und Seetang war, lagerte eine Gruppe, die ebenso weißhäutig war wie sie. Diese Leute lagen nicht unter großen Strandschirmen, sondern unter ganz normalen kleinen Sonnenschirmen und schienen hier weniger heimisch zu sein. Rosemary suchte sich einen Platz zwischen den Dunklen und den Hellen und breitete ihren Bademantel im Sand aus.

Wie sie so dalag, hörte sie zunächst nur die Stimmen, [18] spürte die Füße, die ihren Körper streiften, nahm die Gestalten wahr, die sich zwischen ihr und der Sonne bewegten. Ein neugieriger Hund schnoberte warm und unruhig um ihren Nacken herum; sie spürte, wie die Sonne ihre Haut zu rösten begann, und hörte das leise erschöpfte Wwa-wwaa der auslaufenden Wellen. Dann unterschied sie einzelne Stimmen und nahm zur Kenntnis, dass jemand, der verachtungsvoll als »dieser North« bezeichnet wurde, am vergangenen Abend einen Kellner aus einem Café in Cannes entführt hatte, um ihn in zwei Teile zu sägen. Zum Besten gegeben wurde diese Geschichte von einer weißhaarigen Dame in kompletter Abendkleidung, offenbar ein Relikt vom Vortag, denn auf ihrem Kopf klammerte sich noch eine Tiara fest, und eine verzagte Orchidee verschied langsam an ihrer Schulter. Rosemary, die eine unbestimmte Abneigung gegen die Weißhaarige und ihre Gefährten empfand, wandte sich ab.

Auf der anderen Seite lag ihr am nächsten eine junge Frau unter einem Dach aus Schirmen, die aus einem aufgeschlagen im Sand liegenden Buch eine Liste zusammenschrieb. Sie hatte den Badeanzug von den Schultern gestreift, und der Rücken, dessen kräftiges Orangebraun eine cremefarbene Perlenkette noch betonte, glänzte in der Sonne. Das Gesicht war hart und schön und voller Trauer. Ihr Blick traf den von Rosemary, ohne sie wahrzunehmen. Hinter ihr befanden sich ein gutaussehender Mann in Jockeymütze und rotgestreiftem Badetrikot, dann die Frau, die Rosemary auf dem Floß gesehen hatte, die ihren Blick erwiderte und sie auch wahrnahm, und ein Mann mit länglichem Gesicht, goldener Löwenmähne, in blauem Badeanzug und ohne [19] Kopfbedeckung, der sehr ernsthaft auf einen unverkennbar südländischen jungen Mann in schwarzem Badeanzug einredete, wobei beide an Seetangstückchen im Sand herumzupften. Rosemary hatte den Eindruck, dass es hauptsächlich Amerikaner waren, aber irgendwie waren sie ganz anders als die Amerikaner, denen sie in letzter Zeit begegnet war.

Nach einer Weile begriff sie, dass der Mann mit der Jockeymütze eine diskrete kleine Vorstellung für die Gruppe gab; er ging, vorgeblich Kieselsteine beseitigend, ernsthaft mit einem Rechen herum und entwickelte daraus eine private Posse, die durch sein feierliches Gesicht nie an Spannung verlor. Noch die kleinsten Schlenker der Komödie wirkten so komisch, dass schließlich alles, was er sagte, lautes Gelächter auslöste. Selbst diejenigen, die wie Rosemary zu weit weg waren, um etwas zu hören, fuhren – neugierig geworden – gleichsam alle Antennen aus. Nur die junge Frau mit der Perlenkette tat nicht mit. Vielleicht aus der Bescheidenheit der Besitzenden heraus beugte sie sich bei jeder Lachsalve nur noch tiefer über ihre Liste.

Aus heiterem Himmel sprach der Mann mit dem Monokel und der Flasche Rosemary an.

»Sie schwimmen fabelhaft.«

Sie zierte sich.

»Wirklich famos. Mein Name ist Campion. Die Dame hier hat Sie letzte Woche in Sorrent gesehen, sie weiß, wer Sie sind, sagt sie, und würde Sie furchtbar gern kennenlernen.«

Ihren Ärger verhehlend blickte Rosemary sich um und sah, dass die Ungebräunten warteten. Widerstrebend stand sie auf und ging zu ihnen hinüber.

[20] »Mrs. Abrams – Mrs. McKisco – Mr. McKisco – Mr. Dumphry –«

»Wir wissen, wer Sie sind«, ließ sich die Frau in der Abendrobe vernehmen. »Sie sind Rosemary Hoyt, und ich hab Sie in Sorrent erkannt und den Portier gefragt, und wir finden Sie alle einfach großartig und möchten wissen, warum Sie nicht schon wieder in Amerika sind und den nächsten phantastischen Kinofilm drehen.«

Sie machten unnötigerweise Anstalten, für sie zusammenzurücken. Die Frau, die sie erkannt hatte, war trotz ihres Namens keine Jüdin. Sie gehörte zu jenem Typ von Frauen, von denen man, wenn sie jünger sind, zu sagen pflegt, dass man mit ihnen Pferde stehlen könne; immun gegen Erfahrungen jeder Art und dank einer guten Verdauung hatte sie sich unverändert in eine andere Generation hinüberretten können.

»Wir wollten Sie davor warnen, sich am ersten Tag einen Sonnenbrand zu holen«, schwatzte sie aufgeräumt weiter, »weil Ihre Haut wichtig ist, aber an diesem Strand geht es offenbar so verflixt förmlich zu, dass wir nicht wussten, ob Sie es uns am Ende übelnehmen.«

[21] 2

»Wir haben gedacht, dass Sie vielleicht auch zum Plot gehören«, sagte Mrs. McKisco, eine scheel blickende hübsche junge Person von entnervendem Überschwang. »Wir wissen nämlich nicht, wer mitspielt und wer nicht. Ein Typ, zu dem mein Mann besonders nett war, hat sich als einer der Helden entpuppt – praktisch der zweite Hauptdarsteller.«

»Zum Plot?«, fragte Rosemary einigermaßen ratlos. »Was für ein Plot?«

»Das wissen wir eben nicht, meine Liebe«, sagte Mrs. Abrams mit einem krampfhaften Dicke-Frauen-Lachen. »Wir spielen nicht mit. Wir sind nur Publikum.«

Mr. Dumphry, ein flachsblonder junger Mann von weibischem Aussehen, versetzte: »Mama Abrams ist ein Plot für sich!«, und Campion drohte ihm mit dem Monokel und sagte: »Pfui, Royal, wer wird denn so garstig sein.« Rosemary betrachtete die Gruppe voller Unbehagen und bedauerte, dass ihre Mutter nicht mit an den Strand gekommen war. Diese Leute gefielen ihr nicht, zumal im unmittelbaren Vergleich zu der Gruppe am anderen Ende des Strands. Das bescheidene, aber kompakte gesellschaftliche Talent ihrer Mutter rettete sie gewöhnlich schnell und sicher aus unliebsamen Situationen. Rosemary aber war erst seit [22] einem halben Jahr berühmt, und hin und wieder sorgte der Konflikt zwischen der französischen Lebensart, in der sie aufgewachsen war, und den demokratischen Umgangsformen Amerikas, die erstere überlagert hatten, für eine gewisse Verwirrung, was ihr dann entsprechende Schwierigkeiten einbrachte.

Mr. McKisco, ein hagerer Mann um die Dreißig mit gerötetem Sommersprossengesicht, konnte über die Sache mit dem »Plot« nicht lachen. Er hatte aufs Meer hinausgesehen; jetzt wandte er sich nach einem raschen Blick auf seine Frau an Rosemary und fragte angriffslustig:

»Schon lange hier?«

»Erst einen Tag.«

»Soso.«

Offenbar überzeugt davon, das Thema erfolgreich gewechselt zu haben, ließ er seinen Blick über die Gruppe wandern.

»Bleiben Sie den ganzen Sommer?«, fragte Mrs. McKisco harmlos. »Dann können Sie selbst beobachten, wie sich der Plot entwickelt.«

»Himmel noch mal, lass es endlich gut sein, Violet«, fuhr ihr Mann auf. »Denk dir einen neuen Witz aus, Himmel noch mal.«

Mrs. McKisco schwenkte zu Mrs. Abrams herum und hauchte hörbar:

»Er ist nervös.«

»Ich bin nicht nervös«, widersprach McKisco. »Nervös? Ich? Keine Spur.«

Er erhitzte sich sichtlich, ein stumpfes Graurot hatte sich auf seinem Gesicht ausgebreitet, das alle sichtbaren [23] Gefühlsregungen zu völliger Ausdruckslosigkeit zerfließen ließ. Plötzlich schien ihm eine leise Ahnung von seinem Zustand zu kommen, und er stand auf, um ins Wasser zu gehen. Seine Frau folgte ihm, und Rosemary nutzte die Gelegenheit und ging hinterher.

Mr. McKisco tat einen tiefen Atemzug, warf sich ins flache Wasser und begann mit steifen Armen auf das Mittelmeer einzudreschen, was offenbar als Kraulversuch gedacht war. Als er keine Luft mehr bekam, richtete er sich auf, sah sich um und war sichtlich erstaunt, dass er noch immer das Ufer im Blick hatte.

»Ich hab noch nicht atmen gelernt. Ich hab nie richtig begriffen, wie die atmen.« Er sah Rosemary fragend an.

»Ich glaube, man atmet unter Wasser aus«, erläuterte sie. »Und bei jedem vierten Schlag dreht man den Kopf zur Seite und holt Luft.«

»Das Atmen fällt mir am schwersten bei der Sache. Schwimmen wir zum Floß?«

Der Mann mit der Löwenmähne hatte sich auf dem Floß ausgestreckt, das im Takt der Wellen wippte. Als Mrs. McKisco die Hand danach ausstreckte, schlug eine jähe Krängung ihren Arm hart nach oben, woraufhin der Mann hochschnellte und sie nach oben zog.

»Ich hab schon gedacht, es trifft Sie.« Er sprach stockend und schüchtern und hatte mit das traurigste Gesicht, das Rosemary je gesehen hatte – hohe indianische Wangenknochen, eine lange Oberlippe und ungemein große tiefliegende dunkelgoldene Augen. Er hatte aus einem Mundwinkel gesprochen, als hoffte er, seine Worte würden unauffällig und auf Umwegen zu Mrs. McKisco gelangen; [24] gleich darauf hatte er sich ins Wasser abgestoßen, und die lange Gestalt trieb regungslos in Richtung Land.

Rosemary und Mrs. McKisco sahen ihm nach. Als sein Schwung aufgebraucht war, krümmte er sich unvermittelt zusammen, seine schmalen Unterschenkel erhoben sich über die Wasserfläche, und er verschwand völlig, ohne mehr als einen Schaumtupfer zu hinterlassen.

»Ein guter Schwimmer«, sagte Rosemary.

Mrs. McKiscos Entgegnung fiel überraschend heftig aus.

»Aber ein miserabler Musiker.« Sie wandte sich an ihren Mann, der es nach zwei vergeblichen Versuchen geschafft hatte, das Floß zu erklimmen, und sich, sobald er sicher auf den Füßen stand, wie zum Ausgleich um eine große Geste bemühte und damit nur erreichte, dass er gefährlich ins Schwanken kam. »Ich habe gerade gesagt, dass Abe North ein guter Schwimmer, aber ein miserabler Musiker ist.«

»Ja«, räumte McKisco widerwillig ein. Offenbar hatte er die Welt seiner Frau erschaffen und gestattete ihr darin kaum Freiheiten.

»Antheil, der gefällt mir«, sagte Mrs. McKisco herausfordernd zu Rosemary. »Antheil und Joyce. Von solchen Leuten hört ihr in Hollywood wohl eher wenig, aber mein Mann hat die erste Kritik des Ulysses geschrieben, die in Amerika erschienen ist.«

»Ich hätte Lust auf eine Zigarette«, sagte McKisco ungerührt. »Das ist mir im Augenblick wichtiger.«

»Er hat wirklich was, findest du nicht, Albert?«

Sie verstummte unvermittelt. Die Frau mit den Perlen hatte sich im Wasser zu ihren Kindern gesellt, und jetzt tauchte Abe North unter einem der Kinder auf wie eine [25] Vulkaninsel und hob es mit den Schultern hoch. Das Kind kreischte vor Angst und Entzücken, und die Frau sah ihm mit einem wunderbar friedvollen Ausdruck und ohne Lächeln zu.

»Ist das seine Frau?«, fragte Rosemary.

»Nein, das ist Mrs. Diver. Sie wohnen nicht im Hotel.« Ihr scharfer Blick ließ das Gesicht der Frau nicht los. Gleich darauf drehte sie sich jäh zu Rosemary um.

»Waren Sie vorher schon mal im Ausland?«

»Ja, ich bin in Paris zur Schule gegangen.«

»Ach so. Na, dann wissen Sie vermutlich, dass man, um sich hier wirklich wohl zu fühlen, ein paar echte französische Familien kennenlernen muss. Was haben diese Leute schon davon?« Sie deutete mit der linken Schulter in Richtung Strand. »Ständig hocken sie in kleinen Cliquen mit ihresgleichen herum. Wir hatten natürlich Empfehlungsschreiben und haben in Paris die besten französischen Künstler und Schriftsteller kennengelernt, dadurch war es sehr nett.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Mein Mann ist nämlich gerade dabei, seinen ersten Roman zu beenden.«

»Ach ja?«, sagte Rosemary. Sie dachte an nichts Besonderes, sondern überlegte nur, ob ihre Mutter in dieser Hitze hatte schlafen können.

»Er basiert auf der Idee des Ulysses«, fuhr Mrs. McKisco fort. »Nur schildert mein Mann nicht vierundzwanzig Stunden, sondern hundert Jahre. Er nimmt einen alten, degenerierten französischen Adligen und konfrontiert ihn mit dem Maschinenzeitalter…«

[26] »Himmel noch mal, Violet, so erzähl doch die Idee nicht überall herum«, ereiferte sich McKisco. »Ich möchte nicht, dass schon alle Bescheid wissen, ehe das Buch fertig ist.«

Rosemary schwamm zurück an Land, hängte sich den Bademantel über die wunden Schultern und legte sich hin.

Der Mann mit der Jockeymütze ging jetzt mit einer Flasche und kleinen Gläsern von Schirm zu Schirm; bald darauf wurden er und seine Freunde lebhafter und rückten enger zusammen, und jetzt waren sie alle unter einem einzigen großen Schirmdach – offenbar reiste jemand ab, und das war der Abschiedstrunk am Strand. Selbst die Kinder wussten, dass sich unter diesem Schirm Aufregendes tat, und liefen hin, und Rosemary schien es, als ginge das alles von dem Mann mit der Jockeymütze aus.

Der Mittag hatte Meer und Himmel fest im Griff – sogar der acht Kilometer entfernte weiße Strich von Cannes war zu einem Trugbild von Frische und Kühle verblasst. Ein Segelboot mit einem Bug, der wie eine Rotkehlchenbrust leuchtete, zog einen Strang dunkleren Seewassers von weiter draußen hinter sich her. Es war, als herrsche an diesem ausgedehnten Küstenstrich Leben nur in dem gefilterten Sonnenlicht jener Schirme, wo inmitten der bunten Farben und der gedämpften Stimmen etwas vor sich ging.

Campion kam auf Rosemary zu und blieb ein paar Schritte vor ihr stehen. Sie schloss die Augen und tat, als schliefe sie, machte sie dann halb wieder auf und nahm undeutlich zwei Pfeiler wahr, die wohl Beine waren. Der Mann versuchte, sich in eine sandfarbene Wolke hineinzuschieben, doch die Wolke entschwebte in den warmen weißen Himmel. Jetzt schlief Rosemary endgültig ein.

[27] Als sie schweißbedeckt aufwachte, war der Strand menschenleer bis auf den Mann mit der Jockeymütze, der einen letzten Schirm zusammenklappte. Während Rosemary noch blinzelnd dalag, kam er auf sie zu.

»Ich hätte Sie vor dem Wegfahren geweckt. Es tut nicht gut, sich gleich einen Sonnenbrand zu holen.«

»Danke.« Rosemary sah auf ihre knallroten Beine herunter. »O Himmel!«

Sie lachte vergnügt auf in der Hoffnung, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Dick Diver war schon dabei, ein Zelt und einen Strandschirm zu einem wartenden Automobil zu tragen. Rosemary ging ins Wasser, um sich den Schweiß abzuspülen. Gleich darauf war er wieder da, las einen Rechen, eine Schaufel und ein Sieb auf und verstaute alles in einer Felsspalte. Prüfend sah er nach rechts und nach links, um sicherzugehen, dass er nichts vergessen hatte.

»Wissen Sie, wie spät es ist?«, fragte Rosemary.

»Ungefähr halb zwei.«

Sie blickten einen Augenblick gemeinsam aufs Meer hinaus.

»Keine üble Zeit«, sagte Dick Diver. »Nicht die schlechteste Zeit des Tages.«

Er sah sie an, und einen Moment lebte sie in den leuchtendblauen Welten seiner Augen, bereitwillig und voller Vertrauen. Dann schulterte er das letzte Stück seiner Siebensachen und ging zu seinem Auto hoch, und Rosemary watete aus dem Wasser, schüttelte den Bademantel aus und kehrte ins Hotel zurück.

[28] 3

Es war fast zwei, als sie den Speisesaal betraten. Über den verlassenen Tischen schwankte im Takt der Pinien vor dem Fenster ein schwerfälliges Muster aus Balken und Schatten. Zwei Kellner, die Teller stapelten und sich in lautstarkem Italienisch unterhielten, verstummten, als sie hereinkamen, und servierten ihnen die inzwischen schon etwas mitgenommenen Gerichte von der Table d’hôte.

»Ich habe mich am Strand verliebt«, sagte Rosemary.

»In wen?«

»Erst in eine ganze Gruppe netter Leute. Dann in einen Mann.«

»Hast du mit ihm gesprochen?«

»Nur kurz. Er sieht sehr gut aus. Rötliches Haar.« Sie aß heißhungrig. »Aber er ist verheiratet. Wie die meisten.«

Ihre Mutter war Rosemarys beste Freundin und hatte ihr Letztes gegeben, um sie zu lenken und zu leiten, was am Theater nicht so selten ist; allerdings lag hier der Fall insofern anders, als Mrs. Elsie Speers darin keine Entschädigung für eigenes Scheitern sah. Sie selbst blickte auf ihr Leben weder mit Bitterkeit noch mit Groll zurück – zwei befriedigende Ehen und eine zweifache Witwenschaft hatten ihre heitere Gelassenheit zunehmend gefestigt. Ihr erster Mann war Kavallerieoffizier, der zweite Militärarzt [29] gewesen, und beide hatten ihr ein wenig Geld hinterlassen, das sie nach Möglichkeit unangetastet Rosemary übergeben wollte. Sie hatte Rosemary nicht geschont und ihr dadurch zu einer gewissen Härte verholfen, hatte selbst weder Mühe noch Hingabe gescheut und damit bei Rosemary einen Idealismus gefördert, der sich zur Zeit ganz auf die Mutter konzentrierte und die Welt durch deren Augen sah, so dass Rosemary, wenngleich ein »naives« Kind, doppelt geschützt war – durch den Panzer ihrer Mutter und durch ihren eigenen. Sie hegte ein durchaus erwachsenes Misstrauen gegenüber dem Trivialen, Oberflächlichen, Gewöhnlichen. Nach Rosemarys plötzlichem Erfolg beim Film aber fand Mrs. Speers, dass es an der Zeit sei, sie seelisch zu entwöhnen. Sollte sich dieser etwas ungebärdige, atemlose und anspruchsvolle Idealismus nicht mehr ausschließlich auf ihre Person richten, würde sie das nicht kränken, sondern freuen.

»Dann gefällt es dir also hier?«, fragte sie.

»Es könnte noch ganz lustig werden, wenn wir diese Leute kennenlernen würden. Es waren auch noch andere da, aber die waren nicht nett. Sie haben mich erkannt. Wohin man auch kommt – Daddy’s Girl haben sie alle gesehen.«

Mrs. Speers wartete, bis die Glut der Eigenliebe sich gelegt hatte, dann sagte sie nüchtern: »Wobei mir einfällt: Wann gehst du zu Earl Brady?«

»Heute Nachmittag vielleicht, wenn du dich ausgeruht hast.«

»Geh du nur, ich komme nicht mit.«

»Dann warten wir bis morgen.«

»Ich möchte, dass du allein gehst. Es ist nicht weit – und schließlich sprichst du ja Französisch.«

[30] »Könnte ich nicht auch mal etwas bleibenlassen, Mutter?«

»Dann meinetwegen später – aber bis zu unserer Abreise muss es erledigt sein.«

»Gut, Mutter.«

Nach dem Mittagessen überkam beide jene plötzliche Mattigkeit, die amerikanische Reisende an ruhigen Orten im Ausland gern heimsucht. Keine Reize, die auf sie einwirkten, keine Stimmen, die von draußen nach ihnen riefen, keine Bruchstücke eigener Gedanken, die ihnen unvermittelt aus den Köpfen ihrer Mitmenschen entgegenkamen, und da ihnen der Lärm des Weltreichs fehlte, hatten sie das Gefühl, das Leben sei hier zum Stillstand gekommen.

»Wir bleiben nur drei Tage, ja?«, sagte Rosemary, als sie wieder auf ihren Zimmern waren. Draußen verwirbelte ein leichter Wind die Wärme, drückte sie durch das Gezweig und schickte kurze heiße Böen durch die Jalousien.

»Und was ist mit dem Mann, in den du dich am Strand verliebt hast?«

»Ich liebe nur dich, Mutter.«

In der Hotelhalle erkundigte sich Rosemary bei Gausse Père nach Zugverbindungen. Der Portier, der sich in hellbraunem Khaki am Empfang lümmelte, sah stur zu ihr hin, dann aber entsann er sich mit einem Ruck der Umgangsformen seines Metiers. Sie nahm den Bus zum Bahnhof, in dem auch zwei servile Kellner saßen, deren ehrerbietige Scheu sie peinlich berührte. »Los, redet doch«, hätte sie am liebsten gedrängt, »vergnügt euch, mich stört das nicht.«

Das Erste-Klasse-Abteil war stickig; die bunten Reklamekarten der Eisenbahngesellschaften – der Pont du Gard in Arles, das Amphitheater von Orange, Wintersport in [31] Chamonix – wirkten lebendiger als das lang hingestreckte reglose Meer vor den Fenstern. Anders als amerikanische Züge, die – ganz mit ihrem eigenen aufregenden Leben beschäftigt – für Menschen in einer anderen, weniger temporeichen und atemlosen Welt nur Verachtung übrig hatten, war dieser Zug Teil der Landschaft, die er durchmaß. Sein Atem blies den Staub von den Palmblättern, die Asche vermischte sich mit trockenem Dung in den Gärten. Rosemary dachte bei sich, dass sie sich bequem aus dem Fenster lehnen und während der Fahrt Blumen hätte pflücken können.

Zehn, zwölf Droschkenkutscher dösten in ihren Fuhrwerken vor dem Bahnhof von Cannes. Drüben auf der Promenade kehrten die vornehmen Geschäfte und großen Hotels der sommerlichen See blinde, eiserne Masken zu. Unvorstellbar, dass es hier jemals eine »Saison« gegeben hatte, und Rosemary – auch sie konnte sich den Zwängen des Herkömmlichen nicht ganz entziehen – überkam eine gewisse Befangenheit, als ließe sie eine ungesunde Neigung zum Morbiden erkennen, als fragten sich die Leute, was sie wohl hier zu suchen hatte, in dieser Atempause zwischen den Lustbarkeiten des vergangenen und denen des kommenden Winters, während oben im Norden das wahre Leben toste.

Als sie mit einer Flasche Kokosnussöl aus einer Drogerie kam, kreuzte eine Frau, in der sie Mrs. Diver erkannte, mit einem Arm voller Sofakissen ihren Weg und ging zu einem in der Nähe geparkten Wagen. Ein schwarzer Hund mit langem Körper und kurzen Beinen bellte sie an, ein dösender Chauffeur fuhr jählings hoch. Sie stieg ein, das schöne [32] Gesicht starr und beherrscht, die Augen tapfer und wachsam, und sah geradeaus ins Leere. Ihr Kleid war leuchtend rot, die braunen Beine waren nackt. Ihr Haar war dicht und dunkelgoldfarben wie das Fell eines Chow-Chow.

Rosemary, die bis zur Abfahrt ihres Zuges eine halbe Stunde Zeit hatte, setzte sich ins Café des Alliés auf der Croisette, wo Bäume die Tische in grünes Dämmerlicht tauchten und eine Band ein imaginäres Publikum von Kosmopoliten mit dem Nizza-Karnevalslied und letztjährigen amerikanischen Schlagern umwarb. Sie hatte für ihre Mutter Le Temps und The Saturday Evening Post gekauft, schlug, während sie ihre Zitronenlimonade trank, in letzterer die Memoiren einer russischen Prinzessin auf und empfand die matten Konventionen der neunziger Jahre als realer und ihr näher als die Schlagzeilen der französischen Zeitung. Es war das gleiche Gefühl, das sie im Hotel bedrückt hatte: Gewohnt, die krassesten Absurditäten eines Kontinents dick unterstrichen als Komödie oder Tragödie zu sehen, nicht ausgebildet in der Kunst, das Wesentliche für sich herauszufiltern, fand sie das Leben in Frankreich mittlerweile schal und leer. Verstärkt wurde dieses Gefühl noch durch die traurigen Weisen der Band, durch die sie an jene schwermütige Musik erinnert wurde, die in Varietés die Darbietungen von Akrobaten zu begleiten pflegten. Sie war froh, als sie wieder im Hotel war.

Da sich durch Rosemarys Sonnenbrand am nächsten Tag das Schwimmen verbot, mieteten sie und ihre Mutter einen Wagen – nach langem Feilschen, denn Rosemary hatte ihre Wertvorstellungen von Geld in Frankreich gelernt – und fuhren an der Riviera, der Mündung vieler Flüsse, [33] entlang. Der Chauffeur, ein russischer Zar aus der Zeit Iwans des Schrecklichen, fungierte als selbsternannter Reiseführer, und die glanzvollen Namen – Cannes, Nizza, Monte Carlo – begannen durch ihre träge Tarnung hindurch zu glühen, raunten von alten Königen, die zum Speisen oder Sterben hergekommen waren, von Rajahs, die englischen Tänzerinnen Buddha-Augen zugeworfen hatten, von russischen Fürsten, die in den versunkenen Kaviartagen ihre Wochen hier in die Weißen Nächte des Nordens verwandelt hatten. Vor allem aber die Fährte der Russen in Gestalt ihrer geschlossenen Buchhandlungen und Lebensmittelgeschäfte zog sich an der ganzen Küste entlang. Vor zehn Jahren hatte man, als die Saison zu Ende war, die Pforten der orthodoxen Kirche zugesperrt und den von den Russen bevorzugten süßen Champagner weggeräumt. »Also dann bis zur nächsten Saison«, hieß es, aber das war voreilig, denn sie kamen nie wieder.

Es war schön, am Spätnachmittag ins Hotel zurückzufahren, hoch über einer See, die so geheimnisvoll gefärbt war wie die Achate und Karneole der Kinderzeit, milchig weiß, blau wie Wäschelauge, weinrot. Es war schön, an Menschen vorbeizufahren, die draußen vor der Tür beim Essen saßen, und den penetranten mechanischen Klavieren hinter den Weinranken ländlicher estaminets zuzuhören. Als sie von der Corniche d’Or abbogen und durch die in vielen Grüntönen gestaffelten dunkelnden Baumreihen zum Hotel Gausse fuhren, schwebte schon der Mond über den Ruinen des Aquädukts…

Irgendwo in den Bergen hinter dem Hotel wurde getanzt, und in dem geisterblassen Mondlicht, das durch ihr [34] Moskitonetz drang, lauschte Rosemary der Musik, begriff, dass irgendwo auch Fröhlichkeit war, und dachte an die netten Leute am Strand. Vielleicht würde es ihr morgen früh gelingen, sie kennenzulernen, aber offenbar bildeten sie eine kleine Gruppe, die sich selbst genug war, und sobald sie ihre Schirme, Bambusmatten, Hunde und Kinder verteilt hatten, war dieser Teil der plage im wahrsten Sinne des Wortes umfriedet. Auf keinen Fall, nahm sie sich vor, würde sie die restlichen beiden Vormittage bei der anderen Gruppe verbringen.

[35] 4

Das Problem löste sich ohne ihr Zutun. Die McKiscos waren noch nicht da, und sie hatte kaum ihren Bademantel ausgebreitet, als zwei Männer – der mit der Jockeymütze und der große Blonde, der so gern Kellner in zwei Teile sägte – sich von der Gruppe lösten und auf sie zukamen.

»Guten Tag«, sagte Dick Diver, aber dann brach es aus ihm heraus: »Also – Sonnenbrand hin oder her, warum sind Sie gestern weggeblieben? Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht.«

Sie setzte sich auf, und ihr fröhliches Lachen hieß die Störung willkommen.

»Wir wollten fragen«, sagte Dick Diver, »ob Sie nicht heute Vormittag zu uns herüberkommen möchten. Wir gehen ins Wasser, wir essen und trinken – eine Einladung, die es in sich hat.«

Er war charmant und herzlich – seine Stimme verhieß, dass er sich um sie kümmern, dass er ihr ein wenig später eine ganz neue Welt eröffnen, eine endlose Aufeinanderfolge glanzvoller Gelegenheiten vor ihr ausbreiten würde. Er machte sie mit den anderen bekannt, ohne dass ihr Name fiel, und gab ihr dann wie nebenbei zu verstehen, dass alle wussten, wer sie war, und alle bereit waren, die [36] Unantastbarkeit ihres Privatlebens zu respektieren – eine Rücksichtnahme, die Rosemary seit ihrem Erfolg nur bei Leuten aus der Branche erlebt hatte.

Nicole Diver, deren brauner Rücken an der Perlenkette Halt suchte, blätterte auf der Suche nach Chicken Maryland in einem Rezeptbuch. Rosemary schätzte sie auf vierundzwanzig. Man hätte ihr Gesicht in herkömmlichem Sinne hübsch nennen können, allerdings wirkte es so, als sei es zunächst in heroischem Maßstab, mit kräftiger Struktur und Linienführung angelegt worden, als habe man die Züge, Ausdruck und Lebhaftigkeit der Stirn und des Teints, alles, was sich für uns mit Temperament, mit Charakter verbindet, à la Rodin modelliert und dann mit dem Meißel ihren Liebreiz herausgearbeitet – ein einziger Ausrutscher hätte Kraft und Qualität des Ganzen irreparabel geschädigt. Bei dem Mund hatte der Bildhauer alles auf eine Karte gesetzt – es war der Amorbogen einer Titelbild-Schönen und dennoch nicht minder nobel als alles andere.

»Bleiben Sie lange?«, fragte Nicole. Ihre Stimme war leise, fast rauh.

Plötzlich ließ Rosemary bei sich die Möglichkeit zu, noch eine Woche anzuhängen.

»Nicht allzu lange«, sagte sie unbestimmt. »Wir sind schon lange unterwegs – im März sind wir in Sizilien von Bord gegangen, danach haben wir uns langsam nach Norden vorgearbeitet. Ich hatte mir im Januar beim Drehen eine Lungenentzündung geholt und mache hier einen Erholungsurlaub.«

»Ja, du liebe Güte, wie ist denn das passiert?«

»Beim Schwimmen.« Rosemary ließ sich nur widerwillig [37] auf so Persönliches ein. »Ich hatte eine Grippe, ohne es zu wissen, und sie drehten eine Szene, wo ich in Venedig in einen Kanal springen musste. Der Set war sehr teuer, deshalb musste ich den ganzen Vormittag springen, immer wieder. Mutter hatte einen Arzt dabei, aber der konnte nichts machen, ich hab eine Lungenentzündung bekommen.« Sie wechselte entschlossen das Thema, ehe jemand etwas sagen konnte. »Sind Sie gern hier?«

»Müssen sie wohl«, sagte Abe North bedächtig. »Das ist nämlich alles ihre Erfindung.« Er drehte langsam das edle Haupt und ließ den Blick zärtlich und voller Zuneigung auf den Divers ruhen.

»Ach ja?«

»Das Hotel hat erst das zweite Jahr im Sommer geöffnet«, erläuterte Nicole. »Wir hatten Gausse überredet, einen Koch, einen garçon und einen Portier zu behalten. Damit ist er gut auf seine Kosten gekommen, und in diesem Jahr läuft es noch besser.«

»Aber Sie wohnen nicht dort.«

»Wir haben uns ein Haus gebaut. Oben in Tarmes.«

»Es gibt eine Theorie«, sagte Dick und rückte einen Schirm so, dass er eine breite Sonnenbahn von Rosemarys Schulter abhielt, »dass sich all die Orte im Norden – Deauville und so weiter – die Russen und Engländer ausgesucht haben, denen die Kälte nichts ausmacht, während von uns Amerikanern die Hälfte aus tropischen Klimazonen kommt. Deshalb zieht es uns immer mehr hierher.«

Der junge Mann mit dem südländischen Aussehen hatte im New York Herald geblättert. »Jetzt ratet mal, was das für Landsleute sind«, sagte er unvermittelt und las mit leicht [38] französischem Tonfall: »›Im Hotel Palace in Vevey sind eingetroffen Mr. Pandely Vlasco, Mme. Bonneasse‹ – ich übertreibe nicht! – ›Corinna Medonca, Mme. Pasche, Seraphim Tullio, Maria Amalia Roto Mais, Moises Teubel, Mme. Paragoris, Apostle Alexandre, Yolanda Yosfuglu und Geneveva de Momus!‹ Die reizt mich am meisten: Geneveva de Momus. Wär doch fast der Mühe wert, mal eben nach Vevey zu fahren, um Geneveva de Momus zu besichtigen.«

In plötzlicher Unruhe stand er auf und straffte sich. Er war ein paar Jahre jünger als Diver oder North und groß, der Körper durchtrainiert, aber sehr mager bis auf die geballte Kraft in Schultern und Oberarmen. Auf den ersten Blick war er ein junger Mann mit klassisch gutem Aussehen, aber auf seinem Gesicht lag immer leiser Ekel, der das leidenschaftliche Strahlen der braunen Augen beeinträchtigte. Diese Augen blieben einem im Gedächtnis, wenn man den Mund, dem Langeweile unerträglich war, und die junge, von verdrossen-ziellosem Kummer zerfurchte Stirn schon vergessen hatte.

»Wir haben letzte Woche in den Meldungen über die Amerikaner ein paar Prachtstücke gefunden«, sagte Nicole. »Mrs. Evelyn Oyster und… wer war es noch?«

»Ein Mr. S. Flesh«, sagte Diver und erhob sich ebenfalls. Er nahm seinen Rechen und machte sich daran, systematisch kleine Steine aus dem Sand zu entfernen.

»Ja, richtig, S. Flesh! Da kriegt man ja richtig eine Gänsehaut!«

Es war still, wenn man mit Nicole allein war, noch stiller als im Zusammensein mit ihrer Mutter, fand Rosemary. Abe North und Barban, der Franzose, sprachen über [39] Marokko, und Nicole griff, nachdem sie ihr Rezept abgeschrieben hatte, nach einer Näharbeit. Rosemary besah sich ihre Ausrüstung – vier große Sonnenschirme, die einen schattenspendenden Baldachin bildeten, eine tragbare Badekabine zum Umkleiden, ein aufblasbares Gummipferd –, neue, Rosemary bislang unbekannte Gegenstände aus der ersten Luxuswelle nach dem Krieg und vermutlich noch in den Händen der Erstkäufer. Es handelte sich offensichtlich um Menschen, die der mondänen Welt angehörten, um Drohnen, vor denen man sich, wie sie von ihrer Mutter wusste, zu hüten hatte – aber so einen Eindruck machten diese hier eigentlich nicht. Noch in ihrer Reglosigkeit, die so absolut war wie der ganze Vormittag, spürte sie eine Zielstrebigkeit, ein Arbeiten, eine Richtung, einen Schaffensprozess, etwas, was sich von allem ihr bisher Bekannten unterschied. Unerfahren wie sie war, spekulierte sie nicht über die Beziehungen dieser Menschen zueinander, sie interessierte sich nur für deren Einstellung zu ihrer Person, nahm aber die freundschaftliche Verwobenheit innerhalb der Gruppe durchaus wahr und drückte sie für sich so aus, dass sie offenbar viel Spaß miteinander hatten.

Sie betrachtete nacheinander die drei Männer und ergriff vorübergehend von ihnen Besitz. Alle drei waren auf unterschiedliche Art einnehmend, alle besaßen eine besondere Behutsamkeit, die – so empfand sie es – Teil ihres vergangenen und künftigen Lebens und nicht den jeweiligen Umständen angepasst war, im Gegensatz zu den Umgangsformen von Schauspielern in guter Gesellschaft, auch ein umfassendes Taktgefühl fiel ihr auf, das sich wesentlich von der rauhen, aber herzlichen Art der Regisseure unterschied, [40] die in ihrem Leben als Intellektuelle auftraten. Schauspieler und Regisseure – das war an Männern alles, was sie kannte, das und die heterogene, gesichtslose Masse von Collegestudenten, die sie letzten Herbst beim Ball in Yale kennengelernt hatte und die sich nur für Liebe auf den ersten Blick interessierten.

Diese drei waren anders. Barban war weniger kultiviert, skeptischer, spottlustiger, seine Umgangsformen waren formell, ja steif. Unter der Schüchternheit von Abe North verbarg sich ein Galgenhumor, der sie belustigte, aber auch ratlos machte. Mit ihrem ernsthaften Wesen traute sie sich nicht recht zu, bleibenden Eindruck auf ihn zu machen.

Dick Diver dagegen war schlechthin vollkommen. Sie bewunderte ihn stumm. Seine Haut war wettergegerbt und rötlich wie die kurzen Haare, die in einem leichten Flaum auch seine Arme und Hände überzogen. Die Augen strahlten in einem harten Blau, die Nase war eher spitz, und man wusste immer ganz genau, wen er gerade ansah oder ansprach – eine schmeichelhafte Aufmerksamkeit, denn wann sieht uns schon jemand wirklich an? Blicke streifen uns, neugierig oder unbeteiligt, mehr nicht. Seine Stimme, in der ein leichter irischer Tonfall mitschwang, umwarb die Welt, aber Rosemary erspürte auch die Schicht von Härte in ihm, von Selbstbeherrschung und Selbstzucht – Tugenden, die sie ebenfalls besaß. Ja, sie erwählte ihn sich, und Nicole sah, als sie den Kopf hob, wie sie ihn erwählte, und hörte ihren leisen Seufzer, weil er schon vergeben war.

Gegen Mittag kamen die McKiscos, Mrs. Abrams, Mr. Dumphry und Signor Campion an den Strand. Sie hatten einen neuen Schirm mitgebracht, den sie mit Seitenblicken [41] auf die Divers aufstellten und unter dem sie sich sichtlich zufrieden verkrochen – bis auf Mr. McKisco, der in höhnischer Ablehnung außen vor blieb. Beim Sandrechen war Dick dicht an ihnen vorbeigekommen und kehrte jetzt zu ihrem Schirm zurück.

»Die beiden jungen Herren lesen gemeinsam das Buch der Etikette«, sagte er leise.

»Wollen wohl in die feine Gesellschaft einsteigen, was?«, meinte Abe.

Mary North, die tief gebräunte junge Frau, die Rosemary am ersten Tag auf dem Floß begegnet war, kam vom Schwimmen und sagte mit durchtrieben aufblitzendem Lächeln: »Wie ich sehe, sind die Furchtlosen Zwei glücklich eingetroffen.«

»Dieser Mann hier ist mit ihnen befreundet«, mahnte Nicole und deutete auf Abe North. »Warum geht er nicht hin und spricht mit ihnen? Findest du sie nicht anziehend?«

»Sehr anziehend«, bestätigte Abe. »Aber eben nicht anziehend genug.«

»Also mir waren in diesem Sommer tatsächlich zu viele Leute am Strand«, gestand Nicole. »An unserem Strand, den Dick aus einer Kieselwüste geschaffen hat.« Sie überlegte und senkte die Stimme so weit, dass das ebenfalls unter einem Schirm sitzende Kindermädchentrio sie nicht hören konnte: »Immerhin sind die da noch besser als die Engländer vom letzten Sommer mit ihrem ständigen Geschrei: ›Ist das Meer nicht blau?‹ ›Ist der Himmel nicht weiß?‹ ›Ist Klein-Nellies Nase nicht rot?‹«

Rosemary dachte bei sich, dass sie Nicole nicht gern zur Feindin hätte.

[42] »Aber Sie haben den Streit nicht miterlebt«, fuhr Nicole fort. »An dem Tag, an dem Sie ankamen, hat der verheiratete Mann, der so heißt wie ein Benzin- oder Butter-Ersatz…«

»…McKisco?«

»Ja, der… Sie haben sich gezankt, sie hat ihm Sand ins Gesicht geworfen, und prompt hat er sich auf ihren Rücken gesetzt und ihr Gesicht in den Sand gedrückt. Wir waren… elektrisiert. Eigentlich hätte Dick eingreifen müssen, finde ich.«

Dick Diver sah gedankenvoll auf die Strohmatte hinunter. »Ich überlege«, sagte er, »ob ich nicht zu ihnen gehen und sie zum Abendessen einladen soll.«

»Das wirst du schön bleibenlassen«, sagte Nicole rasch.

»Ich fände es sehr gut. Sie sind nun mal hier, da muss man sich anpassen.«

Sie lachte. »Wir sind angepasst genug. Ich habe keine Lust, mir die Nase in den Sand drücken zu lassen. Ich bin eine böse, harte Frau«, fuhr sie zu Rosemary gewandt fort. Dann hob sie die Stimme: »Kinder, zieht eure Badesachen an.«

Rosemary ahnte, dass dieses Bad prägend für ihr ganzes Leben werden, ihr stets in den Sinn kommen würde, wenn vom Schwimmen die Rede war. Die ganze Gesellschaft bewegte sich gleichzeitig in Richtung Wasser, nach der langen erzwungenen Untätigkeit mehr als bereit, Hitze mit Kälte zu vertauschen, gleich Schlemmern, die zu einem scharfen Curry kühlen Weißwein trinken. Der Tag der Divers war wie der Tag älterer Kulturen so eingeteilt, dass aus dem zur Verfügung stehenden Material das Äußerste herausgeholt und alle Übergänge voll ausgekostet werden konnten, und [43] sie wusste noch nicht, dass es in Kürze einen weiteren Übergang geben würde – den von der ungehemmten Hingabe ans Schwimmen zu einem geschwätzigen provenzalischen Mittagsmahl. Doch wieder hatte sie das Gefühl, dass Dick sie in seine Obhut nahm, und schloss sich dem allgemeinen Abmarsch so bereitwillig an, als sei es ein Befehl.

Nicole übergab ihrem Mann das seltsame Kleidungsstück, an dem sie gearbeitet hatte. Er ging in die Umkleidekabine und sorgte für mächtigen Wirbel, als er gleich darauf in schwarzen Spitzenschlüpfern wieder herauskam. Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass sie mit hautfarbenem Stoff abgefüttert waren.

»Also wenn das keine schwule Masche ist!«, stieß Mr. McKisco verächtlich hervor, dann wandte er sich rasch zu Mr. Dumphry und Mr. Campion um. »Bitte um Entschuldigung!«

Rosemary amüsierte sich köstlich über die Schlüpfer. Ihre Naivität ging voll und ganz auf die ostentative Harmlosigkeit der Divers ein, ohne dass sie deren Vielschichtigkeit oder mangelnde Unschuld wahrgenommen, ohne dass sie begriffen hätte, dass die beiden sich aus dem Basar Welt nicht so sehr nach Quantität denn nach Qualität bedienten und dass auch das simple Betragen, das kinderstubenartig Friedlich-Freundliche, die Betonung schlichter Tugenden Teil eines verzweifelten Handels mit den Göttern und durch Kämpfe errungen war, von denen sie nichts ahnen konnte. Von außen gesehen stellten die Divers in diesem Moment die höchstmögliche Entwicklungsstufe einer Gesellschaftsschicht dar, so dass die meisten anderen [44] Menschen einen vergleichsweise unbedarften Eindruck machten; in Wirklichkeit hatte bereits ein qualitativer Wandel eingesetzt, der sich Rosemary aber nicht erschloss.

Sie stellte sich zu ihnen, während sie Sherry tranken und Cracker aßen. Dick Diver sah sie aus kalten blauen Augen an; sein gütiger, starker Mund sagte nachdenklich und bedachtsam: »Sie sind seit langer Zeit das erste Mädchen, dem ich begegne, das etwas von einer Blüte hat.«

Später weinte Rosemary in den Schoß ihrer Mutter und konnte nicht wieder aufhören.

»Ich liebe ihn, Mutter. Ich habe mich wahnsinnig in ihn verliebt. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so empfinden könnte. Und er ist verheiratet, und sie mag ich auch – es ist ganz und gar hoffnungslos. Ich liebe ihn doch so sehr.«

»Ich bin sehr gespannt auf ihn.«

»Sie hat uns für Freitag zum Abendessen eingeladen.«

»Wenn du verliebt bist, sollte dich das eigentlich glücklich machen. Du solltest lachen.«

Rosemary sah auf, ließ ein reizendes kleines Zucken über ihr Gesicht laufen und lachte. Ihre Mutter hatte immer großen Einfluss auf sie.

[45] 5

Rosemary begab sich in einer für ihre Verhältnisse ausgesprochen verdrießlichen Stimmung nach Monte Carlo. Sie fuhr den schroffen Hang hoch nach La Turbie zu einem früheren Gaumont-Studio, das gerade umgebaut wurde, und als sie vor dem Gittertor wartete, bis sich auf die Nachricht etwas tat, die sie auf ihre Visitenkarte geschrieben hatte, war ihr, als sähe sie Hollywood vor sich. Die grotesken Überbleibsel eines jüngst abgedrehten Films, eine verkommene Straßenszene in Indien, ein gewaltiger Wal aus Pappe, ein monströser Baum mit basketballgroßen Kirschen schienen einer bizarren Ordnung folgend hier ebenso heimisch wie der blasse Amaranth, die Mimosen, Korkeichen oder Zwergpinien. Es gab eine Kantinenbaracke und zwei scheunengleiche Bühnen und überall auf dem Gelände Gruppen wartender, hoffnungsvoll geschminkter Gesichter.