Liebe italienisch gewürzt

Inhaltsverzeichnis

In einem kleinen Dorf in Franken

Zuhause bei Sybille

Eine Woche später

Am nächsten Morgen

Ein neuer Tag

Eine Woche später

Zuhause in Franken

Einige Tage später

Sybille auf Reisen

Zuhause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Hans auf Reisen

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Sybille auf Reisen

Zu Hause in Franken

Nachsatz

In einem kleinen Dorf in Franken

Ich sitze am Fenster und schaue hinaus in den trüben Morgen. Diesen kurzen täglichen Moment der Ruhe genieße ich. Es ist die einzige Zeit des Tages, die nur mir gehört. Ganz alleine. Meine große Tochter ist bereits in der Schule und mein Mann und mein Sohn schlafen noch. Leider währt die Ruhe nur kurz. Über den Flur brüllt es gerade: „Schatz, kannst du kommen? Der Kleine ist wach und will nur mit Mama aufs Klo!“ Na klar, was sonst? Ist ja auch wahnsinnig blöd, mit Papa morgens Pipi zu machen. Also trabe ich hinüber und tue meine Pflicht. Natürlich liebe ich die Schmusestunden mit Tizian, aber manchmal wäre es trotzdem schöner, einfach mal in den Tag hinein zu träumen. Doch dieses Glück ist mir zumindest heute nicht vergönnt. „Du solltest einfach mal einen Monat abhauen“, sagt meine Freundin Renate immer zu mir. Die hat gut reden. Renate ist nämlich mit ihren fünfunddreißig Jahren immer noch Single aus Überzeugung und will weder Mann noch Kinder. Ich schlage ihr dann regelmäßig vor: „Nimm du meine Familie und ich gehe, dann weißt du, warum du noch Single bist. Aber ich bin mir sicher, du würdest auch die schönen Seiten des Familienlebens schätzen lernen.“ Bisher hat sie immer dankend abgelehnt. Eines Tages nehme ich mir vielleicht einfach einmal Urlaub und überrede Renate, meinen Platz einzunehmen. Mal sehen, wie sie das findet.

Da fällt mir auf, Sie wissen ja noch nicht einmal, wer ich bin. Mein Name ist Sybille Wurst, vierunddreißig Jahre jung und seit dreizehn Jahren verheiratet. Wir leben im schönen Frankenland. Hans, mein Mann, ist vierzig und manchmal ein bisschen bequem. Sehr zum Leidwesen meiner Kinder und mir. Pipa, unsere Tochter, ist vierzehn und steckt mitten in der Pubertät. Kein Zuckerschlecken, sage ich Ihnen.

Viele dachten damals, es sei eine Mussheirat, doch wir kannten uns schon drei Jahre, bevor ich schwanger wurde, und die Ehe war lediglich die logische Konsequenz daraus. Wir haben im kleinen Kreis geheiratet. Es fehlte an allem, aber besonders an Geld. Als sich dann zehn Jahre später unser Sohn Tizian ankündigte, haben wir alles nachgeholt und noch einmal ganz groß und in Weiß geheiratet. Warum auch nicht? Es ist nie zu spät, um einen Traum zu verwirklichen. Während ich hier mit Ihnen so gemütlich vor mich hinträume, schreit mein Sohn schon, dass ich ihm beim Anziehen helfen soll. Heute lasse ich nicht mit mir handeln, er zieht das an, was ich sage, und nicht, was er gerne möchte. Ab und an muss ich mal die strenge Mama rauskehren, damit er mir mit seinen knapp vier Jahren nicht zu sehr auf dem Kopf herumtanzt. Renate, die ja so viel Ahnung von Kindererziehung hat, erklärt mir immer wieder, wie wenig konsequent ich doch manchmal in meinen Entscheidungen bin. Vielleicht hat sie damit auch ein bisschen recht, doch seien wir mal ehrlich: Wer hat schon den Nerv, den ganzen Tag Diskussionen mit seinen Kindern zu führen? Ich jedenfalls nicht. Nachdem wir den Anziehmarathon nun endlich hinter uns gebracht haben, Tizian seinen Kaba und ich meinen Kaffee schlürfe, gesellt sich auch Hans zu uns. Wie jeden Morgen mit der gleichen und extrem wichtigen Frage: „Machst du mir einen Kaffee?“

Und natürlich antworte ich wie immer: „Schon unterwegs!“ Ach ja, was wäre eine gute Ehe ohne ihre alltäglichen, liebevollen Rituale. Ich treibe mein Söhnchen zur Eile an, weil er gleich von der Mutter seines besten Freundes Florian abgeholt wird.

Zwanzig Minuten später haben dann auch Mann und zweites Kind das Haus verlassen. Jetzt könnte eigentlich wieder Ruhe bei mir einkehren, aber weit gefehlt. Nun geht es erst richtig los. Im Galopp renne ich die Treppe nach oben zu den Schlafräumen, um wenigstens schnell noch die Betten zu machen. Ich habe in unserem Keller einen kleinen Laden eingerichtet. Im Angebot ist vielerlei, wie Kerzen, Porzellanfiguren, aber auch nützliche Dinge wie Schmuck und Kosmetik. Seit zwei Jahren bin ich nun also stolze Geschäftsinhaberin und es läuft erstaunlich gut. Wer hätte gedacht, dass Mütter auf dem Land üppigen Bedarf an Nippes haben? Nach der Turbohausarbeit stürme ich zwei Treppen nach unten in den Ladenbereich, um mit Entsetzen festzustellen, dass bereits drei Kundinnen vor der Tür warten. Seufzend setze ich ein strahlendes Lächeln auf und öffne die Tür. „Guten Morgen, Sybille! Na, hast du schon das Neueste gehört? Unsere Durchgangsstraße soll mal wieder gesperrt werden, wie komme ich denn jetzt noch vernünftig zum Einkaufen? Gut, dass du noch da bist.“ Frau Rabenhorst oder besser gesagt Nancy redet ohne Pause auf mich ein und zieht dabei die anderen zwei Kundinnen mit sich in den Innenbereich. Geistig schalte ich auf Durchzug, lächle an den passenden Stellen und beschäftige mich schon mal in Gedanken mit dem Abendessen. Habe ich alles oder muss ich nach Ladenschluss noch mal los und den Rest besorgen? Verstohlen schreibe ich mir bei der Kasse einen Zettel: Vorräte prüfen. Der Vormittag plätschert ereignislos dahin, ich verkaufe einige Stücke, zeichne neue Ware aus und überlege, was ich als Nächstes in das Sortiment aufnehmen oder besser nicht mehr führen sollte. Ich sehe auf die Uhr und stelle fest, dass es doch schon kurz vor zwei ist. Gerade möchte ich die Tür schließen, da hetzt völlig außer Atem meine Freundin Renate die Außentreppe herunter und rennt mich fast um, weil sie mich nicht in der Türöffnung stehen sieht. „Oh mein Gott! Sybille, du glaubst es nicht.“ Da so ziemlich jeder zweite Satz so anfängt, wenn Renate mich besucht, bin ich nicht sonderlich aufgeregt. „Hi, Süße! Was gibt’s?“ „Na, du warst aber auch schon mal freundlicher“, erhalte ich verstimmt Antwort. Doch anscheinend muss sie unbedingt etwas loswerden, denn entgegen ihrer sonstigen Art, jetzt erst einmal eingeschnappt zu sein, holt sie schon wieder Luft und legt los. „Ich komme geradewegs von der Maniküre und wollte mir dann natürlich auch noch die Nägel machen lassen.“ Ich verkneife mir ein hämisches „natürlich“ und höre weiter pflichtschuldig zu. „Da öffnet sich die Tür zum Studio und ein Bild von einem Mann tritt über die Schwelle. Sybille, der war einfach umwerfend! Er sah sich suchend um und ich dachte mir, der will bestimmt jemanden abholen. Aber dann …“ Renate verstummt plötzlich und grinst dümmlich vor sich hin. Hoppla! „Ja, was dann?“, frage ich nun doch interessiert. Aber meine Freundin träumt mit offenen Augen. Erst, als ich sie unsanft anstupse, reagiert sie. „Aua! Also, sein Blick fällt auf mich und ein wahnsinnig sympathisches Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus. Aber es kommt noch besser! Ehe ich überhaupt begreife, was passiert, eilt er auf mich zu, nimmt mich bei der Hand und sagt: ‚Renate, da bist du ja.‘ Sprachlos starre ich diesen tollen Mann an und denke: Verdammt, woher kennt der mich?“ Wieder bricht sie ihre Erzählung ab. Jetzt hat sie mich richtig neugierig gemacht und deshalb entgegne ich unwirsch: „Willst du mir heute noch erzählen, wie es weitergeht, oder soll ich mir morgen einen Termin für dich freihalten?“ „Oh, du bist aber schlecht gelaunt. Um es kurz zu machen, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte, fiel mir wirklich nichts Besseres ein, als zu fragen, woher der Typ mich kennt.

Und jetzt halt dich fest. Kennst du Eddie?“ Klar kenne ich Eddie. Renates On-off-Freund aus Jugendtagen. Lange ist es her. Die beiden haben sich dann irgendwann endgültig getrennt und Eddie ist ausgewandert nach Australien. Ich nicke also heftig zur Bestätigung. „Er ist auf Besuch da und hat überall nach mir gefragt. Weil er mich unbedingt ‚um der alten Zeiten willen‘ sehen möchte. Außerdem will er wissen, wie es mir so ergangen ist und was ich mache.

Der gute Eddie.“ „Schön, aber was hat das nun mit dem Mann im Nagelstudio zu tun?“ „Ach ja, das ist Rudolfo, der beste Freund von Eddie. Mit ihm ist er nach Deutschland gekommen, um seine Verwandtschaft zu besuchen. Alleine zu reisen ist ja doch recht öde. Marie von gegenüber, die ja immer gut informiert ist, wie du weißt, hat Eddie gesteckt, wo ich gerade bin. Aber er musste zu irgendeinem Termin und bat Rudolfo, mich aufzuspüren, damit ich ihm nicht durch die Lappen gehe. Die beiden sind nämlich nur heute und morgen hier und fahren dann weiter nach Düsseldorf. Verwandte von Rudolfo besuchen.“ „Und woher wusste dieser Schönling, wie du aussiehst?“ „Ha, ha!“, lacht Renate triumphierend auf. „Eddie scheint mich so gut beschrieben zu haben, dass er sofort wusste, wer ich bin! Was wieder einmal beweist, wie gut ich mich für mein Alter gehalten habe.“ Da war er, der zweite Lieblingssatz meiner besten Freundin. Nein, sie hat keinen Jugendwahn, aber einen etwas sehr ausgeprägten Selbsterhaltungstrieb. Sie würde sich niemals operieren lassen. Aber alle anderen Methoden sind durchaus denkbar. Ich glaube, es gibt keine Diät, welche Renate nicht schon probiert hat. Im Leben meiner Freundin dreht sich alles um die Schönheit, ihre Schönheit. Zugegeben, für Mitte dreißig sieht sie noch richtig heiß aus, aber sie hat ja auch keine Kinder, die ihr die Zeit und die Figur rauben. Die langen rotbraunen Haare sind immer perfekt gestylt, das Outfit ist aufeinander abgestimmt und das Make-up ist tagsüber dezent unterstreichend und abends verführerisch in Szene gesetzt. Häufig lache ich über ihre Exzentrik, und Hans und ich albern oft herum, wie verloren Renate als Hausfrau mit Kindern wäre, aber manchmal bin ich auch ein klein bisschen neidisch auf sie. Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, ich liebe meinen Mann und meine Kinder. Es ist das Leben, das ich immer führen wollte. Es geht uns gut, wir können uns auch mal was leisten und unsere Ehe läuft perfekt. Hans ist mein Traummann. Welche Frau kann das nach vierzehn Jahren schon noch sagen? Trotzdem erwische ich mich ab und zu mal dabei, mir zu wünschen, ein freier Mensch zu sein, so wie Renate. Ohne Verpflichtungen und diesen ständigen Haushalt. Wie herrlich wäre es, einfach einmal wieder nur so in den Tag hineinzuleben. Fortzugehen, wann und wohin ich möchte, ohne mir Gedanken machen zu müssen, wer auf die Kinder aufpasst - oder ob wir zu zweit gehen können oder wieder mal einer, meistens ich, den Kürzeren zieht und auf die Kinder aufpasst. Mühsam verdränge ich diese unseligen Gedanken wieder und frage: „Wo ist denn dieser Rudolfo jetzt und wo ist Eddie?“

„Rudolfo sitzt außen im Wagen und wartet auf mich, er möchte mich nach Hause bringen. Ein wahrer Gentleman. Eddie möchte heute Abend mit mir essen gehen. Er hat schon einen Tisch reserviert im Barnabus.“ Wow, das ist das teuerste und beste Restaurant in der nächstgrößeren Stadt. Der lässt es aber ganz schön krachen. „Komm, ich stelle dich kurz vor. So, wie es in meinem Kleiderschrank aussieht, muss ich wohl noch einmal shoppen gehen. Das wird knapp bis heute Abend.“ „Nö, lass mal, ich muss den nicht sehen“, wehre ich verlegen ab und sehe an meinem Streifenshirt und der bequemen Jeans herunter. Die blonden langen Haare sind zu einem Zopf zusammengefasst und ich trage kaum Make-up. Wenn der tatsächlich so gut aussieht, wird es peinlich für mich. Wie immer übergeht Renate jedoch meine Zurückhaltung, weil sie wenig Gespür für so etwas hat. Ergreift unsanft meinen Arm und zerrt mich die Treppe zum Auto hinauf. Dort steht eine große Limousine in Grafit und hinter dem Lenkrad sitzt ein äußerst attraktiver, dunkelhaariger Mann, der sich nun mit einer eleganten Fließbewegung aus dem Auto schlängelt und sich an der Motorhaube aufbaut. Er strahlt mich mit ebenmäßigen weißen Zähnen an und hält mir die Hand hin. „Hallo, Sybille, sehr erfreut. Mein Name ist Rudolfo de la Rolenta!“ Was für ein Name! Stumm ergreife ich seine große Hand und knirsche mit den Zähnen bei dem festen Händedruck. Sofort lockert sich der Griff und er schaut erschrocken drein. Das wiederum lässt ihn so jungenhaft wirken, dass ich lachen muss. „Machen Sie sich keine Sorgen, meine Knochen sind noch alle heil“, scherze ich lächelnd. Die Stimmung lockert sich und wir plaudern ein bisschen über die Reise und woher er und Eddie sich kennen. Dann bläst Renate zum Aufbruch und wir verabschieden uns voneinander. Dieses Mal jedoch ohne Händedruck. Noch immer beschwingt von der höchst willkommenen Abwechslung an diesem Vormittag, schließe ich ab und begebe mich wieder in das Erdgeschoss, um meine gleich aus der Schule kommende Tochter zu empfangen.

Zuhause bei Sybille

Ich möchte ja nicht meckern, aber Renates Abend verlief mit Sicherheit um einiges spektakulärer als meiner. Es gab Spaghetti und den alltäglichen Streit zum Thema Tischabräumen. Danach verkündete mir mein geliebter Mann, er hätte noch zu arbeiten, und verzog sich ins Büro, und ich brachte die Kinder ins Bett. Wenn Hans noch in seinem Büro ist, hat das durchaus auch Vorteile. Mir bleibt dann nämlich genügend Zeit, um durch das Fernsehprogramm zu zappen und alles zu sehen, was Hans nicht so gerne sieht. Er schaut sich hauptsächlich Reportagen oder Fußball an. Manchmal auch noch Formel 1, also nicht unbedingt Sendungen, die Frauenherzen höherschlagen lassen.

Aber als pflichtschuldige Ehefrau sehe ich sie mir natürlich mit an. Der Nachteil an meinem fernsehabendlichen Alleingang war, ich hatte Zeit und malte mir in den schillerndsten Farben aus, wie wohl das Date zwischen meiner besten Freundin und Eddie ablaufen würde. Wieder überkam mich so etwas wie Neid. Nicht auf Renate, aber darauf, dass sie abends ausgeht und ich zu Hause vor dem Fernseher sitze. Allein! Ich weiß gar nicht, wann Hans und ich das letzte Mal so richtig schick essen waren. Es ist bestimmt ein Jahr her. Wie schade. Genug über den vergangenen Abend gejammert.

Nach einem schnellen Frühstück stehe ich inzwischen wieder in meinem Laden und bin schon ganz unruhig, weil ich immer noch nichts von meiner Freundin gehört habe. Da ich so neugierig war, habe ich gleich nachdem die Kinder außer Haus waren eine SMS geschrieben, wohl wissend, dass sie um diese Zeit noch schläft. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, Renate ist jetzt wach.

Wahrscheinlich schält sie sich gerade aus ihrer obligatorischen Schlafmaske, mit der sie immer wie ein Elch aussieht. Um elf liege man nicht mehr im Bett, denn der Körper solle nicht weniger als sieben, aber auch nicht mehr als neun Stunden Schlaf bekommen, werde ich immer belehrt. Das sei schlecht für die Attraktivität. Damit hat sie sicherlich recht, aber sie hat schließlich auch keine Kinder, die ausreichend Schlaf schier unmöglich machen.

Umso stolzer bin ich, noch halbwegs gut auszusehen, trotz chronischen Schlafmangels. Kribbelig sehe ich auf mein Handy, nur um festzustellen, dass ich keine Nachricht bekommen habe. Unverschämtheit, sie weiß genau, wie sehr ich auf Neuigkeiten brenne.

Insgeheim setze ich mir noch eine Frist von einer halben Stunde. Wenn Renate sich bis dahin immer noch nicht gemeldet hat, werde ich anrufen. Gerade heute ist wenig los und der Vormittag zieht sich. Verzweifelt greife ich zu meinem Terminkalender, um zu sehen, was diese Woche noch so alles ansteht. Oh je, morgen muss ich mit Pipa zum ersten Mal zum Kieferorthopäden. Das wird nicht lustig und am Ende mit Sicherheit auch teuer. Leider sieht meine Tochter mit ziemlich starkem Überbiss die Notwendigkeit einer festen Spange so gar nicht. Da kommen noch ein paar handfeste Diskussionen auf mich zu.

Eine wie Kaugummi ziehende halbe Stunde neigt sich ihrem Ende zu. Gerade greife ich beherzt zum Hörer, da öffnet sich die Ladentür und herein spaziert Frau Göpp. So heißt Renate mit Nachnamen. Ihr auf dem Fuß folgen zwei Kundinnen. Die erste drängt meine Freundin unsanft zur Seite, nachdem diese zögernd stehen bleibt, und nimmt mich in Beschlag.

„Sagen Sie mal, Frau Wurst, ich habe doch letztens erst bei Ihnen diese wundervollen Kerzen gekauft. Erinnern Sie sich noch?“ Logisch, außer dir hatte ich ja vergangenen Monat nur so um die hundert Kundinnen. Meine grauen Zellen strengen sich verzweifelt an und greifen nach dem Erstbesten, das ihnen einfällt. „Ich glaube, das war eine große Duftkerze“, antworte ich hoffnungsvoll. Verblüfft sieht mich die Frau an. „Sie wissen es noch, da bin ich aber beeindruckt!“ Ich auch, das können Sie mir glauben. Liebenswürdig lächelnd zeige ich nun auf den Stand mit meiner aktuellen Auswahl an duftenden Wachsexemplaren und überlasse die Dame erst einmal ihrer Schnüffelei. Währenddessen hat sich schon die zweite Kundin an mich herangepirscht. Aus dem Augenwinkel bemerke ich Renate, die am Ende des Ladens von einem Fuß auf den anderen tritt und nicht weiß, wohin mit ihren Händen. Sie ist nervös, doch noch habe ich keine Zeit für sie. Häkelgarn für eine My-Boshi-Mütze ist dieses Mal gefragt. Eine passende Anleitung und Größenberatung wird zusätzlich benötigt. Nach der Bezahlung ist dann auch Kundin Nummer eins fündig geworden. Sie hat sich für die Cappuccino-Kerze entschieden. Diese wird noch von mir fachgerecht zum Geschenk verpackt und Renate platzt gleich.

Kaum ist der Laden leer, stürmt sie auf mich zu und drückt mich, dass mir ganz schwindelig wird. „Was ist denn mit dir los?“, befreie ich mich atemlos aus ihrer Klammerumarmung. „Er will mich mitnehmen!“ Schreit sie schrill in mein Ohr. „Nach Düsseldorf? Soll ja zum Shoppen nicht schlecht sein, also genau deine Welt“, antworte ich amüsiert. „Wie kommst du denn auf Düsseldorf? Nach Australien natürlich!“ Kurzzeitig setzt die Verbindung zwischen Gehirn und Sprechmuskel bei mir aus. Nun weiß ich, wie meine Teenagertochter sich manchmal fühlt. Interessante Erfahrung. Entgeistert starrt mich Renate an. Mit Schweigen hat sie wohl nicht gerechnet. Wie bei einem Fisch schnappt mein Mund nach Luft, um endlich ein „oh“ zu formen. „Ist das alles?“ Meine beste Freundin ist sichtlich irritiert. Sybille, reiß dich mal zusammen! Nun findet endlich mein Gehirn seine Sprache wieder und jetzt klappt es auch mit der Artikulation. „Was willst du denn bei den Kängurus? Wie stellt ihr euch das eigentlich vor? Ihr habt euch Jahre nicht gesehen und nach einem gemeinsamen Abend sollst du mit nach Australien gehen? Will er dich etwa heiraten oder hat er schon Familie? Ist ja nicht auszuschließen in seinem Alter.“ „Sybille! Möchtest du auch antworten oder mich weiter niedermachen?“, mault Renate mich höchst verstimmt an. Achselzuckend stehe ich vor ihr. Mein Gehirn und Mund kooperieren schon wieder nicht miteinander. Das wird langsam echt lästig. Ich muss bei Gelegenheit mal mit Pipa darüber sprechen. Sie kennt sich da schließlich aus.

Verschwörerisch blickt meine Freundin mich an und erklärt: „Er hat dort so etwas wie eine Farm. Mit Tieren und Landwirtschaft. Inzwischen läuft das Ganze wohl so gut, dass er mehrere Angestellte hat und gut davon lebt. Eddie ist der Meinung, eine weibliche Hand fehlt jedoch noch im Haus und auf dem Hof. Wir haben uns gestern wirklich gut verstanden und da hat er mir spontan das Angebot gemacht, ihn in Australien zu besuchen. Nachdem Eddie wieder aus Düsseldorf zurück ist, möchten wir uns noch einmal sehen und meine Reise zu ihm planen. Vielleicht wird aus uns ja wieder ein Paar.“ Strahlend sieht sie mich an und ich glotze mit offenem Mund zurück. Nachdem schon langsam ein Spucketeich auf meiner Zunge entsteht, schlucke ich diesen mühsam herunter und krächze. „Hat der Mann eigentlich noch alle Tassen im Schrank? Ich meine, er kennt dich nicht so gut wie ich, ist schon klar, aber was sollst du denn in Australien? Bei Viehzucht und Ackerbau. Hattest du gestern den Eindruck, Eddie sieht schlecht?“ Renates Gesicht läuft rot an. Auweia. „Nein, ich hatte nicht den Eindruck, dass er schlecht sieht, im Gegenteil, ich denke, er hat erkannt, was so alles in mir steckt.“ Prustend entgegne ich: „Ja, eine Bäuerin. Sag mal, hast du dir gestern etwa ein Dirndl gekauft?“ Nun wird sie richtig wütend und sieht mich mit glitzernden Augen an. „Du kannst so gemein sein. Nein, ich hatte etwas Hautenges, Rotes von Prada an, wenn du es genau wissen willst. Und ich denke, du bist nur neidisch, weil du hier mit Mann und Kindern festsitzt und ich die Chance habe, nach Australien zu gehen.“ Oh verflixt, sie ist wirklich sehr sauer. Ich versuche, die Wogen wieder zu glätten. „Süße, nun sei nicht gleich so eingeschnappt. Aber sieh mal, ich kenne dich nun schon seit zwanzig Jahren und weiß, wie extrem wichtig dir deine Unabhängigkeit ist. Dort wärst du immer irgendwie von Eddie abhängig. Willst du das wirklich?“ Vorsichtshalber lasse ich beiseite, dass Renate nicht zur Bäuerin oder Sonstigem taugt. „Hm, daran habe ich noch gar nicht gedacht. Vielleicht lasse ich mir das alles noch mal in Ruhe durch den Kopf gehen. Wenn Eddie wieder da ist, sollten wir uns darüber auf jeden Fall unterhalten.“ Beruhigt, meine Freundin wieder ein bisschen auf den Boden der Tatsachen gebracht zu haben, verabschiede ich mich von ihr. Mein Tagesplan ist durch unsere lange Plauderei schon wieder gefährlich in Schieflage geraten. Tizian muss dringend vom Kindergarten geholt werden und einkaufen will ich auch noch. Am besten vorher. Wie Sie ja wohl selbst wissen, ist Einkaufen mit Kindern nicht witzig. Ständig umschiffst du irgendwelche Hindernisse. Die ganze Zeit heißt es: „Mama, ich will aber den Wagen mit dem Auto. Mama, ich möchte heute aber lieber Käse. Mama, kannst du mir nicht Götterspeise und Schokoladenjoghurt kaufen?“ Und so weiter. Ich weiß nicht, wer am Ende glücklicher den Supermarkt verlässt. Tizian, weil er doch so ab und an seinen Willen bekommen hat, oder ich, weil ich es geschafft habe, nicht in allem nachzugeben und deshalb noch ein paar Euro mehr im Geldbeutel habe.

Am Abend diskutiere ich mit Hans Renates Vorhaben, eventuell Australien zu bereisen und vielleicht dort sesshaft zu werden. Er reagiert wie erwartet mit schallendem Lachen. Mein Mann hält Renate sowieso für komplett lebensunfähig und fragt mich oft, warum wir eigentlich schon seit zwanzig Jahren befreundet sind. Da gibt es so einige Gründe, denn abgesehen davon, dass wir in vielen Dingen grundverschieden sind, ist sie der beste Mensch, den man an seiner Seite haben kann. Sie ist grundehrlich und immer geradeheraus, auch wenn es manchmal wehtut, aber bei ihr weiß ich, das sie nichts zu mir sagen würde, nur weil ich es hören möchte. Klar, ihre Räucherstäbchen sind der Horror, kommt man zu ihr nach Hause, wird man immer an die Haschbuden der Siebzigerjahre erinnert. Auch ihre Vorliebe für Feng-Shui treibt mich schon mal in den Wahnsinn. Ihre ganze Wohnung ist danach ausgerichtet, und wenn es nach Renate ginge, wäre es auch unser Haus. Bis jetzt konnte ich mich bis auf den Garten jedoch erfolgreich wehren. Unser Garten ist ein wahres Feng-Shui-Paradies, dank der Gestaltungswut meiner besten Freundin. Sie hat alle Arbeiten der Gärtner strengstens überwacht.

Da meine Eltern lange Zeit gesundheitsbedingt nicht in Deutschland lebten, hat sie mir in all den Jahren auch so manches Mal die Familie ersetzt. „Was will Renate denn mit ihren manikürten Fingernägeln im Busch? Die würde doch niemals in der Erde wühlen. Selbst beim Anblick eines Regenwurms bekommt sie schon einen Schreikrampf. Ist ihr denn nicht klar, dass sie sich da auch ab und zu die Hände schmutzig macht?“, will Hans nun von mir wissen. „Was? Tante Renate will Gärtnerin werden?“ Pipa stürmt in den Raum und hat offensichtlich gelauscht, aber nur die Hälfte gehört. Ihre Gesichtszüge zeigen eine Mischung aus Entsetzen und Unglauben. Eine Höchstleistung für einen Teenager, glauben Sie mir. Renate ist Pipas Patentante und das große Vorbild meiner Tochter. Wenn sie erwachsen ist, möchte sie genau das gleiche Leben führen wie meine beste Freundin. Sie übersieht dabei die Schattenseiten und dass Renate für ihre finanzielle und private Unabhängigkeit hart arbeitet. Meine Freundin hat seit zehn Jahren eine kleine, erfolgreiche Kunstgalerie. Den Erfolg musste sie sich schwer erkämpfen. Ihr ehemaliger Chef war mehr als verärgert, als ihm seine beste Kraft und Aushängeschild der Galerie erklärte, sie mache sich nun selbstständig. Natürlich erfuhren die Kunden davon und haben sich auch in Renates Galerie umgesehen. Doch das Problem war, dass zu Beginn kein großer Künstler bei ihr ausstellen wollte. Warum? Nun ja, sagen wir es mal so, es gab da jemanden, der schon viel länger im Geschäft war und mehr Personen kannte. Hartnäckigkeit gepaart mit Charme zahlte sich dann doch aus, und heute kann Renate jeden Künstler haben. Der Nachteil: Vernissagen sind meistens abends oder an den Wochenenden, eben wenn die arbeitende Gesellschaft Zeit hat. Also ist ein Beziehungsleben mit ihrem Beruf schwer zu vereinbaren.

„Nein,“ antworte ich meiner Tochter erklärend, „Renate wird nicht Gärtnerin. Überhaupt ist das ein Erwachsenengespräch und geht dich gerade mal nichts an.“ „Wenn es um meine Patentante geht, dann geht mich das sehr wohl was an,“ mault Pipa. „Ich werde dir morgen alles erzählen, jetzt geh bitte ins Bett, es ist schon spät und du schreibst morgen Schulaufgabe.“ Trotzend stapft meine Tochter davon. Dank meiner Tochter habe ich einen Weg gefunden, Renate ins Gewissen zu reden. Sie liebt ihre Kunstgalerie und hat so viel dafür getan, um in den Künstlerolymp aufgenommen zu werden. Wenn sie jetzt nach Australien ginge, müsste sie vielleicht ihre Galerie verkaufen. Für Renate bisher immer undenkbar. Grinsend sehe ich Hans an. „Ich glaube, es gibt einen Weg, damit sich meine Freundin diese Flausen wieder aus dem Kopf schlägt.“