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Christa Agnes Tuczay

hat in Wien Germanistik und Pädagogik, Philosophie und Psychologie studiert. Im Anschluss an die Promotion in 1981 war sie Mitarbeiterin bei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Nach diversen Forschungsaufenthalten, u.a. in London und Irland, nahm sie einen Lehrauftrag an der Universität Wien im Institut für Germanistik an. Von 2002 bis 2006 war sie als Verlagslektorin tätig. Von 2006 bis 2010 arbeitete sie an Projekten zur mittelhochdeutschen Erzählliteratur und zur Faszination des Okkulten und schloss ihre Habilitationsschrift Ekstase im Kontext ab. Bis heute liegen die Schwerpunkte ihrer wissenschaftlichen Publikationen in den Bereichen Mittelalterrezeption, Erzählforschung und Kulturkunde.

Zum Buch

»Wer die Seele tötet, weckt die Dämonen.« SAUL BELLOW

In vielen Kulturen und Religionen ist bis in die Gegenwart der Glaube an Geister und Dämonen präsent. Ob als Poltergeister, als namenlose Wesen aus alten Zeiten, die wegen bestimmter Vergehen als Geister ihr Dasein fristen müssen, oder als verstorbene Familienmitglieder, die ihre Nachkommen entweder durch ihre Anwesenheit schützen oder heimsuchen – unzählige Geistererscheinungen haben auch in der Gegenwart ihren festen Platz im Alltagsleben vieler Menschen. Ebenso verhält es sich mit Dämonen, die häufig mit Besessenheit und (religiöser) Austreibung unter größten körperlichen und seelischen Qualen in Verbindung gebracht werden. Christa Agnes Tuczay entwirft eine ausführliche Kulturgeschichte der Geister- und Dämonengestalten von der Antike bis zur Gegenwart. Den Schwerpunkt bilden dabei Geister- und Dämonenvorstellungen in den drei monotheistischen Religionen Judentum, Islam und Christentum.

Christa Agnes Tuczay
Geister, Dämonen – Phantasmen

Christa Agnes Tuczay

Geister, Dämonen –
Phantasmen

Eine Kulturgeschichte

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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© by marixverlag in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2015
Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2015
Covergestaltung: Network! Werbeagentur, München
Bildnachweis: Die Hölle. Mosaik von Coppo di Marcovaldo,
um 1225 – nach 1274
© Domingie & Rabatti – La Collection – ARTOTHEK
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0491-2

www.verlagshaus-roemerweg.de

»Wer die Seele tötet,
weckt die Dämonen.«

Saul Bellow

INHALT

VORWORT

EINLEITUNG

I.ZWISCHEN GÖTTERN UND MENSCHEN

Begriffsklärungen

Dämonen bei Griechen und Römern

Engel und Dämonen in den abrahamitischen Religionen

Schutzgeister und Doppelgänger

Folgegeister und Begleiter – Keltische und nordische Schutzgeister

Die Tiermütter der Schamanen

II.GEISTER IN HAUS UND HOF

Götter und Geister

Kobold, Schrat, Hinzelmann und Zwerg

Klabautermann

Geldmännlein, Feuriger Drache, Hausschlange und Alraun

III.WALD-, FELD- UND WASSERGEISTER

Waldgeister oder Holzleute

Korngeister – Butzemänner

Wassergeister und Feen

Berggeister – Rübezahl

Frau Holle und Domina Percht

IV.KRANKENGEISTER ODER KRANKHEITSDÄMONEN

Begrifflichkeiten

Der Mittagsdämon: Daemonium meridianum

Der drückende Alpgeist

Dämonische und gespenstische Liebhaber

Geist- und Dämonenbesessenheit

Die Unterscheidung der Geister

V.TOTENGEISTER UND WIEDERGÄNGER

Das Wesen der Gespenster

Abgrenzungen und Überschneidungen

Unterhaltungen mit mittelalterlichen Geistern

Verhängnisvolle Versprechen

Einladungen und Entführungen: Zwerge, Feen, Aliens

Totenheere und Wilde Jäger

Weiße Frauen und verschwindende Anhalter

Poltergeister und verlassene Häuser

Schatzhüter und Schatzgeister

Teufelsgespenster und Schreckgestalten in der Neuzeit

VI.GEISTER- UND HÖLLENZWÄNGE

Salomo und die Dämonenbeschwörung

Nekromanten – Geisterbeschwörer – Geisterbanner

Die Geisterseher

VII.GEISTER UND GEISTERERSCHEINUNGEN IN DER MODERNE

Tischrücken und Geistermaterialisationen

Geister und Dämonen im Film

VIII.SCHLUSSBETRACHTUNG: FUNKTION UND BEDEUTUNG
DER
GEISTER UND DÄMONEN

VERZEICHNIS DER HÄUFIG ZITIERTEN PRIMÄRLITERATUR

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

VORWORT

Schon als Kind liebte ich Gespenstergeschichten. In Sommernächten und Winterabenden hat eine Nachbarin aus ihrem damals reichen Repertoire an Gespenstergeschichten geschöpft. Von aus dem Grabe auferstandenen Geistern, von Wiedergängern war die Rede, glühende Totenköpfe trieben ihr Unwesen, und ich habe nach diesen Gruselstunden immer unter mein Bett geblickt, um zu sehen, ob sich darunter nicht etwas Unheimliches aufhalte. Dennoch wollte ich immer wieder solche Geschichten hören, und ich erfuhr das erste Mal die Lust am schönen Gruseln, jener Faszination des Grauens, die heute noch das Genre des Horrorfilms äußerst lebendig erhält. Als ich die gehörten Geistergeschichten viele Jahre später aufschreiben wollte, konnte sich die mittlerweile betagte Nachbarin nicht mehr daran erinnern. Meine Erinnerung hat aber mein Interesse für diese Erzählungen wach gehalten. Meine Unterrichtspraxis hat auch gezeigt, dass, wenn Geister und Wiedergänger zur thematischen Auswahl standen, nicht nur österreichische Studenten sich für das Thema erwärmten, sondern auch z. B. thailändische, wie überhaupt die höchst lebendige asiatische Gespenstergeschichte das Horrorgenre immer wieder mit neuen Sujets und Motivkombinationen befruchtet.

In der heutigen, oberflächlich betrachtet, säkular ausgerichteten Zeit scheint es aber nach wie vor eine dunkle Unterströmung zu geben, denn das Geister- und Gespensterthema, das wohl so lange diskutiert wird, wie es Menschen gibt, bleibt im Fokus, wenn auch hauptsächlich im Medium Film. Noch heute aktuell sind die Fragen, ob es ein Jenseits gibt, uns schützende Engel unser Leben lang begleiten, die Verstorbenen noch mit uns kommunizieren können und ob das Böse vielleicht doch sichtbar und greifbar auftreten kann. All diese Natur- und Kulturgeister in eine Systematik bringen zu wollen, war ein schwieriges, wenn nicht nahezu unmögliches Unterfangen. Auch die große Spanne von der Antike bis zur Gegenwart in Längs- und Querschnitten zu bewältigen, musste viele durchaus interessante Details vernachlässigen. Dass mein Forschungsschwerpunkt sich hauptsächlich auf mittelalterliche Literatur und Kultur konzentriert, war bei diesem Thema von Vorteil, da der abendländisch-christliche und damit europäische Geister-, auch Naturgeister- und Dämonenglaube sich in der Referenz zur Antike im Mittelalter herausgebildet und christlich kontextualisiert wurde. Freilich hat sich u. a. mit der Säkularisierung und Aufklärung die fiktionale Geistergeschichte entwickelt und im 18. bzw. 19. Jahrhundert als eigenständiges Genre durchgesetzt, geht man davon aus, dass vorher die Gespensterscheinungen nahezu unhinterfragt als (Alltags-)Realität angesehen wurden. Die Analyse der zwar aus der Volksvorstellung sich speisenden, aber rein fiktionalen Geistergeschichte konnte hier nicht geleistet, sondern nur gestreift werden.

Dass das Thema nach wie vor ungebrochen fasziniert, lässt sich u. a. daran erkennen, dass die grundlegenden Forschungsarbeiten (von der nahezu unüberschaubaren populären Literatur zum Thema einmal abgesehen) zu Hausgeistern und Gespenstern von Leander Petzoldt, Jean-Claude Schmitt und Claude Lecouteux immer wieder neu aufgelegt werden und Letzterer in englischer Übersetzung einem breiteren Publikum zugänglich ist. Die fiktionale Gespensterliteratur ist sehr gut aufgearbeitet, weshalb ich dieses riesige Feld nur in groben Zügen zusammengefasst und im jeweiligen Kapitel auf einschlägige literarische Werke verwiesen habe.

Das vorliegende Buch kann die angeschnittenen Themen freilich oft nur skizzenhaft vorstellen, da eine tiefer gehende Analyse den Rahmen sprengen würde. Die Literaturliste verweist im jeweiligen Kapitel auf die verwendete und weiterführende Forschungsliteratur.

Obwohl ich ursprünglich einen Überblick über die europäischen Traditionen der Natur- und Kulturgeister mit Ausblick auf orientalische und asiatische Vorstellungen zumindest angedacht hatte, musste ich nach den ersten Analysen erkennen, dass eine Beschränkung auf den europäischen Bereich, insbesondere das deutschsprachige Gebiet, unumgänglich ist. Eröffnet sich doch allein bei den Hausgeistern ein überaus weites, variantenreiches Feld von zwar allgemein sehr ähnlich charakterisierten Gestalten, die jedoch im Detail nicht nur in ihrer Benennung deutlich voneinander abweichen.

In der Überschau wird deutlich, dass rätselhafte Erscheinungen und die damit verbundene Annahme einer Wirkmächtigkeit von Geistern und Dämonen ein Thema darstellen, bei dem naturwissenschaftliche, psychologische und grenzwissenschaftliche Erklärungen und Erkenntnisse religiösen und esoterischen Glaubenssystemen (oft unversöhnlich) gegenüberstehen, aber an Faszination keineswegs eingebüßt haben, ganz im Gegenteil.

Wien 2014

Christa Tuczay

EINLEITUNG

Spricht man heutzutage von Geist bzw. einem Geist, wird schnell klar, wie viele unterschiedliche Inhalte der Begriff abdeckt. Der Begriff »Geist« kann je nach Kontext Verstand, Idee, Gemüt, Gefühl, aber auch Gespenst, also Spukerscheinung bedeuten. Im heutigen Sprachgebrauch verwendet man den Begriff einerseits, um menschliches Verhalten bzw. den menschlichen Charakter (geistreich, geistlos), andererseits aber auch, um Gruppen von Menschen und deren »Zeitgeist« zu umschreiben, Zeitstimmungen einzufangen. In den Begriffskomposita Totengeist, Schutzgeist, Spukgeist etc. steht Geist als zweiter Teil des Kompositums für ein meist aus dem Jenseits kommendes Geistwesen, der Inhalt dieser Begriffe erweist sich aber als inhomogen und divergierend. In der religiösen Terminologie nehmen Geister einen besonderen Stellenwert ein. Gott ist nach biblischer Definition der oberste (Schöpfer-)Geist, und nach der neutestamentlichen Theologie erhalten die dritte göttliche Person, der Heilige Geist und seine Gaben vor allem in der Frömmigkeitsgeschichte besondere Relevanz.

Die Volkskunde, die sich seit den Brüdern Grimm der Thematik gewidmet hat, bezeichnet mit Geist ein übernatürliches Wesen. Geist ist also ein Sammelbegriff für höchst unterschiedliche Phänomene. Schwierig ist die Differenzierung zu anderen Jenseitigen wie z. B. den Dämonen, aber auch zu den Gespenstern bzw. Spukgeistern. Die Begriffe, »Geist«, »Gespenst« und »Dämon« werden vielfach synonym verwendet, wobei die Verwechslung sich hauptsächlich auf den Gebrauch des Begriffes Geist in Bezug auf Ortsgeister bzw. Lokaldämonen, aber z. B. nicht auf Totengeister bezieht. Alle diese Geistwesen unterschiedlicher Provenienz subsumiert die Volkskunde unter der sogenannten Niederen Mythologie. Die Schwierigkeit, die Geister- und Dämonenwelt in eine adäquate Systematik zu bringen und dabei die historische Entwicklung miteinzubeziehen, wird zwar von jeder wissenschaftlichen Studie angesprochen, eine die Vielgestalt der Geister umfassend abdeckende Einteilung kann es vermutlich jedoch nicht geben. Röhrichs Unterscheidung von Kultur- und Naturgeistern ist praktikabel, die verschwimmenden Grenzen, Überlagerungen und Überschneidungen zum Begriff Dämon bleiben aber bestehen.

Die Naturgeister sind in den verschiedenen Elementen verortet: Feuer-, Luft-, Erd-, Wassergeister. Hinter Naturerscheinungen wie Bergen, Bäumen, Flüssen und Tieren, aber auch Wetterphänomenen wie Nebel, Wolken und Gewitter wurden vielfach diese schützende (wie z. B. der Berggeist Rübezahl), aber auch diese erzeugende Geister vermutet. Die erwähnten Begriffe neigen zu zahlreichen Überschneidungen und Übergängen und umfassen daher auch viele Brüche und Widersprüche. Viele Geister passen nicht in das erwähnte Raster wie z. B. jene Schutzgeister, die den Menschen begleiten, ebenso wie die Krankheitsgeister, Schatzgeister und Poltergeister. Letztere gehören zur Großgruppe der Totengeister, die den Teil des Menschen bilden, der den Tod überdauert, der aber nicht immer mit dem Begriff der (armen) Seele identifiziert werden darf.

Die Geistererzählung bzw. Geistergeschichte hat sich in Antike und Mittelalter aus meist didaktisch-programmatischen Quellen, also lehrhaften nicht-literarischen Schriften gespeist und noch kein eigenes Genre ausgebildet. In den Volkserzählungen, Sagen und Märchen sind Geisterscheinungen und deren Funktionsweise thematisiert, besonders die Sagen – und hier sowohl die historischen als auch die modernen Zeitungssagen – berichten gehäuft von Spukphänomenen. Die Geistergeschichte als eigenes literarisches Subgenre hat sich vor allem im Roman des 19. Jahrhunderts etabliert.

Obwohl Geistererscheinungen auf der ganzen Welt dokumentiert sind und die in den Berichten enthaltenen Erzählmotive und Typen, unabhängig vom kulturellen Kontext, viele Gemeinsamkeiten aufweisen, werden die Erscheinungen je nach Tradition unterschiedlich erfahren und benannt. Wenngleich man Totengeistwahrnehmungen als hellseherischen Akt verstehen kann, beweist dieser noch nicht die Realexistenz eines Geistes. Umlaufende Geistergeschichten, ebenso wie auch andere mündliche Erzählgenres, berichten uns weniger über Geister selbst als über die Beziehungen der Diesseitigen zu Jenseitigen. Geistererscheinungen können auch als wichtige Dokumente für die Bewusstseinsentwicklung, der Phantasieleistung, verstanden werden, wie schon Freud die Geistergeschichte als erste theoretische Leistung des Menschen definiert hat. Noch einen Schritt weiter ging C.G. Jung, der die Frage stellte, von wem und unter welchen Bedingungen ein Spukerlebnis erfahren wird. Spukgeschichten deutet er als Psychogramm der Erzähler.

Die Entwicklung des Geisterbegriffs der Gegenwart lässt sich vor allem an seinen Rationalisierungen ablesen. Der immer noch geläufige Begriff Inspiration rekurriert, obgleich er den Geistbegriff enthält, nicht mehr wie ursprünglich auf Geistbesessenheit, sondern auf einen Moment übersteigerten Bewusstseins, das einen »Geistesblitz« beschert. Die plötzliche Eingebung geht nicht auf einen Geist zurück, bezieht sich also heute weder auf vorchristliche Geistbesessenheit noch auf das Pfingstwunder, sondern bleibt metaphorisch-abstrakt.

Die heute zu beobachtende Kommerzialisierung der Geisterheimsuchungen und heidnisch-christlichen Totengedenktage manifestiert sich beispielsweise in den seit den 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts aus den USA rückimportierten Halloweenfeiern ebenso wie in der flächendeckenden Verbreitung esoterischen Gedankengutes. Letztere repräsentieren nur scheinbar Neuentwicklungen, bei genauerer Untersuchung erweisen sie sich als Überformung und Umdeutung älterer Traditionen. Um eine echte Neuerung handelt es sich beim im 20. Jahrhundert entstandenen Mythos von den Außerirdischen, den Aliens, der aber auch zahlreiche Parallelen zum Feen- und Naturgeistglauben aufweist.

Mit dem Spiritismus im 19. Jahrhundert kommen neue wichtige Impulse der Geisterlehre hinzu, wobei der religiöse Kontext nicht mehr allein den Diskurs bestimmt, da die Naturwissenschaft, Psychologie und Grenzgebiete wie die Parapsychologie beginnen, sich das Thema anzueignen. Der »wissenschaftliche Spiritismus« – im Unterschied zum religiösen – hält auch den Einfluss von Personen für möglich, die nicht an einen physischen Körper gebunden sind. Eine solche wird oft mit dem Akronym IPA (= incorporeal personal agent, also: körperfreier persönlicher Handlungsträger) bezeichnet. Ein Beispiel dafür wäre der Geist eines Verstorbenen.

Schon in den Anfängen des Films bei Georges Méliès (La Caverne Maudit 1898) wird die Geisterscheinung zum wichtigen dramatischen und auch dramaturgischen Element. Vom Plot her greifen die Drehbücher sowohl auf traditionelle Geistergeschichten als auch auf die Neubildungen der Esoterik zurück. Das Gespenstergenre erfreut sich internationaler Beliebtheit.

Eine ähnliche Definitionsunschärfe ist beim Begriff Dämon zu konstatieren. Der griechische Begriff Dämon stammt aus der Religionsgeschichte. Homer in der Ilias (1, 222; 3, 4209) spricht hier von einer Gottheit, die aber keinerlei Kultus und Ritus hat. Die Etymologie des Wortes Dämon ist umstritten, vermutlich aus δαίεσϑαι = teilen, zuteilen, was besagt, dass der Dämon als ein Wesen verstanden wurde, das das Böse bzw. Gute zuteilte. Später wurde der Begriff δαίμων zur niedrigen Gottheit, die als Mittler zwischen Göttern und Menschen fungierte. Allerdings war auch eine niedrigere Gottheit fähig, auf das Welt- und damit Menschengeschehen Einfluss zu nehmen, vor allem auf das menschliche Schicksal. Den Begriff Dämon übernahmen Religionswissenschaft, Ethnologie und Folkloristik für Wesen der niederen Mythologie und es kam dadurch zu Überschneidungen mit den Begriffen »Geist« und »Gespenst«. Eine Abgrenzung zu Letzterem gelingt nicht immer. Die Ordnungs- und Systematisierungsbestrebungen der Geisteswissenschaften versuchten sich bereits im 19. Jahrhundert, wenig erfolgreich, an der Klassifizierung der Dämonen. Der Begriff steht daher nach wie vor für jenseitige, übernatürliche Wesen, die hierarchisch unter den Göttern bzw. Gott angesiedelt sind.

Der oft zitierte und erwähnte Dämon des Sokrates ist als sein wohlwollender Schutzgeist zu verstehen, keinesfalls als bösartiger Dämon. Xenokrates hat in seiner Dämonologie Götter für ihre bösen Taten entschuldigt und diese den Dämonen angelastet. Mit der Zeit des sogenannten Neoplatonismus verändert sich die Einschätzung der Dämonen, die nun als durchweg böse Geistwesen verstanden werden.

Daher werden diese auch in der späteren Religionswissenschaft als übermenschlich, untergöttlich und böswillig definiert. Während der griechische Daimon ein zwischen Göttern und Menschen verortetes Naturwesen war, das sich als Stimme manifestieren und auch mit dem Begriff des Schutz- oder Folgegeistes, also mit dem persönlichen Dämon eines Menschen zusammenfallen konnte, erfuhr der Dämon im Geniusglauben der Römer eine Sonderentwicklung. Während sich der Geniusbegriff zu einem wichtigen Erklärungsmodell für menschliche herausragende Leistungen entwickelte, übernahm die Schutzengelvorstellung einige der Charakteristiken des älteren vorchristlichen Schutzgeistkonzeptes.

Wenngleich ihnen ursprünglich sowohl benevolente als auch Schaden stiftende Eigenschaften zugeschrieben worden sind – wie z. B. noch in den frühen Bibelübersetzungen zwischen guten und schädigenden Dämonen unterschieden wird –, setzt sich einerseits die Identifizierung der heidnischen Götter mit den teuflischen Dämonen im Mittelalter, andererseits mit den Scharen des gefallenen Engels Luzifer durch. Die Aufgabe der Dämonen ist es, die Menschen zu versuchen und zu prüfen, aber auch Verstöße gegen christliche Gebote zu bestrafen.

Genauso wie das Gespenstersujet erfreuen sich die Wirkweise der Dämonen und deren Bekämpfung vor allem in Fantasyromanen, Filmen und Fernsehserien bis jetzt enormer Beliebtheit.

Literatur:

Ahn, G. (1987). Grenzgängerkonzepte in der Religionsgeschichte. In: Ahn, G./Dietrich, M. (Hg): Engel und Dämonen. Münster. Biedermann, Hans: Dämonen, Geister, dunkle Götter. Graz (1989); Böcher, O./Wanke, G./ Stemberger, G./ Tavard, G. (1981): Dämonen. I. Religionsgeschichtlich. II. Altes Testament. III. Judentum. IV. Neues Testament. V. Kirchengeschichtlich. In: Theologische Realenzyklopädie 8 (1981), S. 270–300; Herkommer, H./Schwinges, R. (2003). Engel, Teufel und Dämonen: Einblicke in die Geisterwelt des Mittelalters. Basel; Lecouteux, C. (2000). Eine Welt im Abseits: Zur niederen Mythologie und Glaubenswelt des Mittelalters. Dettelbach; Lecouteux, C. (2001). Das Reich der Nachtdämonen. Düsseldorf; Lecouteux, C. (2001). Die Geschichte der Vampire. Düsseldorf. Petzoldt, L. (1990) Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister. München; Röhrich, Lutz (1981) Dämonen. In: Enzyklopädie des Märchens III 223–259. Göttingen; Röhrich, L. (1987). Geist. In: Enzyklopädie des Märchens V 909–922; Schmitt, Jean-Claude: (1994). Die Wiederkehr der Toten. Geistergeschichten im Mittelalter. Stuttgart.

I. ZWISCHEN GÖTTERN UND MENSCHEN

BEGRIFFSKLÄRUNGEN

Ab dem Mittelalter ist der Begriff Dämon ausschließlich negativ konnotiert. Das ist sicherlich als Ergebnis der christlichen Auseinandersetzung mit dem antiken Dämonenglauben und dem neutestamentlichen Dämonenbild zu werten. Die Vieldeutigkeit der Etymologie des Begriffes stellt die moderne Interpretation dieses archaischen Begriffes vor enorme Schwierigkeiten. Etymologisch wird das griechische Wort daímōn mit dem Verbum daíomai = »teilen« bzw. »zuteilen« verbunden. Ein Daimon ist also eine Entität, die etwas teilt oder auch zuteilt. Da die Etymologie nicht sicher ist, lassen sich daraus für die antike Charakteristik des Daimon keine sicheren Schlüsse ziehen. Der Sinn muss also dem jeweiligen Kontext entnommen werden.

Auf den ersten Blick eröffnet sich eine Fülle von unterschiedlichen Bedeutungen und auch Varianten zu häufigen Konnotationen. Dennoch gibt die Etymologie einen ersten Hinweis, nämlich dass Daimon eine unverständliche Macht bezeichnet, die ins menschliche Leben eindringt, ohne dass ihre Herkunft feststeht. Der griechische Begriff Gott, theós, ist eindeutig bestimmbar als Bezeichnung für eine individuell mit Namen benennbare Gottheit, so kann diese Definition für Daimon nicht in Anspruch genommen werden. Theos und Daimon waren zu keiner Zeit deckungsgleich, jedoch gab es durchaus Überschneidungen.

Erschwerend zur Darstellung hinzu kommt die forschungsgeschichtliche Einordnung. Die ältere Forschung und ihre bedeutendsten Vertreter Tylor, Wundt und Frazer, haben versucht, Ursprung und Entwicklung der Dämonen nachzuzeichnen, indem sie die Geister und Dämonen als Vorstufen der Götter interpretieren. Damit stufen sie die Geister als historisch älter als die Götter ein. Diese These lässt sich in der heutigen religionswissenschaftlichen Forschung nicht aufrechterhalten. Da die Zwischenwesen mit einem evolutionistischen Ansatz nicht zu erklären sind, muss man eine Klassifizierung ins Auge fassen, die zwischen positiven, negativen und neutralen bzw. ambivalenten Zwischenwesen unterscheidet.

Das ägyptische Pantheon verfügte über eine große Anzahl von Dämonen, das diese in Erde, Luft und Wasser lokalisierte. Ebenso gab es die sumerische und babylonische Götter- und Geistervorstellung, die neben himmlischen Geistern auch ortsgebundene verehrte, die sich auf und in der Erde aufhalten. Im indischen Pantheon sind die Dämonen Gegenspieler der Götter und depotenzierte Götter. Es existieren verschiedene Dämonenstämme, die Daityas, Danavas und die Rakshasas, die in tierischer Gestalt, aber auch als hässliche menschenähnliche Riesen dargestellt werden, die auf Begräbnisplätzen hausen und Menschen aufhocken, also den Vampiren ähneln.

Eine Systematik der Dämonenlehre ist von den Persern bekannt, die dem Schöpfergott Ahura Mazda sieben Amschaspands und Ahriman, dem obersten Zerstörer, neben den sieben Daevas noch zahlreiche Dämonen unterordnete. Die altiranische Dämonologie sah vor allem in Krankheit, Unglück und jeglicher Unbill das Wirken von Dämonen. Die Daevas oder auch Druj – aus dem altavestischen druj bzw. drug – von Lüge, Trug abgeleitet – kennzeichnet ihr Wirkungsfeld in Bezug auf die Menschen. Sie betrügen diese und verblenden sie. Der oberste Herr ist Ahriman, der Volksglaube kennt die bösen Paris und Yatus, die die Menschen täuschen. Im Zoroastrismus ist die Dämonin Drug die Personifikation der Lüge und des Betruges. Das Laster des Zornes vertritt der später unter dem Namen Asmodeus bekannte Dämon Aesma Deava. Die zoroastrische Dämonologie beeinflusste die jüdische und indirekt die christliche in ihren dualistischen Vorstellungen von bösen Dämonen.

Das Judentum kennt die Schedim, das sind Halbgötter oder Geister. Das Lehnwort aus dem Akkadischen bezeichnet eine gute, beschützende Macht. Psalm 106, 37 erwähnt, dass den Dämonen von heidnischen Völkern Opfer dargebracht wurden, aber auch das Volk Israel betete immer wieder zu Götzen.

Literatur:

Böcher, Otto. Art. Dämonen (»böse Geister«): Religionsgeschichtlich. In: Theologische Realenzyklopädie 8. Berlin (1981) S. 270–274; Böcher, Otto: Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der christlichen Taufe. Stuttgart (1970); Frey-Anthes, Henrike: Unheilsmächte und Schutzgenien, Antiwesen und Grenzgänger. Vorstellungen von »Dämonen« im alten Israel. Göttingen (2007); Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen. Stuttgart (1989); Petzoldt, Leander und S. de Rachewiltz (Hrsg.): Der Dämon und sein Bild. Berichte und Referate des dritten und vierten Symposions zur Volkserzählung. Brunnenburg/Südtirol 1986/87. Frankfurt a. Main (1989). (Beiträge zur Europäischen Ethnologie und Folklore: Reihe B, Bd. 2), S. 85–102; Petzoldt, Leander: Das Universum der Dämonen und die Welt des ausgehenden Mittelalters. In: Mittelalter Mythen, Bd. 2. Dämonen, Monster, Fabelwesen. Hg. v. Werner Wunderlich und Ulrich Müller. St. Gallen (1999) S. 39–57; Petzoldt, Leander: Kleines Lexikon der Dämonen und Elementargeister. München (1990), 2. Aufl. (1995); Rosenberg, Alfons: Engel und Dämonen: Gestaltwandel eines Urbilds. München (1967) S. 47–137 und 144–187; Winter, Franz: Zwischenwesen: Engel, Dämonen, Geister. In: Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen. Hg. v. Johann Figl. Innsbruck-Wien (2003) S. 651–662.

DÄMONEN BEI GRIECHEN UND RÖMERN

Die homerische Zeit bezeichnet mit Daimon das Wirken eines Gottes, der konkret nicht immer genannt wird bzw. nicht genannt werden kann. Die negative Bedeutung, die dem Begriff eignet, ist auch in der Doppelmacht der olympischen Götter zugrunde gelegt. Diese behandeln die Menschen teils wohlwollend, teils grausam. Es zeigt sich, dass sowohl den Göttern als auch den Daimones jeweils beide – maligne als auch benigne – Eigenschaften in Bezug auf die Menschen zugeschrieben werden. In nachhomerischer Zeit wird der Glaube an besondere Heils- und Segensgötter entwickelt, auch Kulte aus anderen Kulturkreisen finden Eingang ins griechische Pantheon. So werden beispielsweise Pan, Serapis, Isis, Kybele, Dionysos, Eros, Leto, Apollo, Nemesis usw. Daimones genannt. Außerdem treten die chthonischen Gottheiten, also die Unterweltsgötter, in den Vordergrund. Hinzu kommt, dass alles Übel, besonders der Tod, nicht mehr dem Wirken eines bestimmten Gottes zugeschrieben, sondern als Eingriff einer göttlichen Macht, einer Schicksals- und Todesmacht umgedeutet wird. So schreiben die nachhomerischen Griechen den Tod entweder dem Daimon oder der Schicksalsgöttin Moira zu.

Dass Daimones den Göttern wesensverwandt sind, darf angenommen werden, sie werden wie diese verehrt und erhalten Opfer. Ebenso wie die Heroen sind Daimones Mittler und Fürsprecher des göttlichen Willens, insbesondere an Orakelstätten, wie die dort gefundenen Anfragen bezeugen. Daimones und Heroen sind aber klar getrennt, denn Heroen unterscheiden sich in einem wichtigen Punkt von den Daimones: sind Abkömmlinge von Göttern und Menschen.

Schon Hesiod hat den Daimon-Begriff eingegrenzt, nur noch selten werden die olympischen Götter mit Daimones identifiziert, und der Begriff trägt im Singular immer mehr einen pejorativen Akzent. Abweichend von Homer (2. Hälfte des 8. Jh. v. Chr.) hat Hesiod (vor 700 v. Chr.) Daimones als Menschen des vergangenen Goldenen Zeitalters verstanden, die nach ihrem Tod zu Wächtern der Lebenden werden und ihnen Reichtum bringen. Die in Inschriften genannten Theioi Daimones sind Seelen der Verstorbenen, und zwar bei den Orphikern jene besonderen Seelen der Geweihten, die nach ihrem Tod zu Theoi erhoben werden. Davon ist die zur selben Zeit entstandene Konzeption der Begleit-Daimones der Verstorbenen zu unterscheiden. Als Schutzdaimon ist dieser dem Einzelnen beigegeben, kann ihn aber verlassen und ein anderer Daimon an seine Stelle treten. Dadurch kann aber auch ein übler Daimon vom Menschen Besitz ergreifen. Betrachtet man die Daimones als etwas, das positiv bzw. negativ auf den Einzelnen wirkt, so hat sich daraus das Konzept eines persönlichen Daimons entwickeln können. Die Vorstellung eines Begleitdämons der Lebenden existierte nur in Ansätzen, während die Vorstellung eines (Begleit-)Daimons Verstorbener einen wichtigen Stellenwert einnahm. So hat sich die Vorstellung eines persönlichen Schutzgeistes, der die Lebenden führt und bewacht, folglich erst aus dem Daimon der Verstorbenen entwickelt und seine Verehrung ähnelt dem Kult der chthonischen Götter.

Die Bezeichnung Daimones ist folglich für die Seelen der Verstorbenen und für die Toten selbst in Gebrauch. Nach Unterscheidung der Götter und anderer Kräfte kann erst die Aufteilung in gute und böse erfolgen. Das Unheil wird den Daimones zugeschrieben. Schon in der Frühzeit werden diese, worunter vor allem die chthonischen Götter zu verstehen sind, angerufen. Unter deren Schutz steht der Tote nach der Bestattung. Daneben gibt es die Daimones, die als Begleiter der Toten diese ebenso schützen. Darüber hinaus ruft man Daimones an, die als Totenseelen für die Bestrafung von Grabschändern auftreten, bzw. überhaupt Rachegeister, die Verbrechen sühnen. Aus den individuellen Mächten, die als Daimones angesehen werden, entsteht durch Vermischung unterschiedlicher Vorstellungen ein neuer Gattungsbegriff der Daimones.

Ursprünglich umfasst der Begriff also gottähnliche Wesen, unabhängig ob wohlwollend oder Schaden bringend. Im Christentum ist ein Dämon hauptsächlich ein böser Geist und gehört zu den Heerscharen Satans. Die Etymologie der griechischen Daimones wird von manchen Forschern auf »ich lerne«, »ich werde belehrt« zurückgeführt; das Wort Daimon bezeichnet demnach ein issendes Wesen. Bei den Griechen ist ein Gott der größte und mächtigste Daimon, als zweites Bedeutungsfeld beinhaltet der Begriff die vom Körper getrennte menschliche Seele. Am häufigsten wird Daimon als Mittler zwischen Gott und den Menschen aufgefasst.

Antike und frühchristliche Meinungen zur Beschaffenheit und Funktion der Dämonen sind keineswegs homogen. Die nachplatonische Dämonologie sieht sie als Mittler zwischen Göttern und Menschen, die mächtiger als die Menschen, aber nicht so rein wie die Götter sind. Xenokrates (395–313 v. Chr.) unterscheidet zwischen guten und bösen Dämonen. Einen Teil betrachtet er als Menschenseelen vor oder nach der Wiedergeburt. Die Dämonenlehre der Stoa denkt sich die Dämonen als sterbliche Wesen mit menschlichen Empfindungen, während sie für den Geschichtsschreiber Poseidonios (135–51 v. Chr.) unsterblich sind, er setzt sie mit den Seelen gleich, die den Körper verlassen haben.

Die Platoniker ordnen alle Entitäten mit Vernunftbegabung und Seele drei Gruppen zu: den Göttern, Dämonen und Menschen. Zwischen Göttern, die an oberster Stelle sind, und den Menschen stehen die Dämonen. Diese sind wie die Götter unsterblich, besitzen aber wie die Menschen Affekte. Der Neuplatoniker Apuleius (125–180) nennt die Dämonen beseelte Wesen, sie sind affektiv und vernunftbegabt, sie haben einen luftigen Körper und sind unsterblich. Die Dämonenlehren der Platoniker Plutarch (45–125), Maximos (ca. 310–372), Apuleius und Kelsos (2. Hälfte 2. Jh.) sind synkretistisch und lassen außerdem Volksvorstellungen mit einfließen. Plutarch behauptet, wie auch Xenokrates, ihre Zwischenstellung. Er hält die Dämonen für langlebig, aber nicht unsterblich. Dieser Punkt ist von den jeweiligen Platonikern unterschiedlich beurteilt worden.

Porphyrios (233–305) begründet die Lehre von den guten und bösen Dämonen neu und verknüpft sie mit der Pneumalehre. Die Dämonen binden sich an das Pneuma, worunter ein feiner, luftähnlicher Stoff verstanden wird, den die Seele beim Abstieg durch Sphären aufnimmt und den sie beim Aufstieg wieder verliert. Mit dem Pneuma umgeben sich die Dämonen, es kann Materie resorbieren und ihre Träger sichtbar werden lassen. Die Einteilung der Dämonen in gute und böse ergibt sich aus deren Verhältnis zum Pneuma. Die Bösen werden durch das Pneuma beherrscht und sind mit der Materie verhaftet, sodass sie erscheinen. Obwohl sie keine festen Körper besitzen, können sie je nach Dichte des Pneumas dennoch eine wahrnehmbare Form annehmen. Der von der iranischen, jüdischen und frühchristlichen Dämonenvorstellung beeinflusste Porphyrios führt als erster Philosoph der Spätantike den Teufel als Herrscher der Dämonen in die spätgriechische Philosophie ein.

Die Lehre des mystischen Philosophen Iamblichos (4. Jahrhundert n. Chr.) stellt die verschiedenen göttlichen Wesen in unterschiedlichen Entwicklungsstufen dar, ihre Funktion besteht darin, die äußersten Pole Götter und Menschen durch eine große Zahl von Zwischenstufen miteinander zu verbinden. Ein Charakteristikum der höheren Wesen ist, dass sie nicht über einen Körper verfügen, aber an der körperlichen Welt teilhaben können. So gibt es keine höheren Dämonen, denn Äther, Luft und Wasser sind die Elemente, in denen sich die höheren Wesen offenbaren. Das Geschlecht der Dämonen grenzt an die Götter an, ist aber weniger vollkommen. Er kennt Elementar- und Stoffdämonen, die ohne Vernunft und deshalb böse sind. Die Stoffdämonen leben und wirken in Tieren, Pflanzen und Mineralien. Proklos (411–485) übernimmt die traditionelle Ansicht von der Mittelstellung der Geister, Engel und Dämonen: Sie besitzen Seele und Intellekt, haben aber keine Körper. Neben den Dämonen nennt er auch noch die menschliche Seele, die zu den Dämonen aufgestiegen ist. Alle Dämonen stammen aus dem Göttlichen, sind aber in drei Klassen eingeteilt, weil sie nicht das gleiche psychische Wesen besitzen: Die höchste Gruppe ist vernunftbegabt, die zweite besitzt Verstand, zur dritten Gruppe gehören rein materielle Wesenheiten ohne Vernunft und Verstand. Sie sind das Bindeglied zwischen Göttern und der sichtbaren Natur. Proklos unterscheidet Feuer-, Wasser-, Luft- und Erddämonen sowie unterirdische Geister.

Literatur:

Cancik, Hubert: Römische Dämonologie (Varro, Apuleius, Tertullian). In: Die Dämonen. Hg. v. Armin Lange u. a. Tübingen (2003) S. 447–460; Lurker, Manfred: Lexikon der Götter und Dämonen. Stuttgart (1989); Petzoldt, Leander und S. de Rachewiltz (Hrsg.): Der Dämon und sein Bild. Berichte und Referate des dritten und vierten Symposions zur Volkserzählung. Brunnenburg/Südtirol 1986/87. Frankfurt a. Main (1989). (Beiträge zur Europäischen Ethnologie und Folklore: Reihe B, Bd. 2), S. 85–102.

ENGEL UND DÄMONEN IN DEN
ABRAHAMITISCHEN
RELIGIONEN

Die Religionswissenschaft geht davon aus, dass der Engelsglaube auf dem altorientalischen Götterpantheon bzw. Götterrat fußt. Ugaritische Texte unterscheiden zwischen Göttern und göttlichen Wesen, die den Göttern als Boten dienen. Welche Stellung der Engelsglaube in den unterschiedlichen Perioden der jüdischen Religionsgeschichte, also im biblischen (70 n. Chr. – 2. Jh.) und Talmudischen Epoche (6. Jh. – Gegenwart), eingenommen hat, wird kontrovers diskutiert. Einigkeit herrscht darüber, dass der Engelsglaube vorbiblischen Ursprungs ist. Da der kanaanitische Gott El oder der Meeresgott Jam feste Wohnsitze haben, benötigen sie Boten für ihre Mitteilungen und senden ml’km oder mal’akim, die von den Israeliten in ihr Gottkonzept eingegliedert werden. Die Babylonier bezeichnen die Götterboten oder Diener der Gottheit als angulu oder kar, sie glauben an wohl- und übelgesinnte Geistwesen. Im Judentum kann sich die Vorstellung von einem Engel Jahwes trotz des heidnischen Ursprungs durchsetzen. Dieser Engel hat in den religiösen Texten sogar fast göttliche Züge angenommen, ist aber nicht mit diesem identisch, sondern gewährleistet die Reinheit des Gottesbegriffes.

Neben den Botenengeln spricht das Alte Testament noch von den Cherubim, den Seraphim u. a. Diese Geistwesen besitzen keine menschliche Gestalt, sondern sind geflügelte Mischwesen, wie die in Genesis 3, 24 erwähnten Paradieswächter. Die älteren Bücher des Alten Testaments lassen Gott noch sichtbar auf Erden erscheinen und mit den Menschen kommunizieren. Mit der Entwicklung der Gottesvorstellung als Himmelsherr schwindet der Gedanke an das persönliche Erscheinen Gottes, und Jahwe rückt in unzugängliche Distanz. Diese Stelle nehmen nun die Engel ein, die die Kommunikation zwischen Gott und den Menschen regeln, seinen Willen und sein Wort offenbaren.

Der Engel Jahwes nimmt im Alten Testament eine Sonderposition ein und entwickelt sich zum Schutzwesen des Volkes Israel. Zahlreiche Texte handeln von seinem Wirken und Eingreifen in die Geschicke der Stämme Israels. Seine Gegenwart äußert sich in Visionen, Auditionen und Träumen. Der Gerichtsengel verteidigt die Menschen vor dem himmlischen Gerichtshof vor den Anschuldigungen Satans. Der Gerichtsgedanke ist in allen altorientalischen Religionen anzutreffen. Die Götter richten die menschlichen Taten und ordnen ihnen dementsprechende Schicksale im Jenseits zu. Das Alte Testament hat dieses Motiv übernommen, und Thomas von Aquin begründet im Mittelalter die Lehre vom Partikulargericht, das nach dem Tod die individuellen Taten der Menschen beurteilt.

Die Engel nehmen in der Prophetie eine eigene Stellung als Sprecher und Gottesboten ein. In der nachexilischen Zeit kommen sie nicht mehr sichtbar zu den Menschen, sondern nur in deren Visionen. Der Engelglaube, d.i. die Angelologie, hängt also mit dem Ende der Prophetie in der persischen Zeit und der Wiederaufnahme der Engelwesen als Gottesboten zusammen. Vorher hat es keines Gottesboten als Mittler zwischen Jahwe und dem Volk bedurft. Das Aufkommen einer systematischen Engellehre geht mit einer Verschmelzung der Boten- mit der Thronratskonzeption einher, wie sie die Propheten geschildert haben. In der prophetischen Überlieferung ist die Vorstellung vom himmlischen Thronrat in Jes 6 und 1 Kön 22 erkennbar. Die Mitglieder des himmlischen Thronrats übernehmen die Funktionen und Charakteristik des Boten. Geister und Engel haben in der Theologie des nachexilischen Judentums besondere Wichtigkeit. Den Propheten Daniel und Sacharja kommt hier eine Schlüsselstellung zu. Nach Zerstörung des ersten jüdischen Tempels schwindet das Gottvertrauen trotz der Rückkehr nach Jerusalem und des Tempelwiederaufbaus und motiviert das Ideal des himmlischen Jerusalem als wichtige religiöse Idee. Die Diener des im himmlischen Heiligtum thronenden Gottes sind nicht mehr die Priester, sondern Engel. Die irdischen Verhältnisse versteht man nun als dämonisches Machwerk, das Gott in der Endzeit auslöschen werde. Die zunehmende Bildung eines Monotheismus führt zum Ausbau des Engelssystems. Der als fern im Himmel thronend gedachte Gott braucht Engel, die Visionen und Offenbarungen vermitteln und auch deuten, zudem auch als Begleiter und Führer bei Himmelsreisen.

Hinzu kommt, dass schon in der alttestamentlichen Vorstellung der Himmel als eine Versammlung von Sternwesen oder Elohim aufgefasst wird, also eine Verbindung zwischen himmlischen Wesen und Gestirnsgeistern knüpft. Die vorher bekämpfte antike Astralfrömmigkeit erhält nun Zuspruch. Die in der jüdischen Literatur auftretenden Wächterengel entstammen möglicherweise ebenso dem astralen Kontext. Der Engel Uriel, der den Propheten Henoch führt, lenkt den Lauf der Himmelskörper. Henoch hat auch eine eigene Engelhierarchie eingeführt, zuoberst herrschen die Engel über die vier Jahreszeiten, dann über die 12 Monate und schließlich über die 360 Tage. Gemäß dem göttlichen Plan garantieren Engel als Hüter der Zeit die zeitliche und kosmische Ordnung. Man hat diese Verwaltungstätigkeit der Engel und ihre Hierarchie mit der zoroastrischen Göttergruppe der Unsterblichen verglichen, die dem obersten Gott Ahura Mazda untergeordnet sind. Im sogenannten Slawischen Henochbuch findet sich auch eine erste Topographie des Himmels, der sich in sieben unterschiedliche Himmelsräume gliedert, die Henoch in seiner Himmelsreise in Begleitung der Engel Samoil und Raguiel bis vor Gottes Thron unternommen hat. Im ersten Himmel befindet sich die meteorologische Sphäre, in der sich 3 bis 6 Engel, die für Sterne und Planeten zuständig sind, befinden. Im 2. Himmel befindet sich der Strafort der gefallenen Engel, im 3. Paradies und Hades, im 4. Sonnen- und Mondbahn, die von 11–17 bewaffneten Engeln überwacht wird, im 5. und im 6. Himmel verwalten 19 Engel alle astronomischen und irdischen Aufgaben und im 7. Himmel sind der Thron Gottes und sein Hofstaat mit 20–22 Engeln verortet. Obwohl in den Schriften des Spätjudentums zahlreiche Engelsnamen in Vierer- oder Siebenergruppen gelistet werden, haben nur wenige eine eigene Charakteristik, wie z. B. die bedeutendsten Michael und Gabriel. Die Urengel besitzen eine höhere Qualität, was schon in ihren Namen kenntlich wird. Denn der Name ist nicht nur im Alten Testament, sondern auch im Alten Orient Aussage darüber, was den Engel oder eine Sache ausmacht. Die Endung el in ihren Namen bezieht sich auf ihre Verbindung mit dem sie hervorrufenden und sendenden Gott. So bedeutet Michael »wer ist wie Gott«, Gabriel »die Stärke oder Zeugungskraft Gottes«, Raphael »Gott heilt« und Uriel »Gott ist Licht« oder auch »Licht Gottes«. Die vier Erzengel bewachen die Tore des Lebens, Anfang und Ende des Menschen, halten Gericht über Satan und seine Scharen und stürzen Satan in den Abgrund. Michael sitzt über dem besten Teil der Menschen, also über dem heiligen Volk und dem Chaos. Obwohl er »der Barmherzige« und »der Langmütige« heißt, ist er der ranghöchste Engel und führt das Engelheer gegen die gefallenen Engel zum Sieg an, geleitet die Seele über die Grenze von Leben und Tod, steht ihnen bei Gericht bei und verteidigt sie gegen die Anklagen des Satans.

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Engel tötet Drachen

Gabriel ist jene Macht, welche alles keimende Leben beschützt, da er mit dem Zeugungsprozess verbunden ist, Raphael ein Menschenfreund, Uriel der Führer der Sterngeister und ein Wächter der Opfergaben. Das Henochbuch nennt Gabriel, Michael, Uriel und Raphael als Fürsprecher der Menschen. Die Qumran-Schriften unterscheiden zwischen dem Engel des Lichts und der Finsternis, bzw. dem Engel der Wahrheit und des Irrtums. Das Neue Testament misst dem Engelsglauben keine selbständige Bedeutung bei, Engel treten in bestimmten Schlüsselszenen auf, interpretieren aber nur, da nun Christus in den Fokus rückt.

Jeder Engel hat ursprünglich eine besondere Zuständigkeit, wie z. B. der Todesengel, der die Seele vom Leib löst. Letzterer hat sich zu einer selbständigen Größe entwickelt und trägt im Alten Testament noch Züge des kanaanitischen (aus Kanaan = Galiläa) Unterweltgottes. Die Rabbinische Literatur setzt den Todesengel mit den Dämonen Satan und Samuel gleich. Aufschlussreich ist die im Buch Tobit niedergelegte Geschichte des jungen Tobias, des Sohnes des Tobit, den der Engel Raphael als sein Schutzengel in magische Praktiken einweiht. So leitet er ihn an, einem Fisch Herz, Leber und Galle zu entnehmen und aufzubewahren. Der Engel klärt Tobias darüber auf, dass Fischherz, -leber und -galle gegen Besessenheit durch einen Dämon helfen. Mit diesem Ratschlag kann Tobias auch eine Braut für sich gewinnen, die von einem eifersüchtigen Dämon bewacht wird. Er verbrennt Fischherz und -leber und der Dämon flieht nach Ägypten, der Engel fesselt ihn dort und lässt ihn nicht mehr entkommen.

Farben differenzieren nicht nur Gottheiten, sondern auch Engel. Aus den vielschichtigen Farbensymboliken der Antike hat sich die christliche sakrale Farbsymbolik entwickelt und damit auch die Zuordnung der Farben der Engel. Die Voraussetzung ist, dass alle Farben aus dem Weiß ihres Ursprungsortes kommen. Je mehr sie sich vom Weiß wegbewegen, desto dunkler werden sie. Zum Weiß des göttlichen Lichts gesellt sich sehr bald das feurige Rot, wie auch die Gottheit mit einer rotglühenden feurigen Aura umgeben ist. Grün als Engelsfarbe taucht spät auf, obwohl Grün eine jahrtausendealte Symbolgeschichte besitzt. Grün ist im griechischen Mythos die Farbe der Meergottheit, im Islam gilt Grün als Symbol der Erkenntnis Gottes.

Engel treten auch im Neuen Testament zahlreich in Erscheinung; sie begegnen in allen Schlüsselstellen der Lebensgeschichte Jesu: nach seinem Tod, in der Apostelgeschichte, den neutestamentlichen Prophezeiungen und Jenseitsreisen. Von großer Bedeutung für die Engelsystematik waren die Schriften des sogenannten Pseudo-Dionysius Areopagita, einem unbekannten Autor, der nicht mit jenem Dionysios identisch ist, den Paulus bekehrt haben soll. Er schöpfte aus dem sicherlich zu seiner Zeit reichen Material, das über die Engel vorhanden war. Im Wesentlichen nimmt er drei Engelsklassen an, die wiederum in drei Unterklassen geteilt werden – hier folgt er dem neuplatonistischen Denkmodell des Plotin –, die die heidnischen Götter und Geister in dreifachen Triaden geordnet hatten. Die triadische Ordnung ist zwar unveränderlich, doch kann sie sowohl als Stufenfolge als auch als System von drei Ringen aufgefasst werden, die den Thron Gottes umgeben. Die oberste Triade besteht aus Seraphim, Cherubim und den Thronen, die mittlere aus den Herrschaften, Mächten und Gewalten, die untere aus Fürstentümern, Erzengeln und nicht näher definierten Engeln. Demnach stehen die Seraphim Gott am nächsten, die Engel der neunten Klasse sind am gottfernsten und näher an den Menschen angesiedelt. Die Seraphim werden abgeleitet aus dem hebräischen Ser = Schutzengel und Rapha = Heiler: Pseudo-Dionysius nennt sie Entflammer, da sie aus Licht bestehen. Sie stehen in direkter Verbindung mit Gott, sie umkreisen seinen Thron und singen und preisen Gott. Jeder der Seraphim besitzt sechs Flügel und eine feurige Beschaffenheit. Cherubim – der Name bedeutet »Fülle der Erkenntnis« – haben nur vier Flügel, aber vier Köpfe, sie tragen den Thron Gottes. Die niedersten Engel dieser Triade, hebräisch Galgallin, sind die Throne. Ihr Name leitet sich ab von Auge oder Rad, und sie sind der Wagen Gottes, wie das Äthiopische Henochbuch erklärt. Die zweite Triade steht in der Mitte zwischen der ersten und der dritten, und dementsprechend sind sie auch Vermittler zwischen den Triaden. Die Herrschaften oder Kyriotes bewahren die Buchstaben des heiligen Namens Gottes auf. Die Mächte oder Malkim oder Tarshshim sind mit den irdischen Geschehnissen enger verbunden und greifen auch in diese ein. Sie sind auch die Schutzengel der menschlichen Heroen und stehen jedem zur Seite, der für Gott kämpft. Als Engel bewerkstelligen sie die Himmelfahrt Christi. Die Engel Michael, Gabriel und Raphael regieren sie. Aus ihrem Rang stammt auch Satanael, der gefallene Engel. Die Gewalten oder Dynameis sind Grenzwächter zwischen erstem und zweitem Himmel, die die Grenzen gegen das Eindringen der Dämonen verteidigen. Sie müssen auch die zwischen Gut und Böse schwankende Welt im Gleichgewicht halten. Regiert werden sie von Camael, der über die martialischen Straf-, Rache- und Todesengel regiert. Die Fürstentümer dienten ursprünglich als Schutzherren der Völker und Städte und werden von Anael regiert.