Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kommentar

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN - Die Serie

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Nr. 2680

 

Aufbruch der Unharmonischen

 

Sie kämpfen um Gleichberechtigung – aber das Schicksal ist gegen sie

 

Arndt Ellmer

 

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Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf eine bislang ungeklärte Art und Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen. Die Lage spitzt sich zu, als die Planeten von fremden Raumfahrern besetzt und die Sonne Sol »verhüllt« wird. Seither kämpft die solare Menschheit um ihr Überleben.

Von all diesen Entwicklungen weiß Perry Rhodan nichts. Auch ihn hat es in einen fremden Kosmos verschlagen: Mit dem gewaltigen Raumschiff BASIS gelangt er in die Doppelgalaxis Chanda, wo die negative Superintelligenz QIN SHI regiert. Nicht zuletzt durch die Aktivitäten des unsterblichen Terraners kann die Galaxis allerdings befreit werden.

QIN SHI aber entwischt und versucht, das Reich der Harmonie zu erobern, die Mächtigkeitsballung von TANEDRAR.

Dort kommt es zur gleichen Zeit zum AUFBRUCH DER UNHARMONISCHEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Carmydea Yukk – Die Vermittlerin im Auftrag TANEDRARS muss sich ihren einstigen Freunden stellen.

Merveres Draupadi – Der Stellvertreter Carmydeas muss eine Entscheidung treffen.

Pronk Trazyn – Der letzte Spross des Hauses von Trazyn steht auf der Seite der Unharmonischen.

Pridon – Der Gardeleutnant der alten Herzogin begleitet Carmydea Yukk auf ihrer Reise.

Sholoubwa – Der Konstrukteur verweigert die Hilfe.

1.

Aus dem Ahnenbuch der Familie Trazyn:

Ruhm und Aufstieg

 

Die Sternengaleeren brachten das Schweigen.

Ohne Vorwarnung war eine Armada der Ahls am Rand von Escalian materialisiert. Wo immer sie mit ihren Hunderten von Sternengaleeren in besiedelten Sonnensystemen auftauchte, brachte sie Zerstörung, brachte sie den Tod.

Die Armada glitt durch den Ozean aus Zeit und Raum. Sie folgte der Technowoge, in deren Brandung jegliches Gerät verstummte, das auf elektronische und positronische Schaltkreise angewiesen war. Kein Kriegsschiff, kein Weltraumfort, keine Bodenstellung, nichts war den Galeeren gewachsen.

Die Ahls eroberten Planet um Planet mit einer Zielstrebigkeit, der die nachlässig organisierte Zentralflotte der Herzöge nichts entgegenzusetzen hatte.

Nichts hätte die Ahls aufhalten können, wenn ihr Weg sie nicht durch das System der Sonne Amyhet geführt hätte. Denn in den Strahlen Amyhets gedieh auf dem Planeten Jyscoll das Haus der Trazyn.

Als die Technowoge über Jyscoll rollte und die ersten Sternengaleeren materialisierten, begann der Aufstieg des Hauses Trazyn.

 

*

 

Herzog Jyresca Trazyn erhob sich und trat an die Brüstung.

»Wie lange bis zum Zusammenstoß?«

»Zwei Minuten!«, rief einer der Stabsoffiziere.

Jyresca Trazyn lächelte. Die emotio-sensitive Maskenschale verfärbte sich purpurn.

Nach dem missglückten Angriff auf Jyscoll mit dem Verlust von sechs Sternengaleeren war die Armada in panischer Hast aus dem System geflohen. Zweifellos hatten die Kommandeure der Ahls daraufhin nach den Ursachen der unerwarteten Niederlage gesucht.

Sie waren nicht darauf vorbereitet gewesen, dass die Technowoge den Verteidigungssystemen des Planeten nichts hatte anhaben können. Und es hatte sich gezeigt, dass die Sternengaleeren nur mit einem Minimum an Offensivwaffen bestückt waren.

Gegen die Syrr-Waffen des Herzogtums hatten sie nicht den Hauch einer Chance gehabt. Nur dem überraschenden Auftauchen der Armada war es geschuldet gewesen, dass nicht mehr Sternengaleeren vom Feuer der Syrr getroffen und zerstört worden waren.

Hätte Jyresca Trazyn Zeit gehabt, die Verteidigung auf die Ankunft der Ahls vorzubereiten – keine Galeere hätte es geschafft, das Amyhet-System wieder zu verlassen.

»Eine Minute!«, rief der Stabsoffizier.

»Danke«, sagte Trazyn knapp.

Er wusste, dass seine Männer und Frauen langsam nervös wurden. Sie warteten darauf, dass er das Ausweichmanöver verkündete. Das Syrr-Schiff war den Sternengaleeren nur über die Distanz der Fernwaffen überlegen. Ein Zusammenstoß würde den Syrr-Organismus des Schiffes in Lebensgefahr bringen. Erstarb das Syrr, waren sie der Technowoge und damit den Waffensystemen der Ahls schutzlos ausgeliefert.

»Achtzig Sekunden!«

Der Herzog strich sich nachdenklich über den nachtschwarzen Brustharnisch. Unter dem warmen Leder spürte er das schwache Vibrieren des Syrr. Er vernahm die Gedankenimpulse, spürte den beruhigenden Einfluss des halb animalischen Gewächses unter dem Leder.

Die Kraft des Hauses der Trazyn beruhte auf Syrr.

Das Syrr hatte die Herzogwelt von Grund auf verändert. Die Flechten, die als Biorechner, Energieträger und Gedankenecho verwendet wurden, fanden innerhalb weniger Jahre Eingang in alle Lebensbereiche des lirbalischen Volkes.

»Siebzig Sekunden!«

Jyresca Trazyn hatte die Entwicklung lange mit Sorge beobachtet, obwohl er die Vorzüge des Syrr nicht hätte missen wollen. Aber er wusste, dass sein Haus gefährlich stark von den Flechten abhängig war. Falls eine heimtückische Krankheit oder ein Virus das Syrr töten würde, stünde seine Herzogwelt vor dem Nichts. Kein einziges Raumschiff, keine Stromversorgung, nicht einmal eine Speisezelle würde mehr funktionieren, wenn das Syrr-Geflecht plötzlich keine Energie und keine Rechenkraft zur Verfügung stellen würde.

Und nun, nach dem Zusammentreffen mit den Ahls, hatte sich plötzlich der große Vorteil ihrer totalen Syrr-Abhängigkeit gezeigt: Das Haus der Trazyn war das einzige Herzogtum, das sich wirkungsvoll gegen die Invasoren wehren konnte.

»Sechzig Sekunden!«

Herzog Trazyn hatte nach dem Zurückschlagen der Armada umgehend Kontakt mit den anderen Stammhäusern aufgenommen und sie über seine mögliche Unterstützung im Kampf gegen die Ahls informiert.

Dabei hatte er nicht einmal einen Preis für die Hilfestellung erwähnen müssen. Jyresca Trazyn hatte einzig darauf hingewiesen, dass seine Flotte aus zweiunddreißig Syrr-Barken nur im Stammverbund eingesetzt werden würde, damit die einzelnen Einheiten nicht unnötig gefährdet wurden. Dies bedeutete nichts anderes, als dass er jeweils nur ein System würde beschützen oder gegebenenfalls befreien können.

Die anderen Stammhäuser hatten daraufhin tief in ihre Schatzkammern gegriffen, um sich den Pakt mit dem Hause Trazyn zu sichern.

»Fünfzig Sekunden!«

Siebenundachtzig Häuser hatten sich den Schutz der Syrr-Barken erkauft.

Und der Herzog hielt sein Wort. Kein einziges System, das unter seinem Schutz stand, fiel in die Klauenhände der Ahls, die – aus welchen Gründen auch immer – stets im Verband flogen und ihn nie teilten. Das war die entscheidende Schwäche, die es der Flotte Trazyns ermöglichte, effizient gegen sie zu kämpfen.

Die installierten Frühwarnsysteme mit Syrr-Komponenten arbeiteten einwandfrei: Sobald sie die Strahlungswerte der Technowoge auffingen, lösten sie umgehend einen Funkimpuls an den Stammverbund aus. Die Syrr-Barken erreichten daraufhin das gefährdete System rechtzeitig, ehe die Sternengaleeren ihre Angriffspositionen gefunden hatten.

»Vierzig Sekunden bis zur Kollision!«

Auf diese Art und Weise wurde die Armada bei jedem Angriff auf ein beschütztes System um mehrere Sternengaleeren dezimiert. Ein Ende dieses Schreckgespenstes zeichnete sich ab.

Da aber nicht alle Stammhäuser den Schutz der Trazyn erkaufen konnten oder wollten, fanden die Ahls immer wieder ein lohnendes Ziel.

»Dreißig Sekunden!«

Die Nervosität in Escalian stieg. Selbst jene Häuser, die unter Trazyns Schutz standen, forderten den Herzog auf, die Armada ein für alle Mal zu zerstören, anstatt nur Nadelsticherfolge zu feiern. Mit jedem zerstörten Haus fiel ein wichtiger Handelspartner weg. Eine Situation, der sie nicht tatenlos zusehen konnten.

Herzog Trazyn setzte seinen Beraterstab darauf an, eine Lösung für das Problem zu finden. Nach Wochen der Forschung knackten die kosmischen Navigatoren endlich das Muster der Flugbewegungen der Sternengaleeren.

»Zwanzig Sekunden!«

Der erste Versuch, nach dem ahlschen Flugmuster zu navigieren, hatte Herzog Jyresca Trazyn in das Romb-System geführt, wo sich die Armada gerade zum Angriff auf die Hauptwelt formierte.

Jyresca Trazyn hatte den Befehl gegeben, die größte der Sternengaleeren direkt anzugreifen. Dabei waren beide Schiffe auf Kollisionskurs eingeschwenkt, den sie seither nicht verlassen hatten.

»Nun endet es also«, murmelte er. »Die Schlacht im Romb-System wird darüber entscheiden, ob Escalian von den Ahls befreit wird oder nicht.«

Im Syrr-Hologlobus sah er, wie die restlichen Sternengaleeren der Armada langsam auseinanderdrifteten. Sobald Trazyns Kronschiff AMYHET 1 einen Ausweichkurs flog, würden sie das Feuer eröffnen. Derzeit befand sich die AMYHET 1 noch im Schatten der riesigen Galeere.

»Zehn Sekunden bis zum Zusammenstoß!«

Der Herzog bemerkte, wie die Anspannung nach ihm griff. Seine Hände umklammerten den Rand der Brüstung. Er ließ los, schloss die Augen, hörte auf das Echo seiner Gedanken.

Das Syrr-Geflecht in seinem Brustharnisch sprach zu ihm, indem es seine Gedanken spiegelte. Ruhig und weich kamen sie bei ihm an. Damit wusste der Lirbal, dass alles in Ordnung war. Wenn das Syrr anderer Meinung gewesen wäre, hätte es das Gedankenecho verzerrt zurückgeworfen.

»Fünf Sekunden! Vier, drei, zwei ... Die Galeere weicht aus!«

Trazyn öffnete die Augen. »Energiemaximum von den Schirmen auf die Waffensysteme umleiten! Feuer!«

Ein dumpfes Grollen drang durch Trazyns Kronschiff. Der Boden vibrierte im Takt der schweren Syrr-Geschütze.

»Schwere Energieausbrüche auf der Galeere!«, erklang die Stimme seines Feuerleitoffiziers.

»Energiemaximum zurück auf die Schirme lenken!«

Der Befehl kam keine Sekunde zu früh. Die Hauptgaleere der Ahls verging als sonnenhelle Eruption.

Trazyn blickte mit tränenden Augen auf den Holokubus. Die restlichen Schiffe der Armada hatten ihre Zangenbewegung beinahe vollendet. Mehrere hundert Waffensysteme waren in diesem Moment auf die AMYHET 1 ausgerichtet.

»Jetzt!«, rief der Herzog mit heiserer Stimme.

Einunddreißig Impulse erschienen außerhalb der Halbkugelschale aus Sternengaleeren. Einunddreißig Impulse von einunddreißig Syrr-Barken.

Sofort kam Chaos in das zuvor elegante Flugmanöver der Ahls. Kommandanten der Galeeren rissen ihre Schiffe herum und versuchten die Waffensysteme auf die neuen Gegner auszurichten.

»Zu langsam!«, murmelte Jyresca Trazyn.

Der Stolz über seinen Stammverbund trieb ihm Tränen in die Augen. Der Herzog ließ es geschehen, während im Holokubus die Sternengaleeren in kleinen weißen Reflexen vergingen.

Er hatte es geschafft.

Das Haus der Trazyn hatte es geschafft. Endlich.

2.

 

»Merveres Draupadi!«

»Wer ruft da?«, fragte er.

»Merveres Draupadi!«, erklang es erneut.

»Ja?«

Ein merkwürdiges Kribbeln breitete sich in Draupadis Körper aus. Vage erinnerte er sich, dass er den Ruf von früher kannte.

Dann setzte sofort der Albtraum ein. Nach vielen Rim träumte Merveres Draupadi zum ersten Mal wieder von dem Unfall. Die Kabinenwand des Gleiters riss von oben bis unten auseinander. Augenblicklich entstand ein Sog und zerrte an allem, was sich im Innern der Kabine befand.

Draupadi hatte keine Zeit nachzudenken. Er beugte sich über die Kontrollen, soweit es die Sicherheitsgurte zuließen. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger versuchte er das Sensorfeld zu berühren, über das das Notsystem ausgelöst wurde. Die Konsole bog sich von ihm weg, der Gleiter schüttelte sich. Hinter Draupadis Rücken schlich sich die Finsternis des Weltraums in die Kabine.

Ein heftiger Ruck, unter dem der Standfuß des Sessels abbrach, dann schmierte die in zwei Teile zerbrochene Kabine unter ihm ab. Der Sessel schien für einen Moment stillzustehen, um danach mit umso mehr Elan abwärts zu beschleunigen.

Für Merveres Draupadi kam die Katastrophe einem Weltuntergang gleich. Nie zuvor war einem seiner Zunft auf Corvonac etwas Vergleichbares passiert.

»Stratosphärenhüpfer« nannte man die Piloten bei ihren Flügen bis hinauf an die Grenze des Weltalls. Manchmal war es leichter, manchmal schwieriger, sich in solchen Höhen über der Oberfläche zu behaupten.

Merveres Draupadi erlebte zum ersten Mal, dass ein Gleiter diesem Kraftakt nicht gewachsen war.

»Draupadi an Kontrollzentrum«, sagte er. »Könnt ihr mich anpeilen?«

Außer einem Knattern drang nichts aus dem Lautsprecher des Druckanzugs. Im Halbdunkel der Hochatmosphäre sah er ein paar Lichter der Gleiterkonsole. Sie blinkten hektisch zu ihm herauf, schrumpften und verschwanden. Um die beiden Fahrzeugteile bildeten sich zwei Kondensstreifen aus erhitzter Luft.

Merveres Draupadi wiederholte den Funkspruch. Im Kontrollzentrum sollten sie langsam merken, dass etwas nicht in Ordnung war.

»Meldet euch!«

Es blieb still.

Lil um Lil verstrich, in denen der Sessel mit ihm kopfüber in die Tiefe raste.

»Notfallsystem aktivieren!«, sagte Draupadi.

Atemzug um Atemzug wartete Draupadi auf Meldungen oder Anweisungen.

»Was ist? Wo bleibt der Rapport?«

Ein kurzer, fünffacher Pfeifton zeigte an, dass die Positronik nicht mehr funktionierte. Der einsame Pilot in seinem Sessel war auf sich allein gestellt. Hastig grub er in seiner Erinnerung.

Viel Zeit stand ihm nicht zur Verfügung. Seine Gedanken rasten so schnell wie der Sessel. Ob er noch immer beschleunigte oder die dichteren Luftschichten ihn inzwischen abbremsten, wusste er nicht. Sein Körper fühlte sich dank der Luftkissenpolster des Sessels merkwürdig leicht an, irgendwie schwerelos.

Endlich erinnerte er sich an das, wonach er suchte.

Lektion 24, Sicherheitssysteme: Bremsdüsen im Sockel unter der Sitzfläche sowie im Standfuß.

Gasdruckpatronen in der Rückenlehne zur Flugstabilisierung.

Ohne die Positronik nützten sie ihm nichts.

Der Sessel rüttelte und flatterte, eine Folge der dichter werdenden Lufthülle. Er geriet ins Taumeln, und das barg eine unkalkulierbare Gefahr für Draupadi. Wenn er das Bewusstsein verlor, konnte er nicht mehr handeln. Andererseits würde er den Aufschlag dann nicht bemerken. Die Welt würde ohne ihn weiterexistieren.

Alles wünschte er sich, nur das nicht. Seine Gedanken vollbrachten eine erneute Kraftanstrengung, mit der sie etwas aus dem Langzeitgedächtnis herauspressten.

Linke Armlehne, rechte Armlehne!

Die Elemente für die manuelle Bedienung der beiden Systeme befanden sich in den Armlehnen. Aber welche waren rechts, welche links?

Mühsam bewegte Draupadi den linken Arm zur Seite. Der Arm rutschte von der Lehne, während sich die Hand wie ein eigenständiges Lebewesen daran festklammerte. Die Lehne klappte auf.

Es war die Steuerung für die Gasdruckpatronen.

»Kontrollzentrum, bitte melden!« Er schrie es hinaus, voller Panik. Bald war es vorbei, so oder so.

Die ionisierte Luft um ihn sah er als einzige Erklärung, warum er noch immer keine Funkverbindung erhielt.

Als es ihm endlich gelang, den Aktivierungsknopf zu drücken, kam es ihm vor, als habe er einen ganzen Voo dafür gebraucht, von Mitternacht bis Mitternacht.

»Stabilisierung einleiten!«, keuchte er.

»Ist eingeleitet«, sagte eine Automatenstimme. Sie schwankte zwischen laut und leise, ein bedenkliches Anzeichen. Ein wenig beruhigte es Draupadi, als er die Kondensstreifen des austretenden Gases sah. Die Taumelbewegung hörte auf, dieser verrückte Tanz der Planetenoberfläche um seinen Sessel. Aufrecht sitzend raste Draupadi in die Tiefe, den Blick auf den Horizont des Planeten gerichtet.

Die Oberflächendetails wurden immer zahlreicher. Schmale Flussadern wurden zu breiten Streifen mit zahlreichen Verästelungen. Dazwischen erkannte Draupadi die Strukturen von Industrieanlagen und Städten. Fern über dem Horizont entdeckte er den schimmernden Fleck einer fliegenden Wetterstation – zu weit weg, um ihm helfen zu können.

Merveres Draupadi verfügte nicht über einen Höhenmesser. Sein Druckanzug war nicht für Spaziergänge ausgestattet, geschweige denn der Sessel, in dem er saß. Draupadi konnte die Entfernung nur schätzen und sich auf seine Erfahrungen aus früheren Stratosphärenflügen verlassen.

Viel war es nicht. Die sich unterschiedlich bewegenden Luftschichten wirkten wie Linsen mit unterschiedlicher Lichtbrechung. Sie verzerrten das Bild. Die Krümmung der Planetenoberfläche verschob die Konturen je nach Blickwinkel.

Endlich gelang es Draupadi, auch die rechte Lehne zu öffnen und das System der Bremsdüsen zu aktivieren. Die im abgebrochenen Standfuß funktionierten nicht – irgendwie hatte er das erwartet. Die im Sessel waren einsatzbereit.

Nicht zu früh aktivieren! Eher zu spät! Der Treibstoff reichte maximal fünf Dun lang. In dieser Zeitspanne war der erzeugte Schub aber durchaus in der Lage, den Sessel zum Stillstand zu bringen.

Wie hoch darf die Geschwindigkeit des Sessels sein? Zu dicht über dem Boden war er mit Sicherheit zu schnell, um den Sessel abzufangen. Lag der errechnete Landepunkt unter der Planetenoberfläche, brauchte er sich über seine Zukunft wahrlich keine Sorgen mehr zu machen.

Draupadi zögerte noch. In seinem Innern stritten sich Gedanken und Gefühle. Er wollte und wollte nicht, sah auch deutlich die Gefahr, dass er sich verrückt machte und den Zeitpunkt verpasste.

»Kontrollzentrum, bitte melden!« Er zweifelte plötzlich, ob dort noch jemand lebte. »Falls ihr mich hört, ich brauche dringend Hilfe.«

Er hielt es nicht mehr aus und aktivierte das Bremssystem.

Einen Lidschlag später flog ihm der Sessel um die Ohren.

 

*

 

Der rasende Wechsel von Hell und Dunkel überanstrengte Draupadis Augen. Er schloss die Lider und hoffte, sein Gleichgewichtsorgan würde sich schnell erholen. Er täuschte sich. Die Wucht der Explosion war zu gewaltig gewesen.

Draupadi versuchte gleichmäßig zu atmen. Es klappte. Die Luft zirkulierte im Helm und hatte eine angenehme Temperatur.

Der Anzug ist unbeschädigt.

Das dachte er, doch dann belehrte ihn die Kälte eines Besseren. Sie kroch in seinen rechten Fuß und das Bein hinauf. Sie tat es langsam und genüsslich. Stück für Stück glaubte er zu spüren, wie das Blut in den Adern gefror. Er zählte die Lil, die ihm bleiben würden, bis die Kälte Brust und Kopf erreichte.

Hastig betastete er den oberen Teil des Anzugs. Die Gurte hingen noch daran, zusammengehalten von einem Stück Metall, das am Rücken scheuerte. Er versuchte die Reste des Sessels abzustreifen, aber sie hatten sich irgendwo verheddert.

Das Karussell wurde langsamer.

Draupadis Gleichgewichtssinn normalisierte sich. Vorsichtig öffnete er einen Spalt weit die Lider. Er sah unter sich die Oberfläche des Hauptkontinents, die sich bis zum Horizont erstreckte. Die Konturen der Wälder und des Ackerlands zeichneten sich deutlich ab. Er unterschied einzelne Bauminseln sowie unterschiedliche Baumarten und erschrak.

Ich bin verdammt tief, aber es wird reichen.