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Imprint

Ein gestörtes Verhältnis. Kriminalroman

Elisa Scheer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de
Copyright: © 2016 Elisa Scheer/R. John (85540 Haar)

Cover: privat

www.elisa-scheer.de

ISBN 978-3-7375-4774-1

1

Grauenvoll.

Morgen war der Wagen hoffentlich fertig, dann konnte sie wieder unbehelligt zur Arbeit fahren. Und bei der nächsten Panne würde sie sich einen Leihwagen nehmen, basta.

Dieses Pack im Bus! Wenn sie etwas hasste, dann war es das unglaubliche Gedränge, die Menschen, die sie berührten, die Körperteile, die sich an sie drückten, egal, ob aus Versehen oder mit Absicht. Ihre Privatzone war ihr heilig, aus gutem Grund.

Das ist dein Tanzbereich und das ist mein Tanzbereich. Ich komm nicht in deinen und du kommst nicht in meinen. Oder so ähnlich. Sie lächelte etwas bitter. Dirty Dancing… sie tanzte nie, aber den Film mochte sie, sehr sogar. Als er in die Kinos gekommen war, konnte sie noch nicht einmal alleine auf einen Kinositz krabbeln, aber sie hatte ihn Jahre später im Fernsehen gesehen und sich sofort die DVD gekauft.

Tanzen im Fernsehen war okay, selbst tanzen ging gar nicht.

Nun, morgen hatte sie wieder ihren Wagen und ihre schützende Hülle um sich herum. Und dann war alles wieder gut.

Sie eilte die Straße von der Bushaltestelle aus entlang, bis sie schließlich in einen Hofeingang einbiegen, einen etwas merkwürdig gestalteten Hinterhof durchqueren und die schwere Haustür im Rückgebäude aufschließen konnte.

Eigentlich gefiel es ihr hier nicht so besonders, aber von den wenigen freien Zweizimmerwohnungen in der Altstadt war diese die einzige gewesen, die wirklich gute Sicherheitseinrichtungen aufzuweisen hatte – abschließbare Fenster, dicker Riegel an der Wohnungstür, Rauchmelder und keinen Balkon. Ja, und eine wunderbar glatte Fassade. Außerdem war die Haustür grundsätzlich abgeschlossen und die Briefkästen waren von außen zu befüllen. Sicher war sie hier, das auf jeden Fall.

Aber sonst… naja.

Der Boden war Laminat und kein richtiges Parkett. Die winzige Küche war dürftig – Herd, Kühlschrank, Spüle, ein Oberschrank – und billigste weiße MDF, aber immerhin schon drin gewesen, so dass sie sich damals schon einmal nicht herumärgern musste. Sie hatte nur ein Bett, einen Schrank (für die komische Nische, die im Schlafzimmer durch das enge Bad entstanden war), ein Sofa, einige stapelbare Regale und Wandhaken für den Flur gekauft und sich in zwei Stunden eingerichtet.

Viel Besitz hatte sie schon bei Papa nicht mehr gehabt. Seit dem Vorfall damals hatte sie das Interesse daran verloren, Besitz anzuhäufen. Was sie an Wertsachen besaß – Schmuck von Firmung, Abitur, Geburtstagen (ihre Mutter fand ja, so etwas brauche ihre geliebte Tochter) – hatte sie in Papas Safe gelassen. Sie brauchte den Kram nämlich nicht, und wenn doch, konnte Papa ihr ja etwas in die Arbeit mitbringen.

Sie sah sich nachdenklich um, legte ihre Handtasche auf das Sofa, räumte zwei Bücher und eine DVD ins Regal zurück, beäugte einen Kerzenhalter kritisch und stellte ihn in das einzige geschlossene Fach, so dass der kleine Tisch ganz leer war. Besser, ja.

Sie sollte etwas essen… fünf, also lag das Frühstück schon zehn Stunden zurück. Aber eigentlich hatte sie – wie meistens – keinen Hunger.

Appetit? Den schon gar nicht.

Erst einmal umziehen und dann einen Kaffee!

Die kleine Kaffeemaschine war so ungefähr der einzige Luxusgegenstand in dieser Wohnung. Naja, Luxus – sie hatte einen knappen Hunderter gekostet.

Sie hantierte mit Wasser und Kaffee und stellte einen Becher unter, dann suchte sie sich zwei Tomaten und eine Scheibe Vollkornknäcke zusammen, das reichte ja wohl.

Herrlich still war es in der Wohnung – aber heute ging ihr das Fehlen jeglicher Geräusche, wenn man von der Kaffeemaschine absah, merkwürdigerweise auf die Nerven.

Sie schlüpfte in Sportklamotten, trug den Teller ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein, dann verzehrte sie zuerst die beiden Tomaten und schließlich das Knäckebrot, um danach ihren Lieblingssitzplatz, das alte Trimm-dich-Rad, vor den Fernseher zu rücken und nach einer Musiksendung zu suchen. Zu früh… die uralte Hitparade kam erst um Viertel vor sieben.

Dann eben Boulevard-Kram, vielleicht hatte irgendeine Prinzessin ein Kind bekommen oder eine Schauspielerin auf dem roten Teppich ein hinreißend geschmackloses Outfit getragen.

Eigentlich völlig doof, aber man konnte dabei schön vor sich hin radeln und sich so einigermaßen fithalten. Hinter einem Schreibtisch ging das schließlich nicht, und joggen… dazu fehlte es ihr meistens an Mut.

Der Vorfall damals hatte sie zu einer völligen Maus gemacht, ärgerte sie sich, während sie in die Pedale trat. Irgendwann würde sie zu einer paranoiden Menschenfeindin – oder war sie das schon? Wahrscheinlich. Wenigstens auf dem besten Wege dorthin.

Sie strampelte weiter und genoss das Ziehen in den Waden und die Tatsache, dass sie ins Schwitzen geriet. Das reinigte den Körper, bildete sie sich ein.

Irgendwelche kleinen Prinzessinnen waren eingeschult worden. Judith schaute zu, wie sie, mit Schultüten bewaffnet, von ihren königlichen Eltern und einer Meute Fotografen einer pädagogisch stets ganz besonders wertvollen Grund- oder Vorschule zustrebten.

Eigentlich furchtbar, die armen Kinder: immer die Presse am Bein… Judith schnaufte, teils wegen der Anstrengung, teils wegen ihrer eigenen Abneigung gegen Paparazzi.

War ihr eigener erster Schultag eigentlich nicht genauso verlaufen? Damals hatte das Blitzlichtgewitter sie noch nicht gestört, und ihre schöne Mutter hatte es natürlich genossen. Naja, Blitzlichtgewitter? Eher ein bescheidenes Wetterleuchten, mit gekrönten Häuptern konnte sie nämlich nicht so ganz mithalten.

War Papa eigentlich auch mitgekommen – oder hatte es geheißen Mach du das, Jessie, ich brauche so einen Almauftrieb nicht?

Huch? Ach nein, nicht schon wieder! Premiere eines Films, den Judith sich garantiert nie anschauen würde. Alles, was zurzeit Rang und Namen hatte, hatte mitgespielt, und jetzt standen sie auf dem roten Teppich vor dem Premierenkino in Berlin und guckten dekorativ über die Schulter. Und wer grinste besonders breit in die Kameras? Ihre Mutter natürlich, die doch bloß Premierengast war.

Immerhin war ihr Kleid nicht die Peinlichkeit des Tages, auch wenn sie – nach Judiths Ansicht – für diesen Riesenausschnitt ein bisschen zu alt war. Immerhin war sie Großmutter, auch wenn man das nicht erwähnen durfte.

Kopfschüttelnd radelte sie weiter, bis sie die zehn Kilometer, die sie sich täglich vornahm, zusammen hatte, dann ging sie duschen, stellte dabei fest, dass der Duschkopf schon wieder verkalkte, schlüpfte in ihre alten Feierabendjeans und einen ebenso alten Pullover und kuschelte sich auf dem Sofa zurecht. Mama konnte den Glanz der Filmwelt einfach nicht loslassen…

Andererseits: Warum sollte sie das eigentlich tun? Sie war doch noch einigermaßen im Geschäft!

Zumindest, was diese Serie betraf. Judith grinste vor sich hin, wenn sie an Mamas Rolle darin dachte – da spielte sie sich doch eigentlich bloß selbst, konnte so schwer nicht sein… Der Vorabendkrimi lief einmal pro Woche, was die neuen Folgen betraf, und täglich auf einem dieser billigen Wiederholungskanäle (Zweitverwertung?), wo gerade wieder einmal die erste Staffel durchgenudelt wurde. Sie war die nervende Mutter des jüngsten Kommissars, die in der Kleinstadt, die als Schauplatz diente, Gott und die Welt kannte, weil sie das angesagteste Klamottengeschäft führte und sowohl Opfer als auch Mörder stets eben erst in ihren Umkleidekabinen gestanden hatten. Immerhin war das Ambiente nicht allzu alpenländisch – man musste mittlerweile schon für Kleinigkeiten dankbar sein.

Jedenfalls spielte ihre Mutter, die bekannte und beliebte Jessica Rother, hier eine unglaubliche Nervensäge, und alle ihre Kinder – nicht nur Judith, auch Julius und Jeremy, waren sich wundervoll einig, wie lebensecht ihr Spiel hier war.

„Sie hat ja bei uns lange genug geübt“, hatte Jerry mal festgestellt, allerdings außer Jessicas Hörweite.

Die nämlich hielt sich für die beste Mutter auf Gottes weiter Welt, verständnisvoll, loslassend, fördernd, pädagogisch hochtalentiert und selbstverständlich die beste Freundin ihrer Kinder, die ihr auch heute noch alles anvertrauten. So äußerte sie sich wenigstens bei den jährlich fälligen Homestories.

Natürlich vertraute keines ihrer Kinder ihr irgendetwas an, denn sie hätte es sofort in das nächstbeste Mikro geplappert – oder auf ihrem Facebook-Account gepostet. Der unzutreffende Käse, der dort zu finden war, reichte ihren Kindern schon.

Manchmal fragte sie sich schon, ob Jessica eigentlich skrupellos war. Oder naiv? Oder einfach nur publicitygeil…

Sie selbst würde nur sagen Ich liebe meine Kinder eben – warum soll ich das nicht aller Welt erzählen?

Jerry und Jul sahen das naturgemäß etwas lockerer, denn ihnen nützte das ewige „Sind Sie nicht der Sohn von Jessica Rother?“, ja auch beruflich, Judith aber nicht. Und sie wollte auch nicht gefragt werden, wie toll es denn wohl war, die Tochter einer bekannten Schauspielerin zu sein. Sie war auch noch die Tochter eines erfolgreichen mittelständischen Unternehmers und arbeitete in seiner Firma als – mehr oder weniger – Juniorchefin. Das fand sie bedeutend wichtiger als das bisschen geborgten Glanz von roten Teppichen und Preisverleihungen. Hatte Jessica eigentlich jemals -? Judith konnte sich jedenfalls im Moment nicht daran erinnern.

Sie lag gemütlich auf dem Sofa und blinzelte in Richtung Fernseher, wo gerade die Lokalnachrichten kamen. Äh, Local One war wirklich ein Krawallsender, aber die Fernbedienung lag immer noch auf dem Display des Fahrrads, und sie hatte gerade so gar keine Lust, aufzustehen. Jetzt waren eben ihre faulen fünf Minuten…

Toll. In der Altstadt hatten sie ein Lokal geschlossen, wegen allzu schmuddeliger Küche, sagten aber nicht, wie es hieß. Und sie zeigten zwar die Küche von innen, aber nicht die Fassade von außen. Sehr hilfreich! Obwohl, sie ging ohnehin fast nie essen, ab und zu mit Papa oder (noch seltener) mit ihrer Mutter ins Médoc, und das würde ja wohl seine Küche putzen…

Der Fuggerplatz sollte auf Anwohnerparklizenzen umgestellt werden. Die vielen Anwälte dort würden sich freuen, wenn ihre Mandanten nicht mehr parken konnten…

Eberhard Schmiedl hatte seine Strafe – elf Jahre wegen Entführung – abgesessen und wollte nach Leisenberg zurückkehren.

Judith fuhr auf und starrte ungläubig auf den Bildschirm: Schmiedl? Das Schwein war wieder frei?

In dem kurzen Einspieler sah man ihn mit einer Reisetasche das Gefängnis in München verlassen und unsicher blinzeln, als habe man ihn elf Jahre lang in Dunkelhaft gehalten. Die Off-Stimme erinnerte an die tragische Zeit im Leben der bekannten Schauspielerin Jessica Rother (Einblendung eines älteren, jedenfalls sehr jugendlich wirkenden Porträts), als ihre Tochter entführt worden war. Tagelang hatte die sensible Mutter um das Leben ihres Kindes gebangt, bis es endlich freigelassen worden war…

Kind? schnaubte Judith im Stillen – sie war siebzehn gewesen, damals vor zwölf Jahren, kein Kind mehr.

Und gelitten hatte natürlich nur Mama – aber sie selbst verbot es sich ja auch stets, an diese Wochen zurückzudenken. Sie hatte Schmiedls Gesicht in dem Keller nie gesehen, er hatte stets eine Maske getragen, wie dieser andere, der irgendwie umgekommen war… Aber Schmiedl hatte schließlich gestanden – und Mama hatte ihn im Gerichtsaal geohrfeigt und das Ordnungsgeld lächelnd akzeptiert. Schöne Geste. Das war der Tag, an dem sie selbst auch im Gericht gewesen war…

Eine Aussage hatte sie nicht mehr machen müssen, sie hatte bei der Kripo ausgesagt, und das Geständnis hatte ihr einen Auftritt vor Gericht erspart. Aber diesen Mann zu sehen, zu hören, wie alle seine Verbrechen aufgezählt wurden, wie die Fotos von ihren Verletzungen herumgereicht wurden… da half es auch nichts, dass ihre Mutter ihr tröstend die Hand tätschelte und Papa an diesem Tag sogar neben ihr saß. Extra für sie hatte er an diesem Tag die  im Stich gelassen! Auch wenn Jessica gefunden hatte, das sei ja wohl das Mindeste…

Immerhin hatten sie sich im Gerichtssaal nicht – wie sonst – leise zischelnd streiten können. Das hatte sie damals ganz besonders gehasst.

In diese Gedanken und Erinnerungen versunken hatte sie den Rest des Beitrags verpasst. Vielleicht war es besser so – ob dieser Schmiedl sich ihr nähern würde? Im Telefonbuch stand sie nicht, in sozialen Netzwerken war sie ebenso wenig vertreten – und wer sollte vermuten, dass sie als Tochter einer prominenten Schauspielerin und eines wohlhabenden Unternehmers in dieser doch arg kleinen und abgelegenen Wohnung hauste?

Trotzdem stand sie jetzt auf und sah nach, ob sie den schweren Stahlriegel an der Wohnungstür auch wirklich vorgelegt und abgeschlossen hatte. Hatte sie. Und alle Fenster waren geschlossen und abgesperrt, eines Tages würde sie hier noch an Sauerstoffmangel sterben. Nein, es gab ja in der Küche diese winzige Klappe über dem Fenster, zwanzig mal zehn Zentimeter groß und so weit oben, dass man keinesfalls – an der glatten Fassade im dritten Stock klebend – von außen nach dem Fensterriegel greifen konnte.

Hier war sie sicher, ganz bestimmt. Und den Fassadenkletterer wollte sie erst einmal sehen!

Ihr Handy klingelte. Sie kannte die Nummer auf dem Display nicht, nahm das Gespräch aber trotzdem an, was sie sofort bereute: Eine freundliche junge Dame stellte sich unter einem ihr unbekannten Namen vor und kam so lange nicht zur Sache, dass Judith sie ungeduldig unterbrach: „Ich abonniere nichts, meine Finanzen gehen Sie nichts an und ich nehme auch nicht an Umfragen teil. Ach ja, und Glückslose möchte ich auch nicht. Sagen Sie mir bitte noch einmal deutlich ihren Namen?“

„Warum das denn?“

„Na, unerwünschte Telefonwerbung ist doch verboten. Ohne Namen kann ich Sie schließlich schlecht anzeigen, nicht?“

„Ich rufe nicht zu Werbezwecken an, ich arbeite bei HOT!. Darf ich Sie etwas fragen, Frau Schottenbach?“

„Dann hätte ich zuerst eine Frage, Frau Wie-auch-immer: Woher bitte haben Sie meine Nummer?“

„Wir haben unsere Quellen.“

„Sie verstoßen also ungeniert gegen den Datenschutz? Sehr, sehr interessant.“

Gegrummel am anderen Ende. „Eberhard Schmiedl hat seine Strafe abgesessen. Was fühlen Sie dabei?“

„Wer ist das?“, fragte Judith, in der Hoffnung diese blöde Kuh entweder zu verwirren oder zu ermutigen.

„Aber Sie müssen doch etwas fühlen!“

„Im Moment? Desinteresse, leichte Gereiztheit, Hunger. War´s das?“

„Wieso Gereiztheit?“

„Weil ich gerade am Telefon von einer aufdringlichen – naja – belästigt werde, obwohl ich gerne zu Abend essen würde.“

„Eberhard Schmiedl war der Mann, der Sie entführt hat, das können Sie doch nicht vergessen haben?“

„Daran möchte ich aber nicht erinnert werden.“

„Aber das müssen Sie! Die Öffentlichkeit hat doch ein Recht darauf, alles -“

„Hat sie nicht. Mein Leben geht die Öffentlichkeit einen – mal wertschätzend formuliert – Scheißdreck an, ich verdiene mein Geld nämlich nicht damit, blöde in jede Kamera zu grinsen. Und das war´s dann auch. Wenn Sie mich noch einmal belästigen, verklage ich HOT! Und das wird Ihre Redaktion hoffentlich so freuen, dass sie Sie fristlos feuern.“

Damit schaltete sie ab, leicht erstaunt über ihre eigene Aggressivität. Sie zitterte regelrecht vor Wut. Damit hatte sie vorhin nicht gerechnet, dass die Entlassung Schmiedls den ganzen Mist wieder auf die Tagesordnung bringen würde! So dumm, sie hätte damit rechnen sollen – aber gab es denn wirklich nichts Wichtigeres? Für HOT! bestimmt nicht, die hatten an dem Krieg in Syrien, der Situation der Flüchtlinge und den rechten Umtrieben vor allem in Sachsen gar kein Interesse – magersüchtige Models, Kokainfunde in angesagten Altstadtkneipen und das Privatleben von Prominenten, das waren ihre Themen. Ja, und ein wenig reißerisch aufgemachte Stadtpolitik: Steuerverschwendung, Korruption, Bevorzugung weniger Reicher, spektakuläre Unfälle und Katastrophen…

Was für eine blöde kleine Schnepfe!

 

2

Als sie am nächsten Morgen ihr Büro betrat, etwas später als sonst, weil sie noch rasch ihren Wagen aus der Werkstatt geholt hatte, lag eine Zeitung auf ihrem Schreibtisch.

Schauspielertochter beschimpft die Presse, lautete die Schlagzeile, und natürlich wurde bereits in der Unterzeile ihr Name genannt.

Scheiße.

Wenn es Jessicas Ruf schädigte, war es ihr ziemlich egal (bis auf die lästigen Diskussionen natürlich), aber wenn sie ihren Namen ausschrieben, betraf das auch die . Vielleicht sollte sie über eine Gegendarstellung – in einer einigermaßen seriösen Zeitung, vielleicht dem MorgenExpress – nachdenken. Später konnte sie das mit Papa bereden, erst einmal lag Dringenderes an.

Sie las aber trotzdem den Artikel, mit dem sich ihrer Ansicht nach diese Volontärin (oder was immer das Huhn an Rang bekleidete) selbst ins Knie gefickt hatte: zunächst halbherzige Mutmaßungen über ihr Verhältnis zu Schmiedl, zum Teil direkt justiziabel, am besten rief sie nachher gleich Ulli Petzl an. Es folgten Klagen darüber, dass sie nicht über ihre Gefühle sprechen wollte, und schließlich wieder die Behauptung, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe, in die intimsten Gedanken jedes Menschen eingeweiht zu werden. Damit müsste man eigentlich einen herrlichen Shitstorm erzeugen können, überlegte Judith. Leider war sie aus naheliegenden Gründen in keinem sozialen Netzwerk.

Das ließe sich ja nachholen, unter einem falschen Namen natürlich… später. Von ihrem Bürorechner aus ging so etwas leider gar nicht. Von zu Hause aus? Oder sollte sie besser das Internet-Café in der Peutingergasse nehmen?

Zunächst rief sie Ulli Petzl an und vereinbarte einen Termin, dann kümmerte sie sich um ihre Tagesaufgaben, bereitete ein Meeting vor, begutachtete Vorschläge aus der Entwicklung und war gerade so richtig in ihre Arbeit vertieft, als es an der angelehnten Tür klopfte.

Sie sah auf und lächelte. „Papa! Guten Morgen!“

„Na, Guten Morgen? Es ist Viertel nach elf. Seit wann bist du hier?“

„Hm, ich glaube seit kurz vor acht… warum?“

„Schau mal aus dem Fenster, Judith!“

Sie eilte ans Fenster und prallte zurück. „Ja, Scheiße!“

„Aber Judith!“

„Ist doch wahr! Das hat mir diese blöde Ziege von HOT! eingebrockt, wetten?“

„Die auch diesen gehässigen Artikel geschrieben hat? Durchaus möglich. Unser Syndikus arbeitet bereits an einer Unterlassungsklage. Steht dein Wagen in der Tiefgarage?“

„Ja, Gott sei Dank. Mittagessen muss ich mir wohl liefern lassen. Verdammt, warum gehen alle davon aus, dass ich jetzt in ihre Mikros schluchze, weil Schmiedl wieder auf freiem Fuß ist? Ich könnte das Ganze doch längst verarbeitet haben?“

Wolfgang Schottenbach lächelte etwas trübsinnig. „Und? Hast du es denn wirklich verarbeitet?“

„Ich versuche, nicht mehr daran zu denken. Und mir geht es doch auch wieder ganz gut… ich bitte dich, nach zwölf Jahren!“

„Zwölf Jahre, in denen du jeden engen Kontakt zu anderen Menschen meidest und dich so wenig wie möglich draußen bewegst?“

„Ich mag´s halt so.“

„Judith“, seufzte ihr Vater, „du belügst dich doch selbst. Willst du nicht doch mal über eine Therapie nachdenken?“

„Wozu denn? Funktioniere ich nicht gut?“

„Das ist billig, Judith! Du weiß genau, dass es mir – und auch deiner Mutter – nicht nur darum geht, dass du funktionierst. Wir wollen dich doch glücklich sehen!“

Das wäre aber seit Jahren das erste Mal, dass die beiden das Gleiche wollten, grummelte Judith im Stillen. Aber vielleicht hatten sie ja auch völlig unterschiedliche Vorstellungen davon, was man unter einer glücklichen Tochter zu verstehen hatte?

„Ich bin ganz glücklich, danke. Oder ich wäre es, wenn ich diese Schmeißfliegen vom Hals hätte.“ Sie zeigte nach draußen. „Vielleicht bin ich einfach kein geselliger Mensch.“

„Vorher warst du das durchaus, Judith. Hör auf, das Offensichtliche zu verdrängen, das tut dir nicht gut.“ Er musterte das rebellische Gesicht seiner Tochter und seufzte. „Gut, lassen wir das. Vorerst! Was hast du aus der Entwicklung gehört?“

Judith bot ihrem Vater mit einer eleganten Bewegung einen Platz am Besprechungstisch an, holte ihre Unterlagen vom Schreibtisch und setzte sich ihm gegenüber. „Das Update von cashware ist ganz im Zeitplan. Damit sollten alle Macken der alten Version behoben sein, und die Verschlüsselung ist auch stark verbessert worden. Testen muss man es natürlich noch – wenn es denn mal fertig ist, aber dafür haben wir ja unsere freundlichen Junghacker.“

Schottenbach grinste. „Nur gut, dass die auf der richtigen Seite stehen! Wie steht es mit countware?“

„Hat bis jetzt ungefähr die Hälfte aller Features. Ich treffe mich nach dem Marketing-Meeting auch mit den Entwicklern. Irgendwo hängen sie offenbar, jedenfalls haben sie so etwas angedeutet, und vielleicht fällt mir ja etwas ein, auch wenn ich da mehr die Theoretikerin bin.“

„Du wärst sicher auch eine gute Entwicklerin geworden.“

Judith grinste. „Organisieren ist aber doch noch einen Touch interessanter. Vor allem in einer so tollen Position.“

„Warum soll ich dir keine tolle Position geben? Du bist a) top ausgebildet, hast es dir b) durch harte Arbeit verdient und bist c) meine natürliche Nachfolgerin.“

Judith lächelte ihm zu und kam zum nächsten Punkt.

 

3

Ihre Laune hatte sich bis zum Abend kontinuierlich verschlechtert – nicht wegen der Meetings, die problemlos alle erwünschten Ergebnisse gezeitigt hatten. Aber das ganze Drumherum! Die Presse hatte vor dem Firmengelände kampiert und alle Mitarbeiter belästigt, die es gewagt hatten, mittags essen zu gehen. Schottenbach hatte zwar eine warnende Durchsage gemacht und außerdem gesagt, etwaige Geldstrafen wegen Beleidigung der Presse durch entnervte Mitarbeiter würden von der Firmenleitung übernommen werden, aber trotzdem waren die Angestellten wütend – und irgendwann würde der Ärger sich gegen sie selbst richten, da war Judith ziemlich sicher. Und alles, weil sich diese Zecken an einem alten Drama aufgeilen wollten… Seriöse Journalisten waren natürlich nicht vertreten, sondern HOT! und Local One, Krone der Frau und Schicksal. Judith spielte mit dem Gedanken, ein paar Dosen Farbe zu kaufen und sie in die stummen Verkäufer von Hot! zu kippen, aber obwohl die sicher noch mehr Feinde hatten, kämen sie sicher schnell auf die Täterin.

Noch hatten die Firmenanwälte nichts erreicht, und auch Ulli Petzl war zwar bereits aktiv, aber, wie sie Judith bedauernd mitgeteilt hatte, war nicht viel Erfolg zu erwarten. Höchstens eine kleine Gegendarstellung an versteckter Stelle.

Das Mittagessen hatte sie sich liefern lassen und es war dem Portier nur mit Mühe gelungen (und mit der Androhung einer Anzeige wegen Hausfriedensbruch), zwei ambitionierte Fotografen daran zu hindern, im Kielwasser des Futterboten das Gebäude zu betreten. Es gelang ihnen gerade noch, die völlig leere Eingangshalle zu fotografieren, dann wurden sie hinausgedrängt und dabei fiel einem der Fotografen doch leider sein Teleobjektiv herunter.

„Leider war es nicht die ganze Dreckskamera“, murrte der Portier später, als Judith ihm für seinen Einsatz dankte.

Sie überlegte, ob sie morgen Vormittag die gesamte Belegschaft zusammenrufen und ihnen erklären sollte, was die Presse eigentlich wollte – natürlich entsprechend gefärbt. Vielleicht war das wirklich das Beste…

Sie strich etwas unzufrieden durch die Wohnung. Der Salat vom Lieferservice hatte nicht bis jetzt vorgehalten und sie hatte nichts Appetitanregendes im Haus. Einkaufen gehen?

Ein Blick aus dem Fenster belehrte sie eines Besseren – sie war belagert. Nun, dann musste sie eben fahren!

Immerhin gelang es ihr, ungesehen aus der Tiefgarage zu kommen und zu einem Supermarkt in Selling zu fahren. Dort rechnete bestimmt niemand mit ihr, und die Junkiemütze wirkte hoffentlich entstellend genug.

Sie eilte mit dem Einkaufswagen durch die Gänge und lud eher wahllos Gemüse, Fertigsalate, Knäckebrot, etwas Trostschokolade und ein Paket Wiener Würstchen ein, zahlte dann hastig und verkroch sich wieder in ihren Wagen. Als sie wieder an ihrem Hofeingang vorbeifuhr, sah sie, dass zumindest die Zecken von Local One noch da standen. Nun, die Garageneinfahrt war glücklicherweise in der Seitenstraße. Also rauschte sie die Zufahrt hinunter, parkte ein, schnappte sich ihre Einkäufe und eilte zum Aufzug.

Sobald sie ungesehen wieder in ihrer hermetisch verriegelten Wohnung saß, atmete sie heftig, als sei sie gerade vor einer tödlichen Gefahr geflohen. So kam es ihr auch tatsächlich vor. Himmel, was das hier ein Krieg?

Als ihr Herzschlag wieder normal war, verräumte sie ihre Einkäufe und betrachtete die Ausbeute eher lustlos. Noch einen Salat? Nö. Gemüse? Müsste sie kochen… lästig. Schließlich nahm sie sich zwei von den Würstchen und eine Scheibe Knäckebrot. Das reichte ja wohl!

Eigentlich nicht, musste sie zugeben, als sie mit Brot und Würstchen – ohne Teller – am Spiegel im Flur vorbeikam. In der schmalen schwarzen Hose sah sie wirklich mager aus. Aber wenn sie mehr äße, hätte sie Rundungen. Das gefiel dann den Kerlen – und dann? Lieber nicht!

Der Gedankengang war blöde, das wusste sie auch, und sie weigerte sich auch, ihn richtig zu durchdenken, um nicht zugeben zu müssen, dass ihr mangelnder Appetit nicht das Resultat kluger Entscheidung, sondern eher nicht aufgearbeiteter Traumata war. Ach, Unsinn, welche Traumata denn? Nach zwölf Jahren?

Sie aß die beiden Würstchen und das Knäckebrot – vorsichtig, um keine Krümel auf dem Sofa zu hinterlassen – und beschloss, dass morgen sicher alles wieder gut sein würde. Zwei C-Promis würden sich tränenreich trennen und alle Teleobjektive und Mikros wären auf ein anderes Haus gerichtet. Oder man würde eine neue Flüchtlingsunterkunft in Leisenberg bauen und HOT! würde versuchen, die Anwohner dagegen aufzuhetzen. Fremdenfeindliches Dreckspack. Wenn sie das nächste Mal einem Mikro von denen nicht mehr auskam, würde sie genau das sagen, jawohl!

Der Gedanke gefiel ihr so lange, bis sie sich gezwungen sah, zuzugeben, dass sie sich wahrscheinlich doch nicht trauen würde.

Nein, Judith – Stellung beziehen! Nicht immer nur Nabelschau betreiben! So wichtig war Schmiedl auch wieder nicht. Nicht nach zwölf Jahren – und mit neunundzwanzig war es wirklich höchste Zeit, wieder zu leben. Zu leben anzufangen, besser gesagt.

Sie fuhr ihren Laptop hoch und machte sich auf die Suche nach den Flüchtlingsunterkünften in Leisenberg. Vielleicht konnte man da ja Hilfe brauchen…

Sie notierte sich die Adressen und schrieb über den Kontaktlink, dass sie gerne spenden oder helfen wollte, aber nicht wusste, was wirklich gebraucht und gewünscht wurde.

Gut. Und jetzt würde sie endlich einmal in den Briefkasten schauen, auch wenn sie wahrscheinlich dabei durch die Tür fotografiert wurde. Nun, sie war ja noch ordentlich gekleidet! Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich vorstellte, sie ginge in Jogginghosen vor die Tür… Rother-Tochter: Vernachlässigt sie sich? Hat sie Depressionen? Nachwirkungen der Entführung? Mindestens! Oder, noch besser: Schock für die schöne Jessica: Tochter völlig verwahrlost!

Genau. Den Gefallen würde sie ihnen aber nicht tun. Gepflegt und arrogant, das war das richtige Auftreten!

Sie strich ihre schmalen Hüften entlang. Hm… Jessica Rothers Tochter: Magersucht!

Aber deshalb wollte sie sich keinen Speck anfuttern, dann landete sie bloß auf dem Cover eines anderen Magazins. Einem, das genüsslich die Cellulite-Dellen von Hollywoodstars veröffentlichte. Allerdings hatten die den Namen Judith Schottenbach noch nie gehört, da war sie ganz sicher.

Los jetzt, zum Briefkasten! Im Treppenhaus war niemand, und als sie vorsichtig durch die Haustür hinausspähte, standen zwar einige Leute vor dem Gittertor, das das alte Vordergebäude zur Straße hin abschottete, aber die unterhielten sich gerade und Judith gelang es, unbemerkt den Briefkasten aufzuschließen und einen dicken Packen herauszufischen. Erst als sie sich wieder aufrichtete, drehte sich jemand zu ihr um, aber da konnte sie schon zurückhuschen.

Gut gelungen!

Es sei denn, irgendein Idiot öffnete das Gittertor, wenn er nach Hause kam. Für diese Fälle konnte sie ja die Sache mit dem fremdenfeindlichen Dreckspack – Mist! Dazu mussten die leider erst einmal eine Vorlage liefern.

Na, mal sehen. Local One hatte vielleicht schon etwas auf der Pfanne – und gehörten diese beiden Schmierfink-Vereine nicht zum gleichen Medienkonzern?

Leider bot Local One nichts Aufregendes – ein paar unbedeutende Skandälchen in der Stadtpolitik, wieder mal dieses Filmfestival, bei dem ein Streifen preisgekrönt worden war, von dem Judith noch nie gehört hatte, zwei rührende Tiergeschichten aus dem Umland, ein Schauspieler, den man völlig zugekokst in einer Disco erwischt hatte.

Und ein möglicher Vergewaltigungsfall. Judith schauderte kurz und ärgerte sich dann: Sofort wurde gefragt, ob der Täter vielleicht ein Muslim…? Die hatten ja ein anderes Frauenbild, nicht wahr? Wollten die deutsche Leitkultur nicht anerkennen… waren nicht dankbar dafür, in Deutschland im Frieden leben zu dürfen… sollte man nicht über Ausweisungen nachdenken? Na bitte, sogar eine Steilvorlage! Diese populistischen Brandstifter, als ob Leisenberg sich nicht ein paar Flüchtlinge leisten konnte!

Sie lehnte sich zurück und sah flüchtig die Post durch. Ein Klamottenkatalog von einem Versand, von dem sie noch nie gehört hatte – woher hatten die bloß ihre Adresse? Egal, Altpapier.

Rechnung von der Hausärztin… bezahlen. Einladung. Huch? So nobel, Fotodruck auf Hochglanzpapier? Ach so, Jerry, Party in der Agentur… übernächste Woche. Vielleicht. Sie angelte nach ihrem Handy und rief Jerry an.

„Du kommst doch?“, fragte er sofort.

„Vielleicht. Warum bist du so heiß darauf?“

„Na, du bist doch meine kleine Schwester!“ Das klang entrüstet.

Judith lachte spöttisch. „Jerry, du lädst mich doch sonst auch nicht so dringend auf so etwas ein, und ich bin seit fast dreißig Jahren deine kleine Schwester. Also warum jetzt?“

„Einfach so.“

Das klang nicht wirklich überzeugend. „Du willst mich aber nicht der Presse zum Fraß vorwerfen?“

„Bitte?“

Das hörte sich nun fast authentisch an. Fast.

„Schmiedl hat seine Haft abgebüßt, und seit gestern belagert mich die Presse in der Hoffnung auf einen Live-Nervenzusammenbruch.“

„Scheiße. Was du jetzt fühlst und so?“

„Genau. Das einzige, was ich fühle, ist der dringende Wunsch, für ein Verbot sämtlicher Klatschmagazine einzutreten.“

„Leisenbergs Antwort auf Prinzessin Caroline?“

„Was? Wer?“

„Caroline von Monaco. Oder Hannover. Die hat da einen Anwalt, der holt echt Geld aus der Klatschpresse raus. Google das mal und frag, ob der dir nicht auch helfen kann. Aber Presse beschimpfen bringt nicht viel, die rächen sich bloß. Und ganz ehrlich, ich bin schon auch auf die angewiesen, wie soll ich sonst meine Leutchen promoten?“

„Dann sollte ich vielleicht doch lieber nicht auf deine Party kommen?“

„Quatsch, Presse ist kaum da. Nur ein, zwei Film- und Musikjournalisten – die interessieren sich nicht die Bohne für dich.“

„Dein Wort in Gottes Ohr“, seufzte Judith. „Na, bis übernächste Woche treibt hoffentlich jemand eine andere Sau durchs Dorf. Also, wenn nicht das Riesendrama angesagt ist, komme ich vielleicht. Gibt´s einen Dresscode?“

„Na, Glamour. Ein bisschen wenigstens. Irgendwas mit Glitzer.“

„Okay, mal sehen, was ich auftreiben kann.“

Jerry war eigentlich ganz nett, fand Judith nach diesem Gespräch. Auch wenn der Kontakt eher lose war, kein Wunder: Jerry und Jul waren rund zehn Jahre älter als sie selbst und stammten aus der ersten Ehe ihrer Mutter mit einem bekannten Regisseur. Über diese Zeit erzählte sie unter sehnsuchtsvollen Seufzern – dieser Anatol hatte ja immer so viel Verständnis für ihren sensiblen Charakter bewiesen – „ganz anders als dein Vater, Kind!“

Judiths rüde Frage, warum zum Henker sie sich dann von Anatol hatte scheiden lassen, wurde im Allgemeinen nur mit einem waidwunden Blick quittiert.

Jaja, Wolfgang Schottenbach war freilich ganz anders aufgestellt gewesen als Anatol Marow, der damals noch am Anfang seiner Karriere gestanden hatte. Das konnte die sensible Jessica Rother aber keinesfalls als Grund angeben.

Nur einmal hatte Judith ihre Mutter – es musste Jahre her sein – so angetrunken erwischt, dass ihr Nachbohren mehr Erfolg gezeitigt hatte: Der große Star hatte genuschelt, diese verdammte Schlampe Carla sei an allem schuld gewesen.

„Carla? Aber doch nicht Carla Greif?“ Die war wirklich ein Star, das wusste sogar Judith, die sich für die bunte Promi-Welt schon aus Prinzip nicht interessierte – oder das zumindest vorgab, wenn sie sicher sein konnte, dass es ihre Mutter ärgerte.

Carla Greif hatte ihrer Mutter diesen Anatol ausgespannt? Kicher… Manchmal kam sich Judith selbst etwas herzlos vor, aber dann beruhigte sie sich damit, dass sie diesen Charakterzug ja wohl geerbt haben musste. Jessica Rother setzte ihre Kinder doch hauptsächlich dazu ein, die eigene Publicity zu fördern. Ansonsten gab es Personal.

Carla Greif war immer schon der Liebling der Boulevardpresse, denn sie war nicht nur eine wirklich gute Schauspielerin (auch am Theater, was ja bekanntlich wirklich ein Qualitätsbeweis war, und zwar nicht in Boulevardstücken), sondern obendrein die jüngere Schwester des Grafen von Greifenstein, so dass sich die einschlägigen Berichterstatter gar nicht mehr beruhigen konnten: adelig und sooo talentiert! Sollte Carla Greif einmal nicht spielen, konnte man über ihre noble Verwandtschaft spekulieren und sich fragen, wie sie mit ihrer (bürgerlich geborenen) Schwägerin Eva auskam. Sollte sich bei den Greifensteins nichts tun – keine kleinen Grafensprößlinge, keine Schlossführungen, dann konnte man überlegen, welche Rollen Carla Greif in nächster Zeit übernehmen konnte oder würde. Zierlich, rothaarig und mit einem koboldhaften, sehr jung wirkenden Gesicht, spielte die Greif heute noch Rollen, für die Jessica Rother, die reifer und handfester wirkte, schlicht als zu alt galt. Mama war jetzt genau sechzig und Carla Greif konnte nicht viel jünger sein… Moment…

Judith kuschelte sich in die Sofaecke und drückte sich ein Kissen auf den Bauch, um es beim Rechnen schön warm zu haben. Mama hatte sich von Anatol getrennt, als Jerry vier und Jul drei war. Jetzt waren sie sieben- und achtunddreißig. Gut, dann war das vierunddreißig Jahre her, Mama war damals sechsundzwanzig. Großer Gott, jünger als sie heute – und schon zwei kleine Jungs! Und einige Filme, gute und furchtbare. Für manche hätte sie wohl auch die Goldene Himbeere verdient…

Viel jünger konnte Carla dann auch nicht gewesen sein – doch mindestens achtzehn, also acht Jahre weniger, dann war sie heute wenigstens zweiundfünfzig. Auch nicht mehr so ganz knusprig, aber sie wirkte deutlich jünger. Und mit Anatol hatte sie wirklich etwas gehabt? Tja, nun rächte sich das Desinteresse - aber wozu gab es schließlich das Internet?

Andererseits war ihr eigentlich völlig egal, ob Carla Greif und Anatol länger zusammen gewesen waren… und aufstehen wollte sie jetzt auch nicht. Eigentlich wusste schon gar nicht mehr, wie sie auf diese unnützen Überlegungen gekommen war…

Ihr Handy brummte. Sie überlegte, wer es sein konnte? Mama? Jul? Irgendeine Freundin, Tine, Maxi oder Annina? Die Presse schon wieder?

Sie angelte träge nach dem Telefon auf dem Tischchen neben dem Sofa und spähte aufs Display: Mama.

Also neutrale Stimme – keine Emotionen verraten!

„Schottenbach?“

„Judith, Schätzchen, wie geht es dir?“

„Danke, und dir selbst?“

Fehlschlag – Mama seufzte. „Aber Kind, nun lass doch mal diese coole Fassade fallen.“

„Eine Maske lässt man fallen, eine Fassade bröckelt“, korrigierte Judith, die auf schiefe Bilder allergisch reagierte.

„Das ist doch jetzt egal!“

„Ich finde, eine Schauspielerin sollte schon auf korrekte Texte achten.“

„Ja, meinetwegen – aber jetzt geht es nicht um Texte! Du weißt doch, das Schmiedl wieder frei ist!“

„Ja, diese Geier von HOT! haben mich schon belästigt.“

„Judith, sprich nicht so über die Presse, man weiß nie, wann man sie braucht.“

„Also, ich brauche sie nicht. Schottenbach steht gut mit allen wichtigen Wirtschaftsmagazinen und seriösen Tageszeitungen, aber Klatsch und Tratsch kann uns doch egal sein.“

„Mir nicht.“ Das kam schon etwas schärfer heraus.

„Dann unternimm du doch etwas, was dich in die Zeitung bringt. Ich bin nicht prominent und ich will es auch gar nicht sein.“

„Aber du bist immerhin meine Tochter!“

„Deine Tochter, nicht deine PR-Waffe.“

„Das lässt sich doch nicht trennen! Wenn Schmiedl wieder auftaucht, ist es doch völlig klar, dass wir gefragt werden, was wir jetzt fühlen.“

„Ach ja? Und was fühlst du?“

„Was glaubst du denn?“

Judith schnaubte ärgerlich ins Telefon. „Entweder machst du einen auf christliche Milde und hast ihm verziehen, oder du wirst ihm nie, nie, nie verzeihen, weil er dein heißgeliebtes Kind verletzt hat. Kommt wohl darauf an, was du gerade drehst.“

„Du bist zynisch, Judith!“

„Nein. Ich kenne dich bloß schon einige Jahre, vergiss das nicht. Also, machst du auf Milde oder auf Hass?“

„Weder noch. Ich bin tief verletzt.“

„Mein Gott! Nur, weil ich deinen Selbstbetrug nicht auch noch unterstütze?“

„Dich meine ich doch nicht! Tief verletzt ist das, was ich der Presse gesagt habe. Und dass ich Angst habe, natürlich!“

„Angst wovor? Nicht mehr in der Zeitung zu stehen?“

„Lass diesen Sarkasmus. Was, wenn er sich an uns rächen will?“

„Das wäre ja noch schöner! Wofür denn? Dafür, dass er mich entführt hat? Dafür, dass ich das Ganze nur mit Glück überlebt habe? Dafür, dass- “

„- er eine Million von uns kassiert hat?“

Judith seufzte. Ihre Mutter würde unangenehme Realitäten bis zum Jüngsten Tage ausblenden… „Ja, meinetwegen. Ich finde, er schuldet uns etwas, nicht wir ihm.“

„Das wird er wohl nicht so sehen. Immerhin war er elf Jahre im Gefängnis!“

„Das heißt, du bereust, dass ihr ihn angezeigt habt?“

„Unsinn, Kind!“

„Dann verstehe ich nicht, worauf du hinaus willst.“

Seufzen am anderen Ende. Wahrscheinlich, weil „das Kind“ mal wieder so begriffsstutzig war und nicht wusste, wie man sich der Presse präsentieren musste!

„Ach so, ja – das besorgte Mutterherz. Schon klar… wie viele Interviews hast du damit schon gegeben?“

„Ich mache mir wirklich Sorgen!“ Das klang verletzt – und die Frage wurde natürlich nicht beantwortet. Aber das war ja nichts Neues!

„Und was möchtest du jetzt von mir? Soll ich das verletzte Rehlein geben, wenn mich das nächste Mal jemand von so einem Käseblatt belästigt? Ich denke nicht daran!“

„Du denkst auch gar nicht an mich!“

„Wozu? Das besorgst du doch schon hinreichend. Ich bin auf das Wohlwollen der Klatschpresse wirklich nicht angewiesen.“

„Du bist meine Tochter!“

Willkommen in der Endlosschleife…

„Ja doch. Aber ich bin auch Papas Tochter und Informatikerin. Und diese Rollen sind mir sehr viel wichtiger. Kannst du nicht bitte mit den Jungs angeben? Die machen doch wenigstens etwas, was du verkaufen kannst!“

„Das verstehst du nicht…“

Jaja. Die Jungs waren nie entführt worden, da konnte man das Mutterherz nicht so recht zur Geltung bringen – und das Schlimmste: Jul hatte eine kleine Tochter, was wirklich niemand wissen durfte: die zeitlose Schönheit Jessica Rother als Großmutter? Never ever

„Rollen? Dein Leben besteht doch nicht nur aus Rollen! Du bist doch gar keine Schauspielerin!“

„Manchmal komme ich mir in dieser Familie aber so vor. Jeder verlangt, dass ich mich so oder so verhalten soll. Was glaubst du, warum ich so gerne einfach ganz alleine zu Hause bin? Endlich mal Ruhe!“

„Und was machst du dann? Fernsehen?“

„Manchmal. Dokumentationen natürlich.“

Das war gelogen, aber die Genugtuung, dass sie sich Kripo Kirchbach anschaute, um ihre Mutter zu bewundern, wollte sie ihr nicht geben.

„Ich lese gerne, ich mache Sport, ich höre Musik. Raus kann ich ja sowieso nicht.“

„Wieso das denn?“

„Mein Gott, weil draußen die Geier von der Presse stehen! Die du mir wahrscheinlich auf den Hals gehetzt hast! Ich hoffe, du bist zufrieden mit dir!“

Nein, das Gebrummel am anderen Ende war eindeutig. Ihre Mutter verabschiedete sich leicht verkniffen.

Ihre Mutter nervte, fand Judith, als sie das Handy wieder auf den Tisch gelegt hatte. Und wie immer kreiste die Welt nur um sie selbst. Offensichtlich wollte sie die Tatsache, dass Schmiedl wieder auf freiem Fuß war, dazu nutzen, sich selbst wieder mal ins Gespräch zu bringen. Kripo Kirchbach plätscherte so dahin und wurde in den Medien eigentlich nur präsentiert, wenn eine neue Folge mit jemandem gedreht wurde, der wirklich berühmt war. Oder wenn irgendeine Person den Serientod starb, weil der Schauspieler keine Lust mehr hatte.

Judith grinste – was, wenn Chris, der Benjamin im Team, plötzlich keine Lust mehr hatte? Wer interessierte sich denn dann noch für seine Mutter?

Das Grinsen erstarb. Oh Gott, wenn sie unbeschäftigt war, würde sie ihren Kindern noch viel mehr auf die Nerven fallen… Schnell weg mit dem Gedanken!

Sie angelte nach der Fernbedienung und landete prompt in einem Boulevardmagazin. Alte Kriminalfälle, spektakuläre Unfälle, Klatsch und Tratsch. Voll böser Ahnung sah Judith zu – und tatsächlich, kurz vor dem Ende wurde auf Schmiedl hingewiesen und die Tatsache, dass er gesessen hatte, weil er die kleine Tochter der schönen Jessica Rother entführt und verletzt hatte. Das Kind litt sicher heute noch darunter, und die Mutter, die ein sehr enges Verhältnis zu ihrer Tochter hatte („Wir sind wie Freundinnen!“), machte sich die größten Sorgen… Eingeblendet wurde ein Bild von Judith, auf dem sie höchstens fünfzehn war.

Gar nicht so schlecht, so erkannte sie heute sicher niemand mehr. Offenbar besaß ihr Mutter kein neueres Foto von ihr. Und Judith würde auch dafür sorgen, dass es so blieb.

Aber schrecklich rührselig war der Bericht doch…

Sie schaltete um und schaute sich, gemächlich auf dem Trimmrad strampelnd, eine Folge einer amerikanischen Gerichtsmedizinerserie an. Hier spielte ihre Mutter wenigstens garantiert nicht mit.

 

4

„Nein, Mama, vergiss es.“ Vincent warf den Rest seines Käsebrotes auf den Teller zurück und stand auf.

„Wohin willst du denn?“

„Weg. Du verdirbst mir mit deinen Vorschlägen den Appetit. Ich gehe nach Hause und frühstücke da.“

„Aber Junge, überleg doch mal, du verstehst doch etwas von diesen Computerprogrammen! Und wenn eine renommierte Firma wie Schottenbach dir eine Stelle anbietet, musst du doch zugreifen!“

„Ich bewerbe mich schon selbst, du musst mir keine Stellung besorgen. Oder deinen alten Schulfreund bezirzen.“

„Aber du tust es ja nicht!“

„Wer sagt das denn? Du weißt doch gar nicht, was ich tue und was nicht!“ Er strich sich seine dunkelroten Locken aus der Stirn und wandte sich zur Tür.

„Wenn du eine anständige Stelle hättest, würdest du nicht so herumlaufen – und du säßest längst in der Arbeit!“

Er drehte sich in der Tür noch einmal um und betrachtete seine Mutter kopfschüttelnd. „Ach, Mama! Du verstehst einfach gar nichts.“

Auf dem Weg nach Hause ärgerte er sich immer noch, denn das war nicht der erste Versuch, ihn beruflich zu vereinnahmen. Seine Widerborstigkeit hatte aber zumindest seine überfürsorgliche Mama nie lange entmutigt…

Er fuhr seinen Wagen auf den Hof hinter dem Altbau, in dem er mit zwei Kumpels eine Achtzimmerwohnung bewohnte. Die Treppen knarrten wie immer und als er die schwere Holztüre aufschloss, schlug ihm ein merkwürdiger Geruch entgegen. Er schnupperte nachdenklich – nein, kein Dope, immerhin. Also hatte Leo keine merkwürdigen Freunde zu Gast. Hatte Nils wieder etwas Obskures gekocht?

In der Küche war niemand, aber sie sah ekelerregend aus, vielleicht sollte er später hier mal saubermachen.

Er schloss sein Wohnzimmer auf und kontrollierte kurz, ob noch alles an Ort und Stelle war, dann schlenderte durch die Verbindungstür in sein Schlafzimmer und blieb abrupt stehen.

„Wer bist du denn?“

„Ich bin die Bella“, flötete die Blondine und räkelte sich so, dass die Decke verrutschte und Vincent den Blick auf ein paar recht üppige Brüste gewährte.

Er schnaubte. „Tag, Bella. Bitte zieh dich an und such das Schlafzimmer deines Gastgebers. Hier bist du komplett falsch.“

Bella blinzelte.

„Bist du taub oder was? Raus aus meinem Bett!“

„Bist du schwul oder was?“, fauchte Bella und schoss aus dem Bett, schnappte sich ein Häufchen Klamotten vom Boden und eilte zur Tür, die in den Flur führte. Mordsarsch, stellte Vincent unwillkürlich fest. Ihm zu üppig. Auch wenn er absolut nicht schwul war, ihn nervten bloß die Weiber, die Leo und Nils immerzu anschleppten.

Er schloss die Flurtür hinter ihr ab und ließ sich dann auf das Bett sinken, das penetrant nach einem süßlich-schwülen Parfum stank – Shalimar, vermutete er. Nils schenkte es gerne seinen Miezen. Die kleinste Größe natürlich, das Zeug war teuer genug.

Äh, jetzt musste er auch noch sein Bett frisch beziehen, sonst würde ihm heute Nacht noch schlecht.

Verdammt, er konnte sich selbst einen Job suchen! Er hatte jetzt zwei Jahre lang für ein vielversprechendes Start-up gearbeitet und dabei auch eine Menge gelernt – leider auch, wie man es nicht machte, vor allem, wenn man viel zu wenig Kapital hatte.

Immerhin hatte er ein exzellentes Zeugnis – und durchaus noch Rücklagen. Er musste also wirklich nicht bei Schottenbach unterkriechen wie eine gescheiterte Existenz, nur weil Mama in grauer Vorzeit einmal mit Wolfgang Schottenbach im Sand gespielt oder Schiefertafeln bekritzelt hatte – wenn man ihren nostalgisch verklärten Erinnerungen glauben durfte.

Mama glaubte immer noch, sie könnte sein Leben bestimmen, aber da hatte sie sich geschnitten, er war mit seinem Leben, so wie es war, völlig zufrieden, recht herzlichen Dank!

Draußen knallte es – was war denn jetzt wieder passiert?

Vincent schaute vorsichtig auf den Flur, wo Nils stand, splitterfasernackt, und gerade eine Champagnerflasche geöffnet hatte. Der Korken hatte den Spiegel über der vollgestopften Kommode getroffen, so dass sich jetzt spinnennetzartig Sprünge über das Glas zogen.

„Sieben Jahre Pech“, kommentierte er. „Gut, dass ich den Schmarrn nicht gemacht habe.“

Nils grinste frech. „Ist aber dein Schampus gewesen.“

„Ja, aber zum letzten Mal.“

„Wieso?“

„Ich kaufe keinen mehr. Wenn du dich am helllichten Morgen mit deinen Schnallen besaufen willst, kauf dir selber was.“

„Schöner Freund!“

„Der ist doch schwul“, nölte die mittlerweile notdürftig bekleidete Bella aus Nils´ Schlafzimmertür.

„Ph! Man muss nicht schwul sein, um auf dich keine Lust zu haben“, schnauzte Vincent in ihre Richtung. Jetzt schaute auch Leo aus seinem Zimmer, eine merkwürdige grünliche Pampe auf dem Kopf.

„Ach, deshalb stinkt´s hier so!“, konnte sich Vincent wieder etwas erklären. „Warum willst du aussehen wie Pumuckl?“

„Das ist nichtfärbendes Henna. Gibt tollen Glanz. Solltest du auch mal probieren!“

„Kein Interesse.“ Vincent zog die Tür wieder zu und schloss sie sorgfältig ab, dann tauchte er an der Wohnzimmertür wieder auf. „Ich möchte nicht noch einmal erleben, dass eine fremde Schnepfe mein Bett mit billigstem Parfum vollstinkt. Ihr habt in meinen Zimmern nichts zu suchen.“

„Und wenn wir was brauchen?“

„Dann nehmt euren eigenen Scheiß!“

„Du bist echt unsozial, Vinz!“

„Ich?“, krächzte der Gescholtene, „Ich? Spinnst du jetzt komplett? Ich beklaue euch nicht, ich lege keine doofen Miezen in eure Betten und stinke auch nicht die Bude voll! Ich verhalte mich still und zahle meine Miete, was wollt ihr denn noch?“

„Du eignest dich eben nicht für eine WG“, fand Leo, dem ein grünliches Rinnsal übers Gesicht lief.

„Kommt mir langsam auch so vor. Keine Sorge, ich werde diesen Zustand zügig ändern.“

Damit verschwand er in seinem Zimmer und schloss die Türe recht lautstark hinter sich.

Verdammt, er musste hier raus! Während er seinen Rechner hochfuhr, überlegte er, warum er überhaupt vor zwei Jahren hier eingezogen war.

Kindischer Trotz? Gut möglich!

Die Altstadt hatte einen Hauch von Bohème, von Unangepasstheit (obwohl sie schweineteuer war), was Mama, die natürlich im vornehm-öden Leiching wohnte, sehr erfreulich auf die Palme gebracht hatte.

Eine WG nur mit Jungs hatte Mama auch genau das befürchten lassen, was diese dümmliche Bella vorhin gekräht hatte. Immerhin hatte sie ihm einige Monate lang keine wünschenswerten Schwiegertöchter vorgestellt. Natürlich auch keine Schwiegersöhne… er musste bei dem Gedanken grinsen und tippte die Adresse der gängigsten Immobilienseite ein.

Leisenberg… was suchte er denn überhaupt - Apartment, Wohnung, Haus, Schloss?

Hm. Wenn er sich hier so umsah – ein Teil der Möbel hatte hier schon gestanden, sein eigener Kram bestand aus Klamotten und Büchern für vielleicht drei Kisten, dazu Laptop, Tablet und der Schreibtischsessel in hellgrauem Leder.

Apartment musste reichen.