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Hrsg. Gitta Rübsaat

Entfesselte Natur

Gemeinsam gegen die Flut


Mein Dank geht an alle Mitwirkenden, die zu dieser Anthologie einen oder mehrere Beiträge geleistet haben. Und ich wünsche diesem EBook, dass es viele Male verkauft wird, damit der Sinn der Übung: weiterhin Spendengeld für die Hochwassergeschädigten dieses Sommers 2013 zu sammeln, sich auch erfüllen kann. In diesem Sinne: toi, toi, toi! Hrsg. Gitta Rübsaat


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorwort

Anlässlich einer Spendenaktion für die Hochwassergeschädigten dieses Sommers 2013 schrieben Autoren der BookRix Community Beiträge zum Thema „Wasser“. Aus diesen Beiträgen (Geschichten, Sachberichte und Gedichte) entstand nun diese Anthologie als EBook.

Die Autoren verzichten auf jegliches Honorar, da der Nettoerlös ebenfalls als Spende an die „Aktion Deutschland hilft e.V.“  - Hochwasser Deutschland 2013 - gehen wird.

Unser besonderer Dank geht an Heike Helfen, die uns das von ihr entworfene und gemalte Coverbild ebenfalls kostenlos zur Verfügung gestellt hat.

Hrsg. Gitta Rübsaat

Die Autoren dieser Anthologie

Die Autoren in der Reihenfolge ihrer Beiträge:

Christof Finkler, Andrea Wehr, Claudia Wedig (2), Sascha Schlüter, Annelie Heyer, Christine Hammes, Ilona Becker, Rainer Güllich, Sissi Kaiserlos, Elke Lehmann, M.M. Lang, Valerie le Fiery (4), Rita Bittner, Calliandra S., Gitta Rübsaat, Angela Ewert, Alke Bolte, Astrid Rose, Dana Tod, Uschi Kollasch (2), Alexandra Seeger, René Deter (2), Sigrid Lenz (3), Anneliese Koch, Sophie André, Ute Look, Sommerwind (3), Tamara Wiegand, Sabine Simon, Vincent Schlecht, GaSchu, Roland Schilling, Rigor Mortis, Rebekka Weber, Dora Fries, H.J.White, Klaus Blochwitz, Zauberwald, Jonatha Gerber, Matthias März (2), Orelinde Hays, Monika Schoppenhorst, Markus B. Hedstroehm (2), Sweder van Rencin, Max Gliefort, Enya Kummer (2), Susannah Knopp, Ralf von der Brelie, Signe Winter, Manuela Schnief, Manfred Basedow, Michi Haidenthaller, Michael Lindbergh, Rainer Göcht, Rehkitz, Fee Heuser, Franz von Soisses, Ute Wunderling, Sandra Marquardt, Selina Reynen, Bonny Preikschas,Thaia van Gaia.

Reihenfolge der Beiträge

1.  Flussgebet von Christof Finkler

2.  Wasser-Läufe von Andrea Wehr

3.  Die Träne der See von Claudia Wedig

4.  Hiobs Eigensinn von Sascha Schlüter

5.  Tod im Swimmingpool von Annelie Heyer

6.  Fliegender Fisch von Christine Hammes

7.  Kreuzfahrt von Ilona Becker

8.  Naturgewalt von Rainer Güllich

9.  Die Nordsee schwappt über von Sissi Kaiserlos

10. Wildes Wasser von Elke Lehmann

11. Wenn die Natur zurückschlägt von M.M. Lang

12. Naturgewalten von Valerie le Fiery

13. Überflutet von Rita Bittner

14. Fluch und Segen zugleich von Calliandra S.

15. Mondwende von Gitta Rübsaat

16. Wasser ist Leben !? von Angela Ewert

17. Die Buchardiflut von Alke Bolte

18. TAU von Astrid Rose

19. Meermensch von Dana Tod

20. Abend am Meer von Uschi Kollasch

21. Weglos von Alexandra Seeger

22. Mutig voranschreiten von Réne Deter

23. Gift von Sigrid Lenz

24. Fahrradverleih von Anneliese Koch

25. Herr Anton von Valerie le Fiery

26. Am Fluss von Ute Look

27. Momentaufnahme von Sophie André

28. Wasser des Lebens von Sommerwind

29. Tsunami 26.12.2004 von Tamara Wiegand

30. Unbezwingbar von Sabine  Simon

31. Es ist Sommer... von Vincent Schlecht

32. Dammbruch von GaSchu

33. Die treuen Augen von Claudia Wedig

34. Sonnenfels darf nicht untergeh'n von Roland Schilling

35. Hochwasserbestreiter von Rigor Mortis

36. Düsseldorf und sein Rhein(hoch)wasser von Rebekka Weber

37. Die Zerstörung der Möhnetalsperre von Dora Fries

38. Wasserzeilen von René Deter

39. Keinenot und die Flutwelle von H.J. White

40. So war es schon immer... von Sommerwind

41. Hochwasser von Klaus Blochwitz

42. Melissa von Zauberwald

43. Was ist eigentlich Wasser? von Jonatha Gerber

44. Schicksalsjahre einer Meerjungfrau von Matthias März

45. Raindrops von Orelinde Hays

46. Wasserliebe von Monika Schoppenhorst

47. Die Wanne ist voll von Uschi Kollasch

48. Wasser...Land unter... von Markus B. Hedstroehm

49. Prolog von Sweder van Rencin

50. Das Hochwasser von Max Gliefort

51. Über alle Grenzen von Enya Kummer

52. Regen von Susannah Knopp

53. Begegnung von Ralf von der Brelie

54. Wasserlöslich: Flut-Sprachlich: Ebbe von Signe Winter

55. Hochwasserschutz?! von Manuela Schnief

56. Gegensätze von Valerie le Fiery

57. Hochwasser bedroht auch die Tiere von Manfred Basedow

58. Alles verloren von Michi Haidenthaller

59. Ausgebootet von Matthias März

60. Leila von Michael Lindbergh

61. Wasser von Sigrid Lenz

62. An das Meer von Enya Kummer

63. Eine teuflische List von Rainer Göcht

64. Mensch hilft Mensch von Rehkitz

65. Der Gesang des Wassers von Fee Heuser 

66. Das Hochwasser von Franz von Soisses

67. Strom-Fluß-Bach von Ute Wunderling

68. Dive in Love-Liquid Feelings von Sandra Marquardt

69. Hände in der Not von Sommerwind

70. Was wäre wenn...die Maya doch Recht hatten? von Valerie le Fiery

71. Bis zum Hals von Selina Reynen

72. Die Masse von Bonny Preikschas

73. Trinkwasser...Lebenselexier oder Handelsware? von Markus B. Hedstroehm

74. Planet von Sigrid Lenz

75. Das kühle Nass von Thaia van Gaia

Flussgebet

©Christof Finkler 

Die Sonne hat auf ihrer Bahn durch den Tag schön längst die Mitte überschritten und trotzdem ist es noch hell. Die Natur ist erwacht und versucht vehement, alles nachzuholen, was in den vergangen Monaten unmöglich schien. Der Winter war lang und kalt gewesen. Viele dunkle Monate waren vergangen und ganz Deutschland hatte sich nach dem Frühling gesehnt. Ich auch, stelle ich mit einem Seufzer fest...  Doch nun ist der Frühsommer da und ich kann endlich wieder ohne Jacke draußen sein. Hohes Gras kitzelt meine nackten Füße und ein leichter Wind weht mir um die Nase.

Ich sitze an dem Ort, der mir seit vielen Jahren vertraut ist, und schaue mich um. Blumen blühen in allen Farben, die Vögel haben Junge bekommen und die Bäume sind nicht mehr kahl. Der Fluss vor mir fließt immer noch schnell, aber seine Strömung hat mittlerweile an Kraft verloren. Mein Blick geht zur Uhr. Mir bleiben noch ein paar Minuten und ich erinnere mich an längst vergangene Tage…

Schon als kleines Kind saß ich an diesem Platz. Damals, als die Welt sich noch langsamer zu drehen schien als heute. Mein Großvater zeigte mir, wie man Fische fangen kann und ich durfte die Ausrüstung tragen, während er mich an der Hand nahm. Diese Stelle war unter den Anglern beliebt, weil es hier sehr viele Fische gab. Man brauchte nur ein klein wenig Geduld und den richtigen Köder, bis es an der Schnur riss. Ich war immer aufgeregt, sobald eine Forelle am Haken zappelte.

Die Sonne ist schon wieder gewandert, stelle ich fest. Gleich wird die Feuerwehr kommen und ein großes Schlauchboot dabei haben. Das soll mich zum Senioren-Heim bringen, damit ich ein paar Habseligkeiten einpacken kann. Dafür werden mir nur ein paar Minuten vergönnt sein. Ich drehe meinen Kopf und schaue zur Straße hoch. Vor vierzig Jahren gab es hier nur Trampelpfade...

Ein paar Jahre nach dem Tod meines Opas, ich war mittlerweile in der Volksschule, schlich ich mich ganz oft mit meinen Kameraden hierher. Meistens im Juli, bevor die großen Ferien begannen. Dann versteckten wir unsere Räder im dichten Gebüsch und mussten vorsichtig sein, bis wir sicher sein konnten, dass wir allein waren. Unsere Eltern durften nichts von den Ausflügen wissen, weil wir ja Hausaufgaben machten sollten. Aber wer lernt schon gerne Mathe und Deutsch, wenn das Thermometer unerbittlich nach oben klettert und das kühle Wasser lockt?

Langsam wird es Zeit für mich. Die Helfer in den Uniformen werden bestimmt nicht auf mich warten. Ich greife meine Tasche und richte mich auf. Die müden Knochen wollen nicht mehr so, wie ich gerne möchte. Früher, als ich jung war, war das ganz anders. Da konnte ich stundenlang am Fluss entlang laufen…

Manchmal sahen meine Freunde und ich den langen Schlepp-Kähnen zu, die schwer beladen an uns vorbei tuckerten. Wohin wohl ihre Reise gehen wird, fragten wir uns? Ob sie bis ans Meer oder gar nach Amerika fahren würden? Die Kapitäne müssen ein tolles Leben haben, überlegten wir uns, weil sie so ungebunden und frei waren. An solchen Tagen reichte es schon aus, bis zu den Waden in der Strömung zu stehen, und schon wurden wir zu Huck Finn und Tom Sawyer.

Ich krame in meiner Tasche und hole das Faltblatt raus, das die wichtigsten Anweisungen für die nächsten Tage zusammen fast. Früher hatte ich immer ein Buch dabei und jedes Wort war kostbar gewesen. Heute tanzen ganz andere Worte in meinem Kopf herum: Pegel, Flutwelle, Höchststand, (schon wieder) Jahrhundertflut, Scheitelpunkt, Sandsäcke, Krisen-Stab, lokale Unwetter, operative Kräfte, Spenden-Siegel, Elementar-Schaden, Wasserpumpen, Not-Unterkunft oder THW. Auf dem Weg hierher habe ich viele fremde Gesichter gesehen. Es waren junge Leute und sie hatten Gummistiefel, Handschuhe und Sonnencreme dabei. Soweit ich weiß, möchten sie helfen. Das klingt verrückt, weil sie dafür kein Geld verlangen und nicht mal aus dieser Gegend stammen. Sie sprechen einen Dialekt, den ich nur aus dem Fernsehen kenne. Nun muss ich sprachlos weinen, weil es wohl doch noch Mitgefühl und Solidarität gibt. Und weil diese Menschen selbstlos anpacken wollen, wie ich es auch ein Leben lang getan hatte. Teilweise aus ganz einfachen, naiven Gründen...

Als Kinder hatten wir mal ein Floß gebaut, mit dem wir flussabwärts fahren wollten. Viele Wochen waren mit Sägen, Nähen und Hämmern vergangen, bis das Abenteuer los gehen konnte. Aber wir sind nicht weit gekommen und mussten abends unseren Eltern erklären, warum die Kleider so nass waren.

Nun werde ich unruhig und schaue wieder auf die Uhr; dann wieder auf die braune Brühe vor mir. Dieser Fluss war schon da, bevor es mich und Lina gab. Bevor es all die Häuser und Straßen und Fabriken gab. Ich frage mich, ob die Gründer der Stadt geahnt haben, dass er eines Tages so großes Unheil bringen wird. Bei dem Namen Lina gleiten meine Gedanken wieder ab...

Als ich älter wurde, blieb dieser Platz am Fluss eine Art vertraute Heimat. Natürlich war ich nicht mehr so ungestüm und es gab nicht mehr so viel zu entdecken. Das Wasser floss dahin wie meine Gedanken: mal schnell und mal träge. Trotzdem gab es aufregende Momente, die ich nie vergessen wollte. Hier machte ich Lina einen Heiratsantrag. Das Mädchen, das im Laden meiner Eltern ausgeholfen und mir verstohlene Blicke zugeworfen hatte. Die Frau, die so tolle Briefe schreiben konnte. Die Frau, mit der ich heimlich Ausflüge ins Umland gemacht hatte, während ihre Eltern gegen unsere Freundschaft waren. Die Frau, von der ich meinen ersten Kuss bekommen hatte; natürlich auch hier an diesem Platz.

In der Ferne ist die Autobahn zu sehen und ich blinzele leicht. Wenn mich meine Augen nicht täuschen, ist schon wieder ein Konvoi unterwegs. Jedenfalls sind es große Autos, die wie eine Perlenschnur aufgereiht nach Norden fahren. Man sagt, ein paar Deiche seien gebrochen und unzählige Kubikmeter Wasser würden ins Hinterland fließen. Einige Ortschaften liefen bald voll, Brücken müssten gesperrt und viele Menschen evakuiert werden. In den Häusern sei alles zerstört, was im Erdgeschoss steht. In anderen Dörfern, wo das Wasser bereits verschwindet, lägen Möbel, Dreck, Unrat und Treibgut in den Straßen. Es würde erbärmlich stinken und zähflüssiges Öl würde die Kanäle verstopfen. Wie gut, dass Lina tot ist, und das nicht erleben muss. Bei diesem Gedanken werde ich traurig, denn das habe ich noch nie gedacht…

Eines Tages, an einem Samstagabend, war ich genau hier vor Lina auf die Knie gefallen und hatte die Ringe in der Tasche, die ich mir von meinem kargen Lohn gekauft hatte. Eine Minute und fünf gestammelte Worte später war sie die glücklichste Frau auf der ganzen Welt gewesen und wir hatten sehr lange aufs Wasser geschaut. Bis sich die letzten Sonnenstrahlen im Wasser gespiegelt hatten...

Unsere kleine Wohnung, die wir kurz vor der Silber-Hochzeit gekauft hatten, musste ich aufgeben, stelle ich mal wieder mit Wehmut fest und knirsche mit den Zähnen. Der Platz im Alten-Heim ist nun mein Zuhause geworden. Hier werde ich gut versorgt, bekomme etwas Geld, habe Freunde gefunden und kann in Ruhe sterben, wenn die Zeit da ist. Seit ein paar Tagen habe ich das Gefühl, es wird nicht mehr lange dauern. Was um mich herum passiert, habe ich niemals für möglich gehalten. Die Not und das Elend sind so schrecklich und ich kann nichts dagegen tun. Als ich noch arbeiten konnte, hätte ich anders gefühlt, aber das ist schon lange vorbei...

Lina und ich waren oft an diesen Ort gekommen und haben alle Jahreszeiten erlebt. Das Flussbett war voll oder halb ausgetrocknet. Mal war das Wasser blau und dann wieder schmutzig. Und mancher Winter kam und brachte so viel Kälte mit, dass das Eis keine Schifffahrt mehr zuließ. Leider waren uns keine Kinder vergönnt gewesen und so fütterten wir die Enten, bis sie groß wurden. Sonntags genossen wir die Ruhe am Ufer, machten Picknick, badeten im seichten Wasser oder träumten uns in ferne Länder. An den Nil, den Mississippi oder an die Niagarafälle.

Heute habe ich keine Träume mehr, mir bleibt nur der Fernseher in meinem kleinen Zimmer. Die Sondersendungen schalte ich nicht mehr ein. Die Wissenschaftler sagen, es gäbe zwei große Golf-Strömungen, die um den ganzen Globus reichen und unser Klima beeinflussen würden. Die würden seit Jahren immer träger werden und dadurch würde hier immer mehr Regen fallen. Die Klima-Forscher mahnen, es gäbe zu wenig Auen und es seien zu viele Häuser am Ufer gebaut worden. Andere Gelehrte sagen, etwas namens „Jetstream“ würde durch die Erderwärmung jede Menge Feuchtigkeit in die Atmosphäre tragen und über uns „einfrieren“. Es heißt, die Tiefdruckgebiete würden immer langsamer wandern und genau das sei der Grund für den Regen. Ich verstehe nichts davon und weiß nicht, was ich glauben soll. Aber ich weiß, dass es früher nie so viel, so häufig und so lange geregnet hat wie heute.

Es zwickt in den Beinen, während ich aufstehe. Gerade, als ich mich vom Fluss verabschieden möchte, sehe ich etwas in der Sonne blitzen. Es liegt auf den Steinen, die das Wasser schon längst rund geformt hat. Was mag das sein? Langsam gehe ich zu der Stelle und erkenne, dass es eine Flasche ist. Kleine Wellen schütteln sie hin und her und sie scheint mir zu winken: „Heb mich auf.“ Wieder knacken die Knochen, als ich das Glas aufgebe und dann mache ich große Augen. Der Korken steckt fest im Hals und der große Zettel im Inneren macht mich neugierig. Früher hatte ich immer ein kleines Messer in der Tasche, weil es von einem echten Mann erwartet wurde, aber heute ist das nicht mehr nötig. Also werfe ich die Flasche auf einen Stein. Es tut mir leid, als sie in tausend kleine Scherben zersplittert. Dann hebe ich das Papier auf und meine Augen wandern über die große Schrift. An diesem Fluss habe ich so viel erlebt, aber das hier noch nie:

„Hallo Gott... Ich weiß nicht, ob es dich gibt. Trotzdem schreibe ich dir. Mein Lehrer sagt, dass man immer beten soll, weil du über alle Menschen wachst und sehr gütig bist und nichts ohne deinen Willen geschieht. Aber warum schickst du uns dieses böse Wasser? Meine Mama weint seitdem so viel und hört nicht mehr auf, weil unsere Wohnung kaputt ist. Sie ist ganz allein und so traurig. Mein kleiner Bruder hat so große Angst und ich auch. Meine Mama sagt, wir haben kein Geld und niemand, der uns hilft. Lieber Gott, wenn du uns das böse Wasser schickst, dann kann das Wasser ja vielleicht auch etwas Gutes bringen? Ich schreibe dir mal unsere Adresse auf.“

Diese Buchstaben waren von einer Kinderhand geschrieben worden und die Flasche war nicht lange im Wasser geschwommen. Ich frage mich, wie das Mädchen - oder war es ein Junge - auf diese verrückte Idee gekommen war? Vielleicht liest das Kind auch so gern wie ich und kennt Flaschenpost aus den Romanen? Jedenfalls lebt es nicht weit weg von hier.  Mit einem Mal huscht ein Lächeln über mein Gesicht und ein Gedanke formt sich in meinem Kopf. Morgen werde ich an den Bahnhof gehen und eine Fahrkarte kaufen müssen. Erst für den Zug und dann für den Bus. Ich werde eine Stunde unterwegs sein und an einer fremden Klingel läuten müssen. Ein kleines Kind wird da sein, da bin ich mir ganz sicher. Und ich werde ihm den Brief zeigen...

Jetzt höre ich die Rufe der Feuerwehrmänner. Sie stehen nur 50 Meter entfernt an der Haltestelle. Ich winke ihnen zu und mache mich auf den Weg. Tja, ich werde wohl doch noch eine Weile leben müssen, weil ich etwas sehr Wichtiges zu erledigen habe.

*****

Wasser-Läufe

©Andrea Wehr 

Wasser

Element des Lebens

Quelle - Brunnen - Oase

Rinnsale - Bäche - Flüsse - Ströme

Pfütze - Weiher - Seen - Meer - Ozean

Regen - Landregen - Dauerregen - Platzregen

Flut - Sturmflut - Tsunami - Deichbruch

Überschwemmung - Wassermassen

Angst - Not - Verlust - Leid - Tod

Wüste - Dürre - Durst

Wasser

***** 

Die Träne der See

©Claudia Wedig 

Weran war auf der Pirsch. Er hoffte, dass sich ein Reh am Bach eingefunden hatte, um zu trinken. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, als er durch das Haseldickicht schlich, welches unweit des Gewässers wucherte. Die Sohlen seiner weichen Wildlederstiefel verursachten dabei nicht das leiseste Geräusch.

Doch statt einer Jagdbeute erblickte er etwas viel Faszinierenderes. Das Wesen stand mitten in den Fluten, bemerkte ihn nicht. So konnte er es in aller Ruhe bei seiner Arbeit bewundern. Es war gerade dabei, den Bachlauf zu ändern, befahl dazu das Wasser hierhin und dorthin, um die Böschung abzutragen. Die Arbeit erforderte viel Geduld, denn das Wasser wusch Sand und Steine nur langsam fort.

Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien durch das lichte Blätterdach und tauchte die Kreatur in strahlendes Licht. Von Weitem sah es aus, als bestünde die Flussnymphe aus flüssigem Gold. Das war der Moment, in dem er sich unsterblich in sie verliebte.

Er trat aus dem Dickicht und näherte sich ihr vorsichtig, um sie nicht zu verscheuchen. Als sie ihn entdeckte, schien sie zu erschrecken. Doch sie entzog sich ihm nicht, ließ die Fluten weiter an sich vorbeirauschen anstatt mit ihnen davon zu schwimmen. Mit undeutbarem Ausdruck sah sie ihm entgegen, als er sich an das Ufer des Bächleins stellte.

„Wer bist du?“, fragte er leise.

„Ich bin Lynia, Tochter des Großen Flusses. Sag mir, Mensch, wie ist dein Name?“

„Weran.“ Der junge Mann war zu nicht mehr als einem Flüstern fähig, denn ihre Stimme hatte ihn bis in sein Innerstes durchdrungen. Sie war wie das leise Gurgeln des Baches, doch gleichzeitig auch wie das kräftige Rauschen eines Stromes und schien direkt in sein Gehirn zu tropfen, ohne den Umweg über die Ohren nehmen zu müssen. Er war überwältigt.

Sie dagegen schien wenig beeindruckt, warf einen kurzen Blick auf seinen Rücken und meinte: „Nun, du scheinst noch keinen Jagderfolg verzeichnet zu haben. Sicher möchtest du wieder auf die Pirsch gehen?“

Als hätte ihm sein Kopf diesen Vorschlag gemacht, wandte er sich zum Gehen. Doch dann besann er sich eines Besseren und drehte sich noch einmal zu ihr um.

„Wenn ich nach erfolgreicher Jagd wieder hierher komme, wirst du dann auch erscheinen?“, fragte er unsicher und sehnsuchtsvoll zugleich.

Ein Ausdruck tiefer Kümmernis huschte für einen kurzen Moment über ihr Gesicht. Dann schenkte sie ihm ein glitzerndes Lächeln.

„Ich werde hier sein.“ 

Mittlerweile hatte der Mond seinen Zyklus ein Mal vollendet. Der Jäger hatte seine Jagd erfolgreich beendet. Er saß, wie seit damals jeden Tag, hier und wartete darauf, dass sie zu ihm kam. Es war ein herrlicher Tag. Aus der verwitterten Eibe, die neben seinem Platz am Bach stand und ihre Wurzeln dem kühlen Nass entgegenstreckte, sang ein Buchfink sein fröhliches Lied. Die Sonne flutete den Wald mit ihren Strahlen, malte durch die Blätter ein Mosaik aus Licht und Schatten auf den laubbedeckten Boden.

Das Wasser um seine Füße kräuselte sich und entlockte ihm damit ein Lächeln. Gleich würde sie bei ihm sein! Kurz darauf schoss eine Fontäne in die Höhe. Sie formte sich zu der schlanken Gestalt einer jungen Frau. Das Wasser war jedoch nicht fest, sondern floss in dieser Form unentwegt weiter, bildete ein Gesicht mit weichen Zügen, das von wallendem Haar umflossen wurde. Die großen Augen waren, wie der Rest der ätherischen Gestalt, fast durchsichtig.

Auch an diesem Tag beschien die Sonne den Körper der Nymphe, doch von Nahem wirkte sie dadurch nicht mehr wie aus Gold gegossen. Stattdessen schimmerte das Licht auf ihrem Haar wie auf den Wogen eines ruhigen Sees. Es brach sich tausendfach in den Falten des Kleides, das sie sich geformt hatte und ließ ihre unergründlichen Augen wie einen Brillanten funkeln.

„Du bist gekommen!“

„Natürlich! Ich vermisse deine Gegenwart genauso wie du die meine.“

„Und doch können wir nicht wirklich zusammen sein, auch wenn wir hier gemeinsam stehen.“

Ein Ausdruck von Trauer trat auf ihre sanften Züge. Weran hob seine sonnengebräunte Hand an ihre glitzernde Wange. Kurz, bevor er sie berührte, hielt er jedoch inne. Er spürte den Hauch der Kühle ihrer nassen Gestalt und wusste, was passieren würde, wenn er sie anfasste. Ihre Haut würde verschwimmen wie die Oberfläche des Wassers seiner Waschschüssel, wenn er die Hand hinein tauchte. Er hätte nasse Finger und die Wellen seiner Berührung würden durch ihren Körper gleiten, bevor der Bach sie davontrüge. Weder für sie, noch für ihn fühlte sich das wie eine echte Berührung an. Seufzend ließ er die Hand sinken.

„Ich würde alles dafür geben, wenn meine Liebe sich erfüllen könnte!“, erklärte er leidenschaftlich. „Wenn es sein müsste, dann würde ich sogar zu dir ins Wasser gehen.“

Da trat ein merkwürdiges Funkeln in ihre strahlenden Augen.

„Es gibt einen Weg, deinen Wunsch zu erfüllen“, meinte sie und maß ihn mit einem nachdenklichen, etwas wehmütigen Blick. „Aber er ist beschwerlich und hat wenig Aussicht auf Erfolg.“

Der Jüngling war trotz ihrer mahnenden Worte sofort Feuer und Flamme. „Was muss ich tun?“

Lynia zog wie aus dem Nichts einen kleinen blauen Stein hervor. Er hatte die Form eines Tropfens und in seinem Inneren schienen geheimnisvolle Nebel zu wallen.

„Dieser Stein wird 'Die Träne der See' genannt. Du musst ihn zur Quelle dieses Baches bringen und dort meinen Vater, den Großen Fluss, anrufen. Wenn er dich erhört, dann wird er ihn rot färben. Sobald ich den roten Stein berühre, wird meine flüssige Haut zu Fleisch und durch meine Adern wird Blut pulsieren. Dann kann ich mit dir in deiner Welt leben.“

„Das würdest du tun?“, fragte Weran, etwas unsicher geworden. „Du würdest dein Leben im Wasser hinter dir lassen?“

„Wenn du die Träne rot färben kannst, dann werde ich mit dir kommen“, bestätigte sie.

Der junge Mann nahm das Kleinod an sich.

„Gehen wir!“, forderte er die Nymphe auf.

Sie sah ihn traurig an. „Ich darf dich nicht begleiten.“

Weran öffnete den Mund, um nach dem Grund zu fragen. Doch sie hob eine ihrer feingliedrigen Hände und gebot ihm Einhalt. „Du wirst den Grund erfahren, wenn du zurückkehrst.“

Damit gab er sich zufrieden. Er holte das erlegte Wild aus dem Haseldickicht hervor, um es als Proviant mit sich zu führen. Als der Jüngling sich dann abwandte, um sich auf den Weg zur Quelle zu machen, war es ihm, als würde ein Ausdruck tiefen Schmerzes über ihr Gesicht huschen. Er war jedoch sofort wieder verschwunden. Da stand sie, so ruhig und unergründlich wie die See, aus der sie geboren wurde. Er spürte, dass sie ihm nachblickte, als er den Windungen des Bächleins folgte und im Wald verschwand.

Der Lauf des Wassers führte ihn tagelang auf gewundenen Pfaden durch den Wald. Die Umgebung änderte sich, mal standen die Bäume enger beieinander, mal hatte das Blätterdach viele Lücken, durch die die Sonne ihn beschien, mal musste er sich durch dichtes Gestrüpp kämpfen. Der Bach jedoch blieb gleich, führte ihn in stetigem Fluss zu seiner Quelle.

Während seiner Reise konnte er an nichts Anderes als an Lynia denken. In jedem Tautropfen sah er ihr Antlitz, die schimmernden Wellen erinnerten ihn an ihr wallendes Haar, jeder Wasserfall glich ihrem fließenden Kleid. Er glaubte fest daran, dass er den Stein rot färben könnte. Dann wären sie für immer miteinander glücklich!

Irgendwann versickerte der Bach in seinem steinigen Bett und lief unterirdisch weiter. Das machte es Weran zwar nicht unmöglich, aber ungemein schwerer, ihm zu folgen. Als erfahrener Jäger konnte er die Spuren, die das Nass auf seinem Weg durch die Erde hinterließ, gut finden. Trotzdem verlor er viel Zeit auf der Suche nach dem richtigen Weg – und mit jedem Tag wurde die Erinnerung an Lynias liebliche Gestalt schwächer. Dafür wurden die Zweifel, die er hegte, immer größer. Was, wenn sie mit einer fleischlichen Hülle nicht mehr dieselbe wäre wie die Nymphe, in die er sich verliebt hatte? Konnte er sie zu einem sterblichen Leben verdammen, nur um kurz darauf zu erkennen, dass sie vielleicht doch nicht zusammen glücklich werden konnten?

Bald verließ er den Wald und wanderte durch blühende Wiesen und an Feldern mit reifem Korn vorbei. Sein Weg wurde von dem nun wieder an der Oberfläche fließenden Bach bestimmt und führte ihn zu einem Weiler. Er machte Rast, um seine Vorräte aufzufüllen.

Die Bauerntochter verkaufte ihm Brot und Käse im Tausch für Fleisch und Felle. Danach zog er weiter. Unterwegs erinnerte der wolkenlose Himmel ihn an die Augen der hübschen jungen Bäuerin, das reife Korn an ihr goldgelbes Haar. Gegen seinen Willen ersetzte ihre Gestalt nun die der schönen Nymphe, an deren Aussehen er kaum noch Erinnerungen hatte. Seine Zweifel wurden größer. War die Bauerntochter, die bereits eine Sterbliche war, nicht doch die bessere Wahl? Trotzdem gab er nicht auf.

Als er die Quelle erreichte, war er nicht mehr sicher, ob er sich wirklich wünschte, der Stein möge sich rot färben. Nichtsdestotrotz rief er den Großen Fluss an. Er war fast erleichtert, als der Vater der Flussnymphe nicht erschien. Nun machte er sich mit gemischten Gefühlen und der Träne auf den Rückweg, um sie Lynia zusammen mit der schlechten Nachricht zu überbringen.

Er machte wieder an dem Weiler Halt. In den himmelblauen Augen der Bauerntochter sah er, dass sie die gleichen Gefühle für ihn hegte wie er für sie. Ihn plagte zwar gegenüber Lynia ein schlechtes Gewissen, doch in diesem Moment war er sicher, dass er seine Entscheidung getroffen hatte. Sobald er der Nymphe den Stein gebracht hatte, würde er hierher zurückkehren.

Lynia erwartete ihn an der Stelle, an der er sie verlassen hatte. Sie war immer noch so strahlend schön wie ein Frühlingsmorgen, doch Weran spürte, dass seine Gefühle für sie abgekühlt waren.

„Ich konnte es nicht vollbringen!“, meinte er und reichte ihr den Stein.

Ein wehmütiges Lächeln umspielte ihre fein geschwungenen Lippen, als sie erwiderte: „Setz dich zu mir an den Bach. Ich möchte dir eine Geschichte erzählen.“

Er folgte ihrer Bitte und sie begann, zu erzählen: „Vor vielen Jahren gab es einmal eine junge Flussnymphe. Sie war töricht und hörte nicht auf die Warnungen ihres Vaters, sich von den Sterblichen fernzuhalten. Stattdessen trieb ihre Neugier sie in die Nähe eines Jünglings. Sie verliebten sich ineinander. Aber es gab keinen Weg für die Beiden, um zusammen sein zu können. Der Jüngling grämte sich so sehr darüber, dass er irgendwann beschloss, ins Wasser zu gehen. Sie bemerkte es zu spät und konnte ihn nicht mehr retten. Daraufhin weinte sie bittere Tränen, die ihr Vater zu einem Stein aus Salz und Wasser formte. Diese Träne sollte sie daran erinnern, was ihr widerfahren würde, wenn sie erneut die Nähe eines Sterblichen suchte. Aber ihre Sehnsucht war zu groß, so dass sie dasselbe Leid immer und immer wieder erfahren musste.“

Weran sah sie mit großen Augen an. „Du bist diese Nymphe?“

Lynia nickte und ein Ausdruck unendlicher Trauer verdunkelte ihre sanften Gesichtszüge.

„Ich begleite diese Welt nun schon durch viele Zeitalter. Was ich dabei gelernt habe, ist, dass die Liebe der Menschen wie ein Feuer ist. Sie entzündet sich schnell und brennt so heiß, dass sie alles vernichten kann. Doch sie erlischt auch schnell wieder, wenn sie nicht genährt wird. So kann ich mich kurz in ihrem Licht wärmen, bevor sie droht, meinen Liebsten zu verschlingen. Wenn ich spüre, dass es so weit ist, schicke ich ihn mit dem Stein zur Quelle. Die Träne wird sich niemals rot färben, aber er erhält trotzdem, was er sich wünscht: Sein Herz wird frei von der Liebe zu mir und kann sich einer Liebe zuwenden, die nicht unerfüllt bleiben muss.“

Der Jüngling sah sie betroffen an. „Aber was ist mit deiner Liebe?“

Sie lächelte gequält. „Die Liebe einer Flussnymphe ist stetig wie das Wasser, das sie hütet. Deshalb bin ich dazu verflucht, dich durch die Zeitalter zu lieben. Ich habe gelernt, mich damit zufrieden zu geben, dass du mich nicht vergessen wirst, obwohl deine Liebe zu mir erloschen ist. Wenn du auf die schimmernden Wellen das Wassers blickst, dann wirst du dich daran erinnern, dass du meine Liebe immer bei dir trägst.“

Er lächelte leicht. „Das werde ich.“

Sie schenkte ihm ein glückliches Lächeln, bevor ihre Gestalt in sich zusammenfiel. Es blieb nichts von ihr zurück als das Schimmern auf den Wellen des Baches.

***** 

Hiobs Eigensinn

©Sascha Schlüter 

 

Von den Gezeiten ans Ufer gespült,

an die Küste des großen Meeres.

Vom Durst getrieben,

trinke ich das Salz des Todes.

 

Zwischen den Wellen des Wassers

und den Dünen der Wüste,

erstarren meine steinigen Füße

zu festen Wurzeln.

Vergraben im Sand der Zeit.

 

Über meinem Haupt,

fließt das Öl der Sonne

und lässt meine Wunden brennen.

 

Dort, der grüne Strauch,

ein Skelett

Des Unseligen Verwesung,

ist des Seligen Erblühen.

 

Morgen schon,

vielleicht nur noch eine Säule

aus dem Salz,

den der Meereswind getragen.

 

Esse die Fische des rauschenden Todesacker.

Trinke das Jod der Verderbnis.

Hatte ich gestern noch einen Vater im Himmel,

bin ich von Stund‘ an mein eigener Herr.

 

Höre, unsicherer Vater unser,

der sich durch mich beweisen muss!

Die Vögel tragen mich bald in meine Heimat.

 

Und solange, 

lässt die Sonne dir meinen Hunger leuchten.

Mit dem Sand des Ufers, 

backe ich mir das Brot der Armut.

 

Einsamer, der du bist im Himmel!

Willst mich für deine Einsamkeit strafen.

 

Ich aber,

stecke Muscheln in mein Haar.

Schmücke mich

mit Blüten und Seegras.

Ich gürte mich mit farbenfrohen Schlangen.

 

Lass sie wachsen, meine Wunden.

Lass ihn knurren, meinen Hunger.

Lass ihn vertrocknen, meinen Durst.

 

Mir bleibt der Stein auf dem ich stehe.

Thron und Ruhebett zugleich,

bis er zu meinem Grabstein wird.

 

Und nach Sonnenuntergang,

bade ich im Reichtum der Nachtkristalle.

Trage mit dem Treibholz 

das Feuer aus deinem Himmel.

 

Ich schlafe diese Nacht,

mit Ruhe und Tiefe.

Denn ich bin reich

und du bist einsam! 

 *****

Tod im Schwimmbad

©Annelie Heyer

 

Das Meerwasser am Ufer war unangenehm warm, brachte es doch den sonnenhungrigen Urlaubsgästen kaum Abkühlung und die Sonne brannte glühendheiß, trotz vieler Sonnenschirme unbarmherzig auf sie nieder.

Nach dem Mittagessen ging kaum einer wieder an den Strand. Satt und matt lagen sie auf den Liegen, im Schatten der vielen Bäume in der Nähe des großen Swimmingpools, dessen  Wasser kalt und erfrischend war.

Erst am frühen Nachmittag kam wieder Leben in die Schar der Ruhenden. Eine Reisegruppe, bestehend aus jungen kräftigen Männern sprang als erste auf, nachdem sie Essen und Getränke einigermaßen verdaut hatten. Obwohl die Nachwirkungen des genossenen Alkohols, durch ihr lautes Rufen und rücksichtsloses Verhalten, die übrigen Gäste verdross.  Auch ihre Bitten halfen nichts. Sie rannten aus kurzer Entfernung auf den Pool zu, nahmen die Knie in die Hände und sprangen in dieser Haltung ins Wasser. Wer die breitesten und höchsten  Fontänen in die Luft spritzen ließ, wurde grölend und mit weiterem kühlen Bier anstoßend, gelobt. Das tolle Spiel ging immer weiter und die anderen Gäste konnten sich nur noch im Nichtschwimmer Bereich aufhalten.

Unbemerkt von den Urlaubern waren zwei einheimische Kinder, ein etwa sechsjähriges Mädchen mit seinem kleinen Bruder an der Hand, zögernd durch den Park der Anlage gegangen. Angezogen von dem Geschrei und Getobe am Wasser, zog der Kleine seine Schwester in die Nähe des Pools. Niemand achtete auf die Kinder und als der Junge sich von der Hand der Schwester losriss, merkte das auch niemand. Er lief nahe an das Wasser und vielleicht hat ihn das lustige Treiben angelockt, auch einmal in das erfrischende Nass zu hüpfen.

Seine Schwester hatte erst im letzten Moment den Kopf ihres Bruders im Wasser entdeckt. Sie schrie entsetzt auf, aber helfen konnte sie nicht. Ihre Sprache verstand keiner und voller Panik rannte sie in das Hotel. Hier verstand man sie und die Anwesenden der Rezeption rannten los. Die Mutter der Kinder, die in diesem Hotel saubermachte, hörte ihre Tochter schreien und rannte laut weinend und schreiend mit an den Pool.

Die Angestellten schrien den Gästen zu, sofort aus dem Wasser zu steigen, hier wäre ein kleiner Junge soeben hineingesprungen. Es wurde augenblicklich still und als das Wasser zur Ruhe gekommen war, sahen alle am Grund etwas liegen. Zwei Gäste tauchten sogleich hinunter  und kamen mit dem leblosen Körper des Jungen nach oben.

Alle Versuche das Kind ins Leben zurückzurufen blieben erfolglos. Der Junge war ertrunken. Er lag völlig verrenkt auf dem Boden und es wurde vermutet, dass das Kind auch noch von den kräftigen, wüsten Springern zuvor schwer verletzt worden war.

Die verzweifelten Schreie der Mutter, die am Boden hockend, ihren Sohn in ihren Schoß gezogen hatte und ihn unentwegt küsste und streichelte, ihm liebevoll zusprach als ob sie ihn damit zum Leben erwecken könnte, die Tränen der Gäste und der Angestellten wurden von der Ankunft eines Rettungswagens unterbrochen.

Am nächsten Tag reisten die „lauten Springer“ vorzeitig ab und hinterließen für die Eltern des toten Jungen eine größere Summe Geldes. Diejenigen, die ansonsten dabei gewesen waren, betraten in ihrer verbleibenden Urlaubszeit nicht wieder den Bereich des Swimmingpools. Auch diese geschockten Gäste sammelten für die Familie des toten Kindes eine Geldsumme, die den Verlust des Sohnes nicht wiedergutmachen, sondern als ein Ausdruck des Mitgefühls gesehen werden sollte.

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Fliegender Fisch

©Christine Hammes  

Ich hab 

einen fliegenden Fisch gesehn, 

über den Wellen, er blieb kurz stehn,

leuchtete auf und verschwand

in schäumender Gischt. 

Nun weiß ich nicht,

lass ich ihn zieh'n

oder ruf ich nach ihm?

Sein ist das Meer

und mein das Land.

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