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ISBN 978-3-417-22928-8 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2019 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse

Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch

Für meine Mutter Marta (1933–2018)
Ihre starke Persönlichkeit und ihr lebendiger Glaube werden
mir immer ein Vorbild sein.

Inhalt

Über die Autorin

Einleitung: Warum Eva keine Gleichstellungsbeauftragte brauchte

Altes Testament

Adam und Eva – Am Anfang war die Gleichberechtigung

Mann und Frau als Ebenbild Gottes

Weiblichkeit, Männlichkeit und Gender-Mainstreaming

Ist Gott ein Mann?

Gleiche Verantwortung für Mann und Frau

Der schwierige Umgang mit Freiheit

Sein wie Gott

Mose – Ein offenes Ohr für Frauenrechtlerinnen

Mose fragt Gott um Rat

Mose verdankt sein Leben starken Frauen

Leben im goldenen Käfig

Gott beauftragt Mose

Mose will nicht Chef werden

Moses Feingefühl für Frauen und andere Benachteiligte

Debora und Barak – Die Landesmutter und ihr Feldherr

Eine mächtige Frau mit direktem Draht zu Gott

Wenn Männer ihre Stärken und Schwächen kennen

Überraschungssieg durch eine andere Frau

Bröckelnde Geschlechterklischees

Was ist weiblich, was ist männlich?

Frei vom Schubladendenken

Waschti und Ester – Die schönen Rebellinnen

Waschti – eine selbstbestimmte Frau

Die Nächste, bitte! – Esters Auftritt zur Miss-Wahl

Intrige am königlichen Hof

Esters Mut und Klugheit

Ester redet Klartext mit dem König

Ester traut sich was

Mann und Frau als Team

Emanzipation ist kein Alleingang

Lob der tüchtigen Frau – Die Traumfrau

Eine Powerfrau in der patriarchalischen Welt

Arbeitsalltag mit Beruf und Familie

Die Unternehmerin

Ein stolzer Ehemann

Wer träumt von dieser Frau?

Martin Luthers tüchtige Hausfrau

Wie aus der Powerfrau eine tüchtige Hausfrau wurde

Kann die biblische Idealfrau auch heute ein Vorbild sein?

Hulda – Eine Prophetin für den König

Ein historischer Fund ändert alles

Wer war Hulda?

Der Versuch, die Bedeutung von Hulda herunterzuspielen

Hiob – Ein Mann mit Idealen

Wer war Hiob?

Hiob und seine ersten Kinder

Hiob und seine Frau

„MeToo“-Debatte – Hiob und andere Frauen

Hiobs neue Familie und die Gleichberechtigung

Neues Testament

Ein Revolutionär in Gottes Auftrag – Jesus und die Gleichberechtigung

Die Welt des Wissens für Frauen

Hatte Jesus Jüngerinnen?

Die Frau am Brunnen

Marta und Maria – Haushalt oder Studium?

Ehefrauen und Ehemänner – Gleiches Recht für alle

Eine Frau mit zweifelhaftem Ruf als Vorbild

Frauen kämpfen für ihre Sache

Rechtlose Frauen als Zeuginnen

Macho oder Frauenförderer? – Paulus und die Gleichberechtigung

Wertevorstellungen prallen aufeinander

Kulturelles Fingerspitzengefühl

Begabungen sind unabhängig vom Geschlecht

Paulus und sein Dream-Team – Evodia, Syntyche und Phöbe

Priska und Aquila – Paulus’ beste Freunde

Lydia – Die erste Gemeindeleiterin in Europa

Junia – Wie aus einer Frau ein Mann wurde

„Das Weib schweige in der Gemeinde“ – Verbietet Paulus Frauen den Mund?

Paulus als Eheberater – Oder: Wer ist wem untertan?

Warum Evas Töchter eine Gleichstellungsbeauftragte brauchen

Literatur

Anmerkungen

Über die Autorin

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Annegret Braun, geb. 1962, promovierte Kulturwissenschaftlerin, lehrt Europäische Ethnologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeitet als Projektleiterin der Geschichtswerkstatt in Dachau. In ihren Büchern schreibt sie über Frauengeschichte, Emanzipation und Glück. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Töchtern bei München und engagiert sich im CVJM München.

Einleitung: Warum Eva keine Gleichstellungsbeauftragte brauchte

Würden wir das leben, was in der Bibel steht, bräuchten wir keine Emanzipation, denn dann wären Männer und Frauen gleichberechtigt. Gott hat uns als gleichwertige Menschen geschaffen und Adam und Eva lebten zu Beginn in völligem Einklang mit Gottes Willen. Deshalb brauchte Eva keine Gleichstellungsbeauftragte. Doch als sich Adam und Eva aus den paradiesischen Zuständen hinauskatapultiert hatten, änderte sich alles. Die Beziehung von Mann und Frau wurde hierarchisch und Frauen galten als minderwertig. Immer wieder lebt im Alten Testament etwas von der Schöpfungsordnung auf, wenn Männer und Frauen gleichberechtigt zusammenarbeiten. Doch erst mit Jesus gab es eine umfassende Veränderung. Er hat vorgelebt, wie Gleichberechtigung auch außerhalb des Paradieses funktioniert. Paulus trat als leidenschaftlicher Verkündiger der Botschaft von Jesus in seine Fußstapfen. Er arbeitete in einem Team von Frauen und Männern und krempelte das damalige Weltbild völlig um. So wie im 16. und 17. Jahrhundert die Behauptung für großen Aufruhr sorgte, dass nicht die Erde im Mittelpunkt des Weltalls steht, sondern die Sonne, so brachte Paulus die Mächtigen gegen sich auf, weil er predigte, dass in Christus alle gleich seien, auch Frauen und Männer. Das war revolutionär!

Noch revolutionärer war, dass die ersten Christen das auch so lebten. Es gab keine hierarchische Aufgabenteilung. Macht und Besitz interessierten sie nicht. Frauen und Männer waren in den Gemeinden gleichberechtigt. Sie teilten das, was sie hatten, feierten gemeinsam Gottesdienst, studierten Gottes Wort, lehrten und predigten. Nicht einmal Verfolgung und Folter konnten Frauen und Männer davon abhalten, ihren Glauben zu leben.

Doch dann änderte sich alles. Ab dem Zeitpunkt, als die weltlichen Herrscher den Glauben entdeckten und zur Staatsreligion machten, wurde die biblische Botschaft ein Instrument der Macht. Die Herrscher, und das waren meistens Männer, interpretierten die Bibel in ihrem Sinne. Aus den gleichberechtigten Frauen wurden wieder Geschöpfe, die sich dem Willen der Männer fügen mussten. Die Mächtigen der Kirche begründeten die Ungleichheit damit, dass es die göttliche Ordnung sei, und rissen Bibelstellen aus dem Zusammenhang, um ihre Behauptungen zu untermauern. Paulus war nun nicht mehr derjenige, der die Gleichheit aller Christen verkündete, sondern wurde zu demjenigen, der gebot, dass die Frau dem Manne untertan sei und in der Gemeinde zu schweigen habe. Einzelne Sätze wurden zum Gesetz für alle erhoben. Dazu kamen viele Übersetzungsfehler, Loslösungen aus dem Kontext und Umdeutungen. Aus der Apostelin Junia wurde der Apostel Junias gemacht und aus der Diakonin Phöbe eine Diakonisse.

Jahrhundertelang prägte die Kirche das Geschlechterverhältnis. Dass der Mann das Haupt der Frau sei, galt als eine unumstößliche Wahrheit. Doch was wir für eine biblische Wahrheit halten, ist in Wirklichkeit eine kulturelle Prägung. Wir sehen die Bibel durch die Brille der Männer. Es waren Männer, die die biblischen Texte verfassten, und Männer, die sie auslegten und daraus Gesetze machten. Einige der vermeintlichen Wahrheiten sind nicht biblisch, sondern erklären sich aus der kirchlichen Tradition. Die Bibel ist zwar ein Brief Gottes an die Menschen, aber es waren Menschen, die ihn geschrieben haben, Menschen aus Fleisch und Blut, die ihre kulturelle Prägung und ihre eigenen Vorstellungen mit eingebracht haben. Paulus schrieb beispielsweise als überzeugter Single: »Ich wünschte, jeder könnte unverheiratet leben, wie ich es tue« (1. Korinther 7,7). Hätte man das zur Regel erhoben, dann hätte es mit Gottes Schöpfungsauftrag, die Erde zu bevölkern, ziemlich schlecht ausgesehen.

Die männliche Perspektive muss differenziert betrachtet werden, denn in der Bibel finden sich nicht nur Beispiele für emanzipierte Frauen, sondern auch für viele emanzipierte Männer. Welche Rolle Männer in der Bibel bei der Gleichberechtigung spielen, wurde in der Literatur bisher wenig thematisiert, deshalb widmet sich dieses Buch nicht nur starken Frauen, sondern auch emanzipierten Männern. Emanzipation kommt von dem lateinischen Wort emancipatio, das bedeutet wörtlich »Entlassung aus der Hand« oder der »väterlichen Gewalt«. Im Lateinischen steht das Wort sowohl für den Beginn der Volljährigkeit als auch für die Freilassung von Sklaven.1 Im heutigen Sprachgebrauch geht es bei der Emanzipation ebenfalls um Befreiung, und zwar um befreite Frauen im Patriarchat und um befreite Männer, die sich nicht von Geschlechterklischees beherrschen lassen. Emanzipierte Christen sind Frauen und Männer, die fragen, was Gott will, und nicht, was die Gesellschaft vorschreibt.

Gottes Schöpfungswille von der absoluten Gleichwertigkeit von Frauen und Männern funkelt in vielen Versen der Bibel wie Diamanten durch den Schleier der männlichen Perspektive. Die Suche nach Diamanten kann jedoch ziemlich mühsam sein. Um ein Karat Diamanten zu gewinnen, muss man ungefähr 250 Tonnen Gestein durchwühlen. Aber wenn man sich durch die schweren Steine gräbt und dann auf kleine Diamanten stößt, löst das wahre Glücksgefühle aus. So erging es mir immer wieder beim Lesen, Nachdenken, Verstehen und Schreiben.

Bei dieser Diamantensuche war ich glücklicherweise nicht allein. Es gibt viele Frauen und Männer, die ebenfalls danach gesucht haben und fündig geworden sind. Für mich als Kulturwissenschaftlerin waren vor allem ihre theologischen Erkenntnisse von großem Wert. Mein besonderer Dank gilt Dr. Ulrich Wendel, der nicht nur auf alle meine Fragen kluge Antworten wusste, sondern sich auch von Anfang an für meine Buchidee eingesetzt hat. Sehr herzlich danke ich auch Christiane Kathmann, die das Buch mit großem Engagement und kenntnisreich lektoriert und dem Text damit den letzten Schliff gegeben hat. Meinen Töchtern Lea und Naomi danke ich für die anregenden Diskussionen über Gott und die Welt und die Emanzipation. Meinem Ehemann Martin danke ich, dass er als ein Mann der Tat Gleichberechtigung lebt und mir in den besonders intensiven Schreibphasen den Rücken frei gehalten hat.

Zum Schluss: Es ist immer gefährlich, wenn jemand behauptet, ganz genau zu wissen, wie bestimmte Verse in der Bibel zu verstehen sind. Ich halte es mit Paulus, der sagte: »Jetzt sehen wir die Dinge noch unvollkommen, wie in einem trüben Spiegel, dann aber werden wir alles in völliger Klarheit erkennen« (1. Korinther 13,12). Dieses Buch hat nicht den Anspruch, dass darin mit völliger Klarheit Gottes Idee von Gleichberechtigung erkannt wird; aber dass der trübe Spiegel etwas klarer wird, diese Hoffnung habe ich schon.

Altes Testament

Adam und Eva – Am Anfang war die Gleichberechtigung

»Dann formte Gott, der Herr, eine Frau aus der Rippe, die er Adam entnommen hatte« (1. Mose 2,22). So berichtet der Erzähler die Entstehungsgeschichte der Menschheit und dies ist vermutlich die bekannteste Bibelstelle des Schöpfungsberichts. In zahlreichen Geschichten, Gemälden, Karikaturen, im Kabarett und auf der Kanzel wird sie verbreitet. Das verwundert nicht, denn es ist ein sehr anschauliches Bild. Man sieht förmlich, wie Adam in einen tiefen Schlaf fällt und sich Gott über ihn beugt und ihm behutsam eine Rippe entnimmt, ganz ohne Schnitt und Blut, und wie er dann mit künstlerischer Hingabe aus dieser einzelnen Rippe Eva formt. Die Kirche hat sich oftmals mit diesem Teil der Schöpfungsgeschichte begnügt und das wurde Eva und ihren Geschlechtsgenossinnen zum Verhängnis. Für Generationen von Bibelauslegern galt die Frau als das Anhängsel des Mannes, ein Mensch zweiter Klasse. Bei Adam hatte sich Gott noch richtig viel Mühe gegeben, seine ganze Kreativität eingesetzt und etwas völlig Neues erschaffen und bei Eva variierte er nur die Vorlage. Da war es natürlich klar, wer das Sagen hatte. Jahrhundertelang wurde die Überlegenheit des Mannes unter anderem mit dieser Bibelstelle begründet.

In der Aufklärung belächelten die Gelehrten den christlichen Glauben als Aberglauben, für sie zählte nur die Wissenschaft. Doch diese behauptete genau das Gleiche: Männer sind Frauen überlegen. Nur die Begründung war anders. Der Mann sei stärker – das zeige ja schon der Körperbau – und er sei klüger. »Bewiesen« wurde dies anhand der Tatsache, dass das Gehirn der Frau im Durchschnitt kleiner als das des Mannes ist. Diese Theorie, dass die Gehirnleistung der Frau aufgrund der geringeren Gehirngröße nicht an die des Mannes heranreichte, hielt sich lange. Sie konnte nicht mal von Frauenrechtlerinnen erschüttert werden, die argumentierten, dass demzufolge der Ochs klüger sein müsse als der Mensch.2

Frauen wurden von der Welt der Intellektuellen und der Bildung ferngehalten. Die Stärke der Frau läge in ihrem Muttersein, so argumentierten diejenigen, die das Privileg der Bildung genossen. Der Philosoph und Hochschullehrer Arthur Schopenhauer erklärte 1862 in seinem Werk »Die Welt als Wille und Vorstellung«: »Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder zu großen geistigen noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. … Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen sich die Weiber gerade dadurch, dass sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit einem Worte zeitlebens große Kinder sind; eine Art Mittelstufe zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist.«3

Wie weit Arthur Schopenhauer von der Lebensrealität entfernt war, zeigt die Tatsache, dass schon damals Frauen trotz erschwertem Zugang zu Bildung ihre intellektuellen Fähigkeiten unter Beweis gestellt hatten, wie zum Beispiel die weltweit anerkannte Astronomin Caroline Herrschel (1750–1848). Und auch wenn nach Meinung des Philosophen Frauen nicht zu großen körperlichen Arbeiten bestimmt waren, so verrichteten viele Frauen dennoch tagtäglich schwerste körperliche Arbeit als Wäscherinnen oder Bäuerinnen – trotz ihrer »schwächlichen« Konstitution.

Heute hat sich die propagierte Überlegenheit des Mannes in Luft aufgelöst. Wie tief greifend der Wandel ist, veranschaulicht ein Witz:

Ein Mann kommt in eine Buchhandlung und sagt: »Ich suche das Buch ›Die Überlegenheit des Mannes‹.«

Die Buchhändlerin antwortet: »Fantasy-Romane sind im 3. Stock.«

Früher hätte man den Witz gar nicht verstanden. Die Überlegenheit des Mannes war Fakt. Doch heute stehen Frauen den Männern in keinster Weise nach. Sie sind Professorinnen, Regierungschefinnen, Künstlerinnen, Informatikerinnen, Metzgerinnen, Schreinerinnen und Starköchinnen – und auch noch Mütter. Frauen und Männer agieren inzwischen auf Augenhöhe und bereichern sich dadurch mit ihren Fähigkeiten.

Ihren Zugang zur Universität und zu Ausbildungsplätzen mussten Frauen sich jedoch hart erkämpfen. Noch im Jahr 1900 schrieb der Neurologe und Psychiater Paul Julius Möbius in seinem Essay »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes«: »Neuerdings möchte man sogar Mädchengymnasien haben … Das Beste wäre, die ›höheren Schulen‹ samt und sonders niederzureißen.«4 Doch die Frauen waren nicht aufzuhalten. Unterstützt von klugen Männern eroberten sie die Hörsäle.

Auch wenn Frauen inzwischen gesetzlich gleichberechtigt sind, hinkt die Alltagswirklichkeit in manchen Bereichen hinterher. Frauen werden schlechter bezahlt und müssen ihr Können mehr unter Beweis stellen als Männer. Mütter sind im Berufsleben sehr benachteiligt, Väter dagegen nicht.

In manchen christlichen Kreisen herrscht die Meinung, dass Männern die Vorherrschaft von Gott gegeben sei. Bisweilen ist diese Haltung unbewusst und zeigt sich nur daran, dass Frauen das Gemeindeblatt austragen und Männer auf der Kanzel stehen. Oftmals werden aber aus dem Zusammenhang gerissene Bibelstellen zitiert, um diese Ansicht zu begründen.

Mann und Frau als Ebenbild Gottes

Gibt es eine gottgewollte Hierarchie von Frauen und Männern? Wie sieht das Herrschaftsverhältnis in der Schöpfungsgeschichte aus? Steht Eva wirklich nur in der zweiten Reihe, weil Gott zuerst den Mann und dann die Frau erschaffen hat? Wenn man so denkt, dann müssten die Tiere ranghöher sein als der Mann, denn sie wurden vor dem Menschen erschaffen. Viel logischer erscheint ein ganz anderer Schluss: Gott steigerte sich immer mehr in seiner Schöpfungskunst. Nachdem er Meer und Erde getrennt, Tag und Nacht erschaffen und Pflanzen und Tiere kreiert hatte, schuf er schließlich den Mann – und als Krone der Schöpfung die Frau. Erst dann war er zufrieden.

Beide Interpretationen wollen ein Geschlecht über das andere erheben. Ganz anders formuliert es der Theologe Ulrich Wendel: »In 1. Mose 2 war der zuerst geschaffene Adam nicht der Eva überlegen, sondern ohne Eva unvollständig und also ergänzungsbedürftig – darauf zielt die Schöpfungsgeschichte!«5 Hier ist nicht einer wichtiger als der andere, sondern sie sind erst gemeinsam vollständig.

Bei vielen Interpretationen der Schöpfungsgeschichte geht es um die Frage der Macht, doch diese spielt hier gar keine Rolle. Im Zentrum stehen der Schöpfer und die Beziehung der Menschen zu ihm, nicht die Macht. Es gibt zwei Schöpfungsberichte in der Bibel. Beide erzählen sehr bilderreich und anschaulich von der Entstehung der Welt und zeichnen das Bild eines schöpferischen Gottes, der nach einem genauen Plan arbeitet.

Wenn wir die erste Stelle suchen, in der der Mensch in der Schöpfungsgeschichte auftaucht, dann lesen wir: »So schuf Gott die Menschen nach seinem Bild, nach dem Bild Gottes schuf er sie, als Mann und Frau« (1. Mose 1,27). Nicht der Mann allein, sondern Mann und Frau zusammen ergeben also ein Abbild Gottes. Männer und Frauen sind unterschiedlich, worin die Unterschiede bestehen, steht hier nicht.

Ob und welche unsichtbaren Unterschiede es neben den äußeren Geschlechtsmerkmalen gibt, bleibt offen. Eigenschaften wie Häuslichkeit oder Stärke wurden Frauen und Männern erst später zugeschrieben und daraus Geschlechterrollen abgeleitet. In der Folge wurde der Mann über die Frau gestellt, aber im Schöpfungsplan war kein Herrschaftsanspruch vorgesehen. Männer und Frauen sind nicht nur gleichwertig, sondern auch gleichrangig. Keiner herrscht über den anderen. Die Philosophin Edith Stein ist der Ansicht, dass das hierarchische Verhältnis erst nach dem Sündenfall eingetreten sei und Jesus mit seiner Erlösungstat die ursprüngliche Ordnung, die Gleichrangigkeit zwischen Männern und Frauen, wiederhergestellt habe.6

Doch wie sieht es mit der Gleichberechtigung im zweiten Schöpfungsbericht aus? Gott sah, dass Adam einsam war. Bevor Adam benennen konnte, was ihm fehlte, sagte Gott: »Es ist nicht gut für den Menschen, allein zu sein. Ich will ihm ein Wesen schaffen, das zu ihm passt« (1. Mose 2,18). Luther übersetzte: »Ich will ihm eine Gehilfin machen.« Damit war für viele klar: Der Mann gibt die Richtung vor und die Frau darf ihn dabei unterstützen, seine Ziele zu verwirklichen. Eva und ihre Töchter bekamen von den Bibelauslegern eine Assistentenstelle zugewiesen. Im hebräischen Originaltext steht hier ezer kenegdo; das kann übersetzt werden mit »eine Helferin, die ihm entspricht«7, also ein Pendant, ein Gegenüber. Die Wurzel des ezer-Wortes wird im Alten Testament vor allem dann benutzt, wenn Gott als Helfer gemeint ist. Und Gott als Helfer hat in unserer Vorstellung keinesfalls eine untergeordnete Position. Im Gegenteil, er ist derjenige, der uns hilft, weil wir es allein nicht schaffen. Damit bekommt Eva eine ganz andere Stellung. Frauen und Männer brauchen einander, keiner herrscht über den anderen. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Eva ist in beiden Schöpfungsgeschichten die gleichrangige Partnerin von Adam.

Gott hat den Menschen als sein Ebenbild geschaffen. Damit erhält der Mensch eine unvorstellbare Wertschätzung, die wir kaum erfassen können. Und doch wird ein Teil dieser Ebenbildlichkeit sichtbar, weil Gott seine Schöpferkraft in den Menschen hineingelegt hat. Gott hat sich nicht hingesetzt und viele kleine Adams und Evas gebastelt, um die Erde zu bevölkern, sondern er hat Mann und Frau zu »Mit-Schöpfern« gemacht. Sie bekamen einen aktiven Part bei der Erschaffung des Menschen. Einen Menschen zu erschaffen, ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Dass aus einer Samenzelle und einer Eizelle ein Mensch entstehen kann, ist nicht nur ein biologischer Prozess, sondern ein Wunder! Das wissen alle, die eigene Kinder haben, und diejenigen, die sich sehnlichst ein Kind wünschen. Selbst die besten Reproduktionsmediziner haben es nicht in der Hand, dass aus Eizelle und Samenzelle tatsächlich Leben entsteht.

Gott hat mit Mann und Frau zwei Geschlechter geschaffen, doch das Schubladendenken liegt ihm fern, denn er hat jeden Menschen als Unikat entworfen. Es gibt keinen Menschen auf der ganzen Welt, dem wir gleichen. Es gab noch niemals einen Menschen, der so war wie wir, und es wird auch in der Zukunft keinen geben. Welch eine unglaubliche Vielfalt und Kreativität liegt in dieser Schöpfung! Das passt in keine Schublade.

In jedem Mann steckt auch das Weibliche und in jeder Frau das Männliche. Im hebräischen Text steht nicht, dass Eva aus der Rippe geschaffen wurde, sondern aus der Seite, es geht hier vermutlich um einen viel wesentlicheren Teil als nur eine Rippe.8 Anschließend rief Adam begeistert aus: »Sie ist ein Teil von meinem Fleisch und Blut!« (1. Mose 2,23). Das ist eine sehr männliche Perspektive, aber die Bibel ist nun mal von Männern verfasst worden. Als Leserin würde man gern erfahren, was Eva sagte, als sie Adam sah. Vielleicht: »Unglaublich, wie viel Weiblichkeit in dir steckt!« Jesus, der den vollkommenen Menschen verkörperte, vereinbarte Weibliches und Männliches in sich oder – um genauer zu sein – das, was wir als weiblich und männlich charakterisieren. Er war zielstrebig und führungsstark und zugleich einfühlsam und empathisch. Jesus zeigte seine Gefühle und scheute sich nicht, zu weinen. Diese Eigenschaften finden wir sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Das, was wir als weiblich und männlich klassifizieren, sind Ausdrucksweisen der facettenreichen Wesenszüge des Menschen.

Weiblichkeit, Männlichkeit und Gender-Mainstreaming

Heute wird die Frage, was weiblich und was männlich ist – oder ob es überhaupt die Zweigeschlechtlichkeit gibt –, von der Genderforschung dominiert. Das Chaos ist groß, eine einhellige Meinung gibt es nicht. Die Genderforschung hat sehr viele verschiedene Ausrichtungen. So stehen auf der einen Seite Personen, die die Unterschiedlichkeit von Frauen und Männern betonen: Da sie unterschiedlich sind, müssen sie unterschiedlich behandelt werden, zum Beispiel in der Medizin. Männer erleben Krankheit anders als Frauen und haben ein anderes Schmerzempfinden. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass Männerschnupfen ein ernst zu nehmendes Phänomen sei, das keinesfalls mit einer gewöhnlichen Erkältung von Frauen verglichen werden dürfe.

Auf der anderen Seite der Genderforschung stehen diejenigen, die der Ansicht sind, dass das Geschlecht konstruiert und wählbar sei. Sie kämpfen zum Beispiel für Unisex-Toiletten. Das ist jedoch nicht wirklich eine neue Erfindung, bis vor wenigen Jahren hatte jede Tankstelle so ein Exemplar.

Zwischen diesen Positionen gibt es noch viele andere Weltanschauungen und Ziele, so zum Beispiel das Bestreben des Gender-Mainstreamings nach Gleichberechtigung. Niemand darf aufgrund seines Geschlechts benachteiligt werden. Das ist ein Ziel, das vermutlich auch diejenigen unterstützen, die dem Gendermainstreaming kritisch gegenüberstehen.

Die Umsetzung von Geschlechtergerechtigkeit ist jedoch ein schwieriges Unterfangen. Was ist gerecht? Bei der Bezahlung scheint es relativ einfach: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Aber ist es gerecht, dass soziale Berufe, in denen meist Frauen arbeiten, schlechter bezahlt werden als technische Berufe, in denen vor allem Männer vertreten sind? Und ist es gerecht, wenn jeder genau das Gleiche bekommt – ob er will oder nicht? Wenn Frauen unter der Flagge der Gleichberechtigung genauso vollzeitlich berufstätig sein sollen wie Männer und die Kinder schon nach wenigen Wochen den ganzen Tag in einer Kinderkrippe verbringen? Ist es nicht viel eher gerecht, wenn jeder sein Leben gestalten darf, wie er oder sie es möchte? Wenn eine Frau beruflich kürzertreten kann, um mehr Zeit für ihre Kinder zu haben, ohne dass sie als rückständig betrachtet wird? Oder wenn ein Familienvater Teilzeit arbeiten kann, ohne dass ihm das als Desinteresse an der Karriere ausgelegt wird? Gerecht wäre, wenn die Arbeitsmöglichkeiten so verbessert würden, dass Väter und Mütter mehr Zeit für die Familie hätten und ihnen die Türen für den beruflichen Wiedereinstieg geöffnet würden. Das wäre auch gerecht gegenüber den Kindern, die bei dieser ganzen Debatte nicht gefragt werden, was sie eigentlich wollen.

Ist Gott ein Mann?

Die Schöpfungsgeschichte sagt sehr viel über Gott selbst aus. Als er den Menschen zu seinem Ebenbild schuf, gestaltete er ihn als Mann und Frau. Gott ist nicht nur männlich, sondern auch weiblich. Diese Weiblichkeit Gottes zeigt sich sowohl im Alten als auch im Neuen Testament.9 Beispielsweise sagt er: »Ich selbst werde euch trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet« (Jesaja 66,13). Ein schönes Bild: Gott als liebevolle und einfühlsame Mutter, die ihr Kind in den Arm nimmt. Diese weibliche Seite hat Rembrandt in seinem Gemälde »Die Rückkehr des verlorenen Sohnes« aufgenommen. Dort hat er die Hände des Vaters, der den Sohn umarmt, unterschiedlich gemalt. Eine Hand ist breit und kräftig wie eine Männerhand und die andere schmal und feingliedrig wie die einer Frau. Auch Mose besingt in einem Lied die weibliche und die männliche Seite Gottes, der seine Kinder zeugt und gebiert.10

Jahrhundertelange Bibelauslegung, Fresken und Gemälde in Kirchen und Museen haben das Bild geschaffen, dass Gott ein Mann ist. Auf Bildern sehen wir einen alten, bärtigen Mann, der manchmal weise und manchmal tattrig aussieht – er gilt als Symbol, denn von Gott selbst darf man sich kein Bild machen. Und dennoch sorgen die Bilder dafür, dass wir genau das tun. Gott als Frau ist für uns kaum vorstellbar. Wenn aber Gott den Menschen als sein Ebenbild, als Mann und Frau, geschaffen hat, dann ist das Bild vom weiblichen Gott genauso berechtigt wie das Bild vom männlichen Gott. Diese Vorstellung ist ungewohnt, weil es keine Tradition dafür gibt. Der weibliche Anteil Gottes wurde in der jahrtausendealten Geschichte, die vor allem von Männern geprägt wurde, völlig ausgeklammert. Der Allmächtige als Göttin? Das klingt in unseren Ohren heidnisch und ketzerisch.

Man kann den Schöpfer des Universums tatsächlich nicht auf einen Mann oder eine Frau oder eine Mischung aus beiden reduzieren. Und doch vermittelt die Bibel ihn als einen Gott, der das Weibliche und das Männliche in sich vereint, was sich auch sehr gut in der Person des Heiligen Geistes zeigt. Das grammatische Geschlecht von »ruach« ist dort, wo dieses Wort Gottes Geist bezeichnet, meist weiblich.11 Jesus sprach von der Heiligen Ruach. Erst auf Griechisch wurde daraus das neutrale Pneuma und auf Lateinisch der männliche Spiritus.12

Der Bestseller »Die Hütte« hat sich an ein stark weiblich dominiertes Gottesbild gewagt und damit viele Herzen berührt.13 Das Buch wurde ein Millionenerfolg. Auch der Kinofilm begeisterte viele Menschen, besonders diejenigen, die mit dem »Kirchen-Gott« nicht viel anfangen können. Der Autor William Paul Young stellt Gott als warmherzige, mütterliche Afroamerikanerin dar, den Heiligen Geist als zierliche Asiatin und Jesus als Handwerker aus dem Nahen Osten. Dieses Gottesbild ist so ganz anders und stellt das eigene, durch jahrhundertelange Tradition festzementierte Bild infrage. Wir wissen nicht, wie Gott ist, aber dieses Bild zeigt Ausschnitte von Gottes Wesen. Wer sich darauf einlässt, dem wird klar: Gott ist ganz anders, als wir ihn uns vorstellen.

Auch wenn wir nicht wissen, wie Gott wirklich ist, so ist es dennoch wichtig, diese weibliche Seite wahrzunehmen, denn sie bietet vielen einen unbelasteten Zugang zu Gott, vor allem »kirchengeschädigten« Menschen und Personen, die Gewalt und Missbrauch durch Männer erfahren haben, darunter auch William Paul Young.

Die weibliche Seite Gottes wurde über die Jahrhunderte vergessen oder ignoriert. Es ist an der Zeit, sie wieder in den Blick zu nehmen.

Gleiche Verantwortung für Mann und Frau

Dass Gott die Menschen als gleichberechtigt geschaffen hat, zeigt sich an vielen Stellen. In der ersten Schöpfungsgeschichte sagt Gott: »Seid fruchtbar und vermehrt euch, und füllt die Erde, und macht sie euch untertan« (1. Mose 1,28; ELB). Hier steht nichts davon, dass Adam sich Eva untertan machen soll, sondern der Vers enthält zwei gemeinsame Aufträge. Zum einen soll der Mensch die Erde füllen. Zur Vermehrung der bis dahin spärlichen Bevölkerung war der Einsatz von beiden – von Mann und Frau gleichermaßen – notwendig.

Zum anderen soll der Mensch über die Erde herrschen. Auch den zweiten Auftrag bekamen beide. Gott legte seine kostbare Schöpfung in die Hand der Menschen. Was für ein Vertrauensbeweis! Und welch eine große Verantwortung! Adam und Eva – Mann und Frau – sollten gemeinsam für Gottes Schöpfung sorgen. Hier steht nicht: »Adam, dir gehört hier alles: die Wiesen, die Felder, die Tiere. Du übernimmst das Management. Eva kann Gemüse anpflanzen, die Kühe melken oder Pferde striegeln und mit dem Hund Gassi gehen.« Nein, die Erde wird ihnen gemeinsam anvertraut, ohne dass einer von beiden ein besonderes Vorrecht hätte. Damit das Paradies wirklich ein Paradies blieb und sich Mensch und Tier nicht zerfleischten, verordnete Gott allen vegetarische Kost, den Menschen Beeren und Früchte und den Tieren Gras und Blätter.

Der Auftrag, sich die Erde untertan zu machen, war sicher nicht so gemeint, wie er heute umgesetzt wird. Anstatt die Erde zu bewahren, beuten wir sie für unsere Interessen aus. Wir sollten den Schöpfungsauftrag ernst nehmen und verantwortungsvoll mit diesem Planeten umgehen. Das beginnt schon im Kleinen, zum Beispiel damit, wie wir einkaufen.

Der verantwortungsvolle Umgang mit der Schöpfung Gottes bedeutet auch, nachfolgende Generationen in diesem Bewusstsein zu erziehen. Die heutigen Kinder sind die Verantwortungsträger von morgen: Es sind die zukünftigen Wirtschaftsbosse, die Regierungsvorsitzenden, die Lehrerinnen und Lehrer und die Eltern. Die Aufgabe, Kinder zu verantwortungsvollen Menschen zu erziehen, hat in unserer Gesellschaft einen viel zu geringen Stellenwert. Politikern und Firmenchefs ist viel zu wenig bewusst, dass Mütter und Väter eine gesellschaftspolitische Aufgabe übernehmen, wenn sie sich der Erziehung widmen. Die »Elternzeit« wird immer noch als Erziehungs-»Urlaub« gesehen anstatt als Arbeit, bei der Eltern die Erwachsenen von morgen erziehen und sich »nebenbei« wertvolle Qualifikationen aneignen wie Zeitplanung, Mediation, Eventmanagement, Coaching, Ernährungswissenschaft, Durchsetzungsfähigkeit, hohe Belastbarkeit und vieles mehr. Man sollte Eltern den roten Teppich ausrollen, wenn sie wieder ins Arbeitsleben zurückkehren. Doch leider gibt es niemanden, der den Eltern ein Zertifikat für ihre Fortbildung ausstellt. Deshalb müssen sich Eltern mit Jobs begnügen, die oft unter ihrer Qualifikation liegen und sich irgendwie mit der Familie vereinbaren lassen. Die Schöpfung zu bewahren und sorgsam mit ihr umzugehen, bedeutet auch, Zeit für die Familien zu schaffen. Die Literaturkritikerin Iris Radisch schreibt: »Wenn wir nur kurzfristig einmal bereit wären, in die Entwicklung und Durchsetzung neuer Arbeitszeitmodelle in etwa so viel Energie und Sachverstand zu investieren, wie es bei der Entwicklung neuer Fortbewegungsmittel oder neuer Handtelefone üblich und selbstverständlich ist, wird sich dieses wenig komplizierte, uns alle aber zutiefst bedrohende organisatorische Problem sehr schnell in nichts auflösen.«14

Der schwierige Umgang mit Freiheit

Als Gott die Menschen damit beauftragte, sich die Erde untertan zu machen, ließ er ihnen freie Hand. Die Menschen waren nicht einfach Befehlsempfänger, denen genau gesagt wurde, was sie zu tun hatten. Gott machte Adam und Eva keine Vorgaben und gab ihnen keine Dienstanweisung.

Nur eine Einschränkung machte Gott im zweiten Schöpfungsbericht: Er sagte Adam – noch bevor Eva ins Spiel kam –, dass er von allen Bäumen essen dürfe, nur vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollte er nicht essen. Für Eva galt das genauso, und das wusste sie, wie im Gespräch mit der Schlange deutlich wird.15

Gott liebt die Menschen. Jemanden zu lieben, bedeutet aber auch, ihm Freiheit zu geben und ihm zu vertrauen. Gott sprach im zweiten Schöpfungsbericht nicht einfach ein Verbot aus, sondern erklärte die Regeln, die im Paradies galten. Er zeigte die Grenzen und warnte vor den Folgen, nämlich dass der Mensch seine Unsterblichkeit verlieren würde, wenn er von diesem Baum aß. Gott hatte Adam und Eva als mündige und freie Menschen geschaffen und nicht als Marionetten. Sie konnten selbst entscheiden, ob sie Gott vertrauen wollten oder doch lieber sich selbst. Ein unglaublich souveräner Gott! Adam und Eva bekamen die gleiche Freiheit vor Gott. Deshalb mussten sich beide später vor Gott verantworten, als sie diese Regel missachteten.

Auch heute gibt uns Gott eine große Freiheit. Er regelt unser Leben nicht mit langen, detaillierten Listen von Geboten und Verboten, die wir alle penibel einhalten müssen, sondern er zeigt uns einige Grenzsteine, die uns helfen, ein gutes Leben zu führen, so zum Beispiel, dass Frauen und Männer nicht ehebrechen sollen. Dennoch haben wir die Freiheit, selbst zu entscheiden, ob wir dem Gebot folgen wollen oder nicht. Wenn wir es nicht tun, müssen wir allerdings die Konsequenzen tragen: Schmerz, Misstrauen und oftmals das Scheitern der Beziehung.

Im zweiten Schöpfungsbericht findet sich noch ein anderer wichtiger Hinweis darauf, dass Frauen und Männer für ein gleichberechtigtes Leben bestimmt sind: »Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch« (1. Mose 2,24; LUT). Mann und Frau werden in der Ehe ein Fleisch, also eine Einheit. Das ist ein deutlicher Hinweis auf ein gleichberechtigtes Miteinander, denn in einer Einheit gibt es keine Hierarchie. In unserem Kulturkreis war es jahrhundertelang jedoch so, dass meistens die Frau ihre Eltern verließ und zu ihrem Mann zog. Dort war er der Herrscher und sie musste sich anpassen. Oftmals lösten die Männer sich gar nicht richtig von ihrer Mutter oder ihrem Vater. Zum einen war es bequem und zum anderen hätte eine Auflehnung nur zu Machtkämpfen geführt. Die Ehefrau stand also nicht nur unter der Herrschaft des Mannes, sondern auch unter der Fuchtel ihrer Schwiegereltern. Wenn jedoch der Mann seiner Frau »anhangen« soll, dann bedeutet das, dass sie in seinen Beziehungen zu anderen Menschen für ihn an erster Stelle steht.

Sein wie Gott

Adam und Eva hatten im Paradies alles zum Glücklichsein. Sie hatten einander – waren wahrscheinlich frisch verliebt –, sie hatten eine verantwortungsvolle Arbeit und sie waren in der Nähe eines liebenden Gottes, der sie mit allem versorgte, was sie brauchten. Es gab Bäume mit den herrlichsten Früchten, von denen sie essen durften, so viel sie wollten. »All you can eat« – und das, ohne etwas zu bezahlen. Warum wollten Adam und Eva dann ausgerechnet von diesem einen Baum essen, vor dem Gott sie gewarnt hatte?

Der Baum der Erkenntnis bedeutet im Alten Testament, Gut und Böse unterscheiden zu können. War es der Wunsch, mächtiger zu werden, der Eva antrieb? Oder vertraute sie nicht darauf, dass Gott es gut mit ihr meinte? Glaubte sie, Gott würde ihr etwas vorenthalten, das ihr Leben besser machen würde? Die Schlange jedenfalls wusste genau, wie sie Zweifel in Eva wecken konnte. Sie gab ihr ein Versprechen, nämlich dass sie und Adam sein würden wie Gott. Dabei erklärte die Schlange, dass die Menschen Gut und Böse unterscheiden könnten, wenn sie die Frucht äßen. Die Schlange tat so, als würde sie den Menschen ein Geheimnis verraten, das Gott ihnen vorenthalten hatte. Dabei hatte Gott ihnen doch schon erklärt, dass sie nicht von dem »Baum der Erkenntnis von Gut und Böse« essen sollten. Was »Böse« war, wussten Adam und Eva bis dahin nicht. Bis zum Sündenfall war für Adam und Eva alles gut. Es war der Blick, den Gott auf sie hatte. Als Gott die Menschen erschuf, sah er seine Schöpfung liebevoll an und sagte: »Es ist sehr gut.«16

Doch nachdem sie die Frucht gegessen hatten, tauchte das Böse vor Adam und Eva auf. Sie bekamen eine andere Sichtweise, die sie vorher nicht gehabt hatten. Der Blick richtete sich auf sie selbst. Auf einmal sahen sie sich nackt mit all ihren Mängeln. Sie schämten sich, so wie sie waren, und verhüllten sich mit Feigenblättern. Adam war nicht heldenhafter als Eva. Vom mutigen Mann und der ängstlichen Frau ist hier nichts zu sehen. Diese Eigenschaften wurden Frauen und Männern erst später zugeschrieben.

Adam und Eva wollten wissen, was das Gute und das Böse ist. Und sie bekamen das, was sie wollten. Sie erkannten, dass Gott gut war und die Schlange böse, aber sie mussten den Preis für diese Erkenntnis zahlen. Und doch ließ Gott sie nicht allein. Er liebte sie nach wie vor. Weil ihnen ihre Nacktheit peinlich war, fertigte er ihnen Kleidung an. Die erste Designer-Kleidung, made by God.

In vielen älteren Bibelauslegungen wird Eva als die Verführerin an den Pranger gestellt und auch heute noch wird ihr oft die Hauptlast am Sündenfall zugeschoben. Doch was steht in der Geschichte wirklich? Als die Schlange ihre Verführungsaktion startete, stand Adam offensichtlich neben Eva, denn Eva »nahm … eine Frucht, biss hinein und gab auch ihrem Mann davon« (1. Mose 3,6). Sie aß nicht einmal die ganze Frucht, sondern reichte sie angebissen weiter an ihren Mann. Und der stand die ganze Zeit daneben – und tat gar nichts. Auch durch Nichtstun kann man schuldig werden. Um es besonders drastisch zu veranschaulichen: Der Nationalsozialismus konnte nur deshalb seine ganze Grausamkeit entfalten, weil die Mehrheit der Deutschen nichts tat. Sie ließen die Machthaber einfach gewähren. Adam hörte die Versprechungen der Schlange genauso wie Eva. Er unterstützte seine Frau nicht, als sie sich der Schlange zögerlich widersetzte – im Gegenteil: Er sah einfach nur zu und aß dann ebenfalls von dieser Frucht. Hinterher schob er die Schuld Eva zu und dem Gott, der sie erschaffen hatte.17

Generationen von Männern machten es ihm nach und riefen: »Eva hat mich verführt! Ich kann nichts dafür.« Eva wird dafür verantwortlich gemacht, dass die Menschen das Paradies verloren haben, und zugleich wird sie auch noch für jede sexuelle Schwachheit des Mannes verantwortlich gemacht. Eva ist zum Synonym der Verführerin geworden.

Adam übernahm keine Verantwortung für sein Handeln. Und Eva auch nicht. Sie verwies auf die Schlange, die sie dazu angestiftet hatte.

Gott hatte Adam und Eva gleichberechtigt geschaffen. Deshalb fragte Gott beide, warum sie die Frucht gegessen haben, und alle wurden zur Verantwortung gezogen: die Schlange, Adam und Eva. Die Schlange wurde verflucht, Adam bekam ein hartes Arbeitsleben und zu Eva sagte Gott: »Mit großer Mühe und unter Schmerzen wirst du Kinder zur Welt bringen. Du wirst dich nach deinem Mann sehnen, doch er wird über dich herrschen« (1. Mose 3,16).