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Der neue Sonnenwinkel
– 55 –

Ihr erster Liebeskummer

Das Gefühl vom reinen Glück – nur eine bittere Illusion?

Michaela Dornberg

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-064-4

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Es war eine geradezu absurde Situation, wie man sie sich nicht ausdenken konnte, die man vielleicht in Komödien erlebte, bei denen man allerdings das Gefühl hatte, dass maßlos übertrieben worden war.

Es war keine Komödie, es hatte sich niemand etwas ausgedacht, es war die Wirklichkeit.

Die umliegenden Straßenlaternen verbreiteten ein diffuses Licht, in dem zwei Frauen erkennbar waren. Die eine saß auf den Knien auf der Treppe, hastete herum, und die andere war voller Entschlossenheit, einen vermeintlichen Einbrecher in die Flucht zu schlagen.

Es konnte einfach nicht wahr sein!

Inge war nur froh, sich nicht spontan mit einem Regenschirm bewaffnet zu haben, um den oder die Einbrecher zu vertreiben.

Die andere Frau sprang auf, nun standen sie sich gegenüber, und zunächst einmal herrschte Schweigen, weil sie sich beide von ihrer Überraschung erholen mussten.

Es war Inge, die sich zuerst fasste und rief: »Rosmarie, du liebe Güte, was machst du da?«

Ehe die andere Frau eine Antwort geben konnte, lagen sie sich erst einmal in den Armen, schließlich hatten sie sich eine ganze Weile nicht gesehen, und die Freude, auch wenn zu einer recht ungewöhnlichen Zeit aufeinander zu treffen, war bei beiden Frauen nicht zu übersehen.

»Es tut mir ja so leid, Inge, ich wollte dich nicht aufwecken, ich …«

»Du hast mich nicht aufgeweckt, Rosmarie«, redete Inge dazwischen, die noch immer nicht so recht glauben konnte, was sich da gerade hier abspielte. »Komm rein.«

Das lehnte Rosmarie ab.

»Ich komm morgen, Heinz wartet im Wohnmobil vor unserem Haus, und in das können wir leider nicht, weil mein Göttergatte den Schlüssel verkramt hat. Und dummerweise ist Meta nicht daheim, sie ist irgendwo auf Verwandtenbesuch. Nun ja, mit unserer Rückkehr konnte niemand rechnen. Wir wussten es selbst ja auch nicht einmal und haben uns spontan unterwegs entschlossen, umzukehren, weil wir beide das Gefühl hatten, nach Hause zu wollen.«

Inge freute sich, sie hatte ihre Freundin Rosmarie vermisst, doch das musste sie ihr nicht nachts erzählen.

»Und wieso bist du dann hier, hast herumgesucht, und das hast du doch, nicht wahr, Rosmarie?« Das war eine sehr berechtigte Frage.

»Ach, Inge, halt mich jetzt bitte nicht für blöd. Du wusste ja, dass du einen Schlüssel hast, und irgendwie war ich wohl in einem dieser Filme, in denen sich der Hausschlüssel auf wundersame Weise immer unter einem Topf mit Geranien oder anderen Blumen findet.«

Inge konnte nicht anders, sie musste jetzt einfach nur lachen, und das löste die Spannung bei beiden, sie lachten gemeinsam.

»Rosmarie, Rosmarie, du hättest wirklich nachdenken müssen, und es wäre einfach gewesen, nur auf den Klingelknopf zu drücken. Ich würde nicht einmal unseren Schlüssel für kurze Zeit an den aus den Filmen bekannten Orten verstecken, weil das jedem Einbrecher bekannt ist, auch dem dümmsten … Sag, willst du wirklich nicht reinkommen? Ich will mir gerade einen Tee kochen, vielleicht hast du Lust darauf?«

»Normalerweise gern, klingt verlockend, aber ich kann Heinz nicht warten lassen. Der ist ziemlich genervt, wir wären nämlich schon sehr viel früher hier, hätte es nicht überall diese schrecklichen Staus gegeben, die nerven und die manchmal überhaupt nicht nachvollziehbar sind, weil man auf kilometerlangen Baustellen nicht einen einzigen Menschen sieht, der arbeitet. Würdest du mir bitte den Schlüssel geben? Meinen Frust kann ich mir morgen von der Seele reden. Du bist doch daheim, oder?«

»Bin ich«, bestätigte Inge, »und wenn ich etwas vorhaben würde, glaub mir, dass ich alles abgesagt hätte. Mein Gott, Rosmarie, was für eine wundervolle Überraschung. Du glaubst ja überhaupt nicht, wie sehr du mir gefehlt hast.«

»Du mir auch«, bestätigte Rosmarie, dann nahm sie den Schlüssel in Empfang, den Inge mittlerweile vom Schlüsselbrett genommen hatte. »Bis später«, rief Rosmarie, denn Mitternacht war längst vorbei, dann drehte sie sich um, lief die Straße entlang, und Inge sah ihr nach, bis Rosmarie im Dunkel der Nacht verschwunden war.

Kein Einbrecher, dachte Inge, als sie ins Haus zurückging, doch den Schlüssel in einem Blumentopf zu suchen, darauf musste man erst einmal kommen. Der konnte doch monatelang nicht da liegen bleiben, außerdem warum? Weil die Besitzerin unter Umständen nachts mal danach suchen könnte?

Wie auch immer. Es lohnte sich nicht, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Jeder Mensch neigte manchmal dazu, ohne Sinn und Verstand Dinge zu tun, die nicht nachvollziehbar waren.

Und es war auf jeden Fall viel, viel schöner, Rosmarie zu sehen, statt sich mit einem Einbrecher auseinanderzusetzen. Sie sollte wohl eher darüber nachdenken, wieso sie bei Geräuschen, die nicht einmal bedrohlich geklungen hatten, sofort auf einen Einbrecher gekommen war.

Sie ging in die Küche, setzte Teewasser an.

Dafür hatte sie eine Erklärung, seit dem Brand auf dem Gelände unterhalb der Felsenburg, der alles vernichtet hatte, war nichts mehr so, wie es gewesen war. Aus dem beschaulichen Sonnenwinkel war so etwas wie eine Schlangengrube geworden, in der es giftige Schlangen gab, die jederzeit hervorkommen konnten. Nachdem die Zeit vorüber war, in der sie alle wie gelähmt gewesen waren, hatten sie alle begonnen, sich misstrauisch so beobachten. Der Brand war nicht durch irgendeinen Defekt entstanden, sondern es war ganz klar erwiesen, dass Brandstifter am Werk gewesen waren, die dafür gesorgt hatten, dass es überall brannte, die gezielt das Feuer so gelegt hatten, dass auf jeden Fall vor dem Eintreffen der Feuerwehr alles vernichtet worden war.

Die ›Sunlight Klinik‹, eine Schönheitsklinik der Superlative, das Hotel, Spa, die Golf- und Tennisplätze, Schwimmbäder, der ganze Tummelplatz für die Schönen und Reichen war Vergangenheit, und die verkohlten Überreste reichten selbst einem Menschen mit ganz viel Fantasie nicht aus, sich vorzustellen, was da einmal gestanden hatte.

Die Felsenburg, die geschichts­trächtige Ruine hatte es überlebt, und Inge war sich nicht sicher, ob sie froh darüber sein sollte. Die Felsenburg stand zwar, doch sie war schwarz, voller Ruß, sie trug Trauer, war ein trauriges Mahnmal.

Das Wasser kochte, sie bereitete sich einen Tee zu, wollte sich gerade hinsetzen, als jemand in die Küche gestürmt kam. Es war Hannes, der sich zum Abschied noch einmal mit seinen alten Kumpels getroffen hatte. Auch wenn das Leben im Sonnenwinkel lange schon nicht mehr sein Ding war, an seinen alten Schulfreunden hielt er fest, mit denen war er in Verbindung, und die traf er auch bei seinen leider viel zu seltenen Besuchen.

»Mama, jetzt sag bitte nicht, dass du auf mich gewartet hast wie früher, als du dich erst hinlegen konntest, wenn du wusstest, dass all deine Lieben in ihren Betten lagen. Mama, die Zeiten sind vorbei, wir sind mittlerweile alle groß, bis auf unser Küken natürlich, doch Pamela würde eh nicht halbe Nächte unterwegs sein, die ist eher ein Stubenhocker, ein Mamakind.«

»Willst du auch einen Tee haben?«, erkundigte Inge sich.

Hannes lachte.

»Ach, weißt du, Mama, wenn du mich schon so fragst, dann wäre mir, ganz wie in alten Zeiten, ein heißer Kakao mit ganz viel Sahne lieber, und wenn du dann noch einen Keks, besser noch ein paar, hinzaubern könntest, dann wärst du die allerbeste Mama der Welt. Ach nein, das ist du ja auch so.«

Inge beeilte sich, den Wunsch ihres Sohnes zu erfüllen, dabei bemerkte sie: »Übrigens, Hannes, bilde dir nichts ein. Ich konnte nicht schlafen. Das kommt schließlich bei jedem etwas vor, und als ich aufstand, um mir einen Tee zu kochen, hörte ich Geräusche. Natürlich dachte ich sofort an einen Einbrecher.«

»Dem du dich todesmutig in den Weg stellen wolltest, Mama, Mama, das wäre sehr leichtfertig gewesen, du glaubst ja wohl nicht, dass ein Einbrecher Rücksicht darauf genommen hätte, dass du die Ehefrau des berühmten Professors Werner Auerbach bist, oder?«

Der Kakao war fertig, Inge stellte den Becher auf den Tisch, eine Schale mit Keksen dazu, in die Hannes sofort griff, als habe er wochenlang Hunger erlitten.

»Gut, ich hätte mich Einbrechern in den Weg gestellt«, gab Inge zu, »aber …«

Sie erzählte ihrem Sohn, was in Wirklichkeit geschehen war, und Hannes konnte sich vor lauter Lachen nicht einkriegen. Er besaß viel Fantasie und konnte sich alles sehr gut vorstellen, dann griff er zum nächsten Keks, und ehe er sich den in dem Mund stopfte, bemerkte er: »Da muss man erst einmal drauf kommen. Aber sag mal, wollten die Rückerts nicht monatelang unterwegs sein und das bis vor Kurzem nicht gekannte Lebensgefühl genießen, mit einem Wohnmobil unterwegs sein?«

Inge erklärte ihrem Sohn, dass Rosmarie ihr das alles erzählen wollte, weil es mitten in der Nacht so zwischen Tür und Angel wohl auch nicht der richtige Ort für einen gemütlichen Plausch sei.

Hannes trank von seinem Kakao, leckte sich genießerisch die Lippen, strahlte seine Mutter an: »Ach Mama, diese heiße Schokolade, die leckeren Kekse, wir gemeinsam am Küchentisch, das weckt wundervolle Kindheitserinnerungen, doch die muss man nicht unbedingt mitten in der Nacht genießen, nicht wahr? Warum konntest du denn nicht schlafen? Weil Pia mit mir nach Cornwall fliegen wird?«

Inge antwortete nicht sofort, und das nahm Hannes zum Anlass fortzufahren, schließlich kannte er seine Mutter mehr als nur gut: »Mama, ich kenne dich, ich weiß sehr genau, wie es gerade in dir rattert. Es ist mein Leben, und du musst endlich loslassen, mich mein Leben auch leben lassen, ohne die besorgte Mutter sein zu müssen. Ich sagte es vorhin schon einmal, und das kann ich nur wiederholen. Ich bin groß, ich weiß, was ich tue. Und sollte ich mal eine falsche Entscheidung treffen, dann kann ich damit nicht zu dir kommen, damit du es für mich richtest, dann muss ich es allein ausbaden. Und was Pia betrifft. Ich spüre doch, wie es in deinen Gehirnwindungen knackt, wie du dir die wildesten Szenarien ausmalst … Mama«, er blickte sie erst an, nahm sich nicht einmal einen weiteren Keks aus der Schale. »Ich mag Pia, sie ist ein ganz besonderer Mensch, und sie hat etwas, was mich anzieht, was mich ein wenig auch an Joy erinnert, die ebenfalls ein ganz besonderes Mädchen war. Ja, noch einmal, ich mag Pia, und ich denke, sie mag mich auch. Doch ob sich da zwischen uns mal etwas entwickeln wird oder nicht, das steht in den Sternen. Wenn es geschehen soll, wird es geschehen. Augenblicklich kommt es mir in erster Linie darauf an, Pia den Weg zu ebnen. Sie ist ein verdammt kreativer Mensch, und glaub mir, die berühmte NN, Nancy Newman, würde sich nicht darum reißen, Pia kennenzulernen. Und warum ist das so? Weil Pamela mir die Fotos von dem Schmuck geschickt, auf meine Bitte hin den Schmuck selbst und ich ihn Nancy zeigen konnte. So funktioniert das, so muss es sein. Wenn man ein großes Talent erkennt, muss man alles daransetzen, es zu fördern. Gerade Kreative oder Menschen, die sich dafür entschieden haben, nicht den herkömmlichen Weg zu gehen, die haben es schwer.«

Inge zuckte zusammen. Das war jetzt ein Seitenhieb, der auch auf sie gemünzt war. Sie, viel mehr allerdings Werner, hatten sich gewünscht, er hatte sogar darauf bestanden, dass Hannes mit seinem Einserabitur eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen würde. Es hatte nach seiner Rückkehr von seiner Weltreise viele heiße Diskussionen gegeben, was dazu geführt hatte, dass Hannes nach Australien gegangen war, um mit einem Freund nicht nur eine Surf- und Tauchschule zu übernehmen, nein, Hannes war das Gesicht für das Surfbrett ›Sundance‹ gewesen, hatte maßgeblich an der zweiten Version mitgearbeitet, er und Steve hatten viel Geld verdient, Hannes war in Joy, ein reizendes australisches Mädchen verliebt gewesen. Und er wäre noch immer in Australien, wohin vorübergehend sogar Pamela geflüchtet war, nachdem sie herausgefunden hatte, dass sie keine echte Auerbach war, sondern dass man sie adoptiert hatte. Tja, wäre es nicht zu dem Unfall auf einem geradezu viel befahrenem Highway gekommen, Hannes war unverschuldet in einen Unfall verwickelt worden, der ihn um all seine Zukunftspläne gebracht hatte. So schnell konnte es gehen, Hannes musste sein Leben in Australien aufgeben, hatte sich von Joy getrennt, war den Jakobsweg gelaufen, und nun lebte er in Cornwall, einem Künstlerort, und er machte eine Ausbildung als Möbeltischler.

»Hannes, ich weiß, was du da andeuten willst, doch hab erst einmal selbst Kinder, dann wirst du vielleicht Papa und mich verstehen, man will immer das Beste für seine Töchter und Söhne.«

Er trank den letzten Rest seiner heißen Schokolade, schob den Becher beiseite.

»Klar, Mama, kann ich auch verstehen, wenn es wirklich das Beste für die Person ist, nicht das Beste für Vater oder Mutter, für beide Elternteile. Du hast es zum Glück mittlerweile ja begriffen, doch Papa würde am liebsten noch immer einen Akademiker aus mir machen, weil er sich dann unter seinesgleichen damit brüsten könnte, mein Sohn hat … mein Sohn ist … Mama, ich habe es aufgegeben, darum zu kämpfen, doch wie schön wäre es, Papa würde hinter mir stehen, hinter dem, was ich mache. Ich weiß, dass ich die richtige Wahl getroffen habe, mit Holz zu arbeiten, daraus etwas zu kreieren, etwas entstehen zu sehen, du weißt überhaupt nicht, wie sinnlich das ist. Es würde mir auch Spaß machen, wenn ich einfach nur so vor mich hintischlern würde. Offensichtlich habe ich eine besondere Begabung für dieses wundervolle Handwerk, sonst hätte ich nicht schon Preise gewonnen, Auszeichnungen als Bester in der Ausbildung. Darauf kommt es nicht an, es soll mein Ding sein, mich zufrieden machen. Und das, liebe Mama, das tut es. Hätte ich nicht meinen eigenen Kopf, hätte ich unterwegs auf dem Camino nicht Tom Betharn getroffen, der mich von Anfang an unterstützt, gefördert hat, würde ich mich mit einem Studium herumquälen, das mich nicht interessiert.« Er blickte seine Mutter erneut an, und Inge fühlte sich wirklich nicht wohl, weil sie ein schlechtes Gewissen hat.

»Mama, Pia ist anders als ich, ihr mangelt es am nötigen Selbstbewusstsein, mehr noch, sie glaubt nicht an sich, an das, was sie tut. Deswegen muss sie erst recht an die Hand genommen werden, damit dieses außergewöhnliche Talent nicht im Sande versiegt, sie irgendwann vielleicht mal als Kinderpflegerin irgendwo landet. Nichts gegen Kinderpflegerinnen, das sind Frauen, die sich für ihren Beruf aufopfern und dabei auch noch schlecht bezahlt werden. Das, was Pia macht, das kann man nicht lernen, entweder hat man diese außergewöhnliche Begabung oder man hat sie nicht. Ich könnte mit dir jetzt eine Wette abschließen, dass Pia eines Tages noch bekannter und besser sein wird als NN.«

Er hatte sich richtig in Rage geredet, und es war beinahe schizophren, um diese nachtschlafene Zeit derartige Diskussionen zu führen.

Hannes besann sich.

»Mama, bitte entschuldige, ich labere dich zu, dabei kannst du dich kaum noch auf den Beinen halten.«

»Hannes, ich bin froh, dass wir jetzt dieses Gespräch geführt haben. Es trifft zu, weder Papa noch ich haben den richtigen Blick für das, was über dem Gartenzaun ist. Mir gefällt es, was Pia macht, doch ob es etwas Besonderes ist, das kann ich nicht beurteilen. Doch eines musst du mir glauben, Hannes, ich habe nichts gegen Pia. Ich mag sie, und dass sie kurzzeitig auf der Straße gelebt hat, das ist für mich kein Makel. Sie hatte keine andere Wahl, und sie ist nicht daran zerbrochen. Und wenn du und Pia …«

Hannes unterbrach seine Mutter.