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Band 237

 

Das Omnitische Herz

 

Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1.

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Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Gut fünfzig Jahre nachdem die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, bildet die Solare Union die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs. Aber die Sicherheit der Menschen ist immer wieder in großer Gefahr. Eine unheimliche Bedrohung sucht die Galaxis heim – das Dunkelleben. Es scheint seinen Ursprung im Zentrum der Milchstraße zu haben.

Deshalb bricht Perry Rhodan mit der CREST II in den Sagittarius-Sektor auf. Die Terraner erreichen das Compariat in der galaktischen Kernregion, das von den Omniten beherrscht wird. Allerdings verwehrt ihnen eine Raumflotte der Shafakk den Zugang nach Jad-Kantraja, wo die Menschen dringend benötigte Informationen über das Dunkelleben finden wollen.

Ein gewaltsames Vorgehen kommt nicht infrage. Daher hilft nur die Infiltration mit einem kleinen Einsatzteam. Perry Rhodan und seine Gefährten finden sich in einer exotischen gefahrvollen Umgebung wieder, in der eine seltsame Endzeitstimmung herrscht – sie erreichen DAS OMNITISCHE HERZ ...

1.

 

Rhythmisches Stampfen von den Tribünen. Vielkehliges Geschrei über dem dumpfen Dröhnen ferner Maschinen. Der Geruch von kaltem Metall und erhitzten Körpern.

Ein Brüllen, zwei rasche Hiebe, dann ein Tritt. Ein unglaublich schneller Aufwärtshaken, viel zu überraschend, als das Worrik Rhenn hätte ausweichen können.

Er versuchte gar nicht erst, den Kopf wegzuziehen. Im Gegenteil: Er nickte Martaq Krefs Faust entgegen. Wenn er den Treffer schon kassierte, wollte er die Hand seines Gegners mit den Reißzähnen aufspießen.

Das Publikum johlte. Das war ein Kampf, wie die Shafakk ihn seit Beginn der Belagerung nicht geboten bekommen hatten.

So leicht, wie Rhenn gehofft hatte, war Kref jedoch nicht auszuschalten. Im letzten Moment drehte der Gegner den Arm mit der gerüsteten Außenseite nach oben, sodass Rhenn beinahe ein Zahn abgebrochen wäre. Er musste den Kopf abwenden, geriet für einen winzigen Moment aus der Balance. Ausreichend für Kref, um Rhenn die Stiefelsohle in den Bauch zu treten.

Rhenn taumelte zurück, krümmte sich. Eine feine Gischt von Schweißtropfen löste sich aus seinem Fell. Dieselben Shafakk, die eben seine Attacke bejubelt hatten, grölten nun für seinen Gegner.

Kref setzte nach. Rhenn nutzte den Schwung der eigenen Rückwärtsbewegung, ließ sich fallen und riss seine Beine nach oben. Kref warf sich zur Seite, um keinen Tritt ans Kinn zu bekommen. Rhenn drehte sich mit und traf den Kontrahenten in der Kniekehle.

Kref strauchelte und fiel. Endlich!

Rhenn rollte sich obenauf, versenkte die Reißzähne im Fell des anderen, bis er die Haut darunter spürte – und das Pumpen der pochenden Halsschlagader. »Bist du geschlagen?«, fragte er.

Kref zögerte.

Drei Atemzüge hatte er Zeit, so verlangten es die Regeln. Hatte Kref dann nicht aufgegeben, durfte Rhenn ihn töten.

Kühle Luft in Rhenns Lungen, einmal. Zweimal ...

»Ich bin geschlagen!«, rief Martaq Kref.

Rhenn erhob sich und streckte die Arme zur Hangardecke empor. Jubel brandete auf. Fast zweihundert Shafakk hatten das Duell verfolgt und würden seinen Namen auf den Lippen tragen – er war nun einer der Tapferen!

Vielleicht sogar einer der Siegreichen?

Das würde die Zukunft weisen. Bislang hatte sich Rhenn nur das Recht erkämpft, ein Herz zu gewinnen. Das würde er tun. Oder er würde beim Versuch sterben, wie manch ein Tapferer vor ihm.

Hocherhobenen Hauptes schritt er durch das Schott, hinein in die Enterkapsel.

 

Mit nur fünf Prozent Lichtgeschwindigkeit schoss das Mutterschiff ihn hinaus in Richtung der Raumstation. Über einen starken Schutzschirm verfügte seine Kapsel nicht. Er reichte lediglich, um den kosmischen Staub abzuwehren, der sich so nah bei einem Schwarzen Loch unweigerlich sammelte. Die feinen Partikel ließen die eigentlich unsichtbare Energieblase grell aufstrahlen.

Für ein Raumgefecht hingegen war sie ungeeignet. Aber das war kein Problem. Jad-Kantraja, das Omnitische Herz, konnte überhaupt nicht auf ihn schießen. Die Raumstation hatte genug damit zu tun, die eigenen Schutzschirme aufrechtzuerhalten, um die Eroberungsflotte der Shafakk abzuwehren. Für mehr reichte ihre Energie nicht mehr.

Drüben an Bord fehlte es inzwischen an allem. So hatten es zumindest die Siegreichen berichtet, die zur Flotte zurückgekehrt waren. Wenn die Omniten nicht zu Hilfe kamen, würde Jad-Kantraja fallen, in einigen Tagen, vielleicht auch erst Wochen. Möglicherweise hielt sie sogar noch ein paar Monate durch – aber fallen würde sie.

In Rhenns Augen war es gut und richtig, dass die Omniten und ihre Speichellecker sich noch wehrten. Denn bis Jad-Kantrajas Abwehrfeld schließlich fiel und die Eroberungsflotte durchdrang, konnten Tapfere wie Rhenn unsterblichen Ruhm erwerben. Dutzende waren schon vor ihm gegangen. Eine Handvoll war sogar zurückgekehrt.

Vor Rhenn lag das erste Hindernis – Jad-Kantrajas Schutzschirm. Er flackerte. Immer wieder bildeten sich für einige Momente Strukturlücken, weil die Energie nicht mehr für einen stabilen Schirmbetrieb reichte.

Die Fehlstellen waren nicht groß und hielten sich nicht lange genug, damit die großen Einheiten der Shafakk sie hätten nutzen können. Sie hätten zwar problemlos hindurchschießen und die Station vernichten können, doch das wollten die Shafakk gar nicht. Jad-Kantraja war der Schlüssel zum Gadenhimmel, dem Versteck der Omniten. Nur von der Raumstation aus war der Zugang in die Quantentasche möglich, in der sich die feigen Herrscher des Compariats versteckten, die Gewesenen – die Letzten, die zwischen den Shafakk und der ihnen zustehenden Macht standen. Wer Jad-Kantraja kontrollierte, war nur noch einen Schritt davon entfernt, die dekadente Elite hinfortzuwischen und die Herrschaft in jüngere, entschiedenere Hände zu nehmen.

Worrik Rhenn war ein Vorbote dieser neuen Ordnung. Zumindest wenn er den kommenden Tag überlebte.

Jad-Kantrajas Schirm wölbte sich vor ihm im Außenbeobachtungshologramm. Rasend schnell schoss die Station in ihrem Orbit um Almonidra herum, in einer stabilen Kreisbahn rund um das große Schwarze Loch im Zentrum und seine kleineren Trabanten Almonidra I bis V.

Genau wie Rhenns Enterkapsel glühte das Schutzfeld, wenn es mit Partikeln kollidierte, die Almonidras unfassbare Schwerkraft eingefangen hatte. Dunklere Abschnitte zeigten geschwächte Stellen an. Stellen, an denen Rhenn eindringen konnte. Allerdings konnte man nie sagen, wie lange diese erhalten blieben und wann der Energieschirm zu alter Stärke zurückfand. Es war möglich, dass Rhenn dann nicht mehr ausweichen konnte – er würde dann einfach verglühen, genau wie der Staub.

Als hätten seine Gedanken das Unheil herbeibeschworen, schloss sich die Bresche vor ihm. Ausweichen konnte Rhenn nicht, dafür war der Antrieb der Kapsel nicht stark genug – nicht im Schwerefeld eines Schwarzen Lochs. Allenfalls minimale Kursänderungen waren möglich ...

Eine neue Lücke tat sich auf! Rhenn riss die Kapsel aus ihrer Bahn, änderte den Vektor nach links und ein winziges Stück aufwärts.

Wenn diese Lücke sich auch wieder schloss ...

Nein! Er war durch! Er hatte es geschafft!

Die erste Prüfung war bewältigt. Mit schnellen, aber nicht hektischen Bewegungen passte er Flugrichtung und -geschwindigkeit an. Nun galt es, möglichst unbemerkt an Bord zu gelangen.

Die Station wuchs in der optischen Erfassung. Nach und nach wurden immer mehr Details eines gigantischen Gebildes mit acht kreisrunden Außenflächen sichtbar, deren regelmäßige Anordnung eine grob sphäroide Struktur bildeten. Es waren die oberen Enden von riesigen Zylindern, die radial auf das Zentrum der Sphäre zuliefen. Dort, in der Mitte der fünf Kilometer durchmessenden Konstruktion, gleißte ein sonnenhelles Licht. Auf jeder der externen Kreisflächen hätte mühelos eine komplette Metropole untergebracht werden können.

Dicht bebaut waren sie tatsächlich, aber nicht mit Wohneinheiten. Dort hoben sich vielmehr jene technischen Vorrichtungen ins All, welche die Existenz der Raumstation in unmittelbarer Nähe eines Schwarzen Lochs erst möglich machten.

Noch, zumindest, denn immer mehr davon fielen aus.

Rhenn schien es naheliegend, die Stationsbebauung mit Städten zu vergleichen – schließlich hassten Shafakk das planetare Leben, und er hasste die Omniten und ihre Speichellecker, die sich auf Jad-Kantraja verschanzten.

Ganze Stadtviertel jedenfalls lagen brach und dunkel vor ihm, während in anderen Positions-, Status- und Betriebslichter glänzten und funkelten.

Er steuerte einen der dunklen Bereiche an. Wo es keinen Strom gab, folgerte er, gab es auch keine Überwachungsanlagen. Dort konnte er leichter unbemerkt eindringen und sich auf die Suche nach einem Omniten machen, dessen Herz er gewinnen wollte – auf die traditionelle Weise. Worrik Rhenn würde ihm mit den Zähnen die Kehle aufschlitzen, durch die Wunde bis in die Brust greifen und seinen Preis herausreißen.

2.

 

Alles war gut auf Jad-Kantraja.

Troduun, der Jad der Station, war stolz auf seine Jademi. Die acht Unterkommandanten hatten die Situation auf ihren acht Stationssegmenten komplett unter Kontrolle, trotz der schwierigen Situation durch die Belagerung der Shafakk.

Das war alles andere als selbstverständlich. Troduun, so ehrlich war er zu sich selbst, hätte allein kaum gewusst, wie er mit wenig Personal und ausbleibendem Nachschub die zigtausend Gäste hätte bei Laune halten sollen, die auf Jad-Kantraja gestrandet waren.

So aber musste er sich damit überhaupt nicht beschäftigen und hatte den Kopf frei für ein wichtigeres Problem: das Schweigen der Omniten. So wenig trennte die Oproner und Omniten voneinander, immerhin gehörten sie derselben Spezies an, und doch waren sie so völlig anders. Es gelang Troduun nie gänzlich, sich in die Überlegungen der hochgestellten Artgenossen hineinzuversetzen.

Normalerweise brauchte er das auch nicht. Er kümmerte sich darum, dass die Omniten alles bekamen, was sie auf Jad-Kantraja erwarteten. Sie ihrerseits hörten die Bitten der Pilger an, gewährten manche davon, lehnten andere ab. Troduun, der Jad, hatte damit nichts zu tun, solange alles regelkonform ablief.

Davon konnte aber längst keine Rede mehr sein. Seit Wochen belagerten die Shafakk das Omnitische Herz, und ohne Hilfe der Omniten hatte Jad-Kantraja keine Chance, die Angreifer zurückzuschlagen. Doch die Omniten schwiegen.

Auch die Pilger saßen seit Wochen fest. Sie waren teils unter größten Schwierigkeiten angereist, gaben Unsummen für ihren Aufenthalt auf der Station aus – doch die Omniten schwiegen. Kein Einziger von ihnen hatte seit Beginn der Belagerung eine Audienz gegeben. Sie hatten sich in ihre Quartiere jenseits der Kontaktzonen zurückgezogen, und niemand mehr hatte etwas von ihnen zu hören oder zu sehen bekommen. In Troduuns Augen grenzte es an ein Wunder, dass die Pilger nicht längst den Aufstand probten.

Es juckte Troduun, in die omnitischen Privatareale einzudringen und die Herrscher des Compariats zur Rede zu stellen, die zurzeit auf Jad-Kantraja residierten. Aber natürlich war allein der Gedanke ein Frevel, und er würde nichts dergleichen tun. Er benötigte andere Optionen, um diese Krise zu lösen oder zumindest die Katastrophe aufzuschieben, bis die Herrscher wieder mit ihm sprachen.

Er kontaktierte Kupran, den Jademi von Segment Fünf. Dort war der primäre Schirmgenerator installiert – der größte Schwachpunkt bei der Abwehr der aufständischen Shafakk. Troduun wollte wissen, wie viel Zeit ihm blieb. Denn auch wenn im Augenblick alles eitel Sonnenschein war, würde sich dies irgendwann ändern.

Allein: Kupran antwortete nicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis eine fragile Jad-Tarak in blendend weißer Uniform das Gespräch entgegennahm.

»Wo ist Kupran?« Mit Höflichkeitsfloskeln hielt sich Troduun nicht auf. Diese waren für Wesen reserviert, die in der Rangordnung über ihm standen – und das waren ausschließlich die Omniten an Bord.

»Er inspiziert sein Segment und hilft den Pilgern bei ihren Anliegen«, kam die schnelle und einzig akzeptable Antwort.

Troduun wiegte den Kopf. Wenn er Kupran dabei störte, würden vielleicht einige Gäste den Eindruck bekommen, dass auf der Station etwas nicht stimmte. So ein Gerücht konnte sich in den Casinos rasant verbreiten.

Das wollte er nicht riskieren. Für sein aktuelles Anliegen brauchte er den Jademi ohnehin nicht. »Dann schick du eben diesen Ingenieur zu mir«, sagte er. »Den, der sich um den Schirmgenerator kümmert. Diesen ...«

»Hobsbi?«, fragte die Jad-Tarak zögerlich.

»Ferratan Hobsbi, genau.« Troduun war selbst überrascht, dass ihm der volle Name einfiel. »Ich will ihn sofort sehen.«

»Möchten Sie nicht vielleicht doch auf Kupran ...«

»Sofort!« Er beendete die Verbindung.

Es dauerte nicht lange, da stürmte der Ingenieur herein. Wenn Ferratan Hobsbi lief, sah es stets so aus, als müssten sich seine acht dünnen Gliedmaßen verknoten. Der Mann aus dem Volk der Hebanter kam jedoch unfallfrei vor Troduuns Arbeitstisch zum Stehen.

Das gelborangefarbene Haar quoll aus jeder Öffnung der hellblauen Technikeruniform. Es war eingerußt. »Endlich«, schnauzte der Ingenieur. »Wieso hat das so lange gedauert?«

Die unverschämte Eröffnung irritierte Troduun dermaßen, dass er vergaß, seinen Untergebenen auf den himmelweiten Rangunterschied hinzuweisen und ihn entsprechend zurechtzustutzen. Die Hebanter waren bekannt dafür, dass die Älteren ihren Platz in der Ordnung der Dinge vergaßen und sich in der Gegenwart von Opronern als gleichgestellt wähnten. Da und dort war dann ein bisschen Korrektur, Erinnerungshilfe und Erziehung notwendig. Troduun bedauerte das jedes Mal, aber nur so konnte man ihre technischen Fähigkeiten für das Compariat nutzbar halten.

»Was heißt das: so lange gedauert?«, fragte Troduun. »Ich habe dich eben erst rufen lassen.«

»Ich habe dir vor drei Tagen schon sagen lassen, dass ich dich sprechen will.«

Troduun legte irritiert die Stirn in Falten. »Du wolltest mit mir sprechen?«

»Du bist zuständig, oder?«, antwortete der Ingenieur. »Ich habe dem Jademi gesagt, wir haben Probleme und dass ich dich sprechen muss.«

»Du hast Jademi Kupran auf Probleme hingewiesen?«

»Bist du taub?«

Troduun hielt an sich. Hobsbis Verhalten war absolut inakzeptabel und würde Konsequenzen nach sich ziehen. Aber zuerst galt es, die Sachlage voll und ganz zu verstehen.

Troduun nahm Kuprans Bericht vom Stapel. Er überflog ihn kurz, suchte nach etwas, das er übersehen haben konnte. Aber nein, dort stand es klar und deutlich: keine Schwierigkeiten, alles bestens. Troduun knüllte die Folie zusammen und behielt sie in der Faust, bis sie sich im sauren Schweiß seiner Hand auflöste.

»Dann kannst du jetzt vortragen, was du zu sagen hast«, sagte der Jad ruhig. Er ließ sich seinen Zorn nicht anmerken, weder den auf Hobsbi noch den auf Kupran. »Was macht dir Sorgen?«

»Alles!« Hobsbi schrie es beinahe. »Wir sind so gut wie tot, wenn keine Hilfe kommt!«

Beschwichtigend hob Troduun die Hand. »Nicht so dramatisch, bitte. Sicherlich gibt es eine Möglichkeit ...«

Hobsbi setzte sich in Bewegung Richtung Tür, ohne sich umzudrehen. »Du bist genau wie die anderen«, schimpfte er. »Wenn du etwas nicht hören willst ...«

»Halt!«, schrie Troduun so laut und schrill, dass der Hebanter zusammenzuckte und die acht Knie anzog. »Ich will es hören. Erkläre es mir.«

»Unser Schutzschirm hält den Shafakk nicht mehr lange stand«, sagte der Ingenieur. »So einfach.«

»Bisher hatten wir keinen Ausfall«, hielt Troduun ihm entgegen.

»Ach wirklich?«, spottete Hobsbi. »Andernfalls säßen wir wohl kaum mehr hier. Aber weißt du, warum wir keinen Ausfall hatten? Weil ich gut bin!«

»Und wirst du in Zukunft schlechter?« Troduun benötigte Informationen von diesem Wesen, aber man konnte ihm auch nicht jede Unverschämtheit durchgehen lassen.

»Die Hyperkristalle gehen uns aus«, erläuterte Hobsbi missmutig. »Das Dauerfeuer der Shafakk beansprucht das Material so stark, dass wir bereits sämtliche für ein Jahr gedachten Reserven einsetzen mussten. Wir leben von den letzten Resten.«

»Kann man nicht andere Verbraucher abschalten und den Vorrat so strecken?«, erkundigte sich Troduun.

Der Hebanter lachte fast so schrill wie ein Oproner. »Das habe ich schon vor zwei Wochen gemacht! Ganze Segmente der Station sind lahmgelegt!«

Erneut legte Troduun die Stirn irritiert in Falten. Auch davon stand nichts in den Berichten. Er hatte seinen Jademi gesagt, er wolle nicht mit Problemen behelligt werden. Aber das hieß doch nicht, dass man ihm eine Krise dieses Ausmaßes verschweigen konnte!

»Erklär mir in wenigen Sätzen, was passieren wird«, bat er.

Das ließ sich Hobsbi nicht zweimal sagen. »Wir haben alle nicht notwendigen Schirmfelder abgeschaltet. Das reicht längst nicht mehr, mittlerweile kommen die notwendigen dran. Das sind einmal der Schutzschirm außen, der uns vor den Angriffen der Shafakk und dem stetigen Partikelstrom rund um Almonidra schützt. Und der im Innern, der die Kunstsonne im Stationszentrum einhegt und verhindert, dass unsere eigene Energiequelle uns grillt.«

»Keinen davon kannst du abschalten!«

»Meinst du, das weiß ich nicht selbst? Und was soll ich tun, wenn ich sie einfach nicht mehr aufrechterhalten kann?«

»Kann man nicht ...«

»... die Energieproduktion der Kunstsonne reduzieren, um mit einem kleineren Schirmfeld innen auszukommen? Schon getan!« Hobsbi nahm ihm das Wort aus dem Mund. »Spart Hyperkristalle. Das lässt sich aber nicht unendlich fortsetzen, denn dadurch steht uns natürlich weniger Energie zur Verfügung. Die Außenbereiche der Station kühlen bereits aus. Und wenn wir die Energieerzeugung so massiv drosseln, dass wir im Innern keine Schutzschirme mehr brauchen, können wir die außen nicht aktiviert halten. Dann darfst du die Shafakk an Bord willkommen heißen. So oder so – wenn nicht bald etwas passiert, haben diese elenden Untergangsprediger am Ende recht.«

Troduun tippte mit seinen fast durchsichtigen Fingern einen hektischen Rhythmus auf den Tisch. Die Untergangsprediger – er kannte sie aus seiner eigenen Zeit als Jademi vor vielen Jahren. Schon immer hatte es diese sogenannten Eschatoliten an Bord von Jad-Kantraja gegeben, die den drohenden Weltuntergang nicht nur verkündeten, sondern geradezu herbeisehnten. »Ich sehe nicht, was diese Handvoll Spinner mit unserem Problem zu tun hat.«

»Handvoll?« Hobsbi riss die Augen so weit auf, dass seine großen, schwarzen Oculi hinter den gelben Fellbüscheln erkennbar wurden. »Das sind Tausende! Wie lange warst du eigentlich nicht mehr draußen im Gästebereich?«

Troduun antwortete nicht. Er versuchte sich zu erinnern, kam aber nicht darauf. Tatsächlich missfiel ihm die Unordnung außerhalb seiner Wohn- und Arbeitsräume. Und den Berichten seiner Jademi zufolge war seine Anwesenheit schließlich nicht erforderlich.

Aber ... zumindest Kuprans Bericht hatte sich gerade in Teilen als falsch oder unvollständig erwiesen. Gab es noch anderes, was Troduun wissen sollte und ihn nicht erreicht hatte?

»Die Eschatoliten sind keine ›Handvoll Spinner‹«, fuhr Hobsbi fort. »Seit das Dunkelleben sich zunehmend schneller im Compariat ausbreitet, sind sie die größte religiöse Gruppe auf Jad-Kantraja. Wie du natürlich weißt.« Hörte Troduun Spott in Hobsbis Stimme? »Und das war schon, bevor die Shafakk uns angegriffen haben. Seitdem muss man schon komplett unter einem Stein leben, um den bevorstehenden Untergang nicht zu sehen. Das sind Zigtausende inzwischen, die glauben, unser Ende sei richtig und sollte lieber heute als morgen hereinbrechen! Und wenn du mich fragst: Ein paar davon wollen es beschleunigen!«

Troduun rieb nervös die Kuppen seiner langen Finger aneinander. Die Eschatoliten schienen ebenfalls ein Problem zu sein, dass sich in den Berichten nicht wiederfand. Wie viele davon gab es noch?

»Hast du einen Lösungsvorschlag?«, fragte er. »Für das technische Problem?«

»Klar«, sagte der Ingenieur. »Neue Hyperkristalle verbauen. Du hast doch bestimmt welche unter deinem Tisch versteckt.«

»Warum ...« Gerade rechtzeitig wurde dem Jad klar, dass es sich wohl um Ironie handelte. Kein Stilmittel, in dessen Nutzung er besonders sicher war. »Die Omniten werden uns nicht im Stich lassen«, verkündete Troduun. »Sie werden uns den nötigen Nachschub bereitstellen, und sie werden uns vor den Shafakk schützen.«

Er glaubte fest daran. Auch wenn die Omniten sich in ihre Quartiere zurückgezogen hatten – Jad-Kantraja war das Omnitische Herz, der Schlüssel zum Gadenhimmel, zum sicheren und unerreichbaren Refugium der Herrscher des Compariats. Sie konnten unter keinen Umständen auf die Station verzichten. Also würden sie ihr helfen. So einfach war das.

Hobsbi war nicht so überzeugt. »Hast du mit ihnen gesprochen?«

»Nein«, gab Troduun zu. »Die Omniten auf Jad-Kantraja beraten in ihrem Refugium. Sie werden uns bald in ihre Ratschlüsse einbeziehen.«

Ferratan Hobsbi gab ein meckerndes Lachen von sich. »Da bin ich gespannt. Ich geh mal wieder an die Arbeit und versuche, unsere Haut zu retten.«

»Mach das«, sagte Troduun geistesabwesend. Er war in Gedanken schon beim nächsten Gespräch. Er winkte Hobsbi hinaus und schickte einige Jad-Tarak, die den Jademi Kupran zu Troduun bringen sollten. Er wollte den Untergebenen selbst sprechen, in dessen Stationsachtel es zu so absolut gar keinen erwähnenswerten Vorfällen gekommen war.

 

»Nein, es gibt kein Problem. Die Pilger sind zufrieden, sogar hochzufrieden. Sie geben viel mehr Geld in den Casinos aus als zu normalen Zeiten!«

Troduun vernahm Kuprans Rapport mit einiger Irritation. Die Casinos machten mehr Gewinn – das war ernsthaft das Wichtigste, was den Jademi umtrieb?

»Wie sieht es mit der Unterbringung aus?«, fragte Troduun leutselig weiter. »Die Station ist nicht darauf eingerichtet, Gäste dauerhaft zu beherbergen. Eigentlich müssten wir die Kapazitäten ausbauen. Hast du das im Blick?«

»Selbstverständlich«, versicherte Kupran. »Meine Jad-Tarak kümmern sich um die Pilger und sorgen dafür, dass es allen gut geht. Wer ein Problem nicht selbst in den Griff bekommt, darf sich jederzeit bei mir melden. Bislang hat das niemand getan.«

»Was ist mit Ferratan Hobsbi?«, kam Troduun zum Kern der Sache. »Er hat ein Problem gemeldet.«

Kupran zögerte. Troduun ahnte, was in seinem Kopf vorgehen musste: Woher wusste der Jad von der Beschwerde des Ingenieurs?

»Ja«, gab Kupran vorsichtig zu. »Aber ich habe ihm gesagt, er solle sich um das Problem kümmern. Seitdem habe ich nichts mehr gehört, also ist es wohl gelöst.«

»Natürlich.« Troduun kommentierte die lächerliche Ausflucht nicht. »Vielen Dank für deine Zeit.«

Nachdem Kupran den Raum verlassen hatte, seufzte Troduun einmal mehr aus tiefster Brust. Er hatte etwas begriffen, das ihm in seinen vielen Jahren als Kommandant von Jad-Kantraja nie in dieser Deutlichkeit klar geworden war: Jademi Kupran war ein Idiot.

Alle Jademi waren faul und ließen sich bedienen. Das war der Lohn dafür, dass man viele Jahre treu in niederen Rängen gebuckelt hatte. Aber faul und dumm erwies sich manchmal als schwierige Kombination in Führungspositionen. Der Jademi hatte schlichtweg keine Ahnung, was in seinem Teil der Station geschah – weil es ihn nicht interessierte und weil sich niemand traute, ihm Probleme zu melden.

Damit stand er wahrscheinlich sogar repräsentativ auch für seine sieben Amtskollegen.

Wenn Troduun ehrlich zu sich war: Er hatte diesen Stil der Führung selbst vorgelebt. Auch er hatte nicht von Problemen wissen wollen – seine Aufgabe war, die Omniten glücklich zu machen, wenn sie Jad-Kantraja beehrten. Um alles andere konnte sich das Fußvolk kümmern.

Aber zum einen waren die Omniten unglücklich, sonst hätten sie sich nicht verschanzt. Zum anderen war eine Belagerung der Station eben kein Problem, das irgendwann verschwand, wenn man es einfach ignorierte!

Troduun trat an einen Ausrüstungsschrank und nahm einen Spiegelfeldprojektor heraus. Es wurde Zeit, dass er seine luxuriösen Räume verließ und selbst in Augenschein nahm, wie es um Jad-Kantraja bestellt war. Am besten anonym, um einen möglichst unverfälschten Eindruck zu bekommen.

Er hakte das Gerät an seinen Gürtel und aktivierte die Projektion, die ihn für jeden außenstehenden Betrachter in einen hässlichen, glotzäugigen, rot geschuppten Klufit verwandelte.

3.

 

»Noch zehn Minuten durch den Hexenkessel«, meldete Thora Rhodan da Zoltral.

Perry Rhodan hielt sich im Hintergrund. Die aktuellen Probleme waren rein astrogatorischer Natur und fielen damit in den Aufgabenbereich seiner Frau als Kommandantin der CREST II.

Irgendwie gelang es ihr, alle Arbeitsstationen gleichzeitig im Auge zu behalten. In der Zentrale der CREST II herrschte höchste Konzentration. So nah am Milchstraßenzentrum operierte man in schwierigem Gebiet mit teils unvorhersehbaren Materieballungen und Gravitationsströmungen.

Direkte Gefahr bestand allerdings nicht, sonst hätten sich Gucky und Ronald Tekener in der Mutantenlounge wohl kaum mit einem Pokerspiel beschäftigt. Aber trotzdem erforderte der Flug die volle Aufmerksamkeit aller diensthabenden Offiziere.

Ein Alarm gellte.

Zu früh gefreut. Rhodan sprang von seinem Platz auf und sah zu seiner Frau hinüber.

Thora saß ruhig im Kommandantensessel und arbeitete sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit durch den Datenwust, der plötzlich in einem Hologramm vor ihr aufgetaucht war. »Abbremsen!«, befahl sie dem Piloten. »Unser Schutzschirm bricht zusammen!«

Rhodan lief es kalt den Rücken herunter. Es gab mehrere Schwarze Löcher im näheren Umkreis, die gierig jede erreichbare Materie von nah und fern zu sich zerrten. In einer solchen Umgebung konnte man sich nie darauf verlassen, dass der Weltraum wirklich leer war. Kosmischer Staub war ein allgegenwärtiges Problem. Ein Raumschiff, das mit halber Lichtgeschwindigkeit flog und ohne Schutzschirm mit einem einzigen Staubkorn kollidierte, war danach schrottreif.

Deshalb hatte Mentro Kosum, der Pilot der CREST II, bereits reagiert, bevor Thora den Befehl zu Ende gesprochen hatte. Er brachte den Kugelraumer in Rekordzeit zum Stillstand.

Der Alarm verstummte.

»Was war das?«, fragte Rhodan. »Ein Angriff?«

Thora schüttelte stumm den Kopf. Sie modifizierte den Bildinhalt des primären Außenbeobachtungsholos. Um die obere Polkuppe der CREST II strahlte ein farbenfrohes Feuerwerk, als befände sich das Raumschiff nicht im Weltraum, sondern in der Erdatmosphäre, mitten im Polarlicht.

Rhodan brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er sah. »Der Libraschirm desaktiviert sich?«, vergewisserte er sich. »Ein technisches Problem?«

»Eher menschliches Versagen, wie ihr das so schön nennt.« Thora nickte. »Jemand hat die Notabschaltung der Schirmprojektoren betätigt und damit sämtliche Feldsegmente gesprengt. Im Flug, ohne Meldung, ohne Warnung, ohne Berechtigung.«

»Und wir beide wissen, wer«, sagte Rhodan. Menschliches Versagen traf die Sache nicht genau. Wohl eher omnitischer Spieltrieb.

Zornig eilte er aus der Zentrale.

 

Immerhin ließ Bingdu ihn nicht warten. Der geheimnisvolle und etwas wichtigtuerische Omnit war auf Rhodans Ruf hin sofort zur oberen Maschinensektion der CREST II gekommen.

Sie fanden Bingdus Artgenossen Merkosh kichernd zwischen den Maschinenblöcken. »Es tut mir leid«, sagte Bingdu. »Ich habe ihn nur fünf Minuten aus den Augen gelassen!«

»Das hätte fast gereicht, um unser Schiff zu zerstören«, grollte Rhodan.

Merkoshs Umwandlung vom Oproner zum Omniten war beinahe abgeschlossen. Sein schon immer halbtransparenter Körper war inzwischen fast gänzlich unsichtbar. Lediglich Gehirn und Augen waren gut zu erkennen. Sie hatten eine tiefschwarze Färbung angenommen und schwebten scheinbar haltlos in der Luft – aktuell vor der Bediensäule mit dem mehrfach gesicherten Notausschalter.