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Petros Markaris

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Ein Fall für
Kostas Charitos

Roman

Aus dem Neugriechischen von
Michaela Prinzinger

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 2012 bei

Samuel Gavrielides Editions, Athen, erschienenen Originalausgabe:

›Τίτλοι τέλους. Ο επίλογος‹

Copyright © 2014 by Petros Markaris und Samuel Gavrielides Editions

Der Text wurde für die 2015 im Diogenes Verlag erschienene deutsche Erstausgabe in Zusammenarbeit mit dem Autor nochmals durchgesehen

Covermotiv: Foto von Oliver Korb (Ausschnitt)

Copyright © Oliver Korb

 

 

Für Josefina, wie immer

 

 

All rights reserved

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © 2016

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 24380 2 (1. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60460 3

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] Inhalt

Zurück auf Start  [9]

Danksagung  [351]

Personenverzeichnis  [353]

Grieche ist man nicht durch Zugehörigkeit zum griechischen Volk, sondern durch Teilhabe an der griechischen Bildung.

Isokrates

[9] 1

Sie liegt auf dem Rücken in der Evelpidon-Straße, vor dem Eingang zum Gerichtsgebäude. Ihre Augen sind geschlossen. Eine Frau hat ihr die Handtasche unter den Kopf geschoben, kniet neben ihr und fächelt ihr mit einem Dossier Luft zu.

Es ist ein Uhr, und die Mittagshitze nimmt einem den Atem. Auf ihrer Stirn glänzen Schweißperlen. Ich beuge mich zu ihr hinunter und flüstere: »Katerina, kannst du mich hören?«

»Ihr Puls ist normal«, sagt die Frau.

Kann sein, aber Katerina gibt mir weder eine Antwort, noch schlägt sie die Augen auf. Selbst durch meine Schuhsohlen hindurch spüre ich den glühend heißen Bürgersteig. Ich habe Angst, dass sie sich Verbrennungen holt, doch ich traue mich nicht, sie hochzuheben. Jemand bringt eine Flasche Wasser. Ich befeuchte ein Taschentuch und kühle ihr damit Stirn und Wangen.

»Schlechte Nachrichten kommen immer aus heiterem Himmel«, pflegte mein seliger Vater zu sagen. Ich war gerade mit Gikas und Gonatas von der Antiterrorabteilung in einer Besprechung, als uns Gikas’ Sekretärin Stella unterbrach.

»Herr Kommissar, Koula sagt, Sie sollen sofort runterkommen. Es ist dringend!«

[10] »Was gibt’s?«

»Mehr weiß ich auch nicht.«

Koula erwartete mich schon auf dem Korridor.

»Was ist passiert? So reden Sie schon.«

»Das Wachpersonal des Gerichts hat angerufen. Katerina ist vor dem Gebäude überfallen worden.«

»Wo ist sie jetzt?«

»Immer noch dort. Sie konnten mir nicht sagen, wie ernst ihr Zustand ist.«

»Vlassopoulos soll mir sofort einen Streifenwagen beschaffen.«

In der Zwischenzeit rief ich Fanis an, der daraufhin einen Krankenwagen organisierte. Zunächst wollte ich auch Adriani Bescheid geben, ließ jedoch schnell wieder davon ab. Ich machte mir besser erst selbst ein Bild von der Lage, bevor ich – womöglich grundlos – die Pferde scheu machte.

Aus der Ferne ist die Sirene des Krankenwagens zu hören, und ich beiße die Zähne zusammen, bis Fanis eintrifft.

»Katerina, hörst du mich?«, versuche ich es noch einmal.

»Ja«, wispert sie diesmal, doch ihre Augen bleiben zu.

Der Krankenwagen hält vor dem Haupteingang des Gerichtsgebäudes, und sofort bilden die Schaulustigen ein Spalier. Als Erster steigt Fanis aus dem Wagen, wirft mir einen flüchtigen Blick zu und eilt zu Katerina. Er kniet sich neben sie und zieht mit dem Finger ein Augenlid hoch. Dann fühlt er den Puls und will dasselbe wissen wie ich:

»Katerina, ich bin’s, Fanis. Kannst du sprechen?«

»Sie haben mich zusammengeschlagen, Fanis«, erwidert sie.

Fanis schließt die Augen und stößt einen erleichterten Seufzer aus.

[11] »Sie haben mich zusammengeschlagen«, wiederholt sie, während ihr Tränen über die Wangen laufen.

»Ja, das sehe ich«, lautet Fanis’ ruhige Antwort. »Jetzt kommst du erst mal mit ins Krankenhaus zur Untersuchung. Du hast Schmerzen, ich weiß, aber bald geht’s dir wieder besser.«

Fanis ruft die Sanitäter herbei, die Katerina auf die Tragbahre heben und zum Krankenwagen bringen.

»Ist es was Ernstes?«, wende ich mich an Fanis, obwohl mir klar ist, dass er meine Frage noch nicht beantworten kann.

»Auf den ersten Blick sieht es nicht danach aus. Aber erst ein CT wird Gewissheit bringen.«

Bevor ich Adriani anrufe, muss ich mich erst etwas beruhigen. Ich blicke mich um. Das Spektakel ist vorbei, und die Zuschauer verlassen den Schauplatz. Nur die Frau, die sich anfangs um Katerina gekümmert hat, die beiden Wachen, die vor dem Eingang zum Gericht stehen, und zwei afrikanische Migranten bleiben zurück. Ein Stück weiter unterhält eine pummelige Frau die ganze Umgebung mit Musik, die aus ihren Ohrstöpseln scheppert.

»Und wer sind Sie?«, fragt Vlassopoulos die Afrikaner.

»Mandant von Frau Charitou«, antwortet der eine.

»Sind mitgekommen zu Gericht«, ergänzt der andere.

»Wo kommen Sie her?«, frage ich.

»Aus Senegal«, meint der Erste.

»Sie müssen eine polizeiliche Aussage machen«, erklärt ihnen Vlassopoulos.

Der eine Wachpolizist zieht ein Paar Handschellen aus seiner Gesäßtasche und will sie dem ersten Afrikaner anlegen.

[12] »Was soll das?«, fragt Vlassopoulos schroff.

»Wer sagt denn, dass es nicht die beiden waren?«, erwidert der andere Wachmann von oben herab.

»In dem Fall kann ich Sie ja auch gleich festnehmen.«

Der Kerl stutzt und sucht nach einer Antwort. Da ihm kein Gegenargument einfällt, steckt er die Handschellen wieder weg. Doch sein Kollege kann sich Vlassopoulos gegenüber eine dumme Bemerkung nicht verkneifen: »Die spielen jetzt hier die Unschuldslämmer.«

»Es waren aber nicht sie, die die junge Frau attackiert haben, sondern deine Kumpels von der Goldenen Morgenröte!«, bricht es aus der Frau heraus. »Das habe ich mit eigenen Augen gesehen.«

»Wie bitte? Sagen Sie das noch mal«, sagt der Wachmann und geht drohend auf sie zu.

»Schluss mit dem Hickhack!«, rufe ich, und der Wachpolizist hält inne. »Was genau haben Sie beobachtet?«, frage ich die Frau.

»Ich habe hier am Haupteingang auf meinen Anwalt gewartet. Dann ist die junge Frau mit ihren Mandanten herausgekommen. Plötzlich sind zwei junge Männer in schwarzen Shirts auf einem Mofa herangebraust. Sie sind über den Bordstein gefahren, der eine ist vom Mofa gesprungen und mit einem Schlagring auf die junge Frau losgegangen. Die beiden Afrikaner wollten dazwischengehen, doch der andere auf dem Mofa hat ihnen zugerufen: ›Wehe, ihr rührt euch! Dann seid ihr tot, ihr schwarzen Hunde!‹ Erst als die junge Frau zu Boden ging, hat der Angreifer von ihr abgelassen. Danach ist er auf das Mofa gesprungen, das dann im Straßenverkehr verschwunden ist.«

[13] »Und Sie haben gar nichts mitbekommen?«, fragt Vlassopoulos die beiden Wachen.

»Wir waren ganz auf unsere Arbeit konzentriert. Eine Ansammlung von Menschen ist ja nichts Besonderes. Am Haupteingang des Gerichts ist immer viel los.«

»Wir haben auch nichts Ungewöhnliches gehört«, fügt der Zweite hinzu.

»Das stimmt«, bestätigt die Frau. »Ich habe nicht geschrien, weil ich Angst hatte, dass sie auch mich angreifen.«

»Haben Sie das Nummernschild des Motorrads gesehen?«, frage ich.

»Das war von hier nicht zu sehen. Und dann ist der Fahrer davongerast.«

Vlassopoulos versucht, aus der Frau mit den Ohrstöpseln etwas herauszukriegen.

»Ich bin erst später gekommen und habe nichts mitgekriegt«, entgegnet sie und schickt noch die Bemerkung hinterher: »Musste die Frau denn Schwarze vor Gericht vertreten? Sind ihr unsere Landsleute nicht gut genug?«

Früher steckten wir uns Stöpsel ins Ohr, um ruhig zu schlafen. Heute tun wir es, damit wir um uns herum nichts mehr wahrnehmen.

Auch die beiden Afrikaner haben sich das Nummernschild nicht gemerkt.

»Wir nur schauen auf Katerina«, erklärt mir der eine.

»Von Ihnen beiden will ich eine schriftliche Aussage«, sage ich zu den Wachen. Dann wende ich mich den drei anderen zu. »Und Sie fahren zur Vernehmung mit dem Kriminalobermeister ins Präsidium.«

»Kann ich nicht morgen kommen?«, fragt die Frau. »Wenn [14] mein Termin aufgeschoben wird, dann kriege ich erst in sechs Monaten einen neuen. Und das nur, wenn ich Glück habe.«

Vlassopoulos notiert ihre Personalien und bestellt sie für den nächsten Tag aufs Präsidium. Die beiden Afrikaner begleiten ihn zum Streifenwagen.

»Kommen Sie mit, Herr Kommissar?«, fragt er.

»Nein, ich fahre ins Krankenhaus.«

Bevor ich aufbreche, ziehe ich mich in eine ruhige Ecke zurück und rufe Adriani an. Ich versuche alles so harmlos wie möglich darzustellen.

»Es sieht nicht schlimm aus.«

»Und wo ist sie jetzt?«

»Fanis hat sie ins Allgemeine Staatliche Krankenhaus gefahren. Dort wird man sie zur Sicherheit untersuchen.«

Den Krankenwagen lasse ich unter den Tisch fallen.

»Gibt es bei Gericht denn keinen Polizeischutz?«, wundert sie sich.

»Doch, aber sie wurde ja draußen auf dem Bürgersteig angegriffen.«

»Ich fahre gleich ins Krankenhaus.«

»In Ordnung, dann treffen wir uns dort«, sage ich und halte ein Taxi an.

Auf der Fahrt gehen mir zwei Fragen nicht aus dem Kopf. Die erste lautet: Woher wussten diese Schlägertypen, dass Katerina heute einen Gerichtstermin hatte? Hat man sie beschattet und den beiden durchgegeben, wann sie bei Gericht war? Oder kommen die Informanten gar aus den Reihen der Justiz? Ich ziehe die erste Annahme vor, da sie naheliegender – und weniger argwöhnisch – ist.

[15] Die zweite Frage lautet: Wo waren ihre »Leibwächter« abgeblieben? Katerina wird schon seit Monaten von der Goldenen Morgenröte bedroht, da sie fast nur Migranten vertritt. Sissis hat zu ihrem Schutz ein paar Rentner aus dem Obdachlosenheim abbestellt, in dem er ehrenamtlich arbeitet. Dahinter stand der Gedanke, dass die Neonazis es nicht wagen würden, alte Leute zu attackieren und so die öffentliche Meinung gegen sich aufzubringen. Heute war Katerina ohne ihre Leibwache unterwegs gewesen. Aus welchem Grund? Das kann uns wohl nur Katerina selbst sagen, sobald sie dazu imstande ist.

»Wie sehen Sie die Lage?«, fragt mich der Taxifahrer.

»Genau so wie Sie«, sage ich kurz angebunden, da ich keine Lust auf Kaffeeklatsch habe, der sich neuerdings – allerdings ohne Kaffee – ins Taxi verlagert.

»Uns steht das Wasser nicht bloß bis zum Hals«, beharrt er, »sondern bereits so hoch, dass wir bald mit Unterwassertaxis rumfahren und Fische statt Fahrgäste transportieren.«

[16] 2

Fanis hat Katerina in die Kardiologie verlegen lassen, damit er sie direkt beaufsichtigen kann. Er hat ihr sogar ein Einzelzimmer besorgt. Auf dem Flur treffe ich Adriani, Katerinas Geschäftspartnerin Mania und deren Freund Uli, doch das Krankenzimmer ist leer.

»Sie ist gerade bei der Computertomographie«, antwortet Adriani auf meinen fragenden Blick. »Vielleicht machen sie auch noch eine Kernspintomographie. Das wissen sie noch nicht.«

Ich geselle mich also zu den Wartenden. Aber wenn ich dachte, still und in mich gekehrt dasitzen zu können, hatte ich mich gründlich getäuscht.

»Also wirklich! Gibt es in unserem Land eine Polizei oder nicht?«, fragt Adriani.

Ich versuche mich zu beherrschen, da meine Nerven blankliegen.

»Katerina wurde vor dem Gerichtsgebäude angegriffen. Drinnen wäre man sofort eingeschritten. Die Polizei kann nicht auch noch die Bürgersteige bewachen.«

»Du stellst dich schützend vor deine Kollegen, das verstehe ich. Aber die Sache war doch eher so: Die Wachpolizisten haben gesehen, wie Katerina mit den beiden Schwarzen aus dem Gericht kam. Und als sie attackiert wurde, haben sie sich gedacht: ›Gut so, recht geschieht ihr!‹, und haben [17] sie ihrem Schicksal überlassen. So weit ist es mit der Polizei gekommen!«

Da sie möglicherweise recht hat, fällt meine Reaktion heftig aus.

»An allem ist die Polizei schuld!«, sage ich. »Selbst wenn zwei Mieter in einem Wohnhaus streiten, ist die Polizei schuld, weil sie nicht gleich zur Stelle ist, um sie zu trennen!«

Mania nimmt Adriani am Arm, führt sie beiseite und spricht leise auf sie ein. Was für ein Glück, dass Katerina – durch einen puren Zufall – ihre alte Freundin Mania wiedergetroffen hat. Mania war an Katerinas Seite, nachdem ihr Sissis ihre Auswanderungpläne ausgeredet hatte. Mania hat sie dazu gebracht, eine Anwaltskanzlei zu eröffnen und eine neue berufliche Perspektive zu entwickeln. Und mit Sicherheit wird sie sich auch jetzt wieder gut um sie kümmern, denn sie ist eine tolle Psychologin und weiß immer Rat. Doch erst mal muss feststehen, dass Katerina keinen gesundheitlichen Schaden davongetragen hat.

Ich rufe Sissis im Obdachlosenheim an und erzähle ihm die Neuigkeiten. Er hört mir zu, ohne mich zu unterbrechen, und am Schluss fragt er bedrückt: »Wie ernst ist es?«

»Das wissen wir noch nicht. Sie machen gerade eine Computertomographie.«

»Gut, ich bin gleich da.«

»Noch eine Frage, bevor du aufbrichst. Heute waren die Leibwächter, die du ihr besorgt hast, nicht dabei. Weißt du vielleicht, warum?«

»Ja, ich habe sie im Heim gesehen und gefragt, warum sie nicht bei Katerina sind. Und sie haben mir erklärt, sie [18] würden heute nicht gebraucht. Das kommt häufiger vor, und so habe ich mich nicht weiter darum gekümmert.«

Hm, das passt mir nicht ins Konzept. Normalerweise verzichtet Katerina auf ihre Schutztruppe, wenn sie im Büro zu tun hat. Aber warum hat sie ihre Leibwächter nicht zu ihrem heutigen Gerichtstermin mitgenommen?

Meine Gedanken werden jäh unterbrochen, als Katerina in den Korridor geschoben wird. Fanis geht neben ihr her und hält ihre Hand. Katerina hat nun endlich die Augen aufgeschlagen und blickt uns mit einem schwachen Lächeln an.

Als ich auf sie zugehen will, kommt mir Adriani zuvor und begrüßt Katerina stürmisch: »Mein Schatz, wie geht es dir?«

Ehe sie ihre Tochter umarmen kann, schaltet sich Fanis ein.

»Es geht ihr gut, Adriani. Hab noch ein bisschen Geduld, bis wir sie im Zimmer untergebracht haben.«

An seiner Miene kann ich ablesen, dass es ihm ernst damit ist. Die Sanitäter heben Katerina aufs Bett. Als Adriani vor der Tür des Krankenzimmers einen weiteren Vorstoß unternehmen will, tritt Fanis erneut dazwischen.

»Nicht alle gleichzeitig, Adriani. Katerina ist überanstrengt und muss sich ausruhen.« Dann hält er inne und fügt hinzu: »Nur Mania darf bleiben.«

»Aber ich bin doch ihre Mutter, Fanis«, protestiert Adriani erbost.

»Ich weiß. Mania soll dich ja auch nicht ersetzen. Aber Katerina hat bis jetzt den Mund nicht aufgemacht. Sie muss jedoch über die Sache reden. Das wird ihr bei einer Psychologin leichter fallen.«

[19] Fanis tritt mit Mania ins Krankenzimmer und schließt die Tür hinter sich.

»Was? Ihr fällt es leichter, mit Mania zu sprechen als mit ihrer Mutter?«, wundert sich Adriani.

Fanis’ Aussage, dass Katerina glimpflich davongekommen ist, beruhigt mich, und so warte ich geduldig, bis ich mit ihr sprechen kann. Ich gehe zu Adriani und fasse sie am Arm.

»Es ist nichts Ernstes, das ist das Wichtigste«, sage ich. »Wenn sie sich etwas erholt hat, können wir uns in aller Ruhe mit ihr unterhalten.«

»Als Mutter geht es mir unter die Haut, wenn ich mein Kind auf der Krankenbahre sehe. Mein Schwiegersohn kann mir nicht einfach verbieten, mit meiner Tochter zu sprechen.«

Zum Glück muss ich sie nicht weiter hinhalten, denn Fanis tritt aus dem Krankenzimmer und kommt auf uns zu.

»Sie hat nur äußere Verletzungen«, erläutert er. »Eine leichte Gehirnerschütterung von einem Schlag, der sie zum Glück nicht voll auf den Kopf getroffen hat, blaue Flecke auf dem Rücken und an den Rippen, das ist alles. Sie hat zwar Schmerzen, aber die vergehen wieder. Wir behalten sie zur Beobachtung hier, und morgen wird sie nach Hause entlassen.« Er wendet sich an Adriani: »Das Problem ist, dass sie unter Schock steht und nicht reden will. Deshalb sollte Mania zuerst zu ihr reingehen. – Das ist nichts gegen dich«, fügt er auf seine bedächtige Art hinzu.

Adriani fällt ihm in die Arme und fängt an zu weinen.

»Komm, beruhige dich«, meint Fanis. »Es ist nichts Schlimmes, dafür garantiere ich.«

Adriani klammert sich immer noch schluchzend an ihn.

[20] In dem Moment taucht Sissis auf. Als er Adriani in Fanis’ Armen heulen sieht, erstarrt er vor Schreck.

»Keine Sorge, Adriani sind nur die Nerven durchgegangen«, erkläre ich ihm.

Wie auf Knopfdruck hört Adriani auf, löst sich aus Fanis’ Armen und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Alles in Ordnung, Lambros. Es geht schon wieder«, sagt sie zu Sissis.

»Wie ist es denn passiert?«, fragt er, und ich erzähle ihm, was ich von den Augenzeugen erfahren habe.

Uli hat sich auch zu uns gesellt, um die Einzelheiten zu hören. In den zwei Jahren, die er nun schon mit Mania in Griechenland lebt, hat er so gut Griechisch gelernt, dass er fast alles versteht und sich passabel verständigen kann.

»Die deutschen Neonazis attackieren hauptsächlich Ausländer«, bemerkt er. »Die griechischen Neonazis attackieren ihre eigenen Landsleute. Ihr macht aber auch alles verkehrt!«

Seit ich Katerina reglos auf dem Bürgersteig liegen sah, suche ich verzweifelt nach einer Gelegenheit, an irgendjemandem mein Mütchen zu kühlen. Jetzt muss Uli dran glauben.

»Du hast dich ja in Griechenland gut eingelebt, aber das deutsche Denken hast du noch nicht abgelegt«, schäume ich. »Sag Bescheid, wo die deutschen Neonazis ihre Seminare abhalten, dann schicken wir unsere hin, damit sie in Zukunft alles richtig machen!«

Sissis nimmt mich beschwichtigend am Arm.

»Lass gut sein. Die Deutschen verstehen unsere Reformbestrebungen einfach nicht.«

[21] »Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?«, frage ich erstaunt.

»Im Zweiten Weltkrieg nannte man diese Schweine Kollaborateure«, meint Sissis, »heute heißen sie Neonazis. Das sind Reformen auf griechische Art, aber das verstehen die Deutschen nicht.«

Da geht die Tür zu Katerinas Zimmer auf, und Mania tritt heraus. Alle stürzen sich auf sie.

»Frau Adriani, gehen Sie zu ihr, aber keine Tränen und keine Aufregung. Sie muss zur Ruhe kommen.« Als Adriani im Zimmer verschwunden ist, sagt sie zu uns: »Die guten Neuigkeiten habt ihr ja schon von Fanis erfahren.«

»Gibt’s denn auch schlechte?«, fragt Fanis besorgt.

»Nein, aber sie wird noch eine Weile brauchen, um darüber hinwegzukommen«, erläutert sie. »Zu wissen, dass man angegriffen werden kann, und tatsächlich attackiert zu werden sind zwei grundverschiedene Dinge. Dazu kommt noch, dass keiner der Schaulustigen eingegriffen hat. Das macht ihr schwer zu schaffen.«

»Morgen kann sie nach Hause«, sagt Fanis. »Dann lässt sie sich ein paar Tage von Adriani aufpäppeln.«

»Sie sollte so schnell wie möglich an ihren Arbeitsplatz zurückkehren«, hält Mania entschieden dagegen. »Dieser ›Unfall‹ darf sich nicht weiter auf ihr Leben auswirken. Zu Hause zu sitzen und darüber nachzugrübeln tut ihr nicht gut. Außerdem kann ich sie im Büro moralisch unterstützen.«

Als eine Krankenschwester mit dem Medikamentenwagen ins Zimmer tritt, muss Adriani das Zimmer verlassen.

»Es steht nicht schlecht um sie«, meint sie erleichtert. »Sie [22] muss zwar jedes Mal weinen, wenn sie redet, aber das schadet ja nicht. Weinen tut immer gut.« Nachdem sie damit ihr eigenes psychologisches Gutachten abgegeben hat, sagt sie zu mir: »Jetzt kannst du rein.«

Ich winke Sissis heran, da ich weiß, dass Katerina sich über seinen Besuch freuen wird. Dann trete ich an ihr Bett und greife mit der Rechten nach ihrer Hand, die auf dem Bettlaken liegt, während ich ihr mit der Linken übers Haar streichle. Sissis bleibt diskret an der Tür stehen.

»Kein Einziger, Papa!«, wispert sie. »Wie kann das sein? Die Leute haben doch gesehen, wie er mit dem Schlagring auf mich losgegangen ist. Warum hat keiner eingegriffen? Dabei waren es so viele, sie hätten ihn mit Leichtigkeit stoppen können.«

Bei diesen Worten laufen ihr Tränen über die Wangen.

»Manche ergreifen für die eine Seite Partei, manche für die andere«, sagt Sissis von der Tür her. »Der große Rest verhält sich neutral. Die Mehrheit hält sich einfach raus, Katerina.«

»Kann ich dich was fragen, mein Schatz? Warum war deine Schutztruppe heute nicht dabei?«

Noch während ich rede, verfluche ich den Bullen in mir, der sich nicht zurückhalten kann, obwohl die Antwort auf diese Frage im Nachhinein wenig nützt.

»Das ging nicht. Ich hatte Angst, dass sie mir bei dieser Mordshitze bis zum Ende des Gerichtstermins umkippen.«

»Du hättest ihnen am Kiosk eine Flasche Wasser kaufen und ihnen einen Platz im Schatten suchen können. Dann hätten sie das schon ausgehalten«, sagt Sissis zu ihr. »Ab morgen begleiten sie dich überallhin, auch wenn du nur eine Zeitung vom Kiosk holst.«

[23] »Hat man dich auch so verprügelt, Onkel Lambros?«, fragt Katerina.

»Mein ganzes Leben lang habe ich Prügel bezogen. Daher sage ich dir eins: Halte an deinen Überzeugungen fest, und lass dich von diesen Rüpeln nicht kleinkriegen. Nur eine Sache solltest du vermeiden.«

»Und was?«

»Dass der Hass von dir Besitz ergreift. Die feste Überzeugung, das Richtige zu tun, wird dir dabei helfen. Der Hass bringt dich nur von deinen Zielen ab.«

Damit tritt er ans Bett, beugt sich zu ihr hinunter und küsst sie sanft auf die Stirn. Katerina drückt seine Hand. Während ich die beiden beobachte, frage ich mich, ob Sissis – in solchen Momenten zumindest – nicht vielleicht der bessere Vater für Katerina wäre.

»Das ist das Einzige, was mir Angst macht«, sagt Sissis, als wir auf den Flur treten.

»Was denn?«

»Der Hass. Er wirkt wie eine Droge.«

»Alle anderen gehen jetzt, nur Adriani darf Katerina Gesellschaft leisten«, sagt Fanis zu uns. »Wenn sie weiß, dass ihr alle vor der Tür wartet, kriegt sie Stress. Und das tut ihr nicht gut.«

»Kann ich über Nacht bei ihr bleiben, Fanis?«, fragt Adriani schüchtern.

»Ja klar. Aber nur, wenn Katerina einverstanden ist.«

Adriani und Fanis gehen wieder in Katerinas Zimmer, während wir Übrigen den Heimweg antreten.

[24] 3

Normalerweise wäre ich sofort nach Hause gefahren. Angst und Anspannung haben mich, zusammen mit der Gluthitze, ziemlich ausgelaugt. Jetzt, da ich mich entspannen kann, bin ich zum Umfallen müde.

Andererseits möchte ich wissen, wie Vlassopoulos’ Vernehmung von Katerinas Mandanten gelaufen ist. Ich frage mich, welches Pflichtgefühl hierbei im Vordergrund steht: das kriminalistische oder das väterliche? Ich neige dem Zweiten zu. Unterm Strich hätten sich weder wir noch die Antiterrorabteilung besonders ins Zeug gelegt, hätte der Fascho von der Goldenen Morgenröte nicht Katerina, sondern irgendeine Unbekannte angegriffen.

Als ich in den Bus steige, klebt mir die Kleidung am Leib. Sofort spiele ich mit dem Gedanken, den Seat wieder in Betrieb zu nehmen. Seit Monaten steht er in der Garage des Präsidiums. Wenn wir finanziell ums Überleben kämpfen, macht es wenig Sinn, Geld für einen PKW auszugeben, wenn ich dienstlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln gratis fahren kann. Doch jetzt, da zusätzlich zur Hin- und Rückfahrt zur Arbeit auch noch die Besuche im Krankenhaus und später – bis zu Katerinas vollständiger Genesung – in ihrer Wohnung dazukommen werden, kostet mich der öffentliche Nahverkehr viel Zeit.

Es kann aber auch sein, dass ich Katerina als Vorwand [25] benutze, um den Seat zu reaktivieren. Dabei kommt mir das Argument der väterlichen Fürsorge gut zupass.

Auf dem Korridor der Dienststelle warten immer noch die beiden Afrikaner.

»Hat man euch noch gar nicht vernommen?«, frage ich überrascht.

»Wir auf Katerina gewartet«, entgegnet der eine.

»Wie geht ihr?«, will der andere wissen.

»Zum Glück ist es nichts Ernstes. Vor allem tun ihr die Verletzungen durch den Schlagring weh.«

»Für uns Katerina wie Schwester. Wir lieben sehr«, sagt der Erste.

Ihre Zuneigung rührt mich, obwohl Katerina dafür mit einem Krankenhausaufenthalt büßen muss.

»Kommt in mein Büro.«

Sie folgen mir auf den Fersen, doch gleichzeitig stürzen sich auch meine drei Assistenten auf mich: Koula, Dermitsakis und Papadakis. Katerinas Mandanten bleiben diskret an der Tür stehen.

»Wie geht es Ihrer Tochter, Herr Kommissar?«, fragt Koula.

Ich wiederhole die Kurzbeschreibung, die ich eben den beiden Senegalesen gegeben habe.

»Gott sei Dank, da ist sie noch mal glimpflich davongekommen«, meint Koula und bekreuzigt sich.

»Glück im Unglück«, fügt Dermitsakis hinzu.

»Ja, hat denn gar niemand eingegriffen?« Papadakis kann sich nur schwer damit abfinden.

»Nein, niemand.«

»Klar, warum muss sie sich auch mit Schwarzen [26] einlassen?«, bemerkt er mit bitterer Ironie. Damit zitiert er quasi die Frau mit den Ohrstöpseln, ohne sie zu kennen.

Sie wünschen Katerina gute Besserung und gehen wieder an ihre Arbeit. Dann bedeute ich den Senegalesen, dass sie jetzt an der Reihe sind. Während sie auf ein Zeichen von mir warten, um Platz zu nehmen, rufe ich noch schnell den Leiter unserer internen Autowerkstatt an und bitte ihn, den Seat kurz durchzuchecken.

»Warum seid ihr mit Katerina am Gericht gewesen?«, frage ich, als ich fertig bin.

»Laden von meine Freund Maurice kaputtgeschlagen«, sagt der Zweite und deutet auf seinen Sitznachbarn.

»Wo liegt der Laden?«

»In Acharnon-Straße, Ecke Lefkados. Maurice hat beide erkannt, die kaputtgeschlagen haben. Wir gehen auf Polizei. Sie uns sagen, wir sollen Anzeige machen, aber nix passiert. Dann wir gehen zu Katerina, und Katerina macht plainte

»Was?«

»Anzeige«, erläutert mir Maurice. »Heute war Gerichtstermin«, ergänzt er in korrektem Griechisch.

Nun kenne ich zumindest das Motiv der Täter. Die Typen von der Goldenen Morgenröte haben sie attackiert, weil die Angeklagten aus ihren eigenen Reihen sind.

An dieser Stelle unterbricht uns ein Anruf von Stella.

»Er will Sie sprechen.«

»Ich bin in fünf Minuten oben.«

Offenbar will Gikas seine Sorge um Katerina zum Ausdruck bringen.

»Ihre Tochter sehr gute Mensch. Hilft uns alle«, meint Maurice zu mir.

[27] ›Meine Tochter ist stur und will mit dem Kopf durch die Wand‹, sage ich zu mir selbst.

»Nächste Mal wir gehen ganz viele zusammen, dann sie können nicht schlagen«, erklärt sein Freund entschieden.

»Wie heißen Sie?«

»Cédric.«

»Auf gar keinen Fall, Cédric. Dann habt ihr schon verloren. Jetzt wissen wir ja Bescheid und übernehmen das.«

»Wir können besuchen Katerina?«, fragt Maurice.

»Ja, aber nicht heute. Morgen Vormittag.«

Gleich nach dem Ende der Befragung fahre ich zu Gikas hoch. Bei meinem Eintreffen springt Stella auf.

»Was für eine schreckliche Geschichte! Gute Besserung für Katerina!«

»Zum Glück ist alles glimpflich ausgegangen.«

»Hier herrscht mittlerweile das Gesetz des Dschungels. Des Dschungels, jawohl!«, ruft sie aus.

Ich bekräftige ihre Meinung mit einem Kopfnicken und trete in Gikas’ Büro. Sofort unterbricht er sein Hin- und Herlaufen und eilt auf mich zu.

»Wie geht es ihr?«, fragt er mit ehrlichem Interesse, da er Katerina sehr mag.

»Es ist nichts Dramatisches. Die Folgen der Schläge sind zwar schmerzhaft, aber das Schlimmste ist der Schock, den sie erlitten hat.«

»Wie ist es passiert?«

Ich erzähle ihm den Hergang in aller Kürze. Viele Einzelheiten gibt es ohnehin nicht zu berichten.

»Kann ich sie besuchen?«

[28] »Warten Sie lieber ab, möglicherweise wird sie noch heute entlassen.«

»Die reinsten Bestien!«, bemerkt er, und wie zur Bekräftigung wiederholt er: »Die reinsten Bestien!«

Der Taxifahrer vorhin hat seine Fahrgäste mit Fischen verglichen, Stella hat uns in den Dschungel versetzt und Gikas die wilden Bestien auf den Plan gerufen. Das Königreich Griechenland, das sich zur Hellenischen Republik weiterentwickelt hat, mutiert nun kurzerhand zum »Hellenischen Tierreich«.

»Was haben Sie vor?«, fragt Gikas.

»Nichts. Wir haben ja nicht einmal das Kfz-Kennzeichen des Motorrads. Also gehen wir davon aus, dass Katerina zur falschen Zeit am falschen Ort war, und vergessen das Ganze.«

Er klopft mir verständnisvoll auf den Rücken.

Dann fahre ich in die Garage hinunter, um den Seat zu holen. Vor dem Nachhauseweg möchte ich noch am Krankenhaus vorbeifahren. Der Seat springt problemlos an. Sobald ich in die Messojion-Straße einbiege, läutet mein Handy. Unruhe erfasst mich, denn bei mir schrillen mittlerweile bei jedem Telefonklingeln die Alarmglocken.

Eine unbekannte Männerstimme am Telefon sagt: »Sieh zu, dass du deine Tochter in den Griff kriegst, sonst ergeht’s ihr noch schlimmer, Kommissar.« Dann klickt es in der Leitung.

Meine böse Vorahnung hat sich bestätigt, doch ganz anders als erwartet. Wie haben diese Rowdys nur meine Handynummer herausbekommen? Ein Anruf auf der Dienststelle wäre nachvollziehbar gewesen. Aber meine [29] Mobilfunknummer ist nur einer Handvoll von Leuten bekannt: Adriani, Katerina, Fanis, Mania, Sissis und ein paar Beamten aus dem Präsidium. Das heißt, jemand aus dem Präsidium hat sie weitergegeben.

Nun, ich mache mir zwar nichts vor. Mir ist klar, dass die Goldene Morgenröte ihre Kontakte zur Polizei hat. So, wie es Polizeibeamte gibt, die korrupt werden, gibt es auch Faschos, die Polizisten werden. Aber es ist doch etwas ganz anderes zu wissen, dass solche Kreise meine Handynummer kennen. Und vermutlich nicht nur meine Handynummer, sondern auch andere Daten, meine Personalakte und weiß der Geier, was sonst noch.

Mit diesen Gedanken im Kopf erreiche ich das Allgemeine Staatliche Krankenhaus und begebe mich zu Katerinas Zimmer. Adriani sitzt auf dem Flur und unterhält sich mit Fanis. An ihren Mienen kann ich ablesen, dass alles im Lot ist.

Adriani bestätigt meinen Eindruck.

»Sie schläft.«

»Sie hat Schmerzmittel und eine Beruhigungsspritze bekommen«, erklärt mir Fanis.

Ich gehe zur Zimmertür und öffne sie leise. Katerina hat sich auf die Seite gedreht und schlummert friedlich. Ich ziehe die Tür ins Schloss und kehre zu meiner Frau und meinem Schwiegersohn zurück.

»Wann wird sie entlassen?«, frage ich Fanis.

»Morgen früh werden ein paar Kollegen sie noch mal untersuchen, vor allem der HNO-Arzt, weil sie rechts Ohrgeräusche hat, wahrscheinlich von dem Schlag auf den Kopf. Eine Gehirnerschütterung ist nicht zu unterschätzen, besser, [30] ein Facharzt schaut noch einmal drauf. Dann bringe ich sie nach Hause. Ich kann sie hoffentlich davon überzeugen, ein paar Tage halblang zu machen und nicht sofort wieder voll loszulegen.«

»Das wird sie aber fraglos tun«, sagt Adriani im Brustton der Überzeugung. »Sie ist genauso ein Dickschädel wie ihr Vater.«

»Also bin ich schon wieder schuld?«, frage ich und lache.

»Ich sag dir eins, Kostas: Wenn ich nicht sicher wüsste, dass ich sie zur Welt gebracht habe, würde ich sagen, du hast sie mit einer anderen Frau gezeugt. Von mir hat sie nämlich rein gar nichts.«

»Darüber könnt ihr zu Hause weiterplaudern. Das müsst ihr nicht vor eurem Schwiegersohn klären«, meint Fanis lachend, um einem Ehestreit vorzubeugen.

»Sie wollte, da sie heute hier übernachtet, ihre Standpauke noch schnell loswerden«, erläutere ich Fanis.

Adriani blickt mich von oben herab an, setzt die Diskussion jedoch nicht fort.

Ich verlasse das Krankenhaus beruhigt und erleichtert. Nur die Sache mit der Handynummer lässt mir keine Ruhe.

[31] 4

Als ich durch den Tunnel an der Messojion-Straße fahre, packt mich die Angst. Die Vorstellung, in eine leere Wohnung zurückzukehren, mit der Fernbedienung in der Hand allein vor dem Fernseher zu sitzen und ständig an Katerina und Adriani zu denken, lässt mich auf der Stelle kehrtmachen. Da sitze ich tausendmal lieber auf dem Krankenhausflur herum.

Schließlich kehre ich aber doch nicht ins Krankenhaus zurück, sondern biege am Autobahnkreuz Messojion-Straße nach rechts in die Fidipidou in Richtung Alexandras-Boulevard. Der einzige Mensch, der mich jetzt aufbauen kann, ist Sissis. Daher habe ich spontan beschlossen, beim Obdachlosenheim vorbeizuschauen. Sissis’ Gesellschaft wird mich etwas beruhigen, bevor ich schlafen gehe.

Bei meinem Eintreffen plaudert er gerade mit einem älteren Pärchen. Als er meinen Gesichtsausdruck sieht, beendet er das Gespräch rasch mit einem »Na dann, bis morgen!«.

»Ist was passiert?«, fragt er mich besorgt.

»Nein, alles unter Kontrolle. Nur halte ich es zu Hause allein nicht aus. Wenn du nichts Besseres zu tun hast, würde ich dir gern ein bisschen Gesellschaft leisten.«

»Komm rein.«

Er führt mich von der Cafeteria des Obdachlosenheims in der Ajias-Sonis-Straße zu einer Parkbank. Uns gegenüber [32] sitzt eine Afrikanerin mit einem Kleinkind im Kinderwagen.

»Warte kurz, ich bin gleich wieder da«, sagt er und verschwindet.

Ich bleibe allein zurück und betrachte die Fußgängerzone mit ihrer Grünanlage. Die Afrikanerin schaukelt den Kinderwagen und beaufsichtigt gleichzeitig ihre anderen beiden Kinder, die Fangen spielen. Ein Stück entfernt unterhält sich eine Gruppe Afrikaner lautstark auf Französisch und bricht immer wieder in Gelächter aus.

Als Sissis mit zwei Pappbechern Kaffee zurückkommt, hat mich die friedliche Atmosphäre des Viertels schon richtig eingelullt.

»Mach dich nicht verrückt«, meint Sissis zu mir. »Katerina nimmt ihr normales Leben wieder auf. Ich war immer wieder im Gefängnis oder im Exil. Wenn sogar ich es geschafft habe, in die Normalität zurückzukehren, wird es Katerina doch auch schaffen, oder?« Er wartet ab, bis das erneute Gelächter der Afrikaner abgeklungen ist, und fährt dann fort: »Katerina will ja ungefähr dasselbe wie wir damals.«

»Wie meinst du das?«, frage ich.

»Was will Katerina erreichen? Dass diese Menschen«, er deutet auf die Gruppe von Männern, »ein normales Leben führen können.« – »Was wollten wir? Eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz. Jetzt könntest du sagen: ›Das ist Blödsinn.‹ Und damit hättest du sogar recht!«

»Das sagst gerade du?«

»Was denn für eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz, Kostas? Die haben wir nicht mal hingekriegt, als wir im Exil waren. Sobald man von der vorgegebenen Linie [33] abwich, war man unten durch. Man kann eine Gesellschaft nicht auf Angst gründen, aber das wussten wir damals nicht. Dasselbe gilt auch für Katerina. Glaubst du, diese Asylanten werden je ein normales Leben führen? Hatten wir denn in Taschkent ein normales Leben? Deshalb sage ich dir: alles Blödsinn. Oder auch: verlorene Liebesmüh. Aber das ist mittlerweile auch egal. Wichtig ist doch, dass deine Tochter für etwas kämpft, so wie auch wir für etwas gekämpft haben. Hier liegt der Unterschied zwischen uns beiden.«

»Das musst du mir erklären.«

»Ihr habt eure Arbeit oder eure Pflicht getan. Nenn es, wie du willst. Wir haben für etwas gekämpft. Vielleicht für etwas Unsinniges.«

»Gut, ›Arbeit‹ lasse ich gelten. Aber ›Pflicht‹ ist auch ein unsinniger Begriff.«

Dann erzähle ich ihm von dem Fascho-Anruf auf meinem Handy.

»Was hatten wir nach dem Bürgerkrieg?«, fragt er mich anstelle einer Antwort.

»Das weißt du genau. Armut und Elend – ihr auf der einen, wir auf der anderen Seite. Und den gegenseitigen Hass.«

»Wir hatten aber noch was anderes.«

»Und zwar?«

»Den Schattenstaat. Der ist nämlich wieder da, Kostas. Nur dass jetzt der Schattenstaat nicht von Politikern gemacht wird, um uns und alle anderen politischen Gegner zu terrorisieren. Er ist eine Ausgeburt der Krise. Unser Land legt sich wieder einen Schattenstaat zu. Deine Tochter ist eins seiner Opfer, und einige deiner Kollegen sind, wie früher, seine Helfershelfer.«

[34] »Und was soll ich tun?«

»Deine Tochter tut schon viel. Aber auch ohne Katerina wärst du nicht auf der Seite des Schattenstaates. Ich kenne dich.«

Die Afrikaner lachen noch einmal laut auf, als wollten sie sich über unsere Worte lustig machen.

Trotz seiner schwermütigen Art ist es Sissis gelungen, mich so weit zu beruhigen, dass ich einschlafen konnte. Und ich hätte noch länger geschlafen, wenn mich das Klingeln des Telefons nicht geweckt hätte.

»Wir haben einen Toten, Herr Kommissar«, höre ich Dermitsakis’ Stimme.

»Dermitsakis, bin ich ein Beerdigungsinstitut?«

»Tja, das zuständige Polizeirevier meint, es handle sich zu neunundneunzig Prozent um einen Selbstmord. Aber da es um einen deutschen Staatsbürger mit griechischen Wurzeln geht, sollen wir auch einen Blick auf ihn werfen, um Probleme mit der deutschen Botschaft zu vermeiden.«

»Hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen?«

»Nein, und das ist verdächtig.«

»Gib mir die Adresse durch.«

»Kritis-, Ecke Souliou-Straße in Neo Psychiko. Der Typ heißt Andreas Makridis.«

Ich hatte ohnehin vor, zuerst beim Krankenhaus vorbeizuschauen, und Neo Psychiko liegt auf meinem Weg. Ein kurzer Halt wird mich nicht viel Zeit kosten.

»Gut, ich fahre dort vorbei, aber gib der Gerichtsmedizin Bescheid, damit wir durch einen offiziellen Autopsiebericht abgesichert sind.«

[35] Ich ziehe mich rasch an und verschiebe meinen morgendlichen süßen Mokka auf später, wenn ich im Präsidium bin. Dann rufe ich noch schnell Adriani an, die mir Erfreuliches zu berichten hat.

»Sie hat durchgeschlafen. Sie hat zwar Schmerzen, aber Fanis sagt, die würden mit Salben und Schmerzmitteln behandelt. Jetzt warten wir gerade auf die Visite.«

Dieser kleine Aufschub gibt mir Gelegenheit, ohne große Gewissensbisse nach Neo Psychiko zu fahren. Und das Glück lacht mir weiterhin, da meine Fahrspur auf der Messojion-Straße nur wenig befahren ist.

An der Ecke zur Kritis-Straße steht ein fünfstöckiges Wohnhaus. Vor dem Eingang wartet der Streifenwagen samt Fahrer.

»In der dritten Etage, Herr Kommissar«, erklärt er mir.

Auf dem Flur stehen ein paar Anwohner, die sich leise unterhalten. Die Tür des Apartments steht halb offen, und ein uniformierter Beamter bewacht den Zugang. Mit einem kurzen Gruß lässt er mich vorbei.

Im Vorraum stehen noch zwei weitere Beamte.

»Er ist im Schlafzimmer, Herr Kommissar«, sagt der eine. »Kein schöner Anblick.«

Als er die Schlafzimmertür aufstößt, sehe ich Makridis über seinem Bett baumeln. Er hat das Seil am Lampenhaken festgemacht. Eine Haushaltsleiter steht neben dem Bett. Offenbar hat er sie benutzt, um das Seil am Haken zu befestigen.

»Wer hat ihn gefunden?«

»Die Putzfrau, die auch die Funkstreife gerufen hat. Wir haben sie hierbehalten, damit Sie mit ihr sprechen können.«

[36] »Wie ich höre, gibt es keinen Abschiedsbrief.«

»Nein. Wir haben die Wohnung zwar nicht durchsucht, aber auf den ersten Blick war keiner zu finden.«

»Bei Selbstmorden liegt der Abschiedsbrief selten im Tresor«, sage ich. »Wenn Sie keinen gesehen haben, dann wird’s auch keinen geben.«

»Sollen wir ihn runterholen?«

»Warten Sie lieber auf den Gerichtsmediziner.«

»Wozu, Charitos?«, höre ich Stavropoulos’ Stimme hinter mir. »Der Mann hat sich umgebracht. Seit wann müssen Erhängte obduziert werden?«

Ich erläutere ihm, dass der Selbstmörder zwar griechischer Herkunft, aber deutscher Staatsbürger ist.

»Die Deutschen reiben uns schon oft genug unter die Nase, dass wir die Reformen verschleppen und dass die Steuereinnahmen hinter den Erwartungen zurückbleiben. Da sollen sie uns nicht auch noch vorwerfen können, dass wir Mord und Selbstmord nicht auseinanderhalten können.«

»Da haben Sie recht, die schrecken vor nichts zurück.«

Das ist eines der wenigen Male, dass wir einer Meinung sind. Eins muss man zugeben: Die Deutschen bringen uns einander näher.

»Es handelt sich zweifelsfrei um Selbstmord. Nur sichere ich mich lieber für alle Fälle durch einen Autopsiebericht ab.«

Ich lasse ihn mit seinem Assistenten zurück und gehe ins Wohnzimmer. Es ist einfach eingerichtet: eine schlichte Sitzgarnitur und dem Sofa gegenüber der unvermeidliche Fernseher. Das einzige auffällige Möbelstück ist ein vollgestopftes Bücherregal, das eine ganze Wand einnimmt.

[37] Die Putzfrau sitzt in einem Sessel und hat den Kopf in die Hände gestützt. Als sie mich kommen hört, hebt sie den Blick. Sie ist nicht älter als Mitte dreißig, ihre Augen sind rotgeweint.

»Wie heißen Sie?«, frage ich, während ich auf dem Sofa Platz nehme.

»Elena… Elena Mesi.«

»Sind Sie Albanerin?«

»Ja.«

Gut möglich, dass sie den Namen Elena in Griechenland angenommen hat. Viele Albaner nehmen griechische Namen an, um als Angehörige der griechischen Minderheit in Nordepirus durchzugehen.

»Wie haben Sie ihn gefunden, Elena?«

»Als ich herkam, war Herr Andreas nicht da. Ich bin als Erstes zum Saubermachen ins Schlafzimmer gegangen, und da habe ich ihn gefunden.«

Sie bricht in Tränen aus. Ihr Griechisch ist tadellos. Man könnte sie von einer Griechin nicht unterscheiden. Ich warte, bis ihr Schluchzen abebbt, um die dringendsten Fragen zu stellen.

»Wie lange war Herr Makridis schon in Griechenland, wissen Sie das?«

»Etwas länger als ein Jahr.«

»Was wollte er hier?«

»Ein Unternehmen gründen.«

»Wissen Sie, ob er ein Büro hatte?«

»Ja, irgendwo auf dem Kifissias-Boulevard, aber ich war nie dort.«

»Hatte er Familie?«, frage ich, um herauszufinden, ob wir [38] jemanden benachrichtigen müssen. Wobei die deutsche Botschaft darüber womöglich besser Bescheid weiß.

»Er hat mir gesagt, dass er geschieden ist, aber keine Kinder hat.«

»Gehörte die Wohnung ihm?«

»Ja. Anfangs wohnte er im Hotel, aber vor einem Jahr hat er dieses Apartment gefunden. Von Anfang an habe ich hier saubergemacht…«

Wiederum bricht sie in Tränen aus. Meine Fragen sind erschöpft, und es hat keinen Sinn, sie weiter zu quälen. Daher schicke ich sie nach Hause und mache mich auf den Weg ins Krankenhaus, nicht ohne zuvor Stavropoulos einzuschärfen, dass er mir seinen Bericht zuschicken soll.

[39] 5

Katerina sitzt, mit dem Kissen im Rücken, im Bett. Neben ihr liegt eine Tageszeitung.

Obwohl es ihr offensichtlich schon viel besser geht, stelle ich zu Beginn die förmliche und stereotype Frage, die man immer an Kranke richtet: »Wie geht es dir?«

Prompt bestätigt sie meinen Eindruck: »Nur Zeitung lesen kann ich noch nicht, weil mir davon schwindlig wird. Aber das soll von der Gehirnerschütterung kommen und bald besser werden.«

»Wo ist Mama?«

»Ich hab sie nach Hause geschickt, damit sie sich ausruht. Sie kommt gegen Mittag wieder, wenn ich entlassen werde.«

»Wie schön!«, sage ich freudig, obwohl ich damit gerechnet habe.

»Ja, aber ich soll mindestens noch zwei Tage im Bett bleiben und erst aus dem Haus gehen, wenn ich wieder ganz sicher auf den Beinen bin. Dir ist klar, was das bedeutet: Mama rund um die Uhr.«

»Macht nichts, das ist das kleinere Übel. Es hätte viel schlimmer kommen können.«

Eine plötzliche Unruhe erfasst sie.

»Kannst du mir sagen, warum sie mich überfallen haben, Papa? Hast du, als Polizist, eine Erklärung dafür? Ich begreife nicht, wie es so weit kommen konnte, dass man sich [40] als Anwältin seine Mandanten nicht mehr aussuchen kann, ohne dass sich die Goldene Morgenröte einmischt.«

»Du darfst dich jetzt nicht so aufregen, Katerina. Ihre Leute haben den Laden deines Mandanten zerstört. Sie wollten dich einschüchtern, damit du die Anzeige zurückziehst.«

»Und meinen sie jetzt, dass ich das tue?«

»Das spielt für sie keine Rolle: Sie kennen sowieso nur die Sprache der Gewalt.« Den Drohanruf und mein Gespräch mit Sissis behalte ich für mich, um sie nicht zu beunruhigen. »Es war ein Fehler, dass du deiner Leibwache freigegeben hast.«

»Was hätte ich denn tun sollen? Ich hatte Angst, dass mir einer bei dieser Hitze umkippt und ich mit ihm ins Krankenhaus muss.«

»Ja, und stattdessen musstest du dann selbst dorthin.«

Unser Gespräch wird durch ein Klopfen unterbrochen. Die Tür geht langsam auf, und Maurice blickt zaghaft durch den Türspalt. Hinter ihm steht sein Freund, dessen Name mir gerade nicht einfällt.

»Schön, dass ihr da seid!«, ruft Katerina gutgelaunt. »Kommt rein!«

Ich gebe meiner Tochter einen Kuss und ziehe mich zurück, damit die Anwältin in Ruhe mit ihren Mandanten reden kann.

Am Alexandras-Boulevard angekommen, eile ich gleich in Gikas’ Büro und erkläre Stella, dass ich ihn in einer dringenden Angelegenheit sofort sprechen muss.

»Er ist allein«, entgegnet sie, womit sie mir die Erlaubnis erteilt, seine Gedankengänge zu unterbrechen.

Gikas’ erste Frage gilt Katerina.

[41] »Es ist nichts Ernstes, und sie darf heute nach Hause«, sage ich.

»Ein Glück!«, bemerkt er, offensichtlich erleichtert. »Ich muss gestehen, dass ich gestern Nacht Alpträume hatte.«

»Nun, die gehen leider weiter«, sage ich und beschreibe den gestrigen Anruf der Goldenen Morgenröte.

Seine Stimmung kippt prompt, und der Seufzer, den er ausstößt, zeugt von der Vorahnung künftiger Probleme.

»Das sind die Folgen der Krise.« So lautet sein schicksalsergebenes Fazit.

»Die Krise und unser übliches Chaos sind zwei verschiedene Dinge. Möglicherweise liegen den Anhängern der Goldenen Morgenröte Namen und Adressen von Linksextremisten vor, und vielleicht kennen sie auch die Akten von Personen, die von der Polizei beobachtet werden. Gestern wurde meine Tochter angegriffen, morgen muss jemand anderer dran glauben, übermorgen könnte es auch Todesopfer geben. In Griechenland versuchen wir, die Krise mit unserem üblichen Chaos in den Griff zu kriegen.«

Ich weiß, dass er jeden Widerspruch hinunterschlucken wird, da ich die Rolle des leidgeprüften Vaters innehabe. In der Tat reagiert er nicht auf meine Aussage, sondern nimmt zu seinem Lieblingsmanöver Zuflucht – nämlich, einen Sündenbock zu suchen. Er nimmt den Hörer und ruft Sonaras an, den Leiter des Dezernats für Interne Ermittlungen.

»Wie ist es möglich, dass wir bei der Polizei den Datenschutz nicht gewährleisten können?«, schreit er in den Hörer und leitet meine Empörung unmittelbar an Sonaras weiter. »Warum stellen wir die Nummern nicht gleich ins Internet?«

[42] Nachdem er Sonaras’ Antwort gelauscht hat, legt er auf und sagt zu mir: »Beschreiben Sie Sonaras den Vorfall in allen Einzelheiten. Denn damit gehe ich bis zum Minister, das steht fest.«

Sonaras’ Büro liegt zwar nur drei Türen von Gikas’ entfernt, aber ich mache einen Umweg und laufe zuerst in die Cafeteria hinunter, um mich mit einem Kaffee zu versorgen.

Kaum betrete ich den Saal, kommen alle Kollegen und auch die Serviererin auf mich zu, um sich nach Katerina zu erkundigen und ihr alles Gute zu wünschen. Dankend gebe ich ein paar Erläuterungen, während ich gleichzeitig in ihre Gesichter blicke und mich frage, wer von ihnen den Faschos meine Telefonnummer gegeben haben könnte.

Ich nehme den Kaffeebecher entgegen und fahre wieder in die fünfte Etage zu Sonaras’ Büro hinauf. Dort erhalte ich eine weitere Dosis von Genesungswünschen, bevor wir zum eigentlichen Thema kommen. Als ich Sonaras den Vorfall beschreibe, wiegt er den Kopf.

»Kostas, mach dir nichts vor. Das Phänomen hat um sich gegriffen. Da kann Gikas noch so schäumen. Er hat ja recht, aber die meisten, die mit der Goldenen Morgenröte zu tun haben, dienen nicht bei der Polizeidirektion Attika, sondern in Polizeirevieren von Gegenden mit hohem Ausländeranteil. Das sind die Hochburgen der Goldenen Morgenröte.«

»Ausgeschlossen, dass die meine Handynummer von irgendeinem lokalen Polizeirevier bekommen haben.«

»Das glaube ich auch nicht. Wahrscheinlich hat ein Revierbeamter einen Freund im Präsidium angerufen, unter [43] irgendeinem Vorwand nach deiner Handynummer gefragt und sie dann seinen Spezis weitergegeben.«

Sonaras’ These klingt logisch. Möglich, dass der Kollege in der Polizeidirektion mit im Boot war. Vielleicht wollte er aber bloß einem Freund einen Gefallen tun.