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1.

Philip Hasard Killigrew spürte die Spannung fast körperlich, die bei den Männern seiner Crew herrschte. Die meisten zuckten zusammen, als der schwere Stockanker am Bug der Zweimast-Galeone ins Wasser klatschte. Der Laut hatte etwas Endgültiges an sich.

Dem Seewolf selbst war auch nicht recht wohl in seiner Haut, aber er versuchte, das Gefühl mit einem verwegenen Lächeln zu überspielen.

Sein Blick glitt über die weite Bucht, in der mehr als zwei Dutzend, Galeonen aller Größen vor Anker lagen. Die grelle Nachmittagssonne beschien die roten Dächer der großen, befestigten Stadt, die die Bucht beherrschte, und ließ sie glänzen wie pures Gold.

Panama.

Der Goldene Becher. So wurde diese Perle der Spanischen Krone genannt.

Dieser Becher nahm sie auf, die unermeßlichen Schätze Mexicos, Perus und Chiles. Das Silber der Azteken und Mayas, das Gold der Inkas und die Perlen von den Ufern Dariens.

Der Seewolf war sich darüber im klaren, welch gefährliches Spiel er trieb, indem er hier in der Bucht von Panama seinen Anker zu Wasser rauschen ließ. Der Anblick der tiefliegenden Galeonen schien ihm jedes Risiko wert, aber was nutzten ihnen alle Schätze dieser Welt, wenn er und seine Männer im Würgeeisen der Spanier starben?

Der Seewolf verdrängte die Gedanken an die Gefahr. Sie fuhren in diesen Gewässern, um dem Feind Schaden zuzufügen und gleichzeitig reiche Beute zu erkämpfen. Er wußte, daß das Risiko kleiner war, als die Männer der „Isabella“ annahmen.

Am verschnörkelten Heck der kleinen Galeone prangte in Goldbuchstaben der alte Name „Valparaiso“. Na also. Sie waren ein spanisches Schiff aus dem chilenischen Hafen Valparaiso. Mit dem Seewolf, Ben Brighton, Karl von Hutten und dem Franzosen Jean Ribault hatten sie vier Männer an Bord, die fließend Spanisch sprachen.

Wer sollte schon Verdacht schöpfen?

Sicher war die Nachricht, daß der gefürchtete El Draque plündernd an der Westküste der Neuen Welt nach Norden segelte, auch schon bis Panama gelangt, aber was konnte der verfluchte Engländer einer Stadt wie Panama schon antun?

Die Beherrscher Panamas waren nicht mehr die grausamen und gierigen Eroberer der ersten Jahre. Die fettleibigen Kaufleute, die sich ihre Taschen mit dem Gold der alten Völker vollstopften, schwangen jetzt das Zepter. Sie hatten die Stadt zu einer uneinnehmbaren Festung ausgebaut. Dabei hatte ihnen die geographische Lage Panamas geholfen. Auf der Ostseite lag ein riesiges Sumpfgebiet, das als undurchdringlich galt. Der einzige Pfad hinüber an die Karibische See führte über schmale Pässe, die von wenigen Soldaten gehalten werden konnten. Auf der Westseite schützte sie das Meer – und auf diesem Meer fuhren keine feindlichen Schiffe.

Der Seewolf hatte die Ahnungslosigkeit der Spanier mit einkalkuliert. Wer würde schon beim Anblick seiner kleinen Galeone, die den Namen „Valparaiso“ führte, auf den Gedanken verfallen, ein Feind hätte sich wie ein Wolf zwischen die Schafsherde geschlichen?

Die Männer in der Kuhl teilten Hasards Optimismus nicht. Nur wenige Männer befanden sich an Deck. Unter der Back saßen der Kutscher, Batuti und Smoky. Am Spillgang standen Blacky, Sam Roskill und Karl von Hutten, der sich seine Haare dunkel gefärbt hatte und die Befehle weitergeben sollte, falls Hasard oder Ben Brighton den Männern in der Kuhl Anweisungen geben mußten, während ein Spanier an Bord der „Isabella“ war.

Gardon Watts, der dürre, verschlagene Engländer, lehnte an der einen Steuerbordkanone und starrte zur Stadt hinüber.

Hasard beobachtete ihn schon eine ganze Weile. Er wußte nicht, woran es lag, aber er traute dem Mann nicht über den Weg. Wenn er eine Gefahr bei diesem gewaltigen Unternehmen sah, so nicht bei den Spaniern, sondern bei diesem undurchschaubaren kleinen Mann, dem Hasard ohne weiteres zutraute, daß er sie für ein paar Silberlinge an die Spanier verriet.

Hasard hätte Watts am liebsten zu den anderen unter Deck geschickt, aber er hatte nun mal befohlen, daß sich die Dunkelhaarigen an Deck zeigen sollten. Er konnte schlecht Watts davon ausschließen, ohne dessen und das Mißtrauen der anderen Männer zu erwecken.

Neben Hasard stand Ben Brighton. Er trug eine Perücke über seinem dunkelblonden Haar.

Der Franzose Jean Ribault stand ihnen gegenüber an der Backbordreling und starrte zur Stadt hinüber, wo sich eine Schaluppe von der Hafenmauer gelöst hatte und auf die „Valparaiso“ zugepullt wurde.

Ein leiser Pfiff schallte vom Großmars herunter. Das pfiffige Gesicht von Dan O’Flynn erschien über dem Rand des Mars.

Hasard blickte hoch.

„Was ist los, Arwenack?“ rief er. „Ach, du bist’s, Dan! Ich hab dich im ersten Moment gar nicht erkannt.“

Das Bürschchen fluchte unterdrückt. Er wagte nicht, laut zum Deck zu rufen. Er wies zur Stadt hinüber, und nun sah auch Hasard die Schaluppe.

Ben Brighton preßte die Lippen aufeinander und fuhr nervös mit dem Zeigefinger der rechten Hand unter die Perücke.

„Deine verdammten Einfälle“, murmelte er. „Kannst du nicht wie jeder vernünftige Korsar ein Schiff auf See überfallen? Immer muß es etwas Besonderes sein, sonst bist du nicht zufrieden.“

Der Seewolf grinste verwegen.

„Kannst du mir sagen, wie du draußen auf See so viele vollgestopfte Schiffe auf einem Haufen finden willst?“ erwiderte er. „Hier brauchen wir nicht lange zu suchen. Wir schnappen uns die dicksten Fische und segeln einfach davon, wenn wir genug haben.“

Ben Brighton stöhnte.

„Das hört sich an, als würdest du in Nachbars Garten Äpfel klauen wollen“ sagte er.

„Du kannst mir glauben, daß ich dabei damals mehr Angst hatte als heute.“ Hasard wandte sich von Ben ab und gab Karl von Hutten einen Wink, daß die Männer in der Kuhl sich auf den Besuch der Spanier vorbereiten sollten. Die Kanonen und Drehbassen der „Isabella“ waren geladen. Die Galeone des Seewolfs war praktisch gefechtsbereit. Man konnte schließlich nicht wissen, ob nicht gerade der Hafenkommandant von Panama ein außergewöhnlich schlauer Fuchs war.

Als der Bug der Schaluppe mit einem dumpfen Laut gegen den Rumpf der „Isabella“ stieß, wußte der Seewolf, daß sie von dem Hafenkommandanten nichts zu befürchten hatten. Er kannte diesen Typ zur Genüge. Ein pomadiger, fetter Kerl, der nach oben buckelte und nach unten trat.

Die grobporige Haut des Spaniers war von der Anstrengung gerötet, als er über das Schanzkleid an Deck stieg. Die Hängebacken und das Doppelkinn wabbelten im Gleichklang.

Ben Brightons Mundwinkel zogen sich nach oben. Er stand abwartend an der Quarterdeckgalerie und beobachtete, wie der Seewolf den Spanier begrüßte und mit einer Handbewegung zur Kapitänskammer geleitete.

Ben Brighton begrüßte den Begleiter des Hafenkommandanten, einen blaßgesichtigen, dürren Jungen, der als Schreiber fungierte, mit einem leichten Kopfnicken. Sie folgten dem Hafenkommandanten und dem Seewolf, der angeregt mit dem fetten Spanier plauderte. Hinter sich hörte Hasard Ben Brighton etwas zu dem dürren Jungen sagen. Bens Stimme zitterte etwas, aber das nahm nur Hasard wahr. Er lächelte. Er wußte, daß Ben Situationen wie diese haßte. Lieber hing er mit einem Entermesser quer im Mund an einer Brasse und ließ sich zu einem feindlichen Schiff hinüberschwingen.

„Wir haben keinerlei Botschaft erhalten, daß Sie mit Ihrem Schiff auf dem Weg nach Panama sind, Senor“, sagte der Hafenkommandant mit quengeliger Stimme. „Wer sind Sie, und welche Fracht bringt Ihr Schiff nach Panama?“

Hasard verbeugte sich leicht. Ben Brighton sah, wie es in Hasards Augen aufblitzte. Wahrscheinlich trieb das überhebliche Auftreten des Hafenkommandanten die Galle in Hasard hoch. Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich, ohne dem Spanier einen Stuhl anzubieten.

„Sie konnten auch keine Benachrichtigung erhalten, Senor“, sagte Hasard scharf. „Denn die ‚Valparaiso‘ ist mit einem geheimen Auftrag des Gouverneurs von Chile unterwegs.“

Der Mund des fetten Spaniers öffnete und schloß sich wie der eines Frosches. Auf eine Handbewegung von Hasard hin ließ er sich auf den Stuhl fallen, der vor dem Schreibtisch stand.

Hasard öffnete die Schublade des Schreibtisches und holte ein Papier heraus, das er dem Hafenkommandanten reichte.

„Mein Name ist Diaz de Veloso“, sagte er. „Sie sehen anhand des Dokumentes, daß die ‚Valparaiso‘ im Geheimauftrag des Gouverneurs von Chile ein englisches Kaperschiff jagt, das im Südmeer gesichtet wurde.“

„El Draque?“ flüsterte der Spanier.

Der Seewolf hob die Schultern.

„Ich halte das für ein Gerücht“, sagte er und versuchte den blasierten Gesichtsausdruck eines spanischen Adligen nachzuahmen, was ihm blendend gelang, wie Ben Brighton erstaunt feststellen mußte. „Falls es dieser Drake sein sollte, so müßte er mit seinem Schiff die Magalhäes-Straße durchfahren haben. Trauen Sie das einem Engländer zu?“

„Nie!“ antwortete der fette Spanier voller Überzeugung.

„Ich nehme vielmehr an, daß es sich um Piraten handelt, die auf dem Landwege an diese Küste gelangt sind und sich irgendwo ein Schiff besorgten. Damit sind sie dann die Küste hinuntergefahren und haben unsere Schatzschiffe geplündert. Sie stießen nirgends auf großen Widerstand, weil kein Kapitän damit rechnete, in diesem Meer einem Feind zu begegnen.“

Der fette Spanier nickte heftig.

„So wird es sein, Captain de Veloso“, sagte er schnaufend.

„Darf ich Ihren Namen auch erfahren?“ fragte Hasard mit hochgezogenen Brauen.

Der fette Spanier blickte Havard von unten herauf an, als ob es ein Sakrileg sei, seinen Namen nicht zu kennen.

„Ich bin Alfonso de Roja, Hafenkommandant Seiner Majestät edler und höchst treuer Stadt Panama.“ Er sagte es, als deklamiere er die Ode eines großen römischen Dichters.

Der Seewolf ließ sich nicht beeindrucken. Er nahm dem Hafenkommandant das Dokument aus der Hand, das er im Schreibtisch seines spanischen Vorgängers gefunden hatte und auf dem sich sein ganzer Plan aufbaute, und stopfte es zurück in die Schublade.

„Es ist zwar völlig unwahrscheinlich, daß es sich um El Draque handelt, den wir jagen, aber ganz auszuschließen ist es nicht“, sagte Hasard.

De Roja zuckte regelrecht zusammen.

„Besteht die Gefahr, daß er Panama angreift?“ fragte er erschrocken, und seine Fettpolster im Gesicht begannen vor Aufregung zu wabbeln.

„Wer weiß“, sagte Hasard. „Wir haben nur erfahren, daß er nach Norden segelt. Wir werden in den nächsten Tagen vor dieser Bucht kreuzen und einen Angriff zu verhindern wissen, falls ein solcher geplant ist. Außerdem haben wir die Aufgabe, die Silbergaleone ‚Nuestra Senora de la Conceptión‘ vor einem Angriff zu schützen. Leider haben wir sie nicht mehr einholen können. Liegt sie vielleicht schon hier in der Bucht vor Anker?“

Ben Brighton hielt den Atem an. Er sah, wie die anfängliche Vorsicht aus Hasards Gesicht gewichen war. Nun wurde er frech. Er wußte, daß die Silbergaleone niemals Panama mit ihrer Silberladung anlaufen würde. Sie war nach der Kaperung durch die „Golden Hind“ und die „Isabella“ geradewegs auf die Küste von Peru zugelaufen. Wußte de Roja vielleicht schon von dem Überfall?

Zum Glück war die Kunde noch nicht bis Panama gedrungen.

De Roja saß bleich und zitternd vor dem Schreibtisch.

„Die ‚Cacafuego‘ ist schon seit einer Woche überfällig“, sagte er tonlos. „Sie glauben doch nicht, daß ...“

Hasard hob die Schultern und blickte de Roja ernst an.

„Es ist natürlich möglich, daß Capitan Don Juan de Anton durch den fürchterlichen Sturm, in den auch wir geraten sind, weit hinaus aufs Meer getrieben wurde“, sagte er.

De Roja nickte hastig. Er war froh, daß er eine Erklärung für die Verspätung des Silberschiffes gefunden hatte.

„Im letzten Jahr war sie auch eine Woche zu spät“, sagte er beruhigt. „Don Juan läßt sich immer Zeit, aber bisher hat er Panama noch immer unversehrt erreicht“

„Ich glaube auch nicht, daß wir uns um ihn zu sorgen brauchen“, sagte Hasard. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Engländer den ‚Feuerkacker‘ mit ihrem kleinen Schiff angreifen werden. Don Juan würde sie mit seinen Kanonen auf den Grund des Meeres schicken.“

De Roja wischte sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Er lächelte den Seewolf an.

„Ich bin froh, Sie in Panama zu wissen, Capitan de Veloso“, sagte er. „Sie haben selbstverständlich die Erlaubnis, in den Hafen einzulaufen, wann Sie wollen. Ich werde dafür sorgen, daß Trinkwasser, Proviant und Munition jederzeit für Sie bereit stehen. Haben Sie Papier und Tinte zur Hand? Ich werde Ihnen einen Revers ausschreiben, in dem ich Ihnen alles bestätige. Leider bin ich nicht immer zugegen, und meine Leute haben Anweisung, sehr streng zu sein. Mit dem Revers werden Sie überall Unterstützung finden.“

Der Seewolf erhob sich und verbeugte sich vor dem Hafenkommandanten, nachdem dieser den Revers verfaßt hatte und ihn über den Schreibtisch reichte.

„Ich bin Ihnen für Ihre Unterstützung Dank schuldig, Senor de Roja“, sagte er.

„Ich werde dem Gouverneur von Chile berichten, wie zuvorkommend Sie seine Untergebenen behandelt haben.“

De Rojas schweißglänzendes Gesicht rötete sich vor Freude. Fast hätte er Ben Brighton mit seinem dicken Hintern umgestoßen, als er sich rückwärts zur niedrigen Tür bewegte.

Hasard begleitete den ehrenwerten Don Alfonso bis zum Schanzkleid, das er schnaufend überstieg, um wieder in seine Schaluppe zu gelangen. Nicht einen einzigen Moment las Hasard so etwas wie Mißtrauen in den Augen des schwitzenden Spaniers. Er hatte die Geschichte mit dem Geheimauftrag geschluckt wie ein Fisch den Köder. Nur Don Alfonso de Roja merkte nicht, daß er schon am Angelhaken hing.

2.

Der Seewolf wartete, bis de Rojas Schaluppe hinter einer anderen Galeone verschwand, die querab etwa zwei Kabellängen von der „Isabella“ entfernt lag.

Er bemerkte die Blicke seiner Männer, sah das Glitzern in ihren Augen und wußte, daß sie ihn für seinen tollkühnen Plan bewunderten. Er selbst fühlte sich nicht gerade als großartiger Held, hatten ihn doch die Zweifel, ob er mit dem Besuch des feindlichen Hafens Panama nicht einen tödlichen Fehler beging, nie verlassen.

Jetzt schien alles ausgestanden. Sie hatten einen Revers des Hafenkommandanten, der ihnen einen uneingeschränkten Handlungsspielraum gab.

Der Seewolf hörte leise Schritte. Der Franzose trat auf ihn zu. Er schien der einzige zu sein, der nicht vor Ehrfurcht und Bewunderung erstarrte.

„Und nun?“ fragte er. „Wir sitzen mitten im Goldenen Becher. Mich würde interessieren, was du jetzt planst. Wenn wir eine der ankernden Galeonen angreifen, haben uns die anderen zusammengeschossen, bevor wir auch nur einen Goldbarren auf die ‚Isabella‘ herüberschaffen können.“

„Laß dir etwas einfallen“, erwiderte der Seewolf lächelnd. „Inzwischen instruiere Tucker und Garberry, daß am Abend alle Mann für eine Aktion bereit sein sollen.“

Er drehte sich einfach um, winkte Ben Brighton und verschwand mit ihm in der Kapitänskammer.

Der Franzose kratzte sich am Kopf. Wahrscheinlich hatte er den Seewolf wieder einmal unterschätzt.

Die Nacht war rabenschwarz. Fast zu schwarz. Hasard sah die Silhouette der dickbäuchigen Dreimastgaleone erst im letzten Augenblick. Zischend gab er den Befehl, das Boot abzustoppen und die Riemen an Steuerbord einzuholen. Die sechs Bootsgasten reagierten blitzschnell, aber sie konnten nicht verhindern, daß das Boot leicht gegen den Rumpf der Galeone schlug.

Für Hasard und seine zehn Männer hörte sich das dumpfe Geräusch wie die Explosion einer Neunpfünderkanone an. Bewegungslos hockten sie im Boot und starrten zum Schanzkleid der Galeone hoch. Nichts bewegte sich dort.

Der Seewolf blickte seine Männer an. Er sah nur das Weiße in ihren Augen.

„Sie haben nichts gehört“, flüsterte er. „Wahrscheinlich haben sie sich aus lauter Wut, daß sie Wache gehen müssen, während sich die anderen an Land vergnügen, einen angesoffen.“