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Nr. 1021

 

Der unsichtbare Gegner

 

Ein Haluter läuft Amok – im Bann der unheimlichen Macht

 

von H. G. FRANCIS

 

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Mehr als 400 Jahre sind seit dem Tag vergangen, da Perry Rhodan durch seine Expedition mit der BASIS tiefe Einblicke in die kosmische Bestimmung der Menschheit gewann und in die Dinge, die auf höherer Ebene, also auf der Ebene der Superintelligenzen, vor sich gehen.

In folgerichtiger Anwendung seiner erworbenen Erkenntnisse gründete Perry Rhodan Anfang des Jahres 3588, das gleichzeitig zum Jahr 1 der Neuen Galaktischen Zeitrechnung (NGZ) wurde, die Kosmische Hanse, eine mächtige Organisation, deren Einfluss inzwischen weit in das bekannte Universum hineinreicht.

Gegenwärtig, im Jahr 424 NGZ, sieht sich die Hanse, die neben dem interstellaren Handel auch der kosmischen Verteidigung dient, schweren Anschlägen der Superintelligenz Seth-Apophis ausgesetzt.

Nicht nur mehrere relativ abgelegene Welten, auf denen Handelskontore der Hanse errichtet worden waren, bekamen das bereits zu spüren, sondern auch die Erde selbst, die Heimatwelt der Menschen.

Dort konnte die Bedrohung durch die Computerbrutzellen zwar abgewehrt werden, doch die »schlafenden« Agenten der Superintelligenz können zu jeder Zeit und an jedem Ort wieder aktiv werden und neues Unheil anrichten – ähnlich wie im Fall: DER UNSICHTBARE GEGNER ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Icho Tolot – Der Haluter im Bann einer unheimlichen Macht.

Addison Uptigrove – Ein junger Künstler.

Gernon Egk – Ein Mann, der seine Rache sucht.

Robert Archibald – Ein Kunsthändler.

Bruke Tosen – Agent von Seth-Apophis.

1.

 

Addison Uptigrove hatte das untrügliche Gefühl, auf eine Katastrophe zuzusteuern.

Er hatte immer etwas auf Ahnungen gegeben und schon oft überlegt, ob er nicht in dieser Hinsicht über eine gewisse parapsychische Begabung verfügte, denn häufig genug war alles so gekommen, wie er es vorausgesehen hatte.

Er trat auf die Straße hinaus und blieb unschlüssig stehen, als ihm der Wind die feinen Tropfen eines Sprühregens ins Gesicht trieb. Die Sonne war nicht zu sehen, weil die Wolken zu dicht waren. Dennoch herrschte ein eigenartiges Licht in den Gassen von Garbus, so, als gelinge es doch einigen Sonnenstrahlen auf geheimnisvolle Weise, bis auf das ausgetretene Straßenpflaster zu kommen.

Uptigrove vergrub die Hände in den Hosentaschen und schlenderte lustlos zu dem kleinen Restaurant hinüber, das nur etwa hundert Meter von seiner Wohnung entfernt war. Der alte Garret Aglent fegte die Plastik- und Papierreste unter den Tischen hervor, die von den Besuchern des gestrigen Abends zurückgelassen worden waren. Der Alte trug abgewetzte Hosen und ein Hemd von unbestimmbarer Farbe. Ein breitkrempiger Hut schützte seinen Kopf. Grinsend blickte er den jungen Künstler an, als dieser neben ihm unter der Markise stehen blieb und missmutig erkannte, dass die Tür zum Restaurant noch verschlossen war.

»Aus dem Bett gefallen?«, fragte der Alte.

Addison Uptigrove schüttelte den Kopf.

»Ich musste an die Luft. Mir fällt die Decke auf den Kopf, wenn ich noch länger drinnen bleibe.«

»Hunger?«

»Kannst du nicht was anderes fragen?«

Aglent setzte sich auf einen Stuhl und legte sich den Besen quer über die Knie.

»Du kannst ein paar Brote haben, wenn du willst.«

»Ich bin pleite.«

»Als Künstler bist du originell und aufregend«, kritisierte der Alte, »aber wenn du von deinen Finanzen sprichst, bist du ausgesprochen langweilig. Immer dasselbe.«

Addison Uptigrove gefiel selbst nicht, dass er nichts anderes sagen konnte, aber solange es ihm nicht gelang, irgend etwas von seinen Bildern und Skulpturen zu einem vernünftigen Preis zu verkaufen, konnte er nicht hoffen, zu Geld zu kommen.

Garret Aglent stand seufzend auf, öffnete die Tür zum Restaurant mit einem Schlüssel und kam kurz darauf mit einer dampfenden Tasse Kaffee und einigen belegten Broten wieder.

»Wenn du erfolgreich verhandeln willst, dann musst du was im Magen haben«, erklärte er, »sonst zieht dir der fette Archibald das Fell über die Ohren.«

Uptigrove nahm das Frühstück dankbar entgegen. Es war schon zu lange her, dass er gegessen hatte. Erst vor sieben Wochen war er zur Erde gekommen. Bis dahin hatte er auf einem Planeten gelebt, der mehr als zweitausend Lichtjahre von Terra entfernt war und auf dem anspruchsvolle Künstler wie arbeitsscheues Gesindel behandelt wurden. Aufgrund der sozialen Gesetze der Kosmischen Hanse hätte er Anspruch auf Unterhalt gehabt, doch er lehnte nahezu jede Unterstützung von Seiten des Staates ab, weil er überzeugt davon war, dass er sich künstlerisch nicht entfalten konnte, wenn er nicht frei war. Eine Ausnahme hatte er allerdings gemacht. Er hatte die Wohnung angenommen, die man ihm zugewiesen hatte, weil er schließlich einen Platz brauchte, an dem er arbeiten konnte.

Er strich sich die dunklen Locken aus der Stirn und dachte an Merlin Sanders.

Sie war im Computer als männlich gespeichert. Ein grotesker Irrtum, der sich offenbar nicht korrigieren ließ.

»Das musste ja so kommen«, hatte sie gesagt, als sie ihm die Wohnungstür geöffnet hatte. »Seit Monaten versuche ich, diese verdammte Positronik davon zu überzeugen, dass ich weiblich bin, aber bisher war alles vergeblich.«

Er erinnerte sich daran, dass er am liebsten auf der Stelle umgekehrt und davongelaufen wäre. Aber es hatte in Strömen gegossen, und er war nass bis auf die Haut gewesen. Und so hatte er sich nicht lange gesträubt, als sie ihn kurzerhand in die Wohnung gezogen hatte, die er nun mit ihr teilen sollte.

Merlin Sanders war ein ausgesprochen hübsches Mädchen, mit dunklen Augen und glattem brünetten Haar, das ihr lose bis fast zu den Hüften herabreichte. Sie hatte ausgebeulte Hosen und einen viel zu weiten Pullover getragen, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Und ebenso kleidete sie sich auch jetzt noch. Zahlreiche Flecke an ihrer Kleidung ließen erkennen, dass sie die Gewohnheit hatte, ihre Hände daran abzuwischen. Trotz dieses nachlässigen Aussehens war Addison Uptigrove nicht entgangen, dass sie eine vollendete Figur hatte.

»Komm herein und zieh die nassen Klamotten aus«, hatte sie gesagt und war dabei so ungezwungen gewesen, als sei ihr nicht klar, dass sie von nun an die winzige Wohnung mit einem Mann teilen sollte. »Du handelst dir eine Grippe ein, wenn du nicht aufpasst.«

Es hätte nicht besser kommen können, dachte er und lächelte schwach. Ein Hoch auf den Computer und seine bürokratische Sturheit.

»Was ist los?«, fragte Garret Aglent und schreckte ihn aus seinen Gedanken hoch. »Hat sie dich rausgeworfen, oder weshalb machst du auf trübe Tasse heute Morgen?«

Uptigrove trank den Kaffee aus und verzehrte das letzte Brot.

»Sie sagt, ich soll auf jeden Fall an der Ausstellung teilnehmen.«

»Und damit hat sie verdammt recht.«

»Ich weiß nicht.«

Uptigrove blickte zu dem Ausstellungsgelände hinauf, das auf einer ausgedehnten Anhöhe im Westteil von Terrania City lag. Schwebende Skulpturen, die von fernen Planeten und aus längst untergegangenen Kulturen stammten, kennzeichneten den Eingang zu der Ausstellung.

»Das da oben ist für namhafte Künstler reserviert«, erläuterte er. »Ich aber habe noch nicht ein einziges Bild verkauft.«

Garret Aglent legte den Besen zur Seite.

»Also, das stinkt mir, Addison. Schließlich weiß ich, dass du wenigstens zwanzig Bilder an den Mann gebracht hast. Ich muss es wissen, denn sie stehen allesamt in meiner Bude.«

»Und da werden sie auch noch in hundert Jahren stehen. Verstaubt und unverkäuflich.«

Garret Aglent hatte ihn vom ersten Tag an in sein Herz geschlossen. Der pensionierte Gastronom hatte ihm die ersten Bilder abgekauft und immerhin so gut bezahlt, dass Uptigrove von dem Honorar die dringendsten Ausgaben bestreiten konnte. Dabei war Aglent selbst schlecht dran. Er war als Geschäftsmann alles andere als erfolgreich gewesen und hatte so hohe Schulden gemacht, dass ihm nun von seiner Pension kaum noch etwas übrig blieb, weil die monatlichen Tilgungsraten zu hoch waren. Deshalb verdiente er sich hier und da ein wenig dazu, indem er als Kellner aushalf oder gar als Straßenkehrer vor den Lokalen des Künstlerviertels arbeitete. Dabei kam ihm zugute, dass mehrere Wirte ablehnten, Reinigungsroboter einzusetzen, da diese die besondere Atmosphäre des Künstlerviertels zerstört hätten.

»Du bist ein Esel, Addison Uptigrove«, sagte der Alte. »Ich habe mit dem fetten Robert Archibald gesprochen. Er ist bereit, einen Vertrag mit dir zu machen und in der Abteilung der Nachwuchskünstler einige deiner Werke auszustellen. Was willst du mehr?«

»Ich bin noch nicht soweit«, erwiderte Uptigrove zögernd.

Aglent blickte ihn sprachlos an.

»Nun langt es aber«, sagte er endlich und räumte Tasse und Teller ab. »Glaubst du, ich spiele hier den Kunstmäzen, um mir hinterher gefallen zu lassen, dass du dich in einer Ecke versteckst? Wenn du nicht gleich zu Robert Archibald gehst, prügle ich dich dorthin.«

Addison Uptigrove lächelte traurig.

Unter einem Mäzen verstand er etwas anderes, als Garret Aglent war. Dieser hatte ihn mit seinen Käufen gerade eben über Wasser gehalten. Eine freie Entwicklung hatte er ihm nicht ermöglicht. Um den Alten zu beruhigen, erhob er sich und nickte.

»Also gut. Ich gehe zu ihm.«

Aglent legte ihm den Arm um die Schultern.

»Du wirst sehen, damit beginnt dein großer Erfolg«, sagte er. »Du hast ja keine Ahnung, wer alles kommt, um sich die Ausstellung anzusehen. Man spricht sogar von Perry Rhodan, Julian Tifflor, Icho Tolot und einigen anderen Größen der KH.«

Als der Name des Haluters fiel, merkte Addison Uptigrove auf. Icho Tolot besaß eine ganz besondere Faszination für ihn, und ihm hatte er einige seiner künstlerischen Werke gewidmet. Er hatte ihn mehrfach in Bildern und Skulpturen dargestellt, war ihm selbst jedoch noch nie begegnet. Die Aussicht, ihn auf der Ausstellung zu sehen, gab den Ausschlag.

Merlin hätte zudem kein Verständnis dafür, wenn du verzichten würdest, ging es ihm durch den Kopf. Und er erinnerte sich daran, welche Auseinandersetzungen er mit ihr gehabt hatte.

Du hast zuwenig Selbstvertrauen!, hatte sie ihm vorgeworfen, und er wusste, dass sie recht hatte.

»Danke für den Kaffee und die Brote, Alter.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch den Lockenschopf und zog sich den abgewetzten Pulli herunter. »Glaubst du, dass Archibald schon auf ist?«

Garret Aglent grinste.

»Robert Archibald steht um vier Uhr auf und arbeitet bis spät in die Nacht hinein. Er wird für dich Zeit haben, wenn er ein Geschäft wittert.«

Uptigrove schob die Hände in die Hosentaschen und trat in den Regen hinaus.

 

*

 

Icho Tolot war mit sich selbst in höchstem Maß unzufrieden. Er bereute, dass er sich dazu bereit gefunden hatte, bei der bevorstehenden Kunstausstellung in dem Philosophen- und Künstlerviertel von Terrania, dem Garbus-Distrikt, eine Rede zu halten und darin zu den modernen Kunstrichtungen Stellung zu nehmen.

In letzter Zeit fühlte er sich in der Öffentlichkeit nicht recht wohl. Er war gern allein und meditierte tagelang.

Dabei gelang es ihm nicht, der Ursache seiner Unzufriedenheit auf den Grund zu kommen. Es zog ihn hinaus in die Weite des Universums, und er sehnte sich danach, für einige Zeit auf einem unbesiedelten Planeten allein zu leben, wo es ihm möglich war, sich von allen Einflüssen abzuschließen.

Er blickte auf sein Chronometer, als er seine Wohnung am Rand von Terrania City verließ. Es zeigte den 15.10.424 NGZ 7:32 Uhr an.

In einer Stunde sollte er die Rede bei der Ausstellung halten.

Missmutig blickte er an sich herunter. Er trug eine Nachbildung seines roten Kampfanzugs. Die Ausstellungsleitung hatte ihn darum gebeten, weil sie meinte, dass er auf diese Weise einen noch nachhaltigeren Eindruck auf die Besucher der Ausstellung machen würde.

Im Antigravschacht sank er nach unten.

Er horchte in sich hinein.

Irgend etwas war anders als sonst.

Als er in den Park hinaustrat, der das Haus umgab, vernahm er die verzückten Schreie einiger Kreuzfahrttouristen, die auf ihn gewartet hatten. Die Objektive ihrer Videokameras richteten sich auf ihn.

Icho Tolot entblößte die Reihen seiner Kegelzähne und hob grüßend einen seiner vier Arme. Er hatte sich daran gewöhnt, dass einige Reiseunternehmer versuchten, ihn und andere Prominente der Kosmischen Hanse zu Reiseattraktionen zu machen. Er verweilte etwa eine Minute vor den Touristen. Dabei schwankte er leicht. Er horchte beunruhigt in sich hinein, weil er sich nicht erklären konnte, dass er sich nicht genügend unter Kontrolle hatte. Um nicht unnötig Aufsehen zu erregen, wandte er sich ab und stieg dann in einen wartenden Gleiter.

Als die Tür ins Schloss glitt, glaubte er, von einem Schlag getroffen zu werden.

 

*

 

»Geht nicht«, rief Robert Archibald unwirsch. »Ich bin in einer Besprechung.«

Er blickte das asketisch wirkende Gesicht auf dem Videoschirm ablehnend an. So kurz vor Beginn der Ausstellung, die bedeutender war als jede andere zuvor in den letzten hundertfünfzig Jahren, wollte er nicht mehr gestört werden.

»Entschuldige«, sagte der junge Mann schüchtern. »Es tut mir leid.«

Plötzlich tauchte ein dunkelhaariges Mädchen neben ihm auf. Ihre Augen blitzten zornig.

»Ach was, es tut ihm überhaupt nicht leid!«, rief sie ins Mikrophon. »Er hat mit dir zu reden, weil er was zu bieten hat, und du bist nicht in einer Besprechung. Also, mach schon auf.«

Addison Uptigrove schien überhaupt nicht damit gerechnet zu haben, das junge Mädchen hier zu sehen. Sprachlos vor Überraschung blickte er sie an.

Robert Archibald war neugierig geworden.

»Na gut«, lenkte er ein. »Kommt.«

Er erhob sich und verließ sein Arbeitszimmer, in dem eine chaotische Unordnung herrschte. Die Werke verschiedener Meister, Schriftgut und Zeitschriften stapelten sich zu beiden Seiten seines Arbeitstisches bis unter die Decke. Daneben standen die winzigen Modelle von mehr als hundert Flugzeugen, Verkehrsmaschinen aus einer längst vergangenen Zeit.

Robert Archibald war ein schwergewichtiger Mann, der mehr als zwei Meter groß war und fast hundertfünfzig Kilogramm wog. Ein dichter Bart verdeckte die Narben, die er von einer exotischen Krankheit zurückbehalten hatte. Die blauen Augen wirkten durch die dicken Gläser seiner Brille größer, als sie tatsächlich waren. Archibald vertrug keine Kontaktlinsen, und er weigerte sich, die winzigen Verdichtungsprojektoren zu tragen, mit deren Hilfe ein optisch wirksames Energiefeld vor seinen Augen hätte geschaffen werden können.

Robert Archibald wies einen seiner Roboter an, die beiden Besucher ins Haus zu lassen, während er ins Esszimmer eilte, um rasch noch eine Kleinigkeit zu essen. Seine Absicht war, den jungen Künstler und seine Freundin erst einmal warten zu lassen, weil er wusste, dass sich der Mut seiner angehenden Geschäftspartner rasch verlor, wenn sie den Eindruck gewannen, dass er an ihnen nicht oder nur wenig interessiert war.

Nachdem er ein Steak verschlungen hatte, eilte er in die Empfangshalle, wo Addison Uptigrove und Merlin Sanders warteten. In der Halle herrschte Stille, obwohl drei Männer und fünf Roboter damit beschäftigt waren, Bilder von den Wänden zu nehmen und auf schwebende Antigravplatten zu verladen sowie norgan-turische Plastiken von ihren tragenden Energiefeldern zu nehmen und hinauszubefördern.

»Also, machen wir es kurz. Ich bin in Eile. Die Ausstellung wird gleich eröffnet, und eigentlich ist es viel zu spät, jetzt noch etwas aufzunehmen«, begann Robert Archibald das Gespräch. Er sagte bewusst die Unwahrheit, denn zum Reglement der Ausstellung gehörte, dass auch nach der Eröffnung noch neue Werke aufgenommen werden konnten.

Robert Archibald aber war Geschäftsmann. Ihn interessierte nur, wie er möglichst viel Geld verdienen konnte. Er selbst kannte zumindest in geschäftlicher Hinsicht überhaupt keine Gefühle, und das machte ihn gegenüber seinen Verhandlungspartnern stark.