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Fußnoten


1 Gemeint ist hier vermutlich: Aus allen Welttheilen. Illustrirte Monatshefte für Länder- und Völkerkunde und verwandte Fächer., Leipzig, Verlag von Adolph Refelshöfer. Hrsg. Otto Delitsch.

2 Bezeichnung für verwandte indigene Völker in Argentinien und Paraguay

3 Chilenische Strauchratte

4 Sinngemäß: Das ist mir sch...egal

5 „Fahr zur Hölle!“

6 vgl. dazu auch Old Shatterhand – Neue Abenteuer, Band 3, ­Der schwarze Josh

7 vgl. zu Klara von Rauten Old Shatterhand – Neue Abenteuer, Band 1, Aufbruch ins Ungewisse

8 vgl. dazu Old Shatterhand – Neue Abenteuer, Band 5, Heiße Fracht für Juarez

9 Oberster Heerführer

10 vgl. dazu Old Shatterhand – Neue Abenteuer, Bände 4,5 und 6

11 Zuñi-Bezeichnung für die Apachen

12 Eigenbezeichnung der Zuñi

13 Vgl. dazu Old Shatterhand – Neue Abenteuer, Band 3, Der schwarze Josh

14 Wurm!

15 entspricht etwa 4.000 km²

16 Volk der Bergwälder, eine Gruppe der Mescaleros

17 vgl. dazu Old Shatterhand – Neue Abenteuer, Band 5, Heiße Fracht für Juarez

18 Büffelesser, ein Stamm der Comanchen

Im Wilden Westen Nordamerikas
DER SCHWUR DER BLUTSBRÜDER



In dieser Reihe bisher erschienen

2201 Aufbruch ins Ungewisse

2202 Auf der Spur

2203 Der schwarze Josh

2204 In den Fängen des Ku-Klux-Klan

2205 Heiße Fracht für Juarez

2206 Maximilians Gold

2207 Der Schwur der Blutsbrüder

2208 Zwischen Apachen und Comanchen

2209 Der Geist von Rio Pecos


H. W. Stein (Hrsg.)


Der Schwur
der Blutsbrüder


Aufgeschrieben von Thomas Ostwald





Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2019 BLITZ-Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Mario Heyer
Logo: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-437-4

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



1.


Don Vicente Fernandez saß in seinem Schaukelstuhl auf der Veranda des weitläufigen Herrenhauses, als ich mein Pferd einem Peon übergab. Er nickte mir freundlich zu. Das schlohweiße Haar umrahmte ein edles Gesicht, auf dessen hellbrauner Tönung sich der ebenfalls vollkommen weiße Schnurrbart deutlich abzeichnete. Vor der Sonne schützte sich der Haziendero mit einem breitrandigen, hellgrauen Hut. Sein sehr elegant geschnittener Anzug aus weißem Leinen, dazu die schwarzen Stiefeletten, auf die mein Blick sofort fiel, weil er die Beine übereinandergeschlagen hatte, und sein freundliches Lächeln nahmen mich sofort für den Mann ein.

„Señor Winter, welche Freude! Hattet Ihr einen guten Ritt? Es ist ja ein sehr weites Stück bis in unsere Einsamkeit – seid mir deshalb doppelt willkommen! Bitte, nehmt Platz, ich lasse gleich eine Erfrischung für Euch kommen!“

Der Haziendero klatschte in die Hände, aber das war fast überflüssig, denn augenblicklich trat eine dunkelhäutige Frau aus dem Haus mit einem Silbertablett in der Hand und zwei Gläsern darauf. Ich war sehr erstaunt, als ich das leicht beschlagene, große Glas vor mir betrachtete. In einer hellen Flüssigkeit, die ich rasch als Wein deklarierte, schwammen eine Menge dunkelroter Erdbeeren. Don Vicente hatte wohl meinen etwas skeptischen Blick bemerkt und deutete lachend auf das Glas.

„Salud, Señor Winter, und herzlich willkommen auf meiner Hazienda! Ich freue mich, dass Ihr der Einladung meines Freundes Andree gefolgt Seid! Ihr werdet sehen, von hier aus lassen sich wundervolle Streifzüge in das Land unternehmen, und Ihr werdet Gelegenheit erhalten, auch den Puma zu jagen!“

Ich erhob mein Glas und verbeugte mich im Sitzen artig:

„Ya sud salud, Don Vicente!“

Als ich probierte, war ich nicht nur von dem angenehmen Aroma des Weißweins überrascht, sondern gleich darauf auch von dem überwältigenden Geschmack der Erdbeeren. Genießerisch schloss ich für einen Moment die Augen und war wieder in der Heimat, in meinem geliebten Sachsen. Was hatten wir doch für herrliche Erdbeeren als größte Köstlichkeit im Wald gesammelt! Zwar nicht einmal halb so groß wie diese Früchte, sondern eher klein wie Erbsen – aber mit einem wunderbaren Geschmack!

„Das ist Clery, ein Punsch aus weißem Wein und Erdbeeren“, erklärte mein Gastgeber. „Er soll ursprünglich aus der Gegend von Clery stammen und wird mit unserem süßen Weißwein zubereitet. Die Erdbeeren wachsen so prächtig am Rio Claro.“

„Ganz vorzüglich, Don Vicente!“, versicherte ich. „Wie gelingt es Euch aber, die Getränke so kühl servieren zu lassen?“

Der alte Herr lächelte freundlich und deutete auf die weite Ebene, die sich hinter den hellen Mauern seiner Hazienda bis zu den Bergen in der Ferne erstreckte. Eigentlich handelte es sich bei seinem Anwesen um eine Estancia, wie man die großen Farmen nannte, auf denen Rinder und Schafe gezüchtet wurden. Aber Don Vicente hatte noch weitaus mehr zu bieten, denn er besaß mehrere Weinberge und hatte zudem gerade eine Kupfermine aufgekauft.

Ich war von Santiago de Chile den Río Mapocho hinauf gefahren, hatte dann auf einer kleinen Station ein Pferd gekauft und war auf die Anden zugeritten, die von Santiago aus in etwa einhundert Kilometern mächtige Höhen bis zu 5.000 Meter erreichen. Die Sorge um deutsche Auswanderer hatte mich nach Chile geführt, und deshalb war ich bei einigen Siedlern im Land gewesen, hatte mich erkundigt und schließlich ein Gespräch mit dem chilenischen Präsidenten José Joaquín Pérez Mascayano über die Möglichkeiten für Einwanderer geführt. Er unterstützte ausdrücklich noch einmal den Wunsch der chilenischen Regierung, möglichst viele neue Siedler aus Deutschland nach Chile zu holen. Dann empfahl er mir den Besuch einer Hazienda, die ein Musterbetrieb in der Rinder- und Schafzucht war.

Auf der halben Strecke bis zu den mächtigen Bergen lag die mir empfohlene Hazienda inmitten riesiger Ländereien in der Pampa, für die ich ein Empfehlungsschreiben meines Auftraggebers in der Tasche hatte. Aber das war nicht mehr erforderlich, denn Don Vicente hatte schon Wochen vor meiner Ankunft einen Brief des chilenischen Konsuls aus dem Königreich Sachsen erhalten, das ihn über mich und mein Vorhaben ausführlich informierte.

„Nun, wir haben durch Kurierreiter Eis aus den Bergen holen lassen, Señor, und dafür einen hervorragenden Eiskeller, in dem es sich lange hält. Es lebt sich recht gut in unserem Land, zumal, wenn man über die Mittel verfügt, sich das Leben ein wenig komfortabel zu gestalten.“

„Da kann ich Euch nur zustimmen, Don Vicente. Ich hoffe nur, ich falle Euch nicht zur Last, denn Señor Andree trug mir unbedingt auf, mich nur an Euch zu wenden – aber ich bin Euch ja ein völlig Unbekannter und dränge mich eigentlich nie auf, kann zur Not sehr gut im Freien übernachten, nur mit meinem Sattel als Kopfkissen.“

„Aber Señor, wollt Ihr mich beleidigen? Das kommt ja überhaupt nicht infrage, und schließlich wurdet Ihr mir vom Konsul bestens empfohlen! Er hat mir übrigens sogar unter Kreuzband einige Eurer letzten Publikationen zuschicken lassen. Ich muss sagen – alle Achtung, Ihr habt da eine große Begabung, über Eure Erlebnisse zu berichten!“

Die dunkelhäutige Dienerin in ihrem ebenfalls schneeweißen Kleid war lautlos wieder herangetreten und füllte unsere Gläser erneut auf. Die große Karaffe in ihrer Hand wirkte schwer, aber die Frau ließ sich nichts anmerken. Ich beobachtete sie heimlich, während sie uns die Gläser einschenkte, und erkannte natürlich ihre indigene Abstammung, konnte aber nicht sagen, ob sie möglicherweise zu den Mapuche-Indianern gehörte, die eine große Gruppe in Chile bilden, oder aber vielleicht sogar zur Minderheit der Aymara. Sie mochte vielleicht Ende zwanzig sein, hatte ein etwas rundes Gesicht und verzog nicht einmal die Miene bei ihrer Tätigkeit. Die Blicke, die ich von ihr erhaschen konnte, sagten ebenfalls nichts aus – sofort senkte sie ihren Blick nach unten oder richtete ihn irgendwo in die weite Ferne. Ich fand sie etwas seltsam, aber vermutlich hatte das nichts zu bedeuten. Die Indios in Südamerika waren nicht mit den Prärieindianern zu vergleichen, waren erheblich phlegmatischer und hatten sich den weißen Eroberern längst angepasst. So dachte ich jedenfalls bei meiner Ankunft, bevor ich mehr über die in Wahrheit sehr kriegerischen Stämme der Mapuche erfuhr.

Als die Frau wieder in das Haus zurückkehrte, beugte sich der Haziendero etwas zu mir herüber und erkundigte sich lächelnd: „Na, mit den Indianern der Prärien hat unsere gute Seele wohl wenig gemeinsam, was?“

Ich war erstaunt über diese Frage, aber dann dachte ich an seine Äußerung, dass er Erzählungen von mir kannte, und antwortete deshalb interessiert: „Ach, Ihr kennt also meine Reiseerlebnisse aus Nordamerika, Don Vicente? Dann allerdings kann ich Euch dazu anmerken, dass die von mir aufgesuchten Mescalero-Apachen ein sehr kriegerisches Volk sind, das allerdings unter seinem Häuptling Winnetou versucht, ein gutes Verhältnis zu den weißen Siedlern zu pflegen.“

Ich nahm einen weiteren Schluck von dem Punsch und merkte, dass er nur eine schwach alkoholische Wirkung hatte. Das war mir sehr lieb, denn einerseits wollte ich nicht unhöflich sein und das erfrischende Getränk zurückweisen, andererseits war es noch Vormittag und für mich entschieden zu früh für ein starkes Getränk.

„Das ist interessant, dann sind sie vielleicht doch mit den Mapuche zu vergleichen, insbesondere mit den Pewenche. Dieser Unterstamm hat den spanischen Eroberern jahrhundertelang getrotzt, und erst in letzter Zeit ist es zu einem friedlichen Zusammenleben gekommen. Aber nun scheint alles wieder in Aufruhr zu geraten durch diesen unseligen Phantasten aus Frankreich!“, antwortete der Don und schien bei seiner letzten Bemerkung plötzlich verärgert zu sein. Jedenfalls zog ein Schatten über sein freundliches Gesicht, und von einer Minute zur anderen versank er in Nachdenken. Dabei trommelten seine Finger auf die Lehnen des Schaukelstuhles, und zugleich wippte er heftig vor und zurück. Dann schien ihm aber meine Gegenwart wieder bewusst zu werden, er unterbrach seine Tätigkeit und schaute mich erwartungsvoll an.

„Gestattet mir doch bitte diese Frage, Señor ­Winter – habt Ihr wirklich mit dem Häuptling der Apachen Blutsbruderschaft geschlossen? Ich meine so, wie Ihr es beschrieben habt, mit dem Messer und dem Aufeinanderpressen der Arme?“

„Ah, ich vermute, dass Ihr den Artikel gelesen habt, der nach meinem Bericht in der Zeitschrift Illustrierte Monatshefte für Länder und Völkerkunde erschienen ist?1 Der Herausgeber, Professor Delitsch, sprach mich damals in Leipzig an und ich berichtete ihm von meinen Erlebnissen als Lehrer und Landvermesser im Westen.“

Bestätigend nickte mein Gastgeber mit dem Kopf und fügte hinzu: „Der Konsul war sehr beeindruckt von Eurem Bericht und hat mir alles zukommen lassen, was Ihr bislang veröffentlicht habt“, bemerkte er lächelnd.

Ich lächelte verbindlich und beeilte mich, ihm zu versichern:

„Aber ja, Don Vicente, ich schreibe auf, was ich wirklich erlebt habe, und möchte damit meine Leser nicht nur unterhalten, sondern auch weiterbilden. Wisst Ihr, immer wenn ich an den Indianer denke, fällt mir der Türke ein, der kranke Mann am Bosporus, und dann ist es für mich ...“

„Entschuldigung“, unterbrach mich mein Gastgeber und legte mir mit einer begütigenden Geste die Hand auf den Unterarm. „Ich unterbreche Euch nur sehr ungern, aber ich sehe eben, dass dort drüben meine Frau und mein Sohn von ihrem Ausritt zurückkommen. Sie sind gestern vor Sonnenuntergang aufgebrochen, um sich selbst von den Schäden auf unseren Weiden zu überzeugen. Kommt, wir wollen sie begrüßen!“

Ich hatte wohl beobachtet, dass zwei Reiter im Galopp über die Ebene an die Einfassungsmauer der Hazienda geritten kamen und dort sofort von zwei Peons empfangen wurden, aus den Sätteln stiegen und zur Veranda schritten, auf der wir uns gerade von unseren Plätzen erhoben hatten.

„Mein Liebes, darf ich dir diesen Herrn vorstellen, der mir von Konsul Andree empfohlen wurde? Er nennt sich Karl Winter und schreibt für den Konsul einen Artikel über das Leben in Chile. Señor Winter – meine Frau Donna Ramira – mein Sohn Orlando. Nehmt Platz, meine Lieben, ich lasse euch sogleich die Erfrischungen kommen!“

Erneutes Klatschen, und die Indio-Frau erschien wiederum mit Gläsern und der Karaffe, schenkte den neu Angekommenen schweigend ein, und die beiden griffen sogleich zu ihren Gläsern.

„Señor Winter, mein Mann hat mir schon viel von Euch erzählt und sogar aus Euren Reiseschilderungen vorgelesen. Ihr seid ein beneidenswerter Mensch, habt trotz Eurer Jugend schon sehr viel gesehen und erlebt und führt zudem eine begnadete Feder. Wenn Ihr wieder in Eurer Heimat seid, müsst Ihr mir versprechen, Eure Berichte über unser Land sofort zu schicken!“

Ich verneigte mich leicht und antwortete: „Das will ich gern tun, Donna Ramira, es ist mir eine Ehre! Aber versprecht Euch bitte nicht zu viel, ich bin derzeit auf die Gunst der Redaktionen angewiesen, und immer wieder glücklich, wenn ich etwas veröffentlichen darf.“

Nun ergriff auch der Sohn das Wort. Er war wohl in meinem Alter, wirkte aber auf den ersten Blick wie ein spanischer Grande auf mich. Von ziemlich heller Gesichtsfarbe, unterstrich der feine, dunkle Schnurrbart sein aristokratisches Gesicht, in dem mich nur der schmale Mund störte, der ihm einen unangenehmen Zug verlieh. Doch kaum begann er mit seinem Bericht, war dieser Eindruck verwischt, und ich erlebte einen jungen Haziendero, der wohl das Anwesen seiner Eltern gut zusammenhielt und tatsächlich tagsüber kaum aus dem Sattel kam, ständig die Ländereien kontrollierte, die Schaf- und Rinderherden zusammen mit den Gauchos trieb und sich auch sonst keiner Arbeit zu fein war.

Allerdings fiel mir auch gleich auf, mit welch verächtlichem Blick er die diensteifrige Indianerin bei ihren Handreichungen beobachtete. Das schob ich allerdings auf seine Herkunft, denn diese jungen Hazienderos verachteten insgesamt die indianische Rasse, seit sie sich zu den Herren der Länder aufgeworfen hatten.

„Es muss ein riesiger Puma sein, der unsere Herde überfallen hat, Vater“, berichtete er gerade von seinem Ritt, und ich wurde sofort aufmerksam. „Er hat in einem wahren Blutrausch neunzehn Schafe gerissen, und wenn das so weiter geht mit ihm, dann wird es für uns sehr teuer. Ich schlage vor, wir rüsten morgen eine Gruppe unserer Arbeiter mit Gewehren aus und jagen die Bestie, bis wir sie sicher vor unseren Läufen haben.“

Der Don nickte nachdenklich zu seinen Worten und deutete auf mich.

„Das wird für unseren Gast sicher ein besonderes Vergnügen werden, Orlando. Er ist nicht nur ein erfahrener Jäger, sondern verfügt zudem über ein besonderes Gewehr, von dem es nur ein einziges Exemplar gibt. Ich gehe doch davon aus, dass Ihr es mit auf dem Pferd habt, Señor?“, fügte er dann mit einem Lächeln zu mir gewandt fort.

„Oh ja, Don Vicente, ich habe tatsächlich beide Gewehre mitgebracht, den schweren Bären­töter ebenso wie meinen Henry-Stutzen. Sehr gern würde ich morgen mit Don Orlando und Euren Männer nach dem Puma spüren, wenn Ihr gestattet!“

„Aber natürlich, Señor“, antworteten Vater und Sohn fast gleichzeitig, „ein guter Schütze ist uns dabei sehr nützlich! Der Puma ist ein gefährlicher Gegner, und wenn er einmal ausprobiert hat, wie einfach so eine Schafherde zu überfallen ist, wird er es immer wieder tun.“