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Benjamin Tomkins

Comedy Storys

King Kong und die weiße Barbie?

Für meine Mutter.

Sie hätte gewusst, warum.

ist ein Imprint der

HEEL Verlag GmbH

Gut Pottscheidt

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© 2017 HEEL Verlag GmbH

Plaza ist ein Imprint der HEEL Verlag GmbH

Autor: Benjamin Tomkins

Layout: Ralph Handmann, Bonn

Fotos: André Kowalski

Portraitfoto vordere Klappe: Daniela Vagt

Covergestaltung: HEEL Verlag GmbH, Christine Mertens und Ralph Handmann

nach einem Entwurf von Prima5

Projektleitung: Ulrike Reihn-Hamburger

Benjamin Tomkins wird vertreten durch:

Prima Künstlermanagement

Stephanie Krink-Pehlgrimm e.K.

Knesebeckstraße 83

10623 Berlin

www.prima-5.de

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks, der Wiedergabe in jeder Form und der Übersetzung in andere Sprachen, behält sich der Herausgeber vor. Es ist ohne schriftliche Genehmigung des Verlages nicht erlaubt, das Buch und Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer bzw. mechanischer Systeme zu speichern, systematisch auszuwerten oder zu verbreiten.

– Alle Rechte vorbehalten –

Printed in Turkey

ISBN: 978-3-95843-568-1

e ISBN: 978-3-95843-615-2

Inhalt

Vorwort

Mein Erbe

Prolog zu Jetzt ist die Ente grad‘ weg

Jetzt ist die Ente grad‘ weg

Studentenjob

Engel in eigelb

Mutti

Das Sanifair-Karussell

Sex

Verstanden

Ärger mit Gott

Donald und die dicken Fische

Falsche Antwort

Horst Bublack

Kefir & der KGB

Was haben Kefir und der KGB gemeinsam?

King Kong und die weiße Barbie

Mein Nachbar hat seine Felgen poliert

Überraschungsei und acht Bifis

Alkohol und Fliegen

Teilzeit-Paranoia

Elokwent

Dieter Grenz

Vorwort

Schon immer habe ich mich gefragt, warum ein Vorwort den Singular beschreibt, aber ausnahmslos im Plural genutzt wird, denn es sind viele, viele Worte in einem Vorwort.

Es müsste korrekterweise im Plural „Vorworte“ heißen.

Schließlich heißt die Geschichte ja auch nicht Hauptwort.

Wenn Sie das Wort „Wort“ überdenken, dann sind Ihnen sicherlich auch schon einmal diese oder andere Gedanken durch den Kopf gejoggt:

Warum heißt es „das Jawort geben“. Das Jawort heißt „Ja“.

Punkt – Aus – Ende.

Wieso umständlich die Endung „-wort“ dranhängen? Andersherum habe ich noch nie gehört, dass jemand sagte:

„Ich gebe Dir das Neinwort!“

Für große Verwirrungen sorgen zum Beispiel die Fürwörter.

Der Fachmann, also der Deutschlehrer und Herr Duden, sagen dazu Pronomen. Ein Fürwort ist ein Wort, das ich für ein anderes Wort einsetze.

Warum?

Wenn ich schon ein Wort für ein Wort habe, wieso dann noch ein Fürwort, also noch ein anders Wort für dieses Wort kreieren? Dann habe ich ja zwei oder gar mehrere Worte für ein Wort.

War es nicht ursprünglich im Sinne des Erfinders, dass man für eine Sache ein Wort erfand?

So konnte man sich klar und deutlich ausdrücken. Erst durch viele verschiedene Wörter für ein und dasselbe Wort entstehen doch Missverständnisse und Zankereien.

Was soll man denn von einem Bindewort denken. Ein Wort, dass es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Sätze oder Worte zu verbinden. Das Bindewort, der Kabelbinder der Grammatik. Böse Zungen behaupten, das Bindewort wurde nur als Lückenfüller für das Kreuzworträtsel erfunden.

In Wahrheit müsste eigentlich das „Jawort“ „Bindewort“ heißen, denn das tut es nämlich. Es bindet ihn an sie.

Vielleicht ist das Bindewort auch eine Art Codewort (schon wieder ein Wort mit -wort am Ende).

Sie wollen Ihren Hund vor dem Supermarkt anbinden und haben keine Leine. Dann sprechen Sie einfach das Bindewort aus. Das ist sowas wie ein Zauberwort.

Das Fremdwort. Ein Wort, das uns fremd ist. Also auch Worte erfahren Ausgrenzungen am eigenen Leib.

Manchmal ist mir sogar meine eigene Frau fremd. Sollte ich es aber wagen, sie deswegen mit Fremdfrau anzusprechen, dann könnte ich mit einer gepfefferten Antwort rechnen.

Übrigens ist „sofort“ auch ein Wort, aber leider mit Rechtschreibfehler.

Es kommt sogar vor, dass man anderen sein Wort gibt, was aber nicht weiter ins Gewicht fällt, denn man hat ja unendlich viele davon und wenn man will, sogar noch dreimal so viele Fürworte.

Worte haben große Wirkung, wie das Ehrenwort oder das Grußwort. Worte können aber auch verletzten. Nehmen Sie sich in Acht vor dem Stichwort oder dem Schlagwort.

Sie merken schon, das Wort besitzt Macht.

Aber für das größte Mysterium, das uns Menschen bekannt ist, das eine große Rätsel, über das wir so wenig wissen und das doch ein jeder früher oder später tut, haben wir nur eine hilflose süße Verniedlichung parat?

Ist der Tod nicht mehr wert als nur ein Sterbenswörtchen?

Aber warum erzähle ich Ihnen das alles?

Fahren wir fort.

Man hat mich noch vor dem Vorwort gefragt, warum ich ein Buch schreiben möchte.

Nun, ich bin ein großer Freund des Recyclings und ich möchte gerne etwas für die Umwelt tun. Ein Buch besteht aus Papier und irgendwann wird es dann zu Altpapier. Und ich führe Altpapier der Altpapiertonne zu, um kein unnötiges Papier zu verschwenden.

Wer kennt eigentlich den genauen Zeitpunkt, wann aus Neupapier Altpapier wird?

Ist das Buch, das Sie jetzt gerade in den Händen halten, nicht eigentlich schon Altpapier?

Und wenn dem so ist, dann freuen Sie sich, denn Sie tun etwas für die Umwelt. Sie lesen Altpapier, retten also einen Baum – oder so ähnlich.

Sie merken schon, Umweltschutz ist kompliziert.

Ich habe im Laufe meines Lebens eine Weisheit erlangt, die ich für unumstößlich halte.

Selbst das Leben eines Fremden ist sehr persönlich.

Da ich aber über das Leben von Fremden ungefähr so viel weiß, wie ein Seehund vom Panflötenspielen, liegt es auf der Hand, über mein eigenes Leben zu schreiben. Zumindest darüber, was ich davon so in Erinnerung habe, wie es sich angefühlt haben könnte, wenn es so gewesen wäre.

Schuld an diesem Buch ist streng genommen Dieter Grenz. Denn schon damals sagte ich mir: „Das müsste man eigentlich aufschreiben!“

Wenn Sie je einen Mitbewohner wie Dieter Grenz haben, dann schmeißen Sie ihn raus, bevor er eingezogen ist!

Aber auf Dieter komme ich später noch zurück.

Mein Erbe

Mein Erbe ist ein Fluch. Seinen Anfang nahm es 1821 in Mombasa, einer Stadt, so verschwenderisch wie ein Füllhorn.

Mombasa.

Hauptstadt der Orgien.

Nichts kann dich auf Mombasa vorbereiten.

Paolos Zähne erinnerten an die Farbe von Taubenkot. Das zigarrenbraune, ungewaschene Gesicht, kantiger als ein Silberbarren, beherbergte ein Augenpaar, das bei jedem Wort wie eine Roulettekugel kreiste.

Bormann musste sich zwingen, wegzusehen, um einem Schwindelanfall zu entfliehen.

In den Adern der Stadt fließt ein Gebräu, das sie Zulu-Bier nennen. Ein Gesöff, ätzender als Säure, hinterhältig wie ein Strauchdieb.

Paolo schüttelte sich bei der Vorstellung daran wie ein nasser Hund.

Als Matrose auf der portugiesischen Galeone Sao Gabriel hatte der ständig im Rausch lebende Schiffskoch die Welt gesehen, wie er sich bei jeder Gelegenheit anzumerken beeilte. In Mombasa wollte Paolo schon drei- oder fünfmal gewesen sein, genauer konnte er es nicht benennen.

Eine Stadt, gespickt mit Wundern.

In Mombasa geht die Sonne abends auf, die Menschen gehen rückwärts und die Babys trinken Blut statt Muttermilch. In den Gassen drängen sich Huren, die den Leibhaftigen zureiten könnten.

Am Hafen werden Sklaven wie nasse Säcke in rostigen Ketten auf klapprige Kähne verladen. Verhutzelte Zwergenmenschen, Jongleure und Feuerschlucker kämpfen um die Gunst des Publikums. Akrobaten balancieren über blitzende Schwertklingen, Fakire schlafen auf glühenden Kohlen, während sie sich gebleichte Knochen durch die Nasenflügel treiben.

Überall wartet Speis und Trank in Hülle und Fülle. Süße Gerichte, die gleichzeitig sauer schmecken. Kuchen so schmackhaft, dass sie sich bei der ersten Berührung des Gaumens in Poesie verwandeln.

Fleisch, gebraten, gegrillt, gekocht, eingelegt, gepökelt oder für die Wilden auch roh und blutig. Aufgeblähte Fische, die an rote Igel erinnern. Riesenmuscheln und Krebse, deren Scheren in der Lage sind, einen Ochsen zu halbieren. Gegessen wird von goldenen Tellern, getrunken aus Füllhörnern vom Olymp.

Und dann der Bazar: Ein Markt, der alles bereithält, was Begierde, Träume und Phantasie nur erdenken können. Goldene Schwerter, kohlschwarze Mädchen mit Zähnen aus Mondgestein, sprechende Vögel, Löwenköpfe, Elfenbein, Haschisch, Opium und die schwarze Magie der Wilden. Voodoo.

Mombasa, wilde Negerstadt der Ostküste.

Paolo leckte sich die Lippen, während Bormann, getragen von den Lügenmärchen des Portugiesen, seinen Gedanken nachhing.

Afrika. Terra incognita. Land der Wilden. Würde die Aussicht auf Abenteuer seinen Mut beflügeln, der wie ein mürber Zwieback in seiner Manteltasche dahinfaulte? Kaum zu glauben, dass die Ankunft in Mombasa schon sechs Monate zurücklag.

Die Erinnerung daran war lebendig wie ein Wasserfall. Bormann schmunzelte damals über die ausschmückende Beschreibung des Schiffskoches der Sao Gabriel, aber wenn Paolo eines gelungen war, dann die übertriebene Darstellung der Gegensätze dieses fremdartigen und für Europäer so lebensfeindlichen Kontinentes.

Mittlerweile hatte Bormann Dutzende von Zeichnungen und Skizzen zusammengetragen, die ein Afrika zeigten, das alle Facetten – von himmlisch betörend, skurril und schrullig bis teuflisch gefährlich und hinterlistig bösartig – aufzeigte.

Afrika war Treibsand fürs Gehirn. Je tiefer man sich ins Landesinnere vorwagte, desto größer die Gefahr. Gefahren, von denen das hungrige Lachen der Hyänen bei Nacht eine der harmlosesten war.

Moskitos schwirren wie Nieselregen umher, peitschende Fieberkrämpfe wechseln sich mit der Ruhr ab. Giftschlangen, Skorpione und Spinnen, groß wie Bratpfannen, ducken sich unsichtbar ins Dickicht. Krokodile liegen scheinbar träge in der Sonne, um vorbeiziehende Beute blitzartig zu packen. Raubkatzen streifen knurrend durch den Busch. Untiere mit teuflischen Hörnern, deren Galopp wie das Poltern betrunkener Riesen klingt. Wilde, die über zwei Meter groß sind, behangen mit bunten Ketten und Tierfellen, bewaffnet mit Speeren, deren Spitzen in der Sonne glühen. Totenschädel, aufgespießt auf Holzpfählen, die für Bormanns Geschmack auf eine äußerst ungemütliche Art und Weise die Macht und Stärke der Stammesfürsten zur Schau stellen.

Dazu kommen die unzähligen verschiedenen Stämme und Dörfer, jeder mit einem eigenen König oder Stammeshäuptling, deren einziges Verlangen, so wirkt es auf den reisenden Deutschen, darin besteht, Geschenke von ihm einzufordern.

Jetzt aber lag Bormann von Schüttelfrost und Fieberanfällen gepeitscht wie ein verwundeter Hund in der halbdunklen Hütte. Die 40 Grad waren bei Außentemperaturen von über 55 Grad aberwitzigerweise als angenehm kühl zu bezeichnen.

Der Staub biss wie eine Armee ausgehungerte Flöhe. Hitze hatte den einstigen Lehmboden in eine trockene, rissige Salzwüste verwandelt. Während sich der heiße Wind zielsicher seinen Weg durch die Ritzen und Lücken der schiefen Hütte bahnte, stieg in Bormanns Verdauungstrakt blubbernde Unruhe auf.

Es waren letztlich die Geier gewesen, die den Deutschen vorerst retteten.

Angelockt von den am Himmel kreisenden Aasfressern, wurde eine Gruppe Massai auf den fremden Halbtoten in den geduckten Büschen der Steppe aufmerksam. Geduldigen Ministranten gleich hatten die Aasgeier in Armeslänge von ihm entfernt ausgeharrt. Hockten im Steppengras, tänzelten von einem Bein auf das andere, fast so als ob der Boden zu heiß wäre, und probierten bereits mit ihren scharfen Schnäbeln an ihm herumzupicken. Dschungel-Horsd‘œuvre

Vage Schemen großer schwarzer Wilde, lang wie Bäume, mit Muskeln wie Eisen und Leopardenköpfen waren das letzte, was Bormann wahrnahm, bevor sein Körper Erlösung in der Ohnmacht fand.

Im fieberartigen Dämmerzustand sah er sich um. Getrockneter Lehm auf einem Geflecht aus Zweigen und Reisig bildeten die Wände. Dazwischen Tierfelle und Wollfetzen, die entfernt an Fenster oder Türen erinnerten. Die Ruhrbakterien hatten seinem Darm schwer zugesetzt. Die Verdauungsfunktionen seines Körpers arbeiteten mehr als nachlässig. Sein After fühlte sich an wie grobkörnig abgeschliffen und brannte als hätte er ein Säurebad genommen. Die verbliebenen Sinne waren so abgestumpft wie lauwarmer Haferbrei. Schweiß. Unmengen salzigen Schweißes. Sturzbäche. Literweise. Eimerweise. Stinkende schweißige Gewitterschauer, die an ihm herabflossen.

Kochender Schweiß strömte unerschöpflich aus ihm heraus. Wie heiße Quellen schienen sie nie zu versiegen. Und ein andermal wieder schwitzte er winzige Tröpfchen, langsam vor sich hinschmorend. Aber besonders hinterhältig war der erkaltete, klebrige Schweiß, der in den klaren Nächten seinen Körper wie eine eisige Schlangenhaut überzog und weiße Male krustiger Salzränder auf seiner Haut hinterließ.

Hans Bormann war von einer Gruppe Massai-Krieger aufgelesen worden. Den fast leblosen Körper des Deutschen hatten sie im Dickicht gefunden und nur notdürftig versorgt, denn der weiße Musungo, so nannten sie Bormann, war verhext und schuld an der Seuche, an der die Ziegenherde des Stammes verendet war. Sobald er wieder in der Lage war, einigermaßen auf eigenen Beinen zu stehen, schickte man ihn, festgebunden auf einer blinden, ausgehungerten Kuh, in die Steppe, um die Götter zu besänftigen, ihre Ziegen zu verschonen.

Als eine Karawane englischer Kaufleute und Forscher den Deutschen – festgebunden auf einer von den Geiern bereits angenagten Kuh – im Sand entdeckten, mussten sich selbst die hartgesottensten Abenteurer beim Anblick des von der Sonne verbrannten und aufgeplatzten Körpers Bormanns über-

geben.

Als mein Urururgroßvater Hans Bormann zwei Jahre später wieder in den Schoß seiner Familie in Hamburg zurückkehrte, war er nicht mehr derselbe.

Die Strapazen und Qualen dieser Afrikareise drückten sich in einer geistigen Verwirrtheit aus.

Bei seiner Rückkehr wurde Hans Bormann von einem Schimpansen namens Knut begleitet. Knut war zur See gefahren und Hans Bormanns bester Freund geworden.

Die Krux an der Geschichte war, dass mein Urururgroßvater der einzige war, der Knut sehen konnte und so fand er sich bald in einem Irrenhaus wieder, in dem er schließlich mit weit über

80 Jahren verstarb.

Knut war ihm nie auch nur eine Sekunde von der Seite gewichen und seit dieser Zeit ist Knut zu einer Art Fluch unserer Familie geworden, denn jeder männliche Nachkomme der Bormanns hatte einen Knut an seiner Seite. Knut war zum Erbe der Bormanns geworden.

Mein Knut hat sich erst gezeigt, als ich Mitte 40 war. Ich hatte gerade einen Joghurt aus dem Kühlschrank geholt. Ich weiß noch genau, es war ein Stracciatella-Joghurt. Geschmacklich eher eine vier minus, aber optisch machte der Joghurt echt was her. Das Auge isst ja mit. Diese kleinen Schokoladensplitter im weißen Joghurt erinnerten mich an kleine Trüffel im Schnee. Gedankenversunken stapfte mein Geist durch den Schnee voller Trüffel, als mich Knuts schräges Gesicht zwischen der Butter und dem Camembert anstarrte. Vor Schreck ließ ich meinen

Joghurt fallen.

Knut fragte mit norddeutschem Seemannsakzent: „Wat ist, war der Joghurt nicht mehr haltbar?“

Zuerst hatte ich an einen kurzen Tagtraum, so eine Art Sekundenschlaf gedacht, aber während ich den Schnee und die Trüffel vom Fußboden wischte, saß er plötzlich am Küchentisch, stopfte sich genüsslich eine Handvoll Nüsse in den Mund und las meine E-Mails auf meinem geöffneten Laptop.

Seitdem ist Knut sporadisch da, zeigt sich manchmal beim

Autofahren auf dem Beifahrersitz, im Wartezimmer beim Arzt, an der Schlange vor der Supermarktkasse oder auch inmitten meines Publikums. Meist aber in der Küche am Küchentisch.

Irgendwie ist der Tisch in der Küche zu so einer Art zentralem Lebensmittelpunkt für Knut und mich geworden. Eigentlich kein Wunder, die besten Partys werden ja auch in der Küche gefeiert. Und Knut lässt es sich bei mir gut gehen.

Irgendwie ist Knut eine abgewandelte Form von Dr. Jekyll und Mr. Hide. Nicht, dass Knut das Böse in mir weckt, eher das Absurde, das Verrückte und Aberwitzige.

Ich habe mich an Knut gewöhnt. Mehr noch, Knut und ich haben uns arrangiert und leben in einer sehr abstrusen und seltsamen Beziehung, die eher an eine WG als an eine Familie erinnert. Und am Küchentisch unserer kleinen WG begannen wir auch, diese erfundene Autobiografie zu schreiben, also quasi eine Autobiografiktion.

Prolog zu Jetzt ist die Ente grad‘ weg

Nachdem ich mein Leben immer so gelebt habe, wie ich es notgedrungen wollte, und meine Eltern mir schon sehr früh, mit 15, die wohlbehütete und beaufsichtigte Freiheit schenkten (Ich bin mit 15 von zuhause ausgezogen worden), ließ ich mich vom Leben an der langen Leine herumführen.

Rückblickend, und ich kann erst auf die rechnerisch erste Hälfte zurückblicken, habe ich festgestellt, dass das Leben, ganz unbemerkt, doch zielstrebig ein Eigenleben entwickelt.

Und dieses teilweise widerspenstige Eigenleben bugsierte mich wie ein entschlossener Hafenschlepper vollkommen unvorbereitet in Situationen, die mich und vor allen Dingen meine Weltanschauung prägten.

Aus diesen zufällig absurden Begegnungen hat sich unter anderem mein Humor entwickelt.

Meine Bühnenprogramme basieren auf Momenten, Sätzen, Zu- und Unfällen, Erinnerungsfetzen oder Phobien.

Wie muss man sich das vorstellen?

Ein guter Freund und Zahnarzt Professor Matthias Heinenhoff ist ein großer Bewunderer Obelix‘.

Nicht, das was Sie denken.

Er liest weder die Comics, noch lacht er darüber oder ist ein Sammler.

Ihn begeistert die Technik des nicht zu übersehenden Galliers, sich den Hinkelstein auf den Rücken zu hieven, um damit spazieren zu gehen.

Die Kernbotschaft dahinter lautet:

„Ich mache das, weil ich es kann!“

Und so hielt es Professor Heinenhoff mit allem im Leben, bis eines Tages ein kurioser Unfall mit eben dieser Technik ihn fast seine Beweglichkeit gekostet hätte.

Er ist heute weder gelähmt, noch behindert, aber er war näher

dran, als eine Schmeißfliege am Fliegenfänger klebt. Rückwirkend betrachtet schreit die Geschichte geradezu vor Komik.

Und alles begann mit dem Satz:

Jetzt ist die Ente grad‘ weg

Die Erfolgsstory „Ente“ fußt auf zwei Grundpfeilern: Ausreichend Nahrung in Zusammenhang mit ausreichend Nachwuchs.

Zum einen hat sich das „Entenfüttern“ zu einer mittlerweile etablierten Freizeitaktivität bei Rentnern und Kindern entwickelt, und zum anderen ist es die anspruchslose Wahl ihres Brutplatzes.

Kaum vorstellbar, wenn man heutzutage, der Großstadthektik entfliehend, durch einen Park spaziert, dass es vor 100 Jahren kaum Enten in den Städten gegeben hat.

Enten sind heutzutage so verbreitet wie Apotheken, Dönerbuden oder Pizzadienste. Es gibt sie hundertfach in jedem Stadtteil.

Wo Sie übrigens keine Enten antreffen, sind die klassischen Chinarestaurants.

Die Pekingente, die Ihnen dort serviert wird, ist höchstwahrscheinlich Huhn, Hamster oder schmackhaft gewürztes Schaumgummi.

Ich habe zu Beginn der Vegetarierwelle, die in Deutschland damals zu Anfang der 1990iger auch auf die Restaurants überschwappte, eine vegetarische Pekingente auf einer Speisekarte entdeckt.

Auf Nachfrage hieß es aus der Küche des Chinarestaurants, die Ente sei aus Tofu.

„Also ist das eigentlich Pekingtofu!“ sagte ich.

Der Koch nickte verdutzt, lächelte aber dennoch nichtssagend und wiederholte:

„Pekingente ist Tofuente.“

„Da ist gar keine Ente drin, nur Tofu!“

„Tofuente!“ wiederholte er unterwürfig lächelnd.

„Nur Tofu, ohne Ente!“ Ich sollte es aufgeben, ihm den Unterschied zu erklären, dachte ich, als sich der Kellner einschaltete.

„Das ist clever Marketing“, klärte mich der Kellner in seinem mäßig weißen Hemd auf. „Pekingtofu bestellt niemand. Pekingente vegetarisch klingt besser.“

„Wie oft wird die vegetarische Pekingente denn bestellt?“ Jetzt war ich neugierig.

Der Kellner sah den Koch an, der Koch sah den Kellner an, ich sah den Koch an und dann sah der Kellner mich an.

„Mal sehen“, sagte er und hielt ein paar Finger zum Rechnen hoch. „Heute haben wir Donnerstag, also dann überhaupt noch nie.“

„Das ist ja mal ein astreines Marketing!“, sagte ich, klappte die Karte zu und verließ das Lokal.

Zurück zur Stockente, die ganz nebenbei bemerkt nur semantisch mit dem Stockfisch verwandt ist

Nehmen wir irgendeine Stadt. Hamburg.

In Hamburg gab es um 1900 keine Enten. Übrigens auch keine Autos.

Ich frage mich bis heute vergeblich, was wohl Rentner und Kinder um 1900 gemacht haben. In den alten, dunkeln, grausamen Zeiten, als Entenfüttern wegen akuten Entenmangels noch gar nicht erfunden war.

Heute leben über 20.000 Enten in Hamburg. Und übrigens 800.000 Autos.

Dass die Autos in der Überzahl sind, liegt überwiegend daran, dass für den gemeinen Mann ein Auto in der Garage einfach mehr hermacht, als eine Stockente unterm Carport.

Welcher 18-Jährige würde schon ein Mädchen aufreißen, indem er sagt:

„Ich kann dich zwar nicht in die Disco fahren, aber ich kann dir zuhause unterm Carport meine Stockente zeigen.“

Man kann also ohne weiteres die Behauptung aufstellen, dass die Ente zwar evolutionär vom Auto überholt wurde, sich aber dennoch, mal abgesehen vom Auto, einen festen Platz in der Stadt erobert hat.

Enten brüten zwar vorzugsweise im hohen Schilf oder Gras an Gewässern, bauen ihre Nester jedoch gern auch auf Häusern, Kirchtürmen, Terrassen oder Balkonen.

Regelmäßig im Frühsommer rufen besorgte Tierfreunde bei der Entenhotline an und fragen, was sie mit den Stockenten auf ihrem Balkon oder dem Flachdach machen sollen.

Keiner dieser Anrufer bei der Entenhotline war mein Freund Professor Heinenhoff.

Der Professor, wie man ihn unter Freunden liebevoll nennt, ruft keine Entenhotline an. Der erledigt das kurzerhand selbst.

Der Professor bewohnt mit seiner Frau, Frau Professor, eine schöne Dachgeschosswohnung in Hamburg-Winterhude, unweit der Alster.

Und diese schöne Wohnung besitzt eine noch schönere Terrasse, auf der wir in warmen Sommernächten bisweilen bis in die Morgenstunden sitzen, lachen, essen und trinken.

Der Professor ist ein ausgezeichneter Gastgeber, der gänzlich unaufdringlich dafür sorgt, dass man sich bei ihm einfach rundherum wohlfühlt.

Irgendwann hatte Frau Professor zwischen den Zierkoniferen und den Tomatensträuchern in den großen Pflanztrögen auf der Terrasse eine brütende Ente entdeckt, die dort genüsslich auf ihren Eiern hockte, als säße sie auf dem Klo und ihr fehlte zum perfekten Glück nur noch ein Zeitung.

War die Ente mal für kurze Zeit aus dem Nest, sah man die elf kleinen weiß gesprenkelten Enteneier.

Für den Professor war die Sache sofort klar: Die Ente musste samt Nest umgesiedelt werden.

Nicht, dass Herr und Frau Professor Entennachwuchs auf ihrer Terrasse unschön fanden. Nein, sie sind durch und durch Tierfreunde, aber der Professor äußerte gewisse Sicherheitsbedenken.

Was, wenn die Entenküken geschlüpft waren?

Wie sollten sie von der Terrasse aus dem dritten Stock nach unten kommen?

Wohl kaum über eine Räuberleiter. Und dass der Ententrupp die Treppe im Hausflur nehmen würde, erschien wenig aussichtsreich.

Um der Ente das angehende Mutterglück nicht noch zu erschweren, schließlich war sie allein für die Brut und Aufzucht der Jungen verantwortlich, während ihr Erpel sich wahrscheinlich in Bars oder Spielcasinos herumtrieb, wollte der Professor das Nest mit dem ganzen Pflanztrog übersiedeln.

Unten im Garten hatte er eine geschützte Ecke ausgemacht, die seiner Meinung nach hervorragend zum Brüten geeignet war.

„Wie oft hast du denn schon gebrütet?“ fragte seine Frau leicht spöttisch.

„Ich habe schon mal zwei in Alufolie eingewickelte Kartoffeln in der Glut des Lagerfeuers am Strand vergraben!“ Der Professor hielt diese Antwort für ausreichend, um seine Fachkompetenz in Sachen Brüten zu untermauern.

„Und dann hast du gewartet, bis die Kartoffeln schlüpfen?“

„Das nicht, aber der Zeitpunkt, wann ich die Kartoffeln ausgegraben habe, war sowas von auf den Punkt!

„Was heißt auf den Punkt?“

„Na, die Kartoffeln waren gar!“ entrüstete sich der Professor.

„Und die elf Enteneier sind auch bald gar?“, wollte es Frau Professor ganz genau wissen.

Und dann fiel der berühmte Satz, der noch heute auf Festen und Feiern gern zur allgemeinen Belustigung wiederholt wird.

„Jetzt ist die Ente grad‘ weg!“

Der mit Erde gefüllte Pflanztrog wog so viel wie eine Waschmaschine.

Unter großem Protest seiner Frau, die es für ausgemachten Schwachsinn hielt, sich zuzutrauen, eine Waschmaschine alleine aus dem dritten Stock zu tragen, wandte der Professor die Obelix-Technik an:

Umdrehen, in die Hocke gehen, hochhieven und ab mit dem Trog auf den Rücken, während Frau Professor das Nest mit ausgestreckten Armen in Stellung hielt, damit die Eier nicht hinauskullerten.

So ächzte und wankte der Professor durch die Wohnung ins Treppenhaus.

Das Gewicht zog an seinen Armen wie ein Anker, der an der Kette in die Tiefe rauscht.

Ab der Türschwelle benötigte es besonders viel Aufmerksamkeit, denn die elf Stufen im hanseatischen Altbau waren teilweise unterschiedlich hoch.

Allerdings sollte sich sogleich herausstellen, dass elf unterschiedlich hohe Stufen pro Halbstock nicht die größte Gefahr waren.

„Warte, ich muss nachfassen!“ keuchte der Professor.

Kurz in die Knie, das ganze Gewicht mit Schwung hochwuchten, um nachzufassen. Obelix-Technik eben.