Heinz Weiß

Trauma, Schuldgefühl und Wiedergutmachung

Wie Affekte innere Entwicklung ermöglichen

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Printausgabe: ISBN 978-3-608-96155-3

E-Book: ISBN 978-3-608-10992-4

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Für Claudia Frank

Vorwort

Dieses interessante und wichtige Buch eröffnet einen neuen Blick auf die Frage, wie schwer gestörten und traumatisierten Patienten zu helfen ist. Die Patienten waren häufig Opfer schlimmer Umstände wie Vernachlässigung, Gewalt und sexuellem Missbrauch. Das zugefügte Unrecht ließ ein Gefühl der Verwundung und des Schmerzes zurück, welches das Weltbild des Opfers grundlegend beeinflusst, ebenso wie diejenigen, die um Hilfe aufgesucht werden.

Wenn wir psychotischen und Borderline-Patienten im Praxisalltag begegnen, werden wir unvermeidlich mit verstörenden Tatsachen des Lebens und mit der schrecklichen Grausamkeit konfrontiert, die manche unserer Patienten erlitten haben, so dass wir nicht anders können, als ihretwegen betroffen reagieren. Wir fühlen mit dem leidenden Patienten und natürlich geben wir denen die Schuld, die darin versagt haben, einen sicheren Start ins Leben zu bieten, der für eine gesunde Entwicklung notwendig ist. Wenn wir unseren Patienten jedoch zuhören, kommt es oft zu der paradoxen Situation, dass sie sich selbst die Schuld geben und sowohl bewusst als auch unbewusst mit Schuld und Scham ringen müssen, die meist mit dem Trauma selbst verknüpft sind.

Gewiss spielte das Opfer manchmal eine Rolle bei der Entstehung oder Aufrechterhaltung des Traumas, aber selbst die, die völlig unschuldig Ziele von Missbrauch sind, werden mit einer problematischen Beziehung zu ihren verinnerlichten Objekten zurückgelassen, die extrem vielschichtig und in der Therapie manchmal nur schwer zu entwirren ist. Sie sind mit Figuren ihrer frühesten Jahre konfrontiert, die ihnen schädliche Erfahrungen zugefügt haben, aber die auch selbst beschädigt waren. Die Patienten empfinden Hass und werden oft in Phantasien hineingezogen und zu Taten getrieben, die von Rache geleitet sind und weiteren Schaden verursachen, so dass der Teufelskreis, in dem das Opfer den Verfolger hasst und umgekehrt, schwer zu durchbrechen ist.

Diese Themen bilden den zentralen Kern dieses wichtigen Buches, in dem Heinz Weiß die komplexen Zusammenhänge untersucht, die dazu führen, dass Schuld auftaucht und in Beziehung zur Wiedergutmachung und Dankbarkeit tritt. Was er mit bewundernswerter Genauigkeit und Sensibilität zeigt, ist, dass selbst bei schwer traumatisierten Patienten der Teufelskreis des Traumas, der zu Rache und Verfolgung führt, durchbrochen werden kann, wenn der Patient beginnt, seinen eigenen Anteil an der Entstehung der verfolgenden Situation zu akzeptieren. Erst wenn er mit seiner eigenen Schuld konfrontiert wird, kann er sich in eine Richtung bewegen, die ihm die Wiederherstellung seiner inneren Objekte ebenso ermöglicht wie die Schaffung einer gesünderen inneren Umgebung, was weitere Entwicklung in Gang setzen kann. Das wesentliche Konzept, das dieser Bewegung zugrunde liegt, ist das der Wiedergutmachung, das Weiß mit der Anerkennung von Schuld verbindet, welche die Voraussetzung dafür ist, dass Dankbarkeit entstehen kann.

Heinz Weiß besitzt alle Voraussetzungen, um ein Buch von solcher Sensibilität und Breite zu schreiben. Zu seiner klinischen Erfahrung als Psychoanalytiker mit den schwierigen Patienten, die er beschreibt, kommt die Erfahrung als Leiter einer modellhaften Tagesklinik hinzu, in der psychoanalytische Gruppen- und Einzeltherapie für Borderline- und andere schwer gestörte Patienten angeboten werden. Beides gibt ihm ein ebenso umfassendes wie tiefes Verständnis und befähigt ihn, dem Leser einen hervorragenden Überblick über diesen faszinierenden Bereich psychischen Lebens zu verschaffen.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass dieser Ansatz die oft verheerenden Auswirkungen des von außen zugefügten Traumas keineswegs unterschätzt. Vielmehr ist bemerkenswert, dass sich die Analyse von Schuld, Wiedergutmachung, Vergebung und Dankbarkeit als fruchtbares Feld für eine Untersuchung in der Analyse herausstellt, insbesondere als etwas, wofür Patienten oft dankbar sind. Analytiker, die sich auf die Seite der Klagen ihrer Patienten in deren Protest gegen das ihnen Zugefügte stellen, helfen ihnen nicht wirklich dabei, verstanden zu werden. Vielmehr kann dadurch beim Patienten der Eindruck entstehen, er habe seinen Analytiker zu einem heimlichen Einverständnis mit einer einseitigen Version der Wahrheit dessen, was ihm zugestoßen ist und wie er darauf reagiert hat, manipuliert.

Die Verbindung zwischen Wiedergutmachung und Dankbarkeit ist einer der originellsten Aspekte der Arbeit des Autors, der zu Recht darauf hinweist, dass Dankbarkeit ein Thema ist, das in der Vergangenheit nicht ausreichend untersucht wurde. Natürlich hat der schwer traumatisierte Patient nicht das Gefühl, viel bekommen zu haben, für das er dankbar sein könnte, so dass Reaktionen von Vorwurf und Hass nahe liegender sind. Wenn es jedoch gelingt, die komplexen Beziehungen herauszuarbeiten, wird es für den Analytiker möglich, das Schuldgefühl zu verstehen, das gewöhnlich unter dem Hass liegt. Dies ist deshalb so wichtig, weil erst dadurch die Fähigkeit des Patienten, zu lieben und zu vergeben, freigelegt wird. Zunächst muss der Hass in der Übertragung erfahren und analysiert werden; wenn dann die dadurch angerichtete Beschädigung deutlicher zum Vorschein kommt, kann der Schuld begegnet werden. Paradoxerweise wird sie deshalb gemindert, weil der verursachte Schaden Sorge und Bedauern anwachsen lässt. Diese Bewegungen können dazu führen, dass Wiedergutmachungsbestrebungen einsetzen, die Beziehung mit dem traumatisierenden Objekt dann weniger schwarz-weiß gefärbt ist und sowohl gute als auch schlechte Aspekte anerkannt werden können.

Eine der wesentlichen Schlussfolgerungen, zu denen Weiß gelangt, ist die, dass Wiedergutmachung wie auch Dankbarkeit ein Bewusstsein von der Getrenntheit zwischen Selbst und Objekt erfordern. Es schließt die Anerkennung mit ein, dass das Objekt Gutes enthält, von dem wir Unterstützung erfuhren. Entscheidend, aber noch unbeantwortet ist die Frage, warum dies manchmal so unerträglich ist, dass dadurch Neid sowie der Wunsch, die Güte des Objekts zu zerstören, ausgelöst werden, während dies in anderen Momenten toleriert werden kann und Gefühle der Dankbarkeit zutage treten dürfen. All dies hängt an der Fähigkeit, die Realität zu tolerieren, und zwar sowohl die grausame Realität der äußeren Welt, die solch gewalttätige Reaktionen in uns hervorruft, als auch die gleichermaßen vielschichtige Realität innerer Wünsche und Phantasien.

Weiß räumt ein, dass wir weit entfernt davon sind, vollständig zu verstehen, wodurch es möglich wird, Realität und besonders Schuld zu ertragen. Ein Faktor – so seine Überlegung – könnte die Fähigkeit sein, Vergänglichkeit anzuerkennen, eine Fähigkeit, die er bei den Patienten, die es schaffen, mit Dankbarkeit in Kontakt zu kommen, beeindruckend findet. Wenn wir auf omnipotente Weise eine Phantasie endloser Güte errichtet haben, verliert Dankbarkeit ihre Bedeutung. Im Gegensatz dazu wird der Wert einer guten Erfahrung gesteigert, wenn wir wissen, dass wir uns nur für eine begrenzte Zeit daran erfreuen können.

Das Thema der Vergänglichkeit findet sich in einem wichtigen früheren Buch von Weiß über den Fluss der Zeit (Weiß 2009). Darin zeigt er, dass ein essentieller Aspekt der Realität die Anerkennung von Endlichkeit ist, die die Konfrontation mit unserer Sterblichkeit umfasst sowie die Unausweichlichkeit dessen, dass »alle guten Dinge zu einem Ende kommen«, auch das Lebens selbst (Money-Kyrle 1971). Wenn wir unsere Sterblichkeit nicht akzeptieren können, ist die Bewältigung der für Entwicklung so wesentlichen Aufgabe, die Trauer durchzuarbeiten, unmöglich. Vielleicht ist die Akzeptanz der Vergänglichkeit der Zeit der wichtigste Faktor, damit Neid Dankbarkeit weichen kann. Der neidische Kampf, Rache zu üben und das Trauma, das wir erlitten haben, rückgängig zu machen, kann manchmal aufgegeben werden, wenn anerkannt wird, dass es zu spät ist und nicht länger lohnt, sich darum zu bemühen, den angerichteten Schaden ungeschehen zu machen, anstatt ihn zu akzeptieren. Wir können uns dann mit dem, was das Leben uns an Freude gelassen hat, abfinden und dankbar sein für das, was wir haben.

Die Bedeutung der Wiedergutmachung liegt sicherlich darin, dass schlechte Objekte weniger schlecht werden, wenn sie in ihren Kontext gestellt und ihre Vielschichtigkeit besser verstanden werden kann. Auf diese Weise werden gute Objekte wiederhergestellt und die innere Welt, besonders die strengen Über-Ich-Figuren, verlieren ihren Schrecken, so dass auch die Schuld nachlässt. Es ist jedoch wichtig, sich daran zu erinnern, dass es nicht nur Güte ist, die realistischer zutage tritt, wenn die Objekte realistischer gesehen werden können. Wiedergutmachung führt dazu, dass die verzerrte Wahrnehmung nachlässt, einschließlich jener, die durch Idealisierung guter Objekte entsteht. Auch schlechte Objekte, die das Trauma wirklich zufügten, können dann realistischer als schlecht erkannt werden. Paradoxerweise wird es dadurch möglich, gute Objekte sowie die guten Aspekte komplexer Objekte auf eine tiefere Art zu lieben. Wir müssen dann nicht mehr so tun, als hätte sich das Trauma nicht ereignet. Vielmehr sind wir dazu bereit, die schlechten Dinge, die geschehen sind, aus ganzem Herzen zu hassen und die guten Dinge zu lieben. Wenn Spaltungen nachlassen, werden sowohl die Liebe als auch der Hass auf das gleiche Objekt gerichtet, was für einige der schmerzvollsten und schwierigsten Aspekte unserer Beziehungen sorgt, mit denen wir lernen müssen zu leben. Erst dann kann Dankbarkeit für die guten Erfahrungen entstehen, entlang den Resten der Enttäuschung und des Grolls darüber, dass auch schlechte Dinge geschehen sind.

Heinz Weiß untersucht diese Themen mit großer Tiefe. Er ist nicht nur theoretisch überaus kundig und erfahren, sondern sein Verständnis ist fest in der klinischen Arbeit verankert. Weil er Fallmaterial aus seiner klinischen Praxis detailliert darstellt, kann der Leser dieses prüfen und für sich selbst entscheiden, ob er mit den theoretischen Schlussfolgerungen übereinstimmt. Ich glaube, dass dieses Buch das Ende vereinfachender Sichtweisen schwer wiegender Traumata markieren könnte, in denen innere oder äußere Faktoren das einzige sind, über das nachgedacht wird. Zum Vorschein kommt die Vielschichtigkeit, mit der das Trauma und der Schaden, den es zurücklässt, die Fähigkeit zur Wiedergutmachung und somit zur Dankbarkeit, die freigesetzt werden könnte, behindern.

John Steiner

Aus dem Englischen von Esther Horn

Vorbemerkung und Danksagung

Wenn ich auf meine Untersuchung »Das Labyrinth der Borderline-Kommunikation« (Weiß 2009) zurückblicke, fällt mir auf, dass ich einem zentralen Problembereich im Leben dieser Patienten zu wenig Beachtung geschenkt hatte – der Schwierigkeit, mit ihrer oft traumatischen Vergangenheit zurechtzukommen und die beschädigten Figuren in ihrem Inneren mit neuem Leben zu füllen. Es ist dieses Scheitern in ihrem Bemühen um Wiederherstellung und Erneuerung, das für die zahlreichen Sackgassen und Wiederholungszyklen im Leben der Patienten steht: für den eingeschränkten inneren Raum, der ihnen zur Verfügung steht, für die Schwierigkeit, ihre emotionalen Erfahrungen zu symbolisieren, ihre Neigung, sich in pathologische Beziehungsmuster zu verstricken, die quälende innere Leere, von der sie immer wieder befallen werden, ihre panische Angst vor Verlust und ebenso vor einer Nähe, die sie als bedrohlich empfinden. Und schließlich für die Anziehung, die zeitlose seelische Rückzugszustände auf sie ausüben, die zwar eine gewisse Sicherheit anbieten, Entwicklung und Veränderung aber dauerhaft blockieren.

Alle diese Phänomene können als Ausdruck schädigender und beschädigter innerer Figuren verstanden werden, deren Wiederherstellung außerordentlich schwer fällt. In einer Reihe von Seminaren und Tagungen, die wir in den letzten Jahren zur Bedeutung von Schuldgefühlen bei frühen Traumatisierungen durchgeführt haben, wurde mir die Rolle misslingender Wiedergutmachungsprozesse zunehmend bewusst. Sie ist es, die den Zirkel von Vergeltung, Wiederholungszwang und Selbstbestrafung aufrechterhält. Die Hoffnung, die die psychoanalytische Behandlung vermitteln kann, besteht letztlich darin, die beschädigte Fähigkeit zur Wiedergutmachung wenigstens teilweise zurückzuerlangen. Dies konfrontiert Patienten und Analytiker gleichermaßen mit der schmerzlichen Einsicht, dass die Beschädigungen der Vergangenheit nicht ungeschehen gemacht werden können, dass seelische Narben bleiben werden, der Patient aber durchaus lernen kann, mit seinem Handicap besser zu leben.

Das vorliegende Buch untersucht die Anatomie scheiternder und gelingender Wiedergutmachung vor dem Hintergrund von früher Traumatisierung und Schuldgefühl. Es hätte ohne die Mitarbeit und das Vertrauen meiner Patienten nicht entstehen können, denen ich für die Einsichten, die sie mir im Verlauf langer Behandlungen vermittelt haben, dankbar bin.

In besonderem Dank fühle ich mich meiner Freundin und psychoanalytischen Weggefährtin Claudia Frank verbunden, der dieser Band gewidmet ist. Sie hat meine Erkundungen über mehr als drei Jahrzehnte hinweg begleitet und durch ihre Pionierarbeiten zu Melanie Kleins frühen Kinderanalysen meinen Blick für die Bedeutung primitiver und reifer Wiedergutmachungsprozesse geschärft. Ihr sind grundlegende Arbeiten zur Symbolbildung und ästhetischen Theorie der Psychoanalyse (Frank 2002; 2006; 2013; 2015b, c; 2017) zu verdanken, die ohne das Konzept der Wiedergutmachung nicht denkbar wären. Darüber hinaus hat sie wichtige klinische Fragestellungen aufgegriffen (Frank 2003a, b; 2015a) und seit vielen Jahren maßgeblich an dem engen Kontakt zu Londoner Psychoanalytikern mitgewirkt, durch den unsere gemeinsamen Forschungen befruchtet wurden.

Unter diesen Kollegen sind vor allem John Steiner, Hanna Segal und Edna O’Shaughnessy zu nennen. Sie haben durch ihre Untersuchungen zu Neid und Dankbarkeit, Symbolisierung und künstlerischer Kreativität sowie zur Topographie seelischer Rückzugszustände die Basis für das hier entwickelte Konzept von Wiedergutmachung gelegt. John Steiner hat einige der hier vorgestellten Behandlungen über Jahre hinweg mit mir supervidiert. Ohne den persönlichen Austausch mit ihm, die Forschungsseminare, die er mit unserer Abteilung durchführte, und die Teilnahme an seinem Postgraduate-Seminar hätten viele der hier entwickelten Überlegungen nicht entstehen können. Darüber hinaus hat er mir Einblick in Melanie Kleins Vorträge zur Behandlungstechnik ermöglicht, die bei Erstellung dieses Bandes noch nicht veröffentlicht waren (Steiner 2017). Gleiches gilt für Hanna Segal, der ich für die Möglichkeit dankbar bin, einige Borderline- und psychotische Fälle mit ihr zu besprechen, die ebenfalls in dieses Buch Eingang gefunden haben.

Darüber hinaus bin ich zahlreichen Kolleginnen und Kollegen für ihre Unterstützung und Kommentare dankbar, darunter Anja Kidess, Esther Horn und weitere Mitarbeiter der Abteilung für Psychosomatische Medizin am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. Der tägliche Austausch über unsere klinischen Erfahrungen hat ebenso zur Entwicklung meiner Ideen beigetragen wie die Diskussion mit niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen im Rahmen des gemeinsam mit Claudia Frank durchgeführten klinischen Seminars.

Durch meine Tätigkeit am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main bin ich darüber hinaus mit weiteren Aspekten traumatischer Erfahrungen vertraut geworden, darunter den Folgen von Migration, Flucht und Vertreibung im Rahmen der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen. Meinen beiden Kolleginnen im Direktorium, Marianne Leuzinger-Bohleber und Vera King, möchte ich für die vertrauensvolle Zusammenarbeit ebenso danken wie der Robert Bosch Stiftung, der Heidehof-Stiftung und dem Robert-Bosch-Krankenhaus, Stuttgart, für die vielfältige Unterstützung unserer Arbeit.

Ebenso gilt mein Dank Werner Bohleber (Frankfurt a. M.), Franco De Masi (Mailand), David Taylor (London), Tuelay Özbek (Berlin) und Martin Teising (Berlin) für ihre Kommentare zu einzelnen Abschnitten dieses Buches.

Esther Horn (Stuttgart) hat den gesamten Text noch einmal durchgesehen, mit mir diskutiert und auf wichtige Punkte aufmerksam gemacht. Darüber hinaus hat sie die Übersetzung des Vorwortes von John Steiner übernommen. Ihre Begleitung und Mitarbeit bei der Erstellung dieses Bandes waren für mich sehr wichtig.

Leonard Weiß (München) danke ich für zahlreiche Hinweise zur Verbindung der hier diskutierten psychoanalytischen Konzepte mit der philosophischen Tradition, aus der sich Annäherungen, aber auch Differenzen ergeben. Besonderer Dank gilt meiner Frau Carina Weiß, die als klassische Archäologin meinen Blick auf die antiken Quellen unserer heutigen Vorstellungen erweitert hat. Viele Überlegungen, die in dieses Buch eingegangen sind, konnte ich mit ihr diskutieren. Darüber hinaus hat sie die meisten Abbildungen zum vorliegenden Band erstellt.

Schließlich gilt mein Dank Heinz Beyer für die nun schon seit vielen Jahren bestehende vertrauensvolle Zusammenarbeit und Unterstützung, die das Erscheinen dieses Buches bei Klett-Cotta ermöglicht hat.

Stuttgart, im Herbst 2017

Heinz Weiß

Kapitel 1

Trauma, Schuldgefühl und Wiedergutmachung – ein psychoanalytisches Modell

Es ist eine geläufige und zugleich paradoxe Erfahrung, dass Menschen, die traumatischen Erfahrungen ausgesetzt waren, oft von quälenden Schuldgefühlen heimgesucht werden. In ihrer Phantasie vermischen sich innere und äußere Realität, und je mehr die äußere Wirklichkeit von der inneren Welt aufgesogen wird, desto mehr erleben sie sich in ein komplexes Dilemma verstrickt. Die Folgen solcher Verstrickung können vielfältig sein: Sie können in Hass auf das eigene Selbst oder den eigenen Körper münden, zu lange anhaltenden Grollkonstellationen führen, bizarre körperliche Symptome hervorrufen oder zur Kollusion mit grausamen Objekten einladen, die nun als »Beschützer« und machtvolle Figuren auftreten. Gemeinsam ist allen diesen Szenarien, dass sie psychische Entwicklung erschweren und dass der von ihnen ausgehende Wiederholungszwang (Freud 1914g; 1920g) relativ resistent gegenüber Veränderung ist.

Im vorliegenden Buch wird argumentiert, dass der Wiederholungszwang nur dann überwunden werden kann, wenn Wiedergutmachungsprozesse in Gang kommen, um die Beschädigung der inneren Welt wieder auszugleichen und zu begrenzen. Wiedergutmachung bezieht sich dabei nicht so sehr auf die äußere Situation, die meist nicht »wiedergutzumachen« ist, sondern auf die zerstörerischen und selbstzerstörerischen Kräfte, die durch sie in Gang gesetzt werden. Dadurch unterscheidet sich Wiedergutmachung von Reparatur, konkreter Wiederherstellung oder einem einfachen Ungeschehenmachen dessen, was geschehen ist: Es geht nicht um bloße Instandsetzung, Entschädigung oder Rache. Was zu leisten ist, ist vielmehr die Anerkennung eines Verlusts, das heißt der Tatsache, dass eine Beschädigung eingetreten ist und etwas nie mehr so sein wird, wie es zuvor einmal gewesen ist.

Wiedergutmachung in diesem Sinn ist ein symbolischer Prozess, der nie völlig abzuschließen ist. Als solcher setzt er die Anerkennung von Verlust ebenso voraus wie die Fähigkeit, mit Schuldgefühlen umzugehen – einerlei, ob diese im Selbst oder im Anderen verortet werden.

In seiner Phantasie fühlt sich das Kind oft für den Zustand seiner Objekte und den Schaden, der ihm zugefügt worden ist, verantwortlich. Unterwerfung kann in diesem Fall dem Schutz vor Verfolgungsängsten dienen; denn der Hass auf diese Figuren würde diese noch bedrohlicher erscheinen lassen. In anderen Situationen können zerstörerische und selbstzerstörerische Regungen nach außen verlagert werden, so dass sich das Individuum nicht mehr von innen her durch sie bedroht fühlt. Auf die eine oder andere Weise entsteht dadurch eine Art »Komplizenschaft«, welche die Unterscheidung von Realität und unbewusster Phantasie nahezu unmöglich macht und die Auseinandersetzung mit Trauer- und Schuldgefühlen erschwert.

Die Unterscheidung von innerer und äußerer Wirklichkeit, von Gegenwart und Vergangenheit ist aber erforderlich, um den inneren Raum zurückzugewinnen, der allein das Durcharbeiten von Trauer- und Schuldgefühlen ermöglicht (vgl. Kogan 2011). Denn dort, wo Schuldgefühle entweder eine verfolgende Qualität annehmen oder überhaupt nicht zugänglich sind, besteht auch keine Möglichkeit zur Wiedergutmachung.

Es ist ein Anliegen dieses Buches, anhand von schwierigen Behandlungssituationen die Voraussetzungen für die Blockade und das Wieder-in-Gang-Kommen von Wiedergutmachungsprozessen zu klären. Von Prozessen, die den inneren Raum wiederherstellen und ein Erinnern mit Emotion und Bedeutung ermöglichen (O’Shaughnessy 1998; Weiß 2009). Denn das Trauma hat keine Zeit und keinen Ort. Es ist überall und nirgends. Es überwältigt die Gegenwart durch eine Vergangenheit, die nie vergangen ist, und fällt aus einer Zukunft, die stets nur Wiederholung des Gleichen ist, in die Gegenwart zurück. Erst dann, wenn innere Wiederherstellungsvorgänge zu greifen beginnen – so die hier vertretene These –, kann sich das Individuum in seiner Geschichte wiederfinden.

Entwicklungslinien des psychoanalytischen Traumabegriffs

Mehr noch als andere Theorien hat die Psychoanalyse traumatische Erfahrungen nie allein als Folge schädigender äußerer Einflüsse, sondern stets aus der Wechselwirkung von innerer und äußerer Realität begriffen. Inwiefern eine Erfahrung als traumatisch erlebt wird, hängt nicht nur von äußeren Faktoren ab, sondern auch von der inneren Realität, auf die sie trifft. Und umgekehrt wird die innere Welt ganz wesentlich von den Erfahrungen geprägt, die das Individuum in seinen frühen Beziehungen durchlebt. Was aus der einen Sicht als Überwältigung durch eine übermächtige Realität erscheint, wird aus anderer Perspektive wie die »Explosion« einer unbewussten Phantasie erlebt (Britton 2005).

Die Psychoanalyse hat sich in der Erkundung dieser beiden Pole stets hin- und herbewegt und die Achsen untersucht, die sie miteinander verbinden (vgl. Fenichel 1937). In seiner Arbeit »Hemmung, Symptom und Angst« kennzeichnet Sigmund Freud (1926d, S. 199) den als »traumatisch« beschriebenen Zustand durch die Erfahrung von Ohnmacht und Hilflosigkeit. Am Beispiel der Situation des frühen Objektverlustes zeigt er, dass sich dieser Verlust sowohl auf das äußere Objekt als auch auf die innere Vorstellung von dieser Objektbeziehung erstreckt, und wie insbesondere der Verlust der inneren Beziehung zu dem von ihm beschriebenen Zustand der Hilflosigkeit führt.

Hilflosigkeit erzeugt Angst und Schmerz, bevor allmählich andere Gefühle wie Trauer auftauchen, um die Wirklichkeit anzuerkennen und die lähmende Ohnmacht zu überwinden (ebd., S. 202 – 205). Ohnmacht kann sich dabei ebenso auf die Überwältigung durch innere und äußere Gefahren beziehen wie auch auf die Schutzmaßnahmen, die zu ihrer Bewältigung zur Verfügung stehen.

Insofern gibt es eine Kontinuität zwischen Freuds frühen Arbeiten (Freud 1895d, S. 82 ff.; 1896a, S. 417 f.; 1896b, S. 380 f.), welche die Rolle insbesondere traumatischer sexueller Erfahrungen thematisieren, über die Bedeutung, die er nach Aufgabe seiner »Verführungstheorie«1 der unbewussten Phantasie zuschreibt, bis hin zu seinem Spätwerk (Freud 1920g; 1926d), in dem er den Zusammenhang zwischen dem Versagen des »Reizschutzes« und dem Einsetzen des Wiederholungszwangs untersucht (vgl. Garland 1998, S. 9 – 31).

Zwar hatte sich Freud mit der Aufgabe der »Verführungstheorie« zunächst von der Vorstellung abgewandt, neurotische Erkrankungen entstünden regelmäßig auf der Grundlage traumatischer Kindheitserlebnisse. Etwa zeitgleich mit dem Beginn seiner Selbstanalyse vertieft er sich in die Erforschung der Bedeutung unbewusster Phantasien. Die von seinen Patienten während der Behandlung fast regelmäßig reproduzierten »Erinnerungen« schienen mit der historischen Realität nicht mehr übereinzustimmen. Sie erwiesen sich zum Teil als nachträgliche, verzerrende Umbildungen. Er musste feststellen, dass es »im Unbewussten ein Realitätszeichen nicht gibt, so dass man die Wahrheit und die mit Affekt besetzte Fiktion nicht unterscheiden kann« (Freud 1950a, S. 284). Doch so radikal, wie er im September 18972 zunächst vermutete, verlief dieser »Sturz aller Werte« (ebd., S. 286) nicht.

Denn bereits zuvor hatte Freud der Phantasie eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung traumatischer Erfahrungen zugewiesen. So vermutet er in einem Brief vom 11. Januar 1897 an seinen Berliner Freund und Kollegen Wilhelm Fließ, die spätere Entwicklung neurotischer oder psychotischer Symptome hänge vom Zeitpunkt des Einwirkens der traumatischen Erfahrungen auf die noch unreife psychische Organisation des Kindes ab (Freud 1950a, S. 233 ff.), und im »Manuskript M« aus dem Mai des gleichen Jahres (ebd., S. 262 – 265) unterscheidet er verschiedene Arten der Umarbeitung und Entstellung durch spätere Phantasiebildung. Zugleich entwickelte er das Konzept der Nachträglichkeit (Freud 1896a, S. 419; 1899a; 1909b, S. 144; 1918b, S. 72, 88; 1925a; 1937d; 1950a, S. 301 ff., 448, 469 f.; zus. bei Eickhoff 2005) und schuf damit erstmals eine Vorstellung davon, dass bestimmte Erfahrungen nicht unmittelbar im Moment ihrer Einwirkung, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt – z. B. im Zusammenhang mit vulnerablen Phasen der psychischen Entwicklung – wirksam werden (vgl. Baranger et al. 1988; Birksted-Breen 2003).

Auch wenn mit der Entdeckung des Unbewussten die Erforschung der unbekannten Innenwelt zunächst in den Vordergrund rückt, hat Freud die pathogene Bedeutung konstitutioneller und äußerer Faktoren für die psychische Entwicklung doch nie verkannt. Mit der Einführung des »Wiederholungszwanges« (Freud 1914g) und der Neugestaltung seiner Triebtheorie kommt er ab 1920 erneut auf die Rolle traumatischer Erfahrungen zu sprechen. Diese durchbrechen nach seiner Auffassung den zur Aufrechterhaltung des psychischen Gleichgewichts notwendigen »Reizschutz«. Und da sie von der unreifen Psyche nicht assimiliert werden können, münden sie in repetitive Zyklen – den Wiederholungszwang, dessen Ursprung Freud nun »jenseits des Lustprinzips« vermutet.

In der gleichen Arbeit untersucht Freud (1920g) auch die Bedingungen, unter denen es zu einem Zusammenbruch der psychischen Organisation kommt. Und wieder unterscheidet er zwischen einer äußeren und einer inneren Gefahrenabwehr. In einer weit ausgreifenden Spekulation beschreibt er die Funktion einer »Rindenschicht«, welche die Psyche vor einem Übermaß an Erregung schützen soll. Diese differenziere sich in ein äußeres und ein inneres Blatt – Ersteres mit der Aufgabe, die Außenwelt mithilfe der Sinnesorgane selektiv abzusuchen und die Psyche vor äußerer Reizüberflutung zu schützen, Letzteres bemüht, die von inneren Triebreizen ausgehende Erregung zu binden und zu neutralisieren. Für diese zweite Aufgabe komme den Träumen eine entscheidende Bedeutung zu, und zwar, wie Freud im Vorgriff auf seine noch zu entwickelnde »Signaltheorie« (Freud 1926d) der Angst erklärt, um »die Reizbewältigung unter Angstentwicklung nachzuholen« (Freud 1920g, S. 32). Diese »Bindung« seelischer Energie durch Träume, so Freud (ebd., S. 30), stelle ein eigenständiges Phänomen dar und gehe über deren Wunscherfüllungscharakter hinaus. Sie berühre eine ursprünglichere Funktion des Träumens, die vor der Herrschaft des Lustprinzips liege, wie sie sich etwa in jenen Träumen zeige, »die uns die Erinnerung der psychischen Traumen der Kindheit wiederbringen« (ebd., S. 32).

Diese Auffassung mutet modern an, wenn man etwa an Wilfred Bions (1962, S. 62 ff.) Überlegungen zur Funktion einer »Kontaktschranke« denkt. Bion beschreibt die Kontaktschranke als eine »semipermeable Membran«, die im Verlauf der seelischen Entwicklung die Unterscheidung zwischen Innen und Außen ermöglicht und die Funktionen von Bewusstsein und Unbewusstem voneinander trennt. Sie schütze die Psyche davor, von Sinneseindrücken überwältigt zu werden, und bewahre zugleich die Wahrnehmung der Außenwelt vor der Gefahr, von innerer Erregung überschwemmt zu werden. Genau an dieser Kontaktfläche, die zugleich als Verbindung und als Grenze fungiert, siedelt Bion die Entstehung erster symbolischer Elemente in Form von »Traumgedanken« an.

Nahe liegend, wenn auch aus epistemologischen Gründen nicht ohne weiteres übertragbar, sind Parallelen zu aktuellen neurophysiologischen Befunden, die strukturelle Veränderungen und Störungen im zentralnervösen Erregungsablauf bei traumatisierten Patienten nachgewiesen haben (Schore 2001; van der Kolk 2003; Teider et al. 2003; Gabbard et al. 2006; McCrory et al. 2011). Solche »Narben« der zentralnervösen Signalverarbeitung wurden mit Veränderungen der Affekt- und Schmerzregulation z. B. bei Borderline-Patienten (Schmahl et al. 2006; Ducasse et al. 2014; Simons et al. 2014), aber auch den Vorgängen der Gedächtniskonsolidierung (Leuzinger-Bohleber 2015; Leuzinger-Bohleber & Pfeifer 2015) in Verbindung gebracht.

Aus psychoanalytischer Sicht entspricht der Funktion der »Kontaktschranke« ein geregelter Austausch zwischen innerer und äußerer Realität – d. h. eine Balance zwischen projektiven und introjektiven Prozessen, welche in Schritten wachsender Komplexität eine Symbolisierung emotionaler Erfahrungen ermöglicht: Dadurch, dass Wahrnehmungen mit Gefühlen und Phantasien verbunden werden, erlangen sie Bedeutung. Dadurch, dass innere Zustände mit Sinnesempfindungen verglichen werden, gewinnen sie an Wirklichkeit und Gewicht.

Dieses Gleichgewicht zwischen projektiven und introjektiven Prozessen wird – entwicklungspsychologisch betrachtet – durch die frühesten Interaktionen der kindlichen Psyche mit der elterlichen Umgebung hergestellt. Begreift man die »Kontaktschranke« als intersubjektives Phänomen, insofern sie Austausch zugleich ermöglicht und begrenzt (Teising 2005), dann werden traumatische Erfahrungen als Störungen der frühen Beziehungserfahrung verständlich: Es macht einen Unterschied, ob ein Kind in einer Atmosphäre diffuser Angst und Gewaltbereitschaft aufwächst, einer depressiven Mutter in die Augen blickt oder von namenloser Schuld umstellt wird, ob es mit seinen liebevollen und hasserfüllten Seiten aufgenommen wird, Zurückweisung erfährt oder in eine unbegreifliche Leere stürzt.

Die elementare und potentiell traumatogene Wirkung der frühen Kommunikation zwischen Eltern und Kind wurde schon frühzeitig von Sándor Ferenczi hervorgehoben. Ausgehend von Beobachtungen, die er in der Behandlung regredierter Patienten machte, hat er in seinen Arbeiten »Kinderanalyse mit Erwachsenen« (1931) und »Sprachverwirrung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind« (1933) die Auswirkungen von Übergriffen, Verleugnung und Unaufrichtigkeit auf die kindliche Psyche untersucht. Als besonders nachhaltig betrachtet er die Rolle pathologischer Identifizierungen, die Introjektion von Schuldgefühlen sowie Spaltungen mit dem Ziel, Gefühlen der Hilflosigkeit und der Verwirrung zu entgehen. Eine solche charakteristische Spaltung beschrieb er als Regression in einen Zustand »prätraumatischer Seligkeit«, während ein anderer Teil der Persönlichkeit eine »traumatische Progression« mit Entwicklung einer intellektuellen Frühreife erfährt, die vom übrigen emotionalen Erleben abgeschnitten bleibt (Ferenczi 1933, S. 311).

In der Nachfolge Ferenczis haben insbesondere Michael Balint (1968; 1969) und Donald W. Winnicott (1960a) die Rolle ausreichend guter Primärbeziehungen in einer haltgebenden Umgebung hervorgehoben. Fehlten bei den Eltern die entsprechenden rezeptiven Fähigkeiten, so begünstige dies die Entwicklung von »Ich-Verzerrungen« in Form eines auf Gefügigkeit gründenden »falschen Selbst« (Winnicott 1960b). Doch Winnicott betont zugleich, dass es in der Psychoanalyse »kein Trauma (. . .) außerhalb der Omnipotenz des Individuums« gebe und dass Deutungen, die etwas veränderten, diejenigen seien, »welche in bezug auf Projektion gemacht werden können« (1960a, S. 47).

Zahlreiche Autoren haben auf die Bedeutung kumulativer und sequentieller emotionaler Traumatisierungen hingewiesen (Khan 1964; Keilson 1979; Grubrich-Simitis 1981), die z. T. auch über die Generationengrenzen hinweg als namenlose Orte oder dunkle Geheimnisse wirksam werden (vgl. Kestenberg 1980). Ihre Weiterleitung folgt den Pfaden unbewusster Phantasien (Isaacs 1948), die oft »jenseits der Worte« durch Stimmungen, Gesten oder bedeutsames Schweigen übermittelt werden. Sie dringen fast unmerklich in die Psyche ein und bedienen sich elementarer Kommunikationsvorgänge wie derjenigen der projektiven und introjektiven Identifizierung (vgl. Klein 1946; Frank & Weiß 2007; Spillius & O’Shaughnessy 2012).

Darüber hinaus wurde die Rolle nichtresonanter, intrusiver oder gewaltsamer Beziehungen in der frühkindlichen Umgebung hervorgehoben, die sich entweder in einer Atmosphäre diffuser Angst, Überstimulierung, mangelnder Lebendigkeit oder dumpfer Verzweiflung ausdrücken. Leonard Shengold (1979) machte darauf aufmerksam, dass es oft die gleichen vernachlässigenden und grausamen Eltern sind, auf die sich das Kind in seiner Verzweiflung angewiesen fühlt, so dass es, um etwas Gutes zu bewahren, zu Verleugnung und Spaltung Zuflucht nimmt. Coates & Moore (1997) haben darauf hingewiesen, dass in diesem Fall die spätere symbolische Bearbeitung und Transformation der traumatischen Erfahrung noch zusätzlich erschwert wird.

Demgegenüber hat André Green in seiner Arbeit »Die tote Mutter« (Green 1983