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Wilhelm Poeck

Der Kriminalkutter

Eine tolle Seegeschichte

Wilhelm Poeck

Der Kriminalkutter

Eine tolle Seegeschichte

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962810-11-5

null-papier.de/463

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Inhaltsverzeichnis

Der Ent­schluss

Fan­tasi­en im fünf­ten Stock

Sach­ver­stän­di­ger Bei­rat

John­ny Aas­baas

Quä­ker-Oats

Das Fin­ken­wer­der Loch

Die Ein­wei­hung

Die Kri­tik

Auf dem Riff

Miss Ho­neys­na­ke

Hoch klingt das Lied vom bra­ven Mann

Me­juf­frouw Pe­per­bus

Ein al­ter Be­kann­ter tritt auf

Die Nym­phe vom Hol­mei­is­ka­nal

Der Kri­mi­nal­kut­ter

Adel­gun­de

Krischan Boll­mann in Nö­ten

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

 

Ihr
Jür­gen Schul­ze

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Der Entschluss

Ich hat­te Au­di­enz bei mei­nem Haus­wirt. Er hieß Krischan Boll­mann, sah dement­spre­chend aus und trug au­ßer­dem noch Mor­gen­schu­he aus grü­nem Plüsch. Er hat­te mich in sein »Kon­tor« her­un­ter­be­foh­len, und hier spiel­te sich fol­gen­de Un­ter­re­dung ab.

»Büt­te, ’n bü­schen Platz nöhm. Ich hab da in mein Ssei­tung ge­lö­sen, Sü schreim dja­woll Ro­ma­nens. Hrr­ru­u­uppph!«

»Al­ler­dings«, wag­te ich zu be­mer­ken. »Und die Kri­tik sagt –«

»Die Kri­tik? Das ist dja­woll ne Schau­spü­le­rin. So ’ne un­ßütt­li­che Per­son, wie sie auch in den Ro­man vor­komm soll, nech? Dja, die mach das woll ge­fal­len. Aber was die sach, das is mich ganz put­te­gal. Hier in mein’ Haus hab’ ich al­lein was ßu sa­gen. Hrr­ru­u­uppph!«

»Ganz ent­schie­den«, pflich­te­te ich bei. »Da­für sind Sie Haus­be­sit­zer. Ich schrei­be ja auch nur in Ihrem Hau­se.«

»Nein, Sü schrei­ben über mei­nem Hau­se«, sag­te Krischan Boll­mann gif­tig.

»Das ist ja ganz un­mög­lich, Herr Boll­mann«, er­wi­der­te ich er­staunt. »Ich woh­ne doch nicht auf dem Dach, son­dern erst im fünf­ten Stock.«

»Aber nich möhr lan­ge«, fuhr Krischan Boll­mann noch gif­ti­ger fort. »Hür­mit kün­ni­ge üch Sü.«

Ich sprang auf und war ein ein­zi­ges Fra­ge­zei­chen.

»In Ührn dö­si­gen Ro­man, da kömmp auch’n Haus­be­süt­zer in vor. Müt’n dücken Bauch, un ’n Glatz un ’n Ge­sich as ’n Schus­ter­ku­gel, un ’n Köm­nes (Küm­mel­na­se) un – hrr­ru­u­uppph! – Auf­sto­ßen nach dje­des drüt­te Wort, un Mor­gen­schuh aus greu­nen Plüsch. Da habn Sü dja mein Fo­to­gra­fü mit gölü­fert. Un so­was muss ich ßu mein’ Schan­de in mein’ ei­gen’ Ssei­tung lö­sen.«

Ich lä­chel­te – aber ein Lä­cheln des Ban­ke­rot­teurs, der sei­nen letz­ten Kel­ler­wech­sel ein­löst.

»Zei­tun­gen schrei­ben viel«, sag­te ich. »Sie ha­ben den Ro­man selbst nicht ge­le­sen, Herr Boll­mann?«

»Gott soll mür bö­wahrn!« rief mein Haus­wirt. »Hrr­ru­u­uppph!«

»Dann wis­sen Sie na­tür­lich auch nicht, dass der Haus­wirt in mei­nem Ro­man in Wirk­lich­keit einen ganz an­de­ren Bauch und Glat­ze und Ge­sicht und Nase hat, und ganz an­ders auf­stößt als Sie. Ihre Nase kommt ja doch, das ist stadt­kun­dig, nicht vom Küm­mel, son­dern vom Bor­deaux­wein. Und grü­ne Mor­gen­schu­he – wie vie­le Haus­wir­te tra­gen grü­ne Mor­gen­schu­he. Das ein­zi­ge, worin mein Haus­wirt mit Ih­nen über­ein­stimmt, ist die di­cke gold­ne Ket­te zu sechs­hun­dert Mark, die er über der Wes­te trägt.«

»Nu wördn Sü man nich noch un­ver­schämp«, brüll­te mich mein Ro­man­mo­dell an. »Die gol­le Uhr­ket­te über mein’ Wes­te, die koß ach­hun­nert Mark. Kei­ne sechs­hun­nert! Das mör­ken Sü such ge­fäl­ligs ’n bü­schen. Hür­mit sünd Sü also ge­kün­nich. Un mor­gen ste­hen Sü in unse swar­ze Lis­te.«

»Schwar­ze Lis­te?« mur­mel­te ich ent­setzt.

»Ja. Swar­ze Lis­te. Das heiß müt an­ne­re Wor­ten, dass Sü in düse Stadt kei­ne Woh­nung nich wü­der­krie­gen. Denn wer in Ro­ma­nens und Ssei­tun­gen uns Haus­wür­ten auf die Hüh­ne­rau­gen pedd (tritt), der kann sich ’n Woh­nung im Mond su­chen.«

»Bes­ter Herr Boll­mann«, be­gann ich fle­hend, denn ich wuss­te, dass ich für die fah­ren­den Leu­te reif war, falls es mir nicht ge­lang, die­sen Ent­schluss um­zu­sto­ßen, »wür­den Sie mir ver­zeihn, falls ich in Ih­rer Zei­tung auf mei­ne Kos­ten eine Ehre­n­er­klä­rung ver­öf­fent­li­che, dass ich Sie nicht ge­meint habe?«

»Is das nicht ge­nug, dass Sü mir in Ihrn dö­si­gen Ro­man, den ja Gott sei Dank kein Mensch liest, ab­ge­ma­len ha­ben?« bol­ler­te Krischan Boll­mann wei­ter. »Wolln Sü mir auch noch vor die gan­se Welt ßur Uhl ma­chen? Ssum drüt­ten und letz­ten: Sü sünd ge­kün­nigt. Un hier­mit sünd wir ßwei bei­de mitn an­ner fer­tig. Sehn Sü ßu, wo Sü ’n an­der Woh­nung krie­gen. Hier in düse Stadt ge­wüß nich. Adje, Herr Eck.«

Die­ser Ab­schieds­gruß war eine Iro­nie. Denn in Wirk­lich­keit hei­ße ich gar nicht Eck. Ich hat­te nur den be­wuss­ten Ro­man (der mich aus ei­ner wenn auch nur be­schei­de­nen, doch im­mer­hin mit ei­nem Dach ver­se­he­nen Woh­nung so­zu­sa­gen auf die Land­stra­ße warf) un­ter die­sem Na­men ver­öf­fent­licht. Da er kurz und Druck­pa­pier zur Zeit teu­er ist, will ich ihn für die­se Ge­schich­te bei­be­hal­ten.

Zwi­schen Land­fah­rern und Bett­lern ist kein großer Un­ter­schied. Ich be­gann also in der Hal­tung ei­nes Koh­len­dampf schie­ben­den Kun­den noch­mals: »Hoch­ver­ehr­ter Herr Boll­mann, die spä­te­re Li­te­ra­tur­ge­schich­te wird ge­wiss« –

»Sü wolln mür woll uzen?« schnitt mir Boll­mann in der­sel­ben Ton­art das Wort ab. »Was ich ge­sach hab« – hier klin­gel­te er, und ich griff schleu­nigst und angst­er­füllt nach mei­nem Be­suchs­zy­lin­der –, »das hab’ ich ge­sach. Un da is die Tür. – Djo­hann, der Nächs­te!«

Mit sehr viel schnel­le­ren Schrit­ten, als ich Herrn Boll­manns Sa­lon be­tre­ten hat­te, ver­ließ ich ihn wie­der. Denn wenn der Haus­herr (nach mei­ner Ro­man­schil­de­rung) Hän­de hat­te wie ein paar Rei­se­ta­schen, so hat­te der Haus­die­ner Fäus­te wie ein Paar klei­ne Fäs­ser. Mei­ne Ab­lö­sung – der Mie­ter des drit­ten Stock­werks – husch­te so ängst­lich wie der be­kann­te Mann ohne Schat­ten an mir vor­über. Jo­hann schlug die Tür hin­ter ihm zu – er saß wie eine Maus in der Fal­le.

»Herr Kanß­lei­rat«, groll­te drin­nen das haus­wirt­li­che Ge­wit­ter über den Un­glück­li­chen los, »in un­sern Kon­trak steht in: das Hal­ten von Türe is nur mit be­sond­re Gönöh­mi­gung des Haus­würts er­laup. Ges­tern nach­mit­tag, als ich we­gen die Kla­set­t­in­spek­schon oben war, hab’ ich bömörk: Ihre Kin­der hal­ten wei­ße Mäu­se in ein Bau­er. Was ha­ben Sü dar­auf ßu er­wü­dern?«

Ich nahm mir vor, künf­tig gleich­falls wei­ße Mäu­se in ei­nem Bau­er zu hal­ten, statt mei­ne Aus­sich­ten mit Ro­man­schrei­ben tot­zu­schla­gen. Denn Boll­mann war – im Ge­gen­satz zu dem Fran­zo­sen, un­ter dem man be­kannt­lich, wenn man ihn kratzt, den Rus­sen fin­det – im Grun­de un­ter dem Be­zirk sei­ner Uhr­ket­te zu acht­hun­dert Mark und sei­nes Fetts kein Un­mensch. Es war an­zu­neh­men, dass er dem Kanz­lei­rat das Ver­bre­chen der wei­ßen Mäu­se schließ­lich ver­zei­hen und sie viel­leicht so­gar nach­träg­lich ge­neh­mi­gen wür­de.

Was bei mei­nem Ro­man na­tür­lich gänz­lich aus­ge­schlos­sen war. (Im Ver­trau­en: wäre ich ein Haus­wirt mit dem Boll­man­ti­schen Bauch, Glat­ze, Schus­ter­ku­gel­ge­sicht und grü­nen Plüsch­schu­hen, und mein Mie­ter kon­ter­fei­te mich steck­brief­ge­treu in ei­nem Ro­man ab: dem würd’ ich auch nicht ver­zei­hen.)

Doch war die Lage für der­ar­tig mü­ßi­ge Er­wä­gun­gen zu ernst. Ich be­rief mei­ne Frau zu ei­ner Kon­fe­renz, teil­te ihr das Schreck­li­che scho­nend mit und sag­te sor­gen­voll: »Was nun?«

Aber auch ge­spannt. Denn ich hat­te be­reits mehr­fach, in Ro­ma­nen und psy­cho­lo­gi­schen Plau­de­rei­en, den Satz nie­der­ge­schrie­ben: dass die In­tel­li­genz des Wei­bes eine von der männ­li­chen völ­lig ver­schie­de­ne sei; dass die Frau in ver­zwei­fel­ten Fäl­len in­stinkt­mä­ßig das Rich­ti­ge tref­fe, wie die Flie­ge das Stück Zu­cker oder wie der Zwirns­fa­den das Na­delöhr – und hat­te die­sen aus an­dern Schrift­stel­lern ent­lehn­ten Grund­satz durch die Pra­xis in Ge­stalt mei­ner Frau nach­träg­lich be­stä­tigt ge­fun­den.

Mei­ne Frau ist eine Be­am­ten­toch­ter. Sie ist in un­ver­hei­ra­te­tem Zu­stan­de acht­und­zwan­zig­mal ver­setzt wor­den und hat in ih­rem Le­ben drei­und­sech­zig­mal die Woh­nung ge­wech­selt. Sie ist also in Be­zug auf Woh­nun­gen Fach­mann.

Alle An­deu­tun­gen, die ich hin­sicht­lich der schwar­zen Lis­te mach­te (ob nicht etwa durch Be­ste­chung des Se­kre­tärs, durch eine künst­li­che To­des­an­zei­ge oder sonst wie die Spur ver­wischt wer­den kön­ne), be­ant­wor­te­te sie mit ei­nem Kopf­schüt­teln.

»Zu Lan­de sind wir er­le­digt«, ent­schied sie. »Es müss­te denn sein, du hät­test Nei­gung, dich um eine An­stel­lung als Turm­hü­ter oder To­ten­grä­ber zu be­wer­ben. Die ha­ben Dienst­woh­nung. Aber dazu muss man Be­zie­hun­gen ha­ben. Hast du die?«

Das muss­te ich ver­nei­nen.

»So bleibt uns nur das Was­ser«, rief sie mit dump­fer Stim­me.

»Um des Him­mels wil­len«, rief ich, die Hän­de er­he­bend.

»Be­ru­hi­ge dich. Mit dem Him­mel hat mein Vor­schlag dies­mal noch nichts zu tun. – Ich den­ke an Bang­kok oder an Kan­ton.«

»Nanu!« rief ich. »Aus­wan­dern, weil uns Krischan Boll­mann auf die schwar­ze Haus­wirts­lis­te ge­setzt hat?«

»Denn dort ist die Wohn­fra­ge für Leu­te, die nicht, wie die Haus­wir­te, mit ei­nem sil­ber­nen Löf­fel im Mun­de zur Welt ge­kom­men sind, glän­zend ge­löst. Man wohnt in Dschun­ken oder Prau­en, auf dem fried­li­chen Me­kong oder Jang­tse­ki­ang …«

Ich hat­te be­grif­fen, was mei­ne Frau mein­te, und er­wi­der­te: ich müs­se mich ei­ni­ge Au­gen­bli­cke in mein Ar­beits­zim­mer zu­rück­zie­hen, um die Wucht die­ses Ge­dan­kens in der Ein­sam­keit auf mich wir­ken zu las­sen.

Hier stell­te ich mit Hil­fe des An­dree zu­nächst fest, dass Bang­kok nicht am Me­kong liegt, son­dern am Men­am. Und Kan­ton nicht am Jang­tse­ki­ang, son­dern am Si­ki­ang. Wei­ter woll­te ich auch gar nichts wis­sen. Es ge­nüg­te, um das Han­deln in der Woh­nungs­fra­ge, das in die Hän­de mei­ner Frau über­zu­ge­hen droh­te, wie­der an mich zu rei­ßen.

Ich ver­län­ger­te die Denk­pau­se künst­lich um ei­ni­ge Mi­nu­ten. Das soll­te mir den An­schein ge­ben, dass al­les, was ich in der nun fol­gen­den Aus­ein­an­der­set­zung ge­gen et­wai­ge Ein­wen­dun­gen mei­ner Frau vor­brin­gen wür­de, gründ­lich über­legt sei. (Alt­be­währ­te Ehe­tak­tik.)

»Erst­lich«, be­gann ich, »liegt Bang­kok nicht am Me­kong, son­dern am Men­am. Und Kan­ton nicht am Jang­tse­ki­ang, son­dern am Si­ki­ang. Hrr­rummm! Zwei­tens woh­nen die Bang­kok­ku­sen nicht auf Dschun­ken oder Prau­en, die eine chi­ne­si­sche Schiffss­pe­zia­li­tät dar­stel­len, son­dern sie er­rich­ten ihre Woh­nun­gen, dort Bun­ga­lows ge­nannt, auf Bam­bus­flö­ßen, die mit der Flut des Men­am stei­gen oder fal­len. Hrr­rummm!« (Die­se Weis­heit hat­te ich aus dem großen Mey­er.)

»Na ja«, sag­te mei­ne Frau un­ge­dul­dig, »ge­nau wie hier auf der Elbe die Schu­ten und Ewer.«

»Und drit­tens«, fuhr ich fort, »sind der Me­kong und Jang­tse­ki­ang, ge­nau­er der Men­am und Si­ki­ang, nicht so fried­lich, wie du zu glau­ben scheinst. Denn sie sind, min­des­tens der Men­am, wahr­schein­lich aber auch der Si­ki­ang, be­völ­kert von Kro­ko­di­len. Hrr­rummm!« (Das hat­te mir in Be­zug auf den Men­am der große Brehm ver­ra­ten, hin­sicht­lich des Si­ki­ang war es mei­ne ei­ge­ne Hy­po­the­se.)

Mei­ne Frau stürz­te ans Pia­no, trat aufs Forte­pe­dal, hieb mit bei­den Hän­den, mit der glei­chen Ge­schwin­dig­keit und Wucht:, mit der eine Kat­ze ei­nem an­drän­gen­den Kö­ter über die Phy­sio­gno­mie fährt, in die Tas­ten und sang dazu:


»Mit­ten in der Elbe
Schwimmt ein Kro­ko­dil …«

Un­über­legt, wie sie manch­mal ist, hat­te sie nicht be­ach­tet, dass die Tür nach dem Flur und das Fens­ter des Licht­schachts of­fen stan­den. Das Lied be­steht, so­viel ich weiß, zwar nur aus die­sen bei­den Ver­sen (je­den­falls habe ich die Stra­ßen­jun­gen im­mer nur die­se sin­gen hö­ren) – aber mei­ne Frau sang sie zwan­zig­mal hin­ter­ein­an­der. Mit al­len Stimm­mit­teln. Als sie fer­tig war, er­scholl aus dem Licht­schacht eine Stim­me, die Ton­far­be und Kraft von ei­nem wü­ten­den Ur ge­borgt zu ha­ben schi­en:

»Wolln Sü Ta­kel­ßeug da oben in die fünf­te Eta­sche woll gleich den in­fam­ten Mu­sik­spek­ta­kel nach­las­sen! Glau­ben Sü, dass mein Eta­schen­haus ’n Djahr­marks­bu­de oder’n öf­fent­li­chen Tin­gel­tan­gel is. Ma­chen Sü das nich noch mal, sonß schück ich Sü den Pol­leß­ei aufn Hals. In un­sern Kon­trak steht ein …«

Aber es war mir un­mög­lich, auf die­sem et­was un­ge­wöhn­li­chen Wege zu er­fah­ren, wie der Mu­sik­pa­ra­graph un­se­res Kon­trakts lau­te­te. Denn mei­ne Frau eil­te hin­aus, riss auch noch den zwei­ten Flü­gel des Licht­schacht­fens­ters so­wie die Et­agen­tür auf und wie­der­hol­te, drei­mal so laut und hun­dert­fünf­und­zwan­zig­mal hin­ter­ein­an­der, ih­ren Ba­ri­tus:


»Mit­ten in der Elbe
Schwimmt ein Kro­ko­dil …«

Ich rang die Hän­de. Hier­mit war end­gül­tig und un­wi­der­ruf­lich die Mög­lich­keit ab­ge­schnit­ten, eine ge­wöhn­li­che Woh­nung wie­der­zu­fin­den. Denn dass Krischan Boll­mann sei­ne po­li­zei­li­che Dro­hung wahr ma­chen, dass mei­ne Frau schon mor­gen als Mu­sik­mä­na­de in der Zei­tung ste­hen, dass wir auf die­se Wei­se nicht nur ver­schärft in die schwar­ze Haus­wirts­lis­te, son­dern auch in die uns­rer bis­he­ri­gen Lei­dens­ge­nos­sen, der Mie­ter, kom­men wür­den: das stand so fest wie das klei­ne Ein­mal­eins.

Aber ich pries das Tem­pe­ra­ment mei­ner Frau nach­träg­lich doch. Es war uns zum Heil, es riss uns nach oben. Es reif­te den Wunsch zum Wil­len, es läu­ter­te das Ge­dan­ken­cha­os zur Klar­heit. Aus die­ser letz­ten, für alle Be­tei­lig­ten qual­vol­len Vier­tel­stun­de ent­sprang, wie aus der Asche der Phö­nix, un­ser Ent­schluss. Wir hat­ten die Schif­fe – glück­li­cher­wei­se al­ler­dings nur sym­bo­lisch – hin­ter uns ver­brannt. Das Land hat­te uns aus­ge­sto­ßen. Ich hol­te die von der Kind­taufs­fei­er des ver­häng­nis­vol­len Ro­mans noch üb­rig ge­blie­be­ne letz­te Fla­sche Heid­sieck her­ein, ließ den Kork bis an die De­cke flie­gen und stieß mit mei­ner Frau auf un­ser künf­ti­ges Am­phi­bi­en­da­sein an.

Schwer­wie­gen­de Din­ge soll man im­mer bei Sekt be­ra­ten. So mach­ten die al­ten Ger­ma­nen es auch (al­ler­dings nur bei Bier). An­ge­feuch­tet be­kom­men sie einen Glanz von dem Kö­nigs­trank selbst. Dass sie ihn nach­her meist wie­der ver­lie­ren, wenn die er­den­schwe­re Wirk­lich­keit die bun­ten Schmet­ter­lings­flü­gel der Fan­ta­sie aus­ge­ris­sen hat, soll man nicht be­jam­mern. »Ich be­saß es doch ein­mal, was so köst­lich ist.«

So be­sa­ßen und be­wohn­ten auch mei­ne Frau und ich im Handum­dre­hen das ro­man­tischs­te Wohn­schiff, das man sich vor­stel­len kann. Nicht um Zent­ner Gol­des hät­ten wir mehr mit un­sern am­phi­bi­schen Kol­le­gen, den brau­nen Bang­kok- und gel­ben Kan­ton­leu­ten im fer­nen Os­ten, ge­tauscht. Denn es war uns plötz­lich ein­ge­fal­len, dass wir auf die­se Wei­se nicht bloß Deutsch­land, son­dern sämt­li­che frem­den Län­der – so­weit sie nass wa­ren – be­woh­nen und auch be­rei­sen konn­ten.

Glück­strah­lend sa­hen wir uns in die Au­gen. Vor zehn Mi­nu­ten noch wa­ren wir elen­de Stu­ben­ho­cker, stumpf­sin­ni­ges Miet­ka­ser­nen­volk, fest­ge­wach­se­ne fan­ta­sie­lo­se Pfahl­mu­scheln. Und mit ei­nem Schla­ge Seg­ler, Flie­ger, Tümm­ler, Welt­bür­ger, Ent­de­cker, Ro­bin­sons, Va­ga­bun­den auf dem Mee­re des Le­bens, Tri­um­pha­to­ren über alle Krischan Boll­manns der Welt.

Fantasien im fünften Stock

»Wie soll es hei­ßen?« frag­te mei­ne Frau, nach­dem wir ei­ni­ger­ma­ßen wie­der auf der ter­ra fir­ma, will sa­gen: im fünf­ten Stock, ge­lan­det wa­ren.

»Der Mensch soll dank­bar sein«, er­wi­der­te ich. »Wir wol­len es Krischan Boll­mann nen­nen.«

»Pfui!« rief sie. »Ich den­ke At­lan­tis oder Lady of the Lake. Es muss ein poe­tisch-li­te­ra­ri­scher Name sein.«

»Un­sinn«, er­wi­der­te ich. »Je­dem Vo­gel ge­büh­ren sei­ne eig­nen Fe­dern. Au­ßer­dem ist Scott längst ver­al­tet. Mei­ne Ro­ma­ne sind viel schö­ner, un­be­dingt aber mo­der­ner. Ich ma­che einen Ver­mitt­lungs­vor­schlag. Tau­fen wir es auf den Na­men mei­nes letz­ten Ro­mans: Die Schol­le. Da­durch schla­gen wir drei Flie­gen mit ei­ner Klap­pe. Wir ge­nü­gen der Dank­bar­keits­pflicht ge­gen Boll­mann: in der Schol­le ist er ja ab­ge­malt. Wir er­hal­ten das geis­ti­ge Band zwi­schen uns­rer al­ten und neu­en Da­seins­form, denn Schol­le be­deu­tet eben­so gut et­was Trock­nes wie Nas­ses. Schließ­lich prä­gen wir mit si­che­rem Stil­ge­fühl un­se­rer künf­ti­gen Wohn­schu­te das ein­zig rich­ti­ge Eti­kett auf. Et­was andres als ein ge­ramsch­ter Fin­ken­wer­der Fi­sche­re­wer, vor­nehms­ten­falls Fi­scher­kut­ter, wird’s kaum wer­den.«

»Al­ler­dings«, be­stä­tig­te mei­ne Frau, »Schol­le ist ein pracht­vol­ler am­phi­bi­ärer Name. Mit ›Schol­le‹ bin ich völ­lig ein­ver­stan­den.«

Ich hat­te schon längst einen Fo­lio­bo­gen vor mir aus­ge­brei­tet. Er soll­te so­zu­sa­gen den Span­ten­riss uns­res zu­künf­ti­gen Glücks in sich auf­neh­men. Ich mal­te mit schö­nen Frak­tur­buch­sta­ben, wie ich sie noch in der Schu­le mei­nes Groß­va­ters er­lernt habe, das Wort SCHOLLE hin­auf und sag­te:

»Hier­mit stel­le ich die Fra­ge des Wohn­schiffs­typs zur nä­he­ren De­bat­te.«

Mei­ne Frau er­wi­der­te, dass sie mir die Aus­wahl des Schiffs­typs völ­lig über­las­se. Da­ran tat sie wohl. Denn ich ken­ne als ge­bor­ne Wa­ter­kan­trat­te und in al­len Ozea­nen be­se­gel­ter Mann sämt­li­che Schiffs­ty­pen der Welt, als ob ich sie selbst er­fun­den hät­te: vom Kanu der Fid­schi­in­su­la­ner bis zum sechs­mas­ti­gen ame­ri­ka­ni­schen Küs­ten­scho­ner, und von der Ham­bur­ger Platt­gatt­jol­le bis zu den mo­der­nen Mam­mut­damp­fern. Sie mach­te nur einen Vor­be­halt. Das Schiff müs­se un­be­dingt einen dop­pel­ten Bo­den ha­ben, da­mit, falls es mit dem un­te­ren auf eine Klip­pe stie­ße, we­nigs­tens der obe­re dicht blie­be. Ich er­wi­der­te la­ko­nisch »zu­ge­stan­den« (denn es galt, sie, wie im Mär­chen der from­me Jo­han­nes die Kö­nigs­toch­ter, zu­nächst auf das Schiff hin­über­zu­brin­gen) und no­tier­te als zwei­tes Stich­wort: dop­pel­ter Bo­den.

Nun kam die sehr wich­ti­ge Ka­jüts­fra­ge dran. Mei­ne Frau be­stand, wie Ehe­frau­en, de­ren Geist mit neu­en Woh­nungs- und Ein­räu­mungs­ge­dan­ken schwan­ger geht, dies lie­ben, auf mög­lichst vie­len Räum­lich­kei­ten: ei­nem Sa­lon, ei­ner ge­wöhn­li­chen Wohn­ka­jü­te, ei­ner Ar­beits­ka­jü­te als Ge­burts­stät­te für die künf­ti­gen Ro­ma­ne, ei­ner Schlaf­ka­bi­ne, ei­ner Kom­bü­sen­kü­che mit gut zie­hen­dem Ofen – und den Räu­men für die Die­ner­schaft.

»Don­ner­wet­ter«, rief ich, »du gehst aber ge­fähr­lich ins Zeug. Die­ner­schaft?«

Sie mein­te ganz naiv: für das Geld, das wir durch das Wohn­schiff spar­ten, kön­ne man sich das Le­ben in an­de­rer Wei­se ver­sü­ßen. Auch bräch­te eine dau­ern­de An­bor­dexis­tenz den Ver­zicht auf man­cher­lei An­nehm­lich­kei­ten mit sich. (Ers­ter aus­ge­ris­se­ner Schmet­ter­lings­flü­gel.) Bis­her habe sie nur ein Dienst­mäd­chen ge­hal­ten. Jetzt müs­se eine Ge­sell­schaf­te­rin, min­des­tens aber eine so­ge­nann­te Stüt­ze hin­zu­kom­men. Denn in­fol­ge uns­rer Über­sied­lung vom Par­kett (Krischan Boll­mann tat es selbst in sei­nen fünf­ten Stock­wer­ken nicht mehr ohne Par­kett: »Man mu­scha mit die Sseit ge­hen, Kal­li­ne«, sag­te er zu sei­ner Frau, »un wi hebbt et ja«) auf Schiffs­plan­ken wür­de der Haus­ver­kehr, be­son­ders von Freun­din­nen mit Kin­dern, auf ein Nichts zu­sam­men­schrump­fen. Nun, das sei ja wei­ter kein Scha­den; man wür­de im­mer blan­ke Plan­ken ha­ben und kei­nen Är­ger mehr über ab­ge­dreh­te So­faquas­ten und zu Klum­pen zer­ses­se­ne An­ti­ma­kassars, auch kei­ne ent­zwei­ge­trom­mel­ten Pia­ni­no­sa­i­ten.

»Bei­läu­fig«, un­ter­brach sich hier mei­ne Frau has­tig, »wo soll das Pia­no ste­hen? Der Sa­lon muss min­des­tens so groß sein, dass –«

»Beim Auk­tio­na­tor«, er­wi­der­te ich in ei­nem Ton, der jede wei­te­re Er­ör­te­rung aus­schloss. »Wir wer­den die süß-me­lan­cho­li­schen Mur­mel­me­lo­di­en der Wel­len am Bug und un­term Kiel ha­ben, die von Wind­fin­gern ge­grif­fe­nen Har­fen­ak­kor­de in den Wan­ten – und au­ßer­dem lässt sich in ei­nem Fi­sche­re­wer über­haupt kein Pia­no un­ter­brin­gen, es sei denn in der ›Bünn‹.«1

Zwei­ter aus­ge­ris­se­ner Flü­gel. (Ge­nau­er: hal­ber Flü­gel, da hin­sicht­lich Kos­ten­punkts, Aus­deh­nung und Spek­ta­kels ein Flü­gel = zwei Pia­nos.) Merk­lich her­ab­ge­stimmt, ließ mei­ne Frau die Ohren hän­gen.

»Und«, fuhr ich fort, auf Grund mei­ner ge­nau­en Kennt­nis der für uns in Fra­ge kom­men­den Schiffs­ge­fäße, »ein Dienst­mäd­chen kann ich dir für die Zu­kunft eben­so­we­nig be­wil­li­gen wie einen Sa­lon, eine Schlaf­ka­bi­ne und ›Räu­me‹ für die Die­ner­schaft. Ein Fin­ken­wer­der Fi­scher­kut­ter ist kein Asto­ria­ho­tel«.

»Aber wer soll ihn denn schrup­pen?«

»Der Knecht«, sag­te ich, »oder, schiffs­tech­nisch aus­ge­drückt: der Best­mann. Die obers­te nau­ti­sche und sons­ti­ge Lei­tung wer­de na­tür­lich ich selbst über­neh­men. Aber alle Pö­sel-, Putz- und Schmier­ar­beit, un­ter Deck, über Deck und in der Ta­ke­la­ge ist sei­ne Sa­che. Ich wer­de schon einen ge­eig­ne­ten Mann an­heu­ern, habe nicht um­sonst acht­zehn Jah­re im Ham­bur­ger Heu­er­baas­vier­tel zu­ge­bracht. Der kriegt sei­ne Ka­bi­ne und Koje ach­tern, wir un­se­re vorn, die Kom­bü­se er­rich­ten wir, weil ich beim Ro­man­schrei­ben kei­nen Stein­koh­len- und Fett­ge­stank in der Nase ver­tra­ge, über Deck, und die Bünn wird zum Wohn- und Empfangs­zim­mer aus­ge­baut.«

»Aber das Fräu­lein?« frag­te mei­ne Frau ge­spannt. »Ein Fräu­lein muss ich ha­ben.«

»Be­kommt ihre Un­ter­kunft in der Ka­bel­gats­lu­ke.«

Hier schrie mei­ne Frau auf. Und das mit Recht. Denn Ka­bel­gats­lu­ken sind als Schiffs­wohn­räu­me bis­lang nur für Ka­ker­la­ken und blin­de Pas­sa­gie­re üb­lich. Ich hat­te es auch nur so ge­sagt. Als ich merk­te, dass es sich hier um eine Ka­bi­netts­fra­ge han­del­te, durch­wan­del­te ich im Geist noch­mals mei­ne künf­ti­ge li­te­ra­ri­sche Werk­statt von vorn bis ach­tern und kam schließ­lich zu der Mög­lich­keit, dass man zu Steu­er­bord oder Back­bord zwi­schen Bünn­wand und Schiffs­wand eine Koje ein­bau­en kön­ne. Für die Stüt­ze biss­chen eng. Biss­chen mulst­rig vor­aus­sicht­lich. Aber sonst ge­ra­de­zu fürst­lich. Je­den­falls für eine »Stüt­ze«, falls sie nur halb­wegs was­ser­ro­man­tisch ver­an­lagt war, gut ge­nug.

So­mit fin­gen wir also an zu bau­en. Und dies war ein ent­schie­den glück­li­cher Ge­dan­ke. Denn, wie mei­ne Frau be­gon­nen hat­te: mit der Ein­rich­tung – das war ja un­ge­fähr, als wenn man bei ei­ner Kir­che mit dem Turm an­fan­gen woll­te oder einen Ro­man mit dem Schluss­ka­pi­tel. Da­durch be­kam ich das Un­ter­neh­men Gott sei Dank wie­der völ­lig in mei­ne Ge­walt. Denn wo der Herr nicht das Haus bau­et – das ha­ben schon die al­ten Ju­den er­kannt –, kann aus der Sa­che nichts wer­den. Bald sah der Span­ten­riss­bo­gen so fan­ta­sie­voll und schreck­lich aus wie die Ta­pe­te, mit der der Ge­schmack Krischan Boll­manns un­ser Wohn­zim­mer (in der »bes­ten Stu­be« war sie noch viel gräss­li­cher) ver­ziert hat­te. Nur ein Schrift­stel­ler, der wie ich drei Jah­re lang in ei­nem theo­so­phisch-ok­kul­tis­tisch-kab­ba­lis­ti­schen Ver­lag Kor­rek­tor­diens­te ge­tan hat, konn­te hin­durch­fin­den. Und ich fand hin­durch. Die Per­len­schnur der Ein­tra­gun­gen sah zum Schlus­se etwa so aus:

Schol­le, dop­pel­ter Bo­den, Stüt­ze in die Bünn, Blitz­ab­lei­ter, Kom­bü­se an Deck, des­glei­chen Som­mer­hüt­te, Werg zum Kal­fa­tern, Pla­kat mit Auf­schrift: Un­be­fug­ten ist der Zu­tritt ver­bo­ten, drei bis vier Rat­ten­fal­len, Kom­bü­se un­ter Deck, klei­ner Sa­lon auf dem Ach­ter­deck (von der Hand mei­ner Frau hin­zu­ge­fügt, im Au­gen­blick ei­ner not­wen­di­gen Ab­we­sen­heit mei­ner­seits), ei­ni­ge Tin­ten­kle­xe und Zick­zack­li­ni­en, Feu­er­ver­si­che­rung, Ar­beits­zim­mer in der Bünn, Stüt­ze raus (schläft über Som­mer in der Decks­hüt­te), Kom­bü­se aufs Ach­ter­deck, Kom­bü­se vorn (dann lässt sich Ka­bel­gats­lu­ke als Spei­se­zim­mer ver­wen­den), deut­sche Flag­ge, Haus­flag­ge, Schwim­mun­ter­richt für die Frau, Ret­tungs­rin­ge, die bes­ten Pi­assa­vaschrub­ber hat Neu­mann in der Fi­scher­stra­ße, Kom­bü­se … (Tin­ten­kle­xe, bös­ar­ti­ge Zick­zackstri­che, doch lässt sich die ur­sprüng­li­che Fas­sung: Kom­bü­se auf dem Groß­mast, deut­lich er­ken­nen), ei­ser­nes Email­ge­schirr, Biblio­thek in die Bünn, Wohn­zim­mer des Som­mers in der Hüt­te über Deck, Stüt­ze in die Ka­bel­gats … Kle­xe, ein Drei­eck im Pa­pier, Knecht schläft Jol­le oder an Land, Stüt­ze in die Ach­ter­ka­bi­ne, Kom­bü­se in die Ach­ter­ka­bi­ne, Sand, Soda, Schmier­sei­fe, Teer­quäs­te, al­les bei Neu­mann, Blu­men­käs­ten, Spi­ri­tus für Kom­pass, Ka­ker­la­ken­tod, Biblio­thek und Ar­beits­zim­mer in der Hüt­te, im Win­ter durch Dau­er­bren­ner zu hei­zen, Zen­tral­hei­zung, Le­bens­ver­si­che­rung, Schrau­be mit Pe­tro­le­um­mo­tor, Kom­bü­se in der Jol­le, Stüt­ze schläft Jol­le oder an Land, Lauf­plan­ke mit Ge­län­der, Stüt­ze schläft bei Frau, Mann beim Knecht, Kam­mer­jä­ge­r­ak­kord, Wan­zen­tod, Öl­far­be, Stüt­ze schläft … Tin­ten­kle­xe wie oben; die Kon­jek­tu­ral­kri­tik lie­fert die Er­gän­zung: in Tau­cher­glo­cke, Wohn­zim­mer end­gül­tig vorn, statt Fi­scher­kut­ter hol­län­di­sche Kuff oder Ober­län­der kau­fen, auch soll Slo­man­damp­fer, 4000 Tons, für al­ten Ei­sen­wert zu ram­schen sein, wo sol­len die Gäs­te schla­fen? Hän­ge­mat­ten im Bünn­deck, Stüt­ze schläft Hän­ge­mat­te Bünn­deck, Kom­bü­se an Land, Kom­bü­se ge­stri­chen, Koch­kis­te, Sprit­ko­cher, Kon­ser­ven, Kar­tof­feln hal­ten sich auf See nicht, Kar­tof­fel­an­la­ge, Ge­mü­se-, Salat-, Pilz-, Erd­beer­plan­ta­gen (in kleins­tem Maß­sta­be!) an Deck? Bünn? Eine Zie­ge? Bünn? Oder Deck? Ein Schwein? Bünn? Hüh­ner, Kü­ken, En­ten? Wer melkt das Schwein? (Tin­ten­kle­xe, Schwein durch Zie­ge er­setzt). Na­tür­lich der Knecht. Jagd­flin­te. (Hohn­be­mer­kung der Frau: Um die Kü­ken zu er­le­gen? Ich: nein, die Wil­den­ten.) An­geln, Net­ze, Fuß­ab­krat­zer, Po­si­ti­ons­la­ter­nen, Bünn durch­ge­scho­ren, vorn Stüt­ze, ach­tern Knecht, in der Mit­te Kom­bü­se, Kunst­schloss, Sprach­rohr, Koh­len­raum, An­bau an Bünn, Päs­se, Spei­bag­gen, Notra­ke­ten, Sex­tant, See­kar­ten, Wach­hund, Schiffs­kat­ze, Lenz­pum­pe, ita­lie­ni­sche Nacht, Ein­wei­hungs­fei­er – so un­ge­fähr sah der Bo­gen und da­mit die Scha­le un­se­res künf­ti­gen Glücks aus.


  1. Der in der Mit­te der See­fi­scher­fahr­zeu­ge ein­ge­bau­te große Be­häl­ter für die Fi­sche.  <<<

Sachverständiger Beirat

In die­sem Au­gen­blick rief un­ten auf der Stra­ße eine Stim­me: »Schulln! La­ben­ni­ge Schulln!« Schön war die­se ihre le­ben­di­gen Schol­len an­prei­sen­de Stim­me nicht. Sie moch­te, was Kraft der Ton­la­ge an­be­traf, mit Bö­tel im­mer­hin weit­läu­fig ver­wandt sein, Pol­li­ni hät­te sie aber für das Ham­bur­ger Stadt­thea­ter lie­ber nicht ver­pflich­tet. Uns aber er­schi­en sie als ein güns­ti­ges Vor­zei­chen. Als ein sym­bo­li­scher Ruf aus der Tie­fe, durch den die Göt­ter der Elbe und der See un­serm künf­ti­gen glück­haf­ten Schiff ih­ren Schutz zu­sag­ten. Auch hat­te der Zwang und Drang der Er­eig­nis­se mei­ne Frau nicht ans Mit­ta­ges­sen den­ken las­sen. Was war na­tür­li­cher, als dass wir – da der Tag rest­los un­ter dem Zei­chen der »Schol­le« stand – auch Schol­len spei­sen wür­den. So­mit be­trat, durch huld­vol­len Wink und Ruf an­ge­lockt, nach kur­z­er Frist Ge­sche Ke­tel­schra­per un­se­ren Flur.

Ge­sche Ke­tel­schra­per stamm­te selbst­ver­ständ­lich von der be­rühm­ten Fi­sche­r­in­sel Fin­ken­wer­der. Sie hat­te, ein weib­li­cher Dou­glas der Wa­ter­kant, ihre Schol­len, Aale und Stein­but­ten schon sie­ben Jahr ge­tra­gen, we­nigs­tens durch un­se­re Stra­ße, und war uns in­fol­ge­des­sen als zu­ver­läs­si­ge Per­son be­kannt. Wie alle Fisch­frau­en hat­te sie die Ei­gen­tüm­lich­keit, das Aus­neh­men ih­rer Schol­len mit gu­ten Re­den zu be­glei­ten, so dass wir im Lau­fe der Zeit in ih­rer eig­nen Na­tur­ge­schich­te und auf ih­rer Hei­mats­in­sel eben­so gut Be­scheid wuss­ten wie sie selbst. Heu­te woll­te sie uns zum sie­ben­und­drei­ßigs­ten Male er­zäh­len, wie da­mals ihre Nach­ba­rin Tri­na Behr­mann das Kind in die Woh­nung ein­ge­schlos­sen und es ver­ges­sen hat­te, und es, nach­dem sie den gan­zen Fin­ken­wer­der Deich mit ih­rem Jam­mer­ge­schrei er­füllt, schließ­lich als ver­misst bei der Po­li­zei an­ge­mel­det hat­te – dja, wok­ein das nich selbs mit er­lebt hat, sollt das dja­woll rein für un­mög­lich hal­ten. Doch un­ter­brach ich sie schon, als sie der ers­ten Schol­le die Keh­le noch nicht zur Hälf­te durch­ge­schnit­ten hat­te, mit der Fra­ge: ob auf Fin­ken­wer­der viel­leicht ein ge­brauch­ter, aber noch see­tüch­ti­ger Fi­sche­re­wer zu ver­kau­fen sei.

Ge­sche Ke­tel­schra­per schnitt vor Über­ra­schung nicht nur den Fisch­kopf, son­dern auch sich selbst den hal­b­en Dau­men ab und rief:

»Du mei­ne Zeit, will Herr Dok­ter denn auf sei­ne al­ten Tage das Bü­cher­schrei­ben an’n Na­gel hän­gen und sein Brot mit das Kurr­nett (Netz) ver­die­nen?«

Dar­über be­ru­hig­te ich Ge­sche Ke­tel­schra­per schnell, in­dem ich ihr mit­teil­te: ich such­te kei­nen gut ge­hen­den neu­en Be­ruf, bloß eine schwim­men­de Som­mer­woh­nung.

An ih­rem sich wie ein Aal zwi­schen mir und mei­ner Frau hin und her schlän­geln­den Blick er­kann­te ich ihre Ge­dan­ken: »Der Kerl ist ver­rückt! – Och, de arme Fru!« In­des­sen ließ sie sich’s nicht mer­ken (wir zähl­ten ja zu ih­ren bes­ten Kun­den) und er­wi­der­te nach kur­z­em Be­sin­nen: Ja, sie wis­se einen, Jas­per Fock von der Aue wol­le sich zur Ruhe set­zen, we­gen Reis­ma­tis­mus und weil man jetzt we­gen der Fisch­dam­per­kon­k’renz so ge­fähr­lich weit raus­müs­se und sei­ne bei­den Deerns sich vo­ri­ges Jahr so gut ver­freit hät­ten, dass er es jetzt nicht mehr nö­tig hät­te, und wäre ein fei­nes Fahr­zeug, nicht Jas­per Fock, der Kut­ter, denn ein Kut­ter sei es, kein Ewer, und hie­ße »Ema­nu­el« und läge im Fin­ken­wer­der Loch vor An­ker, was die heu­ti­gen Fin­ken­wer­der aber als Be­lei­di­gung an­sähn, wenn man das »Fink­wer­der Lock« Loch nen­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­