Wilhelm Poeck
Der Kriminalkutter
Eine tolle Seegeschichte
Wilhelm Poeck
Der Kriminalkutter
Eine tolle Seegeschichte
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962810-11-5
null-papier.de/463
null-papier.de/katalog
Inhaltsverzeichnis
Der Entschluss
Fantasien im fünften Stock
Sachverständiger Beirat
Johnny Aasbaas
Quäker-Oats
Das Finkenwerder Loch
Die Einweihung
Die Kritik
Auf dem Riff
Miss Honeysnake
Hoch klingt das Lied vom braven Mann
Mejuffrouw Peperbus
Ein alter Bekannter tritt auf
Die Nymphe vom Holmeiiskanal
Der Kriminalkutter
Adelgunde
Krischan Bollmann in Nöten
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr
Jürgen Schulze
Der Newsletter informiert Sie über:
https://null-papier.de/newsletter
Ich hatte Audienz bei meinem Hauswirt. Er hieß Krischan Bollmann, sah dementsprechend aus und trug außerdem noch Morgenschuhe aus grünem Plüsch. Er hatte mich in sein »Kontor« herunterbefohlen, und hier spielte sich folgende Unterredung ab.
»Bütte, ’n büschen Platz nöhm. Ich hab da in mein Sseitung gelösen, Sü schreim djawoll Romanens. Hrrruuuppph!«
»Allerdings«, wagte ich zu bemerken. »Und die Kritik sagt –«
»Die Kritik? Das ist djawoll ne Schauspülerin. So ’ne unßüttliche Person, wie sie auch in den Roman vorkomm soll, nech? Dja, die mach das woll gefallen. Aber was die sach, das is mich ganz puttegal. Hier in mein’ Haus hab’ ich allein was ßu sagen. Hrrruuuppph!«
»Ganz entschieden«, pflichtete ich bei. »Dafür sind Sie Hausbesitzer. Ich schreibe ja auch nur in Ihrem Hause.«
»Nein, Sü schreiben über meinem Hause«, sagte Krischan Bollmann giftig.
»Das ist ja ganz unmöglich, Herr Bollmann«, erwiderte ich erstaunt. »Ich wohne doch nicht auf dem Dach, sondern erst im fünften Stock.«
»Aber nich möhr lange«, fuhr Krischan Bollmann noch giftiger fort. »Hürmit künnige üch Sü.«
Ich sprang auf und war ein einziges Fragezeichen.
»In Ührn dösigen Roman, da kömmp auch’n Hausbesützer in vor. Müt’n dücken Bauch, un ’n Glatz un ’n Gesich as ’n Schusterkugel, un ’n Kömnes (Kümmelnase) un – hrrruuuppph! – Aufstoßen nach djedes drütte Wort, un Morgenschuh aus greunen Plüsch. Da habn Sü dja mein Fotografü mit gölüfert. Un sowas muss ich ßu mein’ Schande in mein’ eigen’ Sseitung lösen.«
Ich lächelte – aber ein Lächeln des Bankerotteurs, der seinen letzten Kellerwechsel einlöst.
»Zeitungen schreiben viel«, sagte ich. »Sie haben den Roman selbst nicht gelesen, Herr Bollmann?«
»Gott soll mür böwahrn!« rief mein Hauswirt. »Hrrruuuppph!«
»Dann wissen Sie natürlich auch nicht, dass der Hauswirt in meinem Roman in Wirklichkeit einen ganz anderen Bauch und Glatze und Gesicht und Nase hat, und ganz anders aufstößt als Sie. Ihre Nase kommt ja doch, das ist stadtkundig, nicht vom Kümmel, sondern vom Bordeauxwein. Und grüne Morgenschuhe – wie viele Hauswirte tragen grüne Morgenschuhe. Das einzige, worin mein Hauswirt mit Ihnen übereinstimmt, ist die dicke goldne Kette zu sechshundert Mark, die er über der Weste trägt.«
»Nu wördn Sü man nich noch unverschämp«, brüllte mich mein Romanmodell an. »Die golle Uhrkette über mein’ Weste, die koß achhunnert Mark. Keine sechshunnert! Das mörken Sü such gefälligs ’n büschen. Hürmit sünd Sü also gekünnich. Un morgen stehen Sü in unse swarze Liste.«
»Schwarze Liste?« murmelte ich entsetzt.
»Ja. Swarze Liste. Das heiß müt annere Worten, dass Sü in düse Stadt keine Wohnung nich wüderkriegen. Denn wer in Romanens und Sseitungen uns Hauswürten auf die Hühneraugen pedd (tritt), der kann sich ’n Wohnung im Mond suchen.«
»Bester Herr Bollmann«, begann ich flehend, denn ich wusste, dass ich für die fahrenden Leute reif war, falls es mir nicht gelang, diesen Entschluss umzustoßen, »würden Sie mir verzeihn, falls ich in Ihrer Zeitung auf meine Kosten eine Ehrenerklärung veröffentliche, dass ich Sie nicht gemeint habe?«
»Is das nicht genug, dass Sü mir in Ihrn dösigen Roman, den ja Gott sei Dank kein Mensch liest, abgemalen haben?« bollerte Krischan Bollmann weiter. »Wolln Sü mir auch noch vor die ganse Welt ßur Uhl machen? Ssum drütten und letzten: Sü sünd gekünnigt. Un hiermit sünd wir ßwei beide mitn anner fertig. Sehn Sü ßu, wo Sü ’n ander Wohnung kriegen. Hier in düse Stadt gewüß nich. Adje, Herr Eck.«
Dieser Abschiedsgruß war eine Ironie. Denn in Wirklichkeit heiße ich gar nicht Eck. Ich hatte nur den bewussten Roman (der mich aus einer wenn auch nur bescheidenen, doch immerhin mit einem Dach versehenen Wohnung sozusagen auf die Landstraße warf) unter diesem Namen veröffentlicht. Da er kurz und Druckpapier zur Zeit teuer ist, will ich ihn für diese Geschichte beibehalten.
Zwischen Landfahrern und Bettlern ist kein großer Unterschied. Ich begann also in der Haltung eines Kohlendampf schiebenden Kunden nochmals: »Hochverehrter Herr Bollmann, die spätere Literaturgeschichte wird gewiss« –
»Sü wolln mür woll uzen?« schnitt mir Bollmann in derselben Tonart das Wort ab. »Was ich gesach hab« – hier klingelte er, und ich griff schleunigst und angsterfüllt nach meinem Besuchszylinder –, »das hab’ ich gesach. Un da is die Tür. – Djohann, der Nächste!«
Mit sehr viel schnelleren Schritten, als ich Herrn Bollmanns Salon betreten hatte, verließ ich ihn wieder. Denn wenn der Hausherr (nach meiner Romanschilderung) Hände hatte wie ein paar Reisetaschen, so hatte der Hausdiener Fäuste wie ein Paar kleine Fässer. Meine Ablösung – der Mieter des dritten Stockwerks – huschte so ängstlich wie der bekannte Mann ohne Schatten an mir vorüber. Johann schlug die Tür hinter ihm zu – er saß wie eine Maus in der Falle.
»Herr Kanßleirat«, grollte drinnen das hauswirtliche Gewitter über den Unglücklichen los, »in unsern Kontrak steht in: das Halten von Türe is nur mit besondre Gönöhmigung des Hauswürts erlaup. Gestern nachmittag, als ich wegen die Klasettinspekschon oben war, hab’ ich bömörk: Ihre Kinder halten weiße Mäuse in ein Bauer. Was haben Sü darauf ßu erwüdern?«
Ich nahm mir vor, künftig gleichfalls weiße Mäuse in einem Bauer zu halten, statt meine Aussichten mit Romanschreiben totzuschlagen. Denn Bollmann war – im Gegensatz zu dem Franzosen, unter dem man bekanntlich, wenn man ihn kratzt, den Russen findet – im Grunde unter dem Bezirk seiner Uhrkette zu achthundert Mark und seines Fetts kein Unmensch. Es war anzunehmen, dass er dem Kanzleirat das Verbrechen der weißen Mäuse schließlich verzeihen und sie vielleicht sogar nachträglich genehmigen würde.
Was bei meinem Roman natürlich gänzlich ausgeschlossen war. (Im Vertrauen: wäre ich ein Hauswirt mit dem Bollmantischen Bauch, Glatze, Schusterkugelgesicht und grünen Plüschschuhen, und mein Mieter konterfeite mich steckbriefgetreu in einem Roman ab: dem würd’ ich auch nicht verzeihen.)
Doch war die Lage für derartig müßige Erwägungen zu ernst. Ich berief meine Frau zu einer Konferenz, teilte ihr das Schreckliche schonend mit und sagte sorgenvoll: »Was nun?«
Aber auch gespannt. Denn ich hatte bereits mehrfach, in Romanen und psychologischen Plaudereien, den Satz niedergeschrieben: dass die Intelligenz des Weibes eine von der männlichen völlig verschiedene sei; dass die Frau in verzweifelten Fällen instinktmäßig das Richtige treffe, wie die Fliege das Stück Zucker oder wie der Zwirnsfaden das Nadelöhr – und hatte diesen aus andern Schriftstellern entlehnten Grundsatz durch die Praxis in Gestalt meiner Frau nachträglich bestätigt gefunden.
Meine Frau ist eine Beamtentochter. Sie ist in unverheiratetem Zustande achtundzwanzigmal versetzt worden und hat in ihrem Leben dreiundsechzigmal die Wohnung gewechselt. Sie ist also in Bezug auf Wohnungen Fachmann.
Alle Andeutungen, die ich hinsichtlich der schwarzen Liste machte (ob nicht etwa durch Bestechung des Sekretärs, durch eine künstliche Todesanzeige oder sonst wie die Spur verwischt werden könne), beantwortete sie mit einem Kopfschütteln.
»Zu Lande sind wir erledigt«, entschied sie. »Es müsste denn sein, du hättest Neigung, dich um eine Anstellung als Turmhüter oder Totengräber zu bewerben. Die haben Dienstwohnung. Aber dazu muss man Beziehungen haben. Hast du die?«
Das musste ich verneinen.
»So bleibt uns nur das Wasser«, rief sie mit dumpfer Stimme.
»Um des Himmels willen«, rief ich, die Hände erhebend.
»Beruhige dich. Mit dem Himmel hat mein Vorschlag diesmal noch nichts zu tun. – Ich denke an Bangkok oder an Kanton.«
»Nanu!« rief ich. »Auswandern, weil uns Krischan Bollmann auf die schwarze Hauswirtsliste gesetzt hat?«
»Denn dort ist die Wohnfrage für Leute, die nicht, wie die Hauswirte, mit einem silbernen Löffel im Munde zur Welt gekommen sind, glänzend gelöst. Man wohnt in Dschunken oder Prauen, auf dem friedlichen Mekong oder Jangtsekiang …«
Ich hatte begriffen, was meine Frau meinte, und erwiderte: ich müsse mich einige Augenblicke in mein Arbeitszimmer zurückziehen, um die Wucht dieses Gedankens in der Einsamkeit auf mich wirken zu lassen.
Hier stellte ich mit Hilfe des Andree zunächst fest, dass Bangkok nicht am Mekong liegt, sondern am Menam. Und Kanton nicht am Jangtsekiang, sondern am Sikiang. Weiter wollte ich auch gar nichts wissen. Es genügte, um das Handeln in der Wohnungsfrage, das in die Hände meiner Frau überzugehen drohte, wieder an mich zu reißen.
Ich verlängerte die Denkpause künstlich um einige Minuten. Das sollte mir den Anschein geben, dass alles, was ich in der nun folgenden Auseinandersetzung gegen etwaige Einwendungen meiner Frau vorbringen würde, gründlich überlegt sei. (Altbewährte Ehetaktik.)
»Erstlich«, begann ich, »liegt Bangkok nicht am Mekong, sondern am Menam. Und Kanton nicht am Jangtsekiang, sondern am Sikiang. Hrrrummm! Zweitens wohnen die Bangkokkusen nicht auf Dschunken oder Prauen, die eine chinesische Schiffsspezialität darstellen, sondern sie errichten ihre Wohnungen, dort Bungalows genannt, auf Bambusflößen, die mit der Flut des Menam steigen oder fallen. Hrrrummm!« (Diese Weisheit hatte ich aus dem großen Meyer.)
»Na ja«, sagte meine Frau ungeduldig, »genau wie hier auf der Elbe die Schuten und Ewer.«
»Und drittens«, fuhr ich fort, »sind der Mekong und Jangtsekiang, genauer der Menam und Sikiang, nicht so friedlich, wie du zu glauben scheinst. Denn sie sind, mindestens der Menam, wahrscheinlich aber auch der Sikiang, bevölkert von Krokodilen. Hrrrummm!« (Das hatte mir in Bezug auf den Menam der große Brehm verraten, hinsichtlich des Sikiang war es meine eigene Hypothese.)
Meine Frau stürzte ans Piano, trat aufs Fortepedal, hieb mit beiden Händen, mit der gleichen Geschwindigkeit und Wucht:, mit der eine Katze einem andrängenden Köter über die Physiognomie fährt, in die Tasten und sang dazu:
»Mitten in der Elbe
Schwimmt ein Krokodil …«
Unüberlegt, wie sie manchmal ist, hatte sie nicht beachtet, dass die Tür nach dem Flur und das Fenster des Lichtschachts offen standen. Das Lied besteht, soviel ich weiß, zwar nur aus diesen beiden Versen (jedenfalls habe ich die Straßenjungen immer nur diese singen hören) – aber meine Frau sang sie zwanzigmal hintereinander. Mit allen Stimmmitteln. Als sie fertig war, erscholl aus dem Lichtschacht eine Stimme, die Tonfarbe und Kraft von einem wütenden Ur geborgt zu haben schien:
»Wolln Sü Takelßeug da oben in die fünfte Etasche woll gleich den infamten Musikspektakel nachlassen! Glauben Sü, dass mein Etaschenhaus ’n Djahrmarksbude oder’n öffentlichen Tingeltangel is. Machen Sü das nich noch mal, sonß schück ich Sü den Polleßei aufn Hals. In unsern Kontrak steht ein …«
Aber es war mir unmöglich, auf diesem etwas ungewöhnlichen Wege zu erfahren, wie der Musikparagraph unseres Kontrakts lautete. Denn meine Frau eilte hinaus, riss auch noch den zweiten Flügel des Lichtschachtfensters sowie die Etagentür auf und wiederholte, dreimal so laut und hundertfünfundzwanzigmal hintereinander, ihren Baritus:
»Mitten in der Elbe
Schwimmt ein Krokodil …«
Ich rang die Hände. Hiermit war endgültig und unwiderruflich die Möglichkeit abgeschnitten, eine gewöhnliche Wohnung wiederzufinden. Denn dass Krischan Bollmann seine polizeiliche Drohung wahr machen, dass meine Frau schon morgen als Musikmänade in der Zeitung stehen, dass wir auf diese Weise nicht nur verschärft in die schwarze Hauswirtsliste, sondern auch in die unsrer bisherigen Leidensgenossen, der Mieter, kommen würden: das stand so fest wie das kleine Einmaleins.
Aber ich pries das Temperament meiner Frau nachträglich doch. Es war uns zum Heil, es riss uns nach oben. Es reifte den Wunsch zum Willen, es läuterte das Gedankenchaos zur Klarheit. Aus dieser letzten, für alle Beteiligten qualvollen Viertelstunde entsprang, wie aus der Asche der Phönix, unser Entschluss. Wir hatten die Schiffe – glücklicherweise allerdings nur symbolisch – hinter uns verbrannt. Das Land hatte uns ausgestoßen. Ich holte die von der Kindtaufsfeier des verhängnisvollen Romans noch übrig gebliebene letzte Flasche Heidsieck herein, ließ den Kork bis an die Decke fliegen und stieß mit meiner Frau auf unser künftiges Amphibiendasein an.
Schwerwiegende Dinge soll man immer bei Sekt beraten. So machten die alten Germanen es auch (allerdings nur bei Bier). Angefeuchtet bekommen sie einen Glanz von dem Königstrank selbst. Dass sie ihn nachher meist wieder verlieren, wenn die erdenschwere Wirklichkeit die bunten Schmetterlingsflügel der Fantasie ausgerissen hat, soll man nicht bejammern. »Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist.«
So besaßen und bewohnten auch meine Frau und ich im Handumdrehen das romantischste Wohnschiff, das man sich vorstellen kann. Nicht um Zentner Goldes hätten wir mehr mit unsern amphibischen Kollegen, den braunen Bangkok- und gelben Kantonleuten im fernen Osten, getauscht. Denn es war uns plötzlich eingefallen, dass wir auf diese Weise nicht bloß Deutschland, sondern sämtliche fremden Länder – soweit sie nass waren – bewohnen und auch bereisen konnten.
Glückstrahlend sahen wir uns in die Augen. Vor zehn Minuten noch waren wir elende Stubenhocker, stumpfsinniges Mietkasernenvolk, festgewachsene fantasielose Pfahlmuscheln. Und mit einem Schlage Segler, Flieger, Tümmler, Weltbürger, Entdecker, Robinsons, Vagabunden auf dem Meere des Lebens, Triumphatoren über alle Krischan Bollmanns der Welt.
»Wie soll es heißen?« fragte meine Frau, nachdem wir einigermaßen wieder auf der terra firma, will sagen: im fünften Stock, gelandet waren.
»Der Mensch soll dankbar sein«, erwiderte ich. »Wir wollen es Krischan Bollmann nennen.«
»Pfui!« rief sie. »Ich denke Atlantis oder Lady of the Lake. Es muss ein poetisch-literarischer Name sein.«
»Unsinn«, erwiderte ich. »Jedem Vogel gebühren seine eignen Federn. Außerdem ist Scott längst veraltet. Meine Romane sind viel schöner, unbedingt aber moderner. Ich mache einen Vermittlungsvorschlag. Taufen wir es auf den Namen meines letzten Romans: Die Scholle. Dadurch schlagen wir drei Fliegen mit einer Klappe. Wir genügen der Dankbarkeitspflicht gegen Bollmann: in der Scholle ist er ja abgemalt. Wir erhalten das geistige Band zwischen unsrer alten und neuen Daseinsform, denn Scholle bedeutet ebenso gut etwas Trocknes wie Nasses. Schließlich prägen wir mit sicherem Stilgefühl unserer künftigen Wohnschute das einzig richtige Etikett auf. Etwas andres als ein geramschter Finkenwerder Fischerewer, vornehmstenfalls Fischerkutter, wird’s kaum werden.«
»Allerdings«, bestätigte meine Frau, »Scholle ist ein prachtvoller amphibiärer Name. Mit ›Scholle‹ bin ich völlig einverstanden.«
Ich hatte schon längst einen Foliobogen vor mir ausgebreitet. Er sollte sozusagen den Spantenriss unsres zukünftigen Glücks in sich aufnehmen. Ich malte mit schönen Frakturbuchstaben, wie ich sie noch in der Schule meines Großvaters erlernt habe, das Wort SCHOLLE hinauf und sagte:
»Hiermit stelle ich die Frage des Wohnschiffstyps zur näheren Debatte.«
Meine Frau erwiderte, dass sie mir die Auswahl des Schiffstyps völlig überlasse. Daran tat sie wohl. Denn ich kenne als geborne Waterkantratte und in allen Ozeanen besegelter Mann sämtliche Schiffstypen der Welt, als ob ich sie selbst erfunden hätte: vom Kanu der Fidschiinsulaner bis zum sechsmastigen amerikanischen Küstenschoner, und von der Hamburger Plattgattjolle bis zu den modernen Mammutdampfern. Sie machte nur einen Vorbehalt. Das Schiff müsse unbedingt einen doppelten Boden haben, damit, falls es mit dem unteren auf eine Klippe stieße, wenigstens der obere dicht bliebe. Ich erwiderte lakonisch »zugestanden« (denn es galt, sie, wie im Märchen der fromme Johannes die Königstochter, zunächst auf das Schiff hinüberzubringen) und notierte als zweites Stichwort: doppelter Boden.
Nun kam die sehr wichtige Kajütsfrage dran. Meine Frau bestand, wie Ehefrauen, deren Geist mit neuen Wohnungs- und Einräumungsgedanken schwanger geht, dies lieben, auf möglichst vielen Räumlichkeiten: einem Salon, einer gewöhnlichen Wohnkajüte, einer Arbeitskajüte als Geburtsstätte für die künftigen Romane, einer Schlafkabine, einer Kombüsenküche mit gut ziehendem Ofen – und den Räumen für die Dienerschaft.
»Donnerwetter«, rief ich, »du gehst aber gefährlich ins Zeug. Dienerschaft?«
Sie meinte ganz naiv: für das Geld, das wir durch das Wohnschiff sparten, könne man sich das Leben in anderer Weise versüßen. Auch brächte eine dauernde Anbordexistenz den Verzicht auf mancherlei Annehmlichkeiten mit sich. (Erster ausgerissener Schmetterlingsflügel.) Bisher habe sie nur ein Dienstmädchen gehalten. Jetzt müsse eine Gesellschafterin, mindestens aber eine sogenannte Stütze hinzukommen. Denn infolge unsrer Übersiedlung vom Parkett (Krischan Bollmann tat es selbst in seinen fünften Stockwerken nicht mehr ohne Parkett: »Man muscha mit die Sseit gehen, Kalline«, sagte er zu seiner Frau, »un wi hebbt et ja«) auf Schiffsplanken würde der Hausverkehr, besonders von Freundinnen mit Kindern, auf ein Nichts zusammenschrumpfen. Nun, das sei ja weiter kein Schaden; man würde immer blanke Planken haben und keinen Ärger mehr über abgedrehte Sofaquasten und zu Klumpen zersessene Antimakassars, auch keine entzweigetrommelten Pianinosaiten.
»Beiläufig«, unterbrach sich hier meine Frau hastig, »wo soll das Piano stehen? Der Salon muss mindestens so groß sein, dass –«
»Beim Auktionator«, erwiderte ich in einem Ton, der jede weitere Erörterung ausschloss. »Wir werden die süß-melancholischen Murmelmelodien der Wellen am Bug und unterm Kiel haben, die von Windfingern gegriffenen Harfenakkorde in den Wanten – und außerdem lässt sich in einem Fischerewer überhaupt kein Piano unterbringen, es sei denn in der ›Bünn‹.«1
Zweiter ausgerissener Flügel. (Genauer: halber Flügel, da hinsichtlich Kostenpunkts, Ausdehnung und Spektakels ein Flügel = zwei Pianos.) Merklich herabgestimmt, ließ meine Frau die Ohren hängen.
»Und«, fuhr ich fort, auf Grund meiner genauen Kenntnis der für uns in Frage kommenden Schiffsgefäße, »ein Dienstmädchen kann ich dir für die Zukunft ebensowenig bewilligen wie einen Salon, eine Schlafkabine und ›Räume‹ für die Dienerschaft. Ein Finkenwerder Fischerkutter ist kein Astoriahotel«.
»Aber wer soll ihn denn schruppen?«
»Der Knecht«, sagte ich, »oder, schiffstechnisch ausgedrückt: der Bestmann. Die oberste nautische und sonstige Leitung werde natürlich ich selbst übernehmen. Aber alle Pösel-, Putz- und Schmierarbeit, unter Deck, über Deck und in der Takelage ist seine Sache. Ich werde schon einen geeigneten Mann anheuern, habe nicht umsonst achtzehn Jahre im Hamburger Heuerbaasviertel zugebracht. Der kriegt seine Kabine und Koje achtern, wir unsere vorn, die Kombüse errichten wir, weil ich beim Romanschreiben keinen Steinkohlen- und Fettgestank in der Nase vertrage, über Deck, und die Bünn wird zum Wohn- und Empfangszimmer ausgebaut.«
»Aber das Fräulein?« fragte meine Frau gespannt. »Ein Fräulein muss ich haben.«
»Bekommt ihre Unterkunft in der Kabelgatsluke.«
Hier schrie meine Frau auf. Und das mit Recht. Denn Kabelgatsluken sind als Schiffswohnräume bislang nur für Kakerlaken und blinde Passagiere üblich. Ich hatte es auch nur so gesagt. Als ich merkte, dass es sich hier um eine Kabinettsfrage handelte, durchwandelte ich im Geist nochmals meine künftige literarische Werkstatt von vorn bis achtern und kam schließlich zu der Möglichkeit, dass man zu Steuerbord oder Backbord zwischen Bünnwand und Schiffswand eine Koje einbauen könne. Für die Stütze bisschen eng. Bisschen mulstrig voraussichtlich. Aber sonst geradezu fürstlich. Jedenfalls für eine »Stütze«, falls sie nur halbwegs wasserromantisch veranlagt war, gut genug.
Somit fingen wir also an zu bauen. Und dies war ein entschieden glücklicher Gedanke. Denn, wie meine Frau begonnen hatte: mit der Einrichtung – das war ja ungefähr, als wenn man bei einer Kirche mit dem Turm anfangen wollte oder einen Roman mit dem Schlusskapitel. Dadurch bekam ich das Unternehmen Gott sei Dank wieder völlig in meine Gewalt. Denn wo der Herr nicht das Haus bauet – das haben schon die alten Juden erkannt –, kann aus der Sache nichts werden. Bald sah der Spantenrissbogen so fantasievoll und schrecklich aus wie die Tapete, mit der der Geschmack Krischan Bollmanns unser Wohnzimmer (in der »besten Stube« war sie noch viel grässlicher) verziert hatte. Nur ein Schriftsteller, der wie ich drei Jahre lang in einem theosophisch-okkultistisch-kabbalistischen Verlag Korrektordienste getan hat, konnte hindurchfinden. Und ich fand hindurch. Die Perlenschnur der Eintragungen sah zum Schlusse etwa so aus:
Scholle, doppelter Boden, Stütze in die Bünn, Blitzableiter, Kombüse an Deck, desgleichen Sommerhütte, Werg zum Kalfatern, Plakat mit Aufschrift: Unbefugten ist der Zutritt verboten, drei bis vier Rattenfallen, Kombüse unter Deck, kleiner Salon auf dem Achterdeck (von der Hand meiner Frau hinzugefügt, im Augenblick einer notwendigen Abwesenheit meinerseits), einige Tintenklexe und Zickzacklinien, Feuerversicherung, Arbeitszimmer in der Bünn, Stütze raus (schläft über Sommer in der Deckshütte), Kombüse aufs Achterdeck, Kombüse vorn (dann lässt sich Kabelgatsluke als Speisezimmer verwenden), deutsche Flagge, Hausflagge, Schwimmunterricht für die Frau, Rettungsringe, die besten Piassavaschrubber hat Neumann in der Fischerstraße, Kombüse … (Tintenklexe, bösartige Zickzackstriche, doch lässt sich die ursprüngliche Fassung: Kombüse auf dem Großmast, deutlich erkennen), eisernes Emailgeschirr, Bibliothek in die Bünn, Wohnzimmer des Sommers in der Hütte über Deck, Stütze in die Kabelgats … Klexe, ein Dreieck im Papier, Knecht schläft Jolle oder an Land, Stütze in die Achterkabine, Kombüse in die Achterkabine, Sand, Soda, Schmierseife, Teerquäste, alles bei Neumann, Blumenkästen, Spiritus für Kompass, Kakerlakentod, Bibliothek und Arbeitszimmer in der Hütte, im Winter durch Dauerbrenner zu heizen, Zentralheizung, Lebensversicherung, Schraube mit Petroleummotor, Kombüse in der Jolle, Stütze schläft Jolle oder an Land, Laufplanke mit Geländer, Stütze schläft bei Frau, Mann beim Knecht, Kammerjägerakkord, Wanzentod, Ölfarbe, Stütze schläft … Tintenklexe wie oben; die Konjekturalkritik liefert die Ergänzung: in Taucherglocke, Wohnzimmer endgültig vorn, statt Fischerkutter holländische Kuff oder Oberländer kaufen, auch soll Slomandampfer, 4000 Tons, für alten Eisenwert zu ramschen sein, wo sollen die Gäste schlafen? Hängematten im Bünndeck, Stütze schläft Hängematte Bünndeck, Kombüse an Land, Kombüse gestrichen, Kochkiste, Spritkocher, Konserven, Kartoffeln halten sich auf See nicht, Kartoffelanlage, Gemüse-, Salat-, Pilz-, Erdbeerplantagen (in kleinstem Maßstabe!) an Deck? Bünn? Eine Ziege? Bünn? Oder Deck? Ein Schwein? Bünn? Hühner, Küken, Enten? Wer melkt das Schwein? (Tintenklexe, Schwein durch Ziege ersetzt). Natürlich der Knecht. Jagdflinte. (Hohnbemerkung der Frau: Um die Küken zu erlegen? Ich: nein, die Wildenten.) Angeln, Netze, Fußabkratzer, Positionslaternen, Bünn durchgeschoren, vorn Stütze, achtern Knecht, in der Mitte Kombüse, Kunstschloss, Sprachrohr, Kohlenraum, Anbau an Bünn, Pässe, Speibaggen, Notraketen, Sextant, Seekarten, Wachhund, Schiffskatze, Lenzpumpe, italienische Nacht, Einweihungsfeier – so ungefähr sah der Bogen und damit die Schale unseres künftigen Glücks aus.
Der in der Mitte der Seefischerfahrzeuge eingebaute große Behälter für die Fische. <<<
In diesem Augenblick rief unten auf der Straße eine Stimme: »Schulln! Labennige Schulln!« Schön war diese ihre lebendigen Schollen anpreisende Stimme nicht. Sie mochte, was Kraft der Tonlage anbetraf, mit Bötel immerhin weitläufig verwandt sein, Pollini hätte sie aber für das Hamburger Stadttheater lieber nicht verpflichtet. Uns aber erschien sie als ein günstiges Vorzeichen. Als ein symbolischer Ruf aus der Tiefe, durch den die Götter der Elbe und der See unserm künftigen glückhaften Schiff ihren Schutz zusagten. Auch hatte der Zwang und Drang der Ereignisse meine Frau nicht ans Mittagessen denken lassen. Was war natürlicher, als dass wir – da der Tag restlos unter dem Zeichen der »Scholle« stand – auch Schollen speisen würden. Somit betrat, durch huldvollen Wink und Ruf angelockt, nach kurzer Frist Gesche Ketelschraper unseren Flur.
Gesche Ketelschraper stammte selbstverständlich von der berühmten Fischerinsel Finkenwerder. Sie hatte, ein weiblicher Douglas der Waterkant, ihre Schollen, Aale und Steinbutten schon sieben Jahr getragen, wenigstens durch unsere Straße, und war uns infolgedessen als zuverlässige Person bekannt. Wie alle Fischfrauen hatte sie die Eigentümlichkeit, das Ausnehmen ihrer Schollen mit guten Reden zu begleiten, so dass wir im Laufe der Zeit in ihrer eignen Naturgeschichte und auf ihrer Heimatsinsel ebenso gut Bescheid wussten wie sie selbst. Heute wollte sie uns zum siebenunddreißigsten Male erzählen, wie damals ihre Nachbarin Trina Behrmann das Kind in die Wohnung eingeschlossen und es vergessen hatte, und es, nachdem sie den ganzen Finkenwerder Deich mit ihrem Jammergeschrei erfüllt, schließlich als vermisst bei der Polizei angemeldet hatte – dja, wokein das nich selbs mit erlebt hat, sollt das djawoll rein für unmöglich halten. Doch unterbrach ich sie schon, als sie der ersten Scholle die Kehle noch nicht zur Hälfte durchgeschnitten hatte, mit der Frage: ob auf Finkenwerder vielleicht ein gebrauchter, aber noch seetüchtiger Fischerewer zu verkaufen sei.
Gesche Ketelschraper schnitt vor Überraschung nicht nur den Fischkopf, sondern auch sich selbst den halben Daumen ab und rief:
»Du meine Zeit, will Herr Dokter denn auf seine alten Tage das Bücherschreiben an’n Nagel hängen und sein Brot mit das Kurrnett (Netz) verdienen?«
Darüber beruhigte ich Gesche Ketelschraper schnell, indem ich ihr mitteilte: ich suchte keinen gut gehenden neuen Beruf, bloß eine schwimmende Sommerwohnung.
An ihrem sich wie ein Aal zwischen mir und meiner Frau hin und her schlängelnden Blick erkannte ich ihre Gedanken: »Der Kerl ist verrückt! – Och, de arme Fru!« Indessen ließ sie sich’s nicht merken (wir zählten ja zu ihren besten Kunden) und erwiderte nach kurzem Besinnen: Ja, sie wisse einen, Jasper Fock von der Aue wolle sich zur Ruhe setzen, wegen Reismatismus und weil man jetzt wegen der Fischdamperkonk’renz so gefährlich weit rausmüsse und seine beiden Deerns sich voriges Jahr so gut verfreit hätten, dass er es jetzt nicht mehr nötig hätte, und wäre ein feines Fahrzeug, nicht Jasper Fock, der Kutter, denn ein Kutter sei es, kein Ewer, und hieße »Emanuel« und läge im Finkenwerder Loch vor Anker, was die heutigen Finkenwerder aber als Beleidigung ansähn, wenn man das »Finkwerder Lock« Loch nen