U1_978-3-8233-9097-8

Fabienne Scheer

Deutsch in Luxemburg

Positionen, Funktionen und Bewertungen der deutschen Sprache

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Inhalt

Fußnoten

I. Einleitung

Hubertus von Morr war von 2006 bis 2012 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Luxemburg.

S. a. Exkurs: ‚Erläuterungen zu Bourdieus Habitus- und Feldbegriff’ in Kapitel III.

1 Entwicklung der luxemburgischen Mehrsprachigkeit

Der historische Abriss ist stark verkürzt und orientiert sich an Hoffmann (1979), Davis (1994) und Bruch (1953).

Graf Heinrich der Blinde (auch Graf von Namur) erbte nach dem Tod seines Vetters Graf Konrad II. von Luxemburg die Grafschaft Luxemburg sowie die Obervogteien der Abteien Echternach und St. Maximin (vgl. Pauly 2011: 29). Im Jahr 1139 gingen ferner die Grafschaften Namur, Laroche und Durbuy wegen weiterer Todesfälle ohne direkte Erbfolge in seinen Besitz über. Auf diese Weise dehnte sich das luxemburgische Territorium auf das wallonische (Sprach-)Gebiet aus (vgl. Hoffmann 1979: 4; Pauly 2011: 29).

Nach dem spanischen Erbfolgekrieg fielen die deutschsprachigen Gebiete um Diedenhoven, Rodemacher und Sierck an Frankreich (LW15: 18.04.1989). Infolge des Wiener Kongresses verlor Luxemburg Gebiete östlich von Mosel, Sauer und Our an Preußen (vgl. Thewes 2008: 4).

Das Kürzel LW steht für Luxemburger Wort. Presseartikel und Onlinebeiträge der luxemburgischen Tages- und Wochenzeitungen Luxemburger Wort (LW und Wortonline), Luxemburger Land (LL), Le Jeudi (LJ), Lëtzebuerger Journal (Journal), L’essentiel (l’essentiel; l’essentielonline), Point24 (Point24), Tageblatt (Tagebl) und Télécran (Telecr) sowie Beiträge von RTL Radio Lëtzebuerg/RTL.lu (RTL Radio; Rtl.lu) sind Teil des Untersuchungskorpus der Arbeit und werden im Literaturverzeichnis gesondert unter ‚Medienkorpus’ aufgeführt. Das Kürzel ‚LW15: 18.04.1989’ bedeutet, dass der Artikel im Luxemburger Wort vom 18.04.1989 auf Seite 15 zu finden ist.

1841 gab es in einem Drittel der Gemeinden keinen Primärschulunterricht. Von insgesamt 382 Schulen funktionierten lediglich 176 während der Wintermonate (vgl. Trausch 2008: 55). Es gab kaum Schüler, die man hätte auf eine Sekundarschule schicken können.

S. a. Kapitel VIII.

Die zitierten Gesetzestexte sind im Literaturverzeichnis gesondert unter Gesetzestexte aufgeführt.

Die Sprachenpolitik der NS-Besatzung und das schwierige Verhältnis zur deutschen Sprache nach 1945 werden in Kapitel VIII. behandelt.

S. a. Kapitel VIII.

Soziolinguistische Ansätze: Diglossie, Bilingualismus, Domäne

Ferguson (1959) betonte, dass das Verhältnis zwischen Dialekt und Standardvarietät in vielen diglossischen Sprachsituationen über Jahrhunderte hinweg nahezu gleich bleibt (vgl. Fasold 2004: 37). Die Sprachgebrauchsregeln in Luxemburg zeichnen sich ebenfalls zu unterschiedlichen Momenten durch Stabilität aus.

Er führt aus, dass auch mehreren Sprachen in einer Gesellschaft spezifische Funktionen zugeteilt werden können (vgl. ebd.: 43).

S. a. Timm (2014).

3 Typologisierung von Sprachgruppen

Kloss (1977) schlug nicht ohne Grund vor, anstelle des Terminus der Sprachgemeinschaft, den der Repertoiregemeinschaft zu benutzen. Der Begriff des Sprachrepertoires umfasst Pütz (2004: 226) zufolge: „[…] die Gesamtheit der sprachlichen Möglichkeiten, die einem Sprecher in spezifischen Situationskontexten zur Verfügung stehen. Diese mit Rollen und Situationen variierende Sprachverwendung setzt die kommunikative Kompetenz voraus, sich mittels stilistischer und dialektaler Sprachmittel situationsadäquat (registerspezifisch […]) zu verhalten bzw. zu artikulieren.“

EXKURS: Migrationsbewegungen

1875 zählte das Land 205158 Bürger, 5895 davon waren Ausländer. 1880 hatte sich die Zahl der Ausländer bereits verdoppelt (vgl. Pauly 1985: 11). Über einen Zeitraum von 20 Jahren, von 1890 bis 1910 verdoppelte sie sich erneut, von 17990 im Jahr 1890 auf 39723 im Jahr 1910 (vgl. ebd.; Weides et al. 2003: 8).

Die luxemburgische Regierung verfolgte eine restriktive Immigrationspolitik, die nur Einwanderer zuließ, wenn es die Konjunkturlage erlaubte (vgl. Scuto 2012: 284).

Die Regierung blieb bei ihrer restriktiven Einwanderungspolitik, ließ nur so viele Zuwanderer zu, wie benötigt wurden. Sie bewilligte nur zögerlich die Maßnahmen zugunsten der Bewegungsfreiheit, die auf Ebene der EGKS, EWG und der EU erlassen wurden (vgl. Pauly 2011: 119).

Das Abkommen mit dem ehemaligen Jugoslawien sah, anders als jenes, das mit Portugal geschlossen wurde, nicht vor Familienangehörige nachzuholen (vgl. Scuto 2012: 297).

1950 waren 14 Geldinstitute in Luxemburg ansässig, 1970 waren es 37, 1980 111 und im Jahr 2000 209 (vgl. Trausch 2003: 263).

1.1 „Dieses ‚Denken-wie-üblich‘, wie wir es nennen möchten […]“

Schütz (1972: 58).

Einerseits sind die Rezepte Anweisungsschemata: „wer immer ein bestimmtes Resultat erreichen will, muss so verfahren, wie es das Rezept, das für diesen speziellen Zweck gilt, angibt“ (Schütz 1972: 58). Und andererseits sind sie Auslegungsschemata: „wer immer so verfährt wie es das spezifische Rezept anzeigt, zielt vermutlich auf das entsprechende Resultat“ (ebd.).

Mentalität im Sinne der historischen Mentalitätsforschung

Da die meisten Mentalitätshistoriker anfangs im Umkreis der Zeitschrift ‚Annales. Économies Sociétés Civilisations’ publizierten, wird bis heute verkürzend von der Annales-Schule als Gründungsstätte der Mentalitätsgeschichte gesprochen (vgl. Dinzelbacher 1993: XVII).

Im DUDEN Bedeutungswörterbuch findet sich unter Mentalität: „die einem bestimmten Einzelnen oder einer Gruppe eigene) Art zu denken und zu fühlen […]“ (Dudenredaktion 2010: 640). Folgende Beispiele werden für den Gebrauch von Mentalität angeführt: „in südlichen Ländern herrscht eine andere Mentalität; sie kann sich gut in die Mentalität anderer Menschen einfühlen.“

Verwiesen sei u.a. auf seinen Beitrag ‚Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte’ (1995).

Auch Le Goff (1987: 20) sieht Parallelen zur Sozialpsychologie: „Der Mentalitätenhistoriker hat manches mit einem Sozialpsychologen gemein. Begriffe wie Einstellung und Verhalten sind für den einen wie für den anderen von Wichtigkeit.“

Burke (1986: 439) weist darauf hin, dass der Mentalitätsbegriff nicht synonym mit dem Einstellungsbegriff gebraucht werden kann: „In other words, to assert the existence of a difference in mentalities between two groups is to make a much stronger statement than merely asserting a difference in attitudes.“

Die vorliegende Arbeit unterscheidet zwischen Einstellung und Bewertung. Unter Bewertung werden die verbalen Äußerungen verstanden. Der mit einer Äußerung einhergehende handelnde Vollzug wird betont. Einstellungen sind im kognitiven Apparat zwar vorhanden, aber noch nicht geäußert.

S. a. Spitzmüller (2005: 69).

EXKURS: Einstellungen und Verhalten

Werden sie im Dreikomponentenmodell auch der Klarheit wegen auseinandergehalten, so wird in der Realität jedes offen gezeigte Verhalten von der Interaktion der drei Einstellungskomponenten gesteuert (vgl. Vandermeeren 1996: 693).

Sie unterscheiden bei der Bedeutung der kontextuellen Rahmen drei Hauptebenen: makro-, meso- und mikrosoziale Kontextebenen. Das Mentalitätenwissen wurde bereits anhand eines solchen Mehrebenenmodells veranschaulicht.

Wissensgewinnung und Wissensvermittlung über die Sprache

Die erste Ebene wäre die Wortebene, die zweite die Satzebene, die dritte die Textebene und die vierte die Diskursebene.

In Anlehnung an Warnke (2013): Diskurs als Praxis und Arrangement – zum Status von Konstruktion und Repräsentation in der Diskurslinguistik. Die Ansicht, dass Sprache die Wirklichkeit nicht bloß spiegelt, sondern auch gestaltenden Einfluss ausübt und Realität konstruiert, wird insbesondere im Forschungsbereich der Pragmatik untersucht.

2.1 Erschließung des Foucaultschen Diskursbegriffs

Einen ausführlichen Überblick zu den verschiedenen Forschungsrichtungen innerhalb der deutschen Diskursforschung bietet der Aufsatz von Bluhm et al. (2000).

2.2 Diskurs und Wissen bei Foucault

„Die Sprache existiert nur als Konstruktionssystem für mögliche Aussagen […]“ (Foucault 1981/2013: 124).

Französische Erstveröffentlichung Archéologie du savoir 1969.

S. a. Reisigl (2006).

An dieser Stelle ist anzumerken, dass Aussagen, Foucault zufolge, nicht nur sprachlich fundiert auftreten (Jäger 2012: 79).

Foucault spricht stellenweise selbst von „diskursiven Feldern“ (Foucault 1981/2013: 93).

„Man muss angesichts jener Unterteilungen und Gruppierungen unruhig werden, die uns vertraut geworden sind. Kann man ohne weiteres die Unterscheidung der großen Diskurstypen oder jene der Formen oder Gattungen zugeben, die Wissenschaft, Literatur, Philosophie, Religion […] usw. in Opposition zueinander stellen und daraus Arten großer historischer Individualitäten machen? Wir sind uns selbst nicht sicher über den Gebrauch dieser Unterscheidung in unserer Welt des Diskurses. Dies um so mehr, wenn es sich darum handelt, Mengen von Aussagen zu analysieren, die in der Epoche ihrer Formulierung einer völlig anderen Distribution, Aufteilung und Charakterisierung unterlagen […]“ (Foucault 1981/2013: 35).

Die wiederholte Ablehnung der Regeln einer Diskursgemeinschaft führt in der Regel zum Ausschluss aus der Gemeinschaft (vgl. ebd.). Bei Foucault tritt das Subjekt, das autonom im Diskurs Aussagen produziert, in den Hintergrund des Interesses: „Man muss sich vom konstituierenden Subjekt, vom Subjekt selbst befreien, d.h. zu einer Geschichtsanalyse gelangen, die die Konstitution des Subjekts im geschichtlichen Zusammenhang zu klären vermag. Und genau das würde ich Genealogie nennen, d.h. eine Form der Geschichte, die von der Konstituierung von Wissen, von Diskursen, von Gegenstandsfeldern usw. berichtet, ohne sich auf ein Subjekt beziehen zu müssen, das das Feld der Ereignisse transzendiert und mit seiner leeren Identität die ganze Geschichte hindurch besetzt“ (Foucault 1978: 32). Das Wissen des Subjekts konstituiert sich aus den Diskursen und dem Wissen seiner Diskursgemeinschaft(en) und die Teilnehmer der Diskursgemeinschaft(en) sorgen wiederum für die Progression der Diskurse: „Die Doktrin führt eine zweifache Unterwerfung herbei: die Unterwerfung der sprechenden Subjekte unter die Diskurse und die Unterwerfung der Diskurse unter die Gruppe der sprechenden Individuen“ (Foucault 1974/2007: 29). Neuere linguistische Diskursschulen, allen voran die kritische Diskursanalyse, beziehen, in Anlehnung an Foucaults Machtbegriff, allerdings die Interessen der Diskursteilnehmer in ihre Analysen mit ein.

Es müssen aber Zeichen sein. Hier ist der Zeichenbegriff im weitesten Sinne gemeint (alquid stat pro aliquo).

S. a. Kapitel IV. zur Zusammensetzung des Korpus.

2.3 Äußerungen, Aussagen, Mentalitäten

In Texten, Gesprächen etc.

Die Aussage nimmt erst in der Gesamtheit der anderen Aussagen eines Diskurses ihre spezifische Bedeutung ein. Die Regeln ihres Auftauchens und die Funktionen, die sie übernimmt, ergeben sich erst im diskursiven Kontext, in der Praxis des betreffenden Diskurses (vgl. Foucault 1981/2013: 150). Je nach Kontext (Gesprächssituation und sozialem Feld) ändert die einer Äußerung/Aussage attribuierte Bedeutung/Funktion. So ändern sich Rolle und mögliche Funktionen einer Aussage, wenn diese in einem anderen Diskurs, Teildiskurs, oder zu einem anderen Zeitpunkt des Diskurses verwendet wird (vgl. ebd.).

S. a. Foucault (1981/2013: 246f.): „Zu sagen, dass eine diskursive Formation an die Stelle einer anderen tritt, heißt nicht, dass eine ganze Welt von Gegenständen, Äußerungen, Begriffen, von theoretisch absolut neuen Wahlentscheidungen vollgewappnet und durchorganisiert in einem Text auftaucht, der sie ein für allemal einordnet; es heißt, dass sich eine allgemeine Transformation der Beziehungen vollzogen hat, die aber nicht unbedingt alle Elemente verändert; es heißt, dass die Aussagen neuen Formationsregeln gehorchen, es heißt nicht, dass alle Gegenstände oder Begriffe, alle Äußerungen oder alle theoretischen Wahlmöglichkeiten verschwinden. Man kann im Gegenteil ausgehend von diesen Regeln Phänomene der Kontinuität, der Rückkehr und der Wiederholung beschreiben und analysieren […].“

EXKURS: Erläuterungen zu Bourdieus Habitus- und Feldbegriff

Soziales und kulturelles Kapital sind für Bourdieu in ökonomisches Kapital konvertierbar (vgl. Baumert/Maaz 2006: 13).

Horner (2004: 20) betont im Rückgriff auf Davis (1994) die Bedeutung des „linguistic capital in the context of the Grand Duchy“. Als Beispiel wäre das Feld des ‚Öffentlichen Dienstes’ anzuführen. Um beim Öffentlichen Dienst arbeiten zu können, muss man Kenntnisse in den drei Landessprachen vorweisen: Lëtzebuergesch, Deutsch und Französisch.

IV. Untersuchungskriterien

Ich spreche, in Anlehnung an Foucault, der den Diskurs als regulierte Praxis definiert, bei den Interviewpartnern von ‚Praktikern’ in den verschiedenen Teilbereichen der Gesellschaft.

1.1 Medienkorpus

Die Wochenzeitung Le jeudi erscheint erstmals im Jahr 1997. Die Zeitung wurde also von mir ab Erscheinen, vom 17. April 1997, bis Dezember 2012 durchsucht.

Der Leser wird bei der Lektüre des empirischen Teils der Arbeit feststellen, dass dieser mehrsprachig ist. Im Fließtext steht immer der originale Wortlaut, in der Fußnote gegebenenfalls die deutsche Übersetzung.

Die Nachfrage in der Redaktion des Luxemburger Lands erbrachte auch nicht die gewünschte Lösung. Zwar waren dort bereits alle Ausgaben der Zeitung digitalisiert worden, jedoch durfte aufgrund von Autorenrechten noch kein Zugriff erfolgen. Mittlerweile (04/2016) können alle bisher erschienenen Ausgaben des Luxemburger Lands online per Stichwortsuche durchsucht werden (http://www.land.lu/category/archiv/) . In der luxemburgischen Nationalbibliothek war das Luxemburger Land zum Zeitpunkt meiner Recherchen erst nach 1990 auf Mikrofilm archiviert und in den Archives nationales de Luxembourg sagte man mir, der Aufwand sei zu groß, die restlichen Artikel von den Filmrollen zu kopieren.

1.2 Erweiterung des Materials um Experteninterviews

Außerdem musste ich mich mit meiner Position als Forscherin auseinandersetzen, schließlich war ich Teil der Sprachgemeinschaft, deren Verhalten ich untersuchen wollte und lief so Gefahr nichts anderes als mein Mentalitätenwissen wiederzugeben.

Im Anschluss wurden die Gespräche transkribiert. Es erfolgte keine enge, sondern eine breite Transkription, bei der die Inhalte des Gesprächs im Vordergrund standen. Aus Gründen der Leserfreundlichkeit wurden die mündlichen Äußerungen in der Arbeit der schriftsprachlichen Standardsprache angepasst.

Dies vor allem um zu vermeiden, dass deren Offenheit mir gegenüber berufliche Konsequenzen nach sich ziehen würde. Oberstes Gebot war, dass für keine der Personen, die ihr ‚Insiderwissen’ mitteilten, ein Schaden entstehen sollte.

ASTI steht für Association de soutien aux travailleurs immigrés. Die NGO wurde 1979 gegründet und setzt sich seither für die Rechte und Interessen der Zuwanderer in Luxemburg ein. Sie fördert den Austausch zwischen Migranten und Einheimischen.

Angegeben werden Beruf und Anstellung der Interviewpartner zum Zeitpunkt des Interviews.

1.3 Erweiterung des Korpus um weitere Zeichen des „Flusses von Wissen durch die Zeit“

In Luxemburg sind die Grenzen zwischen den verschiedenen Diskursebenen (Laienebene, Medienebene, fachwissenschaftliche Ebene und Expertenebene) aufgrund der Größe des Landes fließend. So beobachten Gilles et al. (2010: 80), „dass es für die luxemburgische Medienlandschaft charakteristisch zu sein scheint, dass es [für jeden Bürger] möglich ist seine Meinung oder Expertise einem größeren Leserpublikum problemlos mitzuteilen.“ Wissenschaftler, die sich in Luxemburg mit dem Luxemburger Land auseinandersetzen, publizieren ihre Ansichten auch in den nationalen Medien.

Bemerkungen zur Verwendung diskurslinguistischer Methoden

Als Diskursteilnehmer wird jeder angesehen, der sich in den Diskurs einbringt, also auch die Praktiker, die interviewt wurden.

Vgl. die Ausführungen von Wengeler (2013: 149): „Bezüglich meines Ansatzes, die Analyse von Printmedientexten in dem Sinne als mentalitätsgeschichtlich zu verstehen, dass damit Aussagen über vorherrschende Denkgewohnheiten zu einem Thema in einer bestimmten Zeit gemacht werden sollen, steht uns die WDA [=wissenssoziologische Diskursanalyse nach Keller] deshalb nahe, weil auch sie davon ausgeht, dass die „Massenmedien (…) den kulturellen Code des Politischen“ […] bestimmen, dass die „‚alltäglich’ verwendeten Typisierungen, Deutungsmuster und Handlungsroutinen (…) in weiten Teilen aus ‚abgesickerten’ öffentlichen oder Expertendiskursen [stammen]““ (Keller 1997: 317).

Solche zentralen Diskursgemeinschaften (bzw. -gruppen) können mit Blommaert (1999) als Ideology Brokers bezeichnet werden (vgl. Warnke/Spitzmüller 2008b: 35). Blommaert (1999: 9) versteht hierunter „categories of actors who, for reasons we set out to investigate, can claim authority in the field of the debate.“

V. Der Bildungsdiskurs

S. a. Kapitel VIII.

So tauchen im Untersuchungskorpus folgende Äußerungen auf: „Umso schwieriger wird es für die Immigranten-Kinder, die in den meisten Fällen eine romanische Muttersprache, in keinem Fall eine germanische haben, somit die Alphabetisierung nun eindeutig in einer Fremdsprache durchgeführt wird. […] Wie Untersuchungen ergaben, kann eindeutig als Grund des Misserfolgs das Deutsche als Vehikularsprache zu Beginn und als notwendiger Bestandteil jeder Abschlussprüfung angesehen werden […]. Der einzige Schulzweig, in dem die portugiesischen Schüler Vorteile hätten, wäre das Gymnasium (Französisch als Vehikularsprache); Ironie des Schicksals: nur ein schwindend geringer Anteil gelangt bis in diese Sphären, und zwar 3,8 % […]” (LL1: 21.01.1983).

F.S.: „Welche Rolle, Funktion, hat denn die deutsche Sprache? Ist es eine Sprache, die ‚gelebt’ wird?“ Nadine Vandivinit (Deutschlehrerin): „In Luxemburg meinen Sie?“ F.S.: „Ja.“ Nadine Vandivinit: „Ich würde da das Deutsche nicht als Sprache ansehen, die ‚gelebt’ wird. Also ich würde das Deutsche eben als Fach ansehen, in dem die Luxemburger alphabetisiert werden, denn wenn man sich anschaut, wie die Strukturen [politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich] in Luxemburg aussehen, dann findet die deutsche Sprache ja nicht wirklich einen Platz oder hat auch keinen wirklichen Platz in dem Sinne […]. Ich weiß es nicht. Ich hatte immer eher eine Affinität zum Deutschen als zum Französischen, aber wirklich jetzt als Sprache, die ich in Luxemburg permanent gebrauche, sehe ich sie nicht. Da ist eher das Französische …“ F.S.: „Und wenn man jetzt vom Wert einer Sprache spricht, dann hat sie vielleicht keinen richtigen ‚Wert’, mit dem man als Individuum vorankommt im wirtschaftlichen, beruflichen Leben [in Luxemburg]? Hat sie eher einen Wert als kulturelle Sprache – vielleicht als Zusatzkultursprache?“ Nadine Vandivinit: „Ja als Verständigungsmöglichkeit und […]. Es gibt ja auch viele Länder, in denen die deutsche Sprache gesprochen wird und von daher … Aber ich glaube nicht, dass sie in Luxemburg so eine herausragende Rolle hat. Und ja – es ist schwierig [die Rolle zu definieren], weil man ihr im Alltag ja so selten begegnet.“

1.1   Grundschule ‚(école fondamentale)‘

Wenn das Kind die fakultative Früherziehung (éducation précoce) mit drei Jahren besucht, beträgt die Regel-Grundschulzeit neun Jahre. Ein Grundschulzyklus besteht aus zwei erfolgreich bestandenen Schuljahren: Der Cycle 2 setzt sich aus dem ersten (cycle 2.1) und dem zweiten Schuljahr (cycle 2.2) zusammen, ein erfolgreiches Bestehen des Cycle 3 setzt den Abschluss des cycle 3.1 (vormals dritte Klasse) und des cycle 3.2 (vormals vierte Klasse) voraus. Im Schulgesetz wird ein Grundschulzyklus als Lernperiode definiert „au terme de laquelle l’élève atteint des objectifs prédéfinis” (Mémorial 2009: 200; Art. 2, § 4). Diese „objectifs”, die Bildungsziele eines jeden Zyklus, wurden infolge des neuen Schulgesetzes in Kompetenzziele gefasst, die im Bildungsplan für die Grundschule, dem plan d’études, festgehalten wurden.

Im Juli 2014 kündigte der luxemburgische Bildungsminister Claude Meisch an, die Sprachpraxis in Kindertagesstätten reformieren zu wollen. Die geplante Reform sieht vor in staatlichen Krippen eine gezielte Sprachförderung auf Luxemburgisch und Französisch einzuführen und die Heranwachsenden somit von Anfang an, auf das mehrsprachige Umfeld in und außerhalb der Schule vorzubereiten (vgl. DP 2014: 3; s. a. Unterkapitel 3.1).

1.2 Sekundarschule

Das folgende Kapitel basiert auf den Informationen der Publikation Was tun nach dem 4. Zyklus der Grundschule, herausgegeben vom luxemburgischen Bildungsministerium (MENEJ 2014).

Enseignement secondaire classique (ES)

Im allgemeinen Sekundarunterricht werden anders als im technischen Sekundarunterricht die Klassenstufen rückwärts gezählt: 7ième, 6ième, 5ième … und nicht 7ième, 8ième, 9ième … Das Abitur wird auf Klassenstufe 1ère abgelegt.

F.S.: „Also inwiefern beeinflusst die Unterrichtssprache den Erfolg der Schüler in den Sachfächern/Nebenfächern?“ Jeannot Kettel (Geschichtslehrer): „Ja wenn man die Unterrichtssprache nicht beherrscht, mit der man sich ausdrücken soll, dann wird das zu einem großen Problem. Mit dem Französischen, also ich spreche jetzt nicht mehr vom Deutschen, weil ich [schon] seit einer Weile [in den oberen Klassen des ES Geschichte] unterrichte, obschon es da oft genauso ist, ist es ganz oft so …, da findet ja der Sprung von 5ième auf 4ième statt, wo auf einmal das ganze historische Vokabular auf Französisch [wechselt] und die normalen Wörter verlangt werden, die die Schüler benötigen, um ihr Wissen überhaupt in Worte zu fassen und das ist natürlich dann extrem schwierig. […] Leistungsschwache Schüler werden natürlich, wenn es vom Deutschen ins Französische wechselt, noch einmal deutlich schwächer und gute Schüler werden vielleicht etwas weniger gut. […]“ F.S. : „Fällt Ihnen auf, dass Schüler mitunter sagen : „Warum ist es [das Fach Geschichte] nicht mehr auf Deutsch?!““ Jeannot Kettel: „Ja, aber wir sind nun mal in einem Land, wo das Französische eine relativ große Rolle spielt und das Deutsche ohnehin momentan überbewertet wird und das ist irgendwie, sie müssen im Grunde genommen die Sprache [Französisch] beherrschen, die sie später für Verwaltungsangelegenheiten auch benötigen werden.“ F.S. : „Dürfen sie [die Schüler] ein Wörterbuch [im Unterricht] benutzen ?“ Jeannot Kettel : „Nein, nein. […] In der Prüfung dürfen sie keines benutzen. Wenn sie im Unterricht eines dabei hätten, wäre das kein Problem, im Prinzip sollen sie mich aber fragen, wenn sie etwas nicht verstehen. […] Ich spreche zu Beginn sowieso erst einmal viel langsamer Französisch [als Deutsch] in der Klasse und ich sage im Grunde genommen alles dreimal mit anderen Worten. Ich nehme also jedes Mal Synonyme vom wichtigsten Wort bis sie es dann verstehen. Zu unserer Zeit hat man auch viel Französisch über die Nebenfächer gelernt und das ist der Grund, wieso es so wichtig ist, dass die Nebenfächer auf Französisch sind. Die Schüler lernen dort mindestens genauso viel Französisch wie im Hauptfach, insbesondere die technischen, arbeitspraktischen Vokabeln, die im Sprachenunterricht ja nicht unbedingt behandelt werden, werden hier verwendet.“

2.1 Über Bildung diskutieren

RTL-Internetredakteur: „Der Artikel mit dem Titel „Ein Streit im Bildungsbereich. Neue Pläne der Regierung, was die Bewertung des Lehrpersonals angeht“ bekam 160 Kommentare […].“ RTL-Radiomoderator: „Also wieder die berühmt-berüchtigten Themen mit den berühmten Kommentaren, die immer wiederkommen.“ (28.03.20148:25 Uhr RTL Radio Lëtzebuerg).

Claude Meisch ist Mitglied der Demokratischen Partei (DP) in Luxemburg und wurde im Dezember 2013 zum ‚Minister für Bildung, Kindheit und Jugend’ und zum ‚Minister für Hochschulwesen und Forschung’ ernannt.

RTL-Radiomoderatorin: „Sie haben die Sprachen angesprochen. Was muss sich denn als erstes verändern?“ Bildungsminister Claude Meisch: „Das ist sicherlich die große Herausforderung hier in Luxemburg. Wir haben die Situation, dass wir eine multilinguale Gesellschaft haben, die stetig multilingualer wird, weil wir auch multikultureller werden, eine Arbeitswelt haben, die eigentlich nicht mehr der Arbeitswelt von vor 30, 40 Jahren entspricht. Deshalb müssen wir mehr Sprachen hierzulande vermitteln und auch den Kindern weiterhin vermitteln. Da die Kinder diese Sprachen aber nicht zuhause sprechen, ist dies eine große Herausforderung für eine öffentliche Schule, die eigentlich noch immer eine Einheit darstellen soll, dieses zu meistern.“

Zu dieser Feststellung gelangt auch Weber (2009: 16): „In educational discourses in particular, terms such as “multilingualism“ and “multiculturalism“ are frequently understood as referring to the idealized model of individual Luxembourgish-German-French trilingualism, whereas the actual, present-day multilingualism of Luxembourgish society […] is to a large extent ignored.“

Die Vereinigung der Französischlehrer ist entsetzt. In der 12. und 13. Klasse des technischen Sekundarschulunterrichts soll der Französischunterricht gestrichen werden.

Das Ministerium begründete seine Entscheidung in einer Pressemitteilung wie folgt: Die Förderung der Französischkenntnisse bleibe ein wichtiger Bestandteil der kaufmännischen Ausbildung. In der 10. und in der 11. Klasse sei er deshalb auch noch einmal verstärkt worden. Das Fach sei obligatorisch in der 10. und 11. Klasse und umfasse dort vier Unterrichtsstunden pro Woche. In der 12. und 13. Klasse habe man das Fach Französisch streichen können, weil die Festigung der Französischkenntnisse im Rahmen der Berufsausbildung anhand von Praktika in konkreten beruflichen Situationen erfolge. Außerdem sei das Französische in den Abschlussklassen wöchentlich während fast 20 Schulstunden die alleinige Unterrichtssprache (vgl. Tageblonline: 22.05.2014).

„Das kann ja nicht ausreichen. Ich will damit sagen, bis jetzt hatte man vier Stunden Französisch vorgesehen. Und das wird ja wohl nicht aus Blödsinnigkeit so gewesen sein. Die Leute, die dafür gesorgt haben, werden ja wohl gewusst haben wieso. Es ist vielleicht so, ich glaube, wir wissen ja, dass viele Schüler hier im Land Probleme im Französischen haben … und vielleicht ist das ja jetzt eine moderne Art und Weise, um die Probleme zu lösen. Dann machen wir einfach kein Französisch mehr, dann hat auch niemand mehr Schwierigkeiten. […] Seit dem Krieg, bei allen Reformen, die hier in diesem Land gemacht worden sind, ging es jedes Mal auf Kosten des Französischen. Und jetzt geht es munter so weiter und ich verstehe einfach das globale Konzept nicht, das da dahinter steht. Auf der einen Seite sehen wir, dass immer mehr Französisch gefordert ist, um eine Arbeitsstelle hier in Luxemburg zu finden und auf der anderen Seite gehen wir hin und machen immer weniger Französisch.“ (vgl. Rtl.lu. 21.05.2014).

Die statistische Erhebung BaleineBis zeigt, dass 99 % der Wohnbevölkerung Französisch beherrschen. Luxemburgisch und Deutsch können 84 % (vgl. Fehlen 2009: 12). Die französische Sprache wird ferner von 92 % der Luxemburger und von 84 % der befragten Portugiesen als nützlichste Fremdsprache eingestuft (vgl. ebd.: 124).

Um Ereignisse geistig einordnen zu können, werden in der Öffentlichkeit bestehende Wissensrahmen aktiviert. Durch die Übernahme bestimmter Begriffe (beispielsweise geschichtlicher Grundbegriffe) und ihrer Übertragung auf neue Sachverhalte, wird die Wirklichkeit aus einer bestimmten Perspektive heraus betrachtet. Damit gehen Erwartungen über die Folgen von Ereignissen einher. Der Terminus Wissensrahmen wird in der Linguistik verstanden als Oberbegriff von Frame, Schema usw. Er wird für alle Formen von Wissensagglomerationen gebraucht (vgl. Felder 2006: 19).

Es ist davon auszugehen, dass hierdurch der Einfluss der deutschen Sprache auf das luxemburgische Sprachsystem zunimmt und bei Dubletten, die aus deutschen oder französischen Entlehnungen entstanden sind (z.B.: Tëlee [aus dem frz. télé] oder Fernseh [aus dem dt. Fernseher]), zunehmend das deutsche Lehnwort ausgewählt wird und zu Ausbauzwecken generell der deutsche Wortschatz eher konsultiert wird als der französische. Eine Feststellung zu der auch der Luxemburger Linguist François Conrad gelangte und auf die die Schlussfolgerungen der Studie Baleine aus dem Jahr 1998 bereits hinwiesen (vgl.Fehlen/Margue 1998: 16; Fehlen 2009: 218).

Romain Dockendorf: „Wir haben es gegenwärtig mit einem Phänomen zu tun, das eingetreten ist, weil der Schüler auf der 4ième die Möglichkeit erhält, eine Sprache abzuwählen. Und dieses Phänomen ist meiner Meinung nach als Ablehnung des Französischen zusammenzufassen. Dieser Sprache wird sich ab 4ième weitestgehend entzogen, vor allem [aufgrund] ihrer Komplexität für uns Luxemburger. Wir gehen dann über zum Deutschen.“

F.S.: „Womit erklären Sie sich denn diese Ablehnung des Französischen? Liegt es daran, dass im Land das Französische immer präsenter wird, dass wir im Alltag immer mehr Französisch sprechen müssen?“ Romain Dockendorf: „Als Selbstbewusstsein, als Bestätigung der eigenen Nationalität oder aufgrund der eigenen Vertrautheit mit der Sprache, das ist alles möglich. Ich sehe darin primär ganz einfach auch ‚eine solution de la facilité’. Wir sind im Deutschen aufgewachsen, sind auf Deutsch alphabetisiert worden, die Umgebung hier im Lyzeum, ganz oft sind wir schon mit deutschen Märchen, mit deutschen Kassetten als Kinder aufgewachsen, also haben das Deutsche oft in Bildungsmilieus parallel erworben. Es ist einfach die Sprache, die wir [Luxemburger mit Familiensprache Luxemburgisch] am besten beherrschen – und mit der wir [diese Altersklasse von Schülern] auch die wenigsten negativen Erfahrungen machen. Und das andere ist ein mühsames Lernen. Ich habe immer gesagt als diese Wahlmöglichkeit kam, das wird dann der Todesstoß für das Deutsche sein, aber ein Kollege sagte mir, es wird tödlich für das Französische sein, denn sie suchen den einfachsten Weg. […] Erstaunlich viele, also bei mir auf der 1ère sind es 21 von 26 wählen im mündlichen Abitur das Fach Deutsch. Und die meisten, die man dort so fragt, gehen im Anschluss auch für ein Studium nach Deutschland. […] Also sie suchen die Sprache einfach nach dem Wohlfühlfaktor aus – und nach dem Sicherheitsfaktor. […] Hinzukommt, dass diese antideutsche Haltung durch den Krieg verschwunden ist in dieser Generation. Sie haben da keine Berührungsängste mehr.“

Fernand Weiler: „Absolut und sie studieren auch zunehmend, was sie nie gemacht haben, BWL, also Betriebswirtschaftslehre in Deutschland und dann kommen sie zurück und müssen sie hier auf Französisch ausüben können, das ist ja Nonsense, nicht wahr! […] Die sagen schlichtweg: „Ich hasse Französisch!“ Obschon sie sich natürlich bewusst sind, dass sie die Sprache brauchen. Hier in Luxemburg geht es nicht anders. Sie sind je nachdem [was sie machen wollen] auf Französisch angewiesen. Aber sie sind es nun mal gewöhnt, immer nur den einfachsten Weg zu wählen: Wenn Französisch schwierig ist, wird Deutsch gewählt. Auch wenn sie Französisch brauchen, gehen sie auf eine deutsche Uni und ich weiß nicht wie sich das dann am Ende auswirken soll.“

Man unterscheidet instrumentelle und integrative Motivationsfaktoren, die zum Erlernen einer neuen Sprache motivieren: Instrumentelle Motivation liegt vor, wenn der Lerner sich vom Erwerb unmittelbare, praktische Vorteile erhofft (etwa Vorteile auf dem Arbeitsmarkt) und Integrative Motivation, wenn beim Erwerb das Kennenlernen einer neuen Kultur im Vordergrund steht und man sich stark mit der Sprachgemeinschaft und der Zielkultur identifizieren kann (vgl. Kniffka/Siebert-Ott 2009: 65).

Redinger (2010: 96) betont: „Luxembourg’s education system is governed by explicit language policies regulating the use of multiple languages in a multilingual education system.“

Auf die Bedeutung des weitestgehend Unbestimmtlassens der Erwerbsmethode mithilfe von „wie eine“ wird in Unterkapitel 3.2.1 eingegangen.

EXKURS: Das Bildungssystem in Portugal

Eine zweite Fremdsprache muss, seit der Bildungsreform im Jahr 2002, im dritten Grundschulzyklus (7. Klasse) erlernt werden (vgl. Leclerc 2014). Die meisten Portugiesen wählen dann Französisch. Spanisch oder Deutsch sind ebenfalls möglich (vgl. ebd.). Die Grundschulzeit in Portugal umfasst neun Jahre, die Schüler besuchen die Grundschule ab dem Alter von sechs Jahren und schließen im Alter von 15 Jahren die Grundschule ab (vgl. ebd.).

s. a. Unterkapitel 3.2.2.

Allerdings sagte die Leiterin des Service de la scolarisation des enfants étrangers im Bildungsministerium im Oktober 2014 im Tageblatt-Interview, dass man sich durchaus „die Frage [stelle], ob nicht den vielen anderen Sprachen in Luxemburg [ebenfalls] Rechnung [ge]tragen [werden] müss[t]e […]” (vgl. Tagebl25: 10.10.2014). Verschiedene Zuwanderergruppen können längst außerhalb der Schulstunden auf Sprachkurse und Nachhilfeunterricht für ihre Kinder zurückgreifen. So bestehen Italienischkurse seit 1983. Botschaften organisieren Sprachkurse, daneben existieren Migrantenvereinigungen (bosnische, serbische etc.), die außerschulischen Sprach- und Nachhilfeunterricht anbieten.

Die Kantone Diekirch, Echternach, Esch-Alzette, Grevenmacher, Luxemburg, Remich und Vianden bieten den integrierten Portugiesischunterricht an (vgl. www.portugaledu.lu). Sie werden vom portugiesischen Institut Camões (Institut de la Coopération et de la Langue) verwaltet, das dem portugiesischen Außenministerium untersteht. In verschiedenen Gemeinden wird der Portugiesischunterricht außerhalb der regulären Schulstunden an freien Nachmittagen angeboten (Stand 2017).

3.1 Die Entwicklung des linguistischen Startkapitals im Grundschulzyklus 1

Zuwanderer, die keine Notwendigkeit darin sehen, sich sprachlich anzupassen, entwickeln, wenn überhaupt, nur eine Pidgin-Varietät, die für die Bewältigung des Alltags ausreichen muss (vgl. Huneke/Steinig 2010: 21). In Luxemburg kann die Mehrheit der Migranten relativ weit mit ihrer Erstsprache kommen. So finden portugiesische Einwanderer oft eine Anstellung im Bau- und Reinigungssektor, wo als Zugangsvoraussetzungen Portugiesischkenntnisse und ein rudimentäres Französisch vollkommen ausreichen.

So sollen sie zum Beispiel eher von einem ‚Kéisecker’ [kəɪsɛkɐ] als von einem ‚Igel’ [i:ʒəl] sprechen und vom ‚Kaweechelchen’ [kave:ʃəlʃən] und nicht vom ‚Eichhörnchen’ erzählen.

Zum Begriff der literacy bridge s. a. Weber (2012: 130ff.).

Die nachstehenden Korpusauszüge belegen die Akzeptanz der ‚Brückenthese’, wobei das Korpusbeispiel LL: 18.09.2008 andeutet, dass nicht wirklich bekannt ist, wie der Gang über diese Brücke tatsächlich funktioniert: „Im Vorschulunterricht werde das Lehren der luxemburgischen Sprache mit Nachdruck gefördert, da ihr die Brückenfunktion zwischen der Muttersprache der Kinder und der Alphabetisierungssprache, dem Deutschen, zukomme.“ (LW: 23.01.1999); „Sprache als Kontaktbrücke. […] „Das Erlernen des Luxemburgischen stellt de facto eine Plattform da [sic], die es später auch eigentlich französischsprachigen Schülern erlaubt, mit Deutsch als Unterrichtssprache umzugehen.“ (Telecr: 14.02.2004); „Dessen ungeachtet preist der bildungspolitische Mainstream von ADR bis Déi Gréng die „Brückenfunktion“ der „Integrationssprache Luxemburgisch“, obwohl niemand genau weiß, welche luxemburgischen Wörter portugiesische, kapverdische und andere Einwandererkids kennen müssen, um bei der Alphabetisierung in Deutsch nicht ins Hintertreffen zu geraten.“ (LL: 18.09.2008)

Wenn Schüler sich gegenseitig helfen und auf diese Weise den Spracherwerb vorantreiben, spricht man auch von peer learning (vgl. Franceschini 2011: 47f.). Auf allen Klassenstufen kommt es zu Situationen, wo Schüler bei Gruppenarbeiten oder wenn sie merken, dass ihr Banknachbar etwas nicht versteht, ins Luxemburgische, Portugiesische oder in eine andere Sprache wechseln, um ihrem Gegenüber die Aufgabe zu erklären. In diesen Momenten setzen sie sich über die offizielle Schulsprache hinweg.

Inzwischen gilt die Annahme, dass die Erstsprache eines Kindes bis zu einem bestimmten Niveau entwickelt sein muss, damit sich die Fähigkeiten in der Zweitsprache angemessen entfalten können (Schwellenniveauhypothese) zwar als widerlegt, Konsens besteht aber darüber, dass die gesamte sprachliche Entwicklung als einheitlicher Prozess zu betrachten ist, bei dem die Fähigkeiten und das Wissen aus der einen in die andere Sprache übertragen werden (vgl. Gomolla 2011: 36).

Portugiesisch für grün, rot, orange.

3.2 Eine Alphabetisierung auf Deutsch

Dazu Fehlen (2013a: 48f.): „Durch den nicht zu vernachlässigenden Einfluss der deutschen Fernsehsender, die bevorzugt von den Luxemburgern konsumiert werden, nähern sich die politischen und kulturellen Weltsichten dies- und jenseits der Mosel an.“

In der Studie BaleineBis gaben 32 % der befragten Portugiesen an, Portugiesisch sei ihre Hauptfernsehsprache, bei 54 % war es Französisch (vgl. Fehlen 2009: 117). Der portugiesische Sender RTPI kommt auf der Beliebtheitsskala leicht vor TF1 (vgl. TNS-Ilres 2013).

Grundschullehrerin 2: „Ich hatte viele Schüler im Cycle 2 die das Deutsche überhaupt nicht verstanden haben, das ist ja für die, als würdest du Chinesisch mit denen reden, die verstehen das ja gar nicht, wenn die das noch nie zuvor gehört haben!“

Fehlen (2013a: 61) erklärt folgerichtig: „Französisch ist in der Tat für Luxemburgisch-Sprecher wegen einer größeren Distanz schwerer zu erlernen als Deutsch. Dies wird jedoch durch eine pädagogische Tradition verstärkt, die Französisch nicht als funktionale Kommunikationssprache unterrichtet […].“

Welche Methode für den Deutscherwerb in der Grundschule?

„Wir arbeiten schon noch mit dem [überarbeiteten] Mila-Buch. Wir sind nicht sonderlich begeistert davon, haben uns allerdings auch noch nicht nach passenderen Alternativen umgesehen. Andere Arbeitskollegen arbeiten mit dem Buch „Flex und Flora“. Die Lauttabelle des Mila-Buches setzen wir jetzt im ersten Schuljahr (Zyklus 2.1) nicht ein, weil unsere Schüler einfach zu leistungsschwach dafür sind. Ihnen fehlt das deutsche Vokabular, mit dem sie frei schreiben könnten.”

Grundschullehrerin 2: „Am Anfang lernen sie die Bilder. Das Bild wird ja mit dem Laut verbunden.“ Grundschullehrerin 1: „Sie müssen […] [zunächst mal lernen], dass das da [zeigt auf ein Bild in der Lauttabelle] [auf Deutsch] ein Ofen ist. Und dann geht es nur um den Anfangsbuchstaben.“ Grundschullehrerin 2: „Es geht dann darum, den Laut mit dem Bild zu verbinden, d.h. sie denken eigentlich nicht an den Laut, sondern an das Bild mit der Maus. Wenn sie dann nachher bespielweise ‚Maus’ schreiben wollen, wissen sie ‚m’ … [m] wie [mɑus], ‚au’ … [ɑu] wie Auto, ‚s:’ wie, ja dann wird es schon schwierig, weil da gibt es mehrere verschiedene.“ Grundschullehrerin 1: „Ja. Also da gibt es [s] wie Skelett oder [z] wie Salat oder [ts] wie Zug. […] Schon alleine um die Wörter immer zu lernen … Ich fand immer, dass du als Luxemburger oder ja Deutschsprachiger, wie auch immer, einfach schon im Vorteil bist, weil du die Wörter kennst. Wenn du Portugiese bist, muss du zuerst einmal wissen, dass das da [zeigt auf das Bild] ein ‚Ordner’ ist, […] so dass man [von September] bis […] Ende November fast nur mit der Anlauttabelle gearbeitet hat, bis jeder sie konnte und dann hat man mal angefangen …“ Grundschullehrerin 2: „Ja bis jeder sie konnte.“ Grundschullehrerin 1: „Ja genau.“

F.S.: „Angenommen, da ist ein sehr guter Schüler, der die Bezeichnungen für die Bilder zügig erlernt, kann der dann relativ bald anfangen zu schreiben?“ Grundschullehrerin 1: „Wenn du wirklich ein guter Schüler bist, dann kannst du, würde ich sagen, mit der Anlauttabelle relativ schnell viel schreiben. Aber wenn du leistungsschwach bist, verlierst du damit sechs Wochen, in denen du meiner Meinung nach, absolut nichts lernst – oder fast nichts lernst.“

Grundschullehrerin 1: „Wenn du während einem Jahr konsequent Stuhl *S c h t u l schreibst, dann, dann vergiss es …“

Grundschullehrerin 2: „Das Problem ist einfach, dass die Kinder danach nicht richtig schreiben können, denn Kinder, die mit Doppellauten und d/t, b/p-Lauten Schwierigkeiten haben, die sind hier verloren! Ich hatte tatsächlich letztes Jahr einen, der hat mir ‚Weihnachtsplätzchen’ geschrieben: *‚feinartzpletzie’. Passt ja.“

F.S.: „Und dann kommt ja auch noch erschwerend dazu, dass es nicht die Muttersprache der Kinder ist?“ Grundschullehrerin 2: „Oh ja gut, es ist nicht ihre Muttersprache, aber es war ein luxemburgisches Kind! Er hat nach der Anlauttabelle geschrieben! Und theoretisch wäre es nach der Anlauttabelle nicht falsch! Wenn du es gelesen hast, da darf man dann tatsächlich nicht überlegen, wenn man das liest. Das muss man sich einfach so schnell vorsagen und dabei ist mir dann aufgegangen, dass er mir ‚Weihnachtsplätzchen’ schreiben wollte.“

F.S.: 2